RE:Sentius 9
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
---|---|---|---|
| |||
Saturninus, C. cos. 19 v. Chr. in Syrien und Feldherr in Germanien | |||
Band II A,2 (1923) S. 1511–1526 | |||
Gaius Sentius Saturninus (Konsul 19 v. Chr.) in der Wikipedia | |||
Gaius Sentius Saturninus in Wikidata | |||
Bildergalerie im Original | |||
Register II A,2 | Alle Register | ||
|
9) C. Sentius Saturninus, der Consul des J. 735 = 19 v. Chr.
a) Name. C. Sentius C. f. C. n. Saturninus CIL I2 p. 29[1] Fasti Cap.; Γ. Σέντιος Γ. υἱ(ὸς) Σατουρνῖνος Dio ind. l. LIV; C. Sentius Saturn(inus) CIL I2 p. 64[2] Fasti Colotiani (min. VII); C. Sentius Sat. CIL II 2255[3] = Dessau II 8007; C. Sentius Saturninus Vell. II 92, 1; C. Sentius CIL I2 p. 65[4] Fasti Biondiani (min. VIII); Tesserae nummulariae (s. u.). Cassiod. chron. (Mommsen Chron. min. II p. 135). Frontin. de aq. 10. CIL VI 32323,[5] 151 Acta lud. saecul.; Γάιος Σέντιος Dio LIV 10, 1. LV 28, 6; Gn. Sentius (irrig) Donat. v. Verg. 35; Sentius Saturninus Vell. II 77, 8. 105, 1. 109, 5. Tertullian. adv. Marcion. [1512] IV 19; de pallio 1. Hieron. chron. Ol. 190; Sentius CIL VI 32323,[5] 107; Σατορνῖνος bei Josephus; Saturninus in den Consulfasten und in der sog. Cosmogr. Iulii Caes. 2 p. 23 Riese (vgl. CIL I2 p. 162f.[6] Mommsen Chron. min. III p. 500. Vaglieri Diz. epigr. III 1072f. Dessau PIR III p. 199 nr. 293).
b) Leben. S. war vielleicht ein Sohn des Sentius Saturninus Vetulo, der im J. 43 v. Chr. proskribiert wurde und sich mit den angemaßten Insignien der Praetur nach Sizilien rettete (Val. Max. VII 3, 9; vgl. Ribbeck Senat. Rom. a. 710 n. 71 und Münzer o. Nr. 4). Dieser und nicht unser S. wird der Saturninus sein, der drei Jahre nachher zusammen mit (seinem Verwandten) L. Scribonius Libo, dem Schwiegervater des Sex. Pompeius, die Mutter des Antonius zu ihrem Sohne geleitete und diesen für ein Bündnis gegen Octavian zu gewinnen suchte (Appian. bell. civ. V 52, 217), im J. 36 v. Chr. mit Pompeius nach Asien flüchtete und ihn erst, als seine Lage hoffnungslos geworden war, verließ, um zu Antonius überzugehen (Appian. V 139, 579). Daß diese Nachrichten (und ebenso die unten angeführte Stelle des Vell.) sich auf unseren S. beziehen, wie von manchen Forschern angenommen wird (so von Kloevekorn De proscript. a. 43 factis 109f. Gardthausen Aug. II 106. Dessau PIR a. a. O. Liebenam in Lübkers RL8 937), ist ausgeschlossen; denn ein Mann, der im J. 43 v. Chr. ungefähr im Alter eines Praetors stand, wird nicht fast 50 Jahre später, im achten Dezennium seines Lebens, mit einem überaus wichtigen Heereskommando betraut worden sein, und wenn dies doch der Fall gewesen wäre, hätten die Autoren es erwähnt (der Bruder unseres S., wie Borghesi Oeuvr. II 275 und Mendelssohn-Viereck zu Appian. V 217 meinten, kann Vetulo schon darum nicht gewesen sein, weil dieser Bruder meines Erachtens gar nicht existiert hat; vgl. u.). Dagegen ist der Sentius Saturninus, der beim Frieden von Misenum (39 v. Chr.) die Erlaubnis zur Heimkehr erhielt und dadurch ,dem Vaterland wiedergeschenkt' wurde (Vell. II 77, 3), nicht Vetulo, sondern der unsere (so richtig bereits Orsini, zitiert von Borghesi a. a. O.); denn Vetulo hat von der Restitution eben keinen Gebrauch gemacht, sondern blieb bei Pompeius (überdies kann der unbefangene Leser des Velleius nicht im Zweifel darüber sein, daß der hier neben anderen clarissimi viri genannte Sentius Saturninus kein anderer ist, als der von Vell. wiederholt mit so hohem Lobe bedachte Consul des J. 19 v. Chr.). S., der damals gewiß noch ganz jung war, wird Vetulo zu Pompeius begleitet haben oder ihm später nachgefolgt sein (Vell. spricht a. a. O. nicht allein von Proskribierten: omnibus proscriptis aliisque qui ad eum ex diversis causis fugerant usw.). Wenngleich er sich demnach ursprünglich im Lager der Feinde Octavians befunden hatte, machte er schließlich doch seinen Frieden mit dem Sieger im Bürgerkrieg. Dies lag kaum daran, daß er, wie es scheint, mit Octavian verwandt war – eine Sentia, vielleicht seine Vatersschwester, war die Mutter der Scribonia, der nach kurzer Ehe verstoßenen Gattin Octavians, die diesem eine Tochter (Iulia) geboren hatte (Dessau Inscr. sel. 8892, s. Nr. 15) –, vielmehr [1513] wird S. gleich vielen anderen ihrer Familientradition gemäß ,verfassungstreuen‘ Senatoren einen weiteren Widerstand als aussichtslos erkannt haben. Augustus, dem natürlich sehr viel daran liegen mußte, die tüchtigsten Männer aus den Reihen der früheren Gegner zu seinen Freunden zu machen, hat dann in ihm einen der verläßlichsten und verwendbarsten Helfer bei seinem Werke gefunden (vgl. Sen. de clem. I 10: totam cohortem primae admissionis ex adversariorum castris conscripsit). Im Kriege gegen Antonius und Kleopatra wird sich S. im Gefolge des Imperators befunden haben; darauf führt die Bemerkung des Augustus in den Res gestae, daß 83 Senatoren, die zum Consulate gelangten, an diesem Feldzug unter seiner Führung teilnahmen (Mon. Anc. c. 25). Über S.s amtliche Laufbahn bis zum Consulat ist nichts überliefert.
Während Augustus im Orient weilte, wurde er für das J. 735 = 19 v. Chr. – als der erste seines Hauses – zum Consul gewählt. Die Wahl des anderen Consuls war, da der Princeps ablehnte (Dio LIV 10, 1), nicht zustande gekommen, und so führte S. einen großen Teil des Jahres allein die Fascen; im Juni war er bestimmt noch alleiniger Consul (eine Tessera nummularia trägt das Datum m(ense) Iun. C. Sentio cos. CIL I 743[7] = XI 861 = Herzog Abhdl. d. Gießener Hochschulges. I 1919, 39 nr. 70; eine andere ist K. Apr. C. Sentio datiert, CIL I 742[8] = Herzog nr. 69); in einer Grabschrift aus Corduba (CIL II 2255[3] = Dessau II 8007) wird das Jahr am 1. August nur nach ihm bezeichnet (C. Sentio Sat. cos. K. Sextilib.), woraus zu schließen ist, daß er Mitte Juli noch Consul sine collega war. Erst im September scheint er einen Amtsgenossen erhalten zu haben (s. u.; Angaben wie Frontin. de aq. 10 C. Sentio Q. Lucretio consulibus [9. Juni], Donat. v. Verg. 35 p. 63 Reiff. Gn. Sentio Q. Lucretio cos. und Hieron. Chron. Ol. 190 ed. Helm p. 165 Sentio Saturnino et Lucretio Cinna conss. [Tod Vergils am 21. September] sind, wie Gardthausen Aug. II 482 richtig bemerkt, nicht beweisend, da hier das Jahr nach seinen Eponymen bezeichnet wird; irrig Klein und Liebenam Fasti cos. z. J.). Seine Amtsführung weiß Velleius nicht genug zu rühmen (II 92): praeclarum excellentis viri factum C. Sentii Saturnini circa ea tempora consulis ne fraudetur memoria ... tum Sentius, forte et solus et absente Caesare consul, cum alia prisca severitate summaque constantia, vetere consulum more ac severitate, gessisset usw. (vgl. auch Vell. II 105, 2). Er führte strenge Aufsicht über die Staatspächter, deren Hinterziehungen und Erpressungen er aufdeckte und bestrafte, und gewann dadurch Staatsgelder für das Aerar zurück (Mommsen St.-R. II3 463, 1 denkt, fraglich ob mit Recht, an ,Abnahme der öffentlichen Bauten‘: ohne jeden Grund sucht Ferrero Größe und Niedergang Roms [Deutsche Übersetzung] V 214 S.s Tätigkeit ins Lächerliche zu ziehen). Bei den Quaestorenwahlen verbot er den Bewerbern, die er für unwürdig hielt, ihre Kandidatur anzumelden, und als sie dennoch bei ihrem Vorhaben beharrten, drohte er ihnen mit consularischer Coercition (vgl. Mommsen St.-R. I3 141) und scheint sie dadurch tatsächlich abgeschreckt zu haben. Die Hauptschwierigkeiten boten die Consularkomitien. [1514] M. Egnatius Rufus, der als Adil große Popularität erlangt hatte (s. o. Bd. V S. 1999), bewarb sich um den Consulat, und das Volk war seiner Bewerbung günstig gesinnt. S. jedoch weigerte sich, sie entgegenzunehmen (vgl. Mommsen St.-R. I3 481): wohl mit der rechtlich unanfechtbaren Begründung, daß Egnatius erst das Jahr vorher Praetor gewesen sei (vgl. o. Bd. V S. 2000); aber zugleich handelte er damit wohl im Sinne des Augustus, dem der Aufstieg des allzu populär gewordenen und unbequemen Mannes bis zum Consulat gewiß unerwünscht war (Ferreros Auffassung, daß hier ein Kampf zwischen ,Konservativen und Volkspartei‘ vorliege, vermag ich nicht zu teilen). Nichtsdestoweniger ließ sich Egnatius nicht einschüchtern, und nun schwor S., auch wenn das Volk jenen zum Consul wähle, werde er ihn nicht renuntiieren (Vell. 92, 4; quod ego factum, fügt Velleius übertreibend hinzu, cuilibet veterum consulum gloriae comparandum reor). Wahrscheinlich hat nunmehr S. die Wahlkomitien überhaupt verhindert; denn es entstand in Rom ein Aufruhr, der Todesopfer forderte (Dio LIV 10, 1. 5 = Zonar. X 34 p. 442 D.). Die Sicherheit des Consuls war derart bedroht, daß der Senat den ungewöhnlichen Beschluß faßte, ihm zu seinem persönlichen Schutze eine Leibwache zu bewilligen (Dio LIV 10, 1; vgl. Boissevain z. St., der mit Recht bemerkt, daß die Worte ὥστε τοὺς βουλευτὰς φρουρὰν τῷ Σεντίῳ ψηφίσασθαι nicht, mit Mommsen St.-R. I3 691. Herzog Staatsverf. II 150. Gardthausen Aug. I 834. Abele Senat unter Aug. 38 [ähnlich auch Ferrero a. a. O.] auf das Senatusconsultum ultimum gedeutet werden dürfen). S. lehnte jedoch die Leibwache ab (Dio LIV 10, 2). Der Senat beschloß nunmehr, eine feierliche Gesandtschaft an Augustus zu senden, damit dieser selbst dem Streite ein Ende mache. Augustus bestimmte einen der Senatsboten, Q. Lucretius Vespillo, zum Consul und beschleunigte seine Rückkehr nach Rom (Dio LIV 10, 2; vgl. Mon. Anc. c. 12 und dazu Mommsen Res g.2 p. 48. Kornemann Mausoleum des Aug. 70; irrig Ferrero 215f.; die Ernennung des Lucretius muß kurz vor dem 21. September erfolgt sein, denn die Gesandtschaft des Senates traf Augustus schon in Kampanien, andrerseits ist Vergil, der mit dem Kaiser heimgereist war, nach einer Krankheit von ,wenigen Tagen‘, am 21. September in Brundisium gestorben, Donat. v. Verg. 35). So endete dieses kurze Zwischenspiel ,republikanischer Freiheit‘, das den Römern nur gezeigt hatte, daß Magistrate und Senat bei aller Tatkraft des Consuls im Grunde ohnmächtig waren und daß die Entscheidung allein in der Hand des Princeps lag. Das J. 735 trägt in der Folgezeit die Namen der Consuln S. und Lucretius Vespillo (die Belegstellen s. o.; über den Namen Cinna, der dem Kollegen des S. mehrfach beigelegt wird, s. Dessau PIR III 305 nr. 302; ungewiß bleibt, ob S. der Consul dieses Jahres ist, den Dio LIV 11, 6 erwähnt; vgl. u. d). Vielleicht erst am 1. Oktober trat S. zurück und wurde durch M. Vinicius ersetzt, der zur Zeit der Ankunft des Augustus, am 12. Oktober, bereits im Amte war (Mon. Anc. lat. c. 11. CIL I2 p. 64.[2] 65. XV 4590). [1515] S. gehörte der Priesterschaft der Quindecimviri sacris faciundis an; demnach befand er sich unter den Priestern, die im J. 18 v. Chr. auf Veranlassung des Augustus die sibyllinischen Bücher eigenhändig abschrieben, um sie vor profanen Augen zu behüten (Dio LIV 17, 2). Im J. 737 = 17 war er der zweite Magister der Quindecimvirn (der erste war der Princeps selbst) und nahm in dieser Eigenschaft an der Säkularfeier von der Nacht des 31. Mai bis zum 3. Juni teil (CIL I2 p. 29 Fasti Capitolini. VI 32323, 107. 151 Acta lud. saec.; in den Protokollen wird seine Stellung als Magister nicht ausdrücklich hervorgehoben; vgl. Mommsen Ges. Schr. VIII 583ff.).
In die Zeit zwischen 17 und 9 v. Chr. wird sein Proconsulat von Africa zu setzen sein. Das einzige Zeugnis dafür ist eine Stelle bei Tertullian de pallio 1, an der dieser von Karthago sagt: ubi moenia Statilius Taurus (Proconsul 719–720 = 35–34) imposuit, sollemnia Sentius Saturninus enarravit. Die Worte des Kirchenvaters sind von Barthel (Zur Gesch. röm. Städte in Africa 1904, 21) wohl zutreffend erklärt worden (ebenso Oehler o. Bd. X S. 2163): S. vollzog als Proconsul die feierliche Einweihung der von Taurus begonnenen Befestigungswerke der Bürgerkolonie Karthago (abweichend Audollent Carthage Romaine 1901, 46. 839: S. ,institua des fêtes religieuses dans la colonie renaissante ou présida à sa consécration définitive‘; Zumpt Geburtsjahr Christi 85ff. hatte angenommen, daß S. als Legat Octavians im J. 29 v. Chr. die Satzungen der Kolonie verkündet habe; als Zeugnis für seinen afrikanischen Proconsulat verwerten die Stelle Borghesi Oeuvr. VIII 495ff. Mommsen R. gest.2 p. 168. Tissot Fast. d’ Afr. 40. Pallu de Lessert Fast. d. prov. Afr. I 75. Dessau PIR a. a. O. u. a.). Wie die Ausgrabungen Delattres (Bull. arch. du com. d. tr. hist. 1894, 90ff.) gezeigt haben, wurde an der Befestigung der Stadt bis in das J. 14 v. Chr. gebaut (vgl. Barthel a. a. O. Oehler 2163. 2165. 2210); dann wäre S. also im J. 740/1 = 14/13 Proconsul gewesen (so schon Tissot a. a. O.), und das entspräche dem fünfjährigen Intervall zwischen Consulat und Proconsulat (L. Domitius Ahenobarbus, Consul drei Jahre nach S., verwaltete die Provinz vor Ablauf der gesetzmäßigen Frist im J. 13/12, Dessau 6095, s. o. Bd. IV S. 1344).
Die nächste Stellung des S., von der wir wissen, war die Legation von Syrien, die er zwischen M. Titius und P. Quinctilius Varus innehatte (s. u.). Er war in dieser Provinz von seinen drei Söhnen begleitet: οἱ Σατορνίνου παῖδες, schreibt Josephus (ant. XVI 369), εἴποντο αὐτῷ πρεσβευταὶ τρεῖς ὄντες. Die Angabe, daß sie Legaten gewesen seien, kann aber nicht richtig sein, denn bei demselben Anlaß (dem Tag von Berytos) spricht Josephus im bellum (I 538. 541) das eine Mal von οἱ ἡγεμόνες (!) ... Σατορνῖνός τε καί οἱ περὶ Πεδάνιον πρέσβεις, das andere Mal von οἱ δύο πρεσβευταί, zählt also die Söhne (die hier nur in der Rede ihres Vaters, aber nicht bei der Abstimmung erwähnt werden) nicht zu den Legaten. Demnach waren die drei jungen Sentier entweder Comites ihres Vaters (so Dessau PIR III p. 200) oder, was mir wahrscheinlicher dünkt und mit ihrem [1516] Alter übereinstimmt, Militärtribunen in den syrischen Legionen. Pedanius war wohl Legionslegat; vielleicht kommandierte er unter dem Oberbefehl des Statthalters zwei Legionen (wie z. B. Nonius Asprenas unter Quinctilius Varus in Germanien, Vell. II 120, 3). Neben S. nennt Josephus den Procurator Volumnius (ἐπίτροπος bell. I 538; vgl. u.); in den Altertümern bezeichnet er beide wiederholt (XVI 277. 280. 283. 344f.) als οἱ Καίσαρος ἠγεμόνες oder οἱ τῆς Συρίας ἠγεμόνες u. ä.: sachlich unrichtig, da Volumnius dem Legaten untergeordnet war (vgl. Mommsen St.-R. II3 246. Schürer Gesch. d. jüd. Volkes im Zeitalt. Jesu Christi I4 321. Bleckmann Klio XVII 1920, 111).
Einige Einzelheiten über S.s Statthalterschaft erfahren wir durch Josephus. Da flüchtige Untertanen des Herodes von der Feste Raepta im nabataeischen Arabien aus Einfälle in das judäische Gebiet unternahmen, für die Herodes den Vezir des Nabataeerreiches, Syllaios, verantwortlich machte, beschwerte sich der König bei S. und Volumnius (Joseph. ant. Iud. XVI 277. 344: hier ist, in der Rede des Nikolaos, πολλάκις wohl Zutat des Redners). In Berytos kam es schließlich in Gegenwart der römischen Beamten zu einer Einigung zwischen dem Judenkönig und dem Araber: sie schlossen einen Auslieferungsvertrag über die aus ihren Reichen geflüchteten Untertanen, und gleichzeitig leistete Syllaios Bürgschaft für die Rückzahlung einer Geldsumme, die Herodes dem König Obâdas geliehen hatte (ant. XVI 280f. 344; vgl. Wellhausen Isr. u. jüd. Gesch.7 311. Otto o. Suppl.-Bd. II S. 123f.). Der Araber hielt jedoch von dem Versprochenen nichts, sondern reiste nach Rom, um dort für seine Sache zu wirken (ant. 282. 345). Daraufhin wendete sich Herodes abermals an S. und Volumnius und erlangte von ihnen, die wohl über die Nichtbeachtung des Schiedsspruches erzürnt waren (Otto a. a. O. 124), die Erlaubnis zu einer Strafexpedition gegen die Übeltäter (ant. XVI arg. 283. 285. 345f.; vgl. Otto 125 Anm.; hier liegt kein Widerspruch gegen Nicol. fr. 5 vor, wie Hölscher o. Bd. IX S. 1979 meint). Wie Otto zutreffend bemerkt, ,wird die Erlaubniserteilung recht unbestimmt wiedergegeben‘; überzeugend ist auch, was er weiter bemerkt: ,wäre von der römischen Provinzialbehörde dem König ein Feldzug im Nabataeerreich klipp und klar zugestanden worden, so wäre das spätere Vorgehen des Kaisers nicht verständlich, da er den Statthalter, der den kaiserlichen Intentionen so stark entgegengehandelt hätte, nicht abberufen hat‘. Kaum glaublich aber erscheint mir, daß S. dem König tatsächlich, wie Otto vermutet, ,die Okkupation arabischen Besitzes gestattet‘ habe: das hätte den Prinzipien der Augusteischen Politik widersprochen (der Ausdruck λαμβάνειν τὰ ῥύσια ant. 343. 345 bezieht sich wohl nur auf bewegliches Gut). Dagegen wäre sehr wohl denkbar, daß S. die Freundschaft, die Herodes mit Augustus verband, überschätzt und jenem daher größere Selbständigkeit gelassen hat, als einem Vasallenfürsten zukam; nicht ausgeschlossen wäre indes, daß es dem Princeps erwünscht war, wenn Herodes sich kompromittierte und eine Zeit lang die kaiserliche Ungnade zu fühlen bekam [1517] (vgl. Kjellberg Klio XVII 1920, 55): dann hätte sich S. zu einem diplomatischen Ränkespiel hergegeben. Tatsächlich unternahm Herodes in Person einen richtigen Feldzug, erstürmte Raepta, schlug die Nabataeer in einem Treffen, in dem ihr Anführer Nakebos fiel, und siedelte 3000 Idumaeer in der Trachonitis an. Eine Rechtfertigung seines Vorgehens sendete er an S. und Volumnius, die sich gerade in Phönizien aufhielten, und diese (πολυπραγμονοῦντες, wie Jos. bemerkt) fanden sie (angeblich) der Wahrheit entsprechend (ant. 283–285. 345f.; der Bericht des Jos. [über seine Quellen urteilen Otto S. 125f. und Hölscher o. Bd. IX S. 1973ff. verschieden], ist zugunsten des Herodes gefärbt; Otto gibt eine zutreffende Analyse desselben, aber auch seine Darstellungen läßt Herodes’ Unternehmen in zu günstigem Lichte erscheinen, noch mehr die Wellhausens [S. 312]; das Aufgebot des Heeres, das unter des alten Königs persönlicher Führung ins Feld zog, ferner die widerspruchsvolle Motivierung des Feldzuges im Bericht des Jos. und in der Rede des Nikolaos [Otto S. 126] sprechen dafür, daß der Judenfürst eine nachhaltige Schwächung und Einschüchterung des Nachbarreiches bezweckte). Augustus, der von Syllaios persönlich informiert wurde, geriet über den Bruch des Landfriedens in großen Zorn, er schrieb dem König einen höchst ungnädigen Brief (vgl. Otto a. a. O.), und erst der diplomatischen Geschicklichkeit des Nikolaos von Damaskos, den Herodes nach Rom sendete, sowie den schriftlichen Berichten des S. und Volumnius (die nach dem Ausgang der Angelegenheit schon im eigenen Interesse seine Handlungsweise rechtfertigen mußten und gewiß auch auf die Anarchie hinwiesen, die inzwischen im Ostjordanland eingerissen war, s. Otto a. a. O.), gelang es, den Kaiser umzustimmen und die Aussöhnung herbeizuführen (ant. 286–352. Nic. Dam. de vita sua fr. 5, FHG III 351). Noch vor dem Wiedergewinn der kaiserlichen Gnade hatte das (angeblich) von Herodes’ Sohne Antipater geschürte Zerwürfnis zwischen dem König und den Söhnen, die ihm Mariamme geboren hatte, zum Ausbruch der Krise geführt (s. Otto 136f.; die Zeit ergibt sich daraus, daß Herodes den Auftrag gab, dem Caesar sein Anliegen nur dann vorzutragen, wenn die Mission des Nikolaos geglückt sei, ant. 333, vgl. Otto a. a. O.). Der von fürchterlichem Argwohn gequälte Fürst wendete sich an Augustus, der die Entscheidung über das Schicksal der Jünglinge seinem Belieben überließ, aber zugleich den Wunsch aussprach, er möge einen Gerichtstag in die römische Kolonie Berytos einberufen und zu diesem die Reichsbeamten einladen (ant. XVI 357. bell. I 537; vgl. Täubler Klio XVII 99). Demgemäß versammelten sich in Berytos 150 Männer, darunter S., den Augustus schriftlich verständigt hatte, mit seinen drei Söhnen, ferner der Procurator Volumnius und zwei Legaten, von denen einer – Pedanius – mit Namen genannt wird (bell. I 538. 541; ant. XVI 361f.). Aber Herodes gab seinen Söhnen gar nicht die Möglichkeit, sich zu verantworten; er selbst hielt eine äußerst leidenschaftliche Anklagerede, aus der die Versammelten erkennen mußten, daß von einem freisprechenden Urteil keine Rede sein könne (bell. [1518] 539–540; ant. 361–367). Indes S., der als der Ranghöchste (ἀνὴρ ὑπατικὸς καὶ τῶν ἐπ’ ἀξιώματος ant. 368) zuerst sein Votum abgab,, stellte zwar die Schuld der Jünglinge nicht in Abrede, sprach sich jedoch gegen ihre Hinrichtung aus, da dadurch das Leid des Vaters nur noch schwerer werde; im Angesicht seiner eigenen Söhne könne er unmöglich dafür stimmen, daß ein Vater seiner Kinder beraubt werde (bell. I 541; ant. XVI 368: es ist wohl mit den Hss. αἰδημονεστάτῃ περιστάσει χρώμενος zu lesen, nicht [wie Niese vorzieht] ἀηδέστατῃ; die lateinische Übersetzung hat mitem; mehr konnte S. für die Jünglinge nicht tun, da Augustus dem Könige freie Hand gelassen hatte). Nach ihm gaben die beiden Legaten und seine Söhne das gleiche Votum ab (s. o.), dagegen sprach sich Volumnius unbedingt für die Todesstrafe aus (daß der Procurator im Widerspruch zum Consularlegaten stimmt, ist auffällig, genügt aber nicht, um, mit Bleckmann Klio XVII 111f., in diesem Volumnius den ant. XVI 354; bell. I 535 genannten στρατοπεδάρχης des Herodes zu erblicken; es ist durchaus in Ordnung, daß Josephus bell. 538 den Procurator erst nach den senatorischen Legaten und vor den Verwandten und Freunden des Königs und den Großen Syriens nennt; da Volumnius, nicht weiter erwähnt wird, wäre möglich, daß sein Verhalten in Berytos zu seiner Abberufung geführt hat). Die Mehrheit des Gerichtshofes schloß sich dem Votum des Procurators an, die Prinzen wurden zum Tode verurteilt (bell. I 541ff.; ant. XVI 369; vgl. Schürer 410f. Otto a. a. O.). Antipater, der an dem Unglück der Hasmonäer die meiste Schuld getragen haben soll, suchte, um sich den Weg zum Throne zu bahnen, die Gunst einflußreicher Römer zu gewinnen; er machte ihnen reiche Geschenke und bemühte sich, auf diese Weise vor allem S. auf seine Seite zu bringen – freilich, ohne daß es ihm gelungen wäre, die ungünstige Meinung, die über ihn herrschte, zu verbessern (so berichtet Joseph. bell. I 554f.; ant. XVII arg. und 6, doch wohl nach Nikolaos, dem Todfeinde Antipaters; vgl. Otto 2; ant. XVII 7 heißt es dann weiter: ὑπάξεσθαί τε ἧν ἐλπὶς aὐτῷ καὶ τὸν Σατορνίνου ἀδελφὸν μεγέθει δώρων, ἃ ἐδίδου, καὶ τὴν ἀδελφὴν τοῦ βασιλέως usw.; dieser ,Bruder des S.‘ wird von Josephus sonst nirgends erwähnt und verdankt seine Existenz wohl nur einem Schreibfehler, da, wie auch der Vergleich mit bell. I 554 lehrt, vielmehr τὸν Ἡρώδου ἀδελφόν zu schreiben, demnach der Tetrarch Pheroras gemeint sein dürfte; vgl. noch u. Abschnitt d). Josephus erzählt ferner, daß ein jüdischer Mann aus Babylonien namens Zamaris (Zimri) mit seiner ganzen Sippe, darunter gegen hundert Männern, sowie mit 500 berittenen Bogenschützen den Euphrat überschritten habe und nach Antiochia gelangt sei (es war eine Geschlechterwanderung wie viele andere im Verlauf der orientalischen Geschichte). Der Statthalter wies ihm den Ort Ulatha (am Meromsee) zur Ansiedlung an, doch gelang es Herodes, den Babylonier zu bestimmen, daß er mit seinem Gefolge sich in Batanaia in der Trachonitis ansiedelte und damit dieser Landschaft Sicherheit vor den Einfällen der Beduinen gewährte (ant. XVII 23–25; vgl. Wellhausen 312. Otto 90. Hölscher 1978). Den Leibwächter Korinthos und andere, die [1519] der Verschwörung gegen Herodes beschuldigt wurden, sendete S., nachdem er sie verhört hatte, zur Aburteilung nach Rom (bell. I 577. ant. XVII 57). Dies ist die letzte Nachricht, die Josephus aus der syrischen Statthalterschaft des S. mitteilt; als Antipater aus Rom zurückkehrte (anscheinend erst 5 v. Chr., Otto 142), war dieser bereits durch P. Quinctilius Varus ersetzt (ant. XVII 89). Wir erfahren nicht, wie sich S. zu den armenisch-parthischen Angelegenheiten stellte, die den Kaiser noch im J. 6 zur Sendung des Tiberius in den Orient (die dieser freilich ablehnte) veranlaßt haben (vgl. o. Bd. X S. 364. 485).
Die Zeit der Statthalterschaft des S. wird zunächst dadurch bestimmt, daß M. Titius (nach Joseph. ant. XVI 270) noch Legat war, als der König Archelaos von Kappadokien Herodes – zum letztenmal vor dem endgültigen Bruch – mit seinen Söhnen aussöhnte, also geraume Zeit nach der Reise des Königs nach Aquileia im J. 12 v. Chr. (vgl. Schürer 371f. Otto 132; die Intervention des Archelaos fällt nach Otto in das J. 9, nach Schürer vielleicht noch 10 v. Chr.; mit dem Gründungsdatum von Kaisareia kann die Legation des Titius nicht, wie dies von Bleckmann Klio XVII 107 geschieht, in Verbindung gebracht werden; vgl. Otto 122 Anm.). Als Herodes den Feldzug gegen die Araber unternahm, war bereits S., und zwar gewiß schon seit längerer Zeit (vgl. o.) Statthalter; jene Expedition ist sicher einige Jahre nach 12 v. Chr, unternommen worden (wie Otto 122f. richtig auseinandersetzt), mutmaßlich aber erst nach den Einweihungsfeierlichkeiten in Kaisareia im März 9 v. Chr. (Otto 78): zwar datiert Otto (S. 122) den Kriegszug entweder gegen Ende 10 oder spätestens unmittelbar nach der Einweihungsfeier, gegen die erstere Annahme spricht jedoch, daß wir noch einige Monate nachher (eben im März 9) Augustus und Herodes im besten Einvernehmen finden, während gerade der Feldzug diesem ein Ende machte; ferner ist nicht einzusehen, warum der späteste Termin für diesen die Zeit unmittelbar nach der Stadtgründung gewesen sein soll, er könnte sehr wohl erst in das J. 8 gehören (Schürer 373 verlegt ihn vermutungsweise in das J. 9). Da das Gericht über die beiden Prinzen eine Folge der Wiedergewinnung der kaiserlichen Gunst war (s. o.) und unmittelbar nach dem Urteilsspruch Nikolaos von Rom zurückkehrte (ant. XVI 370. FHG III p. 352), wird der Tag von Berytos in das J. 7 zu datieren sein (dies ist auch die Annahme Schürers 373. 411 und Ottos 138). Der Endtermin der syrischen Legation des S. ergibt sich daraus, daß die Münzprägung seines Nachfolgers Quinctilius Varus im 25. Jahre der aktischen Aera d. i. (2. Sept.) 7/6 v. Chr. beginnt (PIR III p. 119. Schürer 322); wenn Varus, wie zumeist angenommen wird (vgl. Pallu de Lessert Fast. d. prov. Afr. I 80f.) im J. 7/6 Proconsul von Africa war, kann er erst frühestens Anfang Juni in Syrien eingetroffen sein. Wir gelangen demnach zu dem Ergebnis, daß S. von c. 745 = 9 bis Sommer 748 = 6 v. Chr. Syrien und seine Nebenländer verwaltete (schon Enrico Sanclemente hatte in einer sorgfältigen Untersuchung die Jahre 744–748 für S.s syrisches Kommando [1520] in Anspruch genommen, De vulgaris aerae emendatione, Rom 1793, 338; s. jetzt auch Bleckmann Klio XVII 1920, 106f.).
Die Legation des S. ist bereits im Altertum mit der Frage nach dem Geburtsjahr Christi in Zusammenhang gebracht worden. Tertullian (adv. Marcionem IV 19 ed. Kroymann, Corp. scr. eccl. lat. XLVII p. 483) gibt an, daß Christus zur Zeit eines von S. in Iudaea veranstalteten Census geboren sei: sed et census constat actos sub Augusto tunc in Iudaea per Sentium Saturninum, apud quos genus eius (Christi) inquirere potuissent. Die Erklärung ist, wie längst erkannt wurde, darin zu suchen, daß die Angabe des Evangelisten Lukas (2, 2), Christus sei zur Zeit der Schatzung des Sulpicius Quirinius geboren, unvereinbar ist mit der sonstigen evangelischen Darstellung, der zufolge Christi Geburt in Herodes’ Regierungszeit fällt; denn der erste Census, der in Iudaea – nach seiner unmittelbaren Einverleibung in das Reich – von Quirinius abgehalten wurde, fand nach dem ausdrücklichen Zeugnis des Josephus (ant. XVII 355. XVIII 2. 26. XX 102; bell. VII 253) im J. 6/7 n. Chr. statt, also mehr als zehn Jahre nach dem Tode des Herodes (vgl. die ausführlichen Darlegungen Schürers I4 508–543, wo auch die kaum mehr übersehbare Literatur verzeichnet ist). In der Ablehnung des zeitlichen Ansatzes Tertullians sind fast alle Forscher einig, nur wenige, wie Zumpt (Comm. epigr. II 71ff. 109ff.; Geburtsjahr Christi 1869, 79ff. 208ff.) und Wendel (Theol. Studien und Kritiken LXV 1892, 123ff.) halten an seiner Nachricht fest; Sanclementes Ansicht [p. 443ff.], daß Quirinius als legatus ad census accipiendos mit höherem Imperium als S. nach Syrien geschickt worden sei, und ebenso die Hypothesen Ramsays Was Christ born at Bethlehem 1898, 238; The bearing of recent discovery on the truthworthiness of the New Test. 1915 *)[9], daß S. nur die innere Verwaltung der Provinz, Quirinius den Militärbefehl geführt habe, sowie A. Reinachs Rev. épigr. I 1913, 115, Quirinius sei Generalstatthalter von Syrien und Kilikien und S. sein Delegierter in Palästina gewesen, widersprechen nicht allein den Worten des Evangelisten und der Angabe des Joseph. ant. XVII 89 [vgl. Schürer 540f. Bleckmann 108], sondern auch den Regeln der römischen Verwaltungsordnung: von Mitgliedern des Kaiserhauses abgesehen, konnte der ältere Consular nicht einem jüngeren unterstellt werden, und eine Trennung der Zivil- und Militärverwaltung kennt die Zeit des Augustus nicht. Zumpt hat im Zusammenhang mit der Tertullianstelle eine vielbesprochene akephale Inschrift aus Tibur (CIL XIV 3613[10] = Dessau 918), in der es heißt [legatus pr(o) pr(aetore)] divi Augusti iterum Syriam et Ph[oenicen optinuit], auf S. bezogen und angenommen, daß dieser in den Jahren 26 bis 23 v. Chr. das erstemal, 9 bis 6 v. Chr. das zweitemal Syrien verwaltet habe (Geburtsjahr Christi 79ff.). In der sonstigen Literatur wird dagegen fast allgemein die Inschrift auf Sulpicius Quirinius bezogen (so zuerst Sanclemente a. a. O. 413ff., dann [1521] Borghesi Oeuvr. VIII 495ff. Mommsen R. gest.2 p. 167ff. Nipperdey zu Tac. ann. III 48. Dessau PIR III p. 287f. Ed. Meyer Ursprung und Anf. d. Christ. I 51 und viele andere; ich kann dieser These allerdings nicht beipflichten, glaube vielmehr in dem Unbekannten M. Plautius Silvanus cos. 752 = 2 erkennen zu dürfen). Gegen die Deutung auf S. hat Mommsen geltend gemacht, daß dieser nicht, wie der Consular des Denkmals, Proconsul von Asia sondern von Africa gewesen sei, daß seine erste syrische Legation dann noch vor seinen Consulat fallen müßte, endlich, daß jener Consular Augustus überlebt habe, während S. vor diesem gestorben sei. Das letzte Argument ist nicht unbedingt beweiskräftig (s. u.); wesentlicher scheint mir zu sein, daß der Ausdruck qua (sc. gente) redacta in pot[estatem imp. Caesaris] Augusti populique Romani auf die germanischen Feldzüge des S., die diesem die Ornamenta triumphalia brachten, nicht anwendbar ist und vollends nach der Teutoburger Schlacht nicht am Platze gewesen wäre.
Tertullians Angabe wird dennoch nicht ganz aus der Luft gegriffen sein; dies lehrt schon der Ausdruck constat, dessen er sich bedient. Gegen Ramsays Versuch allerdings, den ägyptischen, vierzehnjährigen Volkszählungszyklus mit dem Census des S. in Verbindung zu bringen, hat Schürer (S. 516f.) mit Recht Einspruch erhoben, aber es sei daran erinnert, daß Augustus in den Jahren 10 bis 8 v. Chr. einen allgemeinen Census der römischen Bürgerschaft abhielt (Mon. Anc. 2, 5. Dio LIV 35, 1; s. o. Bd. X S. 360f.): Diese Schätzung fällt gerade mit dem Beginn, der Statthalterschaft des S. zusammen; demnach wird dieser die Erhebungen geleitet haben, soweit sie die römischen Bürger betrafen, die sich in Syrien, Phönizien, Kilikien und den zur Provinz gehörigen Klientelstaaten aufhielten. Eine Notiz darüber wird der Kirchenvater (oder der Autor, dem er hier folgte) in der Literatur gefunden haben und nützte sie zur Ausgleichung der widerspruchsvollen Nachrichten über das Geburtsjahr Christi aus.
Wir begegnen S. nach Jahren wieder auf einem anderen, weit entfernten Schauplatz, in Germanien. Anläßlich der Kriegstaten des Tiberius im J. 4 n. Chr. sagt Velleius von ihm: qui iam legatus patris eius in Germania fuerat (II 105, 1; in der einzigen Hs. stand tum; iam ist die wohl zutreffende Konjektur Gruners). Diese Worte werden gewöhnlich so gedeutet, daß S. in Germanien das Kommando geführt habe, als Tiberius im J. 4 dort eintraf; wenig glaublich erscheint die Annahme, daß bei Velleius an eine weiter zurückliegende Zeit zu denken ist und S. vielleicht bereits als Vorgänger des Domitius Ahenobarbus, zwischen 6 und 1 v. Chr. (s. o. Bd. V S. 1345), die rheinischen Legionen befehligte (wäre er schon mehrere Monate vor Tiberius’ Ankunft in seiner Stellung gewesen, dann müßte die Zeitangabe des Vell. über den Ausbruch eines germanischen Krieges unter M. Vinicius ante triennium [104, 2] als unrichtig verworfen werden, was aller Wahrscheinlichkeit widerspricht; sie ist nur, wie der Vergleich mit Dio LV 10 a, 3 zeigt, ungenau, s. o. Bd. V a. a. O.). [1522] Jedenfalls ist der gewiß schon im Alter von über 60 Jahren stehende Consular als Legat des gesamten Rheinheeres (τοῦ τῆς Γερμανίας ἄρχοντος Dio LV 28, 6, vgl. Ritterling Arch.-epigr. Mitt. XX 2. Bonn. Jahrb. CXIV 1906, 188. Oldfather-Canter The defeat of Varus, Univ. of Illinois Studies in the Soc. Sciences IV 2, 1915, 241) an die Stelle des M. Vinicius (seines Nachfolgers im Consulat) getreten (Premerstein Österr. Jahresh. VII 1904, 238). Doch übertrug ihm Augustus nicht die oberste Leitung der militärischen Operationen; vielmehr wurde im Sommer 757 = 4 (s. u.) Tiberius mit proconsularischem Imperium an den Rhein entsendet und S. (als Legat mit propraetorischer Amtsgewalt) seinem Oberbefehl unterstellt (Vell. II 105, 1. 2. Dio LV 28, 6; wie Velleius ausdrücklich sagt, handelt es sich um den Consul 735 = 19, nicht um den des laufenden Jahres; irrig o. Bd. X S. 488 und Ferrero VI 277). An den erfolgreichen Feldzügen der Jahre 4 und 5 hatte S. zweifellos einen wesentlichen Anteil, wenn auch Velleius, der Lobredner des Tiberius, nur sagt (105, 1): cum omnem partem asperrimi et periculosissimi belli Caesar vindicaret sibi, iis quae minoris erant discriminis, Sentium Saturninum ... praefecisset (der Feldzug des J. 6 widerspricht offensichtlich dieser Behauptung; wenn Dio LV 28, 5 – dessen Bericht hier [trotz Edm. Meyer Unters. üb. d. Schl. im Teutob. Walde 1893, 97ff.] ungenau und dürftig ist – meint οὐ μέντοι καὶ ἀξιομνημόνευτόν τι τότε γε ἐπράχθη, so erklärt sich dies, wie Abraham Z. Gesch. d. germ. u. pann. Kriege unter Aug. 1875, 8 zutreffend bemerkt, daraus, daß für Dio nur dann ,Erwähnenswertes‘ in einem Kriege geschieht, wenn große Schlachten geschlagen werden). Im ersten Jahre (dem Consulatsjahr der Söhne des S.) wurden die Kannanefaten, Chattuarier und Brukterer unterworfen, die Cherusker wieder zur Anerkennung der römischen Oberhoheit gebracht; das Heer überschritt die Weser (transitus Visurgis, penetrata ulteriora Vell. 105, 1; dagegen Dio LV 28, 5: μέχρι ... τοῦ Οὐισούργου... προεχώρησεν). Der Feldzug, dessen Führung Tiberius erst frühestens Ende Juli übernahm (er wurde am 26. Juni von Augustus adoptiert und durchreiste nachher noch Gallien; vgl. Vell. 104, 3. Kornemann Klio IX 1909, 426), währte so lange, daß erst im Dezember das Winterlager, und zwar an der Quelle der Lippe (?) im Innern Germaniens bezogen wurde (Vell. 105, 3; den Verlauf des Feldzuges behandeln u. a. Asbach Rhein. Jahrb. LXXXV 1888, 30ff. Gardthausen Aug. I 1164ff. Ranke Weltgesch. III 1, 17f. Schmidt Gesch. d. deutschen Stämme II 102f. Koepp Römer in Deutschland2 23f. Kornemann Klio a. a. O. 438ff. Gelzer o. Bd. X S. 488f. Oldfather u. Canter a. a. O. 257; über die Worte ad caput Iuliae fluminis gibt es eine ganze Literatur, auf die einzugehen hier nicht der Ort ist). Den Winter verbrachte Tiberius in Rom (Vell. a. a. O. Dio LV 27, 5), in dieser Zeit führte demnach S. allein das Kommando. Im Sommer des nächsten Jahres wurde, wie Velleius (106, 1), freilich übertreibend, sagt perlustrata armis tota Germania. Landheer und Flotte wirkten zu den immerhin sehr bedeutenden [1523] Erfolgen zusammen. Die Chauken unterwarfen sich und lieferten dem Imperator ihre Waffen ab, die Langobarden wurden, wie es scheint, über die Elbe gescheucht (fracti Langobardi Vell. 106, 2 vgl. 107, 1. 2. Strab. VII 1, 3 p. 291 und dazu Kornemann 444. Schmidt I 431; allerdings vertritt Much in Sievers Beitr. z. Gesch. d. deutschen Sprache XVII 1893, 50f. die Auffassung, daß Strabon den Bericht über die Aufnahme der Langobarden in den Völkerbund des Marbod mißverstanden habe). An den Ufern der Elbe schlug das römische Heer das Lager auf und erwartete die Kriegsflotte, welche nach einer Seefahrt längs der Nordseeküste, die die Furcht vor dem römischen Namen bis ins Kattegat getragen hatte (Mon. Anc. c. 26. Strab. VII 2, 1 p. 293. Plin. n. h. II 167 und dazu u. a. Kornemann a. a. O. Riese Korr.-Bl. d. Ges. Ver. d. dtsch. Gesch. u. Alt. Ver. LIX 1911, 395f. Müllenhoff-Roediger Dtsch. Altertumk. IV 1920, 45, Norden Germ. Urgesch. in Tac. Germ. 1920, 290), mit ungewöhnlich reicher Ladung an derselben Stelle vor Anker ging (Vell. 106, 2. 3. 107, 1. Dio LV 28, 5; vgl. die oben angeführte Literatur; auf die Unterwerfung der Cherusker, Chauken usw. bezieht sich wohl Dios Angabe von dem ,ersten Friedensschluß‘ mit den germanischen Völkern [28, 6], wie Abraham S. 8 wahrscheinlich macht; s. u.). Welchen Anteil S. an diesen Unternehmungen hatte, ob er vielleicht der Führer der Flotte war, entzieht sich unserer Kenntnis (für Edm. Meyers Annahme [S. 101], daß er während der Kriegszüge des Tiberius sein Hauptquartier am Mittelrhein hatte und mit den Chatten kriegte und Frieden schloß, bietet unsere Überlieferung keinen Anhalt, ebensowenig für v. Domaszewskis Angabe [Gesch. d. röm. Kaiser I 230], daß S. vom Oberrhein in Deutschland eingedrungen sei). Alle Erfolge dieses Jahres waren fast ohne Einbuße erreicht worden; die Germanen dagegen hatten einen Überfall auf das Heer (beim Rückmarsch?) mit schweren Verlusten zu büßen (Vell. 107, 3; durch nichts gerechtfertigt ist die Vermutung Winkelsessers De rebus Aug. ausp. in Germ. gestis 1901, 40, daß die Flotte auf der Heimfahrt untergegangen sei). Den Winter verbrachte der Caesar abermals in Rom, während die Truppen wohl am Rhein Quartier nahmen (Vell. 107, 3; vgl. Oldfather und Canter 257f. gegen Ritterling Rhein. Jahrb. a. a. O. 181). Auf Grund der militärischen Erfolge empfingen Augustus und Tiberius die imperatorische Akklamation und S. die Triumphalornamente (Dio LV 28, 6), mit denen die Errichtung einer Erzstatue auf dem Augustusforum verbunden war (Dio LV 10, 3). Nihil, sagt Velleius (108, 1), erat iam in Germania, quod vinci posset praeter gentem Marcomanorum. Um die letzte gefahrdrohende Macht auf deutschem Boden zu brechen und ,den eisernen Ring, der Großdeutschland umklammern sollte‘, zu schließen (Mommsen Reden und Aufsätze 337), wurden zwölf Legionen aufgeboten (Tac. ann. II 46) und ein großartiger Feldzugsplan entworfen, der auf dem Prinzip des Getrenntmarschierens, Vereintschlagens beruhte (Gardthausen Aug. I 1169): während Tiberius die illyrischen Legionen von Carnuntum [1524] aus gegen die Markomannen führen wollte, erhielt S. die Aufgabe, mit dem Rheinheer (wohl von Mainz aus) durch das Gebiet der Chatten und den Hercynischen Wald, der erst wegbar zu machen war, gegen Boiohaemum zu ziehen (Vell. 109, 5); beide Armeen sollten sich an einem vorher bezeichneten Orte vereinigen (in praedicto loco Vell. 110, 1; demnach kann der Operationsplan nicht – wie Gardthausen I 1169, v. Domaszewski I 231 und andere meinen – gewesen sein, daß Tiberius über Mähren von Osten, S. vom Fichtelgebirge her von Westen in Böhmen einbrechen sollten; in vollem Widerspruch zu Velleius behauptet Meyer S. 102: ,S.s Zug war ein Kriegszug gegen die Chatten‘). Schon hatten beide Heere einen beträchtlichen Teil des Marsches zurückgelegt (vgl. Vell. 110, 3 abdito in interiora exercitu) und waren nur mehr ungefähr fünf Tage von den Vorposten der Feinde und (angeblich) nur wenige Tagemärsche von dem Orte entfernt, der für ihre Vereinigung bestimmt war, da brach der furchtbare Aufstand der Pannonier und Dalmater aus, der Tiberius zu einem Abkommen mit Marbod und zum Rückzug nötigte (non plus quam quinque dierum iter a primis hostium [aberat legionesque quas] Saturninum admovere placuerat paene aequali divisae intervallo ab hoste intra paucos dies in praedicto loco eum Caesare [se] iuncturae erant usw. Vell. 110, 1. 2. Dio LV 30, 1; vgl. Tac. ann. II 26. 46 condicionibus aequis discessum; daß Abraham S. 8 in dem ,zweiten Friedensschluß‘ mit den Germanen, von dem Dio LV 28, 6. 7 spricht, mit Recht den gründlich verkannten Vertrag mit Marbod erblickt, lehren wohl Dios Worte selbst: ἐπειδὴ μὴ μόνον ἅπαξ ἀλλὰ καὶ δεύτερον ... ἐσπείσαντο [28, 6] und gleich darauf [29, 1] ὡς δ’ ὅ τε Τιβέριος ἐπὶ τοὺς Κελτοὺς τὸ δεύτερον ἐστράτευσε; ohne Stütze in unseren Quellen ist Meyers Interpretation der Stelle [S. 100ff.], S. habe im J. 4 oder 5 mit den Chatten Frieden geschlossen, den diese bald wieder brachen, worauf Tiberius auch sie in das Abkommen mit Marbod einbezog; Winkelsesser 40f. bezieht Dios Notiz irrig auf den Feldzug des J. 5: Dio sagt ausdrücklich αἴτια δὲ τοῦ ... αὗθις τὴν εἰρήνην δοθῆναι τά τε τῶν Δελματῶν καὶ τὰ τῶν Παννονίων ... ἐγένετο). Der Bericht des Velleius ist zu unbestimmt, als daß man auf Grund desselben den Verlauf des Kriegszuges gegen Marbod rekonstruieren könnte; überdies muß seine Angabe über die geringe Entfernung, die schließlich die beiden Armeen voneinander und vom Feinde trennte (der Text ist übrigens lückenhaft), keineswegs – wie dies zumeist der Fall ist (vgl. z. B. o. Bd. X S. 373. Gardthausen I 1169. Müllenhoff-Roediger 46 und sonst; davon, daß die beiden Streitmächte ,nicht mehr als zehn Tagemärsche voneinander standen‘ [Mommsen Reden und Aufsätze 337, ähnlich Schmidt II 2, 169], steht nichts bei Vell.) – als unumstößliche Tatsache betrachtet werden; sie sollte wohl nur der Verherrlichung des Tiberius dienen, den ein neidisches Geschick unmittelbar vor der Krönung seines Werkes zurückrief. Wäre sie richtig, dann müßte Tiberius, bekanntlich ein vorsichtiger Methodiker, in verhältnismäßig kurzer Zeit bereits tief ins westliche Böhmen eingedrungen sein (die Angabe des Velleius [1525] 109, 4 weist ungefähr auf die Gegend von Budweis als die Südgrenze des Markomannenreiches, Schmidt II 168), und auch S. müßte die natürliche Grenze Böhmens schon überschritten haben. Keinesfalls war dem Legaten diesmal der minder wichtige oder ungefährlichere Teil der Aufgabe zugefallen, da sein Heer einen weiten und zum Teil mühseligen, zur Verproviantierung ungeeigneten Weg zurückzulegen hatte; allerdings könnte S. vielleicht für einen großen Teil der Strecke zur Mitführung der Fourage den Wasserweg des Maines benützen, und im Hercynischen Wald (vgl. o. Bd. VIII S. 614f.) wird es zwar selbstverständlich keine gebahnten Straßen, wohl aber Waldwege gegeben haben, die von den Römern ausgebaut werden konnten (vgl. Delbrück Gesch. d. Kriegskunst II2 64). Ob er beim Rückmarsch denselben Weg einschlug und wie es dabei mit der Verpflegung stand, wissen wir nicht; denkbar wäre allenfalls, daß Marbod selbst beim Friedensschluß den Römern Proviant zur Verfügung stellte. Die Worte des Velleius (110, 1) praeparaverat iam hiberna Caesar ad Danubium scheinen dafür zu sprechen, daß dem Caesar als Kriegsziel nicht die Vernichtung des Volksstammes der Markomannen vorschwebte, sondern (wie vorher z. B. bei den Chauken) ihre Unterwerfung und Entwaffnung sowie wohl auch die Auslieferung des Königs. Die Nachricht von dem Ausbruch des Aufstandes erreichte Tiberius im Sommer (prima aestate belli lieferte Valerius Messalinus, den der Caesar voraussendete [Dio LV 30, 2], den Insurgenten das erste Gefecht, Vell. 112, 1. 2; daß an den Frühsommer zu denken ist, zeigen die weiteren Ereignisse auf dem illyrischen Kriegsschauplatz, vgl. Meyer a. a. O. 63ff.).
Während Tiberius unter Aufbietung aller Mittel den schweren Krieg gegen die aufständischen Völker führte, wußte S. in Germanien die Ruhe zu erhalten. Er wird das Werk der Pazifizierung der germanischen Stämme, das seine Vorgänger begonnen hatten, fortgesetzt und die Nachsicht, die er den Königen des Orients erwiesen, auch gegenüber den deutschen Häuptlingen und Edeln bekundet haben (Hirschfeld Kl. Schr. 370 spricht ohne nähere Begründung von der ,fein vermittelnden Politik‘ des S. und vermutet, daß die Stiftung der Ara Augusti in Köln, deren erster Priester der Cherusker Segimund wurde, zu seinen ,diplomatischen Maßregeln‘ gehörte; ähnlich Schmidt Allg. Gesch. d. germ. Völker 1909, 31; auf die beachtenswerte Hypothese Oldfathers und Canters a. a. O., daß Augustus nicht die Absicht gehabt habe, das rechtsrheinische Germanien zur Provinz zu machen, kann hier nicht eingegangen werden). Sicher haben germanische Fürstensöhne unter dem Oberbefehl des S. im römischen Heere gedient, darunter kein geringerer als Arminius (vgl. o. Bd. II S. 1191). Auch am Rheine wie in Syrien wurde Quinctilius Varus sein Nachfolger (vermutlich im J. 7 n. Chr.) – ein Fehlgriff des Augustus, der für das Reich furchtbare Folgen haben sollte. Man kann wohl die Vermutung aussprechen, daß einem Manne von der Gewandtheit und militärischen Tüchtigkeit des S. die Katastrophe, von der Varus ereilt wurde, erspart geblieben wäre.
S. muß in seinen Greisenjahren im höchsten [1526] Ansehen bei Augustus gestanden haben. Während er selbst die beste und größte Armee des Reiches befehligte und die höchste militärische Auszeichnung empfing, wurde seinen beiden älteren Söhnen die außerordentliche Ehre zuteil, in ein- und demselben Jahre (757 = 4) nacheinander die consularischen Fascen zu führen. Wann er starb, ist unbekannt. Mommsen hat gemeint (R. gest.2 p. 168), daß er dem Augustus im Tode vorangegangen sei, da Tacitus sonst seinen Tod erwähnt hätte (ebenso Dessau PIR III p. 200), doch findet sich in den Annalen vor dem J. 20 (III 30) überhaupt keine „Totenschau“ (vgl. Zumpt Geburtsj. Christi 79).
c) Charakter. Velleius, der unter ihm in Germanien gedient hat (vgl. II 104, 3) entwirft eine lebendige Charakterschilderung des S. (II 105, 2): virum multiplicem in virtutibus, gnavum, agilem, providum militariumque officiorum patientem ae peritum pariter, sed eundem, ubi negotia fecissent locum otio, liberaliter lauteque eo abutentem, ita tamen, ut eum splendidum atque hilarem potius quam luxuriosum aut desidem diceres (dazu vgl. Schäfer Ti. und seine Zeit im Lichte der Trad. des Vell. 1912, 43f.). Demnach war S., bei aller militärischen Fähigkeit, keineswegs ein rauher Kriegsmann nach alter Römerart, sondern ein kluger, rühriger Weltmann von unverwüstlicher Lebensfrische, der sich den Verhältnissen anzupassen und sie geschickt zu benützen verstand. Damit erklärt sich wohl auch sein scheinbar widerspruchsvolles Verhalten im Consulat und in der syrischen Legation. In seinem Consulat unerschütterlich und strenge auf dem als recht erkannten Standpunkt beharrend, bekundete er als Statthalter Syriens (wenigstens dem Herodes gegenüber) weitgehende Nachsicht; als Consul konnte er eben (bei aller Bedachtnahme auf den Princeps) seine Entscheidungen selbständig treffen, während er in Syrien nur der Stellvertreter des Kaisers war. Bedenklicher ist – die Richtigkeit der Nachricht vorausgesetzt –, daß der lebensfrohe Genießer es nicht verschmäht hat, von einem etwas anrüchigen judäischen Prinzen Geschenke anzunehmen. Alle Ehre macht ihm dagegen das menschenfreundliche Eintreten für die unglücklichen Hasmonäerenkel.
d) Familie. Der Name seiner Gattin ist nicht bekannt. Er hatte drei Söhne (s. o.); die beiden älteren waren Gaius cos. ord. im J. 4 n. Chr., und Gnaeus, Suffectconsul in demselben Jahre. Der dritte, sonst nicht genannte, hieß vielleicht Lucius (s. Nr. 13). Von der Stelle des Josephus, in der ein ,Bruder des S.‘ erwähnt wird (ant. XVII 7), ist oben die Rede gewesen. In einer gleichfalls bereits zitierten Notiz des Dio (LIV 11, 6) heißt es zum J. 19 v. Chr.: (Ἀγρίππας) ἔν τε τούτοις ἐμετρίαζεν ὥσπερ εἰώθει καὶ γνώμην ποτὲ ὑπὸ τοῦ ὑπάτου ὑπὲρ τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ ἐρωτηθεὶς οὐκ ἔδωκε. Ganz abgesehen davon, daß wir nicht wissen, welcher von den Consuln jenes Jahres hier gemeint ist, scheint es mir unzulässig, die Worte (die nur einer leichten Korrektur bedürfen) auf einen Bruder des S. zu beziehen: die Stelle, die einen neuen Beleg für Agrippas maßvolle Zurückhaltung geben soll, gibt nur dann einen Sinn, wenn es sich um eine Ehrung für seinen eigenen Bruder handelte.
Anmerkungen
Bearbeiten- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum I, 29.
- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum I, 64.
- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum II, 2255.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum I, 65.
- ↑ a b Corpus Inscriptionum Latinarum VI, 32323.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum I, 162.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum I, 743.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum I, 742.
- ↑ *) Beide Abhandlungen sind mir leider nicht zugänglich.
- ↑ Corpus Inscriptionum Latinarum XIV, 3613.