Erstes Buch
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aus: Die Chronik des Thietmar von Merseburg
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Erstes Buch.




1. Alle diejenigen, welche sich irgendwie in nützlicher Wirksamkeit hervorthun, streben danach, nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für die Zukunft sich zu nützen, und die ihnen zur Ausführung anvertrauten Werke, soweit es möglich ist oder Geschick und Selbstvertrauen reichen, weiter zu verbreiten und einem unauslöschlichen Gedächtnisse zu überweisen. Darum brenne ich, Thietmar, ein unwürdiger Träger der bischöflichen Würde, deren Namen ich nicht einmal verdiene, die Geschichte Merseburgs, welche, einst weit und breit bekannt, jetzt im wüsten Schutte der Vergessenheit liegt, wieder zu enthüllen. Aber ich fürchte in meiner Unkenntniß „Rauch nur zu geben, aus Glanz“[1] und wie „der unterste Künstler,“ „unglücklich im Wesen des Werks, das Ganze“ zu verfehlen. Doch mit gutem Willen gehe ich ans Werk und angeweht, wie der heilige Gregorius sagt, von der Gnade Jesu Christi, dessen unerforschlicher Barmherzigkeit ich nicht nur diese Schrift über Merseburgs Geschichte, sondern die ganze Stadt selbst in inständigstem Gebete empfehle.

2. Vernimm, aufmerksamer Leser, daß die erste Gründung und Erbauung Merseburgs sammt der Urbarmachung des Landes von des Romulus Volke sich herschreibt, welches dem allgewaltigen, mit vorzüglichen Eigenschaften des Körpers und der Seele ausgestattetem Schwiegersohne des Pompejus, dem Julius Cäsar, einst hierher folgte. Und weil die junge Stadt damals gar kriegerisch war und manchen Sieg errang, so wurde sie nach altrömischer [6] Sitte nach Mars, dem Kriegesgotte, benannt. Die Nachkommen aber hießen sie Mese, d. h. entweder die mitten im Lande liegende[2], oder sie wurde so nach einer Jungfrau benannt. Fragt man aber nach den Herrschern derselben bis auf Christi Geburt oder später, verlangt man eine Schilderung ihrer mannhaften Thaten, so gestehe ich, daß ich darüber weder selbst von den hochbetagtesten Leuten etwas gewisses aufspüren kann, noch schriftlich irgend etwas aufgezeichnet finde. Um daher unwahre Erdichtung zu meiden, lasse ich diese Zeit lieber ganz unberührt.

Beginnen wir demnach mit König Heinrich (I.), der die damals verschiedenen Herren gehörigen Theile der Stadt Merseburg vereinigte und weit größere Besitzungen, als diese, voll Tapferkeit und thätiger Umsicht hinzu erwarb. Erzeugt von Eltern des edelsten Stammes, von Herzog Otto [von Sachsen] und Hedwig [von unbekannter Herkunft], wuchs der Knabe wie ein verborgenes Bäumchen still heran; dann aber strahlte er wie eine junge Frühlingsblüthe, ausgestattet mit den schönsten Eigenschaften allmählich hervor.

Sein Vater entsandte ihn mit großer Heeresmacht in die Landschaft, die wir Deutschen Deleminzi, die Slaven aber Glomaci [Lommatzsch[WS 1]] nennen, und er kehrte, nachdem er sie mit Feuer und Schwert furchtbar heimgesucht hatte, als Sieger zurück. Wie jener Gau zu seinem Namen gekommen ist, will ich kurz erzählen.

3. Glomuzi ist eine Quelle, die nicht über zwei Meilen weit von der Elbe entfernt; diese bildet einen stehenden See[3], der, wie die Eingebornen behaupten und viele Augenzeugen bestätigen, häufig wunderbare Erscheinungen zeigt. So lange holder Friede die Bewohner des Landes beglückt und der Boden die Frucht nicht versagt, erfüllt er, bedeckt mit Weizen, Hafer und Eicheln, die Gemüther [7] der zahlreich an seinen Ufer zusammenströmenden Nachbarn mit froher Lust. Sobald aber wilde Kriegsläufte drohen, giebt er durch Blut und Asche gewisse Kunde der Zukunft. Diesen Quell verehrt und achtet daher jeder Eingeborne mehr als die Kirchen, wenn auch seine Vorzeichen trügerisch sind. Von ihm nun hat jener sich von der Elbe bis zum Flusse Caminizi [Chemnitz] erstreckende Gau den Namen.

Nicht weit von besagtem Flusse aber, in einem Lande Namens Chutizi, erlitt Arn, Bischof der heiligen Kirche zu Wirziburg, den 892. Tod eines Blutzeugen. Als er nämlich, heimkehrend von einem Zuge gegen die Böhmen, an der Landstraße gegen Mitternacht in seinem Zelte, das er auf einem Hügel hatte aufschlagen lassen, Messe sang, ward er plötzlich von einer feindlichen Schaar ringsum eingeschlossen. Nachdem er darauf alle seine Gefährten in den Märtyrertod voraufgesandt hatte, brachte er sich zuletzt selbst dem Herrn dar, sammt den zum Preisopfer geweihten Hostien, an der Stelle, wo noch heutzutage oft brennende Lichter erblickt werden; daß aber diese die heiligen Blutzeugen des Herrn sind, daran zweifeln selbst die Slaven nicht. Dies geschah im Jahre 892 der Fleischwerdung des Herrn, zu den Zeiten Kaiser Arnulfs.

Der erwähnte Bischof erbaute während seiner Amtsverwaltung dem Herrn einen Tempel in der Stadt Wirziburg, und nach dessen Muster in seinem Bisthum in zehn Jahren neun Kirchen. Als er nun die größte derselben einweihte, trug man bei der Feier die leiblichen Reste des heiligen Kilian umher, der, von den Schotten hieherkommend, dem Herzoge Gozbert und seiner Gemahlin Geilan sammt den übrigen Landesbewohnern zuerst Christus predigte, dann aber auf Betrieb dieser zweiten Herodias mit seinen Gefährten Koloman und Totman daselbst den Märtyrertod erlitt. Durch ihn nun that der Allmächtige bei dieser Gelegenheit 70 Wunder, und der Küchenmeister[4] ermahnte, dieses [8] voraussehend, also seine Zöglinge: „Säumet nicht, sondern vollziehet fleißig und rasch, was euch obliegt. Denn unser Herr, St. Kilian, wird sogleich merkwürdige Wunderzeichen thun.“ Wie groß aber die Tugenden des ebenerwähnten Kirchenfürsten gewesen, das ganz zu schildern, bin ich keineswegs im Stande; daß er großes Verdienst vor Gott habe, das glaube ich von Herzen.


4. Indessen bekam Heinrich Kunde von einer vielgepriesenen Frau, genannt Hatheburch, und entbrannt von jugendlicher Liebe, sehnte er sich sie zu besitzen. Sie war die Tochter Herrn Erwins, dem der Theil von Merseburg, den wir die Altstadt nennen, zum größten Theile gehörte, welches Erbe er bei seinem Hinscheiden, da er keinen Sohn hatte, seinen beiden Töchtern hinterließ. Eiligst schickte Heinrich, gelockt von Hatheburchs Schönheit und reichem Erbe, Abgesandte, und warb um sie, sein Wort verpfändend, denn er wollte seine Wünsche befriedigen, obwohl er wußte, daß sie als Wittwe verschleiert war. Sie aber ließ sich durch Rath und Bitten Vieler bewegen, den Abgesandten zu folgen, und wurde ehrenvoll empfangen und von den Seinen mit gebührender Liebe aufgenommen. Nachdem die Hochzeit der Sitte gemäß gefeiert war, kam der junge Ehemann mit seiner Gemahlin nach Merseburg, und indem er, berechtigt durch seinen hohen Rang, alle Nachbarn zu sich lud, fesselte er sie mit solcher Zutraulichkeit an sich, daß sie ihn wie einen Freund liebten und wie ihren Herrn ehrten.

Damals regierte Konrad, einst der Franken trefflicher Herzog, dann Ludwigs des Kindes Nachfolger. Diesen hatte der oben genannte Otto, der von allen Fürsten des Reiches zum König erwählt war, 911. sich selbst, weil er sich dessen für unwerth hielt, vorgezogen und sich sammt seinen Söhnen ihm als dem Herrscher untergeordnet. Zu der Zeit war Siegmund, Bischof von Halberstadt, ein kluger Mann, der durch seine Kenntnisse in allen geistlichen, wie weltlichen Wissenschaften sich vor allen seinen Zeitgenossen auszeichnete, geistlicher Vater und Hirt des östlichen Sachsens. So wie dieser, der mit der größten Frömmigkeit den glühendsten Eifer für das Reich Christi, das Zeichen der höchsten [9] menschlichen Vollkommenheit verband, das verübte Unrecht jener Eheverbindung erfuhr, erbebte er vor Schrecken über die Schuld seiner Schäflein, verbot ihnen sogleich durch einen Bevollmächtigten und durch eine Zuschrift unter Androhung des Bannes apostolischer Amtsgewalt jede weitere fleischliche Vermischung, und berief sie beide zur angesetzten Synode. Heinrich, bestürzt ob dieser Kunde, eilte zum Kaiser, erzählte ihm die ganze Sache dem Zusammenhange nach, und bat ihn um Hülfe, die ihm auch Konrad, der sein Freund war und auch seines Vaters, Herzog Otto’s, wohlbekannte treue Dienste berücksichtigte, sofort gewährte. Denn eiligst schickte er einen Abgeordneten an den Bischof, und verlangte, er solle die durch sein Gebot Gebundenen sogleich wieder lösen und die ganze Sache bis zur persönlichen Erscheinung des Königs aussetzen.

912. Als demnach Herzog Otto von Sachsen am 30. Nov. den Weg alles Fleisches ging, erhielt der vielerwähnte Jüngling als sein Nachfolger in dem erledigten Besitze, dem Erbrechte gemäß, die Hausgüter seines Vaters; dazu auch durch gnädige Verleihung von Seiten des Königs die Lehen desselben zum größten Theil. Jedoch trug er es mit allen den Seinigen voll Unwillen, daß doch noch etwas an demselben fehlte, und daraus erwuchs nachher, wie mit dem Waizen das Unkraut, die Wucherpflanze verborgenen Hasses. Der König, welcher dieses wahrnahm, stellte sich aus Vorsicht unwissend, und versuchte, da er sich nicht getraute, ihn mit offener Gewalt zu überwinden, vermittelst der bekannten Verschlagenheit des Erzbischofs Hatho [von Mainz], welcher auch seinem Vorgänger im Reich durch Enthauptung des Grafen Aethelbert zu Teres den Sieg verschafft hatte, ihn zu überlisten. Allein diesen Plan machte Gottes Weisheit zu Schanden. Dem Meister nämlich, der auf Befehl des Erzbischofs eine goldene Kette, mit der Heinrich um’s Leben gebracht werden sollte, mit wunderbarer Kunst arbeitete, erzählte auf sein Befragen sein Herr unter Seufzen und Klagen, wie das Ganze ausgeführt werden solle. So wie er nun die Arbeit ganz vollendet und abgegeben hatte, eilte er heimlich von dannen, traf den Herzog unterwegs und entdeckte ihm Alles [10] vollständig. Dieser schickte heimkehrend einen Abgeordneten an den Kirchenfürsten, und ließ ihm zugleich mit der Anzeige des Entdeckten die Aufforderung zukommen, er habe sich alsbald vor Schaden zu wahren. Und nun nahm er alles Land, was in Sachsen und Thürigen dem Erzbischof gehörte, in Besitz, indem er die Freunde des Königs von diesen Gütern rein ausgeplündert verjagte. Bald nachher starb der Erzbischof eines plötzlichen Todes,[5] und das Glück, welches bisher den König begünstigt hatte, hing sich an Heinrich. Indeß würde es mich, der ich zu anderen Ereignissen eile, zu weit führen, wollte ich schildern, wie oft beide im Kampfe zusammengetroffen, wann jeder gewichen oder besiegt sei und wie sie endlich durch die Bemühungen biederer Männer mit einander versöhnt wurden.


5. Als aber Konrad lange durch Krankheit heimgesucht wurde, nicht mehr gedenkend aller Feindschaft, die ihm von Seiten Heinrichs bereitet war, denn

„Nach vollendetem Kampf grollt nur ein schlechtes Gemüth noch[6],“

gab er seinem Bruder Eberhard und den um ihn versammelten Ersten des Volks den Rath, nach seinem Tode möchten sie Heinrich als einen durchaus würdigen Lenker an das Staatsruder setzen, und ihm sowohl sein Seelenheil, als auch seine überlebende Familie und Freunde zu treuer Fürsorge empfehlen; und dieses möchten sie ohne Verzug geloben. Diese letzte Bitte vernahmen die Fürsten voll Schmerz und Wehmuth, und versprachen sie, wenn Gott ihnen das Leben schenke, treu zu erfüllen. Und als dann leider bald 918. nachher im achten Jahre seiner Erhebung am 19. October sein früher Tod erfolgt war, hielten sie, nachdem zu Viliniburg an der Lahn [Weilburg] die Leichenfeier begangen war, schnell eine Wahlversammlung zu Fridisleri [Fritzlar], krönten Heinrich, und überantworteten [11] 919. ihm, der jetzt ihr Herr und König war, indem sie Christus und die ganze Kirche gläubig als Zeugen anriefen, weinend das ihnen Anvertraute. Er nun empfing zuerst in frommer Demuth das Geschenk der göttlichen Gnade, dann aber den allgemeinen Beweis so großer Liebe voll Dankes gegen Gott, und gelobte, diesem und allem, was sie sonst gemeinsam von ihm begehrten, zu entsprechen. Die kirchliche Salbung und Einsegnung, welche Erzbischof Heribert ihm antrug, wollte er nicht, wie seine Vorgänger, entgegen nehmen, indem er derselben ganz unwert zu sein versicherte. Ich aber glaube, daß er darin doch nicht recht gehandelt hat; denn ich habe im Leben des heiligen Othelrich, den Heinrich nachher zur bischöflichen Würde beförderte, gelesen, daß die heilige Märtyrerin Afra unter vielen anderen Gesichten, die sie diesem von ihr hochbegnadigten Bischofe zu Theil werden ließ, demselben auch zwei Schwerter zeigte, das eine mit, das andere ohne Scheide, und mit diesem letzteren soll sie auf Heinrich gedeutet haben, welcher der Weihe nicht theilhaftig geworden sei. Doch solches überlasse ich Gottes unerforschlichem Gerichte, und gehe weiter.


6. Der überall verbreitete Ruf des jungen Königs erfüllte die Herzen seiner Freunde mit Lust, die seiner Widersacher aber mit Trauer, weil er der Mann war, der die Seinen mit Weisheit zu behandeln, seine Feinde aber mit Muth und Gewandtheit zu überwältigen wußte. Indeß war dem Könige sein Sohn Tammo geboren; und indem die Liebe zu seiner Gemahlin abnahm, entbrannte er im Stillen für eine schöne und reiche Jungfrau, Namens Mathildis. Bald brach denn auch die Glut der heimlichen Liebe hervor, und indem er nun endlich öffentlich bekannte, daß er bisher sich durch die unerlaubte Ehe arg versündigt habe, ließ er durch Verwandte und Abgeordnete die Geliebte, die, eine Tochter des Theodrich und der Reinhilde, aus dem Stamme König Widukinds entsprossen war, fragen, ob sie seinen Wunsch gewähren wolle. Und wie denn eines Weibes Sinn [12] biegsam ist, willigte sie, besonders auch da sie wußte, daß er in jeder Hinsicht ein feiner Mann war, in seinen Antrag, und verheirathet war sie ihm in geistlichen, wie in weltlichen Dingen nützlich. Sie gebar ihm im Laufe der Zeit drei Söhne, Otto, Heinrich und Bruno, und erzog sie glücklich, so daß die Freude über eine solche Nachkommenschaft die Schmerzen der Gebärerin bei weitem überwog. Und da nun Otto der Gegenstand meiner Darstellung ist, halte ich es nicht für nöthig, alle Thaten Heinrichs hier einzeln durchzugehen, da sowohl in dem Sohne der hohe Werth des Vaters sich deutlich zeigt, als auch der Ruhm, der Heinrichs Leben umstrahlt, von vielen Schriftstellern hinlänglich erhoben ist. Doch füge ich einiges bei, was ich für besonders nöthig erachte.

Folgende Völker machte er sich zinsbar: Die Böhmen, Deleminzen, Apodriten, Wilten, Heveller und Redarier. Diese aber empörten sich sofort wieder, wiegelten noch andere Stämme auf, und eroberten 929. die Burg Wallislevo [Walsleben][7], welche sie anzündeten und zerstörten. Diese Unthat zu rächen, kam unser Heer zusammen, belagerte die Burg Lunzin [Lenzen][8], griff ihre Bundesgenossen, die sie zu schützen versuchten, an und schlug sie so, daß nur wenige entkamen; die Burg aber nahm er in Besitz. Von den Unsern aber fielen zwei Urgroßväter von mir, beide Liutheri genannt, treffliche Ritter von hoher Abkunft, des Vaterlandes Zierde und Schutz, am 5. September mit vielen andern.


7. Auf daß keiner der Gläubigen Christi an der künftigen Wiederauferstehung der Todten zweifle, sondern in heiliger Sehnsucht trachte nach den Freuden seliger Unsterblichkeit, will ich einen Vorfall anführen, der sich, wie ich zuverlässig erfahren habe, in der nach der Zerstörung wieder erbauten Burg Wallislevo in Wahrheit zugetragen hat. Der Priester der dortigen Kirche pflegte beim Anbruch des Tages in der Morgendämmerung die Frühmesse zu [13] lesen. Als er nun einstmals auf den Kirchhof kam, sah er auf demselben eine große Schaar, welche einem Priester, der vor der Thür des Gotteshauses stand, Opfergaben darbrachte. Staunend blieb er zuerst stehen, dann aber verwahrte er sich mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und ging angsterfüllt durch sie alle hindurch auf die Sakristei zu, ohne auch nur Einen zu erkennen. Da fragte ihn eine Jüngstverstorbene, die ihm wohlbekannt war, was er hier wolle? und als sie erfuhr, weshalb er hergekommen sei, sagte sie, das alles hätten sie schon verrichtet, und verkündete ihm dabei, daß er selbst nicht lange mehr leben werde. Dies erzählte er darauf seinen Nachbarn, und bewies hinterher die Wahrheit desselben.

Zu meiner Zeit sahen und hörten in Magadaburg (wie ich dort, wo ich mich damals aufhielt, von zuverlässigen Augenzeugen selbst gehört habe) in der Kirche Wächter der Kaufleute, die in der Nacht zusammen wachten, ähnliches wie das Ebenerzählte, und holten die angesehensten Bürger herbei. Diese sahen, von ferne auf dem Kirchhofe stehend, Lichter auf den Leuchtern aufgesteckt, und hörten, wie zwei den Einladungspsalm 95 anstimmten und zugleich alle den Morgen-Lobgesang ordentlich hersangen; als sie aber näher gingen, konnten sie durchaus nichts entdecken.

Als ich dies am nächsten Tage der Tochter meines Vaterbruders, Brigida, der Aebtissin des St. Laurentius-Klosters, die damals krank darnieder lag, erzählte, wunderte sie sich darüber gar nicht, und erzählte mir sogleich folgendes: „Zur Zeit des Bischofs Baldrich, der 80 Jahre oder darüber den Sitz zu Utrecht inne hatte, war die Kirche eines Ortes, Namens Deventeri[9], durch die Zeit zerstört; diese ließ Baldrich neu erbauen, weihete sie ein und übergab sie einem seiner Priester. Als dieser nun eines Morgens ganz früh in der Dämmerung nach der Kirche hinging, sah er die Todten in der Kirche und auf dem Kirchhofe Opfer bringen und hörte sie singen. Dies erzählte er dem Bischofe, und dieser befahl [14] ihm, sofort in der Kirche zu schlafen. Da aber ward er in der nächsten Nacht sammt dem Bette, in dem er schlief, von den Todten aus der Kirche geworfen. Dies klagte er wieder voll Schrecken seinem Vorgesetzten. Der aber befahl ihm, er solle, geschützt durch Reliquien der Heiligen und mit Weihwasser besprengt, nicht ablassen, die Wache in seiner Kirche zu halten. Er nun befolgte diesen Befehl und wollte wiederum in der Kirche schlafen; allein von Angst gequält, wachte er auf. Und siehe! da kamen sie zur gewöhnlichen Stunde, hoben ihn auf, setzten ihn dem Altar gegenüber nieder und verbrannten seinen Körper zu Asche. Als dieses der Bischof hörte, ordnete er ein dreitägiges Fasten an, zum Heile seiner und des Verstorbenen Seele. Von allem diesen könnte ich vieles sagen, mein Sohn, wenn meine Körperschwäche mich nicht hinderte. Wie den Lebendigen der Tag, so gehört den Todten die Nacht. Denn der Sterbliche darf nicht klüger sein wollen, denn daß er, wie St. Paulus [Röm. 12, 3] ermahnt, mäßiglich von sich halte.“

Weil aber zwei oder drei zu einem Zeugniß genügen, so habe ich die Vorfälle dieser unserer Tage aufgezeichnet, auf daß der Ungläubige die Wahrheit der Weissagungen der Propheten erfahre, deren einer [Jesaias 26, 19] bezeugt: „Deine Todten werden leben;“ und ein anderer: „Auferstehen werden die Todten, die in den Gräbern sind, sie werden die Stimme des Sohnes Gottes hören und frohlocken.“ So oft Lebende dergleichen hören oder sehen, so bedeutet es immer etwas ungewöhnliches, wie dieses unter vielen andern ein Vorfall genügend beweist, den ich zum Theil aus eigener Erfahrung kenne, zum größeren Theil aber, insofern er mir persönlich unbekannt ist, wahrhaften Zeugen glaube.

Ich war auf meinem Gute Retmerslevo [Rotmersleben][10], als an einem Freitage am 18. December beim ersten Hahnenschrei ein helles Licht, von der Kirche austrahlend, den ganzen Hof erleuchtete, und zugleich ein ungeheures Gelärm wie ein vielstimmiges Grunzen sich vernehmen ließ. Jenes Licht sah mein Bruder Friedrich nebst [15] meinen Kriegsleuten und den übrigen dort versammelten, und das Grunzen hörte der Kaplan, der neben mir schlief. Als ich dies am Morgen erfuhr, und fragte, ob sich dergleichen schon früher dort gezeigt habe, ward mir von den ältesten Personen, die sich daselbst befanden, erzählt, daß sich einmal etwas ähnliches ereignet habe; und das sah ich denn auch in demselben Jahre [13. Nov. 1012] gar kläglich in Erfüllung gehen durch den Tod der ehrsamen Frau Liudgard, welche von der einen Seite meine Muhme, von der andern Seite meines Vetters Frau und (was unter Verwandten die Hauptsache ist) meine vertraute Freundin war. Ich werde noch später ausführlicher von ihr reden.

Oft ist es mir auch begegnet, daß ich in der Nacht Holz fällen hörte, und häufig habe ich und mein Gesellschafter, wenn die andern schliefen, deutlich vernommen, wie verstorbene Personen mit einander eine Unterredung hielten; an diesen beiden Zeichen merkte ich in der Regel, daß am nächsten Tage ein Todesfall eintreten werde.

Obwohl ich nun nichts weiter als gleichsam ein Schleifstein bin, der nicht sich, sondern das Eisen schärft,[11] so sage ich doch, um nicht etwa ein stummer Hund gescholten zu werden, folgendes für die Ungelehrten und besonders für die Slaven, welche glauben, daß mit dem Tode alles vorbei sei. Ich verkündige festiglich allen Gläubigen die Gewißheit der Auferstehung von den Todten und der einstigen Wiedervergeltung, einem Jeglichen nach seinem Verdienste. Es giebt nämlich drei Gattungen von Seelen, welche nicht zu gleicher Zeit anfangen und enden. Die Seelen der ersten Gattung sind die der körperlosen Engel; diese sind ohne Anfang und Ende. Die zweite Gattung ist die der Menschenseelen, welche mit den Körpern zwar den Anfang, nicht aber das Ende gemein haben. Denn diese Seelen sind unsterblich und haben, wie einige heidnische Schriftsteller meinen, jenseits eine andere Bestimmung, als hienieden. Die dritte Art von Seelen umfaßt die des Viehes und der Vögel, welche zugleich mit den Körpern entstehen und vergehen. Daher [16] wird es, wie das aus dem, dem Moses von Gott verliehenen Gesetze erhellt, einem wahren Christen keineswegs durch das Ansehn der Kirche verboten, sich mit dem Blute der Thiere zu beflecken. Denn es giebt viele Arme, die das Blut zu genießen pflegen, ohne sich deshalb einer Sünde bewußt zu sein und ohne sich an alle die zu kehren, die ihnen davon abrathen. Darum danke du, o Mensch, der du von Gott mit Ruhm und Ehre gekrönt bist und von ihm gesetzet über alle seine Werke, vor allen dem Allerhöchsten, und vergilt ihm nach deinem Vermögen, was er an dir gethan hat in seiner Barmherzigkeit. – Jetzt will ich den verlorenen Faden wieder aufnehmen.


8. Der König trieb die wiederholt sich erhebenden Avaren aus dem Reiche. Und als er einstmals mit nicht genügender Mannschaft sie anzugreifen wagte, ward er geschlagen, und floh in eine Burg, Namens Bichni [Püchen].[12] Weil er dort dem Tode entrann, so verlieh er den Bürgern derselben größere Vorrechte, als deren sie sich bisher erfreut hatten und dergleichen ihre Landesgenossen bis zum heutigen Tage nicht haben, und beschenkte sie außerdem noch reichlich.

So oft Heinrich sich gegen seinen Gott und Herrn im Leben übermüthig erhoben hatte, ebenso oft erniedrigte er sich demüthig durch entsprechende Buße. So habe ich gehört, daß er einst nach Rom gereist sei, um dort zu beten, und zwar mehr zu Fuß, als zu Pferd, und daß, als viele ihn fragten, warum er das thue, er seine Schuld bekannt habe.


931. 9. Im Jahre des Herrn 931 ward er Kaiser.[13] Er ließ einen Berg an der Elbe, der damals dicht mit Bäumen besetzt war, bebauen, und gründete dort eine Burg, die er nach einem Bache, der nördlich von derselben fließt, Misni [Meißen] nannte, [17] und mit einer Besatzung und Festungswerken, wie sie jetzt üblich sind, versah. Von da aus unterwarf er die Milzener, und zwang 932. sie, ihm Zins zu zahlen. Auch die Burg Liubusua [Lebusa][14], von der ich später ausführlicher reden werde, belagerte er lange, und brachte die Einwohner, nachdem sie vor ihm in eine kleine unterhalb der Stadt gelegene Veste geflohen waren, zur Uebergabe. Diese Veste aber wurde von jenem Tage an, wo sie nach Verdienst mit Feuer zerstört wurde, nicht wieder bewohnt.

Wenn Heinrich während seiner Regierung, wie viele behaupten, unrechtmäßiges Besitzthum an sich gerissen hat, so möge ihm Gott in seiner Gnade verzeihen.

Außerdem zwang er auch die Northmannen und Dänen mit den Waffen zum Gehorsam, und lehrte sie sammt ihrem Könige Kanut ihrem alten Irrglauben entsagen und das Joch Christi tragen. 934.

Hier will ich aber doch die wunderbaren Geschichten, die ich von ihren Opfern gehört habe, nicht unerwähnt lassen. Es ist ein Ort in jenen Gegenden, Namens Lederun [Leire][15], die Hauptstadt jenes Reiches im Gau Selon [Seeland], wo alle neun Jahre im Monat Januar, um die Zeit, wo wir die Erscheinung Christi feiern, alle zusammenkamen und ihren Göttern 99 Menschen und eben so viele Pferde nebst Hunden und Hähnen, die man in Ermangelung der Habichte opferte, tödteten, indem sie für gewiß glaubten, daß diese ihnen bei den Göttern der Unterwelt Dienste leisten und dieselben wegen ihrer begangenen Missethaten mit ihnen aussöhnen würden. Wie heilsam hat also unser König gehandelt, daß er ihnen eine so entsetzliche Sitte ferner verwehrt hat! Denn der bringt Gott dem Vater ein wohlgefälliges Opfer dar, der Menschenblutes schont; und der Herr gebeut: „Den Unschuldigen und Gerechten sollst Du nicht erwürgen.“ [2. Mos. 23, 7.]


10. König Heinrich ließ das altrömische Werk in Merseburg mit einer steinernen Mauer umgeben und unterhalb desselben [18] eben die Kirche, die jetzt die Mutterkirche der übrigen ist, aus Steinen aufführen und am 19. Mai einweihen. 930. Er erbaute auch noch andere Städte und Tempel des Herrn zum Heil seines Reichs und seiner Seele, voll frommen Eifers.

Nach unzähligen hervorragenden Beweisen seiner Tugenden verschied er, im 16ten Jahre seiner Regierung, im 60sten seines Lebens, am 7. Juli zu Miminlevo [Memleben][16], und wurde zu Quidilingaburg, das er selbst von Grund aus erbaut hatte, von allen Fürsten des Reichs mit Recht beweint, bestattet. 936. Dies geschah im Jahre des Herrn 936.

Doch der Hinblick auf die hinterlassenen vorzüglichen Söhne des Verstorbenen erheiterte das Gemüth der Fürsten und lenkte ihre unbeschränkte Wahl nur auf Einen. Wehe den Völkern, denen keine Aussicht vorhanden ist, vom nachfolgenden Geschlechte ihrer Herrscher regiert zu werden, und die, indem sich unter ihnen Zwietracht erhebt und langer Streit erfolgt, durch schnellen Entschluß für das Verlorene keinen Ersatz erhalten. Und wenn auch in dem Geschlechte des Verstorbenen sich keiner findet, der eines solchen Amtes würdig wäre, so möge doch aus einem andern Hause ein wohlgearteter Mann mit Beseitigung alles Hasses herbeigezogen werden, denn es ist der größte Verderb, wenn Fremde als Regenten an’s Ruder kommen: daraus entsteht Bedrückung und die größte Gefahr für die Freiheit.

Von dem ebenbesprochenen Heinrich nun und von dessen Nachfolgern an bis auf den heutigen Tag sind vor allem die Sachsen erhoben und in jeder Beziehung hoch geehrt. Was von denselben Preiswürdiges berichtet wird, das wird von dem Könige gleiches Namens, seinem Nachfolger, dessen Thaten ich, wenn ich so lange lebe, beschreiben werde, sorgfältig befolgt. Ich fürchte aber, daß ich diese Darstellung nicht beenden werde. Was ich daher von diesen jetzt irgendwie unbemerkt, oder was ich, weil ich darüber wegsterbe, ganz unausgeführt lassen sollte, das, geliebter Nachfolger, [19] ergänze du und vollende die Schilderung dieser Zeiten für die Nachwelt. Ich Sünder habe in allem fahrlässig, nicht nach dem Guten, sondern nur nach dem Bösen getrachtet, habe erst spät mich auf den Pfad der Tugend begeben und nach Besserung gestrebt; ich habe in keiner Weise das Heil meiner Seele bedacht. Seit ich zum Seelenhirten berufen bin, habe ich meine Anbefohlenen nur mit Worten, nicht mit Werken gelehrt. Von außen schien ich tugendhaft zu sein, mein Inneres befleckte ich mit den ärgsten Gedanken; aus unreinem Samen entstanden, wälzte ich mich im Kothe, wie ein unreines Schwein. Da mag wohl einer sagen: „Dein Lob ist nicht fein!“ Dem antworte ich, daß ich in Wahrheit keinen schlechteren Menschen kenne, als mich. Deshalb klage ich mich so an, damit du, der du nunmehr die Wunden meiner Seele kennst, mir mit den nöthigen Heilmitteln helfen und mir, dessen Lebensgeschick du in mancher Hinsicht theilst, nach dem Maße die stützende Hand reichen mögest, wie du selbst vor deinem Gewissen zu erscheinen wünschest.

11. Die rühmlichen Thaten der ehrwürdigen Mahtildis, welche sie nach ihres Herrn Abscheiden verrichtete, will ich jetzt in wenige Worte zusammenfassen, allen Gläubigen zu einem heilsamen Vorbilde; weil es, wie die Schrift [2. Makkab. 12, V. 44 flgd.] lehrt, „ein guter und heilsamer Gedanke ist, für die Todten zu beten“ und durch Almosen ihnen Ablaß zu verschaffen. Ich habe gelesen, daß die Fesseln eines Gefangenen, den seine Gattin, die ihn für todt hielt, mit fortwährenden Seelenmessen bedachte, so oft sich lösten, wie Gott dem Vater die wohlgefälligen Opfer für ihn von ihr dargebracht wurden; wie er ihr erzählte als er, befreit, sein Haus wieder sah. Diesem Beispiele folgend, kam Frau Mathildis ihrem, vom zeitweiligen Tode bewältigten Gemahle dadurch zu Hülfe, daß sie den Armen, ja auch den Vögeln Nahrung gab. Auch stiftete sie in der oberwähnten Burg [Quidilingaburg] am dreißigsten[17] nach seinem Tode ein Nonnenkloster, dem sie, mit [20] Einwilligung ihrer Söhne, was die heiligen Schwestern zu Kleidung und Unterhalt bedurften, aus ihrem Vermögen zuwies und urkundlich sicherte. Manche behaupten, sie habe sich lange Zeit gar sehr darum bemüht, daß ihr jüngerer Sohn Heinrich des Vaters Sitz einnehmen möchte. Aber Gott, der seine Auserwählten zu Allem und Jedem stets voraus verordnet hat, wollte das nicht; auch willigten die meisten und angesehensten Fürsten des Reichs nicht darein, sondern brachten vielmehr aus verständigen und darum leicht Eingang findenden Gründen den Sinn der trauernden Königin sehr bald von ihrem Plane ab, indem sie ihr vorstellten, daß, mit Bevorzugung ihres älteren Sohnes in Bezug auf die Krone, dem Prinzen Heinrich passender die Regierung von Baiern übertragen würde.

12. Im Jahre des Herrn 923, dem elften der römischen Zinszahl, im fünften Jahre König Heinrichs I, am 14. Januar, starb der ehrwürdige Bischof Sigimund, der sechste Bischof der halberstädtischen Kirche, von König Arnulf im siebenten Jahre seiner Regierung daselbst eingesetzt. Ihm folgte Bernhard, sein Kaplan, welchem der fromme Mann dies auch schon früher vorhergesagt hatte. Denn während seiner langen Krankheit sah er einst im Schlafe, daß Bernhard, der hinter ihm herging, den Hirtenstab, der seinen Händen entfallen war, aufnahm und ihn frei und offen trug. Erwachend, berief er ihn darauf zu sich und sprach: „Gehe an des Königs Hof, nimm von dem Meinigen, was dazu nöthig ist, und erwirb dir die Gunst und Unterstützung derjenigen, welche dort am meisten vermögen, damit es dir gelinge, ohne jeden Anstoß mir im Amte nachzufolgen. Denn das Alles, geliebter Sohn, wird Gott dir verleihen!“ – Bernhard, der des geliebten Vorgesetzten Gebot mit demüthigem Gehorsam alsbald erfüllte, erfuhr, als er vom Könige zurückkehrte, daß sein Herr und Vater im 30sten Jahre seiner Einsetzung aus dieser Welt zu seinem Heilande hinübergegangen sei, und indem er sogleich wieder an den Hof zurückreiste, erreichte er vom Könige die Verleihung [21] des gewünschten Amtes. Der Leichnam des besagten Bischofs aber ist bestattet an der rechten Seite des Altars des ersten Blutzeugen Christi, unter der hervortretenden Stufe desselben, wie er es selbst vorher angeordnet hatte, nicht liegend, sondern auf dem bischöflichen Stuhle sitzend, indem er hoffte, durch die heilige Vertretung und den priesterlichen Segen seines Schutzpatrons beständig in Obhut genommen zu werden.

13. Wie der barmherzige Gott den besagten König in seinem Leben begünstigt hat, will ich, obwohl ich niemals „trank aus dem pierischen Quell[18]“, doch allen Gläubigen kund geben. Es lebte im Westen ein König, Karl, von den Eingebornen spottend Sot, d. i. der Einfältige, genannt, der von einem seiner Herzoge gefangen und im dunkeln Kerker eingeschlossen war. Dieser bat unsern König Heinrich, seinen Vetter, um Hülfe, indem er ihm die rechte Hand des heiligen Märtyrers Dionysius und dazu das ganze Reich der Lutharier [Lothringen] eidlich versprach, wenn er ihn befreien würde. Ohne Verzug umgürtet der ruhmgekrönte Krieger sich sofort mit seinem stets siegreichen Schwerte, kommt zu dem bedrängten Verwandten, und verdient sich als würdiger Helfer durch dessen Befreiung und Wiedereinsetzung seine Belohnung, und vermehrte in so hohem Grade sich und seinen Nachfolgern den frühern Ruhm.

14. Weil aber einen jeden Sterblichen seine Schwäche mehr geneigt macht zu fallen, als sein Wille stark genug ist, ihn aufrecht zu halten, so will ich, wie beklagenswerth sich Heinrich einmal vergangen hat, zur Abschreckung und zur Warnung den Frommen nicht verschweigen. Am grünen Donnerstage berauschte er sich stark, und wohnte dann in der folgenden Nacht, vom Teufel getrieben, seiner heftig widerstrebenden Gemahlin unerlaubter Weise bei. Diese That verrieth Satanas, der Urheber eines so großen [22] Verbrechens und der Verstricker der menschlichen Seele, einer ehrbaren Matrone mit folgenden Worten: „Die Königin Mathildis hat neulich, auf meinen Antrieb dem Gelüste ihres Ehegemahls nachgegeben und einen Sohn empfangen, der nun ohne allen Zweifel mir gehört. Du aber verschweige ja ein so großes dir anvertrautes Geheimnis.“ – Die Frau trauerte nun darob heimlich sehr, und zeigte es eiligst der Königin an, indem sie sie ermahnte, sie möchte beständig Bischöfe und Priester um sich haben, und dem Knaben gleich bei der Geburt mit dem Wasser der heiligen Taufe alles abwaschen, was, wie der böse Geist sich rühme, ihm wohlgefälliges an demselben entstanden sei. Und somit dankte sie Gott. Da aber Dämon, d. h. der Alles wissende[19], sah, daß er gänzlich hinter’s Licht geführt war, schalt er die Frau, und setzte hinzu: „Obwohl meine Absicht jetzt durch deine Lästerreden vereitelt ist, so habe ich doch soviel gewonnen, daß ihm und Allen, die aus seinen Lenden hervorgehen, meine Gefährtin, die Zwietracht, nie fehlen, nie sicherer Friede ihnen zum Theil werden wird.“ Das sagte aber der große Lügner und Feind der Wahrheit nur, weil er es wünschte, nicht (so hoffe ich), weil es so erfüllt werden sollte. Viele aber bestätigen, wie das im folgenden Buche sich darthun wird, daß unter diesem Fürsten und seinem Sohne häufige Bewegungen entstanden und wenig Sicherheit und Ruhe herrschte. In den Tagen aber, in denen derjenige Heinrich, der als Herzog der Dritte, in der Reihe der Scepterträger aber der Zweite seines Namens ist, zu regieren anfing, ist die Wucherpflanze der Bosheit verdorrt, und des holden Friedens lachende Blüthe hell hervorgetreten; und wenn ihm in einer Beziehung etwas ähnliches widerfahren ist, wie seinen Vorgängern, so ist das nicht seine, sondern seines gottlosen Anreizers Schuld. Wir lesen „ein Jegliches habe seine Zeit[20],“ aber nicht jegliche Zeit, d. h. von Gott ist nicht etwa den Lastern von Anfang an ein Platz eingeräumt; weil aber die Schwäche des Fleisches sich von Ansteckung nicht frei halten kann, [23] so muß man sich doch wenigstens der Todsünden enthalten und an hohen Festtagen sich Reinheit bewahren. Daß an gesetzmäßigen Eheverbindungen nichts unerlaubtes ist, bezeugt die Schrift; aber dieselben erlangen durch Beobachtung der Feiertage eine ehrbare Würde und werden nicht vom Sturme drohender Gefahr beunruhigt. Um dies weiter zu beweisen, gebe ich noch einen Beleg. Ein Magdeburger Bürger, Namens Uffo, zwang am Feste der unschuldigen Kindlein in heftigem Rausche seine Frau, Namens Gelsusa, ihm zu Willen zu sein. Als diese in jener Nacht von ihrem Manne geschwängert nun zu gehöriger Zeit ein Kind gebar, hatte dieses verbogene Fußzehen. Voll Schreckens ließ sie sogleich ihren Mann herbeirufen und zeigte ihm das Wunder, indem sie, mit Seufzen erkennend, daß das durch ihrer beider Schuld geschehen sei, sagte: „Habe ich dir nicht vorhergesagt, du solltest nicht also thun? Siehe, nun kündigt sich uns der Zorn Gottes an und mahnt uns gewaltig, daß wir so nicht ferner handeln! Du hast eine große Sünde begangen, daß du mir befahlst, was nicht recht war, und ich habe eben so gefehlt, daß ich dir gehorcht habe!“ Als aber das Kind getauft war, ward es aus der Verbannung dieses Lebens zur Schaar der unschuldigen Kindlein hinübergeführt. – Der ist beständig wohl daran, der eine Ehegenossin besitzt, die für den abwesenden Gemahl unermüdlich betet, und ihn, wenn er bei ihr ist, ihr Geschlecht vergessend, ermahnt, über sich zu wachen.

15. Zu der Zeit, da König Heinrich auf der Höhe seiner Macht war, war in Baiern ein Herzog, Namens Arnulf, ausgezeichnet an Körper und Geist, der die besondere Gewalt hatte, alle Bisthümer in jenem Lande zu verleihen; als er aber nach mannigfachen Beweisen seiner hohen Eigenschaften starb, hinterließ er seinen Nachfolgern ein so großes Ehrenrecht nicht. Vielmehr ordnen solches allein unsre Könige und Kaiser, die, als irdische Stellvertreter des höchsten Kirchenlehrers eingesetzt, mit Recht über ihren Geistlichen stehen, weil es allzu unpassend wäre, daß die, welche [24] Christus nach seinem Bilde zu Fürsten dieser Erde bestellt hat, irgend jemanden unterthan sein sollten außer nur denen, welche nach dem Muster des Herrn durch die Glorie geistlichen Segens und geistlicher Krönung vor allen Sterblichen hervorragen. Und doch höre ich, daß einige Geistliche unter der Gewalt von Herzogen und (was ich noch mehr beklage) selbst von Grafen große Kränkung erdulden, und daß ihnen nichts zu thun verstattet ist, als was denen Vortheil bringt, die diese Welt lieb haben. Denn eine gottlose Gewalt fängt, wenn sie die nach Gottes Willen rechtmäßig Herrschenden bedrängt, bald an, mit ausgedehnter Grausamkeit zu wüthen.

16. Im Palaste des Königs ereignete sich ein wunderbarer Vorfall. Vor den Augen des ganzen versammelten Volks lief ein Hund, wie er aus der Ferne seinen Feind sitzen sah, an denselben heran, und biß ihm plötzlich mit einem Bisse die rechte Hand ab, worauf er, als habe er etwas gutes gethan, mit wedelndem Schwanze zurücklief. Als alle staunten und sich höchlich verwunderten, ward der Unglückliche gefragt, was er gethan habe? Er aber antwortete sogleich, das sei ihm als eine Strafe von Gott mit Recht widerfahren, und fuhr fort: „Ich fand einen Mann, den Herrn dieses Hundes, müden Leibes schlafend, und ich unglücklicher erschlug ihn. Schon damals gleich hatte ich von demselben Verfolger, der mich eben verstümmelt hat, viele Angriffe auszustehen; jetzt aber habe ich schuldiger mich ihm, dem ich damals kaum entkam, nachdem ich alles ganz vergessen glaubte, nun selbst preisgegeben. Nunmehr weiß ich, daß kein Verbrechen hier oder vor dem künftigen Gerichte straflos sich birgt.“

17. Viel sind, geliebte Leser, der Thaten unsers Königs und [WS 2] Kaisers, gar würdig nie erlöschenden Gedächtnisses; aber weil ich diese, wie sie waren, nicht völlig darzustellen vermag, so gebe ich diesen Gegenstand auf, und zwar schweren Herzens, weil er, wie gesagt, ein König unseres Stammes, in all seiner Trefflichkeit [25] seinen Namen und seine Herrschergewalt mit vollem Rechte behauptet hat. Ich habe seinen großen Thaten nur ein kleines Büchlein gewidmet, aber ich hoffe, daß seine Werke im Buche des Lebens verzeichnet stehen; denn er war ein treuer Diener des Vorläufers Jesu Christi, des Größten, wie Christus, unser Herr und Gott, selber bezeugt hat [Math. 11, 11], „unter allen, die von Weibern geboren sind.“ Er hat zuerst in unserer Stadt den Grund gelegt zu dem nachfolgenden Dienste des Herrn, und alles was jemals auf diesem Grunde neues aufgeführt wird, muß ihm zum Ruhme angerechnet werden, und das mit Recht; denn ein feiner Anfang und ein gutes Ende passen, wo es herbeizuführen ist, am besten zusammen, und wenn das auch in allen Dingen nicht zu erlangen ist, so wollen wir doch Gott danken für das, was er bereits gethan hat, und mögen alle Gläubigen, mögest vor allen du, vielberühmte Stadt Merseburg, die du zur Zeit deines geliebten Herrn wie eine Cypresse unter deinen Schwestern erhöht bist, mit der Schaar deiner Geistlichen den Allgütigen inbrünstig anflehen, daß er seine Herrlichkeit zum Ziele der Vollendung hinausführe. Auf! lasse nicht ab, dem Herrn zu danken, und bete eifrig in der Furcht des Herrn beständig auf das Innigste, daß durch Seine Fügung an dir alles Gute vollendet werde. Denn nur böse Menschen pflegen des Guten, das ihnen zu Theil geworden, nicht zu gedenken, und was der Allmächtige zum Heile geschaffen hat, zum Unheil zu wenden.

Wenn ich zu dieser meiner Arbeit noch je etwas hinzusetzen kann, so werde ich damit durchaus nicht zögern. Sonst aber möge einem Jeden, der unseres so großen Herrschers auch nur ein wenig im Guten eingedenk ist, der allliebende Erhörer aller Bitten gnädig sein!

Somit werde dies erste Buch mit dem Tode König Heinrichs I. geschlossen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Lommatsch
  2. Vorlage: und und
  1. Eine Anspielung auf Horaz Epist. II. 3, (über die Dichtkunst) 140.
  2. Dann leitet man es aus dem Griechischen ab, von dem Beiworte μέση, mesê, die mittlere. Die wirkliche Herkunft zeigt der slavische Name Mezibor = Mittenwalde.
  3. Der Poltzscher See unweit Lommatzsch in der jetzigen Amtshauptmannschaft Meißen.
  4. Der Küchenmeister ist in jener Zeit eine merkwürdige Persönlichkeit, er stand in großen Ansehn beim Volke und hatte etwas Heiliges an sich. Vgl. Grimm u. Schmeller, lateinische Gedichte des 10. u. 11. Jahrhunderts. S. 356.
  5. Der Erzbischof Hatho unterlag schon im folgenden Jahre, 913, Mai 15, einem Fieber.
  6. Cato’s Distichen 2, 15.
  7. Wallislevo lag auf der linken Seite der Elbe nördlich von Stendal in der Altmark.
  8. Lenzen liegt in der Westpriegnitz.
  9. Deventer im heutigen Holland.
  10. Lag ein wenig nordwestlich von Magdeburg.
  11. Anspielung auf Horaz Episteln, B. II, 3. B. 304.
  12. Bei Wurzen in Sachsen gelegen.
  13. Hier hat sich Thietmar durch den Ausdruck des von ihm benutzten Widukind I, 39 irre führen lassen; bekanntlich ist Heinrich niemals Kaiser geworden.
  14. Zwischen Schlieben und Luckau in der Lausitz; vgl. unten VI, 39.
  15. Bei Roeskild in Seeland.
  16. Im Regierungsbezirk Merseburg.
  17. Am 30. Tage nach der Bestattung wurde mit der letzten Seelenmesse die Todtenfeier geschlossen.
  18. Anspielung auf Statius Wälder I Epithal. 6. Der Sinn ist: obwohl ich kein Dichter bin.
  19. Thietmar giebt hier eine Erklärung des griech. Wortes δαίμων, daimôn.
  20. Pred. Sal. 3. 1.