Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Das Geheimnis eines Lebens
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1920
Verlag: Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Band 14 der Heftreihe Moderne Kriminal-Bücher.
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[I]
Moderne Kriminal-Bücher: Band 14.
[1]
Moderne
Kriminal-Bücher


Das Geheimnis eines Lebens.


Kriminalroman von
W. Kabel.


Verlag moderner Lektüre, G.m.b.H.
Berlin, S.O.26. Elisabethufer 44.


[2] Bei der großen Auswahl in Kriminalromanen ist es für den Leser nicht leicht, wirklich gediegene Arbeiten zu finden. Wenn wir hier empfehlend auf unsere

Modernen Kriminal-Bücher

hinweisen, so glauben wir bestimmt damit den Lesern einen guten Dienst zu erweisen. Es ist unser Bestreben nur wirklich gute, spannende und einwandfreie Arbeiten zu veröffentlichen. Die Namen unserer Mitarbeiter: Walther Kabel, A. Zapp, W. v. Neuhof, Ernst v. Waldow, Schweriner, Höllerl u.a. bürgen dafür, daß nur ausgewählte Arbeiten zum Abdruck gelangen werden. Viele der zur Veröffentlichung kommenden Romane sind früher in ersten Zeitungen und auch in teueren Buchausgaben erschienen.

Der Verlag.     


[3]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1920 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H. Berlin.


1. Kapitel.

In das Arbeitszimmer des Ingenieurs Wieland flutete durch das breite Fenster der warme Junisonnenschein hinein und zeichnete auf dem glänzenden Fußboden und dem vor dem Schreibtisch liegenden Eisbärfell leuchtende, unregelmäßige Vierecke. Ein einzelner Strahl hatte sich auf das Haupt der jungen Frau verirrt, die zusammengekauert in einem der Sessel nahe dem Fenster saß. Dieser Strahl ließ die dunkelblonden Flechten ihres Haares im goldigen Glanze schimmern und bildete eine eigenartige Krone über Maria Wielands weißer Stirn.

In dem Zimmer herrschte eine drückende Stille. Die drei Personen, die mit ihren Sorgen in den kleinen Raum geflüchtet waren, empfanden dieses Schweigen nur zu deutlich wie ein unbekanntes, näherschleichendes Unheil. Da erhob sich Karl Wieland mit ungeduldiger Bewegung und begann erregt auf und ab zu gehen. Sein von einem elegant gestutzten Vollbart umrahmtes, gutmütiges Gesicht war verdüstert, und wenn er zu seiner Gattin hinüberblickte, gruben sich die Falten auf seiner Stirn regelmäßig tiefer ein.

Endlich blieb er vor ihr stehen und sagte halblaut, mit seltener Härte im Ton:

[4] „Ich werde trotz Deiner Bitten die Hilfe der Polizei in Anspruch nehmen. Denn so geht das nicht weiter. Ich, – wir alle, reiben uns bei diesen Sorgen auf. Irgend etwas muß geschehen!“

Maria Wieland schwieg, und ihr Gatte schaute zu ihr herab und schüttelte dann wehmütig den Kopf.

„Mia,“ bat er wieder, „habe doch Vertrauen zu mir! Willst Du denn unser Glück durch einen unbegreiflichen Trotz zerstören! Siehst Du denn nicht ein, daß mich Dein Benehmen – mißtrauisch machen muß! – Mia, denke doch an die vier Jahre unserer bisher so selten harmonischen Ehe –“

Ein wildes Schluchzen unterbrach ihn. Die junge Frau hatte die beringten Hände vor das Gesicht geschlagen und weinte fassungslos, weinte, daß ihr schlanker Körper zuckte und bebte. – Der Ingenieur stand dabei, und ein tiefer Seufzer rang sich aus seinem bekümmerten Herzen los. Dann wandte er sich seiner Schwester zu, die mit trostlosen Augen am Kamin lehnte.

„Begreifst Du das alles, Anna?“ meinte er traurig. Und seine blonde Schwester warf nur einen vorwurfsvollen Blick auf die Weinende.

Da richtete sich Maria auf. Mit zitternder Stimme klang’s in Tönen, die einen Stein hätten rühren können.

„Karl – nur das nicht – Nur das nicht. Ich flehe Dich an: Geh’ nicht zur Polizei! Der Papa wird ja zurückkommen, schreiben – depeschieren. Mein Gott, was soll ich nur sagen, damit das eine nicht geschieht –“ – Wieder das Wimmern der weinenden Frau, und dazu die durch den Teppich gedämpften Schritte des rastlos auf und ab gehenden Mannes. – Dann kam Anna Wieland langsam vom Kamin auf die Weinende zu und umfaßte sie liebevoll.

„Es ist doch zu deinem Besten, Mia, – begreifst du denn das nicht! – Dein Vater ist’s, um den wir uns Sorgen machen, ihn wollen wir Dir doch wiedergeben, den wir alle lieb haben. Und jeder Tag, jede Stunde der Verzögerung vergrößert nur unsere [5] Angst, kann dem Verschwundenen vielleicht auch Schaden bringen. Es muß ihm doch etwas Ernstliches zugestoßen sein, sonst hätte er uns nicht drei Tage ohne jede Nachricht gelassen.“ Und in dem sie die Schwägerin fest an sich zog, bat sie weiter: „Mia, schenke doch wenigstens Karl Vertrauen! Du mußt doch irgendeinen Grund dafür haben, daß Du die Hilfe der Behörden so – so ängstlich von Dir weißt! – Mia, sag’s doch wenigstens Deinem Mann allein, ich will mich ja nicht in Deine Geheimnisse eindrängen. Aber er, – was soll er nur von Dir denken –“

„Quält mich doch nicht – Hab doch Erbarmen!“ – Wie ein wilder Schrei klang’s durch das Zimmer. Maria Wieland war aufgesprungen und zu ihrem Mann hingeeilt. An seiner Brust weinte sie weiter. Und er strich ihr liebkosend über das volle Haar, flüsterte ihr leise, zärtlich etwas zu. Langsam beruhigte sie sich. Und der blonde Riese, der sie um Kopfeslänge überragte, führte sie jetzt behutsam zu dem Sessel zurück und sagte dann weich:

„Auch ich will nicht weiter in Dich dringen. Aber so lasse ich die Dinge nicht fort gehen. Ich werde mich an Dreßler wenden. Er wird raten. – Oder willst du auch das nicht, Liebling?“ – Sie nickte nur.

„Ich treffe ihn jetzt um die Mittagszeit sicher zu Hause an. Ob er mich aber sehr freundlich empfangen wird?!“ – Da sagte Anna Wieland in ihrer ruhigen, kühl überlegenen Weise:

„Dreßler ist nicht der Mann, der es uns verargt, daß wir ihn in den letzten Tagen vernachlässigt, ihn auch nicht ins Vertrauen gezogen haben. Er, der gute Menschenkenner, hat uns ja schon gestern sehr deutlich gesagt, daß uns irgend etwas ängstigen müsse, daß wir anders seien als sonst. Wenn Du jetzt zu ihm hingehst, Karl, wird er Dich empfangen wie immer. Auch ich meine, daß er der einzige ist, der uns helfen kann.“

Die junge Frau drückte wie in stummer Abbitte zärtlich die Hand ihres Mannes. Ermattet lag sie zusammengesunken [6] in dem tiefen Sessel. Und jetzt, wo Karl Wieland in dem hellen Tageslicht ihr verweintes Gesicht sah, schrak er beinahe zusammen, so sehr hatten die Sorgen der letzten Tage die frische Farbe aus den sonst so liebreizenden Zügen verdrängt. Um die dunklen Augen lagerten tiefe Schatten, und ein ungesundes Grau um den schöngezeichneten Mund ließ die kaum Vierundzwanzigjährige um ein Jahrzehnt gealtert erscheinen. Da beugte er sich über sie und drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn.

„Mut, Liebling! Dreßler ist ja auf allen Gebieten beschlagen, warum sollte er uns nicht auch in dieser Sache raten können!“

Der Privatgelehrte Dr. phil. Hans Dreßler bewohnte seit zwei Jahren Haustor Nr. 16 die erste Etage. – Erste Etage klingt recht großartig. Wer aber die schmalen Häuser da unten am Ende der Dämme kennt, weiß, daß die meisten Wohnungen dort nur aus zwei, höchstens drei mittelgroßen Zimmern bestehen. Dreßlers erste Etage bestand aus Küche, Nebengelaß, Entree und zwei Zimmern, gehörte also zu der bescheidensten Sorte jener Behausungen. Trotzdem fühlte sich der Besitzer dieser Räume in ihnen mehr als wohl. Allerdings in der letzten Zeit, seitdem sein Verkehr mit Wieland immer reger geworden war, wollte es ihn bisweilen doch nicht mehr so ganz in seinem Junggesellenheim gefallen. Oft genug hatte er es sich in einsamen Stunden ausgemalt, wie anders seine Häuslichkeit aussehen könnte, wenn – ja, wenn die blonde Anna Wieland als Hausfrau darin schalten würde. – Bei dem Gedanken war’s aber vorläufig geblieben. Denn dem Doktor, der sich mit seinen sechsunddreißig Jahren schon uralt vorkam, dünkte es beinahe ein Verbrechen, der kaum zwanzigjährigen Schwester des Freundes seine Zuneigung irgendwie zu zeigen. So war er denn jetzt schon ein langes Jahr bei Wielands ein- und ausgegangen, ohne daß er in seinen Zukunftsträumen über das erwähnte „Würde“ irgendwie hinausgekommen wäre. Und sicherlich mußte schon etwas Besonderes geschehen, [7] um Hans Dreßler aus der Rolle des guten Freundes, die er nur gezwungen spielte, in die eines aufrichtigen Liebhabers hineinzuzwingen. –

Des Doktors Studierzimmer lag nach der Straße zu und hatte zwei große Fenster, durch die dem Tageslicht freier Zutritt zu diesem mehr als merkwürdigen Raume gegeben war. Denn Dreßlers Studierzimmer war zugleich Laboratorium, Bibliothek und – Raritätenkabinett. Vor dem rechten Fenster stand ein langer Tisch, dessen einst weiße Platte jetzt von Säuren zerfressen und mit Brandflecken dicht bedeckt war. Auf diesem Tisch hatten Gestelle mit Gläsern und Flaschen in allen Größen und Formen ihren Platz neben blinkenden Destillierkolben und zwei großen Gaskochern. Die Gummischläuche der Gasleitung liefen darüber hin wie schmutziggraue Schlangen, und die freien Drahtenden der elektrischen Leitung lagen wie Schlingen zwischen diesem Durcheinander von Gläsern und sauber gehaltenen Apparaten, Mikroskopen, feinen Wagen und vielem anderen. Neben diesem Tische in einem mächtigen, rotgebeizten Schrank war Dreßlers Bibliothek untergebracht, besser gesagt diejenigen Bücher, die er notwendig brauchte. Denn der größere Teil seines papiernen Besitzes lagerte auf dem Boden in großen Kisten. In dem Schranke standen anscheinend in wirrem Durcheinander dünne Broschüren neben einer neuen Klassikerausgabe, dicke Lehrbücher der Chemie neben Büchern von dem Werte des „Seestern 1906“. Die andere Hälfte des Zimmers war sozusagen versuchsweise als Empfangszimmer herausstaffiert. An der Wand, dem Bücherschranke gegenüber, ragte ein Paneelsofa in die Luft, dessen Dimensionen sich in dem überfüllten Raum recht merkwürdig ausnahmen. Davor ein großer Tisch, bedeckt mit Zeitschriften und Zeichnungen, weiter zwei steiflehnige Sessel einer längst schlafengegangenen Mode. Und an den Wänden – ein Liebhaber exotischer Reiseerinnerungen hätte daran stundenlang besichtigen können! – auf Wandbrettern ausgestopfte Vögel, altchinesische [8] Rüstungen, Waffen, Felle, Schlangenhäute, dazwischen hin und wieder ein grinsender Totenschädel neben einem in Spiritus aufbewahrten Präparat. Kurz und gut, weniger stilgerecht hätte selbst ein von keinerlei Kultur angekränkelter Hottentotte seine Hütte kaum herauszuputzen können. Und dabei lagerte über dem Ganzen dieser eigenartige Geruch, der uns in jeder Apotheke entgegenschlägt, dieses Gemisch von den Ausströmungen von Säuren, Arzneien, hier nur noch vermengt mit dem süßlichen Duft von Zigaretten, deren Stummel überall umhergestreut waren.

Der Besitzer all dieser Herrlichkeiten war zurzeit nicht heimisch. Aber in dem Arbeitszimmer hantierte dafür ein anderes Wesen desto eifriger umher und versuchte auf der Hälfte „Empfangszimmer“ etwas Ordnung herzustellen. Es war ein kleines, unscheinbares Weiblein mit faltigem, gelbem Gesicht, das jetzt gerade unter häufigem zornigen Knurren die Zigarettenasche von dem etwas fadenscheinigen Teppich fegte. Das Alter dieses dienstbaren Geistes festzustellen, wäre eine Aufgabe für einen großen Menschenkenner gewesen. Das Gesicht war das einer Sechzigjährigen, und dazu paßte auch der runde Rücken und der recht spärliche, in ein dünnes Zöpfchen geflochtene Haarwuchs. Doch an den sechzig Jahren wurde man sofort wieder irre, wenn man die flinken Bewegungen und das emsige Schaffen des Weibleins beobachtete. Mit großer Schnelligkeit gelang es ihr, der linken Zimmerseite ein einigermaßen würdiges Aussehen zu geben. Die Bücher und Zeitschriften wurden eiligst zusammengerafft und auf einen freien Stuhl am Fenster gelegt. So war wenigstens der Sofatisch frei. Dann wandelte sich der „Empfangssalon“ in kürzester Zeit wie auf ein Zauberwort in ein Eßzimmer um: Den Sofatisch bedeckte ein schneeweißes Tischtuch, darauf lag ein Gedeck, standen Teller, eine Menage, eine angebrauchte Flasche Rotwein mit Glas, – alles zierlich verteilt und nett hergerichtet. Und während das Weiblein so mit Aufräumen beschäftigt war, mußte es recht häufig diese Arbeit unterbrechen [9] und in die Küche eilen, wo ein junges Huhn, mit Speckscheiben belegt, lustig im Schmortopf brodelte.

Als Dr. Dreßler pünktlich wie immer zwei Minuten vor eins in die Straße mit dem merkwürdigen Namen „Haustor“ einbog, nachdem er sich auf einem längeren Spaziergang durch den Steffenspark und die Große Allee von den Anstrengungen der Vormittagsarbeit erholt hatte, sah er schon von weitem vor seinem Hause den Inhaber des Parterre-Ladens stehen. Als er sich jetzt näherte, kam ihm Jakob Wenzel eilfertig entgegengetrippelt und, sein schwarzes Samtkäppchen ziehend, sagte er vertraulich:

„Morgen, Herr Doktor! – Jetzt hab’ ich sie!“ Und dabei blinzelten seine kleinen pfiffigen Äuglein in eitel Triumph. – Dreßler hatte ihm die Hand geschüttelt und fragte sofort:

„Wirklich?! – Dann zeigen Sie –“ Da unterbrach er sich. In der Ferne schlug eine Turmuhr hallend eins. Der Doktor schüttelte bedauernd den Kopf.

„Also nach Tisch komm’ ich sofort zu Ihnen herunter. Jetzt geht es nicht. Ich darf meine Kascha nicht warten lassen!“ – Und Jakob Wenzel kurz zunickend, verschwand er schnell in der Haustür.




2. Kapitel.

Zu Doktor Dreßlers etwas philisterhaften Gewohnheiten gehörte auch der tägliche Nachmittagsschlaf. Daß er heute, nachdem Kascha nur noch die traurigen Knochenreste des Brathuhnes hinausgetragen hatte, nicht sofort den in seinem Schlafzimmer stehenden Diwan aufsuchte, daran waren eigentlich Wielands schuld. Vormittags auf dem Spaziergang war er die Gedanken an die Familie seines Freundes nicht losgeworden. Gedanken, die sich um die seit Tagen im Wielandschen Hause deutlich bemerkbare allgemeine Verstimmung drehten. Und [10] wenn er auch auf dem Heimwege dann an anderes dachte, an seine neuesten chemischen Versuche und an den Auftrag, den er Jakob Wenzel gegeben hatte, so drängte sich die Sorge um das Wohlergehen der ihm so nahestehenden Menschen doch immer wieder in den Kreis seiner Betrachtungen ein. Und dasselbe teilnehmende Interesse hielt auch Dreßler jetzt nach Tisch in seinem Arbeitszimmer fest.

Er hatte es sich bequem gemacht, einen leichten Hausrock angezogen und die braunen Schnürschuhe mit leichten Morgenschuhen vertauscht. So ging er geräuschlos in dem mit so wenig Geschmack eingerichteten Raume auf und ab, qualmte dichte Wolken aus seiner Zigarette in die Luft und versuchte irgend eine Erklärung für diese merkwürdige Änderung in dem Verhalten seiner Bekannten herauszuklügeln – vergebens. Er fand auch nicht den geringsten Anhalt für irgend eine Vermutung. Schließlich warf er verdrossen den Zigarettenstummel in den nächsten Aschbecher und zündete mit einem Streichholz eine der auf dem Holztisch am Fenster stehenden offenen Gasflammen an. Aber selbst die Arbeit brachte ihm nicht die gewünschte Ablenkung. Denn während er jetzt ein Retortengläschen über der leise zischenden Flamme hin und her drehte und beobachtete, wie die grünen Kristalle langsam darin zerschmolzen, überlegte er nochmals die Vorfälle der letzten drei Tage. Man hatte ihm am Dienstag abend bei Wielands erzählt, daß der Vater der jungen Frau, Michael Durgassow, plötzlich nach Königsberg gereist sei, um einen Spezialisten seines Nierenleidens wegen zu konsultieren. Dieser Entschluß mußte dem alten Herrn doch sehr plötzlich gekommen sein, denn am Tage vorher hatte noch niemand von dieser Fahrt gesprochen. Und – eigentümlich, seit Dienstag, gerade seit Dienstag lagerte auch diese Verstimmung über dem Hause des Freundes. Zwar hatte man ihm gesagt, daß man sich lediglich um die Gesundheit des alten Herrn sorge. Aber er war ein zu feiner Beobachter, als daß ihm nicht Verschiedenes aufgefallen wäre, was ihn noch [11] stutziger machen mußte. So besonders die verweinten Augen der beiden Damen und ihr ängstliches Bemühen, seinen teilnehmenden Fragen auszuweichen.

Das schrille Anschlagen der Flurglocke unterbrach den Doktor in seinen Gedanken. Er stellte das Gläschen beiseite und ging selbst öffnen. Vor ihm stand Karl Wieland mit selten ernstem, sorgenvollem Gesicht. Nach kurzer Begrüßung nötigte Dreßler seinen Gast in einen der hohen, altmodischen Sessel.

„Du siehst nicht gut aus, Karl,“ meinte er teilnehmend. „Überarbeitet, wie –?“

Der blonde Riese schüttelte traurig den Kopf.

„Wenn’s das allein wäre!“ – Und, nach einer Pause: „Ich komme, um mir von Dir Rat zu holen, Dreßler, – Rat in einer sehr ernsten und – sehr sonderbaren Angelegenheit.“

Der Doktor zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.

„Du hast es ja selbst schon gemerkt,“ fuhr Wieland zögernd fort, „daß bei mir daheim nicht alles so ist wie es sein sollte, hast es uns ja auch gesagt, und wir – hm, verzeih schon, wir haben Dich da – mit einer Unwahrheit abgespeist, ja, mit einer Lüge, weil wir eben hofften, daß mein Schwiegervater inzwischen etwas von sich hören lassen würde.“

Dreßler zuckte die Schultern. „Ich verstehe Dich nicht, Karl – Du mußt Dich schon etwas klarer ausdrücken.“ Damit setzte er sich dem Freunde gegenüber in den anderen Sessel.

„Wir haben Dich, wie gesagt, grob belogen. Durgassow ist nicht nach Königsberg gefahren, sondern seit Dienstag – verschwunden!“ – Wieland hatte jetzt alle Verlegenheit abgestreift. Nur ein Gedanke beherrschte ihn:[1] Sein Geheimnis schnell los zu werden und dann von dem Freunde sich einen Rat zu erbitten.

Dreßler hatte sich in seinem Sessel mehr erstaunt als erschreckt aufgerichtet.

„Verschwunden? – Wie soll ich das verstehen?“

„Wörtlich, – leider wörtlich!“ meinte Wieland [12] traurig. „Verschwunden, ohne uns nur eine Zeile zurückzulassen, ohne uns in diesen drei Tagen irgend eine Nachricht über seinen neuen Aufenthaltsort zu geben. – Kannst du dir das erklären –?“

Er erhielt keine Antwort. Dreßler hatte wie mechanisch[2] der Schale eine frische Zigarette entnommen und sie ebenso mechanisch angezündet. Sein bartloses Gesicht hatte einen sehr nachdenklichen Ausdruck angenommen. Eine ganze Weile verging so. Man hörte nur das Ticken der Schwarzwälderuhr und das ferne Läuten einer elektrischen Straßenbahn.

Schließlich fragte Dreßler kurz: „Wo und wann hast du Durgassow zum letzten Mal gesehen?“

„Wir, das heißt Anna, meine Frau und ich, waren Dienstag abend in dem Hubermann’schen Konzert. Der Papa hatte sich uns nicht anschließen wollen. Er sagte, er fühle sich etwas matt und wolle daher ausruhen. Wir gingen auch noch in seine Wohnung hinauf und verabschiedeten uns von ihm. Nach dem Konzert besuchten wir für kurze Zeit den Ratskeller und kamen gegen zwölf nach Hause. Als unser Stubenmädchen dann meinem Schwiegervater wie immer am nächsten Morgen um neun Uhr den Kaffee brachte, klopfte sie vergeblich, und –“

„Schon gut. Verzeih’, daß ich Dich unterbreche, lieber Freund. Aber wir kommen schneller zum Ziel, wenn ich Dich jetzt das mir wichtig Erscheinende abfrage. Hier – bitte bediene Dich zunächst –“ Damit hielt er seinem Gaste die Zigarettenschale hin. Als Wieland ablehnen wollte, sagte Dreßler ruhig:

„Rauche nur – es ist besser so! Man regt sich weniger auf, wenn die glimmende Zigarette etwas von den Gedanken für sich beansprucht. – So – und nun zur Sache. – Also seit drei Tagen kein Brief, keine sonstige Nachricht; ebensowenig wißt Ihr etwas von irgendwelchen Reiseplänen Durgassows?“

Wieland nickte nur. – Auch die weiteren Fragen des Freundes konnte er meist nur mit kurzem Ja oder Nein beantworten. – Das, was Dreßler auf diese Weise über das rätselhafte und plötzliche Verschwinden [13] des alten Herrn feststellen konnte, war wenig genug. Zwar äußerte sich Wieland dahin, es sei ihm seit längerer Zeit so vorgekommen, als ob Durgassow irgend eine geheime Sorge bedrücke. Aber selbst dieser geringe Fingerzeig genügte in keiner Weise, um daran anknüpfend mit irgendwelchen Nachforschungen beginnen zu können. Michael Durgassow war seit Dienstag abend, – das war als feststehend anzunehmen, – ohne irgend eine Spur zu hinterlassen, verschwunden, hatte in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch sein Bett nicht mehr benutzt und nicht einmal beim Verlassen seiner Wohnung die in das Treppenhaus führende Tür verschlossen. In seiner Wohnung fehlte nichts, woraus man auf eine plötzliche Abreise hätte schließen können, – kein Koffer, keine Handtasche. Der alte Herr war, bekleidet mit einem dunklen Jackettanzug, ebensolchem Paletot und schwarzem, weichen Filzhut, davongegangen. Wann er am Dienstag abend oder in der Nacht das Haus verlassen hatte, konnte bisher nicht ermittelt werden.

„Ihr habt doch hoffentlich in Durgassows Wohnung nichts geändert, nicht etwa ausfegen lassen?“ fragte Dreßler jetzt, nachdem er nachdenklich eine ganze Weile vor sich hingestarrt hatte.

„Nein – es ist alles so geblieben. Nichts ist angerührt worden. Ich habe die Zimmer abgeschlossen und die Schlüssel hat Maria an sich genommen.“

„Die Schlüssel –?“

„Ja, wir haben noch einen zweiten Schlüssel von seiner Wohnung, falls die Mädchen in seiner Abwesenheit aufräumen wollten.“

„So. Ja, richtig. Eure Dienstboten! Sie glauben also, daß Durgassow plötzlich verreist ist?“

„Sicherlich. Wir haben uns in ihrer Gegenwart stets zusammengenommen und uns unsere Befürchtungen nicht anmerken lassen. Sie werden denken, daß mein Schwiegervater in Königsberg bei einem Arzte weilt und unsere Unruhe für die Sorge um seinen Gesundheitszustand halten –“

„Was sie denken, ist schließlich gleichgültig. Denn [14] über kurz oder lang müssen sie ja doch die Wahrheit erfahren. Wenn Euch erst die Polizei ins Haus kommt, dann –“ Dreßler unterbrach sich, da Wieland abwehrend die Hand erhoben hatte und jetzt hastig hervorstieß:

„Das darf nicht geschehen, muß eben vermieden werden! Die Polizei muß aus dem Spiel bleiben!“ – Als er des Doktors erstaunten Blick fühlte, sprach er schnell weiter:

„Hans, Du bist mein einziger, mein bester Freund! Sieh – ich habe Dir ja noch nicht alles erzählt, Dir gerade das verschwiegen, was mich am meisten beunruhigt. Maria hat – irgendwelche Heimlichkeiten vor mir! Ja – sieh mich nicht so zweifelnd an. Es ist wirklich so. Denn als ich gestern nach dem Polizeipräsidium gehen und die Hilfe der Behörde in Anspruch nehmen wollte, da hat sie mich beinahe fußfällig gebeten, es nicht zu tun. Und heute, als ich mittags heimkam, wiederholten sich dieselben Szenen. Was ich davon denken soll, was die unerklärliche Scheu vor der Polizei bedeutet – ich finde keine Lösung dafür. Und sie, meine Frau, schweigt! Durch keine Mittel, weder im Guten noch im Bösen ist sie zum Reden zu bringen. Sie sagt nur immer: „Quält mich doch nicht so, habt Erbarmen mit mir!““

Dreßlers Gesicht war während dieser sich überstürzenden Sätze merkwürdig steinern geworden. Jetzt stand er auf und meinte in seiner ruhigen Art: „Auch das wird sich aufklären. Aber nun zuerst ein offenes Wort: Auch Du bringst dieses merkwürdige Verhalten deiner Frau mit dem Verschwinden ihres Vaters irgendwie in Verbindung, nicht wahr?“

Wieland bejahte seufzend: „Erst hielt ich es nur für eine Laune,“ meinte er ehrlich. „Seit heute mittag bin ich aber doch anderer Ansicht geworden. Ich fürchte – ja, Hans, fürchte jetzt fast, daß Maria mehr von Durgassows Verschwinden weiß, als sie zugeben will. Bin ich unter diesen Umständen nicht wirklich zu bedauern?! Alles hätte ich ja ertragen, nur nicht diese Entfremdung zwischen Maria und mir. [15] Und die besteht jetzt schon, so sehr wir uns auch Mühe geben, die traurige Tatsache voreinander zu verheimlichen.“

Dreßler schüttelte leicht den Kopf.

„Über all diese Dinge kann ich unmöglich schon jetzt ein Urteil abgeben. Ich werde jetzt mit Dir gehen und erst einmal die Zimmer Deines Schwiegervaters besichtigen. Vielleicht finde ich irgend eine Spur. Und nun entschuldige mich einen Moment; ich will mich nur zum Ausgehen fertig machen.“ –

Dr. Hans Dreßler war nicht nur ein Menschenkenner, sondern auch, – wenn’s darauf ankam, ein sehr guter Schauspieler. Eine Probe seines Könnens hatte er soeben abgelegt. Er hatte über Frau Marias eigenartiges Verhalten bereits seine besonderen Gedanken. Und nur um dem Freund die Seelenruhe nicht zu rauben, hatte er ihn mit allgemeinen Redensarten abgespeist. Er kannte die Frau seines Freundes, wußte, daß sie trotz der mädchenhaften Weichheit ihres Charakters eine große Selbstbeherrschung und viel weibliche Klugheit besaß. Und als er sich jetzt langsam den Paletot anzog, überkam ihn ein sonderbar unbehagliches Gefühl. Es war ihm, als ob ihn eine innere Stimme warnte: „Mische Dich nicht in diese Angelegenheit, laß die Dinge ihren Lauf gehen!“ – Aber dann schämte er sich dieser kleinmütigen Regung, ergriff schnell seinen Hut und ging in das Arbeitszimmer hinüber, wo Wieland auf ihn wartete.




3. Kapitel.

Wielands bewohnten die erste Etage eines der hohen, am Kassubischen Markt gelegenen Häuser der alten Handelsstadt Danzig. Damals, als der blonde Ingenieur sich ernstlich um die Hand der schönen Maria Durgassow zu bewerben begann, war sein erstes gewesen, seine Schwester, mit der er seit dem Tode der Eltern zusammenlebte, seiner Herzensauserwählten [16] vorzustellen. Und zu seiner Freude hatte er bald gemerkt, daß die beiden im Alter nur wenig verschiedenen Mädchen sich schnell zu einander hingezogen fühlten. Und die ruhige, geistvolle Anna Wieland hatte dann später an der temperamentvollen Schwägerin wirklich eine gute Freundin gefunden. Nie war es in den vier Jahren der Wieland’schen Ehe zu irgendwelchen Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Frauen gekommen.

Die blonde Anna, die im Gegensatz zu ihrem Bruder eine schnell entschlossene Natur war, bewohnte von den acht Zimmern der Etage zwei, deren eines sie sich als Atelier eingerichtet hatte. Sie verfügte über ein nicht unbedeutendes Talent, und ihre Bilder waren oft genug in den Schaufenstern der größeren Kunsthandlungen Danzigs ausgehängt und wurden auch – was mehr wert war – in der Presse anerkennend besprochen und die Hauptsache! – viel gekauft. Jedenfalls konnte sie mit Hilfe dieses künstlerischen Nebenerwerbes ein ganz behagliches Leben führen, zumal sie außerdem noch ein kleines Vermögen von ihren Eltern her besaß.

In der zweiten Etage desselben Hauses hatte der Vater der jungen Frau von einem kinderlosen Ehepaar die beiden Vorderzimmer gemietet. Hier hauste Michael Durgassow inmitten einer großen Bibliothek und einer Menge alter, vergilbter Handschriften, die er mit großem Eifer sammelte, – gleichgültig, in welcher Sprache sie abgefaßt waren. Der alte Herr hatte es mit seinem Zartgefühl verstanden, sich seinen Kindern immer nur zeitweise zu widmen, ohne ihnen je zur Last zu fallen. Seine Mahlzeiten nahm er meist außer dem Hause ein. Nur den Morgen- und den Nachmittagskaffee schickte ihm seine Tochter durch das Stubenmädchen täglich nach oben. – Durgassow war ein Mann von einer alles umfassenden Bildung. Nicht nur daß er fünf Sprachen völlig beherrschte, auch auf den Gebieten der Technik und Literatur zeigte er sich äußerst bewandert. Außerdem [17] gestattete ihm sein großes Vermögen, ganz seinen gelehrten Liebhabereien nachzugehen.

In dieses wirklich in jeder Weise harmonische Zusammenleben der vier in demselben Hause vereinten Menschen brachte das plötzliche Verschwinden Michael Durgassows die erste Störung hinein. Und Dr. Dreßler war’s, der hier jetzt raten und helfen sollte. – Nachdem die beiden Freunde des Doktors Haus verlassen hatten, war zwischen ihnen weiter kein Wort gewechselt worden. Schweigend schritten sie durch die Straßen, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. –

Dreßler begrüßte die beiden Damen nur kurz und bat sich sofort den Schlüssel zu der Wohnung Durgassows aus. Langsam stieg er die Treppe empor. Begleitung hatte er sich verbeten. Als er die Flurtür aufgeschloßen und das Arbeitszimmer betreten hatte, schlug ihm eine dumpfe Luft entgegen. Mit großer Gewissenhaftigkeit begann er dann die Untersuchung der beiden Räume. Nichts blieb unberührt, nichts entging seinen forschenden Blicken. Besonders lange hielt ihn der große Diplomatenschreibtisch auf, über dessen Platte Zeitungen und Papiere ausgestreut lagen. – Nach ungefähr einer Stunde schien es in den beiden Zimmern für ihn nichts Interessantes mehr zu geben. Er schloß die Wohnung wieder ab und ging zu Wielands hinunter. Um seine Lippen spielte dabei ein triumphierendes Lächeln.

In dem Arbeitszimmer des Hausherrn saßen sich dann die beiden Freunde gegenüber. Dreßler hatte die Damen sehr höflich, aber auch sehr bestimmt gebeten, sie vorerst allein zu lassen, da es noch manches zu besprechen gäbe, was für Frauenohren nicht geeignet wäre.

„Du hast also nichts gefunden, daß die Angelegenheit auch nur etwas klärt?“ fragte Wieland jetzt enttäuscht.

„Nichts ist zuviel gesagt. Ich meinte nur, daß ich keine direkte Spur entdeckt habe, die zu dem Verschwundenen hinweist. Ich habe dafür aber etwas anderes [18] beobachtet.“ – Er zauderte unschlüssig und warf einen besorgten Blick auf den Ingenieur, der nervös auf seinem Stuhl hin und her rückte.

„Und das ist? – So spricht doch, spann mich nicht so auf die Folter!“ fuhr Wieland leicht gereizten Tones auf.

„Ja, Karl, ich glaube jetzt auch, daß Deine Frau Dir gegenüber nicht ganz aufrichtig ist.“

„Hast du Beweise dafür?“

„Ja! – Du hattest mir doch gesagt, daß oben in Durgassows Zimmern alles so geblieben ist, wie Ihr es am Dienstag morgen vorgefunden habt. Das kann aber nicht sein, da zweifellos vor ganz kurzer Zeit von dem Schreibtisch Deines Schwiegervaters zwei Papiere fortgenommen sind.“

„Verzeih’ schon, kannst Du Dich da nicht täuschen? Wie willst Du außerdem mit so großer Sicherheit behaupten, daß es gerade zwei Papiere gewesen sind, weiter, daß sie überhaupt dort vorher gelegen haben?“

„Das sind viele Fragen auf einmal, lieber Freund. Ich könnte Dir die Antwort leicht geben. Aber, – eine andere Frage vorher: Hast du den Schlüssel zu Deines Schwiegervaters Wohnung stets bei Dir getragen?“

„Nein! Wie Du ja selbst gesehen hast, gab ihn Maria mir, die ihn an sich genommen hatte.“

„So – so! Ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meiner Vermutung. – Jedenfalls wird sich’s bald zeigen, daß ich in allen Punkten recht habe. Ich werde in Deiner Gegenwart jetzt im Laufe des Gesprächs an Deine Frau eine diesbezügliche Frage richten, und dann kannst Du ja selbst sehen, ob sie dabei völlig harmlos bleibt. Beobachte sie scharf, aber unauffällig!“

Wieland war aufgesprungen und rang verzweifelt die Hände.

„Hans, darüber komme ich nie hinweg, nie! Maria hat also wirklich Heimlichkeiten vor mir!

Das fasse ich nicht, begreife ich nicht!“

„Ruhe, Karl, Ruhe! Noch wissen wir ja nicht, [19] welche Gründe Marias Verhalten derart beeinflußt haben.“

„Ruhe! – Du verlangst Unmögliches. Bei allem ruhig zu bleiben, dazu gehören Nerven wie Taue so stark! Und die habe ich nie gehabt. Wenn ich bedenke, was alles in diesen drei Tagen auf mich eingestürmt ist, – Sorgen, Zweifel, Befürchtungen! – Und kein Ende abzusehen – im Gegenteil! Vielleicht habe ich das Schlimmste sogar noch vor mir!“

„Kein Ende, meinst Du?“ sagte Dreßler ärgerlich. „Allerdings kein Ende, wenn Du Dich nicht zusammennimmst und Dein Geschick nicht wie ein Mann trägst! Ich denke, daß gerade diese Zweifel an der Aufrichtigkeit Deiner Frau Dich fähig machen müßten, mit Überlegung jedes Für und Wider abzuwägen. Wenn Du aber in dieser Weise fortfährst, dein Unglück nutzlos zu bejammern, so schädigst Du Dich selbst dadurch am allermeisten. Nimm mir dieses offene Wort nicht übel. Aber ich habe unter Freundschaft auch stets gegenseitige Ehrlichkeit verstanden!“

Der blonde Hüne war am Fenster stehen geblieben, und Dreßler glaubte zu bemerken, wie jetzt ein Zittern durch Wielands gewaltigen Körper ging. Da trat er neben ihn und legte ihm begütigend die Hand auf die Schulter.

„Vielleicht war ich eben zu schroff, Karl.“

„Laß nur!“ kam’s gepreßt heraus. „Du wirst schon Recht haben mit Deiner Ehrlichkeit. Ich habe falsch gehandelt in dieser Sache. Wäre ich sofort zu Dir gekommen, – sofort, nachdem uns die Abwesenheit Durgassows zu ängstigen begann, dann – dann –“

„Dann wäre vielleicht manches anders geworden,“ fügte Dreßler hinzu. „Aber diese Enttäuschungen währen Dir wohl doch nicht erspart geblieben. – Doch genug davon. Die Hauptsache ist, daß wir beide jetzt fest zusammenhalten, daß Du mir fernerhin ohne Scheu alles anvertraust und mir jede, auch die kleinste Beobachtung wiedererzählst. Denn, – ich weiß nicht, wie ich dieses Feinempfinden eigentlich bezeichnen soll, [20] – so ein gewisses Ahnungsvermögen sagt mir, daß, wenn Deine Frau sprechen wollte oder – dürfte, ich sehr bald herausbekäme, wohin Dein Schwiegervater sich gewandt hat. Doch, um nun endlich weiterzukommen, würdest Du mir ganz kurz einmal erzählen, wie und unter welchen Umständen du Durgassow hier kennen lerntest, weiter auch, was Du von seiner Vergangenheit weißt.“ – Wieland hatte sich inzwischen wieder in den Sessel gesetzt und begann nun das wenige in seiner Erinnerung aufzufrischen, was ihm von dem früheren Leben seines Schwiegervaters bekannt war. Indessen stand Dreßler am Fenster und schaute bald auf die Straße hinab, bald wandte er sich wieder an den Freund, um dessen Erzählung mit einer Frage zu unterbrechen. Als Wieland schwieg, da seine Erinnerungen erschöpft waren, meinte der Doktor kopfschüttelnd: „Also auch hier keine Handhabe! Ich hatte gehofft, daß Durgassows Vergangenheit irgend ein interessantes, auffälliges Begebnis enthalten würde, das uns vielleicht auf eine Spur hinweisen könnte. Aber diese alltägliche Lebensgeschichte!“ Dreßler zuckte die Achseln und zog dann sein Notizbuche hervor, um einige Zeilen hineinzuschreiben.

Wenn er soeben dem Freunde mit so gleichgültiger Miene gesagt hatte, daß ihm in Durgassows Lebensgeschichte nichts aufgefallen sei, so war’s die Unwahrheit gewesen. Dreßlers Gedanken arbeiteten jetzt mit einer wunderbaren Schnelligkeit und Genauigkeit, die die wirrste Aufeinanderfolge von Tatsachen und bedeutungslosen Erscheinungen schnell in einen bestimmten Rahmen zu bringen und logisch zu ordnen wußte. – Eine Weile herrschte in dem elegant möblierten Zimmer ein bedrückendes Schweigen. Plötzlich rief der Doktor mit merkwürdiger Erregung:

„Komm’ schnell einmal her. Kennst du den Mann, der dort in der Haustür steht, den da mit dem grauen Pelerinenmantel?“

Wieland war neben den Freund an das Fenster getreten. „Nein, - ich kenne ihn nicht. Weshalb [21] interessiert er Dich? Ich habe ihn bisher nie gesehen.“

„Merkwürdig, – also ein Unbekannter, der für die Fenster Deines Schwiegervaters Interesse hat! Denn schon vorhin, als ich oben in Durgassows Zimmer war, habe ich den Mann beobachtet. Er starrte wie jetzt, allerdings möglichst unauffällig, zu den Fenstern empor. Schade nur, daß ich hier augenblicklich nicht fort kann, sonst möchte ich mir den Burschen schon einmal genauer ansehen. – Und nun, Wieland, rufe, bitte, Deine Frau.“ –

„Sie besinnen sich also genau, daß seit Mittwoch niemand anders als Sie und Wieland die Zimmer Ihres Vaters betreten hat,“ fragte Dreßler Frau Maria im Laufe des nun folgenden Gespräches.

„Ausgeschlossen, lieber Doktor,“ meinte sie treuherzig. „Ich hatte ja die Schlüssel stets bei mir!“

„Und wann sind Sie allein zum letzten Mal oben gewesen?“ Er betonte das „allein“ kaum merklich.

Ohne Scheu antwortete sie schnell: „Ich? Heute vormittag! Als Karl Sie holen ging, war ich in Papas Zimmern, um die Fenster zu öffnen und frische Luft einzulassen.“

„Und haben Sie oben nichts anderes getan, liebe Freundin, – ich meine, nichts berührt, verschoben?“ Dreßler schien der Antwort nicht viel Bedeutung beizulegen, denn er schaute gleichgültig zu der gemalten Zimmerdecke empor.

„Nichts angerührt habe ich, – nichts,“ erklang die Antwort merkwürdig hastig. „Es sollte doch auch alles liegen bleiben, weil –“

„Ja – sollte!“ sagte Dreßler, als ob er für sich spräche. Und dann sah er Frau Maria fest in das schöne Gesicht und fuhr fort:

„Schade – schade!“ Dabei schüttelte er wie bedauernd den Kopf.

„Warum sagen Sie schade, lieber Freund?“ In dieser Frage lag’s aber wie aufsteigendes Mißtrauen. – Des Doktors Augen ließen nicht von der Frau ab.

„Ich meinte das nur in Bezug auf meine bisher so gut wie ergebnislosen Bemühungen. – Doch, Frau [22] Maria, gestatten Sie jetzt, daß ich Sie um einen kleinen Dienst bitte. Würden Sie mir wohl –“ – Hier wurde Dreßler durch ein Klopfen unterbrochen. Das Stubenmädchen kam und meldete, daß ein Geschäftsfreund Herrn Wieland zu sprechen wünsche. – Als Wieland das Zimmer verlassen hatte, trat Dreßler schnell dicht an die im Sessel Sitzende heran.

„Frau Maria,“ sagte er leise, „würden Sie mir jetzt wohl einiges aus der Lebensgeschichte Ihres Vaters erzählen, was Ihr Gatte nicht weiß und nie erfahren wird, wenn ich’s so einrichten kann.“

Sie schaute zu ihm auf, versuchte in ihre Züge den Ausdruck des Erstaunens zu legen. Und doch, – hilflose Angst sprach aus ihren Augen, und um ihre Lippen zuckte es wie von verhaltenen Tränen.

„Frau Maria,“ bat Dreßler wieder so eindringlich. „Sie wissen mehr von der Vergangenheit Ihres Vaters, als Sie vorgeben. Ihr Vater,“ seine Stimme sank zum Flüstern herab, „Ihr Vater ist vor seinen Feinden geflohen, vor Feinden, deren Haß er sich in früheren Jahren zugezogen hat, – in einer Zeit, wo er nicht so – ruhig und harmlos lebte, wie er’s hier in Danzig tat.“

Maria Wieland hatte sich erst halb aufgerichtet und sank dann wieder wie haltlos zusammen, während ihre entsetzten Augen Dreßler folgten, der langsam einen Schritt zurückgetreten war und jetzt leicht an den Schreibtisch gelehnt vor ihr stand. Eine geisterhafte Blässe lag auf ihrem feinen Gesicht. Und stockend nur kam’s über ihre Lippen:

„Sie wissen?“

Dreßler nickte nur. – Frau Maria bedeckte ihr Antlitz mit beiden Händen. Unter ihren schlanken Fingern drang jetzt ein qualvolles Stöhnen hervor. Aber der, der sie unausgesetzt beobachtete, schien mitleidslos.

„Wollen Sie mir nicht auch das geben, was Sie von der Schreibtischplatte in dem Arbeitszimmer Ihres Vaters fortgenommen haben, um es – mir vorzuenthalten,“ sagte er langsam. – Da schien’s, als [23] ob die junge Frau ihre ganze Energie zusammennahm. Ihre Hände sanken herab, sie erhob sich schnell und trat auf Dreßler zu.

„Ich habe nichts fortgenommen – nichts!“ Wie ein Zischen klangen diese Worte, die eine mühsam verhaltene Wut hervorzudrängen schien. „Nichts – Verstehen Sie mich, Herr Doktor! Und was Sie da eben von der Vergangenheit meines armen Vaters faselten, das – das ist alles Unsinn – Unsinn!“

Die Worte überstürzten sich förmlich. Dann ging Maria Wieland schnell zur Tür. Hier wandte sie sich nochmals um und, wie der Eingebung des Augenblicks folgend, rief sie Dreßler zu:

„Ich will nicht, daß Sie sich in unsere Angelegenheiten mischen, will es nicht!“

Die Tür fiel hinter ihr ins Schloß. Dreßler war allein. Wie betäubt stand er eine ganze Weile regungslos da. – Was war das soeben gewesen? Hatte er recht gehört, gesehen? War in diese Frau plötzlich ein anderer Geist gefahren? Und warum das alles, warum? – Er begann gedankenvoll auf dem dicken Teppich hin und her zu gehen. – Wer war diese Frau, die ihm jetzt in Feindschaft gegenübertrat, jetzt, wo er an den Schleiern rühren wollte, nein, mußte, die ihre Vergangenheit verhüllten?

Und wieder überkam Dreßler dieses unbestimmte Gefühl, diese Vorahnung, die uns so oft vor Unangenehmem zu warnen scheint. Was hatte er im Grunde genommen davon, wenn er diesen Rätseln weiter nachspürte? Darüber konnte er ja nicht im Zweifel sein, weswegen Frau Maria ihm soeben mit diesem offenbaren Haß begegnet war. Sie fürchtete ihn eben als einen Menschen, dem sie die Fähigkeit zutraute, ihr ein gefährliches Geheimnis entreißen zu können. Und um ein solches mußte es sich hier handeln, mußte! Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß die bisher so harmlos fröhliche, lebenslustige Maria sich so urplötzlich derart in ihrem ganzen Sichgeben verändern konnte! Ja, war es nicht wirklich für ihn das beste, die weitere Entwicklung der Dinge als Unbeteiligter [24] zu beobachten und sich nicht der Gefahr auszusetzen, bei dieser Gelegenheit vielleicht auch noch den Freund, der sich nur zu leicht von seiner Gattin beeinflussen ließ, zu verlieren?

Minutenlang erwog Dreßler diese Möglichkeiten, all diese Für und Wider, ohne mit sich ins reine zu kommen. Und als Wieland und Maria jetzt das Zimmer wieder betraten, war er noch immer unschlüssig. Was ihn dann erst zu einem festen Entschluß kommen ließ, war das mehr als sonderbare Verhalten der Frau seines besten Freundes, denn Maria, die sich kurz vorher mit einem beinahe haßerfüllten Blick jede weitere Einmischung von seiner Seite verbeten hatte, sagte jetzt mit einer Stimme, die so bittend und weich klang:

„Verzeihen Sie mir, lieber Freund, daß ich vorhin etwas erregt war. Entschuldigen Sie meine Heftigkeit mit meiner nervösen Überreiztheit, bitte, bitte!“ Sie streckte ihm dabei ihre schmale, weiße Hand hin. Aber er durchschaute die Komödie, und ein Blick traf sie, der ihr seine Meinung deutlicher sagte als eine lange Aussprache. Trotzdem war er klug genug, einige höfliche Redensarten zu machen, die zu nichts verpflichteten. Gleich darauf verabschiedete er sich dann unter dem Vorgeben, er wolle ungesäumt die Aufklärung der rätselhaften Angelegenheit in die Hand nehmen. Man möge vorerst jedoch nicht fragen, was er vorhabe. Er würde schon, wenn es Zeit dazu wäre, sprechen. Und als ihn Dreßler an der Flurtür beim Abschied hastig daran erinnerte, daß er doch Maria noch, wie verabredet, habe auf die Probe stellen wollen, erwiderte er nur zweideutig:

„Das hat sich von selbst erledigt, Karl. Ich bin nach reiflichem Nachdenken zu einem anderen Resultat gekommen. Warte ab. Vielleicht kann ich Dir schon morgen Genaueres sagen. Auf Wiedersehen also!“ –

Als Dreßler das Wielandschen Haus verlassen hatte, blieb er wie absichtslos vor der Haustür stehen, zog sein silbernes Zigarettenetui hervor und zündete [25] sich umständlich eine Zigarette an. Dabei schaute er jedoch die Straße nach beiden Seiten hinunter. Aber von dem Manne in dem grauen Pelerinenmantel, der sich so lebhaft für die Fenster der Wohnung Durgassows interessiert hatte, war nichts mehr zu sehen. Doch Dreßler, dessen Argwohn der Unbekannte in hohem Maße erregt hatte, gab das Umherspähen nicht so schnell auf. Langsam ging er bis zur nächsten Ecke und bog in die Querstraße ein, um aber schon nach wenigen Schritten kehrtzumachen. Da erblickte er auch wieder den Grauen, der sich bis jetzt fraglos in einem Hausflur verborgen gehalten hatte.

Dreßler ging jetzt, ohne ihn irgendwie zu beachten, vorüber. Er mußte herausbekommen, ob dieser wildfremde Mensch vielleicht irgend ein Interesse an seiner Person nahm. Tat er dies, so konnte Dreßler daraus leicht weitere Schlüsse ziehen. In gemächlichem Schritt setzte der Doktor seinen Weg fort, passierte wieder den Kassubischen Markt und ging dann weiter durch die Töpfergasse nach dem Holzmarkt zu. Der in dem grauen Pelerinenmantel blieb getreulich hinter ihm, wie er bald vorsichtig feststellte. Da huschte ein leises Lächeln über sein frisches Gesicht. Und triumphierend konnte er sich eingestehen, daß er sich in seiner ersten Vermutung nicht geirrt hatte. Dieser Fremde stand vielleicht in irgend einem Zusammenhange zu dem rätselhaften Verschwinden Durgassows. Ohne Absicht hatte der Mann sicher nicht so unermüdlich diese heimlich spähenden Blicke zu den Fenstern des alten Herrn emporgeschickt. Nun hieß es nur, die Spur des Unbekannten nicht verlieren.

Dreßler war schnell mit seinem Plane fertig. Als er in die Hauptverkehrsstraße, die Langgasse, gekommen war, trat er in ein Papiergeschäft und ließ sich verschiedene Sorten Schreibpapier vorlegen. Er entschied sich für einen Karton Büttenpapier. Dann fragte er, ob er das Telephon für einen Augenblick benutzen könnte, und wenige Minuten darauf wußte Jakob Wenzel, der kleine Antiquitätenhändler, dessen [26] Laden unter Nr. 1224 an dem Fernsprecher angeschlossen war, genau Bescheid. Hierauf nahm Dreßler den sauber eingewickelten Karton unter den Arm und verließ mit freundlichem Gruß das Geschäft.

Eine halbe Stunde später – Dreßler war während dieser Zeit anscheinend ziellos durch die Straßen gebummelt – begegnete er in der Langgasse auf der linken, weniger belebten Seite Jakob Wenzel, seinem Hausgenossen. Aber dieser schien plötzlich von einer Bekanntschaft mit dem Doktor nichts wissen zu wollen. Ohne zu grüßen, schritt er vorüber, machte dann aber bald Kehrt und folgte Dreßler in einiger Entfernung. Dabei musterte er mit seinen kleinen, schlauen Äuglein vorsichtig die vor ihm Hergehenden. Und schnell hatte er auch den Gesuchten gefunden. Kaum zwei Schritte vor ihm ging jetzt ein Mann in einem grauen Pelerinenmantel, der einen schwarzen, weichen Filzhut tief in die Stirn gedrückt hatte.

Jakob Wenzel nickte befriedigt. Er verlangsamte seine Schritte noch mehr, so daß sich die drei, der Doktor, der Graue und der kleine Händler, jetzt in einiger Entfernung folgten. Aber dieses interessante Spiel sollte bald ein Ende finden. Denn Dreßler betrat jetzt das auf dem Langen Markt gelegene Cafee Hohenzollern. Geduldig faßte der Graue davor Posten und wartete. Jakob Wenzel aber stand drüben hinter der Reihe der Taxameter, wartete auch und grinste so schadenfroh. Eine halbe Stunde verging. Ersterer ging in das Restaurant, erfuhr hier aber auf seine in etwas gebrochenem Deutsch gestellte Frage, daß der von ihm beschriebene Herr bereits vor reichlich zehn Minuten durch den anderen Ausgang nach der Hundegasse zu das Lokal verlassen habe. Mißmutig machte sich der Graue wieder davon. Er ahnte nicht, daß der vorsichtige Antiquitätenhändler ihm geduldig auf den Fersen blieb.




[27]
4. Kapitel.

Dreßler war, nachdem er sich seines Verfolgers in geschickter Weise entledigt hatte, nach Hause gegangen. Als er hier kaum seine Entreetür aufgeschlossen hatte, kam auch schon Kascha eilfertig aus der Küche herbeigetrippelt und raunte ihm leise zu:

„Herr Doktor, ist sich eine Dame da. Sie wartet in Studierstube.“

„Eine Dame?“ fragte Dreßler erstaunt, aber ebenso leise.

„Ja – Dame. Ist die gnädige Frau Wieland, Herr Doktor!“

Das hatte Dreßler allerdings nicht erwartet. Mit kühler Höflichkeit begrüßte er sodann Maria, die ihm mit verlegenem Gesicht entgegentrat. Als sie Platz genommen hatte, fragte er ganz unvermittelt mit rücksichtsloser Offenheit, indem er sie dabei scharf fixierte:

„Sie wollen mir jetzt das ausliefern, was Sie mir heute nachmittag vorenthalten haben, nicht wahr?“

Der hilflose Zug in dem Gesicht der schönen Frau trat jetzt noch mehr hervor. Und während Tränen ihr in die Augen stiegen, flehte sie leise:

„Haben Sie doch Erbarmen mit mir!“

Dreßler war aufgestanden und, dicht an sie herantretend, sagte er etwas freundlicher:

„Beruhigen Sie sich, liebe Freundin. Ich werde Ihnen helfen. Nur Vertrauen müssen Sie zu mir haben, volles Vertrauen! Ich kenne Sie ja lange genug, um hoffen zu können, daß keine – verwerflichen Motive Sie zu dieser Geheimniskrämerei verleitet haben. Und jetzt geben Sie mir bitte die volle Wahrheit ohne jede Einschränkung, teilen mir auf meine Fragen alles mit, was Sie wissen und vielleicht in letzter Zeit beobachtet haben.“

Marias Tränen versiegten langsam. Ihr Widerstand war völlig gebrochen.

[28] „Ich werde antworten, fragen Sie!“ sagte sie einfach.

Dreßler zog jetzt ein zusammengelegtes Zeitungsblatt aus der Tasche und reichte es ihr wortlos hin, indem er mit dem Finger auf eine mit Rotstift umränderte Stelle zeigte.

Maria las, las nochmals. Endlich schaute sie fragend auf. „Was soll das?“ meinte sie zögernd, wobei sie aber eine leichte Unruhe nicht unterdrücken konnte.

„Diese Zeitung fand ich, die rotumstrichene Stelle offenbar absichtlich nach oben gelegt, auf dem Schreibtisch Ihres Vaters, halb verdeckt unter anderen Blättern und Papieren. Verstehen Sie nun?“

Maria Wieland dachte einen Augenblick nach.

„Sie meinen, dies hier soll eine Nachricht für mich sein, nicht wahr?“ meinte sie dann.

„Ja, es ist eine Nachricht für Sie, liebe Freundin, darüber besteht meines Erachtens kein Zweifel mehr. Nur Sie sollten sie lesen und – verstehen! – Die Zeilen, die so sorgfältig mit Rotstift umstrichen sind und lauten: „Schon viele Minister tauchten in der Versenkung unter, weil sie einer bestimmten politischen Gruppe unbequem wären,“ – diese Zeilen sollten Ihnen sagen, daß Ihr Vater vor irgendwelchen Feinden geflohen ist.“

Frau Wieland griff wie mechanisch nochmals nach dem Zeitungsblatt. Schließlich meinte sie zweifelnd:

„Eins ist mir unklar. Weswegen hat mein Vater mir keinen Brief hinterlassen, der mir genaueren Aufschluß über seine Absichten –“

„Einen Brief?!“ unterbrach Dreßler sie. „Einen Brief, der ebenso gut in die Hände Ihres Gatten hätte geraten können oder den Sie ihm doch sicher zur Durchsicht hätten geben müssen! – Nein, liebe Freundin, die roteingefaßten, anscheinend so belanglosen Zeilen waren die sicherste Art, Sie, nur Sie zu benachrichtigen. Und mir, mir erzählt dieses Zeitungsblatt noch viel mehr.“

„Noch mehr?“

[29] „Ja! – Da oben in der rechten Ecke der Zeitung steht mit Bleistifte ein Name geschrieben – „Siebert,“ nicht wahr? – Schön: dieser Name beweist mir, daß Ihr Vater in der Nacht von Dienstag zum Mittwoch in dem Passage-Cafee gewesen ist, dort dieses Zeitungsblatt – es ist, wie Sie sehen, die Dienstagabendzeitung, aus dem Halter herausgerissen hat, da ihm gerade die eine Stelle in dem Leitartikel für seine Zwecke geeignet schien. – Haben Sie mir bisher folgen können?“

Frau Maria nickte eifrig. „Lieber Doktor, so ganz unbewandert im Kombinieren sind wir Frauen nicht! Siebert heißt der Besitzer des Passage-Cafees, soweit ich mich erinnere, und diese eingerissenen Stellen an der Seite der Zeitung zeigen, daß sie in einem Halter eingespannt war und gewaltsamen herausgerissen ist. Weiter, – in einem Privathaushalt werden Zeitungen kaum eingespannt, also – Ihre Kombinationen stimmen glänzend.“

„Sie haben Talent, zweifellos Talent!“ meinte Dreßler anerkennend. „Aber – dieses Zeitungsblatt sagt mir sogar noch mehr. Doch bevor ich Ihnen das erkläre, geben Sie mir bitte jene Papiere, die Sie von dem Schreibtisch Ihres Vaters fortgenommen haben. – Woher ich das weiß? – Die Beantwortung der Frage ist sehr einfach. Als ich mir heute mittag in dem Arbeitszimmer Durgassows den Schreibtisch genau betrachtete, so genau, wie man als Privatdetektiv eben sehen muß, – diese Rolle habe ich doch nun einmal übernommen – bemerkte ich in der auf dem grünen Schreibtischbezug gleichmäßig ausgebreiteten Staubschicht zwei zusammenhängende hellere Stellen, die genau so aussahen, als ob dort bis vor kurzem noch zwei Papiere gelegen und den Staub von dem grünen Bezuge ferngehalten hatten.“

„Oh, daran habe ich allerdings nicht gedacht!“ entfuhr es Maria Wieland unwillkürlich.

„Alles das ins Auge fassen, was Absonderlichkeiten zeigt! Darin bestehen die gröbsten Anfänge aller kriminalistischen Kunst. In den Feinheiten – ja, [30] dazu gehört Übung, keine theoretische, sondern praktische,“ lächelte Dreßler gutmütig.

Inzwischen hatte Maria zwei einfache, weiße Briefumschläge hervorgeholt und ihm diese hingeschoben. Nur einen Blick warf Dreßler darauf.

„Also habe ich mich auch in der Vermutung nicht getäuscht,“ sagte er lebhaft. „Ich dachte heute nachmittag sofort an Briefumschläge. – Briefumschläge, die an Ihren Vater adressiert waren und ihm sicher eine Nachricht zugetragen haben, die in irgend einem Zusammenhange mit seinem Verschwinden steht und die Sie, liebe Freundin, in Ihrer wahren Bedeutung erkannt hatten und daher fremden Augen vorenthalten wollten.“

„Ja, ich fürchtete, daß man durch die Briefumschläge auf dieselben Vermutungen käme, auf die sie mich gebracht haben, nämlich das –“

„Halt, sprechen Sie diese Vermutungen nicht aus. Ich will mir zuerst selbst einmal diese beiden Kuverts ansehen und mir dann ganz unbeeinflußt meine Meinung darüber bilden –“

Dreßler trat an das Fenster und drehte dort aufmerksam die beiden Papiere zwischen den Fingern, hielt sie gegen das Licht und schnitt dann den einen der Umschläge mit seinem Federmesser an der Seite auf. Diese Prüfung nahm eine geraume Zeit in Anspruch. – Endlich schien er zufrieden gestellt. Er kam an den Tisch zurück und meinte nachdenklich:

„Ihr Vater hat sicherlich früher einmal irgend einem Geheimbund angehört. Denn dieses hier auf der Rückseite der Umschläge in der linken Ecke mit roter Tinte gezeichnete Bildchen, das eine einen Dolch haltende Hand darstellen soll, ist fraglos ein geheimes Erkennungszeichen. Aus bloßer Spielerei macht sich niemand die Mühe, Briefkuverts derart auszuschmücken. Und ich glaube, daß es Mitglieder dieses selben Geheimbundes sind, vor denen Durgassow jetzt geflüchtet ist.“ Bei den letzten Worten schaute er Maria Wieland fragend an.

„Sie sind auf dem richtigen Wege,“ erklärte sie [31] schnell. „Wenn Sie die Wichtigkeit des Geheimzeichens aber ganz begreifen wollen, lieber Freund, muß ich Ihnen nun endlich in Kürze das erzählen, was ich von der Vergangenheit meines Vaters weiß.“

Dreßler lauschte gespannt, als Maria Wieland begann:

„Mein Vater heißt eigentlich Franz Schönberg. Niemand ahnt bisher, daß Michael Durgassow ein Name ist, den er erst später angenommen hat, – aus welchen Gründen, werden Sie bald sehen. – Als Maria Schönberg wurde ich im Jahre 1880 in Kalkutta geboren, wo mein Vater damals bei einer großen Plantagengesellschaft angestellt war. Kurz nach meiner Geburt starb meine Mutter an der Cholera, die in jenen Jahren Indien mit ungewöhnlicher Hartnäckigkeit immer wieder heimsuchte. Auf meine Kinderjahre besinne ich mich wenig. Ich besuchte bis zum zehnten Jahre die deutsche Schule in Kalkutta, lebte aber nicht im Hause meines Vaters, sondern bei einer österreichischen Familie namens Bernhard. Den Vater sah ich selten. Er machte meistenteils für die Plantagengesellschaft weite Reisen, die ihn oft ein ganzes Jahr im Innern des Landes beschäftigten. Dann erschien er eines Abends, es war im Frühjahr 1890, nach längerer Abwesenheit bei Bernhards und teilte mir mit, daß wir schon am nächsten Tage nach Persien abreisen würden. Er hätte dort längere Zeit für seine Firma zu tun und wolle mich nicht allein in Indien zurücklassen. Er nahm mich dann auch sofort mit in sein Hotel. Am anderen Morgen sah er völlig verändert aus, so daß ich ihn im ersten Augenblick kaum wiedererkannte. Seinen Vollbart hatte er sich abnehmen lassen, dazu trug er eine blaue Brille, angeblich einer Augenentzündung wegen. Wir gingen noch an demselben Vormittag an Bord der „Sophie“, die wenige Stunden später den Hafen verließ. Auf der Fahrt benahm sich mein Vater – das fiel sogar mir trotz meiner jungen Jahre auf – derart ängstlich, als ob er Grund hatte, sich vor jedermann zu verbergen. Außerdem hatte er mir noch, [32] nachdem wir kaum unsere Schiffskabine bezogen hatten, eingeschärft, daß ich fortan Maria Durgassow heiße. Ich solle den Namen ja nicht vergessen und mich für die Zukunft stets so nennen. Auch er selbst war unter diesem Namen in die Schiffsliste eingetragen, – als Michael Durgassow, Oberaufseher einer Plantage der indischen Provinz Haiderabad, wie er mir erzählte. – Unsere Reise, die uns ebenso auffallenderweise nicht nach Persien, sondern nach Europa führte, erlitt jedoch schon in Suez eine Unterbrechung. Trotzdem mein Vater die Überfahrt bis Hamburg bezahlt hatte, verließ er hier in Suez ganz unerwartet den Dampfer, weil er sich, wie er dem Kapitän gegenüber in meiner Gegenwart erwähnte, durch die Seekrankheit angegriffen fühlte. Ob dies der eigentliche Grund der Fahrtunterbrechung war, habe ich schon damals bezweifelt. Denn merkwürdigerweise blieben wir in Suez nur einen Tag und setzten die Reise dann mit einem andern Schiff, einem nach Marseille bestimmten Frachtdampfer, fort. Von Marseille aus begaben wir uns zunächst nach Amsterdam und dann weiter nach Genf, wo ich in einem großen, sehr vornehmen Pensionat untergebracht wurde, – wieder unter dem Namen Maria Durgassow. Bevor mein Vater mich der Pensionsinhaberin vorstellte, gab er mir ganz genaue Anweisungen, was ich auf etwaige Fragen nach meinen Eltern und unserem früheren Aufenthaltsort antworten solle. Diese Anweisungen mußte ich ihm mehrmals wiederholen, bis sie sich meinem Gedächtnis fest eingeprägt hatten. Danach hätten meine Eltern in Moskau gelebt, bis mein Vater Oberaufseher auf einer Plantage in der Nähe von Haiderabad geworden und nach dort verzogen wäre. Jedenfalls stimmt das, was Sie, mein Mann und alle unsere übrigen Bekannten hier von uns wissen, mit den Tatsachen nur wenig überein. – Doch ich will mich kürzer fassen. – In dem Genfer Pensionat blieb ich bis zu meinem sechzehnten Jahre. Niemand erfuhr etwas von unserem Geheimnis. Ich hütete es mit größter Vorsicht, eingedenk des Versprechens, [33] das ich meinem Vater gegeben hatte. Diesen sah ich ebenso selten wie früher in Kalkutta. Er schrieb jeden Monat einmal, bald aus England, bald aus den Vereinigten Staaten. – Im Herbst des Jahres 1896 erschien er dann plötzlich in Genf und holte mich ab. Der Pensionsinhaberin gab er an, er wolle nach Italien zurückkehren. Nun begannen für uns monatelange Kreuz- und Querzüge durch ganz Europa. Nie blieben wir länger als einige Tage an einem Orte. So verging ein halbes Jahr – oft genug habe ich damals meinen Vater gefragt, weshalb wir denn ruhelos wie Flüchtlinge von Stadt zu Stadt zögen. Aber nie erhielt ich eine bündige Antwort darauf. Er machte stets Ausflüchte. „Wenn Du mich lieb hast, Maria, so frage nicht. Besondere Umstände sprechen hier mit, die Du noch nicht verstehen kannst.“ Dies und Ähnliches blieb seine ganze Erwiderung. Und ich beruhigte mich stets aufs neue dabei. Denn ich liebte meinen Vater, der mich geradezu auf Händen trug, über alles. Ich möchte hier noch erwähnen, daß er in den letzten Jahren sehr, sehr gealtert war. Sein Haar und der Bart, den er sich wieder hatte stehen lassen, waren völlig ergraut, und auch sonst hatte er völlig das Aussehen eines Greises, trotzdem er eben erst die Fünfzig überschritten hatte. – Im Frühjahr 1897 kamen wir dann in Danzig an. Zu meiner Überraschung fand ich hier eine völlig eingerichtete Wohnung vor, die mein Vater, wie ich nachher erfuhr, bereits vor fünf Jahren gemietet, aber nur immer für kurze Zeit bewohnt hatte. Ebenso neu war mir, daß er inzwischen als angeblicher Russe die preußische Staatsangehörigkeit erworben hatte. Ich lebte mich schnell in die neuen Verhältnisse ein und wäre glücklich und zufrieden gewesen, wenn mich nicht das Geheimnisvolle, das die Personen meines Vaters umgab, stets aufs neue gestört haben würde. An meinem achtzehnten Geburtstage sollte ich dann endlich wenigstens etwas über all die sonderbaren Rätsel aufgeklärt werden. „Mein Kind,“ sagte er damals zu mir, [34] „Du bist jetzt alt genug, um die Wahrheit über das zu hören, was ich bisher vor Dir so ängstlich verborgen habe. Wisse denn, daß ich von mehreren Leuten, die sich durch mich geschädigt glaubten, hart verfolgt wurde. Deshalb verließ ich Indien, deshalb auch suchte ich jede Spur hinter mir zu verwischen. Meinem Leben drohte Gefahr, wenn ich jenen Männern, die mir Rache geschworen hatten, in die Hände gefallen wäre. Nähere Angaben erlaß mir bitte. Glaube mir, daß ich stets nur von einem Wunsche beseelt gewesen bin, – dem, Dir, meinem einzigen Kinde, eine glückliche Zukunft zu schaffen. Ich hoffe jetzt, daß wir hier in Danzig völlig sicher sind und in ungestörtem Frieden unsere Tage zubringen können. Nur eins will ich Dir noch sagen: Wenn Dir irgendwo einmal das Zeichen einer einen Dolch haltenden roten Hand begegnet, so sei auf Deiner Hut. Dann droht uns Gefahr, – uns oder Dir allein, falls ich nicht mehr sein sollte. – Und nun frage nichts mehr, Maria, nichts weiter und nie wieder! Laß das Einst begraben sein für immer!“

So unklar diese Andeutungen auch waren, – ich gab mich damit zufrieden. – Alles andere über uns wissen Sie, lieber Freund, so besonders, daß ich bald darauf meinen jetzigen Gatten kennen lernte und ein Jahr später sein Weib wurde. In dieser Ehe mit ihren Tagen ungetrübtesten Glückes hatte ich die Vergangenheit mit ihren mir noch immer dunklen Rätseln bald völlig vergessen, und nun sind diese Rätsel so urplötzlich wieder wie drohende Gespenster vor mir erschienen und ich vermag sie nicht zu vertreiben. Denn nie, niemals wird Karl es mir verzeihen, daß ich so drückende Geheimnisse vor ihm gehabt habe, nie wird er darüber hinwegkommen, daß ich unter einem Namen, der mir nicht gehört und auf Grund von vielleicht gefälschten Personal-Urkunden die Seine geworden bin. Ich kenne Karls strenge, so überaus peinliche Rechtlichkeit nur zu gut. Im Grunde ist’s ja auch wahr, – ich habe mich wirklich durch mein Schweigen sozusagen der – Urkundenfälschung schuldig gemacht. [35] – Nun wird Ihnen wohl klar geworden sein, warum ich mich so sehr vor einer Einmischung der Polizei gefürchtet habe, warum mir auch Ihre Hilfe, lieber Freund, mehr als unwillkommen war. Gewiß – erst hoffte ich ja noch, Sie würden nicht imstande sein, hinter die Geheimnisse meines Vaters zu kommen. Als ich aber sah, daß ich mich in dieser Erwartung getäuscht hatte, da beherrschte mich ein Gedanke: Sie könnten meinem Gatten etwas von Ihren Entdeckungen erzählen und mir damit ein Glück vernichten, das ich mir erhalten will um jeden Preis!“

„Wie schlecht Sie mich doch kennen, Frau Maria!“ meinte Dreßler kopfschüttelnd. „Ich habe es stets als meinen vornehmste Lebensaufgabe betrachtet, überall da, wo sich mir Gelegenheit dazu bot, Frieden zu stiften und erregte Gemüter zu beruhigen. Niemals habe ich, wo dies nicht unumgänglich nötig war, den Störenfried gespielt. Und diese meine guten Absichten durchzuführen, war nicht immer ganz leicht, besonders deswegen nicht, weil ich noch vor zwei Jahren eine Stellung bekleidete, in der ich die Pflicht hatte, meine Mitmenschen der strafenden Gerechtigkeit auszuliefern, – natürlich nur die, die mit den Gesetzen irgendwie in Konflikt geraten waren. – Sie machen ein erstauntes Gesicht, Frau Maria. Das ist begreiflich. Denn hier ahnt niemand, selbst ihr Gatte nicht, daß sich hinter dem bescheidenen Privatgelehrten derselbe Detektiv Hans Dreßler verbirgt, dessen Name vor nicht allzu langer Zeit durch alle Zeitungen ging.“

Frau Wieland hatte sich überrascht vorgebeugt.

„Wie, Sie wären jener Dreßler, der –“

„Ich bin’s, liebe Freundin, bin derselbe Angestellte des Berliner Detektivinstitutes „Helios“, welcher sich durch die flehentlichen Bitten eines geängstigten Mutterherzens dazu bestimmen ließ, ihrem einzigen Sohn, den er soeben eines Mordes überführt hatte, zur Flucht zu verhelfen und damit eine sogenannte „Gefühlsdummheit“ beging, die ihn seine Stellung kostete und ihm sicher noch eine Strafanklage eingebracht [36] haben würde, wenn jener junge Mensch, der aus Eifersucht zum Mörder geworden war, sich nicht in einem Anfall bitterster Reue an Bord des Amerikadampfers Hassia selbst entleibt hätte. So nun kennen auch Sie mein Geheimnis, Frau Maria. Bisher hielten Sie mich für einen harmlosen Doktor der Philosophie, der vor einigen zehn Jahren an der Münchener Technischen Hochschule Chemie studiert hat, dabei mit Ihrem Gatten recht bekannt geworden ist und man hier in Danzig die frühere Freundschaft wieder aufgefrischt hat. All das stimmt ja auch. Aber zwischen jener sorglos frohen Studentenzeit und jenem Tage vor zwei Jahren, wo ich meinem alten Karl Wieland hier zum ersten Mal wieder begegnete, liegt eben fast ein Dutzend Lebensjahre, über deren Inhalt ich Sie und die Ihrigen, Frau Maria, ebenso mit bloßen Andeutungen abgespeist habe, wie dereinst Michael Durgassow dies seinem Kinde gegenüber in Bezug auf seine Vergangenheit getan hat. – Und nun reichen Sie mir die Hand, – so: – Wir wollen von jetzt an Verbündete sein, heimliche Verbündete. Was in meinen Kräften steht, soll geschehen, um Ihnen Ihr Glück zu erhalten! – Mir aber müssen Sie versprechen, sich nie anmerken zu lassen, daß Heinz Dreßler jener Privatdetektiv ist, der sein geliebtes Handwerk freiwillig aufgab, weil er eben für diesen Beruf ein allzu mitleidiges Herz besaß. – Damit genug von jenen Zeiten, die hinter uns liegen. Die Gegenwart verlangt ihr Recht. Zurück zu den Rätseln, die uns das Verschwinden Ihres Vaters aufgibt. Welche Folgerungen ich aus jenen rotumränderten Zeilen in der Zeitung für unseren Fall ziehe, und inwieweit ich diese Folgerungen nunmehr nach Ihrer offenen Beichte und meinen heutigen persönlichen Beobachtungen zu ergänzen vermag, sollen Sie der besseren Übersicht halber nochmals im Zusammenhang hören. – Ihr Vater ist fraglos schon damals im Jahre 1890 aus Indien vor denselben Leuten geflohen, die ihm auch jetzt hier wieder nachstellen. Sein ganzes Verhalten, so die Änderung seines Namens, sein ruhelosen [37] Kreuz- und Querfahrten und seine an Sie gerichteten Warnungen sprechen unzweifelhaft dafür. Wodurch er sich seiner Zeit in Indien den anscheinend nie versiegenden Haß seiner Feinde zugezogen hat, wissen wir bisher nicht. Hier in Danzig glaubte er dann endlich eine sichere Zufluchtsstätte gefunden zu haben. Aber seine Verfolger ließen nicht nach, bis sie ihn auch hier entdeckt hatten. Sie schrieben ihm dann jene beiden Briefe, deren Kuverts Sie auf dem Schreibtische gefunden haben, – Kuverts, die auf der Rückseite das Geheimzeichen trugen, vor dem Sie Frau Maria, sich so sehr in acht nehmen sollten, wie Ihr Vater Ihnen eingeschärft hatte. Von diesen Briefen ist der erste, – das ist aus dem Poststempel ersichtlich, vier Tage vor Durgassows Verschwinden in Dirschau aufgegeben worden, der zweite ebenfalls in Dirschau und zwar am Morgen desselben Dienstags, an dem Sie Ihren Vater zum letzten Male sahen. Was diese Briefe enthielten, kann ich nur vermuten. Sicherlich nur die Aufforderung, sich irgendwo zu einer Unterredung einzufinden. Denn hätten die Feinde Durgassows einen Anschlag auf sein Leben beabsichtigt, so würden sie sich sehr gehütet haben, ihn durch diese Briefe vorher zu warnen. Ich denke mir weiter, daß der Inhalt des ersten Schreibens noch ziemlich harmlos gewesen ist. Denn Ihr Vater blieb in Danzig, dachte an eine Flucht noch nicht. Allerdings fühlte er sich durch die Nähe seiner Verfolger sehr bedrückt, wie dies aus seinem etwas verstörten Wesen, das ihm deutlich anzumerken war, hervorging. Weniger harmlos war dann aber fraglos der zweite Brief, der am Dienstag nachmittag in Durgassows Hände gelangte. Dieser Brief trieb ihn zu einem schnellen Entschluß: Er benutzt gleich die regnerische Nacht von Dienstag zum Mittwoch, um Ihr Haus zu verlassen. Er geht zunächst in das Passage-Cafee, – wahrscheinlich – um bis zur Abfahrt des Nachtzuges dort die Zeit hinzubringen. Während er die Abendblätter durchsieht, fällt ihm plötzlich ein, daß er Ihnen, seinem einzigen Kind, keinerlei Nachricht hinterlassen hat. Da findet [38] er in der Dienstag-Abendzeitung in dem Leitartikel eine Stelle, die für seine Zwecke passend scheint. Er streicht mit Rotstift diese für Sie so vielsagenden Zeilen an, reißt das Blatt aus dem Zeitungshalter, kehrt nochmals nach seiner Wohnung zurück und legt es auf die Platte seines Schreibtisches, daneben – halb verdeckt durch andere Papiere – die beiden ebenso bedeutungsvollen Kuverts. Nun glaubt er das Nötige getan zu haben, um Sie über die Gründe seines Verschwindens aufzuklären. Er verläßt abermals das Haus und wird dann wohl den Nachtzug nach Berlin benutzt haben. – Dies alles sind, wie gesagt, nur Kombinationen von mir, liebe Freundin, aber keine völlig aus der Luft gegriffenen Annahmen, da sie sich mit den uns bekannten Tatsachen recht genau decken. – Doch weiter. Ich selbst habe nun noch festgestellt, daß Ihr Haus, Frau Maria, überwacht wird und daß es hier in Danzig eine Person gibt, die für die Freunde der Familie Wieland ein starkes Interesse hat. Ich sah nämlich heute nachmittag vor Ihrem Haus einen Mann in einem grauen Pelerinenmantel, der in einer wenigstens für mich recht verdächtigen Weise zu den Fenstern von Durgassows Wohnung emporblickte. Der Betreffende war mir schon aufgefallen, als ich oben die Zimmer Ihres Vaters einer eingehenden Besichtigung unterzog, wobei der Graue mich fraglos am Fenster gesehen hat. Nachher, als ich mich von Ihnen verabschiedet hatte, merkte ich dann, daß er mich heimlich verfolgte. In dieser Lage tat ich das einzig Richtige, um dem Mann im Pelerinenmantel nun auch meinerseits eine von ihm selbst ungeahnte Aufmerksamkeit schenken zu können: Ich beauftragte meinen kleinen Freund, den Antiquitätenhändler Jakob Wenzel, telephonisch, diese Aufgabe zu übernehmen und festzustellen, wo der Graue wohnte. Wenzel fand sich bald darauf in der Langgasse ein und übernahm die weitere Beobachtung des Unbekannten, während ich diesem durch einen alten Trick entschlüpfte. Hoffentlich haben nun diese meine Maßnahmen wirklich Erfolg gehabt. Denn es ist für uns [39] von größter Wichtigkeit, herauszubekommen, wer jener Mann ist. Daß er zu den Feinden Durgassows gehört, nehme ich mit größter Bestimmtheit schon jetzt an. Und ich kann dem Zufall gar nicht genug danken, der mich auf den Fremden aufmerksam werden ließ.“

„Und wohin, meinen Sie, mag wohl mein Vater geflüchtet sein?“ fragte Frau Wieland jetzt eifrig, als Dreßler seine Erklärungen beendet hatte.

„Wohin? – Ja, liebe Freundin, das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Ich habe aber die Überzeugung, daß Durgassow Ihnen recht bald irgendwie ein Lebenszeichen geben wird, – selbstverständlich wieder auf einen möglichst unauffällige Art.“

„Demnach hoffen Sie also auch, daß ihm vorläufig noch keine ernste Gefahr droht?“ meinte Maria zögernd.

„Vorläufig ganz sicher nicht,“ erwiderte Dreßler beruhigend. „Glauben Sie mir, liebe Freundin: Hätten die Feinde Ihres Vaters seine Spur bereits entdeckt, so würden Sie kaum noch für Ihr Haus ein so großes Interesse gezeigt haben. Gerade der Umstand, daß der Unbekannte so hartnäckig zu Durgassow Fenstern emporstarrte und dann mir, den er oben in Ihres Vaters Räumen gesehen hatte, heimlich nachging, spricht für meine Ansicht, daß Durgassows Flucht vollkommen geglückt ist und die Feinde seine Fährte verloren haben. Ich kann mich in dieser Annahme allerdings ja auch täuschen, wenn ich’s auch nicht annehme. Nun, – noch heute abend werde ich darüber Gewißheit erhalten. Jakob Wenzel ist ein geriebener Bursche und wird dem Fremden wie ein Schatten folgen.“

Wenige Minuten später verabschiedete sich Frau Maria, nachdem Dreßler ihr noch versprochen hatte, Karl Wieland gegenüber nichts von diesem Besuche und dem Inhalt ihrer Unterredung zu erwähnen. Maria schritt jetzt leichteren Herzens durch die Straßen. Hoffte sie doch nunmehr auf eine glückliche Lösung all der Schwierigkeiten, die sie noch vor einer [40] Stunde wie eine unüberwindliche Schranke vor sich aufgetürmt sah. Eilends machte sie noch einige Einkäufe und begab sich dann nach Hause.

„Der Spaziergang hat mich wirklich sehr erfrischt, Schatz,“ sagte sie zu ihrem Gatten, den sie in seinem Arbeitszimmer bei der Lektüre einer Technischen Zeitschrift antraf. „Und ich habe Dir hier auch die Handschuhe mitgebracht, um deren Besorgung Du mich letztens batest. Hoffentlich sagt Dir die Farbe zu.“

Wieland war überglücklich, daß seine Frau trotz ihrer Sorge noch an ihn gedacht hatte. Er zog Maria liebevoll auf seinen Schoß und strich ihr zärtlich über die sanft geröteten Wangen.

„Mia, – Gott sei Dank, heute sehe ich endlich wieder einmal etwas Farbe in Deinem Gesicht.“

Längst hatte er vergessen, welche Zweifel er noch vor kurzem an ihrer Aufrichtigkeit gehegt hatte. Denn Dreßlers Worte, die dieser ihm nach seinem Besuch am Nachmittag an der Flurtür zugeflüstert hatte, waren von ihm in einem für ihn möglichst günstigen Sinne ausgelegt worden, eben dahin, daß der Freund Frau Maria nicht weiter beargwöhnen zu müssen glaubte.

An demselben Abend noch fragte Anna Wieland, die ebenfalls zu derselben Zeit wie Maria einige Einkäufe erledigt hatte, ihre Schwägerin mit einem seltsam forschenden Blick:

„Du warst nur in der Langgasse, Maria? – So, dann muß ich mich allerdings getäuscht haben. Ich glaubte Dich nämlich vor dem Hause Dr. Dreßlers gesehen zu haben, als ich mit der Elektrischen vorüberfuhr.“

„Das kann nur eine Doppelgängerin von mir gewesen sein,“ gab Maria stockend zur Antwort. Sie konnte es aber nicht verhindern, daß ihr dabei eine heiße Blutwelle ins Gesicht schoß.

Der Ingenieur schenke diesem Gespräch zwischen den beiden Frauen weiter keine Beachtung. So entging es ihm auch, daß seine Schwester jetzt mit mitleidigem Blick nach ihm hinschaute.

[41] „Armer Karl!“ dachte Anna Wieland, „Du ahnst ja nicht, wie weit Deine Frau sich bereits in ein trauriges Lügengewebe verstrickt hat.“




5. Kapitel.

„Herr Doktor, ich bin wirklich meines Vaters wegen in Sorge. Er ist schon seit Nachmittag von Hause fort, und jetzt, – ja, es ist gleich 10 Uhr. Ich bin es gar nicht gewöhnt, daß er mich verläßt, ohne mir den Zeitpunkt seiner Rückkehr wenigstens ungefähr anzugeben. Und heute eilte er in so merkwürdiger Hast von dannen, nachdem er mit jemandem ein längeres Telephongespräch geführt hatte. Er rief mir nur noch zu: „Adieu, Kind! Wann ich heimkehre, weiß ich nicht,“ und dann war er auch schon fort.“

„Ich kann Ihre Sorgen völlig zerstreuen“, sagte Dreßler zu dem schmächtigen Geschöpfchen, das ihm gegenüber an dem Tisch in Jakob Wenzels Wohnzimmer saß. „Ich weiß zufällig, daß er in einer geschäftlichen Angelegenheit in der Stadt zu tun hat. Er wird zweifellos bald wiederkommen. Jedenfalls brauchen Sie ihn nicht allein zu erwarten, Fräulein Wera, – falls Sie gestatten, daß ich noch bleibe,“ fügte er höflich hinzu.

Über das blasse Gesichtchen der verwachsenen Tochter Jakob Wenzels huschte eine flüchtige Röte.

„Bitte, Herr Doktor, bleiben Sie nur. Ich unterhalte mich sehr gern mit Ihnen, das wissen Sie ja.“

Es war ein eigenartiges Verhältnis, in dem Doktor Dreßler zu den Bewohnern der Parterreräume seines Hauses stand. Als er vor zwei Jahren hier einzog, hatte er sich in der ersten Zeit nicht viel um sie gekümmert. Dann brachte es ein Zufall mit sich, daß in dem Schaufenster von Jakob Wenzels Laden eines Tages eine mit eingelegter Arbeit reich verzierte Beduinenflinte auftauchte. Dreßler kaufte die Waffe, und bei dieser Gelegenheit merkte er, einen wie kunstverständigen Sinn der kleine Händler besaß. Nicht nur [42] alte Möbel und allerlei Raritäten wußte dieser sehr genau ihrem Werte nach abzuschätzen, sondern auch seine Allgemeinbildung gingen weit über die sonstigen Kenntnisse seiner Zunftgenossen hinaus. Dabei besaß Jakob Wenzel einen erstaunlichen Lerneifer, den sein einziges, leider verwachsenes Kind immer wieder anzuregen wußte. – Wera Wenzel, die ihre Mutter früh verloren hatte, war so selbstständig erzogen, wie dies nur die eigentümlichen Lebensbedingungen in den drei Parterrezimmern von Haustor Nr. 16 mit sich bringen konnten. Ihr Vater, dessen einzige Freude sie war und der in ihr das Bild der verstorbenen Gattin fast abgöttisch weiterliebte, hatte sich das Geld vom Munde abgespart, um seinem einzigen Kinde eine gute Erziehung geben zu können. Und die Tochter dankte ihm diese Aufopferung mit einer geradezu rührenden Gegenliebe.

Zwischen Dreßler und Wera Wenzel bildete sich mit der Zeit ein Freundschaftsverhältnis heraus, wie man es selten zwischen zwei so grundverschiedenen Naturen finden wird. Wera, – Wera Wenzel! Wie seltsam hatte Dreßler dieser Name berührt, als er ihn zuerst hörte. Wera! Ein Weib blond, mit Nixenaugen und einem verführerischen Lächeln um einen süßen Mund, – so hatte er sich das Bild eines Mädchens mit diesem Namen in seiner Phantasie stets gezeichnet. – Und diese Wera, – klein, blaß, mager – und doch in dem schmalen Gesichtchen mit den großen Augen einen Zug, aus dem eine große Seele, ein feinempfindendes, tiefveranlagtes Gemüt sprach.

Eines Tages, – Dreßler konnte die Frage nicht unterdrücken, – hatte er Jakob Wenzel ausgeforscht, warum er seinem Kinde gerade diesen Vornamen gegeben habe. Und da war über den kleinen Trödler die Erinnerung an seine schönste Zeit gekommen. – Jakob Wenzel hatte noch heute eine große Vorliebe für das Theater. Und diese stammte aus der Vergangenheit her, aus jener Zeit, wo er, kaum achtzehnjährig, den Kontorschemel mit den Brettern, die die Welt bedeuten, vertauscht hatte. Er war damals einfach [43] auf und davon gegangen, um sich einer reisenden Schauspielertruppe anzuschließen. Seine Augen leuchteten noch begeistert, wenn er wieder einmal auf jene Tage zu sprechen kam, wo er in einer der kleinen Posenschen Städte mitgeholfen hatte, eine Einnahme von durchschnittlich fünfzig Mark pro Abend zu erzielen. Und der frühere Schmierenschauspieler, damals Viktor Sorani, jetzt Jakob Wenzel, hatte sich schon in jenen Zeiten schauspielerischen Ehrgeizes gesagt, daß, falls ihm später einmal Familie beschieden sein sollte, seine Tochter nur Wera und sein Junge nur Egon heißen dürfe. Als er sich das vornahm, war er kaum zwanzig Jahre alt und mit 60 Mark Gage pro Monat bei der Truppe Gebrd. Seiler als zweiter Liebhaber und jugendlicher Komiker engagiert. Und als ihm, dem Vierzigjährigen, seine Frau dann wirklich ein Töchterlein schenkte, da nannte er sie Wera, – nach Wera, der Heldin irgend eines Birch-Pfeifferschen Rührstückes.

Doktor Dreßler saß heute nicht zum ersten Mal in dem kleinen, so behaglichen Wohnzimmer, das überall die Spuren weiblicher Sorgfalt und feinen Geschmackes zeigte. Für Jakob Wenzel, den Antiquitätenhändler, war dieser Raum mit seinen eleganten Möbeln, den teuren Stichen und dem großen Teppich, dessen Muster zu dem Bezug der Sessel ebensogut wie zu der blaugrauen Tapete paßte, eigentlich viel zu vornehmen. Jedenfalls hätte ein Besucher des kleinen Ladens, in dem auf Wandbrettern und in hohen Gestellen tausend Dinge, vom getragenen Militärrock bis zum alten, aus Elfenbein geschnitzten Schachspiel einfach alles vorhanden war, nie vermutet, hinter diesem Laden und einem ebenso vollgepfropften Korridor ein so anheimelndes Gemach zu finden, das so ganz eine Welt für sich bildete und in dem zwei Menschen ein einsames und doch zufriedenes Leben führten.

Der Doktor hatte, nachdem Frau Wieland ihn verlassen, mit großer Sorgfalt sich die Ereignisse dieses Tages mit all ihren Einzelheiten notiert, trotzdem er ein sehr gutes Gedächtnis besaß. Dann erst sprach [44] er mit ebenso großem Eifer dem Abendessen zu, das Kascha ihm in der schnell wieder zum Speisezimmer umgewandelten anderen Seite seiner Studierstube aufgetischt hatte.

Inzwischen war es neun geworden, und Dreßler verspürte allmählich, wie seine Nerven nach all den Aufregungen zu streiken begannen. Was half es ihm, daß er seine Gedanken von diesen Geschehnissen abzulenken versuchte, daß er sich an seinem Arbeitstisch zu schaffen machte und dazu eine Zigarette nach der anderen rauchte. Sein Denken drehte sich ja doch immer wieder um denselben Mittelpunkt: Um den rätselhaften Fall Michael Durgassow. – Schließlich flüchtete er sich dann hinunter in Jakob Wenzels Behausung. Und was er selbst nicht vermocht hatte, die blasse Wera brachte es fertig. Er vergaß Michael Durgassow und die Sorgen seiner Freunde wenigstens für kurze Zeit.

Die beiden plauderten jetzt so angeregt von diesem und jenem, dann, nach einer Pause im Gespräch, bat Dreßler in seiner liebenswürdigen Art:

„Sie könnten mir etwas vorspielen, Fräulein Wera, ich träume so gern dabei.“

Ohne Zögern erhob sie sich und schlug den Deckel des Pianos zurück. Einige Akkorde anschlagend, fragte sie, sich halb zu ihm hinwendend:

„Ernst oder heiter, Herr Doktor?“

„Ernst – dämonisch, geheimnisvoll,“ meinte er lächelnd und nickte ihr zu.

Sie setzte sich und sann wenige Augenblicke nach. Dreßler aber vertauschte ganz leise seinen bisherigen Platz mit einem Schaukelstuhl, in den er sich behaglich zurücklehnte.

Dann spielte sie den „Feuerzauber“ aus der Walküre. Und wieder, wie schon so oft, kam dem Manne der Gedanke, welchen Schatz von Talenten dieser schmächtige, verunstaltete Mädchenkörper in sich barg. Er lauschte, schloß die Augen. Da kam die Sehnsucht über ihn, – wie stets, wenn er Musik hörte, diese [45] Sehnsucht nach einem großen Glück, das für ihn doch nur Anna Wieland heißen konnte.

Und die, die in ihm diese Sehnen nach dem geliebten Weibe durch die Macht der Töne geweckt hatte, saß da und legte ihren ganzen, stets so still verborgenen Glückshunger in ihr Spiel. Plötzlich brach das Brausen der Töne mit einem schrillen Diskantton ab. Erstaunt öffnete Dreßler die Augen. Und was er sah, wunderte ihn mehr als die Überraschungen des Tages. – Wera Wenzel hatte die Arme auf die Klaviatur gestützt und ihr Gesicht in den Händen verborgen. Sie weinte, daß ihr zarter Körper hin und her geschüttelt wurde. Und trotzdem hörte man nichts als ein leises, leises Wimmern.

Dreßler war aufgestanden und hinter sie getreten.

„Fräulein Wera, - was haben Sie denn? Was quält sie?“ – Da stand sie jäh auf. Und mit einer Energie, die sie unter Tränen lächeln ließ, sagte sie: „Seien Sie nicht böse, Herr Doktor. Aber bisweilen packt es mich so wunderbar bei den Klängen dieser Musik. Sie würden’s Hysterie nennen, Sie, der Mann mit den Stahlnerven.“

„Und meinen Sie, daß der Mann mit den Stahlnerven kein – Empfinden hat?“ fragte er fast verletzt. Da drehte sie sich von ihm weg und trocknete ihre Augen.

„Doch, ich glaub’ es schon,“ klang’s wehmütig zurück. – „Aber jetzt nehmen Sie bitte wieder Platz,“ fuhr sie schnell fort. „Und hier – hier sind auch Zigaretten. Ihre Schwärmerei!“ – Dabei lachte sie beinahe spitzbübisch. „Wenn Sie’s nicht entsetzt, zünde ich mir auch eine Papyros an, so – danke!“

Wieder saßen sie sich gegenüber an dem runden Mitteltisch. Aber die zwanglose Unterhaltung von vorhin wollte nicht mehr in Fluß kommen. Dreßler war nicht bei der Sache. Er dachte an anderes. – Sollten Weras Tränen etwa einer aussichtslosen Neigung gegolten haben, sollte etwa er selbst derjenige sein, den die arme Verwachsene liebte? – Und Dreßler, der vorzügliche Menschenkenner, der jede, selbst [46] die leiseste Gemütsregung bei anderen bemerkte, verfolgte jetzt mit stillem Bedauern diese Gedanken weiter, während er dem jungen Mädchen zerstreut zuhörte. So manches fiel ihm jetzt erst in Weras ganzem Benehmen ihm gegenüber auf, was er bisher kaum beachtet hatte. Kleinigkeiten waren es nur, und doch ergaben sie, nunmehr in ihrer Gesamtheit aneinander gereiht, eine sichere Beweiskette für seine Vermutung. Kein Zweifel: Wera Wenzel, die ihm jetzt in so anschaulicher Weise von dem intimen Reiz und dem hohen künstlerischen Wert der Zoppoter Waldfestspiele erzählte, welche zu besuchen er bisher verabsäumt hatte, liebte ihn seit langem. Und bei dieser Erkenntnis stieg in Hans Dreßlers den weichsten Regungen so leicht zugänglichem Herzen ein tiefes Mitleid auf.

Zum Glück – denn jetzt war ihm das weitere Alleinsein mit ihr nur eine Qual – hörte er bald darauf die schlecht geölte Haustür in ihren Angeln kreischen und dann einen schnellen Schritt auf dem Flur. „Es ist Ihr Vater, Fräulein Wera,“ meinte er scharf hinaushorchend. „Ich erkenne seine Art zu Gehen sofort. – Richtig, da ist er schon.“

Jakob Wenzel schien bei dem Anblick Dreßlers durchaus nicht angenehmen überrascht zu sein. Aber die Falte, die sich für einen Moment in seine Stirn eingegraben hatte, glättete sich ebenso schnell, und, seine Verwirrung geschickt verbergend, streckte er dem Besucher zur Begrüßung die Hand hin.

„Guten Abend, Herr Doktor. – Guten Abend, Wera.“

Er küßte seine Tochter flüchtig auf die Stirn, so flüchtig trotz der langen Abwesenheit, daß das junge Mädchen ihn ganz erstaunt anblickte. Schon wollte er sich zu den beiden an den Tisch setzen, rief dann aber noch schnell Wera ins Nebenzimmer, nachdem er sich bei Dreßler entschuldigt hatte, und fragte sie leise:

„Habt Ihr etwa über die – Statue gesprochen?“

„Nein, kein Wort.“

„Und hast du dem Doktor gegenüber auch nichts über meinen Bruder erwähnt?“

[47] „Nein, weder ihm noch sonst jemanden gegenüber. Aber was soll dies alles, Vater?“

Wenzel atmete bei dieser Antwort sichtlich erleichtert auf und ging dann ins Wohnzimmer zurück, ohne Weras Frage weiter zu beachten.

„Sie werden neugierig sein, was ich ausgerichtet habe,“ begann er dann sofort von der Angelegenheit zu sprechen, die Dreßler augenblicklich am meisten interessieren mußte. „Wir können die Sache ruhig in Gegenwart meiner Tochter verhandeln, Herr Doktor. Wera ist verschwiegen wie das Grab. Ich pflege vor ihr keine Geheimnisse zu haben.“

„Sollen Sie auch gar nicht, lieber Wenzel,“ erklärte Dreßler zustimmend. „Also beginnen Sie!“

Der kleine Händler zögerte etwas. In seinem ganzen Gebaren zeigte sich auch jetzt noch eine gewisse Unruhe, etwas Fahriges, Unsicheres, das dem Doktor aber merkwürdigerweise entging. Nur Wera musterte ihren Vater immer wieder verstohlen mit prüfenden Blicken.

„Ja, leider sind meine Bemühungen ganz ergebnislos gewesen,“ begann Wenzel jetzt hastig. Er vermied es beim Sprechen jedoch, Dreßler anzusehen, starrte vielmehr andauernd vor sich hin auf das feine Gewebe der Tischdecke.

„Ich bin dem Mann in dem grauen Pelerinenmantel, wie Sie es gewünscht hatten, überall hin gefolgt. Zunächst suchte der Unbekannte, nachdem er Ihre Spur verloren hatte, ein Restaurant auf und ließ sich etwas zu essen geben. In dem Lokal – es war das Restaurant Deutsches Haus am Holzmarkt – blieb er bis gegen 8 Uhr. Ich benutzte die Zeit, um gleichfalls etwas zu mir zu nehmen. Dann brach der Fremde auf und bestieg einen Wagen der elektrischen Bahn und fuhr nach dem Vorort Neufahrwasser hinaus. Hier in den menschenleeren Straßen des Hafenplatzes gestaltete sich die weitere Verfolgung recht schwierig. Trotzdem blieb ich immer hinter ihm, ließ ihn nicht aus den Augen. Aber – auch dies half nichts. Denn mit einem Mal war der [48] Mann in einer der engen, auf den Hafen mündenden Gassen und zwar in der Herberstraße spurlos verschwunden. Ich suchte noch eine gute halbe Stunde, um wenigstens das Haus herauszufinden, in das er so schnell geschlüpft war. Aber alles umsonst. Da mußte ich wohl oder übel nach Danzig zurückkehren.“

Dreßler war durch diesen Bericht keineswegs entmutigt.

„Wenn wir nur wissen, daß der Fremde sich in Neufahrwasser aufhält, dann werden wir ihn schon finden, lieber Wenzel. Jedenfalls danke ich Ihnen bestens für Ihre Unterstützung. Sie haben aber nunmehr ein Recht von mir zu erfahren, warum ich eine so lebhafte Teilnahme für den Grauen zeige. Selbstverständlich rechne ich auf Ihre volle Diskretion. Sie werden ja bald selbst sehen, daß die Sache mit größter Verschwiegenheit zu behandeln ist.“

Darauf erzählte er den beiden alles, was er über den Fall Durgassow bisher in Erfahrung gebracht hatte. Und als es nichts mehr zu erwähnen gab, fügte er freundlich hinzu: „Mir wäre es nun sehr angenehm, lieber Wenzel, wenn Sie mir auch fernerhin helfen wollten. Es gibt bei dieser Angelegenheit sicher noch eine ganze Menge zu tun, was ich unmöglich allein erledigen kann. Vielleicht macht es Ihnen auch Spaß, einmal so ein wenig Detektiv zu spielen. Darf ich mich also an Sie wenden, falls ich eine zuverlässige Person nötig habe?“

„Aber gern, sehr gern, Herr Doktor,“ entgegnete der kleine Händler eifrig. „Jeden Augenblick stehe ich zu Ihrer Verfügung. Mich interessiert die Sache außerordentlich. Ich glaube, gerade das Geheimnisvolle würde wohl jeden reizen. Außerdem, ich bin Ihnen ja auch sehr zu Dank verpflichtet, Herr Doktor. Sie haben mir manchen guten Kunden zugeführt.“

„Halt, da fällt mir eben ein,“ rief Dreßler lebhaft, „daß wir ja noch ein Geschäft miteinander abzuwickeln haben. Sie sagten mir doch, als wir uns heute mittag vor der Haustür begegneten, daß die Buddha-Statue glücklich angelangt ist. Wenigstens [49] deutete ich mir Ihre Worte: „Jetzt hab’ ich sie!“ in diesem Sinne.“

Jakob Wenzel nickte.

„Die Statue ist wirklich da. Ich hoffe, sie wird Ihren Erwartungen entsprechen. Es ist alte Arbeit, das sieht man auf den ersten Blick. – Wera, geh’ und hole bitte die Statue. Sie steht in dem Mittelspind im Laden. Hier sind die Schlüssel.“

Dreßler konnte das seltene Stück, das den aus Elfenbein geschnitzten altmexikanischen Gott Vitzliputzli in der charakteristischen Haltung mit über der Brust gekreuzten Armen darstellte und vielleicht zwanzig Zentimeter hoch war, gar nicht genug bewundern.

„Hat Ihr Bruder Ihnen vielleicht auch geschrieben, wo er die Statue erworben hat?“ fragte Dreßler dann den Antiquitätenhändler, indem er die Elfenbeinschnitzerei, die offenbar Jahrhunderte alt war, noch immer mit den begeisterten Augen des Sammlers betrachtete.

„Ja, – in Mexiko von einem Chinesen,“ erwiderte Wenzel. „Und der Preis ist trotz der Seltenheit des Stückes gering, – dreihundert Mark.“

„Die bezahle ich gern,“ lachte Dreßler. „Meine brave Kascha wird allerdings wieder sagen: „Wie kann man nur für son Zeugs soviel Geld ausgeben!“ Aber ihr fehlt eben jedes Verständnis. Sie schätzt meine Sammlung nur danach ein, welche Stücke leicht und welche schwer sauber zu halten sind.“

Dann fühlte sich Dreßler verpflichtet, auch eine Frage nach dem Ergehen von Albert Wenzel, dem jüngeren, seit längerer Zeit in Mexiko ansässigen Bruder des kleinen Händlers, an diesen zu richten.

„Was treibt Ihr Bruder jetzt eigentlich drüben in Mittelamerika?“ meinte er, die Statue vor sich auf den Tisch stellend. „Denkt er noch immer nicht daran, in seine alte Heimat zurückzukehren?“

Jakob Wenzel kam diese Frage augenscheinlich sehr ungelegen. Leicht wurde ihm die Antwort jedenfalls nicht. Zunächst zuckte er die Achseln, als ob er sagen wollte: „Der scheint sich nach Europa gar nicht [50] mehr zurückzubangen.“ – Dann rieb er sich verlegen die Hände und brachte endlich heraus:

„Er erwähnte nichts davon. Nur daß es ihm gut geht, und er für längere Zeit wieder ins Innere verreisen wolle. Ich dürfe ihm daher auch nicht eher schreiben, bis er mir seine neue Adresse mitgeteilt hätte.“

Bei dieser Antwort richtete sich Wera ganz erstaunt auf. Schon wollte sie eine Bemerkung machen, aber ein strenger Blick ihres Vaters ließ sie schweigen.

Dem ahnungslosen Dreßler entging auch dieser Zwischenfall. Bedauernden Tones sagte er nur:

„Schade, daß Ihr Bruder in nächster Zeit nicht zu erreichen ist. Ich hätte mir gar zu gern bei ihm noch andere mexikanische Altertümer bestellt.“

Inzwischen war es recht spät geworden. Dreßler verabschiedete sich daher und stieg, den neuerworbenen Schatz sorgfältig im Arm tragend, die steile Treppe zu seiner Wohnung empor. –

Als er gegangen war, herrschte zwischen den Zurückbleibenden erst eine Weile ein drückendes Schweigen. Dann wandte sich Jakob Wenzel etwas verlegen an seine Tochter.

„Wera, ich habe meine bestimmten, sehr schwerwiegenden Gründe gehabt, weswegen ich dem Doktor soeben die Unwahrheit sagte. Dreßler darf auf keinen Fall erfahren, daß Dein Onkel Albert bereits in London ist. Er hat die Kiste, in der mein Bruder die Statue schickte, nicht gesehen und somit keine Ahnung, wo sie auf die Post gegeben ist, – ob in Mexiko oder in London. Mag er bei dem Glauben bleiben, daß Albert noch in Amerika weilt.“

„Aber weshalb nur diese Heimlichkeiten, Vater?“ fragte das junge Mädchen beinahe vorwurfsvoll. „Du, der bisher die Wahrheit so über alles liebte, der mir stets so sehr eingeschärft hat, die Lüge als etwas Verabscheuungswürdiges zu hassen. – Du hintergehst jetzt einen Menschen, der uns stets mit größter Freundlichkeit behandelt hat und uns nie fühlen ließ, daß er gesellschaftlich weit über uns steht?! [51] – Wozu das alles! Außerdem, glaubst Du denn, ich hätte nicht gemerkt, daß Du heute bei Deiner Rückkehr ganz, ganz anders warst als sonst, – beinahe scheu, so, als ob Du plötzlich ein schlechtes Gewissen hattest? Was ist Dir denn während Deiner Abwesenheit begegnet, das Dich derart verändern konnte?“

„Verspricht mir, gegen jedermann zu schweigen, und Du sollst die Wahrheit erfahren,“ sagte Jakob Wenzel ernst.

Wera zauderte.

„Gut,“ erklärte sie endlich. „Ich werde schweigen, trotzdem ich nicht begreifen kann, weshalb wir gerade vor dem Doktor, der uns noch soeben einen so deutlichen Beweis seines vollsten Vertrauens durch die Erzählung der merkwürdigen Angelegenheit mit dem alten Herrn Durgassow gegeben hat, Geheimnisse haben sollten.“

„Ich habe Dein Wort, Wera,“ meinte Wenzel, ohne auf ihre Bemerkung näher einzugehen. „Wisse also: Ich traf heute abend meinen Bruder hier in Danzig, wo er eine geschäftliche, die strengste Diskretion erfordernde Sache zu erledigen hat und sich daher hier sozusagen inkognito aufhält.“

Das junge Mädchen konnte ihr Erstaunen über diese Nachricht nicht verbergen.

„Wie, Deinen Bruder hast Du gesprochen, Vater, – wirklich, Deinen Bruder?! Aber er schrieb doch noch in dem dem Paket beigefügten Briefe, daß er vorläufig in London zu bleiben gedenke. Und nun ist er plötzlich hier in Danzig?“

„Ja. Ich traf ihn auch nur ganz zufällig, als ich jenem Fremden nachging, mit dessen Beobachtung mich Dreßler betraut hatte,“ entgegnete der kleine Händler stockend.

Wera schüttelte den Kopf.

„Hat der Onkel Dich den bei der Verfolgung des Unbekannten begleitet, daß Ihr soviel Zeit fandet, lange Gespräche zu führen,“ meinte sie mit deutlichem Argwohn.

Jakob Wenzel wußte auf diese unerwartete [52] Frage so schnell keine passende Antwort. Daher sagte er beinahe unwirsch:

„Wo wir uns trafen, ist ganz gleichgültig. Jedenfalls hast Du reinen Mund zu halten, verstehst Du, Wera! – Und nun gute Nacht. Ich bin müde. Und erwähne meinen Bruder am besten vorläufig überhaupt nicht mehr. Er verläßt Danzig ohnehin schon morgen.“ –

Wera Wenzel verbrachte eine schlaflose Nacht. Immer wieder überlegte sie sich das, was ihr Vater mit ihr besprochen hatte. Sein Verhalten war ihr völlig unverständlich. Und sie weinte schließlich bittere Tränen, weil zum ersten Mal etwas wie eine Entfremdung zwischen ihnen entstanden war.




6. Kapitel.

Hans Dreßler war ein Frühaufsteher und seit langem gewöhnt, in der warmen Jahreszeit seinen Morgenkaffee spätestens um halb sieben Uhr einzunehmen. Daher konnte er am folgenden Tage, einem sonnenklaren Sonntag, auch bereits um sieben Uhr zu dem notwendigen kleinen Ausflug nach Neufahrwasser aufbrechen, wo er in der Herberstraße, in der der Mann im grauen Pelerinenmantel nach Jakob Wenzels Angabe so urplötzlich unsichtbar geworden war, diesem Unbekannten vorsichtig nachspüren wollte. Leider blieb diese Fahrt nach dem Hafenvorort jedoch ohne jedes Resultat. Dreßler untersuchte zunächst die einzelnen Gebäude der engen Gassen daraufhin, ob eines von ihnen vielleicht einen zweiten Ausgang nach einer anderen Straße hätte. Dies war aber bei keinem einzigen der Fall. Mithin konnte der Graue nur in eines der niedrigen, meist einstöckigen und recht altertümlichen Häuser geschlüpft sein. Der Doktor machte sich nach dieser Feststellung an die nicht gerade angenehme Aufgabe, in den Wohnungen vorsichtig nach dem Fremden Nachfrage zu halten.

Hierbei kamen ihm die Erfahrungen aus seiner [53] früheren Tätigkeit als Detektiv sehr zu statten. – Es war bereits 10 Uhr geworden, als er dann ziemlich mißmutig mit der elektrischen Bahn nach Danzig zurückkehrte, da er auch nicht den geringsten Erfolg zu verzeichnen hatte. Zu Hause angelangt, setzte er sich sofort an seinen Arbeitstisch und entwarf folgendes Inserat, das er in den Danziger Kurier, dieselbe Zeitung, in deren Leitartikel vom letzten Dienstag Durgassow die vielsagenden Zeilen: „Schon viele Minister tauchten in der Versenkung unter, weil sie einer bestimmten politischen Gruppe unbequem waren“ rot umrändert hatte, einrücken lassen wollte:

Minister-Versenkung. Wo bist Du zu treffen? Ich sehne mich nach Dir, M. Antwort unter M. V.

„So, das wäre erledigt,“ dachte Dreßler und schob das Inserat in einen Briefumschlag. „Ich hoffe, diese wie eine Bitte um ein zärtliches Rendezvous anmutenden Zeilen werden niemandem auffallen. Sie sehen harmlos aus und müssen Durgassow doch, falls er in seinem Versteck auf die kluge Idee kommen sollte, gerade den Annoncenteil des Kuriers zu durchblättern, ihrer Überschrift wegen aufstoßen. Ich muß eben unbedingt wissen, wo der alte Herr sich zur Zeit aufhält, um mich mit ihm in Verbindung setzen zu können. Ist dies erst geglückt, so werden wir über die weiteren Schritte, die im Interesse aller Beteiligten getan werden müssen, schon einig werden.“

Eine halbe Stunde später begab er sich dann zu Wielands.

„Die Herrschaften zu Hause?“ fragte er das ihm öffnende Stubenmädchen.

„Bedaure, Herr Doktor. Die Herrschaften sind vor wenigen Minuten nach der Schichauwerft gefahren, wo heute der neue Lloyddampfer „Kaiser Friedrich“ vom Stapel läuft.“

Bei dieser Nachricht atmete Dreßler erleichtert auf. Es schien zwischen dem Ehepaar ja bereits wieder die vollkommenste Harmonie zu bestehen. Glücklicher Freund! Wie schnell ihn doch die heiße Liebe zu seinem Weibe, seiner vergötterten Maria, all die [54] Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit hatte vergessen lassen.

„Bestellen Sie bitte, daß ich Nachmittags gegen vier Uhr nochmals vorsprechen werde,“ gab er dann dem Mädchen Bescheid.

In demselben Augenblick öffnete sich eine der in den Korridor mündenden Türen, und Anna Wieland in hellem Sommerkostüm, zum Ausgehen fertig, stand Dreßler gegenüber.

Die Begrüßung fiel von beiden Seiten weniger herzlich aus als sonst.

„Ich will das herrliche Wetter zu einem Spaziergang nach dem Langfuhrer Walde benutzen,“ erklärte Anna Wieland in ziemlich kühlem Tone. „Maria und Karl sind zum Stapellauf gegangen, ein Ereignis, das mich selbst recht wenig interessiert, da ich derartigen Festakten bereits mehrfach beigewohnt habe.“

Sie waren inzwischen die Treppe hinabgestiegen und standen jetzt vor der Haustür auf dem Bürgersteig.

„Fräulein Anna,“ bat Dreßler nach kurzem Überlegen, „würden Sie mir wohl einen großen Gefallen tun?“

„Wenn mir die Erfüllung Ihres Wunsches möglich ist, warum nicht?“ entgegnete sie noch immer mit derselben Zurückhaltung.

„Gestatten Sie, daß ich mich Ihnen anschließe. Ich habe ohnehin mit Ihnen Verschiedenes durchzusprechen und möchte mir bei Ihnen auch in der Angelegenheit Durgassow Rat holen.“

„Bitte, – wenn’s weiter nichts ist.“ – Auch dies klang wieder so kühl, daß Dreßler daraufhin mit einem schnellen prüfenden Blick ihr Gesicht streifte. Aber er schwieg vorläufig. –

In wenigen Minuten brachte der Vorortzug sie nach Langfuhr hinaus. Im nördlichen Teile des hügeligen Stadtwaldes mit seinen uralten Eichen- und Buchenbeständen begegneten sie auf den schattigen Wegen nur wenigen Spaziergängern. – Es war einer jener wunderbaren Junivormittage, in denen jeder [55] das frische Grün der Bäume um sich und den lachenden Sonnenschein über sich wie ein Geschenk Gottes empfinden mußte, einer jener Tage, die uns mitteilsam machen, weil die äußere Schönheit der Natur unser Herz mit beglückender Daseinsfreude erfüllt.

Die beiden waren die steile Anhöhe am nördlichen Rande des Waldes emporgestiegen und dann auf dem mit Bänken versehenen, höchsten Aussichtspunkt stehen geblieben. Vor ihnen lagen jetzt weite Felder, in der Ferne die in grüne Baumgruppen eingebetteten Häuser Olivas und Zoppots, dahinter der blaue Spiegel der Danziger Bucht, der am Horizont mit dem wolkenlosen Himmel in eins zerfloß.

„Es ist schön hier bei uns, wunderbar schön,“ sagte Anna Wieland nach einer Weile träumerisch. „Schon oft habe ich gewünscht, dieses herrliche Landschaftsbild auf die Leinwand bannen zu können. Aber leider, – dazu reicht mein kleines Talent nicht aus.“

„Sie denken sehr bescheiden von Ihrer Kunst, Fräulein Anna. Versuchen Sie’s doch einmal! Ich meine, ein besserer Platz zu beschaulicher Arbeit nach der Natur läßt sich kaum finden als dieser hier. Am Alltag ist der Wald hier noch einsamer.“

Inzwischen hatten sich Anna Wielands Gedanken bereits wieder von dem Einfluß dieser farbenfrohen, abwechselungsreichen Umgebung frei gemacht. Sie fürchtete, daß Dreßler sie in ein längeres Gespräch über Kunst verwickeln könnte. Und das wäre ihr sehr ungelegen gekommen, da sie diese Zeit des Alleinseins mit ihm lediglich für die Interessen ihres Bruders auszunutzen gedachte und außerdem auch neugierig war, was der Doktor ihr wohl mitzuteilen hätte. Deshalb ging sie auf seine letzte Bemerkung nicht näher ein, sondern sagte, indem sie mit ihrem Sonnenschirm nach einer abseits stehenden Bank deutete:

„Ich denke, wir nehmen dort für eine Weile Platz. So können wir ganz ungestört und in aller Ruhe das Nötige besprechen.“

„Gut. Ich bin einverstanden,“ erwiderte Dreßler [56] und stäubte dann fürsorglich erst mit seinem Taschentuch die Holzbank ab, damit die helle Toilette seiner Begleiterin nicht durch den Staub leide.

„Fräulein Anna,“ begann er, nachdem sie sich gesetzt hatten, „daß ich kein Freund von langen Einleitungen bin, wissen Sie. Daher zunächst zu Punkt eins: Sie haben irgend etwas gegen mich. Das merkte ich heute schon bei der Begrüßung. Bitte, – was ist’s?“

„Sie sind nicht ehrlich gegen Karl, Herr Doktor,“ erwiderte sie ohne Zögern. „Ich weiß genau, daß Maria gestern gegen Abend bei Ihnen war, – sicherlich, um wegen des Verschwindens ihres Vaters mit Ihnen nochmals Rücksprache zu nehmen. Diesen Besuch hat sie uns verschwiegen. Und das hätte meine Schwägerin nie getan, wenn sie nicht gewußt hätte, daß auch Sie darüber reinen Mund halten würden. Also liegt so etwas wie ein Komplott zwischen Ihnen und Maria vor, – irgendwelche Heimlichkeiten, die, falls mein Bruder davon erfährt, die Situation in unserem Haus nur wieder zuspitzen würden.“

„Woher wissen Sie denn, daß Ihre Schwägerin mich gestern aufgesucht hat?“ fragte Dreßler ohne jede Empfindlichkeit über diese Vorwürfe.

„Ich sah Maria aus Ihrem Hause herauskommen.“

„Daher also. – Nun gut, – Ihre Schwägerin war bei mir. Und für diesen Schritt, der ihr sicher nicht leicht geworden ist, müssen wir alle ihr Dank wissen. – Sie sehen mich etwas ungläubig an. Doch – es ist so. Um Marias Verhalten aber ganz zu begreifen, sollen Sie erfahren, was ich über den Fall Durgassow heute bereits weiß. Ich sage, „den Fall Durgassow“. Denn wir haben es hier tatsächlich mit einer ziemlich verwickelten, durchaus nicht leicht zu nehmenden Angelegenheit zu tun. Selbstverständlich rechne ich, wenn ich Sie, Fräulein Anna, ins Vertrauen ziehen, mit Ihrer Verschwiegenheit, die Sie auch Karl gegenüber vorläufig bewahren müssen, selbst wenn Ihnen das auch noch so schwer fallen sollte. [57] Wenn Sie erst alles erfahren haben, dürften Sie es wahrscheinlich selbst für am richtigsten halten, Ihren Bruder fürs erste in die eigentliche Sachlage nicht einzuweihen.“

Wortlos, nur bisweilen wie in ungläubigem Erstaunen den Kopf schüttelnd, hörte das junge Mädchen zu.

„Und jetzt, wo Sie die vorliegenden Verhältnisse bis ins einzelne zu überschauen vermögen,“ fügte Dreßler hinzu, nachdem es nichts mehr zu berichten gab, – „jetzt sagen Sie mir ganz offen, Fräulein Anna, Sie, die Sie Ihren Bruder wohl mit am besten kennen werden: Meinen Sie, daß Karl sich so leicht damit abfinden wird, eine junge Dame mit einer so mysteriösen Vergangenheit, noch dazu unter einem falschen Namen, zur Frau genommen zu haben?“

Anna Wieland schwieg unschlüssig und zeichnete nachdenklich mit dem Schirm verschlungene Linien auf den noch taufeuchten Boden.

„Karl liebt Maria unendlich, – das ist ja auch Ihnen bekannt, Herr Doktor,“ meinte sie dann. „Trotzdem dürfte meines Bruders seelisches Gleichgewicht aufs schwerste erschüttert werden, wenn er von all diesen rätselhaften Dingen etwas erfährt. Karl ist eben seinen ganzen Anschauungen nach ein großer Feind aller unklaren Verhältnisse, jeder Heimlichkeit. Man könnte ihn in dieser Beziehung beinahe einen Pedanten nennen. Daher bin ich auch dafür: Wir wollen ihn zunächst über Durgassows Vergangenheit und die damit in Zusammenhang stehenden jetzigen Ereignisse im Unklaren lassen. Vielleicht bietet sich uns später ein Weg, ihm die Enttäuschung, von seiner Frau in gewisser Weise hintergangenen zu sein, ganz zu ersparen.“

„Ich freue mich, daß Sie sich auf meinen Standpunkt stellen, Fräulein Anna,“ sagte Dreßler, ihr warm die Hand hinstreckend, da er sich durch diese ihre Meinungsäußerung auch in seinem eigenen Gewissen sehr beruhigt fühlte. „Es ist immer eine heikle Sache, einem so guten Freunde gegenüber, wie Karl [58] mir einer ist, mit falschen Karten zu spielen, mag man dabei auch noch so gute Absichten haben. Man kann eben nie vorausahnen, wie der Betreffende nachher dieses zu seinem Wohl inszenierte Ränkespiel auffaßt.“

„Nun – jetzt werden Sie über diese Zweifel leichter hinwegkommen, lieber Herr Doktor, nicht wahr?“ lächelte Anna Wieland. „Hinter Ihnen steht jetzt sozusagen der Familienrat, der Ihr Tun billigt und deckt. Karl wird, falls wir ihm wirklich reinen Wein einschenken müssen, schon einsehen, wie wir alle nur auf die Erhaltung seines Eheglücks bedacht gewesen sind. Eigentlich kann er sich glücklich schätzen, einen so aufopfernden Freund, wie Sie es sind, zu besitzen. Manch einer würde sich schön hüten, sich in Angelegenheiten zu mischen, bei deren Erledigung er sich vielleicht die Finger verbrennen kann.“ –

Noch eine gute halbe Stunde sprachen die beiden über allerhand Einzelheiten des Falles Durgassow. Dreßler entwickelte Anna Wieland dabei in großen Zügen seinen Schlachtplan. Mit stiller Bewunderung lauschte sie seinen Ausführungen, die ihr zeigten, in welch klarer Weise er die Sachlage überschaute und wie er jede sich ihm darbietende Möglichkeit nur dazu benutzen wollte, alle Unzuträglichkeiten von der ihm so nahestehenden Familie abzuwehren.

„Wer Sie so reden hört, Herr Doktor,“ meinte sie im Laufe des Gesprächs ehrlich, „so übersichtlich, so scharf durchdacht, der würde Sie eher für einen gewiegten Kriminalisten als einen harmlosen Privatgelehrten halten, der seine größte Freude im Sammeln von allerhand Raritäten und im Anstellen chemischer Experimente findet.“

Dreßler zögerte mit einer Erwiderung. Hier bot sich ihm endlich eine Gelegenheit, eine Aussprache herbeizuführen, die er bisher stets vermieden hatte. Und kurz entschlossen sagte er jetzt, indem er sie dabei prüfend anschaute, um jede Veränderung in ihren Zügen wahrnehmen zu können:

„Und wenn ich nun wirklich einmal Detektiv gewesen [59] wäre, Fräulein Anna? Würden Sie mich deswegen vielleicht weniger achten? Es gibt ja so viele Menschen, die in dem Detektiv-Beruf etwas – Unehrenhaftes sehen, eben weil die Leute dieses Standes gezwungen sind, zur Erreichung ihres Zieles nach allen möglichen Mitteln zu greifen, die häufig mit den allgemein üblichen Anschauungen über Offenheit und Ehrlichkeit nicht in Einklang zu bringen sind.“

„Sie – Detektiv?! Sie scherzen?!“

„Ich scherze nicht. Über ein Jahrzehnt gehörte ich zu den gesuchtesten Privatdetektivs Deutschlands. Für die große Welt war ich allerdings stets nur der Privatgelehrte Hans Dreßler. Und bestimmte Gründe bewogen mich, sogar Karl gegenüber über diese meine frühere Tätigkeit zu schweigen.“

„Bestimmte Gründe? Etwa weil Sie fürchteten, mein Bruder würde den einstigen Detektiv weniger schätzen als den Mann, den er nur als Chemiker kannte? – Da taxieren Sie Karl denn doch zu gering ein. Jedem, der Gelegenheit hat, Sie genauer kennen zu lernen, müßte Ihre Personen lieb und wert werden, Herr Doktor, jedem! Denn unter Ihrer kühlen, gleichmäßigen Ruhe leuchtet ja immer wieder Ihr edles, mitfühlendes Herz hervor.“

Anna Wieland wollte noch mehr hinzufügen. Aber noch zur rechten Zeit war ihr zum Bewußtsein gekommen, daß sie als junges Mädchen dem unverheirateten Herrn gegenüber unmöglich in diesem Tone fortfahren dürfe und daß eine so begeisterte Würdigung seiner Persönlichkeit leicht von ihm falsch aufgefaßt werden könnte.

Eine heiße Blutwelle war ihr in das Gesicht gestiegen. Und um ihre Verwirrung zu bemänteln, zog sie jetzt ihre Uhr und sagte schnell:

„Es ist Zeit, daß wir heimkehren, Herr Doktor. Ich möchte nicht zu spät zu Tisch kommen.“

Schweigend schritten sie dann den steilen Pfad wieder hinunter und bogen in den nach dem Langfuhrer Marktplatz führenden Weg ein, um von dort die Straßenbahn nach Danzig zu benutzen. Hans [60] Dreßler aber schalt sich einen Toren, daß er auch heute nicht den Mut gefunden hatte, Anna Wieland seine Liebe zu gestehen, gerade heute, wo er aus ihren Reden und ihrem ganzen Verhalten eine so beglückende Erkenntnis hatte schöpfen können.

Als die beiden gerade an der Haltestelle der Straßenbahn angelangt waren, begegnete ihnen Wera Wenzel, die anscheinend gleichfalls von einem Spaziergang zurückkehrte, da sie einen großen Strauß von Feldblumen und Gräsern in der Hand trug. Dreßler grüßte vertraulich, erhielt aber nur einen recht flüchtigen Gegengruß. Und es entging ihm nicht, wie forschend die Augen des verwachsenen Mädchens die Gestalt und das Gesicht seiner Begleiterin überflogen hatten.

„Das war meine Hausgenossin Wera Wenzel,“ sagte er erklärend zu Anna Wieland. „Ich habe Ihnen von dem armen Geschöpfchen bereits mehrfach gesprochen, dessen verunstalteter Körper eine so künstlerische, reiche Seele birgt.“

„Ich entsinne mich. Es ist die Tochter des kleinen Trödlers aus Ihrem Hause. Schade, daß das Schicksal dem armen Wesen zu dem feinen, geistvollen Antlitz nicht auch einen entsprechenden Körper beschert hat,“ meinte sie mitfühlend.

Dann bestiegen sie den Wagen der Straßenbahn.

Wera Wenzel hatte, als sie an den beiden vorüber war, die Lippen wie gepeinigt von einem plötzlichen körperlichen Schmerz fest aufeinander gepreßt. Ihr blasses Gesicht war noch um eine Schattierung bleicher geworden, und ganz unbewußt trieben die jagenden Gedanken sie immer schneller vorwärts. Das also war die Glückliche, die Hans Dreßler liebte, – jene Anna Wieland, von der er ihr so oft erzählt hatte, die fast täglich mit ihm zusammensein durfte! Dieses schöne, schlanke Weib würde er einst heimführen, kein Zweifel, – die würde seinen Namen tragen, die würde er mit seiner Liebe beglücken, diese Beneidenswerte, die nicht so mißgestaltet war wie sie, die arme, bucklige Wera! – Bitterer Neid fraß sich in ihrer [61] Seele fest, der sich noch steigerte, je länger sie diesen peinigenden Vorstellungen nachhing. Jetzt haßte sie die ganze Welt, – alles, alles: niemandem gönnte sie etwas Gutes, niemandem, am allerwenigsten jenem schönen Mädchen den Mann, den sie selbst liebte. Ein böses Lächeln verzerrte plötzlich ihr Gesicht. – „Eigentlich wollte ich Dich vor meinem Vater warnen, Hans Dreßler,“ dachte sie in ihrer maßlosen Eifersucht. „Aber ich ebne keinem Menschen die Wege mehr, keinem helfe ich, keinem! Wer weiß, was dann aus der Affäre Durgassow noch entsteht, wer weiß, ob sich nicht zwischen Dir und der anderen Hindernisse auftürmen, die Eure Vereinigung unmöglich machen.“




7. Kapitel.

In einer der engen Gassen, die auf die Mottlau, den für Danzigs Schiffahrt zum Hafen erweiterten Nebenfluß der Weichsel, einmünden, steht dicht am Wasser eine zweistöckige verräucherte Kneipe, über deren Tür ein großer eiserner Schiffsanker in die Mauer eingelassen ist. In dieser recht großartig „Hotel zum Anker“ getauften Kneipe saßen drei Tage später, am Dienstagabend in einem der kleinen, bescheiden möblierten Fremdenzimmer zwei Männer in flüsternder Unterhaltung an dem einzigen Fenster.

„Ich habe Wera erzählt, ich würde einen kurzen Spaziergang machen,“ sagte soeben der eine und zwar der kleinere von beiden. „Sie ist sehr mißtrauisch und auch gar nicht gewöhnt, daß ich einmal ohne sie ausgehe. Anscheinend glaubt sie an Deine Abreise nicht recht und vermutet Dich noch hier in Danzig.“

„Was sie vermutet, ist schließlich gleichgültig. Die Hauptsache bleibt, daß sie meine Anwesenheit hier nicht mit dem Verschwinden dieses Schuftes von Durgassow in Verbindung bringt und etwa zur Verräterin wird.“

„Da kannst Du ganz beruhigt sein, Albert. Sie [62] ahnt sicherlich nichts, und auf ihre Verschwiegenheit können wir uns verlassen.“

„Desto besser. Nun aber heraus mit den heutigen Neuigkeiten, auf die ich wirklich sehr gespannt bin.“

„Als wir uns am Sonnabend trennten, verabredeten wir, wie Du Dich entsinnen wirst, daß ich Dich hier nur aufsuchen sollte, wenn eine persönliche Unterredung unbedingt nötig wäre. Was an demselben Abend dann noch zwischen mir und dem Doktor vereinbart wurde und wie ich denselben auf eine falsche Spur nach Neufahrwasser lockte, schrieb ich Dir.“

„Ja, ich habe den Brief erhalten, in dem das Wertvollste fraglos die Mitteilung war, daß jener Dreßler Dir als seinem Vertrauten von dem in den Danziger Kurier eingerückten Inserat, durch das er sich mit Durgassow ins Einvernehmen setzen zu können hofft, erzählt hat. Inzwischen habe ich die Annonce gefunden. Sie hat bereits in der Montagmorgenausgabe gestanden, wie ich feststellte.“

„Und hast Du die heutige Abendnummer bereits auf eine etwaige, von Durgassow herrührende Antwort durchgesehen?“ fragte Jakob Wenzel jetzt mit listigem Augenzwinkern.

„Überflogen habe ich den Inseratenteil allerdings, doch leider ohne Erfolg.“

„Nun, dann besitze ich bessere Augen wie Du. – Hier ist die Zeitung. Und da auf der letzten Seite steht etwas, das uns recht sehr interessieren dürfte.“

Es war draußen noch genügend hell, um hier am Fenster die Druckschrift lesen zu können.

Begierig überflog Albert Wenzel die wenigen Zeilen, die folgendermaßen lauteten:

Wer größere Hypothek sucht, wende sich an direkten Geldgeber. Anfragen unter M. V. Berent, Westpreußen, postlagernd.

Kaum hatte Albert Wenzel den Inhalt begriffen, als er förmlich von seinem Stuhl in die Höhe schnellte.

„Kein Zweifel, – es ist eine Erwiderung Durgassows! Unter M. V. wurde ja in des Doktors [63] Annonce um eine Antwort gebeten. Der eigentliche Sinn der Zeilen ist wirklich recht geschickt hinter dem harmlosen Geldangebot versteckt. – Nun heißt es handeln, sogar sehr schnell handeln. Denn sicherlich hat Dreßler jetzt auch bereits Kenntnis, wo sich Durgassow befindet. Und ihm will ich zuvorkommen, muß ich zuvorkommen, sonst vereitelt er mir meine Pläne.“

„Die hoffentlich auf keine Gewalttat hinauslaufen, Albert!“ warf Jakob Wenzel ängstlich ein. „Du weißt, was Du mir versprochen hast! Nur unter der Bedingung, daß Du im Guten die Herausgabe dessen versuchst, worum Michael Durgassow Dich einst geschädigt hat, lieh ich Dir meine Unterstützung.“

Albert Wenzels fahles, kränkliches Gesicht verzog sich zu einer häßlichen, von Wut und Rachegelüsten entstellten Fratze.

„Sei ohne Sorge, Bruder. Ich werde nur tun, wozu mich die Umstände zwingen,“ gab er zweideutig zur Antwort. In seinem Innern aber war nur eine Stimme des Jubels, daß er endlich, nach so langen Jahren mühevollen Suchens den Menschen, den er am glühendsten auf der Welt haßte, in seine Gewalt bekommen sollte. Aber diese wilden Gedanken verbarg er wohlweislich in seiner Brust. Und nur sein bewegtes Mienenspiel hätte sie einem scharfen Beobachter verraten können. Darauf achtete Jakob Wenzel jedoch weniger. Er war jetzt nur noch erfüllt von dem einen Wunsche, daß seines Bruders Vorhaben gelingen und ihm dadurch sein Anteil an den zu erwartenden Reichtümern baldigst zufallen möchte. Dann konnte er den kleinen Laden Haustor Nr. 16 aufgeben, dann würde er mit seinem Kinde in eine andere Stadt ziehen, wo ihn niemand kannte, und in beschaulicher Ruhe nur seinen Neigungen lebend die ihm noch beschiedenen Jahre hinbringen. Denn das, was Albert vorhatte, vermochte er selbst bei schärfstem Abwägen aller Für und Wider nur als eine gerechte Sache anzusehen. Michael Durgassow hatte, daran gab es nichts zu deuteln, die übrigen Mitglieder des [64] Geheimbundes der Roten Hand, als deren letztes eben nur noch Albert Wenzel am Leben war, seiner Zeit aufs schmählichste hintergangen und um die Beute eines ebenso sorgsam vorbereiteten wie verwegen ausgeführten Streiches gebracht. Wenn ihm jetzt diese Beute oder doch wenigstens ein Teil derselben abgejagt wurde, so war das eben nur die späte Vergeltung für seine frühere Wortbrüchigkeit und Hinterlist.

Inzwischen war Albert Wenzel mit sich über alle weiteren Schritte ins reine gekommen. In leisem Flüsterton stellte er die verschiedensten Fragen an seinen Bruder, zog auch ein Kursbuch zu Rate und sagte dann schließlich, indem er aus seinem Reisekoffer ein Rasierzeug hervorholte und auf dem Tisch ausbreitete:

„Gut, ich fahre also noch heute mit dem Elf-Uhr-Zug ab, der nach dem Fahrplan in Hohenstein Anschluß nach Berent hat. Um aber keine Vorsicht außer acht zu lassen, werde ich mir meinen Bart abnehmen und mich möglichst unkenntlich machen. – Zieh bitte den Fenstervorhang zu. Es ist jetzt 9 Uhr. Da werde ich mit meinen Vorbereitungen noch sehr gut fertig.“

Das wenige, was die Brüder noch zu besprechen hatten, war bald erledigt, während Albert Wenzel beim Scheine der Lampe sich das Gesicht sorgfältig einseifte und mit dem Rasieren begann. Dann nahmen sie voneinander Abschied.

„Ich wünsche Dir gutes Gelingen,“ sagte der kleine Trödler nochmals und drückte dem Bruder fest die Hand. Darauf verließ er die Schifferkneipe und kehrte eiligst nach Hause zurück.

Albert Wenzel aber blickte ihm mit schadenfrohem Lächeln nach.

„Gut, daß ich Dich an der rechten Seite zu nehmen wußte,“ murmelte er vor sich hin, während das Messer kratzend die Barthaare von seiner Oberlippe entfernte. „Du bist mir ein brauchbares Werkzeug gewesen, ein sehr brauchbares sogar. Aber Du bist für ein Geschäft wie das meine doch noch zu sehr Anfänger, [65] zu zart besaitet. Daher ist es besser, wir sehen uns nicht wieder!“

Nach einer weiteren halben Stunde hätte niemand mehr in dem bartlosen älteren Manne mit der blauen Brille vor den Augen jenen Menschen im grauen Pelerinenmantel wiedererkannt, den Dreßler vor dem Wielandschen Hause beobachtet und durch den kleinen Händler hatte verfolgen lassen. Gerade als Albert Wenzel dann sein Zimmer verlassen wollte, um mit seiner Reisetasche in der Hand möglichst ungesehen die Treppe hinabzuschlüpfen, klopfte es. – Mit einem Satz war er an der Tür.

„Wer ist da?“ fragte er laut, indem er schnell den Riegel vorschob. „Ich ziehe mich gerade um. Was wünschen Sie?“

„Ich bin’s – Jakob,“ erklang hinter der Tür eine ihm wohlbekannte Stimme. „Öffne, es eilt sehr.“

Jakob Wenzel trat jetzt, mühsam nach Atem ringend, ein.

„Albert,“ begann er sofort hastig, „wir haben Glück gehabt. Denk’ Dir, eben bin ich zu Hause angelangt, als die alte polnische Haushälterin Dreßlers zu mir kommt und mich bittet, ich möchte ihrem Herrn doch einen Fünfhundertmarkschein wechseln. Er hätte kein Kleingeld im Hause, müßte auf unbestimmte Zeit verreisen und wollte ihr noch Wirtschaftsgeld dalassen.“

Der andere stampfte ärgerlich mit dem Fuße auf.

„Verd…! Der Doktor will ebenfalls nach Berent, nicht wahr? Denselben Gedanken hast Du auch sofort gehabt, stimmt’s?“

Der Trödler nickte eifrig.

„Genau denselben! – Und was nun? Er wird Deine Pläne durchkreuzen, – paß auf, es kommt so. Ich habe Ähnliches gleich gefürchtet, wollte dieser Besorgnis nur nicht Ausdruck geben.“

Albert Wenzel starrte finster vor sich hin in das rötliche Licht der Petroleumlampe.

„Noch ist Dreßler nicht in Berent, noch nicht,“ [66] sagte er endlich mit drohend gerunzelter Stirn. „Es muß sich ein Mittel finden lassen, ihn von dieser Reise zurückzuhalten oder es doch wenigstens so einzurichten, daß er zu spät in Berent eintrifft.“

„Wie willst Du das wohl erreichen,“ meinte der kleine Händler achselzuckend. „Dreßler ist ein sehr vorsichtiger Herr. Er fällt nicht so leicht auf einen plumpen Trick herein. Außerdem, – es ist jetzt zehn Uhr. Und um elf Uhr geht Dein Zug. Da bleibt Dir kaum noch Zeit, um einen bestimmten Entschluß zu fassen und auszuführen.“

Der andere lachte kurz auf: „Ich habe mich in meinem wildbewegten Leben schon häufig in Situationen befunden, wo ich mich im Augenblick für diesen oder jenen Plan entscheiden mußte. Auch hier werde ich noch einen Weg finden, meine Absichten trotz des Dazwischenkommens dieses vorwitzigen Doktors durchzusetzen, wenn ich auch zur Zeit noch nicht sagen kann, wie dies am besten zu erreichen ist. Jedenfalls wollen wir jetzt aufbrechen. Meinen Reisekoffer lasse ich hier. Er enthält nichts Wertvolles. Und den Betrag zur Bezahlung meiner Rechnung habe ich in ungefährer Höhe hier auf den Tisch gelegt nebst einem Zettel, daß ich plötzlich verreisen muß. Ich gedenke nach dem Hotel zum Anker nicht mehr zurückzukehren. In meiner Lage ist es ratsam, man wechselt das Quartier möglichst häufig.“

Unangefochten gelangten sie auf die Straße. Hier trennten sie sich sofort. Keiner von beiden ahnte, daß sie sich lebend nicht mehr wiedersehen sollten. –

Zu ungefähr derselben Zeit war bei Hans Dreßler ein offenbar mit verstellter Handschrift geschriebener Brief von einem jungen Menschen abgegeben worden. Die alte Kascha hatte auf das Klingeln geöffnet und das Schreiben in Empfang genommen. Als der Doktor jetzt den Inhalt gelesen hatte, fragte er seine Wirtschafterin hastig:

„Was hat der Überbringer Ihnen gesagt, als er Ihnen den Brief reichte?“

„Hatte der Mensch es sehr eilig, Herr Doktor, sehr. [67] Sagte er gar nichts, sondern lief er nur schnell wieder die Treppe hinunter.“

„Merkwürdig!“ murmelte Dreßler vor sich hin. „Der Fall Durgassow wird immer verwickelter. Warnt mich doch hier ein Unbekannter vor Jakob Wenzel, der meines Vertrauens nicht würdig sei. – Die Handschrift ist recht gut verstellt. Jedenfalls will ich den Brief mitnehmen. In der Bahn habe ich genügend Zeit zu untersuchen, ob ein Mann oder eine Frau ihn verfaßt hat. Sicherlich aber rühren diese verlaufenen Stellen hier von Wassertropfen her, – vielleicht gar von Tränen! – Merkwürdig, wirklich merkwürdig!“

– – – – – – – – –

Als der kleine Händler von dem zweiten Ausgang an diesem Abend heimkehrte, fand er seine Tochter mit vom Weinen stark geröteten Augen im Wohnzimmer am Tisch sitzend vor.

„Kind, was hast Du? So niedergeschlagen?“ fragte er besorgt.

Sie antwortete nicht, sondern schaute ihn nur mit ihren ehrlichen, reinen Augen vorwurfsvoll an. Und diesem Blick hielt er nicht stand. Verwirrt holte er sich einen Stuhl herbei und setzte sich neben sie.

„Wera, bekomme ich denn keine Antwort?“ bat er leise, indem er nach ihrer Hand haschte. „Sag’, was drückt Dich, Kind? Du bist überhaupt in den letzten Tagen so seltsam verändert, fast scheu mir gegenüber.“

Da erhob sie sich mit jäher Bewegung.

„Vater, wozu die Komödie? Wozu fragst Du mich,“ rief sie bitter. „Du mußt doch am besten wissen, was mich quält. Dein Bruder ist’s, der uns einander entfremdet hat. Seitdem er hier aufgetaucht ist, hast Du Heimlichkeiten über Heimlichkeiten vor mir. Und früher gab es nichts, das einer[3] dem andern vorenthielt. Glaube aber ja nicht, daß ich dieses Spiel etwa nicht durchschaue. Du hältst mich für weltfremder, für harmloser als ich in Wirklichkeit bin. Ich weiß sehr gut: Dein Bruder ist noch immer hier in [68] Danzig, so sehr Du diese Tatsache auch vor mir verbergen möchtest. Noch mehr: Dieser Onkel Albert, den ich nie in meinem Leben gesehen habe, ist – davon bin ich heute felsenfest überzeugt! – kein anderer als jener Mann im grauen Pelerinenmantel, den Du im Auftrage Doktor Dreßlers verfolgen solltest. – Streite das nicht ab! Erweitere durch fernere Unaufrichtigkeit die Kluft zwischen uns nicht noch mehr. Denn wo warst Du zum Beispiel heute Abend, wo eiltest Du so schnell hin, als Du kaum von Kascha erfahren hattest, daß der Doktor verreisen wolle. Wer konnte allein an dieser Nachricht ein Interesse haben, wer? – Doch nur die Feinde des alten Herrn Durgassow, auf deren Seite Du Dich gestellt hast, verführt durch Deinen Bruder. Oh, schon am Sonnabend, als Du Dreßler hier bei uns in so vielfacher Beziehung die Unwahrheit sagtest und mich zum Schweigen zwangst, schwante mir Böses. Jetzt aber sind meine Ahnungen zur Gewißheit geworden.“

Jakob Wenzel wagte keine Widerrede. In sich zusammengesunken saß er da. – So hatte seine Tochter noch nie zu ihm gesprochen. Und jetzt kam ihm auch selbst mit einem Male das, was er getan, so ungeheuerlich, so verwerflich vor! Wie hatte er sich nur, durch den lockenden Glanz des Goldes verführt, soweit vergessen können, von dem geraden Wege abzuirren, – gerade er, der bis dahin auf sein völlig reines Gewissen, seine unantastbare Ehrenhaftigkeit so stolz gewesen war.

Aber Wera ließ ihm keine Zeit, diese Selbstvorwürfe weiter auszuspinnen.

„Vater,“ begann sie wieder und ihre Stimme vibrierte leise, „Du weißt, daß ich schon früher einmal die Absicht hatte, mir als Erzieherin mein Brot zu verdienen. Jetzt, wo das alte, gute Verhältnis zwischen uns eine so schwere Trübung erfahren hat, wo ich in meiner Kindesliebe so tief durch die plötzliche Wandlung in Deinem Benehmen mir gegenüber verletzt worden bin, halte ich es für das beste, wenn ich für einige Zeit Dein Haus verlasse. – Bitte, [69] versuche mich nicht in meinem einmal gefaßten Entschluß wankend zu machen. Ich gehe fort von hier, sogar recht bald. An dieser Tatsache änderst Du nichts mehr.“

Jakob Wenzels Gesicht sah mit einem Mal so verfallen, so greisenhaft aus. Die Strafe für das, was er begangen, hatte ihn schon erreicht: Er hatte sein Kind verloren, – vielleicht für immer.

Wera war die Veränderung in seinen Gesichtszügen nicht entgangen. Ihr Herz trieb sie zu ihm, und sich neben ihm niederkniend, umschlang sie ihn zärtlich und sagte stockend unter heißen Tränen:

„Gib mir Zeit zum Vergessen, Vater. Später will ich ja gern zu Dir zurückkehren. Wir gehören ja doch zusammen, wir beide, die wir so einsam sind.“




8. Kapitel.

Als Dreßler zehn Minuten vor elf die Bahnhofshalle betrat, stand halb verborgen hinter einer Gruppe von Reisenden ein Mann, welcher die Eingänge und die Billettschalter bisher scharf bewacht hatte. Es war kein anderer als Albert Wenzel, der jetzt vorsichtig näher kam und deutlich hörte, wie der Doktor eine Fahrkarte zweiter nach Berent, der kleinen, vielleicht zehn Meilen von Danzig entfernten Kreisstadt in der Kassubei forderte.

Der Vorortzug nach Dirschau war wenig besetzt. Dreßler fand noch ein leeres Abteil und machte es sich in seiner Ecke möglichst bequem. Bald darauf verließ der Zug mit mäßiger Geschwindigkeit den Bahnhof.

Dreßler blickte träumerisch in die dunkle Nacht hinaus. Das Rattern der Räder verschlang jedes Geräusch, gestaltete sich zu einem fortwährenden Brausen, das auf seine durch die tagelange geistige Anspannung überreizten Nerven seltsam beruhigend wirkte. Seine Gedanken, die noch vor kurzem sich allein mit dem Falle Durgassow beschäftigt hatten, waren [70] abgeirrt. Vor ihm aus der Dunkelheit schien das liebliche Gesicht Anna Wielands aufzutauchen, das ihm mit eigenartig ernstem Ausdruck zunickte. Und dann verschwammen die Linien, und er sah ein anderes Bild, – daß der verwachsenen Tochter Jakob Wenzels, sah so deutlich ihre blassen melancholischen Züge mit den großen, wehen Kinderaugen darin. Und – war es denn ein Spuk, der ihn äffte – auch auf ihrem Gesicht lag ein trauriger Hauch. Und sie schien ebenfalls den Kopf wie warnend zu schütteln.

Ein unbehagliches Gefühl überkam ihn plötzlich. – War er denn mit seinen Nerven schon soweit herunter, daß er mit wachen Augen Gespenster sah?! – Hatte er sich doch zuviel zugetraut, als er diese Verantwortung auf sich nahm, einen Verfolgten vor seinen Feinden zu retten?! Das schloß er die Augen, um nichts mehr zu sehen. Nur Ruhe, Ruhe, die er so nötig gebrauchte. Bald fühlte er eine bleierne Müdigkeit in allen Gliedern, merkte, daß der Schlaf ihn übermannte.

Die schmale Verbindungstür nach dem Nebenabteil wurde vorsichtig geöffnet. Lautlos trat ein Mann herein, warf blitzschnell einen Blick umher und verschwand wieder.

Dreßler schlief jetzt vollkommen fest. Das verrieten seine tiefen, gleichmäßigen Atemzüge. Plötzlich schreckte er zusammen. Ein schwerer Körper lag auf dem seinen, hielt ihn in den Polstern fest. Über seinen Kopf war eine Decke geworfen, die ihn vollständig am Sehen hinderte. Gleichzeitig stieg ihm ein widerlich süßer Geruch in die Nase, den er nur zu gut kannte: Chloroform! Dieser betäubende Duft machte ihn vollends wach. Er wußte jetzt, in welch’ furchtbarer Gefahr er schwebte, hielt daher den Atem an und drehte sich blitzschnell, um den Angreifer abzuschütteln. Es gelang ihm nicht. Wie mit eisernen Klammern hielt ihn sein Gegner umschlungen. Jetzt mußte er endlich Atem holen. Das Blut sang ihm schon in den Ohren. Er sog den Chloroformdunst zugleich mit der Luft tief in die Lungen ein. Seine [71] Bewegungen wurden schwächer und schwächer. Das Betäubungsmittel tat seine Wirkung. –

Inzwischen jagte der Zug weiter und weiter. Jetzt fuhr er über die kleine Brücke dicht vor der Station Hohenstein und über die Weichen, wo das Bahngleis von Berent her einmündet. Dann kreischten die Bremsen, die Schaffner riefen die Station aus. – Nur wenige Fahrgäste verließen den Zug. Unter diesen befand sich auch Albert Wenzel, nicht aber Doktor Dreßler. Albert Wenzel bestieg dann den Berenter Zug, der wenige Minuten später davondampfte. –

Eine halbe Stunde später fand ein den letzten Dirschauer Vorortzug revidierender Schaffner in einem Abteil zweiter einen anscheinend im tiefsten Schlaf liegenden Reisenden, den er aber trotz energischsten Schüttelns nicht munter bekam. Schließlich wurde der Beamte besorgt und meldete den Vorfall dem Stationsvorstand. Der Reisende wurden in das Bureau gebracht, kam hier aber erst nach langen Bemühungen ins Leben zurück. Den kaum Erwachten versuchten die Beamten jetzt auszufragen. Aber merkwürdigerweise gab er nur recht widerwillig Auskunft, sagte nur, daß er wahrscheinlich infolge einer heftigen Magenverstimmung in Ohnmacht gefallen sei, nannte sich auf Befragen Dr. Dreßler und wollte aus Danzig sein. Da man in seinen Kleidern auch mehrere an Dr. Dreßler adressierte Briefe gefunden hatte, sonst auch nicht das geringste gegen ihn vorlag, wurde ihm auf seine Bitte ein Wagen beschafft, in dem er sich nach dem nächsten Hotel bringen ließ, da er zum Gehen noch zu schwach war.

In dem Hotel angelangt, ließ Dreßler sich zunächst eine starke Tasse Kaffee auf sein Zimmer bringen, nach deren Genuß er sich schon bedeutend besser fühlte. Dann beauftragte er den Kellner, ihm sofort ein Automobil für eine längere Fahrt zu besorgen.

Als vor dem Hotel ein viersitziges Automobil vorfuhr, stieg er bereits so elastisch die Stufen zur Straße hinab, daß ihm niemand mehr die eben überstandene [72] schwere Chloroformbetäubung anmerken konnte.

Morgens gegen 1/27 Uhr langte das Auto mit seinen beiden Insassen in Berent an. Dreßler ließ am Bahnhof halten, und bezahlte den Besitzer, den er schon vorher verpflichtet hatte, sofort wieder umzukehren.

Zu Fuß begab sich der Doktor hierauf in die Stadt. Bei dem ersten ihm begegnenden Menschen, einem Postbeamten, erkundigte er sich nach den Hotels. Der Mann empfahl ihm den Hamburger Hof. Dahin lenkte Dreßler jetzt seine Schritte. Als er das Gastzimmer betrat, war ein dralles Dienstmädchen gerade dabei, den Fußboden unter reichlich viel Wasserverbrauch zu scheuern. Das schreckte ihn aber nicht ab. Er ließ sich an einem kleinen Tisch am Fenster nieder und bestellte sich ein Frühstück, da er rechtschaffenen Hunger verspürte.

Ein verschlafener Pikkolo in speckig glänzendem schwarzen Jackettanzug schleppte[4] endlich auf großem Tablett den Imbiß herbei.

„Wohl recht leer jetzt, das Hotel?“ meinte Dreßler freundlich, indem er sich dabei ein Brötchen strich.

„Es geht!“ antwortete der Junge diplomatisch. Er wollte die Interessen seines Prinzipals wahrnehmen!

„So – so! – Es kommen wohl nur Geschäftsreisende hierher?“ fragte Dreßler weiter.

„O, auch andere!“ belehrte ihn der Pikkolo eifrig.

„Sommergäste wohl, die hier Erholung suchen?“

„Bisweilen suchen sie auch anderes. Zur Zeit wohnt zum Beispiel so ein Herr bei uns. Es ist ein Gelehrter, der hier in den Bauernhäusern der Nachbarschaft nach alten Zinntellern und anderem ähnlichen Zeuge herumstöbert. Der Herr ist aus Berlin.“

„Ein Gelehrter? – Wohl ein älterer Herr?“

„Jawohl, ein älterer Herr mit grauem Vollbart. Er heißt Max Dräger,“ erwiderte der redselige Kellnerlehrling.

„Max Dräger, – Max Dräger?“ meinte Dreßler, [73] in schlauer Berechnung den Nachdenklichen spielend. „Den sollte ich doch kennen. Warten Sie mal, – trägt der Herr den Vollbart nicht ganz breit und die Schnurrbartspitzen etwas herunterhängend?“

„Stimmt, mein Herr, stimmt genau.“

„O, das freut mich wirklich, daß ich meinem alten Freund Dräger hier begegne,“ sagte Dreßler ganz harmlos. „Welche Zimmer bewohnt er denn?“ fügte er hinzu und griff dabei nach einem zweiten Brötchen.

„Das ruhigste des ganzen Hotels: Nummer 6 im ersten Stock. Es liegt ganz für sich, ist sehr geräumig und sehr elegant ausgestattet. Für gewöhnlich wird es immer von den höheren Beamten benutzt, die bisweilen bei Inspektionsreisen hier absteigen,“ erklärte der Pikkolo wichtig.

Dreßler sann einen Augenblick nach.

„Bringen Sie mir jetzt ein Glas Portwein, – ein großes Glas,“ fügte er hinzu. Er wollte den Jungen durch fortgesetztes Ausfragen nicht mißtrauisch machen.

Als dieser dann nach einer Weile mit elegantem Schwung den Wein auf den Tisch stellte, bemerkte Dreßler, indem er dabei gleichgültig zum Fenster auf die Straße hinausblickte:

„Sie müssen hier wohl immer recht lange aufbleiben. Der letzte Zug trifft doch erst gegen ein Uhr ein und bringt doch sicher häufig genug noch Gäste.“

„Selten, mein Herr, selten,“ belehrte der Pikkolo. „Allerdings müssen wir stets die Ankunft unseres Hotelwagens abwarten. Aber meist kommt er leer. Der Nachtzug liegt zu ungünstig.“

„So, so. Na, jedenfalls sind Sie aber gestern spät ins Bett gekommen. Sie sehen noch recht müde aus,“ lächelte Dreßler wohlwollend.

„Gestern hatten wir aber auch noch mit dem letzten Zug einen Gast. Er bestellte ein Schnitzel, und ich mußte warten, bis er abgegessen hatte. – Richtig, jetzt besinne ich mich, – vielleicht interessiert das den Herrn –, dieser Gast von Nr. 2 ist ebenfalls ein Bekannter [74] von Herrn Dräger, wie er mir sagte, als ich ihn unsere jetzigen Gäste auf seine Bitte hin beschrieb. Ich soll aber Herrn Dräger nichts erzählen, da der Gast von Nr. 2 ihn gern persönlich überraschen möchte.“

Dreßler hatte sofort erkannt, wer einzig und allein dieser in der Nacht eingetroffene Gast gewesen sein könne. Bisher war es ihm noch völlig unklar geblieben, ob Durgassow von einer einzelnen oder von mehreren Personen verfolgt wurde, trotzdem er von Anfang an mehr der Ansicht zugeneigt hatte, daß ein Mann allein wohl kaum diese hartnäckige Hetzjagd unternommen haben würde. Nunmehr, da der rätselhafte Graue auch hier wieder ohne Begleiter erschienen war, zweifelte der Doktor nicht länger daran, es nur mit einem einzigen Gegner zu tun zu haben – mit demselben Manne, der das Wielandsche Haus bewacht, dem Jacob Wenzel vergeblich nachgespürt und der seinen gefährlichsten Feind durch Chloroform im Eisenbahnzuge zwischen Danzig und Dirschau unschädlich zu machen versucht hatte.

„Also überraschen will der Herr von Nr. 2 Herrn Dräger?“ nahm Dreßler das Gespräch geschickt wieder auf. „Das möchte ich selbst nämlich auch. Wann steht Herr Dräger denn gewöhnlich auf?“

„Herr Dräger läßt sich stets um neun Uhr den Morgenkaffee bringen.“

„So – und hat Sie danach der Herr von Nr. 2 auch gefragt?“

„Jawohl. Und dann erkundigte er sich noch, wann der erste Zug von Berent wieder abginge.“

„Und wann ist das?“

„Um 8 Uhr 30 Minuten. Der Zug hat Anschluß nach Berlin.“

Dreßlers Hirn verarbeitete mit Blitzesschnelle das eben Gehörte und suchte daraus bestimmte Schlüsse auf die Absichten des Grauen zu ziehen. Aber trotz seiner durch langjährige praktische Betätigung geschärften Kombinationsgabe wollte ihm das nicht gelingen. Denn die Fragen, die der Verfolger Durgassows [75] an den Kellnerlehrling gerichtet hatte, ließen in keiner Weise erkennen, wann und wo der Graue die fraglos geplante, entscheidende Unterredung mit Durgassow herbeiführen wollte, – eine Unterredung, der der Doktor, wenn irgend möglich, als heimlicher Zeuge beizuwohnen sich vorgenommen hatte. – Dreßler überlegte hin und her, ohne zu einem bestimmten Entschluß kommen zu können. Dabei verhehlte er sich jedoch nicht, daß die augenblickliche Situation ein schnelles Handeln unbedingt erforderte. Ein Zufall hatte gerade die drei Menschen, die in dem Falle Durgassow die Hauptrolle spielten, hier im Hamburger Hof zusammengeführt. Und jeden Moment konnte es geschehen, daß der Mann im grauen Pelerinenmantel das Gastzimmer betrat und ihn wiedererkannte, wodurch eine Aufklärung der mysteriösen Angelegenheit, wie der Doktor sie im Auge hatte, vielleicht für alle Zeiten vereitelt worden wäre.

Inzwischen war der Pikkolo, da der jetzt von seinen Gedanken völlig in Anspruch genommene Dreßler ihn nicht weiter beachtete, verschwunden. Der frühere Detektiv stand dabei auf und ging in das nebenanliegende Buffetzimmer, wo er dem dort mit Gläserspülen beschäftigten Kellnerlehrling erklärte, er wolle einmal zusehen, ob Herr Dräger vielleicht schon wach sei.

„Aber es ist doch erst 1/48,“ meinte der Junge mit einem Blick auf den an der Wand hängenden Regulator. „Herr Dräger wird sicherlich noch schlafen.“

„Das macht nichts aus,“ beruhigte Dreßler ihn. „Wir sind so gute Bekannte, daß Dräger mir’s nicht verargt, wenn ich ihn auch jetzt schon wecke.“




[76]
9. Kapitel.

Wenige Minuten später stand Dreßler vor der Tür zu Nr. 6, nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Zimmer Nr. 2, wo der Graue wohnte, im anderen Flügel des Hauses lag. Ohne Zögern klopfte er an, erst leise, dann immer stärker. Aber nichts rührte sich. Diese Stille kam ihm schließlich verdächtig vor. Sollte Durgassow vielleicht von der Ankunft seines Feindes zufällig etwas erfahren haben und abermals geflohen sein? – Unmöglich war das nicht.

Dreßler beugte sich jetzt zu dem Schlüsselloch herab und versuchte durch dieses einen Blick in das Zimmer zu werfen. Ein Schlüssel steckte nicht, das sah er auf den ersten Blick, und – fraglos brannte drinnen Licht, obwohl es draußen bereits taghell war.

Der Doktor legte jetzt kurz entschlossen die Hand auf den Türdrücker und versuchte zu öffnen. Die Tür war verschlossen. Nochmals rüttelte er an der Klinke mit aller Kraft und lauschte dann angestrengt. Alles blieb ruhig wie zuvor.

„Ich muß Gewißheit haben und zwar sofort,“ murmelte Dreßler, den urplötzlich eine bange Ahnung von etwas Schrecklichem, das sich hier abgespielt hatte, befiel. Er eilte die Treppe wieder hinab und ließ durch den Pikkolo den Hotelbesitzer herbeirufen. In fliegender Hast berichtete er diesem, daß er vergeblich an Drägers Tür geklopft habe und daher vermute, seinem Bekannten sei irgend ein Unglück zugestoßen.

„Haben Sie vielleicht einen zweiten Schlüssel zu Nr. 6?“ fragte er dann. „Im Schlüsselloch steckt nämlich keiner, und ich möchte auf jeden Fall ungesäumt nachsehen, was Herrn Dräger passiert ist.“

„Es sind zu allen Stuben doppelte Schlüssel vorhanden. Ich werde den richtigen sofort heraussuchen,“ sagte der Hotelier diensteifrig, der dem bestimmten Auftreten Dreßlers gegenüber keine langen Einwendungen [77] wagte, trotzdem ihm die ganze Sache mehr wie unangenehm war.

Als der Hotelbesitzer und Dreßler, – dieser als erster, das Zimmer Nr. 6 betraten, bemerkten sie zunächst nichts Auffälliges. Auf dem Tische vor dem zwischen den Fenstern stehenden Sofa brannte die Lampe, deren Schein den Hintergrund des großen Raumes nur schwach erleuchtete. Die Fenstervorhänge waren zugezogen und die Stabjalousien herabgelassen. Aber auch in diesem matten, ungewissen Licht erblickten die beiden Männer, als sie sich jetzt dem an der Seitenwand aufgestellten Bett nährten, in dessen Kissen ein bleiches Haupt, dessen glasige, weit offene Augen unheimlich starr zur Decke emporstierten.

Der Hotelier war bei diesem Anblick entsetzt zurückgeprallt. Dreßlers Nerven waren stärker. Er hatte Ähnliches in früheren Jahren oft genug gesehen. Jetzt war er nur noch Detektiv, nur noch Fachmann, der alle anderen Empfindungen unterdrücken mußte, um mit kühler Ruhe die weiteren Feststellungen, die die Sachlage hier erheischte, zu erledigen.

Mit der Lampe in der Hand schlug er das Deckbett zurück. Durgassow lag halb entkleidet auf dem Rücken, sein Hemd war auf der Brust mit Blut getränkt. Im Herzen aber steckte ein Dolch mit langem, gebogenem Griff.

Dreßler wußte genug.

„Schicken Sie sofort nach der Polizei!“ befahl er kurz dem Hotelbesitzer. „Am besten ist, Sie gehen selbst und benachrichtigen die Behörde. Und – sprechen Sie sonst zu niemandem über das Vorgefallene. Es handelt sich hier fraglos um einen Mord.“

Als es etwa fünf Minuten nachher an die Tür von Nr. 2 klopfte, war Albert Wenzel bereits fix und fertig angezogen. Ahnungslos öffnete er, da er den Kellner mit dem Frühstück vermutete, das er sich für 1/28 bestellt hatte. Bei dem Anblick Dreßlers, der jetzt rasch eintrat und die Tür hinter sich zuzog, wurde er aschfahl und griff wie einen Halt suchend nach der [78] Lehne des nächsten Stuhles. Ebenso schnell hatte er sich jedoch auch wieder gefaßt und mit einer Stimme, die nur noch ganz unmerklich vibrierte, fragte er beinahe drohend:

„Mein Herr, Sie wünschen?“

„Wirklich ein gefährlicher Bursche!“ dachte Dreßler, der den Grauen trotz des veränderten Aussehens sofort wiedererkannt hatte. Laut aber sagte er: „Ich möchte Ihnen nur mitteilen, daß Michael Durgassows Leiche bereits gefunden ist.“

Doch die von dem einstigen Detektiv erwartete Wirkung dieser Worte blieb aus. Der Mann da besaß in der Tat eine erstaunliche Selbstbeherrschung.

„Ich verstehe Sie nicht,“ erwiderte Albert Wenzel nur. „Begreife nicht, wozu Sie gerade mir diese Nachricht bringen. Ich kenne keinen Herrn Burgalow oder wie Sie sonst sagten.“

Dreßlers Plan, dem Mörder durch plötzliche Überrumpelung ein Geständnis zu entlocken, schien mißglückt. Aber noch gab er sein Vorhaben nicht auf.

„So, Sie kennen Michael Durgassow nicht!“ meinte er ironisch. „Aber das Zeichen der – Roten Hand ist Ihnen doch bekannt, nicht wahr?!“

Wieder verfärbte der andere sich. Seine Haltung wurde bedeutend unsicherer und seine Blicke irrten blitzschnell wie hilfesuchend durch das Zimmer. Aber nirgends sah er einen Ausweg. Selbst ein Sprung zum Fenster hinaus war unmöglich, da Zimmer Nr. 2 in der zweiten Etage lag. Und vor der Tür, den Ausgang versperrend, stand noch immer der Doktor und verfolgte achtsam jede seiner Bewegungen.

„Sie sehen, jeder Weg zur Flucht ist Ihnen abgeschnitten, jeder!“ sagte Dreßler jetzt warnen und zog dabei eine Browning-Pistole aus der Tasche. „Ergeben Sie sich in Ihr Schicksal, Mann. Das ist das Klügste, was Sie machen können.“

Das Folgende spielte sich so blitzschnell ab, daß der Doktor diesen Ausgang, selbst wenn er gewollt haben würde, nicht mehr hätte verhindern können. Der Graue war nämlich mit einem Satze hinter den [79] Tisch gesprungen, hatte aus seiner offen daliegenden Reisetasche ein kleines Fläschchen herausgerissen und sich den Inhalt ebenso schnell in den Mund gegossen. Dann schleuderte er das Fläschchen von sich und rief Dreßler mit wildem Auflachen zu:

„So, nun nehmt mich gefangen, werft mich ins Gefängnis, – wenn Ihr’s könnt! Nie werdet Ihr erfahren, wer ich bin, nie! Mein Geheimnis geht mit mir zu Grunde!“ Und wieder stieß er eine gellende Lache aus, die dem Doktor durch Mark und Bein ging. Aber dieses furchtbare Gelächter brach auch ebenso plötzlich ab. Der Graue griff mit den Händen vor sich ins Leere, wankte und schlug dann schwer, dabei den Tisch mit umreißend zu Boden, reckte noch einmal wie im Krampf die Glieder und lag dann völlig regungslos. – Albert Wenzel hatte sich dem irdischen Richter für immer entzogen.

Dreßler war wie gebannt an seinem Platze stehen geblieben. Große Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Diese Szene, der er eben beigewohnt hatte, war das Entsetzlichste, was er je gesehen. Und es dauerte eine ganze Weile, bis er das lähmende Grauen von sich abschütteln konnte.

Er wollte nähertreten, um sich zu überzeugen, ob es für ihn hier noch irgend etwas zu helfen gab. Da zögerte sein Fuß. Aus der zugleich mit dem Tisch auf den Teppich gefallenen Reisetasche des Fremden war ein dickes, gelbes Kuvert herausgeglitten, dessen Aufschrift nach oben lag.

Dreßler bückte sich und hob den Umschlag, der an einer Seite geöffnet war, in plötzlichem Entschluß auf. Die Adresse auf dem starken gelben Kuvert lautete: „An Frau Maria Wieland, Danzig, Kassubischer Markt 26.“ – Der Doktor kannte die Handschrift nur zu gut! Es war die Michael Durgassows.

„Sollte dies eine vollständige Beichte des Toten sein?“ fragte sich Dreßler. „Sollte Durgassow sie hier in Berent in der Vorahnung seines baldigen Todes niedergeschrieben haben? – Dann wäre es vielleicht am besten, wenn man dieses Kuvert samt seinem Inhalt [80] verschwinden ließe. Fällt es dem Gericht in die Hände, so können daraus vielleicht für Wielands allerlei Unannehmlichkeiten entstehen.“

Schnell nahm er die Papiere aus dem Umschlag und überflog den ersten der engbeschriebenen Bogen.

„Meine Vermutung stimmt. Hier halte ich endlich die Lösung all der Rätsel in der Hand, fraglos die Wahrheit über die Geheimnisse, die Durgassows Person umgaben,“ murmelte er nachdenklich vor sich hin. „Was tue ich in diesem Falle nur?“

Da hörte er Schritte und Stimmen auf dem Korridor, und geschwind schob er das Kuvert in die Brusttasche seines Jacketts.

In eines der leerstehenden Fremdenzimmer hatte sich, nachdem ein Arzt auch bei dem Bewohner von Nr. 2 den inzwischen eingetretenen Tod festgestellt hatte, die Gerichtskommission zurückgezogen, um sofort die ersten Vernehmungen an Ort und Stelle zu Protokoll zu bringen. Nachdem zuerst der Hotelier und seine Angestellten verhört waren, wurde Dreßler vorgerufen.

Der alte Gerichtsrat, der die Untersuchung in die Hand genommen hatte, bat den Doktor nach Feststellung seiner Personalien möglichst im Zusammenhang vorzutragen, was er zu der mysteriösen Mordaffäre aussagen könne.

„Der Herr, den ich heute morgen gegen 1/28 in Zimmer Nr. 6 mit einem Dolch im Herzen ermordet auffand,“ begann Dreßler, „heißt nicht, wie er hier angegeben hat, Max Dräger, sondern Michael Durgassow und wohnt in Danzig. Sein Schwiegersohn ist der ebendort beheimatete Ingenieur Hans Wieland. Vor acht Tagen, in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch, verließ Durgassow seine Wohnung, ohne seinen Kindern Nachricht zu geben, wohin er sich gewandt hatte. Der alte Herr litt, wie mir seine Verwandten erzählten, in der letzten Zeit an schweren Gemütsdepressionen und mag in einem Zustande momentaner geistiger Störung die Idee gefaßt haben, hier im Berent einige Zeit unerkannt zu leben. Für [81] diese meine Annahme, daß die heimliche Flucht, wenn man sein Verschwinden so nennen darf, sehr wahrscheinlich auf eine zeitweilige Trübung seines Verstandes zurückgeführt werden muß, sprechen verschiedene Umstände. Durgassow lebte mit seinen Kindern in schönster Harmonie, war körperlich sonst ganz rüstig und besaß genug Vermögen zu einer behaglichen Daseinsgestaltung, – hatte mithin nicht den geringsten Grund zu diesem heimlichen Verlassen seiner Wohnung. Dafür, daß eine momentane Geistesstörung bei ihm viel eher als bei jedem anderen unterstellt werden kann, erwähne ich als Beweis, daß der Tote früher längere Jahre in den Tropen zugebracht hat, wodurch sich, sehr oft erst im spätesten Alter, allerlei Krankheitserscheinungen bemerkbar machen, zu denen nicht selten eine Schädigung der geistigen Kräfte gehört. Das wird jeder Arzt mir bestätigen müssen. – Selbstverständlich befanden sich Durgassows Kinder, die inzwischen auch nicht die geringste Nachricht von ihm erhalten hatten, seinetwegen in schwerer Sorge. Wenn sie trotzdem die Polizei nicht benachrichtigten, so lag das einfach daran, daß sie von Tag zu Tag auf seine Rückkehr hofften. Ich bin nun mit dem Schwiegersohne des Ermordeten eng befreundet und erbot mich, unter der Hand Nachforschungen nach dem Verbleib des alten Herrn anzustellen. Dabei erinnerte ich mich, daß Durgassow des öfteren die Absicht geäußert hatte, einmal die Kassubische Schweiz zu besuchen. Die Möglichkeit war also immerhin vorhanden, daß ich ihn hier in der Umgegend irgendwo entdeckte. Gestern abend verließ ich mit dem letzten Vorortzuge Danzig, um über Hohenstein nach hier zu reisen. Unterwegs hatte ich jedoch das Unglück, in meinem Abteil von einer plötzlichen Ohnmacht befallen zu werden. Jedenfalls mietete ich mir dann in Dirschau ein Automobil, mit dem ich gegen 1/27 morgens hier eintraf. Alles Weitere dürfte aus den Aussagen des Hotelbesitzers und des Pikkolos hervorgehen, so besonders, daß ich erst durch den Kellnerlehrling [82] von der Anwesenheit des Gesuchten in diesem Hotel Kenntnis erhielt.“

„Ich bin Ihnen für diese Angaben sehr dankbar, Herr Doktor,“ meinte der Gerichtsrat. „Offenbar liegt hier ein Raubmord vor. Die Schubladen der Möbel zeigen nämlich deutlich, daß sie in Eile durchwühlt worden sind, und bei der Leiche wurde außer einigen Pfennigen nicht das geringste Bargeld entdeckt. – Nun aber zu dem zweiten Toten, der nach allem, was geschehen ist, der Mörder sein muß. – Wollen Sie vielleicht erklären, Herr Doktor, wie Sie so schnell auf die Vermutung gekommen sind, gerade der Mann von Nummer 2 müsse der Täter sein?“

„Gern, Herr Gerichtsrat. – Der Pikkolo erzählte mir, wie er hier vielleicht ausgesagt haben wird, es sei gestern mit dem letzten Zuge ein Herr eingetroffen und hier abgestiegen, der sich sehr eingehend nach den Hotelgästen erkundigte. So erfuhr der Mörder, daß ein anscheinend recht begüterter – Berliner Gelehrter – als solcher gab sich Durgassow aus – auf Nr. 6 wohne. Ich bin nun der Überzeugung, der Fremde hatte in demselben Augenblick auch schon den Plan gefaßt, den alten, offenbar reichen Herrn zu berauben. Ob er ihn wirklich, wie er dem Pikkolo erzählte, gekannt hat, weiß ich nicht. Auf welche Weise er sich dann zum Zimmer Nr. 6 Zutritt verschafft, was sich zwischen dem Mörder und seinem Opfer abgespielt hat, kann ich natürlich nur vermuten. Im übrigen tut das hier auch nichts zur Sache. Sicherlich aber hatte der Fremde die Absicht, heute mit dem Morgenzug Berent wieder zu verlassen. Er rechnete eben damit, daß das Verbrechen erst nach seiner Abreise entdeckt werden und niemand so schnell gerade auf seine Person als den Täter kommen würde. Den späteren Selbstmord des mir völlig unbekannten Mannes vermochte ich, wie ich schon bei der Untersuchung der Leiche sagte, nicht zu verhindern. Das ist alles, was ich zu sagen hätte. Meiner Meinung nach liegt der Fall ganz klar.“

Der Rat nickte befriedigt vor sich hin.

[83] „Allerdings, – jetzt ja, nachdem wir Sie, Herr Doktor, gehört haben. Wer mag wohl nur dieser Unbekannte sein? Was meinen Sie dazu?“

Dreßler zuckte die Achseln.

„Vielleicht ein internationaler Verbrecher, der zufällig hierher gekommen ist. Jedenfalls ist es aber kein Gelegenheitsverbrecher. Dafür spricht schon der Umstand, daß er keine Papiere bei sich trug, die eine Feststellung seiner Person ermöglicht hätten, weiter auch, daß er im Besitze von Gift und auch sonst gut bewaffnet war.“

„Nun, vielleicht ist er der Berliner Kriminalpolizei bekannt. Wir werden die Leiche natürlich photographieren lassen und das Bild nach Berlin schicken. – So, dann danke ich Ihnen, Herr Doktor. Für Sie besteht nun noch die traurige Pflicht, die Angehörigen des Ermordeten zu benachrichtigen. Gewiß – eigentlich wäre das meine Aufgabe, aber Sie werden das ja wohl lieber selbst besorgen wollen.“

Als Dreßler jetzt das Zimmer verließ, atmete er wie befreit auf. Leicht war es ihm bei diesem Verhör doch nicht geworden, derart vorsichtig und geschickt Wahres und Falsches zu vermengen, daß die Gerichtskommission nicht auf die Vermutung kam, hier könnte doch noch etwas anderes als ein bloßer Raubmord vorliegen. Aber der Doktor empfand über diese Verdrehung der Wahrheit, wie er sie vorgebracht hatte, nicht die geringsten Gewissensbisse, da daraus niemandem irgend ein Schaden erwuchs. Durgassow und der Graue waren tot. Wozu sollte dieses Verbrechen jetzt noch Enthüllungen nach sich ziehen, die der Familie seines Freundes nur Unannehmlichkeiten bringen mußten und den geachteten Namen Wieland vielleicht nur schädigen konnten.




[84]
10. Kapitel.

Maria Wieland lag auf den Diwan des Wohnzimmers. Neben ihr saß ihre blonde Schwägerin und versuchte die völlig im Schmerz Aufgelöste zu trösten. – Vor kaum einer halben Stunde war ein Telegramm Dreßlers eingetroffen. So vorsichtig es auch abgefaßt war, – Wielands ahnten sofort das Richtige. Mit einem Wehlaut war die durch die Aufregungen der letzten Tage erschöpfte Frau zusammengebrochen, und nur den zärtlichen Bemühungen des Gatten und den herzlichen Worten seiner Schwester gelang es, die Fassungslose etwas zu beruhigen. – Auf die furchtbare Nervenanspannung war jetzt eine fast gleichgültige Ruhe gefolgt.

Maria hatte aber endlich den Mut gefunden, dem Gatten alles das mitzuteilen, was sie aus Furcht, seine Liebe zu verlieren, bisher so ängstlich verschwiegen hatte. Karl Wieland aber hatte sie nach dieser rückhaltlosen Beichte nur noch fester an seine Brust gedrückt.

„Mag die Vergangenheit Deines Vaters auch noch so dunkle Geheimnisse bergen,“ hatte er innig gesagt, „mag er einst noch so schwere Schuld auf sich geladen haben, – wie sollte ich dies Dich alles entgelten lassen, Maria, die Du mir das größte Glück geschenkt hast, was es für mich überhaupt geben kann: Deine Liebe, und nur deshalb Deine Seele zermartert hast, um mir, uns beiden, dieses Glück zu erhalten!“ –

Bereits einen Tag später wurde Durgassows Leiche von der Staatsanwaltschaft, die die Sachlage als genügend geklärt ansah, zur Beerdigung freigegeben. Wieland ließ die sterblichen Überreste seines Schwiegervaters nach Danzig überführen, wo sie zur letzten Ruhe gebettet wurden.

Dreßler war am Donnerstag abend zusammen mit Wieland wieder in Danzig eingetroffen. Kaum [85] hatte er das von seiner vorsorglichen Kascha bereitgehaltene Abendessen verzehrt, als es an der Flurtür klingelte. Der Besucher war kein anderer als Jakob Wenzel.

Der Doktor war ihm entgegengegangen und streckte ihm in alter Weise die Hand zur Begrüßung hin. Aber der kleine Händler hielt die seine ängstlich auf dem Rücken.

„Herr Doktor,“ brachte er mühsam hervor, „reichen Sie mir nicht die Hand. Ich bin’s nicht mehr wert, ich habe zu schändlich an Ihnen gehandelt.“

„Aber Wenzel, – was soll das?“ fragte der ahnungslose Dreßler erstaunt. „Nicht mehr wert? Was heißt das?“

„Das heißt, daß ich eigentlich allein schuld an dem Tode des Herrn Durgassow bin, ja, ich allein. Hätte ich Ihnen beizeiten die Wahrheit gestanden, dann –“

„Mann, reden Sie denn plötzlich irre?“ unterbrach ihn Dreßler kopfschüttelnd. „Ich begreife von alledem nichts, nichts!“

„Glaub’ ich gern, Herr Doktor. Lassen Sie mich daher im Zusammenhang alles erzählen.“

„Gut, – aber nehmen Sie zuerst einmal Platz. Sie schlottern ja an allen Gliedern. – So, und nun beruhigen Sie sich erst einmal. So schwer kann Ihr Gewissen doch kaum belastet sein.“

„Schwerer, als Sie es ahnen. Um es kurz zu machen, Herr Doktor, – einmal muß es doch gesagt sein: Der Mörder des Herrn Durgassow ist mein eigener, leiblicher Bruder.“

„Ihr Bruder?!“

Jetzt begriff Dreßler die schwerwiegende Bedeutung dieser Mitteilung. Aber er brauchte deshalb keine ergänzenden Fragen an Jakob Wenzel zu richten. Dieser hatte nur den einen Wunsch, sein Gewissen endlich zu entlasten. Mit allen Einzelheiten, ohne jede Beschönigung erzählte er, wie er damals an jenem Nachmittag, als er den Mann im grauen Pelerinenmantel verfolgen sollte, in diesem seinen Bruder wiedererkannte [86] und wie er sich dann durch ihn zu dem verwerflichen Ränkespiel hatte verleiten lassen, und wie ihn zur Strafe sein Kind verlassen habe.

Schweigend hatte Dreßler die Beichte angehört, ihm war dadurch vieles klar geworden. Wenn auch Jakob Wenzel gefehlt hatte, Dreßler wußte den vollständig gebrochenen Mann zu trösten, und mit dem Versprechen, nie ein Wort über die ganze Angelegenheit zu sprechen, war Wenzel gegangen.




11. Kapitel.

Acht Tage nach dem Begräbnis Durgassows hatte sich Maria Wieland soweit erholt, daß die beiden Freunde übereinkamen, ihr nunmehr das von ihrem Vater für sie bestimmte Schriftstück auszuhändigen. Maria hatte in feinfühliger Rücksichtnahme sofort den Wunsch geäußert, dessen Inhalt solle in Gegenwart der ihr nahestehenden Personen, zu denen sie auch Dreßler rechne, vorgelesen werden.

An einem regnerischen Juniabend versammelte man sich in dem Arbeitszimmer des Ingenieurs, und dieser übernahm das Vorlesen der in klarer, deutlicher Handschrift geschriebenen Beichte des Toten, die endlich die restlose Lösung all der dunklen Rätsel gab.

„Berent, Juni 19…
Meine geliebte Maria!

Ich sitze hier einsam in einem wenig behaglichen Hotelzimmer. Gestern um dieselbe Zeit befand ich mich noch in Danzig, hatte allerdings schon den festen [87] Entschluß gefaßt, mich hierher zu flüchten. Welche Umstände mir diesen verzweifelten Plan aufgedrängt haben, will ich Dir, mein Kind, in dem Folgenden auseinandersetzen. Trotzdem ich nicht weiß, wie lange ich noch mit der Ausführung meines Vorhabens zögern werde, will ich diese vollkommen wahrheitsgetreue Schilderung meiner Vergangenheit und der Ereignisse der letzten Zeit noch heute vollenden, den Brief gut versiegeln und an Dich adressieren.

Du weißt, daß ich in Kalkutta bei einer Plantagen-Gesellschaft als Inspektor angestellt war, weißt, daß ich damals noch den Namen Franz Schönberg führte, meinen richtigen Namen. Durch vorsichtiges Spekulieren an der Börse und kleine Privatgeschäfte hatte ich mir in kurzer Zeit ein kleines Vermögen erworben.

Eines Tages teilte mir ein Bekannter, als ich gerade wieder in Kalkutta weilte, unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, es würde in nächster Zeit in südafrikanischen Minenaktien ein großer Kurssturz stattfinden, dem aber ein ebenso schnelles Emporsteigen der Kurse folgen werde. Der Bekannte, ein Angestellter eines Bankinstitutes, machte mir die Sache so mundgerecht und schilderte mir den leichten Gewinn so verlockend, daß ich mich überreden ließ und meine gesamten Ersparnisse in den bald darauf wirklich sehr niedrig stehenden Minenaktien anlegte. – Drei Monate später war mein mühsam erworbenes Vermögen bis auf den letzten Pfennig verloren, infolge welcher Umstände, will ich hier nicht auseinandersetzen, da dies zu weit führen würde. Jedenfalls war ich nun genau so arm wie vor elf Jahren, als ich in Kalkutta landete. Wie schwer dieser Schlag für mich zu überwinden war, wirst Du erst verstehen, wenn ich Dir sage, daß ich nur, nur für Dich gespart und gedarbt hatte. Dir wollte ich ein Vermögen hinterlassen, wenn ich plötzlich einmal sterben sollte, damit Du nicht mittellos, nur auf die Mildtätigkeit Fremder angewiesen, allein zurückbliebest. Völlig verzweifelt und mutlos mußte ich mich kurz darauf zu einer [88] neuen Inspektionsreise rüsten. Mich beherrschte während der ganzen Fahrt nur ein Gedanke: Der, daß ich mein Geld durch leichtsinnige Spekulationen vergeudet hatte! – Dazu, nochmals von vorn anzufangen, fehlte mir die Energie, so niedergeschlagen war ich. –

Eine unserer größten und ertragfähigsten Plantagen befand sich dicht bei Mudnapur, der Residenz des Fürsten Rasantasena. Dieser eingeborene Herrscher gehört zu den reichsten indischen Fürsten. Von seinen Schätzen, die er in einer besonderen Schatzkammer in einem Turme seines Schlosses aufbewahren sollte, hatte ich schon oft geradezu märchenhafte Dinge erzählen hören.

Als ich auf der Plantage eintraf, erlebte ich insofern eine sehr unangenehme Überraschung, als die vier dort angestellten weißen Aufseher ihre Stellen zum nächsten Termin kündigten. Da ich wußte, daß recht schwer Ersatz zu beschaffen sein würde, suchte ich sie durch das Versprechen baldiger Gehaltserhöhung zur Zurücknahme der Kündigung zu bewegen. Aber sie ließen sich auf keinerlei Verhandlungen ein. Ich wollte nun herausbekommen, aus welchem Grunde die vier Leute ihrer Stellung so plötzlich überdrüssig geworden waren. Als daher der Abend angebrochen war, schlich ich mich aus meinem Zimmer nach dem nahen Aufseherhäuschen, in dem die vier zusammen wirtschafteten. Ich hoffte, sie bei einem Gespräch belauschen zu können und so vielleicht einen Fingerzeig für die Ursache dieser auffallenden Kündigung zu erhalten. – Und ich hatte wirklich Glück. Sie saßen gerade eng beieinander auf der zu ihrem Hause gehörigen niedrigen Veranda und unterhielten sich in deutscher Sprache über ihre Zukunftspläne.

Ich will mich kurz fassen: Ihr Plan zielte auf nichts anderes als eine Beraubung der Schatzkammer des Fürsten Rasantasena ab. Sie beabsichtigten, in der Nähe des Schloßturmes, in dem sich die Schatzkammer befand, ein Häuschen zu erwerben und von dort aus einen unterirdischen Gang nach dem Turme [89] zu graben. Um aber für ihre längere Anwesenheit in der Residenz Mudnapur einen möglichst unauffälligen Grund zu haben, waren sie übereingekommen, in der Hauptverkehrsstraße einen Laden zu mieten und dort einen Basar für europäische Waren aller Art zu eröffnen. Das Häuschen in der Nähe des für sie so wichtigen Turmes sollte dann angeblich nur für Wohnzwecke und als Lagerraum für die Waren dienen.

Nachdem ich dies alles in Bruchstücken vernommen hatte, schlich ich in mein Zimmer zurück und suchte mein Lager auf. Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen die vier Männer unter der Drohung, ihre Absichten sonst zu vereiteln, dazu zu zwingen, mich an ihrem eine ungeheure Beute versprechenden Anschlage teilnehmen zu lassen. – Zu meiner Überraschung waren sie damit sehr schnell einverstanden, mich als fünftes Mitglied in ihren Kreis einzureihen, wobei ich einen Eid schwören mußte, mit allen Mitteln unter Hintansetzung meiner persönlichen Interessen nur an der Verwirklichung unseres Planes arbeiten zu wollen. Wir kamen überein, daß ich meine bisherige Stellung ruhig beibehalten und nur nebenbei für unsere gemeinsamen Zwecke tätig sein sollte. Infolge meiner weitverzweigten Beziehungen zu den Ratgebern des Fürsten Rasantasena gelang es mir ohne viele Schwierigkeiten, meinen Genossen die Erlaubnis zur Gründung eines Basars in Mudnapur zu erwirken. Ebenso war ich ihnen auch beim Ankauf eines keine 30 Meter von dem erwähnten Turme entfernten Hauses behilflich.

Wir hatten vereinbart, daß meine Gefährten mir in einer von uns ausgeklügelten Geheimschrift ihre Mitteilungen unter Beifügung eines Geheimzeichens stets von Kalkutta an die Generaldirektion der Plantagengesellschaft senden sollten, von wo aus mir sämtliche Briefe stets umgehend nach meinem jeweiligen Aufenthaltsort nachgeschickt zu werden pflegten. Dieses Geheimzeichen, eine einen Dolch haltende Hand, sollte auf jedes Schriftstück mit einer nur nach Erhitzen [90] des Papiers sichtbar werdenden Tinte gezeichnet werden, damit wir sicher gingen, daß die Nachricht auch wirklich von einem der Unsrigen herrührte und nicht etwa eine uns von anderer Seite gelegte Falle darstellte.

So erhielt ich denn auch Ende Februar 1890, als ich gerade in der Stadt Peschawar in Zentralindien weilte, einen Brief von meinen Genossen, in dem sie mir ankündigten, sie würden nunmehr nach Vollendung des Tunnels vierzehn Tage später in der Nacht vom 14. zum 15. März, den Einbruch in die Schatzkammer unternehmen, weil zu derselben Zeit der Fürst verreist und die Bewachung des Schlosses daher eine weniger scharfe sein würde. Ich solle jedenfalls auf einem von Kalkutta am 18. oder 19. März abgehenden Dampfer vier Plätze belegen, da sie mit ihrem Raube, von dem mir vorher mein Anteil ausgeliefert werden sollte, sofort das Weite suchen wollten. Ich selbst brauche nicht mehr mit ihnen zu flüchten, da auf meine Person kaum ein Verdacht fallen dürfte. – Soweit der Brief. Ich tat, was man von mir verlangte, besorgte aber auch für mich selbst und für Dich, Maria, Kabinenplätze auf einem anderen, einen Tag später abfahrenden Schiff, doch nicht unter meinem richtigen, sondern unter dem Namen Michael Durgassow, da ich vor zwei Jahren in Besitz zahlreicher, auf diesen Namen lautender Papiere gelangt war. Michael Durgassow war nämlich auf einer der Gesellschaft gehörigen Plantage in der Provinz Haiderabad Oberaufseher gewesen und während einer Choleraepidemie fast gleichzeitig mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern, von denen die eine wie du Maria hieß, gestorben. Da ich damals angewiesen wurde, nach eventuellen Erben Durgassow Nachforschungen anzustellen, – diese hatten jedoch keinen Erfolg, behielt ich seine Familienpapiere und die geringe Hinterlassenschaft, ohne zu ahnen, wie nützlich mir die Urkunden noch einmal werden sollten.

Die Beraubung der Schatzkammer Rasantasenas gelang vollständig. Meine Genossen langten am [91] 18. März glücklich in Kalkutta an, übergaben mir meinen Anteil von der Beute und verließen den Hafen am folgenden Tage. Daß ich unter anderem Namen sofort nach ihnen Kalkutta den Rücken kehren würde, verschwieg ich wohlweislich.

In Suez erfuhr ich zu meinem Schrecken, daß der Anschlag auf die Schatzkammer des Fürsten früher entdeckt worden war, als wir es je gefürchtet hatten, und daß meine Gefährten bereits bei ihrer Landung gefangen genommen worden waren. Trotzdem mein Name nicht erwähnt war, wandte ich doch alle Vorsichtsmaßregeln an, um etwaige Verfolger von meiner Fährte abzulenken. Nach unserer Ankunft in Marseille reiste ich sofort nach Amsterdam und von dort nach Genf, wo ich Dich in einem Pensionat unterbrachte.

Ich selbst irrte unstet von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Das Gewissen war in mir erwacht. Jetzt, wo ich in Ruhe das, was ich getan, mir überlegte, fand ich für diese Verirrung keine Entschuldigungsgründe mehr. – In einem deutschen Gasthause in Mexiko ereilte mich dann zwei Jahre später das Schicksal in Gestalt eines meiner früheren Genossen. Es war ein gewisser Albert Wenzel, ein gewalttätiger Mensch, den ich gern aus dem Wege gegangen wäre. Aber er erkannte mich sofort und war offenbar hocherfreut, mich getroffen zu haben, allerdings weniger aus Anhänglichkeit an meine Person, sondern weil er vielmehr sicher erwartete, mir eine größere Geldsumme abnehmen zu können.

Dies gelang ihm auch, denn ich mußte ihm 40 000 Mark in guten Papieren übergeben, – ungefähr ein Drittel des Vermögens, welches ich mir durch den Verkauf der Diamanten gesammelt hatte. Ich verließ darauf Mexiko und begann wieder meine unstete Wanderung von Ort zu Ort.

Nach längerer Irrfahrt hatte ich mich in Danzig dauernd niedergelassen. Du, mein liebes Kind, warst die glückliche Gattin eines von mir hochgeschätzten Mannes geworden, und ich selbst lebte bereits in [92] der festen Hoffnung, daß niemand mich jemals wieder an die Vergangenheit mit ihren dunklen Taten erinnern würde. Ja, so felsenfest war ich hiervon überzeugt, daß ich jetzt, wo ich Dich gut versorgt wußte, einen seit langem gehegten Wunsch verwirklichte. Ich behielt von dem auf so unredliche Weise erworbenen Vermögen nur das Notwendigste für mich und stiftete den Rest, gegen 60 000 Mark, zum Bau einer Volkslungenheilstätte, ohne jedoch meinen Namen als den des nachher in den Zeitungen vielgepriesenen Spenders zu nennen.

Da erwähnte Dreßler vor etwa einem halben Jahre ganz beiläufig im Gespräch mir gegenüber einen gewissen, in Mexiko wohnenden Albert Wenzel, bei dem er sich durch Vermittlung dessen Bruders, den Trödlers Jakob Wenzel, eine Miniatur-Statue irgend einer mexikanischen Gottheit bestellt hatte. Du kannst Dir meinen Schreck vorstellen, als dieser Name so urplötzlich wie ein Schreckgespenst abermals nach so vielen Jahren vor mir auftauchte.

Es kostete mich wirklich meine ganze Energie, damals meine Bestürzung auch nur einigermaßen vor Dreßler zu verbergen. Jedenfalls war meine Ruhe von dem Augenblick an dahin. Meine Angst war nicht unnötig gewesen, wie es sich dann herausstellte: Eines Tages erhielt ich einen in Dirschau aufgegebenen Brief mit dem Geheimzeichen der Roten Hand. Er lautete folgendermaßen:

„In Europa hätte ich Sie allerdings nie vermutet, Franz Schönberg. Desto angenehmer war ich überrascht, als mir mein in Danzig wohnender Bruder in einem sehr ausführlichen Brief mitteilte, ich solle ihm alte mexikanische Handschriften besorgen, die er vielleicht sehr günstig an einen Liebhaber derartiger Urkunden, einen alten Herrn namens Durgassow, verkaufen könne. Um nun unsere – nicht durch meine Schuld! – in Mexiko unterbrochenen freundschaftlichen Beziehungen wieder aufzufrischen, werden Sie sich innerhalb von drei Tagen an einem von Ihnen zu bestimmenden Orte in Danzig einfinden und liebenswürdigst [93] die kleine Summe von 50 000 Mark in Banknoten mitbringen worauf ich Sie nie wieder zu belästigen feierlichst verspreche. – Mit Gruß Ihr alter Bekannter A. W., der sorgfältigst aufpassen wird, daß Sie dem Rendezvous nicht etwa wieder wie seinerzeit in Mexiko durch – Verduften aus dem Wege gehen.“

Auf diesen Brief hin tat ich zunächst nichts. Ich war eben so niedergeschmettert, daß ich keinen klaren Gedanken, erst recht keinen Entschluß fassen konnte. Denn wo sollte ich wohl die verlangte Summe hernehmen? Ich besaß nur noch gerade so viel, daß ich noch einige Jahre davon bescheiden leben konnte. – Völlig verstört irrte ich umher, nur immer von der Furcht gepeinigt, daß Albert Wenzel meine einstige Verfehlung aufdecken und mich dadurch härter bestrafen könnte, als ich es vielleicht je verdient habe.

So verging die mir gestellte dreitägige Frist. Am vierten Tage erhielt ich einen zweiten Brief mit dem Geheimzeichen, in dem Wenzel mir drohte, er würde mich öffentlich bloßstellen, falls ich ihm nicht innerhalb 24 Stunden die verlangte Summe beschaffe.

Da gab mir die Verzweiflung einen letzten Ausweg ein: Ich wollte, ohne irgend einem zu sagen, wohin ich mich wandte, verschwinden und mir in der Einsamkeit das Leben nehmen, möglichst so, daß auch meine Leiche nicht gefunden würde.

Meine Flucht hier nach Berent gelang wider Erwarten gut. Dir, Maria, ließ ich nach reiflichem Überlegen doch eine Nachricht zurück. Ich hoffe, Du hast die beiden Briefumschläge mit dem Geheimzeichen. Daraus wirst Du ersehen haben, was mich von Dir getrieben hat – eben dasselbe unheilvolle Zeichen, vor dem ich Dich schon früher einmal warnte.

Damit ist meine Beichte beendet. In dem Hotel ist alles totenstill geworden. Meine Uhr zeigt die zweite Morgenstunde an. Ich bin doch müde und abgespannt nach dieser Arbeit, die so vieles in mir aufwühlte.

Und nun – lebe wohl, mein Kind! Mag Dir an der Seite Deines geliebten Gatten ein frohes, gesegnetes [94] Dasein beschieden sein. Dies wünscht Dir Dein Vater, der nur einen Lebenszweck gekannt hat: Dich glücklich zu sehen. – Ich küsse Dich in Gedanken mit aller Innigkeit. Franz Schönberg.“

„Nachschrift. Fünf Tage später, am Montagabend, hinzugefügt:

Meine geliebte Maria! Noch immer habe ich mich zur Ausführung meines Vorhabens nicht aufraffen können. Ich hänge doch mehr, als ich anfänglich dachte, am Leben. Und langsam ist in meinem Herzen wieder die Hoffnung erwacht, ob sich nicht Mittel und Wege finden lassen sollten, um meinem Schicksal auf andere Weise eine Wendung zum Besseren zu geben. Da fiel mir heute in der Montag-Morgenausgabe des Danziger Kuriers die Annonce in die Augen, die ich ihrer Fassung wegen als von Dir herrührend sofort erkannte und in möglichst vorsichtiger Weise beantwortete. Nun werde ich abwarten, was von Deiner Seite weiter geschehen wird. Wie unendlich würde ich mich freuen, wenn ich Dich nun doch noch wiedersehen könnte und mein Lebensabend sich zu einer Reihe friedlicher Tage gestalten würde. – Lebe wohl für heute, meine Maria! Welch köstlich Ding ist doch die Hoffnung! – Dein Vater.“

– – – – – – – –

[95] Dies waren die letzten Worte des Schriftstückes. Die Hoffnung, an die der alte Mann sich geklammert hatte, war trügerisch gewesen. –

Maria Wieland hatte die Tränen bei so manchen Stellen dieses schlichten Bekenntnisses nicht unterdrücken können. Jetzt, da ihr Gatte die Blätter des Briefes wieder in den Umschlag schob, schaute sie mit banger Frage in ihrem Blick zu ihm hinüber. Ihre Augen begegneten sich. Karl Wieland verstand, welche Zweifel ihre Seele nunmehr quälen würden. Schnell erhob er sich, eilte zu ihr und nahm ihre beiden Hände in die seinen.

„Maria,“ sagte er warmen Tones, „wenn jetzt Dein Vater in mein Herz blicken könnte, so würde er sehen, daß ich ihm vollständig verziehen habe. Stets werden meine Gedanken an unseren lieben Toten nur die besten sein.“


Ende!


Druck P. Lehmann G. m. b. H., Berlin 26.


[II]

Intimes

Skizzen aus dem Leben


1. August Summers Ehe

2. Im blauen Affen

3. Asphaltblumen

4. Anders als die Andern

5. Hochstapler der Liebe

6. Die Gorilla-Bar

7. Das Junfernstift

8. Die Litzberger Mali

9. Der schöne Hektor

10. Frau Ellens Schwester


Preis 1 Mark


[III]
Moderne Kriminal-Bücher


Band 01: Die rote Locke.
Band 02: Das graue Gespenst.
Band 03: Der Ring.
Band 04: Das Katzen-Palais.
Band 05: Der Fall Winternitz.
Band 06: Die bunte Krawatte.
Band 07: Das wandernde Licht.
Band 08: Das Bild mit den Glasaugen.
Band 09: Polize 24.
Band 10: Der Millionen-Erbe.
Band 11: Der Diamant-Schmetterling.
Band 12: Um hohen Preis.
Band 13: Haus Willfried.
Band 14: Das Geheimnis eines Lebens.
Band 15: Die Spionin. (Doppelband).
Band 16: Der dritte Schuß. (Doppelband).


Preis pro Band 50 Pfg.       Doppelband 1 Mk.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ?
  2. Vorlage: Mechanisch
  3. Vorlage: eines
  4. Vorlage: schlepte