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und stäubte dann fürsorglich erst mit seinem Taschentuch die Holzbank ab, damit die helle Toilette seiner Begleiterin nicht durch den Staub leide.

„Fräulein Anna,“ begann er, nachdem sie sich gesetzt hatten, „daß ich kein Freund von langen Einleitungen bin, wissen Sie. Daher zunächst zu Punkt eins: Sie haben irgend etwas gegen mich. Das merkte ich heute schon bei der Begrüßung. Bitte, – was ist’s?“

„Sie sind nicht ehrlich gegen Karl, Herr Doktor,“ erwiderte sie ohne Zögern. „Ich weiß genau, daß Maria gestern gegen Abend bei Ihnen war, – sicherlich, um wegen des Verschwindens ihres Vaters mit Ihnen nochmals Rücksprache zu nehmen. Diesen Besuch hat sie uns verschwiegen. Und das hätte meine Schwägerin nie getan, wenn sie nicht gewußt hätte, daß auch Sie darüber reinen Mund halten würden. Also liegt so etwas wie ein Komplott zwischen Ihnen und Maria vor, – irgendwelche Heimlichkeiten, die, falls mein Bruder davon erfährt, die Situation in unserem Haus nur wieder zuspitzen würden.“

„Woher wissen Sie denn, daß Ihre Schwägerin mich gestern aufgesucht hat?“ fragte Dreßler ohne jede Empfindlichkeit über diese Vorwürfe.

„Ich sah Maria aus Ihrem Hause herauskommen.“

„Daher also. – Nun gut, – Ihre Schwägerin war bei mir. Und für diesen Schritt, der ihr sicher nicht leicht geworden ist, müssen wir alle ihr Dank wissen. – Sie sehen mich etwas ungläubig an. Doch – es ist so. Um Marias Verhalten aber ganz zu begreifen, sollen Sie erfahren, was ich über den Fall Durgassow heute bereits weiß. Ich sage, „den Fall Durgassow“. Denn wir haben es hier tatsächlich mit einer ziemlich verwickelten, durchaus nicht leicht zu nehmenden Angelegenheit zu tun. Selbstverständlich rechne ich, wenn ich Sie, Fräulein Anna, ins Vertrauen ziehen, mit Ihrer Verschwiegenheit, die Sie auch Karl gegenüber vorläufig bewahren müssen, selbst wenn Ihnen das auch noch so schwer fallen sollte.

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/57&oldid=- (Version vom 31.7.2018)