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von der Anwesenheit des Gesuchten in diesem Hotel Kenntnis erhielt.“

„Ich bin Ihnen für diese Angaben sehr dankbar, Herr Doktor,“ meinte der Gerichtsrat. „Offenbar liegt hier ein Raubmord vor. Die Schubladen der Möbel zeigen nämlich deutlich, daß sie in Eile durchwühlt worden sind, und bei der Leiche wurde außer einigen Pfennigen nicht das geringste Bargeld entdeckt. – Nun aber zu dem zweiten Toten, der nach allem, was geschehen ist, der Mörder sein muß. – Wollen Sie vielleicht erklären, Herr Doktor, wie Sie so schnell auf die Vermutung gekommen sind, gerade der Mann von Nummer 2 müsse der Täter sein?“

„Gern, Herr Gerichtsrat. – Der Pikkolo erzählte mir, wie er hier vielleicht ausgesagt haben wird, es sei gestern mit dem letzten Zuge ein Herr eingetroffen und hier abgestiegen, der sich sehr eingehend nach den Hotelgästen erkundigte. So erfuhr der Mörder, daß ein anscheinend recht begüterter – Berliner Gelehrter – als solcher gab sich Durgassow aus – auf Nr. 6 wohne. Ich bin nun der Überzeugung, der Fremde hatte in demselben Augenblick auch schon den Plan gefaßt, den alten, offenbar reichen Herrn zu berauben. Ob er ihn wirklich, wie er dem Pikkolo erzählte, gekannt hat, weiß ich nicht. Auf welche Weise er sich dann zum Zimmer Nr. 6 Zutritt verschafft, was sich zwischen dem Mörder und seinem Opfer abgespielt hat, kann ich natürlich nur vermuten. Im übrigen tut das hier auch nichts zur Sache. Sicherlich aber hatte der Fremde die Absicht, heute mit dem Morgenzug Berent wieder zu verlassen. Er rechnete eben damit, daß das Verbrechen erst nach seiner Abreise entdeckt werden und niemand so schnell gerade auf seine Person als den Täter kommen würde. Den späteren Selbstmord des mir völlig unbekannten Mannes vermochte ich, wie ich schon bei der Untersuchung der Leiche sagte, nicht zu verhindern. Das ist alles, was ich zu sagen hätte. Meiner Meinung nach liegt der Fall ganz klar.“

Der Rat nickte befriedigt vor sich hin.

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/83&oldid=- (Version vom 31.7.2018)