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wagte, trotzdem ihm die ganze Sache mehr wie unangenehm war.

Als der Hotelbesitzer und Dreßler, – dieser als erster, das Zimmer Nr. 6 betraten, bemerkten sie zunächst nichts Auffälliges. Auf dem Tische vor dem zwischen den Fenstern stehenden Sofa brannte die Lampe, deren Schein den Hintergrund des großen Raumes nur schwach erleuchtete. Die Fenstervorhänge waren zugezogen und die Stabjalousien herabgelassen. Aber auch in diesem matten, ungewissen Licht erblickten die beiden Männer, als sie sich jetzt dem an der Seitenwand aufgestellten Bett nährten, in dessen Kissen ein bleiches Haupt, dessen glasige, weit offene Augen unheimlich starr zur Decke emporstierten.

Der Hotelier war bei diesem Anblick entsetzt zurückgeprallt. Dreßlers Nerven waren stärker. Er hatte Ähnliches in früheren Jahren oft genug gesehen. Jetzt war er nur noch Detektiv, nur noch Fachmann, der alle anderen Empfindungen unterdrücken mußte, um mit kühler Ruhe die weiteren Feststellungen, die die Sachlage hier erheischte, zu erledigen.

Mit der Lampe in der Hand schlug er das Deckbett zurück. Durgassow lag halb entkleidet auf dem Rücken, sein Hemd war auf der Brust mit Blut getränkt. Im Herzen aber steckte ein Dolch mit langem, gebogenem Griff.

Dreßler wußte genug.

„Schicken Sie sofort nach der Polizei!“ befahl er kurz dem Hotelbesitzer. „Am besten ist, Sie gehen selbst und benachrichtigen die Behörde. Und – sprechen Sie sonst zu niemandem über das Vorgefallene. Es handelt sich hier fraglos um einen Mord.“

Als es etwa fünf Minuten nachher an die Tür von Nr. 2 klopfte, war Albert Wenzel bereits fix und fertig angezogen. Ahnungslos öffnete er, da er den Kellner mit dem Frühstück vermutete, das er sich für 1/28 bestellt hatte. Bei dem Anblick Dreßlers, der jetzt rasch eintrat und die Tür hinter sich zuzog, wurde er aschfahl und griff wie einen Halt suchend nach der

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/78&oldid=- (Version vom 31.7.2018)