In das Arbeitszimmer des Ingenieurs Wieland flutete durch das breite Fenster der warme Junisonnenschein hinein und zeichnete auf dem glänzenden Fußboden und dem vor dem Schreibtisch liegenden Eisbärfell leuchtende, unregelmäßige Vierecke. Ein einzelner Strahl hatte sich auf das Haupt der jungen Frau verirrt, die zusammengekauert in einem der Sessel nahe dem Fenster saß. Dieser Strahl ließ die dunkelblonden Flechten ihres Haares im goldigen Glanze schimmern und bildete eine eigenartige Krone über Maria Wielands weißer Stirn.
In dem Zimmer herrschte eine drückende Stille. Die drei Personen, die mit ihren Sorgen in den kleinen Raum geflüchtet waren, empfanden dieses Schweigen nur zu deutlich wie ein unbekanntes, näherschleichendes Unheil. Da erhob sich Karl Wieland mit ungeduldiger Bewegung und begann erregt auf und ab zu gehen. Sein von einem elegant gestutzten Vollbart umrahmtes, gutmütiges Gesicht war verdüstert, und wenn er zu seiner Gattin hinüberblickte, gruben sich die Falten auf seiner Stirn regelmäßig tiefer ein.
Endlich blieb er vor ihr stehen und sagte halblaut, mit seltener Härte im Ton:
Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/4&oldid=- (Version vom 31.7.2018)