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um Hans Dreßler aus der Rolle des guten Freundes, die er nur gezwungen spielte, in die eines aufrichtigen Liebhabers hineinzuzwingen. –

Des Doktors Studierzimmer lag nach der Straße zu und hatte zwei große Fenster, durch die dem Tageslicht freier Zutritt zu diesem mehr als merkwürdigen Raume gegeben war. Denn Dreßlers Studierzimmer war zugleich Laboratorium, Bibliothek und – Raritätenkabinett. Vor dem rechten Fenster stand ein langer Tisch, dessen einst weiße Platte jetzt von Säuren zerfressen und mit Brandflecken dicht bedeckt war. Auf diesem Tisch hatten Gestelle mit Gläsern und Flaschen in allen Größen und Formen ihren Platz neben blinkenden Destillierkolben und zwei großen Gaskochern. Die Gummischläuche der Gasleitung liefen darüber hin wie schmutziggraue Schlangen, und die freien Drahtenden der elektrischen Leitung lagen wie Schlingen zwischen diesem Durcheinander von Gläsern und sauber gehaltenen Apparaten, Mikroskopen, feinen Wagen und vielem anderen. Neben diesem Tische in einem mächtigen, rotgebeizten Schrank war Dreßlers Bibliothek untergebracht, besser gesagt diejenigen Bücher, die er notwendig brauchte. Denn der größere Teil seines papiernen Besitzes lagerte auf dem Boden in großen Kisten. In dem Schranke standen anscheinend in wirrem Durcheinander dünne Broschüren neben einer neuen Klassikerausgabe, dicke Lehrbücher der Chemie neben Büchern von dem Werte des „Seestern 1906“. Die andere Hälfte des Zimmers war sozusagen versuchsweise als Empfangszimmer herausstaffiert. An der Wand, dem Bücherschranke gegenüber, ragte ein Paneelsofa in die Luft, dessen Dimensionen sich in dem überfüllten Raum recht merkwürdig ausnahmen. Davor ein großer Tisch, bedeckt mit Zeitschriften und Zeichnungen, weiter zwei steiflehnige Sessel einer längst schlafengegangenen Mode. Und an den Wänden – ein Liebhaber exotischer Reiseerinnerungen hätte daran stundenlang besichtigen können! – auf Wandbrettern ausgestopfte Vögel, altchinesische

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Walther Kabel: Das Geheimnis eines Lebens. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Geheimnis_eines_Lebens.pdf/8&oldid=- (Version vom 31.7.2018)