RE:Eukleides 7
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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der Mathematiker für Geometrie aus Alexandria um 300 v. Chr. | |||
Band VI,1 (1907) S. 1003–1052 | |||
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7) Der Mathematiker. Abkürzungen einiger häufig zitierten Werke: Anarit. = Anaritii in decem libros priores elementorum Euclidis commentarii ex interpretatione Gherardi Cremonensis ed. M. Curtze, Leipz. 1899. Cantor = Vorlesungen über Geschichte der Mathematik von M. Cantor Bd. I, 2. Aufl., Leipz. 1894. Heiberg Eucl. op. I, II usw. = Euclidis opera omnia ed. J. L. Heiberg et H. Menge, Leipz. 1883–1896. Bd. V enthält die angeblichen Bücher XIV und XV der Elemente, die Scholien, Prolegomena critica und Appendices, Leipz. 1898. Heiberg Stud. = Literargeschichtliche Studien über Euklid von J. L. Heiberg, Leipz. 1882. Loria II = Le scienze esatte nell' antica Grecia di G. Loria, libro II, Memorie della R. Accademia di Scienze, Lettere ed arti di Modena vol. XI serie 2 (1895), auch unter dem Titel: Il periodo aureo della Geometria greca. Loria III = Le scienze esatte usw. vol. XII, serie 2 (1900), auch unter dem Titel: Il substrato matematico della Filosofia naturale dei Greci. Susemihl = Geschichte der griech. Literatur in der Alexandrinerzeit von F. Susemihl I. Bd., Leipz. 1891. Zeuthen Hist. = Histoire des mathématiques dans l’antiquité et le moyen age, traduite par J. Mascart, revue et corrigée par l'auteur, Paris 1902. Die erste Bearbeitung war als ,Forelæsning over Mathematikens Historie‘ in Kopenhagen 1893, eine zweite Bearbeitung als ,Geschichte der Mathematik im Altertum und Mittelalter‘ ebd. 1896 erschienen.
1. Über die Epoche und Wirksamkeit des E. wissen wir nur wenig mehr, als was Proklos im Kommentar zum ersten Buche der Elemente aus der μαθημάτων θεωρία des Geminos entnommen hat. Diesem war bekannt, daß E. die Schriften der Schüler Platons, Eudoxos und Theaitetos benutzt hat, sowie daß er von Archimedes erwähnt worden ist. Daraus hat entweder er selbst oder der von ihm benützte Autor, als welchen [1004] wir Poseidonios mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, den Schluß gezogen, daß die Blütezeit des E. unter die Regierung des ersten Ptolemaios (305–285) falle. Ein älterer Zeitgenosse des E., Autolykos von Pitane (s. d.), dessen Blütezeit um 310 v. Chr. anzusetzen ist, hat die Elemente des E. noch nicht benutzt, andererseits aber hat E. in seinen Phainomena auf den Schriften des Autolykos über die rotierende Kugel und über Auf- und Untergänge der Gestirne gefußt. Damit stimmt auch ein in der mathematischen Sammlung des Pappos überlieferter Bericht über das Verhältnis des E. zu Aristaios, dem Verfasser der Konika, wonach der letztere ebenfalls als ein älterer Zeitgenosse des E. erscheint (u. § 43). Hiernach mag als mittleres Jahr seiner Blütezeit 295 v. Chr. gesetzt werden, mit dem Hinzufügen, daß seine schriftstellerische Tätigkeit, nach den teils noch erhaltenen, teils verloren gegangenen Schriften zu schließen, auf eine lange Reihe von Jahren sich erstreckt haben muß. Daß er mit Ptolemaios I. in persönlichem Verkehr gestanden hat, zeigt die kleine Erzählung bei Geminos, daß der König einst gefragt habe, ob man die Geometrie nicht auf einem kürzeren Wege als durch die Elemente erlernen könne, worauf E. erwidert haben soll, daß es keinen für Könige besonders hergerichteten Pfad zu dieser Wissenschaft gibt. In seiner philosophischen Richtung schloß er sich dem Platon an und betätigte dies auch durch die Anlage seiner Elemente, deren Endziel, wie sich noch zeigen wird, die Darstellung der Πλατωνικὰ σχήματα, d. i. der fünf regulären Polyeder, war. Der Ort seiner Wirksamkeit kann kein anderer als Alexandreia gewesen sein. Dort blühte auch seine Schule zu der Zeit, wo Apollonios von Perge (s. d.) daselbst verweilte, Prokl. in I. elem. 68. Schol. in Eucl. elem. 73, 2 (Eucl. op. V Heiberg). Papp. synag. VII cap. 34f. Tannery Géométrie grecque 66. 69. 71ff. vgl. mit 18f. Heiberg Stud. 25ff. Cantor 246f. Susemihl I 704f. Die Worte bei Prokl. 68, 12 ὁ Ἀρχιμήδης ἐπιβαλὼν καὶ τῷ πρώτῳ μνημονεύει τοῦ Εὐκλείδου bedeuten, wie aus καί vgl. mit 68, 11 hervorgeht, daß die Epoche des Archimedes sich an die Regierung des Ptolemaios I. angeschlossen hat (Heiberg 26. Tannery 69), enthalten also keine Beziehung auf ein ,erstes Buch‘ des E. (Cantor 246). Überliefert ist bei Archim. de sphaer. et cyl. I 14. I Heib. das Citat διὰ τό β' τοῦ πρώτου τῶν Εὐκλείδου. Zwar pflegen die älteren Mathematiker, wenn sie auf anderswo erwiesene Sätze sich berufen, nicht die Zahlen von Büchern und Sätzen anzugeben; doch hat Archimedes hier, am Anfange seiner Schrift, eine Ausnahme gemacht, wie E. gegen Anfang des zwölften Buches der Elemente (u. § 8). Die Worte des Geminos μνημονεύει τοῦ Εὐκλείδου können also ohne Bedenken auf diese Stelle bezogen werden. Auch kurz darauf (24, 6 Heib.) hat Archimedes mit den Worten ταῦτα γὰρ ἐν τῇ στοιχειώσει παραδέδοται auf die Elemente des E., und zwar auf XII 2 (144, 6 Heib.), vgl. mit X 1, Bezug genommen (Heiberg zu Archim. a. a. O. 25).
,Vom Geburtsort des E. haben wir keine Nachrichten; er war seinen Zeitgenossen und den nächsten Jahrhunderten nach ihnen, wo die Kunde [1005] von seiner Herkunft sich erhalten haben mag, in dem Grade der einzige E., daß sie unterließen, wie es sonst wohl Sitte war, seinem Namen das ἐθνικόν beizufügen; die Späteren wußten es nicht mehr.‘ Heiberg Stud. 22; vgl. u. § 53.
2. Das bedeutendste unter des E. Werken sind die Elemente. Als τὰ στοιχεῖα zitiert sie Geminos bei Prokl. 68, 7. Εὐκλείδου στοιχείων α, β usw. hat Theon, der Herausgeber der Elemente, in seinen Hss. als Über- und Unterschriften der einzelnen Bücher vorgefunden, und so führt auch seine Rezension die Titel Εὐκλείδου στοιχείων τῆς Θέωνος ἐκδόσεως α, β usw. (Eukl. op. I 116. 118. 163 Heib. und ähnlich bei den folgenden Büchern; vgl. Schol. Eucl. op. V 273, 15–18). Kurz vor Theon hat Pappos sowohl die στοιχεῖα überhaupt als einzelne Bücher derselben wiederholt zitiert (s. Hultsch im Index zu Papp. synag. 45f.). In der bei Archimedes a. a. Ο. überlieferten Lesart bedeutet τὰ Εὐκλείδου kein anderes Werk als die στοιχεῖα. Auch wurde bereits erwähnt, daß Archimedes dieselben Elemente schlechthin mit ἡ στοιχείωσις bezeichnet. Ähnlich findet sich bei Prokl. 74, 10. 81, 7 ἡ Εὐκλείδου στοιχείωσις und bei Eutokios zu Archim. 32, 3. 9 Heib. u. ö. ἡ στοιχείωσις. Noch zu erwähnen sind die Anführungen τὰ πρῶτα στοιχεῖα bei Papp. synag. VII 644, 6. 646, 7 und der ebendort mehrmals in dem Sinne von στοιχεῖα überlieferte Singular στοιχεῖον (Index zu Papp. 103 Hu.).
Nach diesem Werk ist E. schon frühzeitig ὁ στοιχειωτής genannt und so mit Weglassung des eigentlichen Namens zitiert worden, Heronis Alex. geom. et stereom. 35, 3. 38. 2 Hu. Papp. synag. VII 634, 8. 654, 16. Prokl. in I. elem. an den in Friedleins Index 439 aufgeführten Stellen. Vgl. Marinos zu Eucl. data 254, 15 Menge: Εὐκλείδης – ὃν καὶ στοιχειωτήν κυρίως ἐπωνόμασαν, doch durfte Marinos dabei nicht ausschließlich auf die in den Data dargestellten στοιχεῖα sich beziehen.
Da es die Geometrie war, deren Elemente E. behandelt hat, so heißt er bei Proklos auch schlechthin ὁ γεωμέτρης (Index a. a. O.), womit der Scholiast zum Anfang des I. Buches der Elem. 83, 1. 13 Heib. und Anarit. 262. 323. 328. 364 übereinstimmen. Der erwähnte Scholiast hat das meiste aus Geminos geschöpft; wahrscheinlich hat also schon dieser den E. als ὁ γεωμέτρης citiert.
3. Der Text der Elemente ist in mehreren Manuskripten des 9.–12. Jhdts., zu denen einige Papyrusfragmente aus dem 2. bis Anfang des 4. Jhdts. und Palimpsestblätter aus dem 7.–8. Jhdt. kommen, außerdem in vielen jüngeren Hss., im ganzen mit großer Treue überliefert. Wie zuerst Savilius bemerkte, hat im 4. Jhdt. Theon von Alexandreia im Kommentar zu Ptolem. syntax. I (50 Basil., 201 Halma) auf einen Satz verwiesen, den er in seiner ἔκδοσις τῶν στοιχείων am Ende des VI. Buches hinzugefügt habe. Da nun dieser Zusatz in dem Cod. P = Vatic. Gr. 190 fehlt, so erkannte Peyrard, daß diese Quelle einen älteren, von der Hand Theons noch unberührten Text enthält. In einem Scholion zu Elem. XIII 6 bezeichnet der Schreiber von P diese Recension als die παλαιά, die theonische als die νέα ἔκδοσις. Durch die Vergleichung der wichtigsten Hss. und durch umfängliche kritische [1006] Untersuchungen hat Heiberg zuerst in den literargeschichtlichen Studien über E. und dann in den Prolegomena zum V. Bande seiner Ausgabe festgestellt, daß die in der Mehrzahl der Hss. überlieferte theonische Rezension auf eine gemeinsame, spätestens dem 8. Jhdt. angehörige Quelle zurückgeht. Für die Herstellung des Textes war also in der Regel Cod. P maßgebend; doch war daneben, da P nicht frei von Fehlern und Versehen ist, allenthalben die um mindestens zwei Jahrhunderte ältere, durch die Theonklasse dargestellte hsl. Überlieferung zu berücksichtigen. Allein als Grundlage des Textes konnte Theons Ausgabe nicht gewählt werden, hatte diesem es doch durchaus fern gelegen, aus den ihm zugänglichen Hss. den ursprünglichen Text des E. wiederherzustellen; vielmehr ging sein Vorhaben nur dahin, den Freunden der mathematischen Studien in Alexandreia, besonders seinen Schülern, einen möglichst glatten und leicht verständlichen Text an die Hand zu geben, Heiberg Stud. 174. 177ff.; Eucl. op. V, XXIVff., vgl. besonders das abschließende Urteil LXXVf. Susemihl I 707ff. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1885, 1452ff.
Abgesehen von der Überlieferung in P gewinnen wir Einblicke in die vortheonische Rezension aus den Zitaten griechischer Schriftsteller von Heron bis auf Pappos, Heiberg Stud. 186ff., vgl. dens. Eucl. op. V, XCIIf. Wichtige Aufschlüsse über die Gestaltung des von Pappos gegen Ende des 3. Jhdts. benutzten Textes bietet auch die älteste in den Hss. PBV Vat. (Eucl. op. V, IXff. 71ff.) erhaltene Scholiensammlung, Heiberg Kopenhagen Vidensk. Selsk. Skr., hist. og philos. Afd. II 3 (1888) 239ff. 297f. Über die schon vor Theons Zeit in den Text eingedrungenen Interpolationen und Fehler handelt ders. Eucl. op. V, LXXVIff.
Als Proklos im 5. Jhdt. seinen Kommentar zum I. Buche der Elemente abfaßte, ist er nicht der theonischcn Rezension, die ihm gewiß bekannt war, sondern der παλαιὰ ἔκδοσις gefolgt. Seine Zitate stimmen also zumeist mit den Lesarten von P überein; doch ist manches in der von Proklos gebotenen Fassung besser als in P überliefert. Umgekehrt hat P an vielen Stellen, wo in die Hss. des Proklos Verderbnisse eingedrungen sind, das Richtige bewahrt, Heiberg Stud. 181ff.; vgl. dens. Eucl. op. V. XCIf.
Vor Proklos haben im 4. Jhdt. Iamblichos u. a., ferner vom 5.–14. Jhdt. eine lange Reihe späterer Autoren größere oder kleinere Stücke der Elemente teils wörtlich, teils dem Inhalte nach angeführt. Die von Heiberg zusammengestellten Übersichten (u. § 35) zeigen, daß während dieses langen Zeitraumes der Text der Elemente im wesentlichen unverändert sich erhalten hat. Allen diesen späteren Schriftstellern hat wohl die theonische Rezension vorgelegen.
4. Der griechische Text der Elemente ist zuerst im J. 1533 ,Basileae apud Ioan. Hervagium‘ von Sim. Grynaeus herausgegeben worden. Die zu Ende der Praefatio erwähnten, vom Herausgeber benutzten Hss. hat Heiberg (Eucl. op. V, CIVff.) wieder aufgefunden. Da der Wortlaut der Elemente auch in der jüngeren Überlieferung im ganzen recht gut sich erhalten hat, so bot diese [1007] Editio princeps einen leidlichen Text; allein im Vergleich mit den später bekannt gewordenen ältesten und besten Manuskripten ist ihr jede Autorität abzusprechen. Trotzdem ist der Baseler Text von den nächsten Herausgebern, unter denen hier nur auf des Dasypodius ,Euclidis quindecim elementorum geometriae primum‘, bezw. ,secundum‘, und ,Propositiones reliquorum librorum geometriae Euclidis‘, Argentorati 1564, hingewiesen sei, lediglich wiederholt worden. Auch Gregorius ist in seiner Gesamtausgabe ,Euclidis quae supersunt omnia‘, Oxoniae 1703, nur wenig von der früheren Vulgata abgewichen; doch standen ihm für solche Textesstellen, die ihm zweifelhaft erschienen, Varianten aus Manuskripten der Bodleiana zu Gebote. Einen weiteren Fortschritt stellte die dreibändige, in Paris 1814–1818 erschienene Ausgabe der Elemente und Data ,Les oeuvres d'Euclide en grec, en latin et en français ... par F. Peyrard‘ dar, da hier zuerst die ältere, aus der Zeit vor Theon herrührende Textesrezension nach dem Cod. P (o. § 3) Berücksichtigung fand. Unter den auf Peyrard folgenden Herausgebern hat August durch seine ,Euclidis elementa ... in usum tironum graece edita‘, Berlin 1826–29 auf Jahrzehnte hinaus sich das Verdienst erworben, einen lesbaren und leicht käuflichen Text geliefert zu haben. Ausführlicher berichtet über diese und andere Ausgaben Heiberg Eucl. op. V, CIVff. Vgl. Susemihl I 704, 16. 711, 33.
Eine auf den ältesten noch erreichbaren Überlieferungen fußende, nach streng kritischer Methode durchgeführte Textesgestaltung verdanken wir Heiberg in seinen ,Euclidis elementa edidit et latine interpretatus est‘, 5 Bde., Leipzig 1883–88. Wie schon bemerkt wurde, ist die παλαιὰ ἔκδοσις der Elemente durch den Vaticanus Gr. 190 (P) vertreten. Unter den zahlreichen, der theonischen Rezension folgenden Manuskripten hat der Herausgeber zunächst den Bodleianus Dorvill. X 1 inf. 2, 30, der mit Ausnahme weniger Blätter dem 9. Jhdt. angehört, den Laurentianus XXVIII 3 (10. Jhdt.) und den Vindobonensis Gr. 103 (11.–12. Jhdt.) ausgewählt, die er der Reihe nach mit B, F, V bezeichnet. Dazu kommen ein Bononiensis des 11. und zwei Parisini des 12. Jhdts., die als b, p, q aufgeführt werden. Die in b überlieferte Textesgestaltung von Elem. XI 36–XII 18 hat der Herausgeber in Bd. IV 385ff. veröffentlicht und im Herm. XXXVIII (1903) 193ff. näher besprochen. Für einige Stücke des X. und XIII. Buches konnten fünf Blätter des Palimpsestes des Brit. Mus. add. 17211 benutzt werden, die gegen Ende des 7. oder zu Anfang des 8. Jhdts. niedergeschrieben worden sind und der von Theon stammenden Überlieferung folgen, Heiberg Eucl. op. vol. I, VIIff. vol. III, V. vol. IV, Vf. vol. V, XXIVff. Über den Londoner Palimpsest hat derselbe, außer Eucl. op. V, XXXIVf., im Philol. XLIV (1885), 353ff. berichtet. Aus dem Bodleianus sind facsimilierte Schriftproben gegeben von Wattenbach und Velsen Exempla cod. Graec. Taf. II und in Palaeographical Society VI Taf. 65. 66. Die Subscriptio des Erzbischofs von Kaisareia in Kappadokien Arethas (o. Bd. II S. 675ff.), der die Hs. einst besessen hat, s. bei Maaß Mélanges Graux 751, vgl. mit 749f. Die [1008] in der Bibliothek von S. Marco in Venedig, Cl. XIV cod. CCXXIII, befindlichen, aus dem 10. Jdht. stammenden Fragmente des X. Buches der Elemente hat Omont Revue des études grecques 1894, 373ff. mit der Ausgabe von Heiberg Bd. III 216, 19–260, 4 verglichen. Ausführlicher handelt über diese Fragmente Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 161ff.
Über die Übereinstimmung teils aller, teils mehrerer oder nur einer einzelnen von den theonischen Hss. mit P handelt ausführlich Heiberg Eucl. op. V, XXXVff. und entwickelt daraus die Grundsätze und Regeln, nach denen er den Text hergestellt hat. Einige Misch-Hss., die in der Ausgabe Heibergs nicht verwertet werden konnten, bespricht er Herm. XXXVIII (1903). 59ff., über andere, in der Ausgabe gar nicht oder unvollständig verwertete Hss. teilt er ebd. 161ff. Näheres mit.
In dem herculanensischen Papyrus 1061 wird die 15. Definition des I. Buches zitiert. Es fehlen dort die beiden Zusätze, welche schon Heiberg in seiner Ausgabe als unecht bezeichnet hatte. Vgl. Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 47.
Aus der 2. Hälfte des 2. Jhdts. n. Chr. stammt ein bei Kasr el Banat im Fayûm aufgefundenes, leider arg verstümmeltes Papyrusfragment, welches Reste des 39. und 41. Satzes des I. Buches enthält. Bei Satz 39 hat der Schreiber den Schlußsatz τὰ ἄρα ἴσα τρίγωνα ... ὅπερ ἔδει δεῖξαι weggelassen. Die Figur steht am Ende der Beweisführung, wie es auch in den Hss., aus denen unsere Ausgaben der Elemente geflossen sind, die Regel ist. An Satz 39 schließt sich unmittelbar Satz 41; der Schreiber hat also Satz 40, der von Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 50f. 57 als später eingeschoben erklärt wird, nicht gekannt. Grenfell, Hunt and Hogarth Fayûm Towns and their Papyri 96ff. Crönert Archiv f. Papyrusforsch. II 380f. Um die Wiederherstellung des Textes hat sich Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 48ff. verdient gemacht. Daß die Figur zu Satz 39 im Papyrus hinter der Beweisführung, nicht vor derselben steht, darf nicht mit Grenfell-Hunt 97, 20 als eine Ausnahme gelten, sondern entspricht nach Heiberg Bull. Acad. des Sciences de Danemark 1900, 148 der auch in den mittelalterlichen Hss. befolgten Regel. Ein zweites Papyrusfragment ist von Grenfell-Hunt The Oxyrhynchus Papyri I 58 nr. 29 und Heiberg a. a. O. 147 veröffentlicht worden. Es stammt aus dem Ende des 3. oder Anfang des 4. Jhdts. n. Chr. und enthält, abgesehen von zwei kleinen Schreibfehlern, den genauen Text der Protasis von Elem. V 2. Dazu ist die Figur ohne Buchstaben beigefügt; sie hat also ausnahmsweise vor der Beweisführung gestanden, die zwar nicht erhalten, aber von dem Schreiber des Papyrus gewiß beigefügt worden ist (denn von dem Beweise zu II 4 ist noch περιεχομέ ..., d. i. περιεχόμενω, erhalten). Daß das Fragment aus der theonischen Rezension geflossen ist, weist Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 47f. nach.
5. Eine freiere Bearbeitung der Elemente in lateinischer Sprache hat ein Mathematiker des 4. Jhdts. unternommen. Fragmente davon sind auf sechs Palimpsestblättern der Hs. nr. 40 (früher 38) der Biblioteca capitolare zu Verona erhalten. [1009] Blume Iter Italicum I 263f.; Röm. Feldmesser II 65, 114. Mommsen Abh. Akad. Berl. 1868, 153. 156. 158. Cantor 525f. Heiberg Eucl. op. V, XCIX.
Diese Blätter bieten die Reste der eigenhändigen Niederschrift des Bearbeiters. Nach der Abschrift von Studemund, die dem Unterzeichneten früher vorgelegen hat, weisen die Kolumnentitel auf Fragmente eines XIV. und XV. Buches hin, die aus dem XII. und XIII. Buche der Elemente entlehnt sind. Außerdem finden sich, ohne Überschrift, Fragmente aus Elem. XI 24. 25; diese haben also dem XIII. Buche der lateinischen Bearbeitung angehört. Wahrscheinlich sind statt des einen Buches, welches als zehntes überliefert ist, die drei Bücher, aus denen es eigentlich zusammengesetzt war (§ 8), besonders gezählt worden, so daß das überlieferte XI. Buch an die dreizehnte Stelle und die beiden noch folgenden an die vierzehnte und fünfzehnte Stelle gerückt sind.
Der Bearbeiter hat sich bemüht, die griechischen Kunstausdrücke möglichst durch lateinische Worte wiederzugeben. Die βάσις einer Pyramide ist zwar einigemal als basis herübergenommen; sonst ist aber dafür sedes gewählt. Die πρίσματα elem. XII 3 p. 148, 24 Heib. erscheinen als recisamenta, die παράλληλα ἐπίπεδα XI 24 zu Anfang als consimilia plana, das Adjectiv τρίγωνος XII 3. 8 als triangulus. Für πενταπλάσιον δύναται XIII 3 p. 254, 18 hat Studemund ad quinquiplum meriti * * entziffert; vielleicht hat hier die Verbalform merita est (nämlich sectio) gestanden. Doch hat der Übersetzer bei einer Überarbeitung der ersten Niederschrift erkannt, daß er in seinem Streben, neue lateinische Kunstausdrücke zu schaffen, zu weit gegangen ist; er hat also an den meisten Stellen triangulus über der Zeile durch trigonus und XI 24 die consimilia plana durch parallela epipeda ersetzt. Da er alles möglichst wörtlich zu übersetzen sich bemühte, so mußte er häufig Umschreibungen anwenden, freilich zumeist auf Kosten der Deutlichkeit. Oft hat er dann durch erklärende Zusätze das Verständnis zu erleichtern gesucht. Die geometrischen Buchstaben des griechischen Textes hat er beibehalten; doch sind die Formen in der Niederschrift meistens so undeutlich, daß die noch erkennbaren Spuren mit dem griechischen Texte nicht zu stimmen scheinen. Hoffentlich wird es einst gelingen, mit Hilfe der Photographie die ursprüngliche Schrift der Palimpsestblätter deutlicher hervortreten zu lassen und so die wertvollen Fragmente, denen in der römischen Literatur nichts Ähnliches zur Seite steht, wenigstens zum größeren Teile wiederherzustellen.
6. Wie Cassiod. var. I 45, 4 und de geom. 589 Garet. glaubwürdig berichtet, hat im 6. Jhdt. Boethius die Elemente ins Lateinische übertragen. Doch hat sich davon nichts erhalten, denn die hsl. überlieferte ,geometria Euclidis a Boetio in latinum lucidius translata‘ (Boetii de instit. arithm. usw. 373ff. Friedlein) ist das Machwerk eines praktischen Feldmessers aus dem 9. oder 10. Jhdt. Cantor 537ff. Heiberg Philol. XLIII 507ff.; Eucl. op. V, XCIXff. Hartmann o. Bd. III S. 598.
Aus einer Bamberger Hs. des 10. und Münchener Hss. des 11. und 12. Jhdts. sind, mit [1010] Benutzung von Lachmanns Gromatici veteres, die Reste einer alten lateinischen, aus dem Griechischen geflossenen Übersetzung der vier ersten Bücher der Elemente zusammengestellt worden von Heiberg Ztschr. f. Mathem. u. Phys., hist. liter. Abt., XXXV 48ff. 81ff. Ein ähnliches Fragment, die Definitionen des V. Buches umfassend, hat Curtze Biblioth. math. 1896, 1ff. aus einer Münchener Hs. des 10. Jhdts. veröffentlicht. Zwei von einem Einbanddeckel der Münchener Bibliothek losgelöste, ebenfalls dem 10. Jhdt. angehörende Pergamentblätter enthalten eine ganz wortgetreue lateinische Übersetzung von Stücken aus I 37f. und II 8f. Der Verfasser hat so wenig von der Geometrie verstanden, daß er die geometrischen Buchstaben des E. für Zahlzeichen gehalten und durch ausgeschriebene lateinische Ordnungszahlwörter wiedergegeben hat. Also besteht keine Verwandtschaft mit der früher erwähnten Übersetzung des 4. Jhdts. Die Fragmente sind herausgegeben, mit dem griechischen Texte verglichen und durch Beifügung einer dritten Kolumne lesbar gemacht von Curtze Prolegom. zu Anarit. p. XIVff., auch besprochen von Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 354f.
Um das J. 1120 sind die Elemente von Atelhart von Bath aus dem Arabischen ins Lateinische übertragen worden. Daran hat sich etwa 150 Jahre später eine Bearbeitung durch Campano von Novara geschlossen, die zuerst in Venedig 1482 als ,Preclarissimum opus elementorum Euclidis megarensis una cum commentis Campani‘ usw. erschienen ist. Über die Quellen beider Werke und die Abhängigkeit des jüngeren Bearbeiters von dem älteren sind die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen. Nach Heiberg Eucl. op. V, Cf. hat Atelhart als der Übersetzer, Campano als der Commentator zu gelten. Näheres geben Weissenborn Abhandl. zur Gesch. der Math. III (1880, Suppl. zur Ztschr. f. Math. und Phys. XXV) 143ff.; Die Übersetzungen des E. durch Campano und Zamberti, Halle 1882, 3ff. Curtze Jahresber. über Fortschr. der class. Altertumswiss. XL (1884) 19ff. Heiberg Ztschr. f. Math. und Phys. XXXV, hist.-lit. Abt. 48ff. 81ff. Cantor Vorles. II2 100ff., vgl. mit I2 670. Den vollständigen Titel der äußerst seltenen Editio princeps des Campano s. bei Curtze Prolegom. zu Anarit. p. XIII.
Gerhard von Cremona (1114–1187) hat außer vielen anderen mathematischen und astronomischen Schriften auch die Elemente einschließlich der nichteuklidischen Bücher XIV und XV aus dem Arabischen übersetzt (Cantor 853f.). Nach Curtze Teubnersche Mitteil. 1899, 106 ist bei Anarit. 200–204 und 207–210 vielleicht die vollständige Wiedergabe von E. elem. IX 13 und 36 als der einzige Rest der Gerhardschen Euklidübersetzung erhalten.
Teile der Elemente, aus einem Cod. Mutinensis ins Lateinische übersetzt, hat Georg Valla veröffentlicht, und zwar Stücke aus den ps.-euklidischen Büchern XIV und XV im J. 1498, dann viele Propositionen mit ihren Beweisen aus den echten Büchern in seinem Sammelwerke De expetendis et fugiendis rebus, Venetiis 1501. Bald darauf, Venet. 1505, erschien die an Campano sich anlehnende, aber ,ex lectione Graeca‘, d. i. [1011] aus griechischen Hss. geschöpfte Übersetzung von Zamberti Euclidis megarensis ... elementorum libros XIII cum expositione Theonis usw. Auch Commandino, der Herausgeber von ,Euclidis elementorum libri XV una cum scholiis antiquis‘, Pisauri 1572, hat einen griechischen Codex zur Hand gehabt und aus diesem den Text des Grynaeus (o. § 4) und die lateinische Bearbeitung von Zamberti an mehreren Stellen berichtigt. Heiberg Jahrb. f. klass. Philol., Suppl.-Bd. XII 377ff.; Eucl. op. V, Cf. CIIff. CXf. Weissenborn Die Übersetzungen des E. durch Campano und Zamberti 12ff. Susemihl I 710f., 32. 33.
Seit dem Ende des 8. Jhdts. sind die Elemente von verschiedenen arabischen Gelehrten übersetzt und erläutert worden. Von der Bearbeitung durch Al-Haddschadsch ben Jusuf ben Matar, der unter Harun Al-Raschid (786–809) und Mamun (812–834) gelebt hat, ist bis jetzt der arabische Text des ersten und zweiten Buches mit lateinischer Übersetzung und kritischen sowie erklärenden Anmerkungen unter dem Titel ,Codex Leidensis 399, 1, Euclidis elem. ex interpretatione Al-Hadschdschadschi cum commentariis Al-Narizii arabice et latine ediderunt notisque instruxerunt Besthorn et Heiberg, partis I fasc. I (1893), II (1897), partis II fasc. I (1900)‘, erschienen. Über Al-Narizi (Anaritius), dessen Erläuterungen, wie aus den bisher erschienenen Heften des eben angeführten Werkes zu ersehen ist, von Al-Haddschadsch dem Texte der Elemente zum größeren Teile beigefügt worden sind, s. u. § 33. Klamroth ZDMG XXXV (1881) 270ff. Steinschneider Ztschr. f. Mathem. u. Phys., hist.-lit. Abt. XXXI (1886) 81ff.; Beihefte z. Zentralbl. f. Bibliothekswesen Bd. II (1890–1891), Heft 5, 1ff; ZDMG L (1896) 161ff. Heiberg Ztschr. f. Math. u. Phys., hist.-lit. Abt. XXIX (1884) 1ff.; Eucl. op. V, XCVIff, Cantor 660ff. Künssberg Gött. Gel. Anz. 1893, 828ff.
Über die ältesten deutschen Übersetzungen der Bücher I-VI, bezw. auch XI und XII von Holtzmann, Simon Marius, Burckhardt von Pirkenstein, sowie über die Verdeutschung der Bücher VII–IX durch Scheybl (Augsburg 1555) vgl. F. Müller Abb. z. Gesch. d. Mathem. IX (1899) 313ff.
Unter den modernen Übersetzungen der Elemente sind hervorzuheben die französische von Peyrard (o. § 4) und die englische, auf acht Bücher sich erstreckende von R. Simson The Elements of Euclid, viz. the first six books together with the eleventh and twelfth, also the book of Euclids Data, 26. Aufl., London 1844 (der Unterz. hat die 24. Auflage vom J. 1834 benutzt). Diese für den Schulgebrauch bestimmte Bearbeitung ist wertvoll durch die ,Notes, critical and geometrical‘ Simsons zu den Elementen und Data sowie durch die am Rande beigefügten Zitate der Definitionen oder Sätze, die an jeder betreffenden Stelle als Beweismittel herbeizuziehen sind. Auch die zum Zwecke des Unterrichts hin und wieder beigefügten Ergänzungen des euklidischen Textes verdienen Beachtung. Auf Simson beruhen ,E.s acht geometrische Bücher aus dem Griechischen übersetzt von J. F. Lorenz, aufs neue herausgegeben mit einem Anhange von E. W. Hartwig, Halle 1860‘, ein Buch, das dazu dienen mag, einen Überblick über den Inhalt der [1012] Bücher I–VI, XI und XII zu gewinnen, für wissenschaftliche Zwecke aber unbrauchbar ist; nicht einmal der wichtige Satz elem. X 1 ist an der Stelle, wo er benutzt wird, als euklidisch nachgewiesen.
7. Nach dem Mathematikerverzeichnis des Eudemos, das Geminos in seine μαθημάτων θεωρία aufgenommen und Proklos im Commentar zum I. Buche der Elemente uns erhalten hat, sind die Elemente der Geometrie zuerst von Hippokrates, später von Theudios geordnet und im Zusammenhange behandelt worden. Weiter hat dann Geminos festgestellt, daß E. bei der Abfassung seiner στοιχεῖα vieles von Eudoxos aufgenommen und vieles von Theaitetos Begonnene zum Abschluß gebracht hat. Überdies habe er das, was von den Früheren weniger streng erwiesen war, durch unwiderlegliche Beweise gestützt. Prokl. 66, 7. 67, 12–15. 68, 7–10. Dazu kommt eine in den Scholien zu E. aufbewahrte, wahrscheinlich ebenfalls auf Geminos zurückreichende Tradition, wonach die im V. Buche der Elemente enthaltene Lehre von den Proportionen zwar von Eudoxos erfunden sei, trotzdem aber dieses Buch mit Recht dem E. einstimmig zugeschrieben werde τῆς κατὰ στοιχεῖον αὐτῶν (nämlich τῶν θεωρημάτων) συντάξεως χάριν καὶ τῆς πρὸς ἄλλα τῶν οὕτω ταχθέντων ἀκολουθίας. Schol. in Eucl. op. V 280, 7. 282, 13–20 Heib. Auf dieselbe Quelle ist auch das erste Scholion zum XIII. Buche zurückzuführen, wonach der Würfel und das reguläre Tetraeder und Dodekaeder von den Pythagoreern, das Oktaeder und Ikosaeder von Theaitet konstruiert worden sind, dennoch aber Εὐκλείδου ἐπιγράφεται καὶ τοῦτο τὸ βιβλίον διὰ τὸ στοιχειώδη τάξιν ἐπιτεθεικέναι καὶ ἐπὶ τούτου τοῦ στοιχείου.
Nach diesen und anderen Zeugnissen herrscht in neuerer Zeit Einverständnis darüber, daß E. bei weitem mehr Bearbeiter als Erfinder der Elemente gewesen ist. Sein Verdienst ist die einheitliche Anordnung des gesamten Stoffes (§ 8) und die strenge Durchführung der Beweisformen. Die ersten Versuche einer methodischen Geometrie sind ägyptischen Ursprungs; durch die Pythagoreer wurde neben der geometrischen Darstellung die Theorie der Zahlen maßgebend; zuletzt aber hat E. ein Elementarbuch geschaffen, in welchem die Zahlenlehre nur einen beschränkten Raum fand und alles Arithmetische möglichst auf die Betrachtung von geraden Linien oder ebenen Flächen oder regulären Körpern zurückgeführt war. Daß ihm hierbei Gelegenheit genug blieb, außer der Ordnung und Redaktion der von anderen übernommenen Sätze auch Eigenes zu erfinden, mag als wahrscheinlich gelten; allein je mehr die Quellen zur Kenntnis der voreuklidischen Geometrie sich uns erschließen, desto häufiger werden wir die Vorarbeiten von Pythagoreern und anderen älteren Mathematikern auch bei solchen Sätzen, deren Erfindung dem E. zu gebühren scheint, teils vorfinden, teils auf solche schließen können.
Über die voreuklidischen Elemente wird das Nähere unter Geometria zusammengestellt werden. Vorläufig sei hier verwiesen auf Heiberg Stud. 33ff. Hultsch Ber. Ges. d. Wiss. Leipz. 1886, 149ff. Tannery Géom. grecque 95ff. Allman [1013] Greek Geometry from Thales to Euclid, Dublin und London 1889. Cantor 259ff. Loria II 60ff.
8. Die στοιχεῖα der Geometrie vergleicht Proklos mit den Grundlauten der Sprache. Sie bilden die notwendige Grundlage für alles geometrische Wissen; durch sie allein gelangt man zur Lösung auch der schwierigsten Probleme (Prokl. 72, 3–12. 73, 5–12). Für sich betrachtet bilden die Elemente einen Aufbau, auf dessen unterste Stufe die nächst höhere, und auf diese und andere wieder immer höhere Stufen sich stützen. Das Ganze stellt ein vielfach Zusammengesetztes dar; aber indem man auf immer einfachere Gebilde zurückgeht, gelangt man zuletzt zu den allereinfachsten Voraussetzungen. Vgl. Zeuthen 105: ,Ob man die Analyse benutzt, um die Lösung einer Aufgabe oder den Beweis für einen Lehrsatz zu finden, oder ob man die Synthese benutzt, um das Gefundene darzustellen, immer ist die Lösung aus Lösungen von einfacheren Aufgaben zusammengesetzt und der Beweis auf der Richtigkeit von einfacheren Sätzen aufgebaut. Es wird also vorausgesetzt, daß man im voraus im Besitze von solchen ist ... Die Werke, welche solche Sammlungen enthalten, heißen Elemente‘.
Als Ziel hat sich E. die Darstellung der fünf regulären Polyeder und den Beweis gesetzt, daß es nach platonischer Auffassung außer diesen fünf keine anderen regelmäßigen Körper gibt (Geminos bei Prokl. 68, 20–23 vgl. mit E. elem. XIII 18 g. E. Papp. synag. V cap. 37). Der Beweis wird durch das XI. und XII. Buch der Elemente vorbereitet und im XIII. Buche zu Ende geführt. Nun pflegt E., wie andere ältere Mathematiker, die früher erwiesenen Sätze an den Stellen, wo ein neuer Beweis sich auf sie stützt, unerwähnt zu lassen; nur XII 2 S. 144, 10–16 hat er ausnahmsweise einen Fundamentalsatz als πρῶτον θεώρημα τοῦ δεκάτου βιβλίου zitiert und dem vollen Wortlaute nach wiederholt. Allein bei dem streng geschlossenen Gange seiner Beweise kann man, wenn er stillschweigend auf Früheres sich bezieht, niemals in Zweifel sein, welches Buch der Elemente und welcher einzelne Satz oder welche Definition in die Kette der Einzelargumente einzugliedern ist. Zurück vom Schlusse des XIII. Buches lassen sich nicht nur die früheren Sätze dieses Buches, sondern auch die meisten Sätze der vorhergehenden Bücher als Beweismittel nachweisen. Am häufigsten sind im XI.–XIII. Buche Sätze oder Definitionen aus den Büchern I, VI, XI, nächstdem aus V, seltener aus III, IV, X und XII, einigemal auch aus II benutzt worden. Da nun jeder der zu einem Beweise heranzuziehenden Sätze wieder auf anderen früheren Sätzen beruht, so gewinnen wir als Gesamtergebnis eine fast ununterbrochene Reihe von Definitionen und Sätzen, die in den Elementen selbst zur Anwendung kommen. Also hat E. tatsächlich in den angeführten zehn Büchern die Darstellung der fünf platonischen Polyeder, wie Geminos bemerkt, als Endziel vor Augen gehabt.
Wie steht es nun mit den Büchern VII–IX, den sog. arithmetischen? In der Reihe I–VI, X–XIII nimmt Buch X eine besondere Stellung ein. Zunächst fällt sein außergewöhnlicher Umfang in die Augen. Es ist für sich allein größer [1014] als die Bücher I–IV zusammen, und größer auch als die Gruppe der vier Bücher V–VIII oder der drei Bücher XI–XIII. In der Tat besteht das X. Buch eigentlich aus drei Büchern, deren jedes an seiner Spitze eigene Definitionen trägt (u. § 25). Der Inhalt betrifft die inkommensurablen und irrationalen Größen. Unter den 115 hier vereinigten Sätzen werden im XII. Buche Satz 1, im XIII. die Sätze 6, 9, 73 und 97 benutzt. Von X 6 gelangen wir zurück zu VII def. 20, von X 9 zu VII def. 22 und zu VIII Satz 11; außerdem werden im ersten Lemma zu X 28 die Sätze 1, 24, 26 des IX. Buches benutzt. Wie also von den Büchern XII und XIII zurückzuschreiten war zu einigen Sätzen von X, so führt weiter von den inkommensurablen oder irrationalen Größen des X. Buches eine sichere, wenn auch schmale Brücke zu der in VII–IX behandelten Lehre von den rationalen Größen und den ganzen Zahlen, durch deren Verhältnisse sie ausgedrückt werden (Zeuthen 90), und daraus folgern wir weiter, daß E. die vier Bücher VII–X in seine Elemente eingereiht hat, weil er daraus einige wenige Sätze brauchte, um sein Endziel zu erreichen. Im ganzen aber hat er hier den Inhalt selbständiger und weniger abhängig vom Endziele als in den vorhergehenden sechs Büchern gestaltet. Dazu noch eine an § 5 anknüpfende Bemerkung. Verfolgen wir die Vermutung, daß Buch X eigentlich drei Bücher vertritt und zählen wir dann 15 Bücher der Elemente statt der überlieferten 13, so kommen auf die eigentlichen Elemente der Geometrie 9 Bücher und dazwischen je drei Bücher auf die Lehre von den rationalen Zahlen und den inkommensurablen Größen. Wie sich bald zeigen wird, bilden in der Reihe I–VI je zwei Bücher eine besondere Gruppe; im ganzen also werden uns die Elemente erscheinen als die Vereinigung von drei Gruppen zu 2 und von drei Gruppen zu 3 Büchern. Nun hat der unbekannte Mathematiker, der im 4. Jhdt. n. Chr. die Elemente ins Lateinische übertrug, die jetzigen Bücher XI–XIII als XIII–XV gezählt. Von hier aus zurück würden wir also statt des jetzigen Buches X drei Bücher als X–XII zu zählen haben, während von I–IX keine Abweichung in den Reihenzahlen stattfindet. Auch das vor kurzem aus XII 2 angeführte, von E. selbst niedergeschriebene Zitat ἐν τῷ πρώτῳ θεωρήματι τοῦ δέκατου βιβλίου bleibt bei der Zählung von 15 Büchern unangetastet. Es scheint demnach in der Tat die Erinnerung an eine ursprüngliche Einteilung der Elemente in 15 Bücher bis ins 4. Jhdt. sich erhalten zu haben. Dagegen haben die alexandrinischen Gelehrten seit Heron keine andere Zählung als die von 13 Büchern gekannt (Heron stereom. II 39. Papp. synag. V 314, 9. 414, 11. 420, 7. 440, 15).
Wie nun auch die Elemente ursprünglich eingeteilt gewesen sein mögen, jedenfalls fehlt in ihnen nichts, was zu den Beweisen über die fünf regulären Polyeder nötig war. Bei Behandlung der rationalen und irrationalen Größen hat E. mehr geboten, als er für diese Beweise brauchte; in den ersten sechs Büchern aber hat er im wesentlichen nur das für sein Endziel Nötige aufgenommen, hingegen andere, nahe verwandte Sätze bei seite gelassen. Wenn er außer den kongruenten Dreiecken [1015] auch die ähnlichen Dreiecke behandelte, so waren auch Sätze nicht bloß über gleiche, sondern auch über ähnliche Peripherien zu erwarten; aber er hat diese Ähnlichkeitssätze und die wichtigen daran zu knüpfenden Folgerungen von seinem Werke ausgeschlossen, weil sie abseits von der zum Endziele führenden Bahn lagen, und so ist für uns Eratosthenes der älteste Gewährsmann sowohl für die Definition der ähnlichen Abschnitte von Kreisperipherien als auch für den Satz, daß solche Abschnitte zu einander sich verhalten wie die Durchmesser ihrer Kreise (Hultsch Abh. Ges. d. Wiss. Göttingen N. F. I nr. 5, 17f.). Andere elementare, von E. nicht aufgenommene Sätze finden sich in der Sammlung des Pappos und hin und wieder auch in den Scholien zu den griechischen Mathematikern.
9. Die Definitionen, Postulate und Axiome des I. Buches der Elemente hat Geminos, wahrscheinlich nach dem Vorgange des Poseidonios, als γεωμετρικαὶ ἀρχαί (auch κοιναὶ ἀρχαί) zusammengefaßt und gegenüber diesen geometrischen Voraussetzungen den übrigen Inhalt des Buches τὰ μετὰ τὰς ἀρχάς oder τὰ ἀπὸ τῶν ἀρχῶν benannt. Gemin. bei Prokl. 178. 199f. und in den Schol. Eucl. op. V 74. 111, 22 Heib. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 1285.
Nach der hsl. Überlieferung sind von E. 23 Definitionen (ὅροι), 5 Forderungen (αἰτήματα) und 9 Gemeinbegriffe (κοιναὶ ἔννοιαι) aufgestellt worden. Geminos bestätigt diese Dreiteilung, nennt aber die Definitionen ὑποθέσεις und die Gemeinbegriffe ἀξιώματα (Prokl. 76, 4–6. 178, 1–8. Schol. Eucl. op. V 74, 15–28. 111, 22–112, 8 vgl. mit 110, 18–111–21). Hierin ist er dem Aristoteles und den Auslegungen der Peripatetiker gefolgt, wonach das, was dem Lernenden sowohl bekannt als glaubwürdig erscheint, als ἀξίωμα, das, was er nicht sofort begreifen kann, aber doch gern zugibt, als ὐπόθεσις, endlich das, was von dem Lernenden weder begriffen noch zugestanden, dennoch aber (von dem Lehrenden) angenommen wird, als αἴτημα gedeutet wurde. Gemin. bei Prokl. 76, 6–77, 2 in Anlehnung an Aristot. analyt. poster. I 76 b, 27–34. Als Beispiele für ein aristotelisches ἀξίωμα führt Proklos den Grundsatz auf, der bei E. elem. I 10, 2 Heib. als erster Gemeinbegriff verzeichnet ist, ferner für eine ὐπόθεσις die 15. euklidische Definition, für ein αἴτημα das 4. euklidische Postulat.
Den Ausdruck ἐξ ἴσου in der 4. und 7. Definition erklärt Tannery Rev. des études grecques 1897, 14ff.
Die letzte euklidische Definition betrifft die Parallellinien, deren Theorie ebenfalls schon vor E. bekannt gewesen ist, denn Aristoteles hat nachgewiesen, daß die Mathematiker, welche die Konstruktion von Parallelen (ähnlich wie sie später nach den Weisungen bei E. geübt worden ist) zu lehren versuchten, in einem fehlerhaften Kreise sich bewegen. Über den Winkel (Elem. I def. 8–12) hat zu E.s Zeiten ebenfalls eine frühere Schrift, die von Eudemos, dem Schüler des Aristoteles, verfaßt war, vorgelegen. Aristot. analyt. pr. II 64 b 38–65 a 9. Heath Abh. z. Gesch. der Mathem. IX (1899) 153ff. Prokl. 125, 6–12.
Nicht lange nach E. hat Apollonios von Perge, [1016] wahrscheinlich in der καθόλου πραγματεία (oben Bd. II S. 159, 12), über die geometrischen Voraussetzungen gehandelt. Seine Anhänger in Alexandreia, die eine etwa bis zum Ende des 2. Jhdts. tätige Schule bildeten, haben diese Erörterungen fortgesetzt und, indem sie eine universelle Definition des Winkels im Sinne des Apollonios aufzustellen versuchten, dem Geminos Anlaß zu Gegenbemerkungen gegeben (Anarit. 12, 31–13, 20. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899. 1284). Auf Apollonios folgten Heron, Poseidonios, Geminos u. a. als Erklärer und Ordner oder auch als Kritiker der euklidischen Definitionen, Postulate und Axiome und dieses Thema ist dann bis ins 7. Jhdt. n. Chr. von jüngeren Mathematikern und Kommentatoren fortgesponnen worden (s. Geometria). Die Zahl der Axiome (κοιναὶ ἔννοιαι) scheint E., wie die der Postulate, auf fünf beschränkt zu haben. Von den überlieferten neun Axiomen sind nr. 5 und 6, da sie nur besondere Fälle zu nr. 2 und 3 darstellen, entschieden unecht; aber auch nr. 4 und 9 hat man mit Recht beanstandet. Heiberg Eucl. op. I 10f. (auf S. 11 sind nur die fünf echten Axiome übersetzt, vgl. außerdem die adnot. crit.). V, LXXXIXf. Zeuthen 103ff. Vgl. Tannery Bull. des sciences math., 2e série, VIII 1, 162ff., der jedoch zu weit geht, wenn er alle bei E. überlieferten κοιναὶ ἔννοιαι für unecht erklärt.
In den Ausgaben von Grynaeus und Gregorius werden die Postulate 4 und 5 (Eucl. op. I 8, 13–19 Heib.) zu den Axiomen gerechnet und dort an zehnter und elfter Stelle beigefügt (bei Simson Elements of Euclid an 11. und 12. Stelle). Da nun Postulat 5 bei Heiberg in Verbindung mit def. 23 die Grundlage zur Theorie der Parallellinien enthält, so sind mehrere Mathematiker der Neuzeit bei der Entwicklung dieser Theorie von dem ,elften Axiom‘ des E. (Simson zu Elem. I 29 vom ,12th axiom‘) ausgegangen, an dessen Stelle gemäß der echten Überlieferung das fünfte Postulat zu zitieren war (Cantor 262f. hält dieses Postulat für einen späteren, vielleicht von Theon herrührenden Zusatz).
Eine lichtvolle Darstellung der geometrischen Voraussetzungen des I. Buches gibt, vom Standpunkte der modernen Wissenschaft aus, Zeuthen 94–114. Vgl. auch Loria II 19–23.
Im weiteren Sinne werden zu den ἀρχαὶ τῆς γεωμετρίας auch die Definitionen zu Elem. II–VII. X. XI gerechnet (die Definitionen zu VII und XI gelten zugleich für die je zwei folgenden Bücher). Gemin. bei Prokl. 75, 27–76, 4 und in den Schol. Eucl. op. V 74, 10–15.
10. Auf die geometrischen Voraussetzungen folgen im I. Buche 48 Sätze, teils Probleme, teils Theoreme. Hier hat sich E. das Ziel gesetzt, τὰς ἀρχὰς παραδοῦναι τῆς τῶν εὐθυγράμμων θεωρίας (Gemin. bei Prokl. 81, 23–82, 2 und in den Schol. Eucl. op. V 75, 12–14). Dies hat er in drei Teilen durchgeführt, deren erster und zweiter die Eigenschaften der Dreiecke und Parallelogramme behandelt, während der dritte die κοινωνία dieser beiden Figuren, d. i. die Gleichheit sowohl der Dreiecke als der Parallelogramme bei je gleicher Basis und Höhe, sowie die Verwandlung jeder geradlinigen Figur (die entweder selbst ein Dreieck oder aus Dreiecken zusammengesetzt [1017] ist) in ein ihr gleiches Parallelogramm darlegt und zuletzt das rechtwinklige Dreieck in Beziehung zu den über seinen Seiten errichteten Quadraten setzt (Gemin. bei Prokl. 83, 7–84, 7 und in den Schol. Eucl. op. V 75, 19–21). So gelangt er von den grundlegenden Sätzen über die Dreiecke und deren Winkel und Seiten zu den Beweisen über die Kongruenz der Dreiecke (Satz 1–26), geht dann von den Parallellinien (von denen er die sich schneidenden Geraden unterscheidet) aus, um das Parallelogramm zu konstruieren und die Bedingungen für die Gleichheit geradliniger Figuren zu erweisen (27–45), und schließt, nachdem er die Konstruktion des Quadrates gezeigt hat (46), mit dem sog. pythagoreischen Lehrsatze und dessen Umkehr (47. 48). Unter den vorbereitenden Sätzen sind hervorzuheben Prop. 32 über die Summe der Winkel im Dreiecke, 43 über die Gleichheit der παραπληρώματα von zwei Parallelogrammen, die in einem Punkte ihrer auf einer und derselben Geraden liegenden Diagonalen sich berühren, wonach in Prop. 44 gelehrt wird, an eine gegebene gerade Linie unter gegebenem Winkel ein einer gegebenen geradlinigen Figur gleiches Parallelogramm anzulegen (παραβάλλειν). Cantor 248f. Zeuthen 92f. Vorläufig ist noch hinzuweisen auf die neuerdings veröffentlichten Erklärungen und Zusätze Herons zu Prop. 1. 11. 19. 37. 46f. bei Al-Haddschadsch (o. § 6) 44ff. 72ff. 88ff. 154ff. und Anarit. 42ff. 54ff. 75ff. Vgl. Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 54ff.
Aus dem Papyrus von Kasr el Banat (o. § 4 g. E.) folgert Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 48ff., daß der 40. Satz erst später in die euklidischen Elemente eingedrungen ist, und zwar wahrscheinlich aus den Kommentaren Herons (ebd. 57).
Gleich bei dem ersten Satze wird eine Konstruktion aufgegeben, zu deren Ausführung Lineal und Zirkel erforderlich sind. Auch weiter im I. Buche und ebenso in den übrigen Büchern hat E. keine anderen als diese beiden Konstruktionsmittel zugelassen. Zeuthen 66f. Hultsch oben Bd. III S. 2567.
11. Dem II. Buche gehen zwei Definitionen voran, deren erste die Fläche eines rechtwinkligen Parallelogramms als Produkt von zwei den rechten Winkel umfassenden Seiten formuliert, während in der anderen Definition für die Summe eines gemäß I 43 konstruierten Parallelogramms und seiner beiden παραπληρώματα der Ausdruck γνώμων eingeführt wird.
Durch den pythagoreischen Lehrsatz (I 47) war die Gleichheit der Summe von zwei Quadraten mit einem Quadrate erwiesen worden. Nebenbei ergab sich im Laufe des Beweises, daß, wenn ein rechtwinkliges Dreieck durch die aus der Spitze des rechten Winkels zur Hypotenuse gezogene Normale geteilt wird, das Quadrat einer Kathete gleich dem Rechtecke aus der Hypotenuse und dem der Kathete anliegenden Abschnitte derselben ist (was später als erster Teil des Lemma zu X 32 besonders bewiesen und am Schluß des Korollariums zu VI 8 vgl. mit VI 17 auf die Formel der mittleren Proportionale zurückgeführt wird). Damit war zugleich die Aufgabe gelöst, zu einem gegebenen Quadrate aus einer gegebenen Geraden und einem Abschnitte derselben ein dem Quadrate [1018] gleiches Rechteck zu konstruieren. Ähnlich wird im II. Buche, nachdem eine Gerade verschiedentlich geteilt ist, die Herstellung eines Quadrates aus Quadraten und Rechtecken in den verschiedensten Kombinationen, teils als Summe, teils als Differenz gelehrt und zuletzt die Aufgabe gelöst, zu einer jeden gegebenen geradlinigen Figur ein ihr gleiches Quadrat zu konstruieren (Prop. 14, vgl. Cantor 249).
Prop. 11 lehrt die Teilung einer Geraden nach der Regel des goldenen Schnittes, die VI def. 3 als ἄκρον καὶ μέσον λόγον τετμῆσθαι definiert wird. Das Quadrat des größeren Abschnittes ist dann gleich dem Rechtecke aus der ganzen Geraden und dem kleineren Abschnitte, d. h. die ganze Gerade verhält sich zu dem größeren Abschnitte, wie der größere Abschnitt zum kleineren.
In den Propositionen 12 und 13 wird die Methode des pythagoreischen Lehrsatzes analog auf das stumpfwinklige und spitzwinklige Dreieck angewendet. Wie beim rechtwinkligen Dreiecke das Quadrat einer Seite entweder der Summe oder der Differenz der Quadrate der beiden anderen Seiten gleich ist, so läßt sich auch im nichtrechtwinkligen Dreiecke das Quadrat einer Seite bestimmen als die Summe oder Differenz der Quadrate der beiden anderen Seiten ± das Doppelte eines Rechteckes, das durch eine Seite und einen Abschnitt bestimmt ist, welchen das auf diese Seite selbst oder auf ihre Verlängerung gefällte Lot abteilt.
12. Die Sätze des II. Buches haben außer der geometrischen Gestaltung, in der sie bei E. erscheinen, auch eine arithmetische Bedeutung. Dem pythagoreischen Lehrsatze war die Aufgabe vorausgegangen, je drei ganze Zahlen von der Eigenschaft zu finden, daß die Summe der Quadrate der ersten und der zweiten Zahl gleich dem Quadrate der dritten sei (Arithmetica § 18). Danach hat Heron in seinem Kommentare zu II 1–5 und wahrscheinlich auch zu anderen Sätzen dieses Buches Gruppen ganzer Zahlen aufgestellt, durch welche die Sätze des E. auf arithmetischem Wege bewiesen werden, z. B. II 2 durch die Formel 3·10 + 7·10 = 102 (Anarit. 88–94. Al-Haddschadsch ed. Besthorn-Heiberg II 1, 27). Da jedoch die Sätze 1–10 auch für gebrochene und irrationale Zahlen gelten, so sind sie von den Neueren auf allgemeine algebraische Formeln gebracht worden. Cantor 249f. Zeuthen Kegelschnitte im Altertum 12f. Günther Iw. Müllers Handb. d. klass. Altertumswissensch. V I2, 244. Gow History of Greek Mathematics 72f. Loria II 27. Heiberg Eucl. op. I 119ff. zu elem. II 1–10.
Aus Prop. 11, welche die Teilung einer Geraden nach der Regel des goldenen Schnittes darstellte (§ 11), läßt sich nach algebraischer Methode die Lösung der Gleichung x2 + ax = a2 entwickeln. Cantor 249f.
Zu Prop. 14 gibt Zeuthen Kegelschnitte im Altertum 14f. die algebraische Umformung und knüpft daran die Lösung der Gleichungen x2 + ax = b2, x2 – ax = b2, ax – x2 = b2.
Prop. 10 ist, wie aus Proklos (in Plat. remp. II 27ff. Kroll) hervorgeht, schon vor Platon bekannt gewesen und von den Pythagoreern zur Bildung einer Doppelreihe von ganzen Zahlen [1019] benutzt worden. Die eine Reihe enthielt die Zahlen, deren verdoppelte Quadrate von den Quadraten der in der anderen Reihe aufgeführten Zahlen nur um je 1 sich unterschieden. Die Zahlen der ersten Reihe hießen πλευραί, Seiten, die der zweiten Reihe ῥηταὶ διάμετροι, d. i. die nächsten ganzzahligen Werte zu den Diagonalen (ἄρρητοι διάμετροι) des über jeder πλευρά errichteten Quadrates. Der Beweis war nach dem Satze, der später von E. als 10. Prop. des II. Buches der Elemente aufgenommen ist, zunächst geometrisch geführt und sodann arithmetisch umgestaltet worden. Aus Plat. de rep. VIII 546 C war bekannt, daß die Pythagoreer neben die ἄρρητος διάμετρος der Fünfzahl = = eine ῥητὴ διάμετρος = = 7 gestellt hatten (Arithmetica § 19 a. E. 24); jetzt lehrt der neu aufgefundene Text des Proklos (a. a. O. 24, 16–18. 27, 6–11. 28, 10–29, 4), daß die Zahlen 5 und 7 nicht vereinzelt dastehen, sondern Glieder der Doppelreihe
- 1 2 5 12 29 ... (πλευραί)
- 1 3 7 17 41 ... (ῥηταὶ διάμετροι)
sind, in welcher jede Seite gleich der vorhergehenden Seite + vorhergehende ῥητὴ διάμετρος, sowie jede ῥητὴ διάμετρος gleich der doppelten vorhergehenden Seite + vorhergehende ῥητὴ διάμετρος, z. B. 5 = 2 + 3, 7 = 2·2 + 3 ist. Es ergab sich dann (wie schon aus Theo Sm. 43ff. Hiller bekannt war) 2·22 + 1 = 32, 2·52 – 1 = 72, 2·122 + 1 = 172 usw., d. h. die Doppelquadrate der Zahlen der oberen Reihe unterschieden sich alternierend um ±1 von den Quadraten der Zahlen der unteren Reihe. Hultsch Biblioth. math. 1900, 8ff.; Excurs zu Prokl. in Plat. remp. II 393ff. Kroll. Cantor 407f. Dupuis Théon de Smyrne 340f. Über die Umgrenzung von durch diese Doppelreihe s. u. § 16.
13. Das Ziel des III. Buches ist nach einem Scholion, das wahrscheinlich aus der μαθημάτων θεωρία des Geminos stammt, περὶ τῶν πρὸς εὐθείας καὶ γωνίας κυκλικῶν συμπτωμάτων διαλαβεῖν (Schol. Eucl. op. V 259, 1 vgl. mit 75, 12. 221, 4. 280. 1). Der Kreis ist die einzige gekrümmte Linie, die in den Elementen berücksichtigt wird. Seine Definition, sowie die des Zentrums, Diameters und Halbkreises, war schon unter die allgemeinen Voraussetzungen aufgenommen (I def. 15–18); hier im III. Buche kommen dazu die Erklärungen der Gleichheit von Kreisen, der sich berührenden Kreise, des Kreissegmentes, des Sektors und verschiedener damit zusammenhängender Ausdrücke. Nach def. 7 heißt τμήματος γωνία der von einer Peripherie und einer Geraden umfaßte Winkel. Die Gerade liegt in diesem Falle innerhalb des Kreises (def. 6). Ist die Gerade der Diameter, so entsteht ἡ τοῦ ἠμικυκλίου γωνία (elem. III 16. Gemin. bei Prokl. 104, 18. 113, 17. 134, 13). Diesen Halbkreiswinkel, der nach Satz 16 größer ist als jeder geradlinige spitze Winkel, hat schon Aristoteles (mechan. 855 a 36) in Betracht gezogen und gefunden, daß er bei einem größeren Kreise größer als bei einem kleineren Kreise ist. Das Komplement des Halbkreiswinkels ist der Winkel zwischen Peripherie und Tangente, der kleiner als jeder geradlinige [1020] spitze Winkel ist (Satz 16) und bei Geminos als κερατοειδὴς γωνία erscheint. Prokl. 104, 18. 113, 17 u. ö. (daß bei Prokl. 103ff. der Bericht zu I def. 4 aus Geminos geschöpft ist, zeigt der Vergleich mit Schol. Eucl. op. V 80ff.; vielleicht ist die Benennung κερατοειδής auf Apollonios zurückzuführen). Cantor 250f. Von der τμήματος γωνία wird durch def. 8 die γωνία ἐν τμήματι unterschieden. Dieser Winkel wird von den Geraden umfaßt, die von einem Punkte der Peripherie eines Segments nach den Endpunkten der Basis desselben gezogen werden. Nach Heiberg Danske Vidensk. Selsk. Forh. Febr. 1888 ist auch dieser Winkel schon vor Aristoteles unter dem von E. überlieferten Namen bekannt gewesen.
Die Sätze des III. Buches gelten zunächst dem Zusammentreffen von Kreisen mit einander oder mit Geraden, sei es, daß es sich dabei um ein Berühren oder um ein Schneiden handelt; dann werden die verschiedenen Winkel im Kreise oder in Kreissegmenten behandelt und mehrere Aufgaben daran geknüpft. Im 22. Satze wird bewiesen, daß bei einem in den Kreis eingeschriebenen Viereck die Summe der einander gegenüberliegenden Winkel gleich zwei rechten ist. Der umgekehrte Satz, daß, wenn in einem Viereck die Summe der gegenüberliegenden Winkel = 2R ist, die Scheitelpunkte der Viereckswinkel ihren geometrischen Ort auf einer Kreisperipherie haben, wird häufig von späteren griechischen Mathematikern angewendet. Hervorzuheben sind noch die Sätze 35 und 36 über die Gleichheit von Rechtecken, welche aus den Abschnitten zweier im Kreise sich schneidenden Geraden, bezw. aus einer von außen nach dem Kreise gezogenen Geraden und deren äußerem Abschnitte einerseits und aus dem zugehörigen Tangentenabschnitte andererseits gebildet werden.
Mehrere von den Sätzen dieses Buches werden im IV. Buche, das pythagoreischen Ursprungs ist, angewendet; mithin ist nicht ausgeschlossen, daß auch am Grundbestande des euklidischen III. Buches die Pythagoreer mitgearbeitet haben. Da jedoch außerhalb dieser Schule Elementarsätze der Kreislehre seit Thales von den griechischen Geometern benutzt worden sind, so werden wir nicht irren, wenn wir die von E. im III. Buche vereinigten Sätze als ein Gemeingut geometrischen Wissens ansehen, welches, wenn nicht früher, doch schon im 5. Jhdt. v. Chr. vorlag.
Der zweite Beweis zum 10. Satze und wahrscheinlich auch die übrigen zweiten Beweise (Eucl. op. I 326ff.) sind erst nachträglich aus den Kommentaren Herons in den Text eingefügt worden. Dasselbe gilt von dem ganzen 12. Satze. Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 57.
14. Das erste Buch der Elemente begann mit der Aufgabe, ein gleichseitiges Dreieck zu konstruieren, und am Schlusse des zweiten Buches war die Aufgabe gelöst, zu jeder gegebenen geradlinigen Figur ein ihr gleiches Quadrat zu konstruieren. Wenn nun so die beiden ersten regulären Vielecke in dem Abschnitte über die geradlinigen Figuren, das eine am Anfang, das andere am Ende sich gegenüberstanden, so lag es nahe, aus der Vielheit der geradlinigen Figuren diejenigen regulären Figuren abzusondern, welche als Fünfeck, Sechseck usw. an das reguläre Drei- [1021] und Viereck sich anschließen. Alle diese Vielecke wurden als Figuren erkannt, die in einen Kreis eingeschrieben oder um ihn beschrieben waren, und zu jedem dieser Vielecke konnte leicht (da es sich nur um die Vervielfältigung je eines Dreieckes handelte) ein ihm gleiches Quadrat gebildet werden. Somit mußte frühzeitig die Frage sich aufdrängen, ob es nicht auch möglich sei, zu dem Kreise, dessen Peripherie mit Zunahme der Vieleckszahlen immer enger zwischen die Perimeter geradliniger Figuren eingeschlossen wurde, ein ihm gleiches Quadrat herzustellen. Die später von Archimedes (s. d. § 8ff.) gefundene Lösung ist ohne Zweifel durch das IV. Buch der Elemente und weiter zurück durch die Pythagoreer vorbereitet worden. Denn dieses ganze Buch ist nach glaubwürdiger Überlieferung (Schol. Eucl. op. V 273, 4. 13) ebenso pythagoreischen Ursprungs wie das erste und wahrscheinlich auch das zweite Buch.
Aus der pythagoreischen Lehre über die regulären ein- und umgeschriebenen Vielecke hat nun E. zunächst die Aufgaben ausgewählt, welche die Konstruktion der fünf regulären Polyeder (o. § 8) vorbereiten. Er setzt das Dreieck mit beliebigen Winkeln (wobei er das gleichseitige Dreieck als besonderen Fall stillschweigend einschließt), das Quadrat und das reguläre Fünfeck in Beziehung zum Kreise. Dann lehrt er die Einschreibung des regulären Sechseckes, um festzustellen, daß dessen Seite dem Radius des Kreises gleich ist (Prop. 15), und schließt mit dem eingeschriebenen Fünfzehneck, dessen Seite, nachdem Dreieck und Fünfeck eingeschrieben sind, durch eine Winkelhalbierung bestimmt wird (Prop. 16).
Bei dem Dreieck, Quadrat und regulären Fünfeck werden jedesmal vier Konstruktionen aufgegeben, zuerst die Einschreibung des Vieleckes in den Kreis, dann die Umschreibung um denselben, ferner die Einschreibung des Kreises in das Vieleck und zuletzt die Umschreibung um dasselbe (Prop. 2–9. 11–14). Beim Sechseck und Fünfzehneck wird nur die Einschreibung in den Kreis gelehrt; doch werden zu jedem von beiden Vielecken die drei anderen Fälle am Schluß der Beweise zu Prop. 15 und 16 berücksichtigt.
In einem Scholion werden diesem Buche 17 (statt 16) Sätze zugeschrieben; ein anderes Scholion weist darauf hin, daß das Buch keine Theoreme, sondern nur Probleme enthält (Schol. Eucl. op. V 273, 5. 14).
Von den sieben zu Anfang gegebenen Definitionen erklären die dritte bis sechste die Ausdrücke σχῆμα εὐθύγραμμον εἰς κύκλον ἐγγράφειν oder περὶ κύκλον περιγράφειν und κύκλον εἰς σχῆμα εὐθύγραμμον ἐγγράφειν oder περὶ σχῆμα εὐθύγραμμον περιγράφειν. Vorher (def. 1. 2) wird analog die Einschreibung einer geradlinigen in eine geradlinige Figur oder die Umschreibung einer solchen um eine andere definiert, obgleich von diesen Fällen im IV. Buche kein Gebrauch gemacht wird (Schol. Eucl. op. V 273, 18–23. 274, 1–14). Durch def. 7 wird der Ausdruck εὐθεῖαν εἰς κύκλον ἐναρμόζειν erklärt.
Wie die Pythagoreer durch Winkelhalbieruug vom regulären Dreieck und Fünfeck zum Fünfzehneck gelangt sind (o. zu Prop. 16), so haben sie gewiß durch dieselbe elementare Konstruktion [1022] aus dem Quadrat die regulären Vielecke von 8, 16, 32 ... Seiten und aus dem Sechseck die Vielecke von 12, 24, 48 ... Seiten entwickelt. Das eingeschriebene und das umgeschriebene 96eck ist später von Archimedes (s. d. § 8) zur Kreismessung verwendet worden.
15. Die Lehre von den Proportionen ist von Eudoxos erfunden (s. d. § 5) und dann von E. im V. Buche der Elemente in die bekannte mustergültige Form gebracht worden (o. § 7). Aus den Scholien zum Anfange dieses Buches heben wir zunächst hervor, was dort, wahrscheinlich aus Geminos, im allgemeinen bemerkt wird. Das Ziel des fünften Buches ist περὶ ἀναλογιῶν διαλαβεῖν. Es enthält nur Theoreme, und diese gelten nicht bloß für die Geometrie, sondern auch für die Arithmetik und Musik. In den vorhergehenden Büchern waren allenthalben Größen gesetzt, die durch gerade Linien und deren Zusammentreffen mit einander oder mit einer Kreisperipherie bestimmt sind; hier aber ist allgemein von Größen und deren Beziehungen zu einander die Rede. Die mit einander verglichenen Größen heißen ὅροι. Zuerst kommt ihr διάστημα in Betracht, d. i. der Abstand der einen Größe von der andern, wie er von den Pythagoreern zuerst bei der Zahlenreihe beobachtet und weiter zur Ausbildung der Lehre von den Proportionen verwendet worden war (Schol. Eucl. op. V 280, 14. Arithmetica Bd. II S. 1098f. vgl. mit Archimedes ebd. S. 514f.). Dann folgt die Vergleichung der einen Größe mit der andern, wobei man ein Sichverhalten (σχέσις) bemerkt, welches die alten Geometer λόγος nannten. Die Zusammenstellung eines λόγος mit einem anderen ihm gleichen hieß ἀναλογία (Schol. 280, 15–281, 4, vgl. Arithmetica Bd. II S. 1094, 50ff.).
Das Nähere findet sich bei E. in den Definitionen zum fünften Buche. Vorausgesetzt wird eine Größe, μέγεθος, die in einander gleiche Größen zerlegt werden kann; diese letzteren sind die Teile, μέρη, der ersten Größe, welche ihrerseits ein Vielfaches ihrer Teile ist. Die ganze Größe wird von ihren Teilen gemessen, καταμετρεῖται, und umgekehrt mißt der Teil das Ganze, καταμετρεῖ (def. 1. 2). Gleichartige Größen, ὁμογενῆ μεγέθη (§ 16), können mit einander ihrer Quantität nach verglichen werden; so wird ein Verhältnis, λόγος, der einen Größe zur anderen beobachtet (def. 3). Jedes Verhältnis muß die Probe bestehen, daß nicht nur ein gewisses Vielfaches der kleineren von beiden Größen größer wird als die andere Größe, sondern auch neben ein Vielfaches der einen Größe ein Vielfaches der anderen Größe, das größer oder kleiner sei als die erstere Größe, gestellt werden kann (def. 4). Wenn nun das Verhältnis einer ersten Größe A zu einer zweiten B verglichen wird mit dem Verhältnis einer dritten Größe Γ zu einer vierten Δ und es sich herausstellt, daß bei der Multiplikation von A und Γ mit einer Zahl μ und von B und Δ mit einer Zahl ν immer μΑ größer oder kleiner als νB oder gleich vB, und ebenso μΓ ⪌ vΔ ist, so ist das Verhältnis von A zu B identisch mit dem Verhältnis von Γ zu Δ, d. h. A zu B und Γ zu Δ verhalten sich ἀνάλογον, proportional (def. 5. 6. Hankel Zur Gesch. der Math. 390. Cantor 263. Zeuthen 115). So ist die Formel Α : Β = Γ : Δ [1023] erklärt und daran schließt sich die Formel A : B > Γ : Δ (def. 7, die Umkehrung Γ : Δ < A : B wird als selbstverständlich nicht ausgesprochen). Statt vier Größen reichen auch drei aus, um eine Proportion nach der Formel A : B = B : Γ zu bilden (def. 8); dann ist A : Γ = Α2 : B2 (Formel des διπλασίων λόγος def. 9, vgl. VI 19 coroll.). Ähnlich wird, wenn A : B = B : Γ = Γ: Δ ist, A : Δ = A3 : B3 (Formel des τριπλασίων λόγος def. 10, vgl. XI 33). Die in def. 10 hinzugefügten Worte καί ἀεὶ ἑξῆς ὁμοίως, ὡς ἂν ἡ ἀναλογία ὑπάρχῃ, deuten an, daß, wie eine stetige Proportion von drei, bezw. vier Größen zum διπλασίων, bezw. τριπλασίων λόγος führt, so allgemein eine stetige Proportion von φ + 1 Größen zum φ-πλασίων λόγος führen wird, z. B. die stetige Proportion von sechs Größen zum πενταπλασίων λόγος. Der διπλασίων λόγος kann geometrisch durch Flächen, der τριπλασίων durch Körper dargestellt werden (vgl. Geometria); die λόγοι höherer Ordnung überschreiten das Gebiet der drei Dimensionen, entziehen sich aber nicht der Darstellung durch Zahlen.
Nachdem ferner durch def. 11 festgestellt ist, daß in der Proportion A : B = Γ : Δ die vorangehenden Glieder A, Γ einerseits, und die nachfolgenden B, Δ andererseits als ὁμόλογα μεγέθη sich entsprechen, folgen die Erklärungen des ἐναλλὰξ und ἀνάπαλιν λόγος, der σύνθεσις, διαίρεσις und ἀναστροφὴ λόγου (def. 12–16, vgl. Arithmetica Bd. II S. 1103). Wenn drei oder mehrere Größen der Reihe nach sich so zu einander verhalten wie ebenso viele andere Größen, so gilt nach der Formel δι' ἴσου die Gleichheit der Verhältnisse auch für die äußersten Glieder (λῆψις τῶν ἄκρων καθ' ὑπεξαίρεσιν τῶν μέσων), so daß, wenn a : b : c = α : β : γ, auch a : c = α : γ ist (def. 17 und dazu Heiberg). Endlich wird durch def. 18 die τεταραγμένη ἀναλογία erklärt, wobei sechs gegebene Größen a, b, c, α, β, γ die Proportionen = und = bilden (vgl. V 23).
16. Unter ὁμογενῆ μεγέθη (V def. 3) hat Eudoxos und mit ihm E. Größen verstanden, die nach gleichen geometrischen Voraussetzungen gebildet sind. Mithin gelten als gleichartig und fähig zu einander in ein Verhältnis zu treten gerade Linien VI 1–7. 10. 11 u. ö. (vgl. I def. 4), geradlinige Winkel VI 33 (vgl. I def. 8f.), ähnliche geradlinige Figuren VI 1. 19, 20 u. ö. (VI def. 1; einander unähnliche Figuren können nach I 45. II 14 in einander ähnliche verwandelt werden), Kreisperipherien VI 33 (I def. 15. 17), Kreisflächen XII 2 (I def. 15), ähnliche Parallelepipede XI 32. 33 (XI def. 8f.), ähnliche Polyeder XII 3–6 u. ö. (XI def. 12f.), Zylinder XII 11–15 (XI def. 21), Kegel XII 11. 12. 14. 15 (XI def. 18), Kegel zu Zylindern XII 10, Kugeln XII 18 (XI def. 14), ganze Zahlen VII def. 21. 22, prop. 11–14 u. ö. Dagegen sind ungleichartig und können in kein Verhältnis zu einander treten Gerade und Flächen, Gerade und Winkel, Flächen und Körper usw.
Gleichartige Größen sind zu einander teils kommensurabel, μεγέθη σύμμετρα, teils inkommensurabel, ἀσύμμετρα (X def. 1, vgl. u. § 23). Inkommensurabel [1024] sind z. B. die Diagonale eines Quadrates zur Seite desselben = : 1, die halbierende Normale im gleichseitigen Dreieck zur Hälfte der Basis = : 1. Indes haben schon die Pythagoreer eine Doppelreihe ganzer Zahlen gefunden (§ 12 g. E), deren korrespondierende Glieder die Eigenschaft haben, daß sie, als Verhältnisse gesetzt, alternierend den Wert in immer engere Grenzen einschließen, denn es ist 3/2 > 17/12 > 99/70 > ... > > ... > 239/169 > 41/29 > 7/5. Ähnlich hat, bald nach E., Archimedes durch eine Methode bestimmt, nach welcher, wenn sie weiter fortgeführt wird, diese irrationale Zahl mit einer unendlich kleinen Abweichung zwischen ganzzahlige Verhältnisse eingeschlossen werden kann (Hultsch Nachr. Ges. d. Wissenschaften Göttingen 1893, 399ff.; Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 46f.). Indem dann Archimedes an die Begrenzungen für das transzendente Verhältnis der Kreisperipherie zum Diameter anknüpfte, zeigte er den Weg, wie die Peripherie als Strecke, die Kreisfläche als rechtwinkliges Dreieck, dessen eine Kathete gleich dem Radius, die andere gleich der gestreckten Peripherie ist, die Kugeloberfläche als ebene Kreisfläche gedacht werden kann (dimens. circ. 1; de sphaer. et cyl. I 33). Somit kamen zu den von E. behandelten homogenen Größen noch die Kreisperipherie, die Kreisfläche und die Kugeloberfläche, verglichen der Reihe nach mit dem Diameter, mit einer geradlinigen Figur, mit einem Kreise; denn bei allen war paarweise eine κατὰ πηλικότητά ποιὰ σχέσις (E. elem. V def. 3) zu beobachten, mochte nun das Verhältnis, wie bei der Kugeloberfläche zur Kreisfläche, als kommensurabel oder, wie bei den ersten beiden Paaren, als zwar inkommensurabel, jedoch bis zu unendlich kleinen Differenzen durch umschließende ganzzahlige Verhältnisse bestimmbar erkannt werden. Außerdem wurden durch Archimedes als homogene und kommensurable Größen nachgewiesen Kugel und Kegel (de sphaer. et cyl. I 34), mithin auch Kugel und Zylinder (ebd. coroll.), Oberflächen der Kugel und des Zylinders (ebd.) usw.
Als homogene Größen sind auch die Zahlen anzusehen. Die Verhältnisse der ganzen Zahlen sind von E. im VII. Buche nach der pythagoreischen Lehre behandelt worden (u. § 21).
17. Eine Rechnung mit gebrochenen Zahlen (Arithmetica § 11f.) kommt weder hier im V. Buche, das die Grundzüge der eudoxischen Proportionslehre wiedergibt, noch in den pythagoreisch-arithmetischen Büchern VII–IX vor; dafür treten die Verhältnisse, λόγοι, ein (§ 15). Dem Zähler des Bruches entspricht das führende Glied, τὸ ἡγούμενον, dem Nenner das nachfolgende Glied, τὸ ἑπόμενον. Führende Glieder können, um ein neues Verhältnis zu bilden, zu einander addiert oder von einander subtrahiert werden, wenn die ἡγούμενα ein und dasselbe ἑπόμενον hinter sich haben. Wenn zwei Verhältnisse verschiedene ἑπόμενα aufweisen, so sind sie nach Maßgabe von V 15 zu Verhältnissen mit gleichen ἑπόμενα einzurichten, um addiert oder subtrahiert zu werden. Entsprechend der Multiplikation von Brüchen tritt die Bildung [1025] eines neuen Verhältnisses ein, indem sowohl die ἡγούμενα als die ἑπόμενα mit einander multipliziert werden. Das ist die Formel des συγκείμενος oder συνημμένος λόγος (VI def. 5. Arithmetica § 32 g. E.). Statt der Division von Brüchen kommt in Betracht das Verhältnis eines λόγος a : b zu einem λόγος c : d, welches sich als gleich dem συνημμένος λόγος ad : bc ergibt.
Für die Form der stetigen Proportion hat E. keine besondere Benennung. Er deutet sie in def. 8 als ἀναλογία ἐν τρισὶν ὅροις ἐλαχίστη und berücksichtigt in def. 9f. die Fälle a : b = b : c und a : b = b : c = c : d. Die letztere Proportion bezeichnet Archim. de plan. aequil. II 216, 24 als συνεχὴς ἀναλογία (vgl. Arithmetica § 26), und so werden de sphaer. et cyl. II 222, 20 zwischen zwei gegebenen Geraden δύο μέσαι κατὰ τὸ συνεχὲς ἀνάλογον gebildet.
18. Bei den 25 Theoremen des V. Buches kommt die schon erwähnte κατὰ πηλικότητά ποια σχέσις homogener Größen oder, wie Cantor 251 bemerkt, ,die Ungleichheit in Betracht, insofern sie gemessen werden kann, und zwar ist die Messung eine zweifache, eine geometrische und eine arithmetische‘. Je zwei homogene Größen bilden ein Verhältnis, zu welchem ein oder mehrere andere Verhältnisse als gleich oder größer oder kleiner gesetzt werden. Für diese Größen dienen gerade Linien als Symbole; ,sie sind neben einander gezeichnet, ohne Figuren zu bilden, damit man einsehe, wie es sich hier um Allgemeineres handle als um die Vergleichung geometrischer Gebilde‘. Für jede dieser Geraden kann eine Zahl, sei es eine ganze oder eine zwischen ganzzahlige Verhältnisse bis zu einer unendlich kleinen Differenz einzuschließende, gesetzt werden (§ 16). Eine gebrochene Zahl gilt als ein Verhältnis ganzer Zahlen (§ 17). Überhaupt werden die Sätze dieses Buches unserem Verständnis am besten genähert, wenn wir allenthalben die Formeln für Brüche anwenden, z. B. Prop. 18 und 17: wenn = , so ist auch =
Einen Überblick über die Sätze dieses Buches gibt, vom Standpunkte der neueren Mathematik, Zeuthen 116ff. Die Sätze 20–23 enthalten, wie er ansführt, die wichtige Lehre von den zusammengesetzten Verhältnissen (vgl. VI def. 5); insbesondere sind in Satz 22 und 23 vgl. mit VI 12. 23 die vollständigen Beweise für die Behauptungen enthalten, die man jetzt folgendermaßen ausdrücken würde: ein Produkt ist bestimmt durch seine Faktoren, und die Reihenfolge der Faktoren ist gleichgültig.
19. Die allgemeine Proportionslehre erhält im VI. Buche eine Ergänzung durch geometrische Konstruktionen. Hauptsächlich handelt es sich hier um ähnliche Figuren (def. 1). Vorbereitend erklärt dann E. die Höhe, ὕψος, einer Figur (def. 4), die Teilung einer Geraden nach der Regel des goldenen Schnittes (def. 3, vgl. oben § 11 zu II 11), wie auch die Ausdrücke ἀντιπεπονθότα σχήματα (def. 2) und λόγος ἐκ λόγων συγκείμενος (def. 5). Statt der überlieferten, auch bei Heron def. 118, 1 sich vorfindenden Fassung von def. 2 hat vermutlich E. selbst einen anderen, mit der Anwendung in Satz 14 und 15 übereinstimmenden Wortlaut gewählt. Die fünfte Definition [1026] wurde von Simson Elements of Euclid 286ff. für einen unpassenden Zusatz Theons gehalten; allein sie hat schon in der παλαιὰ ἔκδοσις (o. § 3) gestanden. Heiberg Eucl. op. II 73, 2 hält sie deshalb für eine aus der Zeit vor Theon herrührende Interpolation. Da jedoch Satz 23 notwendig durch eine Erklärung vorbereitet werden mußte und die überlieferte Fassung von def. 5 mit der Formulierung von Satz 23 nicht im Widerspruch steht, ist die Echtheit der Definition wohl nicht zu bezweifeln.
Das Wichtigste aus dem Inhalt dieses Buches hebt Zeuthen 122ff. hervor. Die allgemeinen, dem V. Buche vorausgeschickten Erklärungen über die Gleichheit von Verhältnissen finden gleich in Satz 1 (Dreiecke und Parallelogramme von gleicher Höhe verhalten sich wie die Basen) eine zweckmäßige und sowohl für kommensurable als inkommensurable Größen gültige Verwendung. Nachdem in Satz 2 und 3 die Proportionalität der Seiten des Dreiecks und der durch eine Parallele oder eine winkelhalbierende Gerade gebildeten Abschnitte erwiesen worden ist, folgen die Hauptsätze über ähnliche Dreiecke (4–8). In einem Zusatze zu 8 wird festgestellt, daß die von dem Schnittpunkte der Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks zur Hypotenuse gezogene Normale die mittlere Proportionale zu den Abschnitten der Hypotenuse ist. Damit hängt zusammen der allgemeine Beweis in Satz 17, daß, wenn drei Gerade (oder Zahlen) eine stetige Proportion bilden, das Quadrat der mittleren Proportionale gleich dem Produkt der äußeren Glieder ist, ein Beweis, der schon II 14 ohne Hinzuziehung einer Proportion am rechtwinkligen Dreieck erbracht worden war und in anderer Form in einem Lemma zu X 32 mit Berufung auf VI 8 coroll. nochmals wiederkehrt. In Vorbereitung zu 17 zeigt Satz 16, daß bei einer viergliedrigen Proportion das Produkt der äußeren Glieder gleich dem Produkte der inneren Glieder ist (vgl. Arithmetica Bd. II S. 1096 a. E. –1097, 7).
Die Sätze 9–13 behandeln die proportionale Teilung einer Geraden und die Bestimmung von x in den Gleichungen a : b = b : x, a : b = c : x, a : x = x : b (wobei a, b, c, x, wie schon bemerkt, als Gerade dargestellt werden). Weiter lassen sich die Sätze 14–24 zusammenfassen unter dem Gesichtspunkte der Verhältnisse von Flächen geradliniger Figuren (über 23 vgl. Cantor 251f. Zeuthen 119. Arithmetica § 32 a. E.).
Es folgen 25 und 26 als vorbereitende Sätze zu 27–29. Satz 27 enthält nach Cantor 252 das erste in der Geschichte der Mathematik nachweisbare Maximum, welches, als Funktion geschrieben, besagen würde: x (α – x) erhalte seinen größten Wert durch x = . Dies ist zugleich der Diorismus für die aus 28 zu entnehmende Gleichung x (α – x) = b2, denn b2 darf nicht größer sein als . Dazu kommt in 29 die Gleichung x (α + x) = b2. Nach der von E. eingehaltenen geometrischen Darstellung betreffen die Sätze 28 und 29 die mit Hülfe der Proportionslehre verallgemeinerten Flächenanlegungen, die sich zu der Aufgabe vereinigen lassen: an eine gegebene Strecke (α) eine gegebene Fläche (B) [1027] als ein solches Rechteck (mit der Höhe x) anzulegen, daß das fehlende (28) oder überschießende (29) Rechteck einem gegebenen Rechteck (mit den Seiten c und d) ähnlich wird. Außer dieser Formulierung des Problems durch Zeuthen 124f. und der von demselben beigefügten Auflösung vgl. die Entwicklung bei Loria 35.
Die Aufgabe, eine Gerade nach dem äußeren und mittleren Verhältnisse (def. 3) zu teilen, war im 11. Satze des II. Buches durch die Konstruktion von Quadraten und Rechtecken gelöst worden. Jetzt folgt als Satz 30, gestützt auf 29, die Formulierung der Aufgabe und ihre Lösung nach der Lehre von den Proportionen (vgl. Zeuthen 125 und o. § 11).
In Satz 31 wird bewiesen, daß, wenn an die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks ähnliche (und ähnlich liegende geradlinige) Figuren (vgl. VI 18. 22) angelegt werden, die Figur auf der Hypotenuse gleich der Summe der Figuren auf den Katheten ist. Darin liegt, wie Prokl. 426, 11–427, 10 zeigt, eine Verallgemeinerung des pythagoreischen Lehrsatzes (I 47). Von den Quadraten kann man weiter gehen zu ähnlichen Rechtecken und Parallelogrammen, zu ähnlichen Dreiecken usw. Für Proklos gilt ὁ στοιχειωτής (ὁ. § 2), wie auch anderwärts, als der Autor dieses Beweises; doch ist es wahrscheinlich, daß auch diese Erweiterung schon zu der eudoxischen Lehre von den Proportionen gehört hat [bei Prokl. 427, 9 ist βιβλίῳ statt θεωρήματι zu lesen].
Zuletzt sind zwei Sätze beigefügt, die erst weit später zur Anwendung kommen. Bei der Beweisführung zu XIII 17 (S. 320, 1–5) wird VI 32 fast wörtlich zitiert: wenn ein Dreieck, das zwei Seiten proportional mit zwei Seiten eines andern Dreiecks hat, an dieses so angelegt wird, daß ein Winkel des einen Dreiecks einen Winkel des anderen an der Spitze berührt und je eine proportionale Seite der entsprechenden im andern Dreieck parallel ist, so wird die dritte Seite des einen mit der dritten Seite des andern Dreiecks auf einer Geraden liegen. Satz 33, wonach in gleichen Kreisen die Winkel, mögen es Zentri- oder Peripheriewinkel sein, sich so verhalten wie die Peripherien, auf denen sie stehen, kommt XIII 8–10 zur Anwendung.
20. Den kommensurabeln Zahlengrößen sind die Bücher VII–IX gewidmet. Sie gehören eng zusammen, was man schon daraus ersieht, daß nur dem VII. Buche Definitionen vorausgeschickt sind, die zugleich für die beiden folgenden Bücher gelten. Die Grundlage aller Zahlen ist die Einheit, jede andere (ganze) Zahl ist eine Summe von Einheiten. VII def. 1f. Eudoxos bei Iambl. in Nicom. arithm. 10, 17 Pistelli. Schol. zu def. 1, Eucl. op. V 362. Das hatte schon Thales gelehrt (Hultsch Abh. Ges. d. Wiss. Leipzig XVII 1, 17 Anm. 3), und die Pythagoreer sind ihm hierin gefolgt (zu folgern aus dem Zusatz ὁ Πυθαγόρειος zu Εὔδοξος bei Iambl. a. a. O.). Das Verhältnis zweier ganzen Zahlen zu einander ist entweder eine ganze oder eine gebrochene Zahl. Im ersteren Falle ist die kleinere ein μέρος der größeren, z. B. 3 von 9 der dritte Teil oder, wie der Scholiast zur vierten Definition sagt (Eucl. op. V 363) 3 mißt die Zahl 9 ohne Rest (καταμετρεῖ ἀπαρτιζόντως). Wenn aber die Division nicht aufgeht [1028] (εἰ μὴ καταμετρῇ ἀπαρτιζόντως), so ist die kleinere Zahl nicht ein μέρος, sondern mehrere μέρη der größeren Zahl, z. B. 7 = 7 zehnte Teile von 10 (Schol. Eucl. op. V 440, 20f.). Die Unterscheidung der Zahlen in gerade und ungerade (def. 6f.) und was weiter daran geknüpft wird, beruht ganz auf pythagoreischer Lehre (Nicom. arithm. I 7, 3. Schol. Eucl. op. V 364f.).
Bei der Multiplikation gerader und ungerader Zahlen sind drei Fälle ,gleich mal gleich‘, ,gleich mal ungleich‘ und ,ungleich mal ungleich‘ zu unterscheiden (def. 8. 9. 11). Einen vierten Fall gibt es nicht; denn da die Reihenfolge der Faktoren eines Produktes (wie aus def. 16–18 hervorgeht), beliebig ist, so macht es keinen Unterschied, ob man gleich mal ungleich oder umgekehrt sagt, d. h. ein ἀρτιάκις περισσὸς ἀριθμός (def. 9) ist zugleich ein περισσάκις ἄρτιος (def. 10), oder, geometrisch gedacht, ein Oblongum kann ebensowohl auf einer längeren Seite liegend, ▭, oder auf einer kürzeren Seite stehend, ▯, dargestellt werden. E. bedurfte daher der in unseren Texten überlieferten 10. Definition nicht, und sie ist von Heiberg Stud. 198f. mit Recht für unecht erklärt worden. Wie es scheint, ist ihre Fassung auf pythagoreische Lehre zurückzuführen, und von da mag sie schon bald nach E. in dessen Elemente eingedrungen sein. Später hat E. in den Sätzen 32–34 des IX. Buches nach dem Vorgange der Pythagoreer unter den geraden Zahlen die Potenzen der 2, die nur geradzahlige Teiler haben, und diejenigen, welche sowohl in gerade, als in gerade und ungerade Teiler zerlegt werden können (z. B. 48 = 4·12 oder 3·16), unterschieden. Die Ausstellungen, welche Iambl. in Nicom. 20, 7–22, 7. 23, 18–26, 17. 30, 27–31, 21 gegen E. und seine Schule erhebt, beruhen auf der falschen Voraussetzung, daß die unechte 10. Definition einen wesentlichen Unterschied von Definition 9 darstelle, und sind deshalb entschieden zurückzuweisen, Heiberg Stud. 196ff.
Nach Definition 12 sind Primzahlen solche, die nur durch 1 teilbar sind, nach Definition 13 sind zu einander prim solche Zahlen, die nur die 1 als gemeinschaftlichen Teiler haben. Über die Feststellung der Flächen- und Körperzahlen durch Definition 17 und 18 vgl. o. Arithmetica Bd. II S. 1090, 19. über die Proportionalität von Zahlen (def. 21) Zeuthen 128, über die vollkommenen Zahlen (def. 23) u. § 22 a. E.
21. Im VII. Buche begegnen uns solche Sätze über ganzzahlige Proportionen, wie sie im V. Buche für beliebige homogene Größen (o. § 16) bewiesen worden sind. Wie Zeuthen 127ff. bemerkt, war die allgemeine Proportionslehre des V. Buches, wie E. sie nach dem Vorgange des Eudoxos zusammengestellt hatte (o. § 15), für jene Zeiten etwas Neues und deshalb noch nicht genügend entwickelt, um auf allen Gebieten, die sie in Wirklichkeit umfaßte, zu Grunde gelegt zu werden. So ist es gekommen, daß uns außerdem die Proportionslehre des VII. Buches als eine Probe der älteren Behandlungsweise überliefert wurde, die nur auf kommensurable Zahlengrößen sich erstreckte, die Verhältnisse inkommensurabler Größen aber ausschloß. Zu der allgemeinen Lehre des V. Buches kamen im VII. Buche besonders [1029] hinzu die Regeln über die Teilbarkeit der Zahlen und die Reduktion von Verhältnissen auf die möglichst kleinen Zahlen. Daher wird durch Definition 21 eine Erklärung der Proportionalität von ganzen und gebrochenen Zahlen gegeben, die zwar in der Hauptsache mit V def. 5 übereinstimmt, aber doch durch die Art, wie sie gebraucht wird, die Hinzunahme einer nicht unwichtigen Voraussetzung anzeigt.
Im ganzen hat E. zwar den Grund für die Zahlenlehre nicht so tief gelegt wie für die Geometrie und die Proportionslehre, aber doch durch die Sorgfalt, mit der er die lange Reihe von theoretischen Sätzen darstellt und begründet, genugsam gezeigt, daß auch für die Arithmetik eine exakte Behandlung erforderlich ist, Zeuthen 129.
Über Buch VII–IX handeln auch Cantor 252ff. Gow Hist. of Greek Mathematics 74ff. Loria II 35ff.
22. Die Bücher VIII und IX sind den stetigen Proportionen (o. Arithmetica § 26) gewidmet. Das ist die antike Form für geometrische Reihen, deren Glieder ganze Zahlen sind. Die Verhältnisse zwischen Gliedern einer solchen Reihe mit verschiedener Stellenzahl sind die antike Form für die verschiedenen Potenzen von ganzen Zahlen und Brüchen. Einzelne Sätze über Wurzeln entstehen durch Einschaltung von mittleren Proportionalen, Zeuthen 129. Daß die Wurzelzahlen, auch wenn sie irrational sind, doch als homogen zu rationalen Zahlen gelten, ist o. § 16 gezeigt worden. Zu Anfang des IX. Buches zeigen Proposition 1–6 die Voraussetzungen, unter denen das Produkt von zwei Zahlen ein Quadrat oder einen Kubus ergibt. Unter den übrigen Sätzen sind hervorzuheben Proposition 20, aus welcher hervorgeht, daß die Reihe der Primzahlen unendlich, mithin auch ihre Summe unendlich groß ist (Schol. zu Prop. 20. Eucl. op. V 407, vgl. Zeuthen 130), ferner Proposition 35, welche die Summierung geometrischer Reihen zeigt, endlich Proposition 36 mit dem Nachweise, unter welchen Voraussetzungen eine vollkommene Zahl entsteht, deren Summe der Teiler, einschließlich der 1, dieser Zahl selbst gleich ist. Beispiele , . So oft die Summe eine Primzahl ergibt, stellt das Produkt dieser Summe mit dem letzten Gliede der Reihe eine vollkommene Zahl dar (Formel , vorausgesetzt, daß eine Primzahl ist). Da E., wie auch bei anderen Sätzen der Zahlenlehre, keine Erläuterungen beigefügt hat, so ist auf Nikomachos I 16, 2–7 zu verweisen, der die ersten vier vollkommenen Zahlen (6, 28, 496, 8128) berechnet und zugleich ausgesprochen hat, daß die Reihe dieser Zahlen, so selten sie auch sind, bis ins Unendliche fortschreitet. Vgl. Iambl. in Nicom. 33, 15–25. Schol. Eucl. op. V 412f. Hultsch Nachr. Ges. d. Wiss. Göttingen 1895, 246ff. Die 5. bis 8. Zahl sind ebd. 248f. entwickelt. Während die vierte Zahl mehr als 8 Tausende beträgt, ist die fünfte größer als 33 Millionen, die achte größer als 2 Trillionen. Darüber hinaus ist noch die neunte Zahl ausgerechnet worden, die mehr als 2 Sextillionen beträgt, Hultsch Abh. Ges. d. Wiss. Göttingen 1897 nr. 5, 47f. Loria II 39. [1030] 23. ,Im X. Buche hat sich E. das Ziel gesetzt, sowohl die kommensurabeln und inkommensurabeln als die rationalen und irrationalen Größen zu behandeln‘. So beginnt das erste Scholion zu diesem Buche (Eucl. op. V 414), das wahrscheinlich ebenso wie die oben § 13 zu Anfang erwähnten Scholien aus der μαθημάτων θεωρία des Geminos stammt. Durch die ersten Definitionen (denen zweite und dritte später nachfolgen) werden von den kommensurabeln und inkommensurabeln Größen die rationalen (ῥηταί, scil. γραμμαί) und die irrationalen (ἄλογοι) unterschieden. Als Einheit kann eine beliebige Größe, die als rational gilt, gesetzt werden. Kommensurabel zu dieser sind andere Größen entweder unmittelbar oder auch so, daß die Quadrate der Einheit und der anderen Größe zu einander kommensurabel sind. Beispiel: 2 ist kommensurabel nicht nur zu 1, 3 usw., sondern auch zu wie das Quadrat vom kommensurabel zu ist. Irrational heißen sowohl Gerade, die weder unmittelbar noch durch Vermittlung der Quadrate zu der gesetzten Einheit kommensurabel sind, als auch Quadrate oder andere Planfiguren, die zum Quadrate der als Einheit gesetzten Größe inkommensurabel sind. Dann sind auch die Seiten der Quadrate inkommensurabel zu der gegebenen Einheit. Planfiguren, die mehr Seiten als das Quadrat haben, sind in Quadrate zu verwandeln. Ergeben sich auch diese als inkommensurabel zum Quadrate der Einheit, so werden auch die Seiten dieser Quadrate inkommensurabel zur Einheit sein. Definition 1–4. Schol. Eucl. op. V 414. 423ff. Zeuthen 130f. Cantor 255. Loria II 41f.
24. In dem vor kurzem erwähnten Scholion zum Anfang des X. Buches findet sich ein längerer Bericht über die Lehren der Pythagoreer von den inkommensurabeln und irrationalen Größen (Eucl. op. V 415ff.). Danach sind die Pythagoreer nur mit einer gewissen Scheu diesen schwierigen Untersuchungen näher getreten; das Irrationale erschien ihnen als etwas Rätselhaftes und Unfaßbares (417, 14–20). Nicht alle Größen können zu einer gegebenen Größe kommensurabel sein, wohl aber kann jede beliebige Größe zu einer gewissen Größe in einem rationalen und zu einer anderen in einem irrationalen Verhältnisse stehen (416, 10–16). Jede Größe ist bis ins Unendliche teilbar; aber es gibt keinen kleinsten Teil, nach dem alle Größen gemessen werden könnten (415, 10–20. 416, 2f.). Je mehr alle diese Erörterungen Gefahr liefen ins Unbegrenzte sich zu verlieren, desto größer erscheint das Verdienst des E., aus dem endlosen Stoffe eine für seine Zwecke passende Auswahl getroffen zu haben. Freilich ist er dabei nicht auf die einzig richtige, schon von den Pythagoreern vorgezeichnete und von Archimedes weiter verfolgte Methode gekommen, die irrationalen Größen durch Einschließung zwischen engsten Grenzen zahlenmäßig zu bestimmen. Für ist die pythagoreische Umgrenzung o. § 12. 16 nachgewiesen worden. Über die Bestimmungen von usw. bis durch Theodoros, den Lehrer Platons, und die Umgrenzung von durch Archimedes s. Hultsch Nachr. d. Ges. der Wiss. Göttingen 1893, 376ff. [1031]
Der Mathematiker Theodoros hat von einer ποδιαία δύναμις, einer τρίπους, πεντέπους usw. gesprochen, wobei er an die Einteilung des Fußmaßes in 16 Daktylen dachte. Diese Nomenklatur hat der Scholiast Eucl. op. V 424ff. beibehalten.
Im engen Anschluß an Theodoros hat auch Platons Freund Theaitetos mit den irrationalen Größen sich beschäftigt (Plat. Theaet. 147f. Cantor 223f.) und dabei als einen speziellen Fall das gefunden, was E. als allgemein gültig in seinem 9. Satze formuliert hat (Schol. Eucl. op. V 450ff.). Demnach wird auch das damit zusammenhängende Problem in Satz 10 auf eine von Theaitetos herrührende Anregung zurückzuführen sein.
Durch den Satz X 1 hat E. die Methode der Exhaustion nach dem Vorgange des Eudoxos festgestellt. Zwar zitiert Archimedes (s. o. Eudoxos Nr. 8 § 7) eine andere Form des eudoxischen Satzes; doch ist nicht zu bezweifeln, daß Eudoxos nicht bloß das Verfahren, eine Größe, die größer als jede gegebene sei, zu konstruieren, sondern auch den Nachweis, daß zu jeder auch noch so kleinen Größe eine andere noch kleinere gefunden werden könne, gekannt habe.
25. Wie Cantor 255 ausführt, ist nach E. zwar, wie schon erwähnt wurde, außer der rationalen Zahl auch rational, dagegen sind die Produkte oder irrational, weil jedes dieser Produkte schon eine Fläche bedeutet, also nicht mehr in der Potenz meßbar sein kann. Irrational ist um so mehr die Linie, welche oder als Quadrat besitzt, d. h. die Geraden und . Diese Gattung von Irrationalitäten heißt μέση, die Mediallinie (X 21. Schol. Eucl. op. V 488ff.). Ist hierzu eine andere Gerade kommensurabel, so gilt sie ebenfalls als μέση (X 23). Das von zwei Mediallinien, die nur im Quadrat kommensurabel sind, gebildete Rechteck heißt μέσον (X 28), das über einer Mediallinie errichtete Quadrat wird τὸ ἀπὸ μέσης oder, wie vorher das Rechteck, schlechthin μέσον benannt (X 22. Schol. Eucl. op. V 493, 17. 496 nr. 178–180). Auch zwei Gerade, die im Quadrat kommensurabel sind, können ein μέσον umfassen (X 33). Die Summe oder Differenz von zwei rationalen Geraden, die nur im Quadrat zu einander kommensurabel sind, ist irrational; die Summe wird ἐκ δύο ὀνομάτων, die Differenz ἀποτομή benannt (X 36. 73). Die Formeln sind nach Cantor im ersteren Falle oder (d. h. dieselben Werte als Summanden, die oben als Faktoren gesetzt sind), im letzteren Falle oder oder .
Auf die Schwierigkeiten bei diesen und anderen Formeln ist auch die Dreiteilung des X. Buches (Schol. Eucl. op. V 489, 17, vgl. o. § 8) zurückzuführen. Auf die ersten Definitionen zu Anfang des Buches (o. § 23) folgen ὅροι δεύτεροι hinter Satz 47 und τρίτοι hinter Satz 84. Nachdem die Erklärungen von μέση, μέσον, ἐκ δύο ὀνομάτων und ἀποτομή, wie eben gezeigt wurde, gelegentlich bei den Sätzen, wo sie zuerst zur Anwendung kamen, abgemacht worden sind, werden [1032] nun durch die zweiten und dritten Definitionen sechs Gattungen ἐκ δύο ὀνομάτων und ebenso viele von ἀποτομαί unterschieden, so daß mit Hinzurechnung der μέση zusammen 13 Arten von Irrationalitäten in Betracht kommen, Schol. Eucl. op. V 415, 2–6. 421 nr. 6. 489, 14–17.
26. Das Verständnis dieses Buches wird, wie Zeuthen 130ff. nachweist, erschwert durch den Mangel einer Zeichensprache, die einen viel einfacheren Überblick über die verschiedenen Arten der irrationalen Größen gewährt haben würde. Den Ausgangspunkt bildet Satz 1 (o. § 24), der als eine Umformung aus V def. 4 anzusehen ist. Mit dessen Hülfe werden zuerst einige allgemeine Untersuchungen irrationaler Größen, ohne Rücksicht auf ihre Entstehung, sowie über andere, hieraus gebildete neue irrationale Größen vorgenommen. Daran reihen sich Untersuchungen über Quadratwurzeln, darunter auch über Fälle, in denen diese sich als rational ergeben, sowie über rationale rechtwinklige Dreiecke. Die Formen für irrationale Größen, die ferner aufgestellt werden, sind vierte Wurzeln aus rationalen Größen und Ausdrücke von den Formen sowie die Quadratwurzeln aus diesen Ausdrücken, bezw. gewisse Umformungen dieser Quadratwurzeln in Summen oder Differenzen. Die Glieder der letzteren werden durch Gleichungen von den Formen , wo und schon selbst eine gegebene Form haben, bestimmt (ebd. 131f.).
Der doppelt irrationale Ausdruck wird in den Sätzen 54 und 91 bezw. für und zu einem einfach irrationalen umgeformt. Dieselbe Umbildung wird dann in 57 und 94 angewendet um den Ausdruck , wo kein Quadrat ist, umzuwandeln in
- .
Auf diese Form führen die Gleichungen, die in 39 und 76 dazu dienen, die sog. ,größere‘ und ,kleinere‘ irrationale Größe darzustellen (ebd. 132).
Außerdem ist über die Anlage und Ausführung des X Buches zu verweisen auf Cantor 254ff. Günther in Iw. Müllers Handb. der class. Altertumswiss. V2 244. Gow Hist. of Greek Mathem. 78ff. Loria II 40ff.
Der letzte Teil des Buches (hinter Prop. 115) ist unecht und deshalb von August und Heiberg in den Anhang (S. 402ff. Heib.) verwiesen worden. Vgl. Heiberg Eucl. op. V, LXXXIVf.
27. Um den Inhalt von Buch X leichter verständlich zu machen, sind gegen Ende der Alexandrinerzeit zahlreiche Ergänzungssätze (λήμματα) in den Text eingefügt worden. Nach Heiberg Kopenhagen Vidensk. Selsk. hist.-philos. Abt. II (1888) 239. 297 scheinen sie, wenn nicht alle, so doch ein großer Teil aus dem Kommentar des Pappos geflossen und schon vor Theon in den Text gekommen zu sein. Namentlich werden von Heiberg Herm. XXXVIII (1903) 57f., als aus jenem Kommentar herrührend, angeführt die Lemmata zu Proportion 16 (Eucl. op. III p. 46). 21 (p. 62). 41 (p. 118). 53 (p. 156). 59 (p. 180). [1033]
Außerdem sind Lemmata zu Proportion 9. 13. 18. 23. 28. 32 überliefert. Diese hat der Herausgeber in den Text aufgenommen, andere aber (zu Proportion 20. 27. 29. 31. 32 [zweites und drittes]. 33. 34) in den Anhang (p. 384ff.) verwiesen.
Die im ersten Lemma zu Proportion 28 gestellte Aufgabe, zwei Quadratzahlen zu finden, deren Summe ebenfalls ein Quadrat sei, ist o. Bd. II S. 1107f. erläutert und ihre Lösung auf arithmetischem Wege weitergeführt worden.
Über den ersten Teil des Lemma zu Proportion 32 (p. 96) s. o. § 11. Das Ergebnis des zweiten Teiles (p. 98, 3–8) ist inmitten des Beweises zu II 14 (p. 162, 9–11) gezogen, aber dort nicht als Lehrsatz ausgesprochen worden.
28. Da die Bücher XI–XIII, in denen die Elemente der Stereometrie behandelt werden, eng zusammenhängen, so sind nur dem XI. Buche Definitionen vorausgeschickt. Den entsprechenden Fall haben wir früher (§ 20) bei der Gruppe VII–IX beobachtet.
Eröffnet wird das XI. Buch durch die Erklärung von στερεόν und ἐπιφάνεια (def. 1f.). Eine Gerade oder eine Ebene bilden mit einer Ebene entweder einen rechten Winkel oder sie sind zur Ebene geneigt (κλίσις) oder sie sind mit ihr parallel (def. 3–8). Hieran schließen sich die Definitionen der ähnlichen, sowie der gleichen und ähnlichen regulären Körper und der Ecke (9–11), sodann werden Pyramide, Prisma, Kegel, Zylinder, Würfel, Oktaeder, Ikosaeder und Dodekaeder, die Achsen von Kugel, Kegel und Zylinder, Zentrum und Diameter der Kugel, die Grundflächen von Kegel und Zylinder erklärt und die Ähnlichkeiten von Kegeln und Zylindern festgestellt (12–28).
Weiter folgt auf die vorbereitenden Sätze 1–3 (Gerade in einer Ebene und als Schnittlinien von zwei Ebenen) die Reihe der Sätze 4–23, welche auf parallele und senkrechte Gerade und Ebenen sich beziehen, woran Untersuchungen über Ecken sich schließen. Dann wendet E. sich zu den Parallelepipeden und kommt auch auf deren Ähnlichkeit oder Gleichheit oder Proportionalität (24–37). Den Schluß bilden zwei Sätze über einen besonderen Fall der Halbierung der Diagonale eines Würfels und über die Gleichheit von Prismen (38f.). Cantor 256. Zeuthen 133f. Alle diese Sätze sind ausgewählt und zusammengestellt, um auf die beiden folgenden Bücher vorzubereiten; dies erkennt auch Loria II 52f. an, erhebt aber doch gegen E. mehrere, schwerlich zu billigende Ausstellungen.
Zu dem 20. Satze, wonach je zwei eine dreiseitige Ecke umschließende Winkel zusammen größer als der dritte Winkel sind, findet sich bei Menelaos sphaer. I 5 ein entsprechender Satz über das sphärische Dreieck, Björnbo Abh. zur Gesch. der Math. XIV (1902) 31. Selbstverständlich sind bei Menelaos sowohl die Form des Theorems als die Beweisführung verschieden von dem Texte des E., da es sich bei diesem um eine von Ebenen umschlossene Ecke handelt.
Zu Satz 33: τὰ ὅμοια στερεὰ παραλληλεπίπεδα πρὸς ἄλληλα ἐν τριπλασίονι λόγῳ εἰσὶ τῶν ὁμολόγων πλευρῶν vgl. V def. 10 und o. § 15.
Satz 37 besagt für Parallelepipede das Entsprechende wie VI 22 für geradlinige Planfiguren. [1034] E. spricht nur von vier Geraden; ein späterer Mathematiker hat einen ähnlichen Beweis für beliebig viele Gerade hinzugefügt, Eucl. op. IV 386ff.
Hinter 37 folgte in den früheren Ausgaben ein Satz ἐὰν ἐπίπεδον πρὸς ἐπίπεδον ὀρθὸν ᾖ usw., der von Heiberg Eucl. op. V, LXXXIf.; Herm. XXXVIII (1903) 200 für unecht erklärt und in den Anhang Eucl. op. IV 354 verwiesen worden ist. An derselben Stelle (p. 344–353. 385f. 388–390) finden sich noch einige andere Zusätze zu Proportion 22. 23. 36. 38.
29. Das XII. Buch enthält die Lehre von den Maßen des körperlichen Inhalts der Pyramide, des Prisma, des Kegels, des Zylinders und der Kugel, jedoch mit Ausschluß von wirklichen Berechnungen, von denen E. in der Stereometrie ebensowenig wie in der Planimetrie Gebrauch gemacht hat, Cantor 256. Zur Vorbereitung werden die planimetrischen Sätze 1 und 2 vorausgeschickt, daß sowohl die Flächen der in den Kreis eingeschriebenen ähnlichen Polygone als die Kreisflächen sich zu einander wie die Quadrate der Kreisdurchmesser verhalten. Zum Beweise des zweiten Satzes wird nach dem Vorgange des Eudoxos (s. d. § 7) das Exhaustionsverfahren angewendet. Wenn man sowohl in den Kreis als um denselben ein Quadrat zeichnet, so ist das umgeschriebene Quadrat doppelt so groß als das eingeschriebene (denn es enthält acht gleiche und ähnliche Dreiecke, deren jedes = 1/4 des eingeschriebenen Quadrates ist) und die Kreisfläche ist kleiner als das umgeschriebene und größer als das eingeschriebene Quadrat. Hiermit war die erste Umgrenzung sowohl für die Kreisfläche durch meßbare reguläre Vielecke als für die Kreislinie durch Gerade gegeben. Auf diesem Wege ist später Archimedes weiter gegangen, indem er, mit dem Sechsecke beginnend, durch fortschreitende Verdoppelung der Seitenzahlen der Polygone den Kreis zuletzt zwischen das umgeschriebene und das eingeschriebene Sechsundneunzigeck einschloß (s. o. Archimedes § 8f.). Dagegen hat E. nur einen Anlauf dazu genommen, an Stelle des Quadrates das Achteck zu setzen und darauf hinzudeuten, daß durch fortgesetzte Verdoppelung der Seitenzahlen der Vielecke die Unterschiede zwischen dem Kreise und dem eingeschriebenen Vielecke immer kleiner und zuletzt verschwindend klein werden. Mit der Konstruktion der zum Beweise erforderlichen Figuren ist E. aber schon beim eingeschriebenen Achteck stehen geblieben (Eucl. op. IV 142f.). Denn indem er aus der Seite ZE des eingeschriebenen Quadrates und dem Abstande der Achtecksecke K von dieser Seite ein Rechteck bildete, zeigte er, daß die Hälfte des Kreissegmentes EKZ kleiner als die Hälfte des Rechteckes über ZE, d. i. kleiner als das Dreieck EKZ ist. Indem nun die Kreisperipherie fortgesetzt halbiert und, ähnlich wie vorher, in die entsprechenden Kreissegmente immer kleinere Dreiecke eingeschrieben werden, wird nach X 1 (o. § 24 a. E.) zuletzt als Unterschied des Kreissegmentes und des eingeschriebenen Dreieckes eine Größe übrig bleiben, die kleiner als jede denkbare, noch so kleine Größe, d. i. unendlich klein, ist. Mithin wird der Unterschied der Kreisfläche von der Fläche eines eingeschriebenen [1035] Polygons von unendlich vielen Seiten kleiner als jede denkbare Größe gesetzt werden können und, wie die ähnlichen Polygone zu einander sich wie die Quadrate der Durchmesser verhalten (Satz 1), so werden auch die Kreisflächen sich wie die Quadrate ihrer Durchmesser verhalten. Über den Exhaustionsbeweis bei E. an dieser und anderen Stellen handelt ausführlich Zeuthen 136ff. Die eigentümliche Formulierung des Beweises ist darauf zurückzuführen, daß von den damaligen Geometern die Begriffe unendlich klein und unendlich groß (in Bezug auf die Zahl der Seiten eines Polygons, wie auch in anderen Beziehungen) durchaus vermieden worden sind. Damit hängt die apagogische Fassung des Beweises hier und an allen ähnlichen Stellen zusammen.
30. Weiter wird im XII. Buche, abgesehen von einigen vorbereitenden Sätzen, gezeigt, daß Pyramiden von gleicher Höhe sich wie ihre Grundflächen (Satz 5. 6) und ähnliche Pyramiden wie die Kuben der homologen Seiten (8 mit coroll.) verhalten, ferner daß bei gleichen Grundflächen und Höhen jede Pyramide und jeder Kegel der dritte Teil des betreffenden Prisma oder Zylinders ist (7 coroll. 10) und daß, bei gleichen Höhen, Kegel und Zylinder sich wie die Grundflächen, bezw. wie die Kuben der Durchmesser der Grundflächen (11. 12), bei gleichen Grundflächen aber wie die Höhen (14) verhalten, endlich daß die regulären, in eine Kugel eingeschriebenen Polyeder sowie die Kugeln selbst sich wie die Kuben ihrer Durchmesser verhalten (17 coroll. 18). Der nach der Methode der Exhaustion ausgeführte Beweis zu Satz 18 verläuft ganz analog dem Beweise zu Satz 2 (o. § 29).
Daß E. die Sätze 2. 7. 10. 18 von Eudoxos entlehnt hat, ist unter Eudoxos Nr. 8 § 7 nachgewiesen worden.
Das Lemma zu Satz 2 wird von Heiberg Eucl. op. V, LXXX; Herm. XXXVIII (1903) 200 für unecht erklärt. Das Lemma zu 4, den zweiten Beweis zu 17 und einige andere spätere Zusätze hat derselbe in den Anhang (Eucl. op. IV 356–360. 390ff.) verwiesen.
31. Das XIII. Buch ist den fünf regulären Polyedern gewidmet. Im ersten Scholion zu diesem Buche (Eucl. op. V 654), das wahrscheinlich auf Geminos zurückzuführen ist (o. § 7), wird berichtet, daß jene von Platon Tim. 54 E f. erwähnten Polyeder gewöhnlich die platonischen heißen (Papp. synag. V 352, 11 Hu. Index zu Papp. unter Πλάτων), jedoch der Würfel, das Tetraeder und Dodekaeder schon von den Pythagoreern, das Oktaeder und Ikosaeder von Theaitet behandelt worden sind. Damit steht Suidas s. Θεαίτητος nicht im Widerspruch, denn wenn Theaitet über die ihm besonders beigelegten Polyeder schrieb, so mußte er zugleich die drei pythagoreischen Polyeder berücksichtigen. Weiter hat der Autor, aus welchem sowohl das dritte Scholion zu Buch V als das erste zu XIII geflossen sind, mit Recht bemerkt, daß diese beiden Bücher, obwohl ihr hauptsächlicher Inhalt von anderen herstammt, doch dem E. nicht abgesprochen werden dürfen, da dieser den ganzen Stoff geordnet, ergänzt und in die für die Elemente der Geometrie erforderliche knappe und strenge Form gebracht habe.
Die Sätze 1–5 enthalten Anwendungen der [1036] Lehre von dem goldenen Schnitte (ἐὰν εὐθεῖα γραμμὴ ἄκρον καὶ μέσον λόγον τμηθῇ usw.) und dienen als Vorbereitung zur Konstruktion der Polyeder. Sie rühren wahrscheinlich von Eudoxos (s. d. § 6. Cantor 228) her und sind von Zeuthen 134 durch Formeln der modernen Algebra dargestellt worden. Vgl. auch Loria I 128ff. II 56f.
Der 6. Satz, der einen Fall der Lehre von der ἀποτομή (o. § 25) darstellt, ist von Heiberg Eucl. op. IV 263, 1. V, LXXXII als unecht nachgewiesen worden. Dasselbe gilt von dem als Schluß von 17 (Eucl. op. IV 326) überlieferten Satze, Heiberg Eucl. op. V, LXXXIIf.
Nachdem das Hauptziel weiter durch die Sätze 7–12 vorbereitet worden ist, folgen in 13–17 die Aufgaben, in die Kugel ein Tetraeder, ein Oktaeder, einen Würfel, ein Ikosaeder und Dodekaeder einzuschreiben. Zuletzt wird in 18 die Aufgabe gelöst, die Seiten der fünf Polyeder in einen Halbkreis einzuschreiben. Den Schluß bildet der Nachweis, daß es außer den erwähnten fünf Polyedern keine anderen vollkommen regulären Körper gibt. Vgl. Papp. synag. V 358, 19–28 Hu.
Das Zitat ὡς ἔστιν λῆμμα ιγ' στοιχείων bezieht sich auf das Corollarium zu Satz 16 (Eucl. op. IV 316).
In den Anhang seiner Ausgabe hat Heiberg verschiedene, von jüngern Bearbeitern hinzugefügte Beweise von Sätzen des XIII. Buches aufgenommen, und zwar zu Prop. 1–5 Eucl. op. IV 364ff., zu Prop. 5 ebd. 362. 364, zu Prop. 6 ebd. 360. 362, zu Prop. 17f. ebd. 376ff.
32. Eine Schule des E. hat in Alexandreia noch unter Ptolemaios Euergetes (247–221) bestanden. An diese schloß Apollonios von Perge sich an, als er in Alexandreia die erste Bearbeitung der Konika abfaßte, Papp. synag. VII 678 vgl. mit Apollonios Nr. 112 o. Bd. II S. 151. Auch von Iambl. in Nicom. arithm. 20, 11 Pistelli werden οἱ περὶ Εὐκλείδην erwähnt. Wahrscheinlich hat diese Schule weiter bestanden, so lange noch die mathematischen Studien in Alexandreia blühten. Aus ihr mögen manche von den Zusätzen und abgeänderten Beweisen hervorgegangen sein, welche Heiberg je an den Schluß der vier Bände seiner Ausgabe verwiesen hat. Auch die späteren Scholiasten haben wahrscheinlich vieles sich zu nutze gemacht, was in derselben Schule bereits ausgearbeitet worden war.
33. Schon frühzeitig haben namhafte Mathematiker ihre Tätigkeit auf die Erläuterung, ja teilweise auch auf die Verbesserung der Elemente gerichtet. An der Spitze steht Apollonios, dessen Blütezeit etwa 70 Jahre nach E. anzusetzen ist. Proklos hat uns beachtenswerte, wahrscheinlich aus der καθόλου πραγματεία des Apollonios (o. Bd. II S. 159, 11) entnommene Bemerkungen desselben zu Elem. I def. 2. 8; Prop. 10. 11. 23 und, wie Heiberg vermutet, auch zu Prop. 2 überliefert. Procl. in I. elem. 100, 5. 123, 14. 227, 9. 279, 16. 282, 8. 335, 16. Heiberg Apollonii quae graece exstant II 133–137.
Unter den eigentlichen Kommentaren zu den Elementen ist an erster Stelle der des Heron von Alexandria (s. d.) zu erwähnen. Durch die Herausgabe des Arabers Anaritius (Abul Abbas al-Fadl aus Nairiz, um 900) von Curtze (Euclidis opera, [1037] supplem., Leipzig 1899) und durch den von Besthorn veröffentlichten arabischen Text des Cod. Leidensis 399, 1 (o. § 6 g. E.) haben wir zuerst einen Einblick in die kommentierende Tätigkeit Herons nicht bloß zum I., sondern auch weiter bis zum VIII. Buche der Elemente erlangt und zugleich erkannt, daß einige Sätze Herons zum I. Buche noch im Urtexte bei Proklos, der die Autorschaft Herons gerade da verschwiegen hat, wo er ganze Beweise aus ihm entnahm, erhalten sind. Während E. nur immer an dem einzelsten Falle haftet, hat ihn Heron durch die Verallgemeinerung einiger elementaren Sätze oder durch Auffindung neuer Beweisformen überboten. Zu dem II. Buche hat er einige von den geometrisch aufgefaßten Sätzen des E. auf ihre arithmetische Bedeutung zurückgeführt und dabei die arithmetische Analysis und Synthesis von den entsprechenden geometrischen Beweisarten unterschieden. Bei anderen Sätzen ist er mit E. der geometrischen Methode gefolgt und hat die Sätze seines Vorgängers nach verschiedenen Seiten hin erweitert und ergänzt. Zahlreich sind auch die Beifügungen zum III. und IV. Buche, seltener aber die zum V–VIII, Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 1281ff. Heiberg Stud. 157ff.; Kopenhagen Vidensk. Selsk. Skr., hist.-philos. Afd. II 3 (1888), 293. 304; Herm. XXXVIII (1903) 58f. Loria III 116ff.
Auch Poseidonios darf zu den Kommentatoren der Elemente gezählt werden. Wie aus Proklos a. a. O. 217f. hervorgeht, hat er in einer Polemik gegen den Epikureer Zenon von Sidon allgemeine Untersuchungen über die Euklidischen Definitionen, Postulate und Axiome (ἀρxaὶ γεωμετρίας, Prokl. 200, 2 vgl. mit 199, 1ff.), insbesondere über die Definition des Punktes (Anarit. 3, 23), der Parallelen (Prokl. 176, 6), des geometrischen σχῆμα (ebd. 143, 8) angestellt. Ferner werden ihm zugeschrieben die Unterscheidung von πρότασις und πρόβλημα (ebd. 80, 21), die Unterscheidung von sieben Arten der τετράπλευρα (170, 13), Untersuchungen zum 1. Satze der Elemente (216, 20–217, 9. 217, 24-218, 11. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 1285).
Die Beiträge des Geminos zur Erklärung der Elemente sind wahrscheinlich in seiner μαθημάτων θεωρία enthalten gewesen. In den Scholien zum I. Buche (Eucl. op. V 71–108, 18) ist ein guter Teil des Kommentars zu den Definitionen dieses Buches erhalten (ebd. 107, 20. 108, 16 vgl. mit Procl. in I. elem. 177, 24f.). Die angeführten Scholien sind besonders dadurch wertvoll, daß sie nur Auszüge aus Geminos enthalten, während Proklos in seinem Kommentar (85–177) außerdem noch aus anderen Autoren geschöpft, immerhin aber den Geminos als Hauptquelle benutzt hat. Auch die Petita und Axiome hat Geminos erläutert, Prokl. 178–182, 6. 183, 15–189, 10 (namentlich wird Geminos angeführt 182, 5. 183, 15. 184, 5. 185, 8. 188, 5). Schol. Eucl. op. V nr. 9–15 (Proklos wird zitiert nr. 14f.; von p. 113, 14 an gibt der Scholiast mehr als bei Proklos sich findet). Auch bei Anaritius sind Auszüge aus Geminos erhalten, die, wie aus p. 73, 5 hervorgeht, aus dem Kommentar des Simplikios zum I. Buche der Elemente entnommen sind, Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 1284. In Erweiterung [1038] von Elem. I def. 8 hat Geminos versucht, die Berührungen von Geraden mit einander, von Geraden mit Ebenen und von Ebenen mit einander in eine Definition zusammenzufassen (Anarit. 13, 8–20). Ferner hat er die Definition der Parallellinien (Elem. I def. 23) dahin abgeändert, daß er statt der negativen Bestimmung des E. (ἐπὶ μηδέτερα συμπίπτουσιν ἀλλήλαις) das positive Merkmal erit semcr spatium, quod est inter eas, unum einsetzte (ebd. 26, 11–15; etwas anders lautet der Bericht des Proklos 176, 25–177, 23). Zu Elem. I prop. 29 hat Geminos bemerkt, daß dieser Satz als Umkehr von Prop. 28 anzusehen ist. Daran hat er ausführliche Erörterungen über Parallellinien und die durch deren Schnitt mit einer Geraden gebildeten Winkel geknüpft. Anarit. 66, 11–73, 31. Hultsch Berl. Philol. Wochenschrift a. a. O.
Ob Vettius Valens (2. Jhdt. n. Chr.) einen Kommentar zum X. Buche der Elemente verfaßt hat, muß für jenen Artikel vorbehalten bleiben. Heiberg Stud. 169 bezweifelt die Vermutung von Woepcke Mém. présentés XIV (1856) 658ff., daß der in arabischen Hss. erwähnte Valens (arab. Fâlîs al-Rumi) identisch mit Valens, dem älteren Zeitgenossen des Ptolemaios, sei.
Auch in betreff der Kommentare des Porphyrios, Pappos, Proklos und Simplikios ist auf die später folgenden Artikel zu verweisen; doch mögen einige Zitate schon hier Platz finden. Über Porphyrios vgl. Heiberg Stud. 159ff. Susemihl I 707; über Pappos Heiberg Stud. 162ff. 170ff.; Kopenhagen Vidensk. Selsk. Skr., hist.-philos. Afd. II 3 (1888) 236ff. 297f.; Hermes XXXVIII (1903) 57f. Die Hauptmasse der alten Scholien zu den Elementen und namentlich die meisten Lemmata entstammen dem Kommentare des Pappos, von dem einige Reste bei Proklos, mehrere noch bei Al-Haddschadsch und Anaritius (o. § 6) erhalten sind. Der ausführliche Kommentar des Proklos zum I. Buche ist durch die Ausgabe von Friedlein (Leipzig 1873) zugänglich geworden. Er war in vier Bücher geteilt (Heiberg Stud. 165) und hat seinen Hauptwert durch die aus älteren Autoren mitgeteilten Auszüge (ebd. 164ff.). Aus dem Kommentar des Simplikios sind Auszüge bei den sofort anzuführenden arabischen Schriftstellern erhalten.
Über die Kommentare des Al-Haddschadsch (8.–9. Jhdt.) ist schon oben § 6 g. E. und über Anaritius (um 900) § 33 Absatz 2 kurz berichtet worden. Aus der Vorrede im cod. Leidensis 399, 1 geht hervor, daß das von Al-Haddschadsch aus dem Griechischen übersetzte und durch Erläuterungen erweiterte, andererseits aber auch verkürzte Werk später von Al-Narizi neu bearbeitet und durch Zitate aus griechischen Schriftstellern bereichert worden ist. Sehr ausführlich sind, ähnlich wie bei Proklos, die Bemerkungen zu den Definitionen, Postulaten und den κοιναὶ ἔννοιαι des I. Buches. Auf die Übersetzung der betreffenden Textesstelle (Euclides dixit usw.) folgen nach Bedarf Auszüge aus Simplikios, Anaritius, Pappos, überall mit Angabe des Autors (Simplicius dixit usw.), sowie Zusätze, die wenigstens zum Teil von Al-Haddschadsch herzurühren scheinen. Der Kommentar zu den Propositionen beginnt gleich mit der Überschrift ,die erste Proposition umfaßt fünf [1039] Propositionen, eine des E. und vier des Heron‘, und so folgt auf einen Euclides dixit überschriebenen Abschnitt ein zweiter unter dem Titel Hero dixit. Im weiteren Verlaufe des I. Buches finden sich Zusätze teils mit Nennung des Autors (z. B. des Heron zu I 11), teils ohne Angabe der Quelle. Das meiste berührt sich nahe mit den Erläuterungen des Proklos; doch hat Al-Haddschadsch immerhin manches, was bei Proklos fehlt oder von ihm abweicht. Im Kommentar zum II. Buche ist wiederum Heron der erste Autor, der neben E. erscheint und später zu wiederholtenmalen angeführt wird. Ähnlich wie der Kommentar des Al-Haddschadsch ist der des Anaritius angelegt, doch im ganzen ausführlicher gehalten. Zum I. Buche hat Anaritius noch mehr alte Autoren angeführt, als bei Al-Haddschadsch sich finden, doch scheint er außer Heron nur den Kommentar des Simplikios in Händen gehabt und aus diesem die Erwähnungen des Platon, Archimedes, Poseidonios, Geminos u. a. entlehnt zu haben. Vom II. bis VIII. Buche hat er außer E. nur den Heron benutzt, Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1899, 1285f. Zum IX. und X. Buche haben ihm Schriften vorgelegen, deren Verfasser wir nicht kennen; nur das steht fest, daß sie mit den Quellen, aus denen die Scholien Eucl. op. V 399ff. Heib. geflossen sind, keinen ersichtlichen Zusammenhang haben. Den E. zitiert Anaritius teils mit Namensnennung, teils als Geometer (Curtze zu Anarit. 387). Ausnahmsweise wird 232, II noch ein anderer Autor angeführt; doch wissen wir nicht, woraus die Namensform diachasimus verderbt sein mag. Auch wenn wir versuchen, dafür Διονύσιος einzusetzen, bleibt es ganz ungewiß, was für ein Mathematiker damit gemeint sein sollte.
34. Eine ansehnliche Sammlung von Scholien zu E. ist von Heiberg Eucl. op. V herausgegeben und später durch Nachträge ergänzt worden (Hermes XXXVIII [1903] 334–352). Über die Hss vgl. die Berichte des Herausgebers Eucl. op. V, IXff.; Hermes a. a. O. Die Quellen der Scholien gehen zurück bis auf Theodoros, den Lehrer Platons (Hultsch Biblioth. math. 1904, 226). Nächstdem ist vieles entlehnt aus Heron, Geminos und Pappos (o. § 33). Der Grund zu der in den Hss. vorliegenden Sammlung ist, wie es scheint, im 6. Jhdt., bald nach Proklos, gelegt worden. Heiberg Vidensk. Selks. a. a. O. 242. 298. Hultsch a. a. O. 225f. Diese Sammlung ist später mannigfach abgeändert, erweitert, teilweise aber auch gekürzt worden, bis sie im 11. Jhdt., wo die indischen Ziffern hinzukamen, im wesentlichen zum Abschluß gekommen ist. Heiberg Vidensk. Selsk. a. a. O.; Hermes a. a. 0 345. Hultsch a. a. O. 226. Frühzeitig sind die allgemeinen Sätze des E., wo es nötig schien, durch Zahlenbeispiele erläutert und es sind dabei nach Bedarf außer den Ganzen oder Einheiten erste, zweite, dritte und vierte Sechzigstel ausgerechnet worden. Eine Nachprüfung hat ergeben, daß diese sexagesimalen Ausrechnungen sachverständig und zum Teil bis zu überraschend genauen Ergebnissen durchgeführt worden sind; hat sich doch für ein Wert herausgestellt, der mit der Hipparchischen Bestimmung (Ptolem. synt. I [1040] 35, 15f. Heib.) übereinstimmt und in dezimaler Ausrechnung zu einem bis zur siebenten Stelle genauen Werte geführt hat. Hultsch a. a. O. 230ff.
35. Die Elemente sind ungemein häufig von alten und mittelalterlichen Mathematikern zitiert worden. Ein Verzeichnis der betreffenden Autoren hat Heiberg in den Fußnoten zu seiner Ausgabe zusammengestellt. Die Zitate bei Heron Ὅροι τῶν γεωμετρίας ὀνομάτων behandelt Heiberg Stud. 186ff. und knüpft daran eine chronologisch geordnete Übersicht anderer, die Elemente zitierenden Autoren vom 2. bis 14. Jhdt. n. Chr., wozu er später Nachträge Hermes XXXVIII (1903) 752ff. gegeben hat. Diese Zusätze werden später in das geordnete Verzeichnis der zitierten Stellen noch einzufügen sein. Gelegentlich habe ich außerdem angemerkt: zu Elem. II 10 Procl. in Plat. remp. Bd. II 27, 17 Kroll; zu VI 20 Papp. synag. VIII 1100, 15.
36. Als eine Fortsetzung des den regulären Polyedern gewidmeten Teiles der Elemente ist anzusehen eine Schrift des Hypsikles (s. d.). Sie ist in den Hss. τὸ εἰς Εὐκλείδην ἀναφερόμενον (oder τά ... ἀναφερόμενα) betitelt und wird als XIV. Buch gezählt. Heiberg Stud. 154ff.; Eucl. op. V 2, 18–20. Ein kritisch gesicherter Text ist von demselben Eucl. op. V 1ff. hergestellt worden. Vgl. ebd. Praef. VII. Tannery Bull. des sciences mathém., 2. série, XI 1 (1887), 86ff. Kluge De E. elementorum libris qui feruntur XIV et XV, Dissert. Leipz. 1891, 1. 41. Loria II 85–88. Zeuthen Hist. 136.
Weit jünger ist ein aus drei Teilen bestehender Traktat, der ebenfalls Ergänzungen zur Lehre von den Polyedern enthält und in den Hss. PvV als XV. Buch der Elemente (Εὐκλείδον ιε, op. V 40, 16 Heib.) gezählt wird. Auch dieses Buch hat Heiberg Bd. V 39ff. seiner Ausgabe der Elemente beigefügt. In dem dritten Abschnitte, der über die Neigungswinkel der die regelmäßigen Polyeder berührenden Ebenen handelt, erwähnt der Verfasser (50, 21) als seinen berühmten Lehrer einen Isidoros und meint damit offenbar den Isidoros von Milet (um 532), bekannt als Baumeister der Sophienkirche. Jener dritte Abschnitt der Schrift ist also im 6. Jhdt. verfaßt worden, und auch der erste und zweite Abschnitt, die inhaltlich hinter dem dritten Teile weit zurückstehen, können schwerlich in eine frühere Periode versetzt werden. Tannery Bull. des sciences mathém., 2. série, III 1 (1879), 263, 1. Heiberg Stud. 155f.; Eucl. op. V, VIIIf. Loria II 88f. Den Sprachgebrauch und die mathematischen Formulierungen in den drei Teilen des Buches behandelt ausführlich Kluge a. a. O. 3ff.; doch ist seiner Vermutung (ebd. 39ff.). daß der erste Teil schon zu Ende des 3. Jhdts. (Zeitalter des Pappos) nach den Diktaten eines Lehrers niedergeschrieben und auch der zweite Teil älter als der dritte sei, schwerlich beizupflichten.
37. Außer den Elementen hat Geminos bei Proklos zu Elem. I 68, 23–69, 4 die Optik, Katoptrik, die Elemente der Musik und zuletzt τὸ περὶ διαιρέσεων βιβλίον als scharfsinnige und wissenschaftlich wertvolle Werke des E. hervorgehoben. Aus der letzteren Schrift zitiert Proklos 144, 18–26 die Untersuchungen über die Teilung des [1041] Kreises und geradliniger Figuren in Abschnitte gleicher und ungleicher Art. Heiberg Stud. 13. 36f. Reste dieses Werkes waren schon vor längerer Zeit in ,De superficierum divisionibus liber Machometo Bagdedino ascriptus,‘ herausgegeben von Dee und Commandini, Pisauri 1570 (wiederholt von Gregory Euclidis quae supersunt, Oxoniae 1703, 667ff.), erkannt worden. Heiberg Stud. 13f. Den vollständigen, ins Arabische übersetzten Text der Schrift des E. hat Woepcke Journ. asiatique, 4. série. XVIII (1851) 217. 218f. 233ff. in der Pariser Hs. Suppl. arabe 952, 2 aufgefunden und ins Französische übertragen (die deutsche Übersetzung von Ofterdinger Beiträge zur Wiederherstellung der Schrift des Euklides über die Teilung der Figuren, Ulm 1853, ist, wie Heiberg Stud. 14, 1 bemerkt, leider nicht vollständig). Steinschneider ZDMG L (1896) 172 weist darauf hin, daß die von einem unbekannten Übersetzer herrührende arabische Schrift durch Thabit verbessert worden ist; auch gibt er einige Nachweise über Hss. usw.
Die Schrift des E. hat 36 Sätze enthalten, von denen nr. 18 und 21–25 als Hülfssätze zu gelten haben (Woepcke 246f.). Die übrigen Sätze beschäftigen sich mit der Teilung von Dreiecken, Trapezen, Parallelogrammen, Vierecken, eines Zirkelsektors und eines Kreises. Woepcke 245f. Heiberg Stud. 14f. 37f. Loria II 68ff. Über den 28. Satz vgl. Cantor I2 273. Björnbo Abhdl. zur Gesch. der mathem. Wissensch. XIV (1902) 49. Auf eine italienische Übersetzung des Traktates des Machometus, die ebenfalls in Pesaro 1570 erschienen ist, sowie auf Favaro Preliminari ad una restituzione del libro di Euclide sulla divisione delle figure piane, Venedig 1883; Notizie storico-critiche sulla divisione delle aree, Modena 1895, weist Eneström Biblioth. math. 1903, 396 hin.
38. Wenn die moderne Algebra unbekannte Größen mit Buchstaben, die gewöhnlich aus dem letzten Teile der Reihe des lateinischen oder griechischen Alphabetes entnommen sind, bezeichnet und mit diesen sowohl als mit den bekannten Größen so lange operiert, bis die anfänglich unbekannten Größen bestimmt worden sind, so ist dies nach der Anschauung der Alten eine analytische Methode. Diese hat schon in den Elementen allerwärts, wo es nötig schien, unter der Form des apagogischen Verfahrens ihren Platz gefunden (Zeuthen Hist. 75ff.). Pappos synag. VII 634ff. zählt 33 Bücher griechischer Mathematiker auf, die dem ἀναλυόμενος τόπος gewidmet waren, und zwar an erster Stelle die δεδομένα des E., welche hiernach von Heiberg Stud. 39 als eine Einleitung zur höheren Geometrie bezeichnet werden (vgl. Marinos Eucl. op. VI 252, 19–254, 22 Menge). Dagegen enthält dieses Werk nach Cantor I2 269f. nur Übungssätze zur Auffrischung der Elemente oder es ist, wie Zeuthen Hist. 87f. nachweist, als ein Hilfsmittel bei der Anwendung der schon durch die Elemente vorgezeichneten analytischen Methode anzusehen.
Die Definitionen zu Anfang der Data unterscheiden zunächst Planfiguren, Linien und Winkel, die der Größe nach bestimmt d. i. gegeben, sind. Dazu kommt dann noch das gegebene Verhältnis. [1042] Der Lage nach können Punkte, Linien und Winkel gegeben sein. Die Größe eines Kreises ist durch den Radius bestimmt; ist außerdem noch das Zentrum der Lage nach bestimmt, so ist der Kreis nach Lage und Größe gegeben. Ähnlich sind Kreissegmente der Größe nach bestimmt, wenn ihre Winkel gegeben und die Basis der Größe nach gegeben ist; wenn außerdem noch die Basis der Lage nach bestimmt ist, so ist das Segment nach Lage und Größe gegeben. Für geradlinige Planfiguren, besonders Dreiecke und Rechtecke, fehlen die entsprechenden Definitionen, weil sie als selbstverständlich galten. Von einer Größe A kann eine gegebene Größe B subtrahiert oder zu ihr addiert werden; im letzteren Falle heißt die Größe A + B um die gegebene B größer als A, im ersteren Falle die Größe A – B um die gegebene B kleiner als A. Eine Größe A ist größer oder kleiner als B als nach dem Verhältnis (μέγεθος μεγέθοῦς δοθέντι μεῖζόν ἐστιν ἢ ἐν λόγῳ usw.), wenn zwar A und B selbst unbestimmt, aber eine Größe C und das Verhältnis A ± C : B gegeben sind; dann muß im ersteren Falle A – C, im letzteren Falle A + C zu B in dem gegebenen Verhältnis stehen (def. 11. 12, vgl. Hultsch zu Pappos synag. Bd. I, XXIV).
Über die Theoreme des Buches gibt Pappos synag. VII 638–640, 1 eine kurze Übersicht. Die von ihm benutzte Ausgabe hat 90 Sätze enthalten, die er der Reihe nach in verschiedene Gruppen einteilt, je nachdem sie gegebene Größen im allgemeinen oder Gerade, die der Lage nach gegeben sind, oder Dreiecke oder beliebige Planfiguren oder Parallelogramme oder Kreise betreffen. Die Abweichungen, welche unsere Ausgaben, anlangend die Zahlen und die Reihenfolge der Sätze, von dem Exemplar des Pappos enthalten, sind von Hultsch in seiner Ausgabe a. a. O. angemerkt und von Heiberg Stud. 221ff. Menge Prolegom. Lff. des näheren besprochen worden (s. u. § 40).
Anlangend den Inhalt der Data und ihre Bedeutung für die Geschichte der alten Mathematik sei noch im allgemeinen verwiesen auf Buchbinder Euclids Porismen und Data, Progr. der Landesschule Pforta 1866, 19f. 184f. Loria II 63ff.
39. Die erste griechische Ausgabe ,Εὐκλείδου δεδομένα ... Euclidis data ... Claudius Hardy ... nunc primum edidit‘ ist Paris 1625 erschienen. Dann folgten die Ausgaben von Gregory und Peyrard, über die oben § 4 berichtet worden ist, vgl. auch Menge Eucl. op. VI, LXff. Einen auf der besten Überlieferung beruhenden Text hat Menge Eucl. op. VI, Leipzig 1896, herausgegeben. Vgl. dessen praefatio p. Vff.; prolegomena p. XIIIff. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1897, 673ff. An die Spitze stellte Menge die aus dem 10. Jhdt. stammenden vatikanischen Hss. 190 und 204, zu denen noch Cod. Vatic. 1038 des 13. Jbdts. kommt. Nächstdem kamen in Betracht ein Bononiensis und ein Laurentianus, in welchen die Data als Εὐκλείδου δεδομένα τῆς Θέωνος ἐκδόσεως bezeichnet sind. Diese Hss. bieten also die freiere Textesrezension, welche Theon von Alexandreia im 4. Jhdt. veranstaltet hat. Seine Ausgabe war, wie die der Elemente (o. § 3), zum Gebrauche in den damaligen Gelehrtenschulen [1043] bestimmt. Der Text der Elemente wie der Data war im Laufe der Jahrhunderte schon vielfach abgeändert worden. Theon hat nicht beabsichtigt, die ursprüngliche Fassung wieder herzustellen, sondern nur einen leicht lesbaren und deutlichen Text zu bieten, wobei er nicht nur kleinere erklärende Zusätze, wie σημεῖον, γραμμή, εὐθεῖα einfügte, sondern auch viele andere Abänderungen, bisweilen auch Kürzungen sich gestattete. Menge Proleg. XXXIIff. XLf. XLVIIff. Hultsch a. a. O. 675.
Wie Steinschneider ZDMG L (1896) 171 berichtet, sind die Data von Ishak ben Honein (gegen Ende des 9. Jhdts.) ins Arabische übersetzt worden. Dazu habe Thabit († 901) Verbesserungen gegeben. Die bekannten Manuskripte sollen eine von Tusi veranstaltete Redaktion enthalten; auch habe Gerhard von Cremona das Buch aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt. Auch findet sich eine vermutlich aus dem Arabischen geflossene lateinische Bearbeitung der Data im cod. Dresd. D b 86. Sie beginnt fol. 200 mit den Definitionen, deren ich 14 zähle, und scheint anfangs dem griechischen Texte ziemlich genau zu folgen, später aber weicht sie mehr und mehr ab. Eine Veröffentlichung dieses Traktates ist dringend zu wünschen.
Die Übersetzungen von Peyrard ins Französische und von Simson ins Englische sind bereits oben § 4. 16 g. E. erwähnt worden. Der letztere hat den überlieferten Text sowie die Reihenfolge der Sätze mehrfach geändert, auch Sätze hinzugefügt, andere weggelassen oder je zwei zu einem Satze verbunden. Zu berücksichtigen sind, wie bei den Elementen, seine ,Notes, critical and geometrical‘ (o. § 6 g. E.). Menge Prolegom. LXI. Über die deutschen Übersetzungen von Schwab und Wurm s. ebd. LXIf.
40. An die Data hat schon Apollonios von Perge, der um weniger als ein Jahrhundert nach E. blühte, die verbessernde Hand angelegt: denn von ihm rühren nach dem 13. Scholion (p. 264 Menge) die letzten drei Definitionen her. Auch andere Zusätze, teils kleinere mitten in den Text hinein, teils ganze Beweisführungen, die mit dem Vermerke ἄλλως den euklidischen Beweisen angehängt wurden, sind frühzeitig hinzugetreten und, soweit sie in den Hss. erhalten sind, als Anhang zum Text von Menge 190ff. herausgegeben worden. Auch die Zählung der Sätze war manchen Schwankungen unterworfen, je nachdem ein Satz in zwei gespalten oder umgekehrt ein früher besonders gezählter Satz mit einem andern zusammengefaßt wurde. Menge Proleg. XLIXf. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1897, 676. Einen Bericht über die im 3. Jhdt. n. Chr. übliche Rezension der Data giebt Pappos synag. VII 638–640, 1. Damals wurden nur 90 (statt 94) Theoreme gezählt. Bis Satz 62 stimmen die Angaben des Pappos mit unseren Ausgaben, dann zeigen sich verschiedene Abweichungen in den Zahlen oder in der Reihenfolge der Sätze. Heiberg Stud. 221ff. Menge Prolegom. Lff. (beide Gelehrte bezeichnen die jetzt als 63. 77. 78 gezählten Sätze als solche, die Pappos nicht vorgefunden hat, während über 72. 86. 87 ihre Ansichten auseinander gehen). Kommentare (ὐπομνήματα) zu den Data hat Pappos nach Marinos (256, 24 Menge) [1044] verfaßt. Vgl. Heiberg Stud. 173. Bald nachher hat Theon seine Textesrezension veranstaltet (o. § 39). Zu Ende des 5. Jhdts. hat Marinos von Neapolis (s. d.), der Schüler und Nachfolger des Proklos, seine Einleitung (προλεγόμενα nach cod. Vatic. 1038, προθεωρία nach einer Beischrift von zweiter Hand im Vatic. 204) zu den Data verfaßt, die in der ältesten Hs., dem Vatic. 204, als Kommentar (ὐπόμνημα) bezeichnet wird. Die Schrift ist als Anhang zu den Data von Hardy und Gregory, zuletzt nach der zuverlässigsten Überlieferung von Menge Eucl. op. VI herausgegeben worden. Heiberg Stud. 39f. 173. Menge praef. VIIIf. 234ff., vgl. über den Titel der Schrift ebd. 234 Anm.
Den Inhalt der ersten vier Definitionen der Data zitiert Procl. in I. elem. 205, 13; vgl. Heiberg Studien 40f. Menge Prolegom. LIIf. Auf die στοιχείωοις τῶν δεδομένων beruft sich Eutokios zu Archim. II de sphaera et cyl. 214, 10 Heib. und nimmt auch 136, 6. 140, 5. 212, 17. 220, 12. 16 auf einzelne Sätze der Data Bezug. Außerdem werden noch einige spätere Autoren, welche die Data zitieren, von Heiberg Stud. 223 zusammengestellt.
Hinzuweisen ist noch auf die zahlreichen Scholien, welche Menge 261ff. aus den in seiner praefatio VIIIff. aufgeführten Hss. herausgegeben hat. Sie sind zum größeren Teile von Heiberg aus dem cod. Paris. Gr. 2348 entnommen worden. Auf die Erwähnung des Apollonios im Schol. nr. 13 haben wir schon hingewiesen. Einige hsl. Fehler in nr. 148f. (p. 300f. Menge) sind von Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1897, 681 berichtigt worden.
41. Die Bedeutung der in den Data angewendeten analytischen Methode tritt recht klar hervor, wenn wir die Sätze des E. algebraisch formulieren. So entwickelt Zeuthen Hist. 126 aus dem 15. Satze die Aufgabe, durch die Proportion zu bestimmen und fügt hinzu, daß man, um ein negatives zu vermeiden, dafür die Gleichung einsetzen könne. Ähnlich sind die algebraischen Formeln festgestellt worden für Prop. 58. 59. 84 von Cantor I2 270 (vgl. Heath Diophantos of Alexandria 140f.), für Prop. 85 von Zeuthen Hist. 127 (vgl. Cantor und Heath a. a. O.), für 87 von Zeuthen a. a. O.
Nach dieser Methode hat sich auch herausgestellt, daß der Text von Proposition 73, dessen Richtigkeit Menge XVI. 139, 1 bezweifelte, fehlerlos überliefert ist. Hultsch Berl. Philol. Wochenschr. 1897, 677ff. Wegen der ungewöhnlichen Schwierigkeiten, mit denen die Erläuterung des Textes verbunden war, sei hier die freiere und durch Einfügung zwischen eckigen Klammern ergänzte Übersetzung des ersten Falles von Proposition 73 wiederholt. Die Figuren sind bei Menge 139 nachzusehen, doch wären sie besser spitz-, bezw. stumpfwinkelig als rechtwinkelig gezeichnet worden: „Wenn von zwei gleichwinkligen Parallelogrammen A und B je ein Winkel gegeben ist und von den diesen Winkel umschließenden Seiten A1, A2, B1, B2 die Seite B2 zu einer anderen, Geraden sich so verhält, wie die Seite A1 zu B1, und wenn ferner zu der ,anderen‘ Geraden in einem gegebenen [1045] Verhältnisse steht, so werden auch die Parallelogramme A, B zu einander in dem gegebenen Verhältnisse stehen.“
„Von zwei Parallelogrammen AΓΒΔ, EZH, deren Winkel AΓΒ, EZH gegeben und einander gleich sind, soll sich, wie die Seite ΓΒ zu ZH, so die Seite EZ zu [,einer anderen‘ Geraden verhalten, d. i. nachdem ich diese ,andere‘ nach Elem. VI 12 als viertes Glied der Proportion ΓΒ : ZH = EZ : x bestimmt und auf der verlängerten Seite AΓ als ΓΚ eingetragen habe, soll sich, wie ΓΒ zu ZH, so EZ zu] ΓΚ verhalten. Es sei aber das Verhältnis ΔΓ : ΓΚ gegeben. Ich behaupte, daß auch das Verhältnis der Parallelogramme ΑΓΒΔ : ZEH gegeben ist.“
„An die Seite ΓΒ werde ein dem Parallelogramm EZH gleiches Parallelogramm ΓΚΘΒ so angelegt, daß AΓ und ΓΚ, mithin auch ΔΒ und BΘ je auf einer Geraden liegen. Da nun ΓΚΒΘ gleich und gleichwinkelig mit EZH ist, so stehen [nach Elem. VI 14] die um die gleichen Winkel liegenden Seiten zu einander in umgekehrten Verhältnissen; es ist also ΓΒ : ZH = ΕΖ : ΓΚ. Es war aber [vorausgesetzt, daß] ΓΒ : ΖΗ = ΕΖ zu der Geraden [sich verhält], zu welcher AΓ ein gegebenes Verhältnis hat [d. i. nach der Konstruktion zu der Geraden ΓΚ]; also ist auch [nach Elem. V 9, 2] das Verhältnis AΓ : ΓΚ gegeben. [Wie aber AΓ : ΓΚ, so verhalten sich nach Elem. VI 1 die Parallelogramme AΓΒΔ : ΓΚΘΒ ]; es ist also auch das Verhältnis AΓΒΔ : ΓΚΘΒ, das ist [weil nach der Konstruktion ΓΚΘΒ = EZH ist, das Verhältnis von AΓΒΔ] zu EZH gegeben.“
42. Unter den zum ἀναλυόμενος τόπος gehörigen Schriften des E. zählt Pappos synag. VII 636, 21 πορισμάτων (βιβλία) τρία auf und gibt darüber ebd. 648–660 einen ausführlichen Bericht, zu welchem der Kommentar Heibergs Stud. 56ff. zu vergleichen ist. Auch Procl. in I. elem. 302, 12 erwähnt ὅσα Εὐκλείδης πορίσματα γέγραφε, γ βιβλία πορισμάτων συντάξας. Nach Pappos 650, 16–20 nimmt das Porisma, das als προτεινόμενον εἰς πορισμὸν αὐτοῦ τοῦ προτεινομένου definiert wird, eine Mittelstellung zwischen dem Theorem und Problem ein. In diesem Sinne äußert sich auch Proklos 301, 25–302, 11. Außerdem findet sich bei Pappos 650, 20–652, 2 eine von den ,Neueren‘ aufgestellte Definition: πόρισμά ἐστιν τὸ λεῖπον ὑποθέσει τοπικοῦ θεωρήματος (s. dazu die Erläuterungen von Heiberg 71f.). Cantor 265ff. kommt zu dem Ergebnis, daß ein Porisma gewissennaßen eine Verbindung von Theorem und Problem war, ein Theorem, welches ein Problem anregte und einschloß. Demnach könne als Porisma jeder unvollständige Satz gelten, welcher Zusammenhänge zwischen nach bestimmten Gesetzen veränderlichen Dingen so ausspricht, daß eine nähere Erörterung und Auffindung sich noch daran knüpfen. Um dies zu erläutern, wählt er das Porisma des E. bei Pappos 652, 20–654, 2, welches in der Sprache der heutigen Geometrie etwa so laute: schneiden die Linien eines vollständigen Vierseits sich in sechs Punkten, von denen drei in einer Geraden liegende gegeben sind, und sind von den drei übrigen Punkten zwei der Bedingung unterworfen, je auf einer gegebenen Geraden zu bleiben, so wird auch der letzte Punkt [1046] eine Gerade zum geometrischen Orte haben, welche aus den vorhandenen Angaben bestimmt werden kann. Es handelt sich hier augenscheinlich um einen geometrischen Ort; doch ist, wie Cantor fortfährt, die Hypothese insofern unvollständig, als die Lage der von zwei Punkten beschriebenen Geraden nicht näher bezeichnet ist. Demgemäß läßt auch die Folgerung an Bestimmtheit zu wünschen übrig; doch kann sie zur vollständigen Bestimmtheit ergänzt werden, indem man die Lage der dritten Geraden als eine Funktion der gegebenen Raumgebilde darstellt. Mit anderen Worten: die Ortsveränderung eines Punktes ist in Abhängigkeit gebracht zu den Ortsveränderungen zweier Punkte, so daß sie der Art nach bestimmt ist, der Lage nach aber erst bestimmt wird, wenn jene Ortsveränderungen der beiden andern Punkte, sowie drei feste Punkte wirklich gegeben sind.
Dieses Porisma wurde, wie Pappos 652, 16–18 mitteilt, in zehn einzelnen Fällen, je nach der Verschiedenheit der Lage der einzelnen Punkte und Geraden behandelt. Mit Recht schließt daher Cantor 267 aus diesem einen Beispiele, daß eine Sammlung von Porismen eine gewaltige Ausdehnung erhalten mußte, wenn die teils als Bedingungen, teils als Ergebnisse in jedem Porisma vorkommenden geometrischen Örter jeder beliebigen Gattung von Raumgebilden angehören durften. Doch hat E. sich auf solche Örter beschränkt, deren Lehre aus seinen Elementen genügend bekannt war. In den beiden ersten Büchern treten nur Gerade, im dritten Buche außer solchen auch Kreise auf. Trotz dieser Beschränkung haben die drei Bücher zusammen 171 Sätze und 38 Lemmata enthalten (Papp. 660, 15f.). Die Sätze des E. hat Pappos 654, 25–660, 14 je nach den Ergebnissen, also abseits der Bedingungen, in 29 Gattungen abgeteilt. Cantor 267, vgl. Heiberg Stud. 72ff.
Im 17. Jhdt. haben Girard und Fermat den Gedanken gefaßt, die Sätze des E. nach dem Berichte des Pappos wiederherzustellen, und später haben Simson und Chasles dies auszuführen versucht. Die Restitution durch Chasles mag in der Hauptsache das Richtige getroffen haben (vgl. Susemihl 713); doch sind im einzelnen gewichtige Bedenken und Ausstellungen erhoben worden. Cantor 264. 267f. Heiberg Stud. 57f. 70. 77ff. Loria II 78ff.
Die ältere Literatur über die Porismen des E. ist von Hultsch zu Papp. synag. VII 649 (vgl. mit Bd. I praef. XVf. XX. XXI) zusammengestellt worden. Les trois livres de porismes d'Euclide, rétablis ... par Chasles sind ebd. XVII angeführt und in Kürze charakterisiert worden.
43. Die Kegelschnitte hat E. in vier Büchern behandelt. Er schloß sich dabei an den um wenig älteren Mathematiker Aristaios an, über dessen Werk ein genauerer Bericht für eine andere Stelle vorgesehen ist, Papp. synag. VII 672, 18–21. 676, 25–678, 8. Schol. zu. Papp. Bd. III 1187, 20. Dem Werke des E. wird von Archimedes außer κωνικά auch der Titel κωνικὰ στοιχεῖα gegeben (s. Apollonios Nr. 112 Bd. II S. 153, 14–21). Über die Stellen, an denen Archimedes den E., und zwar mit Beibehaltung von dessen Terminologie, benutzt hat, vgl. ebd. 153, 14–30. Apollonios scheint in den beiden ersten Büchern seiner Konika [1047] das Hauptsächliche desjenigen Stoffes zusammengedrängt zu haben, den E. in seinen vier Büchern behandelt hatte (ebd. 152, 54–58. 153, 30–42).
Nach dem Vorgange des Aristaios und anderer Mathematiker hat E. Schnitte des spitzwinkligen, des rechtwinkligen und des stumpfwinkligen Kegels unterschieden, Papp. synag. VII 672, 20–25. 674, 12–19. Heiberg Stud. 88. Daß ein Schnitt des spitzwinkligen Kegels, der später von Apollonios ἔλλειψις benannt wurde (s. Bd. II S. 152, 65–153, 1. 154), auch an anderen Kegeln oder an dem Zylinder dargestellt werden kann, ist dem E. nach Phaenom. 561 Gregory wohl bekannt gewesen, Susemihl 751f. (Anm. 220). Wie Zeuthen Hist. 163 bemerkt, läßt sich aus der Benutzung der Kegelschnitte des E. durch Archimedes erkennen, daß der erstere nicht wenig Förderliches zu dieser Lehre beigetragen hat. Man müsse darin nicht nur die Beziehung der Kegelschnitte auf ihre Achsen haben finden können, sowie die daran angeschlossene Bestimmung von Tangenten, konjugierten Durchmessern und Asymptoten, sondern auch die entsprechende Beziehung jener Kegelschnitte auf zwei konjugierte Durchmesser und die bereits dem Menaichmos bekannte Beziehung auf die Asymptoten, endlich auch den sog. Potenzsatz (ebd. 162).
Aus der umfänglichen und verschiedenen Zielen zusteuernden Literatur über die Konika des E. heben wir zum Schluß noch hervor Cantor 274ff. Heiberg Stud. 83ff. Heath Apollonios of Perga p. XXXIVff.; The Works of Archimedes p. LΙΙff. Loria II 84.
44. Als Apollonios im dritten Buche seiner Konika die Theoreme entwickelte, die πρὸς τε τὰς συνθέσεις τῶν στερεῶν τόπων καὶ τοὺς διορισμούς förderlich waren, benutzte er auch einige Sätze aus des E. Untersuchungen über den Ort ἐπὶ τρεῖς καὶ τέσσαρας γραμμάς. Apollon. conic. I 4, 10–16 Heib. Papp. synag. VII 676, 19–678, 25 (an einer teilweise interpolierten Stelle, wo sowohl ein unberechtigter, von Apollonios gegen E. erhobener Tadel wiederholt, als nachträglich E. gegen Apollonios in Schutz genommen wird). Vgl. über die τόποι στερεοί bei Aristaios und Apollonios, die mit dem τόπος ἐπὶ τρεῖς καὶ τέσσαρας γραμμάς sich nahe berühren, Zeuthen Hist. 175ff. Einen στερεὸς τόπος hat auch Heiberg Stud. 84f. in den eben erwähnten Untersuchungen des E. erkannt.
45. Als ein Werk des E. werden ferner von Papp. synag. VII 636, 24 τόπων τῶν πρὸς ἐπιφάνειᾳ (βιβλία) δύο angeführt. Statt ἐπιφάνειᾳ ist hier ἐπιφάνειαν überliefert, doch die erstere Form durch IV 258, 23 διὰ τῶν πρὸς ἐπιφανείαις τόπων gesichert. Vier Lemmata aus dieser Schrift teilt Pappos propos. 235–238 mit. Cantor 274 hält es für wahrscheinlich, daß jene Örter Kurven auf Zylinderflächen, vielleicht auch auf Kegelflächen betrafen. Das Hauptsächliche der Lehre des E. von den Oberflächenörtern, die sich außer auf Zylinder- und Kegelflächen, vermutlich auch auf Kugelflächen bezogen haben, hat Heiberg Stud. 79ff. nach Apollonios, Pappos und Proklos wiederhergestellt. Vgl. auch Loria II 82ff. Heath The Works of Archimedes p. LXIff.
Selbstverständlich hat E. bei diesen Darstellungen die analytische Methode (ἀναλυόμενος τόπος) [1048] angewendet. Papp. synag. IV 258, 22–262, 2. VII 634, 8–11. 678, 8–10. Schol. zu Papp. Bd. III 1186f., vgl. ebd. 1275f.
46. Einen ausführlichen Beitrag hat Pappos im VI., der Astronomie gewidmeten Buche seiner Synagoge zu den Phainomena des E. gegeben (594, 27 εἰς τὰ Φαινόμενα Εὐκλείδου bis 632, 17 ταῦτα μὲν ἱκανὰ τοῦ συντάγματος Εὐκλείδου τῶν φαινομένων ἕνεκεν).
Das Werk enthält in 18 Sätzen die Elemente der Astronomie, Marinos zu Eucl. data 254, 15–19 Menge. Heiberg Stud. 41. Herausgegeben ist es von Gregory in ,Euclidis quae supersunt omnia‘ (o. § 4); als ,Euklids Phaenomene‘ ins Deutsche übersetzt und erläutert von Nokk, Progr. Freiburg 1850. Eine arabische Übersetzung des Al-Tsahirât wird nachgewiesen von Steinschneider ZDMG L (1896) 170f.
Auf einige Interpolationen in dem jetzt verbreiteten Texte weist Heiberg Stud. 47f. hin. Nach demselben 50f. ist im Cod. Vindob. Gr. 103 und vermutlich auch in anderen Hss. eine abweichende, offenbar weit ursprünglichere Redaktion der Phainomena uns erhalten. Vgl. Björnbo Abh. zur Gesch. der math. Wissensch. XIV 57f.
Die Beweise zu den Sätzen der Phainomena sind, wie Heiberg Stud. 47 hervorhebt, durchweg streng mathematisch und exakt geführt, soweit sie echt sind, so daß von dieser Seite nichts zu wünschen übrig bleibt; für den astronomischen Bedarf aber fand man später das Werk unzureichend, Papp. synag. VI 632, 17–22. Das lag aber ohne Zweifel (so fährt Heiberg fort) eher in den starken Fortschritten der Astronomie als in Mängeln der euklidischen Darstellung; für ihre Zeit reichte sie gewiß aus.
Was bei keinem anderen Werke des E. der Fall ist, kommt der Forschung bei den Phainomena zu gute, indem wir zwei Quellen, die er hauptsächlich benutzt hat, nachweisen können. Das ist erstens die Schrift des um wenig älteren Autolykos Περὶ κινουμένης σφαίρας (s. Bd. II S. 2603f.). Heiberg Stud. 41f. Hultsch Ber. Ges. der Wiss. Leipzig 1886, 146ff. Zweitens hat sich herausgestellt, daß es vor Autolykos ein Lehrbuch der Sphärik gegeben hat, das der jetzt noch vorhandenen Sphärik des Theodosios von Tripolis als Vorlage gedient und von diesem zu einem großen Teile wörtlich übernommen worden ist. Wir nennen diese Schrift, deren Verfasser unbekannt ist (man hat an Eudoxos gedacht; doch gibt es dafür keine Beweise), die ,Sphärik des 4. Jhdts‘ Heiberg Stud. 43–46. Hultsch Jahrb. f. dass. Philologie 1883, 415ff. 1884, 366ff.; Praefatio in Autol. XIff.; Ber. Ges. der Wiss. Leipzig 1885, 171f. 1886, 129ff. Aus einer älteren, von Heiberg im Cod. Vindob. Gr. 103 aufgefundenen Rezension der Phainomena hat Björnbo Abh. zur Gesch. der math. Wissensch. XIV 57f. zwei Abschnitte veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß sowohl E. als Theodosios diese ältere Rezension benutzt haber. Darnach hat Björnbo a. a. O. 63. 136 ermittelt, daß von den 60 Sätzen der Sphärik des Theodosios 20 ganz sicher und 14 wahrscheinlich der Sphärik des 4. Jhdts. angehören, während 6 unsicher sind und nur 20 übrig bleiben, über die wir (vorläufig) nichts entscheiden können. [1049]
Zu dem 2., 12. und 13. Theorem der Phainomena (s. Papp. 594, 28. 598, 21. 626, 10) hat Pappos in dem oben erwähnten Abschnitte VI propos. 55–61 einige Ergänzungssätze hinzugefügt und dadurch das Verständnis dieser Teile des Werkes wesentlich gefördert.
47. Zu den mathematischen Schriften des E. zählt Geminos bei Procl. in I. elem. 68, 24–69, 2 die ὀπτικά und κατοπτρικά und rühmt sie als θαυμαστῆς ἀκριβείας καὶ ἐπιστημονικῆς θεωρίας μεστά. Marinos in Eucl. data 254, 20 bezeichnet die erstere Schrift als ὀπτικῆς στοιχεῖα. Sie ist zuerst von Pena, dann von Gregory und Schneider (s. Heiberg Stud. 91), neuerdings zusammen mit der Katoptrik von Heiberg Eucl. op. VII unter dem Titel ,Euclidis optica, opticorum recensio Theonis, catoptrica cum scholiis antiquis‘ aus den ältesten und besten Hss., an deren Spitze der Cod. Vindob. XXXI 13 steht (Praef. p. Vff.), herausgegeben worden. Die Optik enthält 7 Definitionen, 58 Theoreme und Probleme. Das Auge (immer im Singular τὸ ὄμμα, weil das andere Auge beim Beobachten zugedrückt werden soll) wird als ein Punkt betrachtet, von welchem aus geradlinige Strahlen, die zusammen ein Bündel in Kegelform bilden, ausgehen. Daraus folgt, daß verschiedene Figuren dem Auge anders erscheinen, als sie in Wirklichkeit sind. Ferner werden die verschiedenen Entfernungen zweier Figuren, sowie gewisse perspektivische Ansichten in streng geometrischen Formen dargestellt und Entfernungsmessungen gelehrt. Vgl. Cantor 279 (zu Propos. 18–21 Heiberg). Loria III 91ff. (besonders zu Propos. 23–31 u. a. 93ff.).
Zu der Vulgata des Textes der Optik findet sich im Cod. Dresd. D b 86 eine vortreffliche, in mittelalterlichem Latein abgefaßte Übersetzung, die von Heiberg Eucl. op. VII 3ff. neben dem griechischen Texte herausgegeben worden ist. Über eine ähnliche, aber weit weniger sorgfältige lateinische Übersetzung wird ebd. proleg. XXXIIff. berichtet. Zwei arabische Übersetzungen, sowie eine persische und eine hebräische weist Heiberg ebd. XXXII unter Berufung auf Steinschneider nach. Eine andere lateinische Übersetzung hat Björnbo Biblioth. math. III (1902) 71 unter dem Titel ,Liber de aspectibus euclidis‘ im Cod. Paris. 9335 entdeckt.
Außer dem gewöhnlichen Texte der Optik ist in zahlreichen Hss. eine abweichende, zwar vielfach verderbte, aber im ganzen dem ursprünglichen Texte näher kommende Rezension enthalten, die von Theon von Alexandria herrührt. Die Hss. weist Heiberg Eucl. op. VII proleg. XVIff. nach. In dieser Rezension, die derselbe ebd. 144ff. herausgegeben hat, sind die Sätze mit wenigen Ausnahmen dieselben, auch meistens mit denselben Worten ausgedrückt wie in der Vulgata; aber die Beweise sind durchgängig ausführlicher und klarer; namentlich kommt die sorgfältige Form dem Muster der Elemente weit näher, Heiberg Stud. 129, vgl. ebd. 139ff.
Verschiedene Ergänzungen und andere Beiträge zur Optik hat Papp. synag. VI propos. 42–54 geliefert, vgl. Heiberg Stud. 131f.; Eucl. op. VII proleg. XXX. Zu dem 23. Satze der Optik gibt Pappos comment. in Ptolem. synt. (bei Theon in Ptolem. p. 265 Basil.) die wichtige Ergänzung, daß bei der Beobachtung des Mondes [1050] und um so mehr der Sonne der Unterschied zwischen dem Diameter des vom Auge erblickten Kreises und dem Diameter eines größten Kreises des Gestirns verschwindend klein ist. Zu dem 4. und 7. Satze vergleicht Björnbo Abh. zur Gesch. der math. Wiss. XIV 49 Menelaos Sphär. I 30, 2. 33, 1.
Ansehnliche Sammlungen von Scholien sowohl zur Vulgata der Optik als zur theonischen Rezension hat Heiberg Eucl. op. VII 125ff. 253ff. veröffentlicht. Über die dabei benützten Hss. berichtet er ebd. praef. VIIf.
Zu den mathematischen Schriften des E. rechnet Plut. non posse suaviter vivi sec. Epic. 1093 E τὰ διοπτρικά. Da sonst von einer solchen Schrift nichts bekannt ist, so ist wohl anzunehmen, daß Plutarch die ὀπτικά des E. gemeint hat; ist doch zur Lösung von einigen der dort aufgestellten Probleme ohne Zweifel die Dioptra (s. d.) angewendet worden.
48. Eine κατοπτρικά betitelte Schrift des E. wird von Geminos bei Procl. in I. elem. 69, 2 ebenso anerkennend wie die ὀπτικά (o. § 47 z. Anf.) hervorgehoben. Zu den dem Texte vorausgeschickten Definitionen hat eine jüngere Hand im Vatic. Gr. 191 ὅροι κατοπτρικῶν angemerkt und am Ende (hinter Propos. 30) findet sich im Vatic. Gr. 204 Εὐκλείδον κατοπτρικά. Zwei erste Ausgaben, die eine von Pena, die andere von Dasypodius sind im J. 1557 erschienen. An Pena hat sich Gregory angeschlossen, Heiberg Stud. 148. Der besten handschriftlichen Überlieferung ist Heiberg Eucl. op. VII 286ff. (vgl. praef. IX; proleg. XLIIIff.) gefolgt; die Scholien hat er ebd. 347ff. herausgegeben.
Die Erwähnung durch Geminos beweist, daß noch im 1. Jhdt. v. Chr. die Erinnerung an eine Katoptrik des E. lebendig war. Doch mag die Schrift frühzeitig in den Hintergrund getreten sein, da sie von dem gleichnamigen Werke des Archimedes (s. Bd. II S. 536, 50) gewissermaßen aufgesogen worden ist. Was gegenwärtig in den Hss. als Εὐκλείδου κατοπτρικά erhalten ist, wird übereinstimmend von Tannery Géométrie grecque 59ff. Heiberg Stud. 150ff.; Eucl. op. VII proleg. XLIXf. Susemihl 716f. für unecht erklärt. Doch weist Heiberg Stud. 152 mit Recht darauf hin, daß die Katoptrik, obgleich sie als ein Produkt einer viel späteren Zeit zu betrachten ist, doch aus alten Quellen geschöpft ist, die leider nicht mehr nachgewiesen werden können. Vieles deutet darauf hin, daß wir eine Kompilation vor uns haben.
Ein früher dem E. zugeschriebener Traktat ,De speculis‘, hsl. aber als ,Liber Ptolomei de speculis‘ bezeichnet, wird von Schmidt Heronis op. II 306 dem Alexandriner Heron zugeschrieben und ist von ihm ebd. 316ff. herausgegeben und übersetzt worden.
49. Auch Elemente der Musik (κατὰ μουσικὴν στοιχειώνεις) hat E. verfaßt. Ihnen spendet Geminos bei Procl. in I. elem. 69, 3 wegen der scharfsinnigen und wissenschaftlichen Darstellung ein gleiches Lob wie den Optika und Katoptrika (o. § 47f.) und dem Buche περὶ διαιρέσεων (§ 37). Marinos in Eucl. data 254, 19f. zitiert die Schrift als μουσικῆς στοιχεῖα.
Mit Unrecht wurde ihm früher nach einigen Hss. [1051] (v. Jan Musici script. 148 adnot. 179 adnot.) eine εἰσαγωγὴ ἁρμονική zugeschrieben. Der schon von arabischen Mathematikern ausgesprochene Zweifel an der Autorschaft des E. wird dadurch bestätigt, daß darin Duale Vorkommen, während E. in den unzweifelhaft echten Schriften diesen Numerus niemals gebraucht hat. H. Schmidt De duali Graecorum et emoriente et revivescente, Breslauer philol. Abh. VI 4. Vielmehr ist diese Schrift von dem Musiker Kleoneides verfaßt. Heiberg Stud. 9. 53ff. Susemihl 717, 59. Den Text hat v. Jan Musici script. 179ff. herausgegeben.
50. Dagegen ist unzweifelhaft echt die noch erhaltene, der pythagoreischen Theorie folgende κατατομὴ κανόνας. Heiberg Stud. 52f. Susemihl 717. v. Jan Musici script. 115ff. (doch scheidet der letztere das sog. προοίμιον aus, das zwar ganz aus pythagoreischer Lehre geschöpft, aber schwerlich von E. selber geschrieben sei). Nach der besten Überlieferung hat v. Jan den Text ebd. 148ff. herausgegeben und mehrfach durch Anmerkungen erläutert. Die Schrift behandelt die Intervallenlehre und gipfelt in dem Satze, daß die Konsonanz διαπασῶν auf dem Verhältnis 2:1 beruhe und aus den zwei Verhältnissen 3:2 und 4:3 zusammengesetzt sei (v. Jan ebd. 115).
51. Gegen Trugschlüsse der Mathematiker hat schon Aristoteles geschrieben. Heiberg Abh. zur Gesch. der math. Wiss. XVIII 28. Eine ähnliche Tendenz hat die Schrift des E. ψευδάρια gehabt. Geminos bei Procl. in I. elem. 70, 1–18 spendet ihr große Anerkennung. Sie sei ein βιβλίον καθαρτικὸν καὶ γυμναστικόν, in welchem E. die verschiedenen Arten der Trugschlüsse der Reihe nach aufzähle und bezüglich jeder Art unsern Verstand in allerlei Lehrsätzen übe, indem er dem Falschen das Wahre gegenüberstellt und den Beweis des Truges mit der Erfahrung zusammenhält. Vgl. Cantor 263f. Tannery Géométrie grecque 70. Heiberg Stud. 38; Abh. a. a. O. 28f. Zeuthen Hist. 91, 7.
52. Aus dem Manuskript 952, 2 des Supplément arabe der Pariser Nationalbibliothek hat Woepcke Journal asiat., 4e série, XVIII (1851) 217. 219ff. eine Schrift des E. über die Wage herausgegeben und ins Französische übertragen. Das Buch beginnt mit einer Definition und zwei Axiomen; darauf lehren vier Sätze, denen die Beweise beigefügt sind, unter welchen Voraussetzungen je zwei verschiedene, an einen Wagebalken angehängte Gewichte diesen in horizontaler Lage erhalten. Am Ende des arabischen Textes (Woepcke 225. 232) ist bemerkt, daß in einer andern Hs. dieses Buch den Söhnen des Mouça zugeschrieben wird. Verwandten Inhalts, aber in der Form völlig verschieden sind ein aus dem Griechischen übersetztes Fragment ,Euclidis de levi et ponderoso‘, herausgegeben von Herwagen Euclidis opera p. 585f. (wiederholt von Curtze Biblioth. math. 1900, 51ff.) und ein aus dem Arabischen übertragener Traktat ,Liber Euclidis de gravi et levi et de comparatione corporum ad invicem‘, den Curtze a. a. O. aus dem Cod. Dresd. D b 86 veröffentlicht hat. Die beiden letztgenannten Schriften sind sicherlich dem E. abzusprechen. Eher könnte man bei dem Woepckeschen Buche über die Wage für die [1052] Tradition, daß E. der Verfasser sei, eintreten (denn die Anordnung des Stoffes und die Fassung der Sätze und ihrer Beweise ist den echten Schriften des E. nicht unähnlich); doch sprechen dagegen beachtliche, von Heiberg Stud. 11f. angeführte Gründe.
53. Ein im 6. oder 7. Jhdt. verfaßtes Fragment, von dem einige Zeilen im Cod. Arcerianus erhalten sind, zählt unter mehreren namhaften Geometern, deren Gesamtzahl auf 32 angegeben wird, auch den E. auf: euclydis siculus arismetica scribsit, Lachmann Gromat. vet. I 251 adnot. Maass Aratea 122. Auch unter den ,Nomina agrimensorum‘ Gromat. 403 wird Z. 21 Siculi und 32 Euclidis angeführt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Verfasser des Fragmentes mit euclydis den großen Mathematiker und mit arismetica dessen Elemente gemeint hat, aus deren Büchern I–IV Auszüge ebd. 377ff. erhalten sind. Doch steht diese Nachricht zu vereinzelt da und ist zu späten Ursprungs, als daß man danach Sizilien als des E. Heimat annehmen dürfte. Aus Gela hat nach Alexandros ἐν διαδοχαῖς bei Diog. Laert. II 106 der Philosoph E. gestammt, mit welchem unser Mathematiker häufig verwechselt worden ist. Vgl. Heiberg Stud. 22ff. (das ἐθνικόν Siculus im Index zu Pappos synag. 45 b ist zu tilgen).