RE:Ὀξυδράκαι
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Oxydrakai, indischer Volksstamm im 4. Jhdt. v. Chr. | |||
Band XVIII,2 (1942) S. 2024–2032 | |||
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Ὀξυδράκαι, ein indischer Volksstamm, der aus dem Indienzug Alexanders d. Gr. bekannt und in der indischen Literatur belegt ist.
1. Der Namen. Unter der Form O. kommt der Stamm vor bei Arrian. anab. V 22, 2. VI 11, 3. 14, 1. Ailian. var. hist. III 23. Appian. bell. civ. II 152. Lukian. dial. mort. XIV 5; fugit. 6; hist. 31. Paus. I 6, 2. Plut. de Alex. fort. II 13. Philostr. II 33. Ps.-Kallisth. I 2: Ὀξύθρακες. Steph. Byz. s. v. Hingegen verwendet Arrian. Ind. IV 9 die Form Συδράκαι, die bei Diodor. XVII 98, 1. Strab. XV 1, 8 p. 687. 1, 33 p. 701 erscheint; ihr entspricht Sudraci bei Curt. IX 4, 15. 24. 26. Iustin. XII 9, 3. Iul. Val. I 1: Oxydracontae; über Sydraci bei Plin. n. h. XII 24 s. u. Diese letzteren Formen sowie das griechische υ deuten auf einen kurzen u-Laut im Innern, während der Anlaut dem Griechischen zufolge ein indisches kṣ gewesen sein dürfte. Daher ist die vermutete indische Entsprechung Kṣudraka gewiß naheliegend. Ausschlaggebend ist jedoch, daß in den klassischen Berichten der Alexanderzeit die O. als autonomer mit den Malloi zeitweise verbündeter Stamm erwähnt sind; das stimmt zu dem Dvandvakompositum Ksudrakamālava bei Patañjali in seinem (etwa dem 2. Jhdt. v. Chr. angehörenden) Mahābhāṣya IV 2, 45, Vārttika 1f., wo von deren Heer die Rede ist; auch im Epos werden beide Stämme fast immer zusammen genannt. Sonst ist über die Ksudraka in der indischen Literatur so gut wie nichts bekannt, während die Mālava bis ins Mittelalter eine politische Rolle in der Geschichte spielen, wiewohl es zweifelhaft bleibt, ob es sich um den aus der Alexanderzeit bekannten Stamm oder einen Zweig desselben handelt (s. u. 4).
2. Siedlungsgebiet. Bei Arrian. Ind. IV 9 sagt Megasthenes, daß sich der Hydaspes (modern Jhelam) im Gebiete der Sydrakai in den Akesines (Chenab) ergieße, nachdem er im Gebiete der Arispai den Sinaros aufgenommen habe; der Akesines münde im Gebiete der Malloi in den Indos. Bei Diod. XVII 98, 1 und Curt. IX 4, 15 sind die Sydrakai (Sudraci) vor den Malloi genannt, dementsprechend wird die schwere Verwundung Alexanders bei Eroberung der Hauptstadt der ersteren und nicht der Malloi erzählt; bei Iustin. ist die Lage der Stadt unklar. Neben Arrianos gibt Strabon die Sitze der O. an; aber nur ungefähr, indem er zwischen Hydaspes und Indos die Stämme der Siboi, Malloi und Sydrakai anführt. Einen genaueren Anhaltspunkt für die Bestimmung des Siedlungsgebietes der O. glaubt Smith (Journ. R. Asiat. Soc. 1903, 695f.) aus der Notiz bei Plin. n. h. XII 24 herauslesen zu können, wo der pala(e) genannte Baum mit der Frucht aricnae (v. l. ariena) bei den Sydraci, expeditionum Alexandri termino, sich finde und somit auf den Hyphasis (Bias), bis an dessen Westufer Alexander gelangt sei, deute; ferner kann das Vorkommen des Weins bei den Sydrakai [2025] (Strab. XV 1, 8) auf das Vorgebirge des Himālaya im Norden bezogen werden. Demzufolge hält Smith die Lesung Ὺδάσπης bei Arrian. Ind. IV 9 für fehlerhaft statt Hyphasis, wie auch die Angabe, daß der Hyphasis in den Hydraotes (statt in den Indos) münde, unrichtig sei. Der Stelle des Plinius kommt eine so ausschlaggebende Bedeutung nicht zu, da seine in botanischem Zusammenhang erscheinende Angabe nur ungefähr den Schauplatz der letzten Ereignisse auf Alexanders Zug bezeichnet, während die historischen Berichte die O. nicht am Hyphasis ansetzen. Wäre ihr Siedlungsgebiet im Unterlauf des Hyphasis zu suchen, so hätte der von Smith gerügte Fehler bei Arrianos um so weniger geschehen können, als dieser Autor das Gebiet der Astrybai (o. Bd. II S. 1862) als das Flußgebiet des Hyphasis angibt. Die mythologischen Bemerkungen bei Strabon über das Vorkommen des Weins bei den O. können nicht auf die Ausläufer des Himālaya deuten, da damit der Oberlauf des Hyphasis in Betracht käme, eine von Alexander berührte Gegend, ohne daß er auf die O. gestoßen wäre. Geht man den von Arrian. anab. VI 4ff. geschilderten Begebenheiten nach, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Alexander fährt eilends bis zum Zusammenfluß von Hydaspes (Jhelam) und Akesines (Chenab), also muß das Gebiet der Malloi und O., deren Vereinigung er vereiteln will, südlich dieser Stelle liegen (anab. VI 4, 4); das geht nicht nur aus der Fortsetzung der Fahrt in dem breiteren, ruhigen, bereits geeinten Fluß, sondern auch aus dem Befehl Alexanders an Nearchos hervor (VI 5, 4), bis an die offenbar südlichen Grenzen des Mallergebietes weiterzufahren, während er selbst einen Streifzug ins Gebiet der noch nicht unterworfenen Barbaren (etwa der Siboi und Agalassoi) auf 250 Stadien (Curt. IX 4, 4) unternahm, um den Malloi deren Beistand vom Norden (Nordwesten) abzuschneiden. Nach anab. VI 6, 2 ist das erste Lager Alexanders auf seinem Zuge gegen die Malloi und O. an einem kleinen Gewässer in einer Entfernung von 100 Stadien vom Akesines aufgeschlagen worden; da er ein wasserloses Gebiet zu durchqueren hatte, ließ er die Truppen sich mit Wasser versehen und gelangte nach einem Marsch von 400 Stadien, der den Rest des Tages und die Nacht in Anspruch nahm, zur ersten Stadt der Malloi. Deren Gebiet lag somit etwa 500 Stadien vom Ostufer des Akesines entfernt, d. i. etwa 92 km. Nach VI 7, 1 erreicht Alexander den Hydraotes (Ravi); die Malloi stellten sich am Ostufer des Hydraotes zum Widerstand, Alexander überschreitet den Fluß (8, 5), die Malloi wenden sich zurück und fliehen nach Eintreffen der Verstärkungen des Gegners (VI 8, 6f.) in eine befestigte Stadt, bei deren Belagerung Alexander verwundet wird (8, 7ff.). Nach Behandlung der Wunde läßt er sich an das Ufer des Hydraotes und dann flußabwärts bringen ins Lager, das am Zusammenfluß des Hydraotes mit dem Akesines lag (13, 1), wo Hephiaistion mit seinem Heeresteil und Nearchos mit der Flotte ihn befehlsgemäß (VI 5, 5f.) erwarteten; es war nur eine kurze Strecke, die Alexander auf seiner Flußfahrt bis zur Einmündung des Hydraotes in den Akesines zurückzulegen hatte (14, 4). Als Alexander am Hydraotes Halt machte, um sich den Soldaten [2026] zu zeigen und bevor er zum Lager weiterfuhr, kamen nicht nur die Abgesandten der Malloi, die die Unterwerfung ihres Stammes anboten, sondern auch seitens der O. die Häupter der Städte, ihre Nomarchen und 150 der Angesehensten mit der Vollmacht zum Abschluß von Verträgen, mit höchsten Geschenken, und boten die Unterwerfung ihres Stammes an. Sie entschuldigten die späte Entsendung der Boten mit ihrer seit Dionysos unangetasteten Freiheitsliebe, erklärten sich zur Anerkennung des von Alexander einzusetzenden Satrapen, zur Zahlung des Tributs (φόροι) und zur Stellung von Geiseln bereit; Alexander forderte 1000 Mann aus den vornehmsten Familien, die er nach Belieben als Geiseln oder als Mitkämpfer bis zur Niederwerfung der übrigen Inder zu verwenden berechtigt war. Die O. sandten ihm nicht nur 1000 Männer, die besten und größten ihres Stammes, zu, sondern stellten ihm noch freiwillig 500 Streitwagen mit der Bemannung zur Verfügung. Alexander setzte zum Satrapen über die O. und die am Leben gebliebenen Malloi den Philippos ein, entließ die Geiseln, aber behielt die Streitwagen (anab. VI 14, 1–3). Aus dieser Sachlage ist es kaum möglich, mit Sicherheit das Siedlungsgebiet der O. zu bestimmen. Da der Stamm zur Satrapie des Philippos gehörte und die Satrapie an der Einmündung des Akesines in den Indos ihre südliche Grenze erhielt (Arrian. anab. VI 15, 2), müssen die zur Satrapie gehörenden O. nördlich dieses Punktes gesessen haben. Die Malloi siedelten jedenfalls in der Gegend des Zusammenflusses des Hydaspes und Akesines, wie sich auch aus VI 4, 4 und Ind. IV 10 ergibt, bis jenseits des Hydraotes. Das obere Flußgebiet des Panjab kommt für das Siedlungsgebiet der O. nicht in Frage, weil zwischen Hydraotes und Hyphasis die Kämpfe sich abgespielt hatten (V 22ff.), an denen die O. nicht beteiligt gewesen waren. Anab. VI 11, 3 heißt es, daß Alexanders Marsch durch die wasserlose Gegend den Zuzug der O. verhindern sollte; diese wasserlose Gegend soll das Gebiet ,von den Ufern des Akesines bis zu dem des Hyarotis bei Tolumba‘ sein (Lassen Ind. Alt. IΙ2 179, 1); Cunningham (Ancient Geogr. of India, Calcutta 1924, 240) hält den Āyak für das kleine Gewässer, an dem Alexander 100 Stadien vom Ostufer des Akesines entfernt den ersten Halt machte, die wasserlose Gegend wird San arbār genannt (vgl. auch Smith a. O. 689f., 2). Da bei einem Zuzug aus Osten, also vom Hyphasis her, diese wasserlose Gegend nicht vor den O. hätte durchquert werden müssen, damit sie weder den Malloi Beistand leisten oder erhalten konnten (Arrian. anab. VI 11, 3), kommt als Siedlungsgebiet der O. die Gegend in nordöstlicher Richtung des zwischen Āyak und Hydraotes gelegenen Rechnā Doab (das zwischen Chenab und Ravi von 71° 50'–75° 3' ö. L., 30° 35'–32° 50' n. Br. sich erstreckt) in Betracht. Wenn es auch kein verläßliches Argument für diese Annahme darstellt, kann dennoch auf Diod. XVII 98, 2 verwiesen werden, der von dem bald in die Brüche gehenden Bündnis der Malloi und O. berichtet, worauf sich beide Stämme in ihre nahe gelegenen Städte begeben haben; das spricht doch dafür, daß auch die Städte der O. sich unfern der um den Hydraotes [2027] siedelnden Malloi befunden haben müssen. Endlich ist auf Arrian. anab. V 22, 3ff. zu verweisen, wo von den Kämpfen gegen die Adraïstai und Kathaioi im Gebiete des Hydraotes bis zum Hyphasis die Rede ist, aber weder die Malloi noch die O. waren an ihnen beteiligt, sie werden nur (V 22, 2) als den Kathaioi an Kriegstüchtigkeit gleichwertig bezeichnet.
Mit der Frage nach dem Siedlungsgebiet der O. ist die Frage nach anderen ähnlichen Namen in der Überlieferung verknüpft. Auszugehen ist am besten von der Notiz des Plinius n. h. XII 24, nach der die Sydraci den Endpunkt der Expedition Alexanders d. Gr. bezeichneten, die somit am Hyphasis (Bias) gesucht werden müßten. Smith (695, 1) hat den bei Plinius pala(e) genannten Baum mit dem jack, Artocarpus integrifolius, identifiziert, während die Blätter irrtümlich die der Musa seien; er hält pala(e) für Tamil palā ,jack‘, in den Früchten ariena sieht er das Teluguwort für Banane. Bretzl (Botan. Forsch. d. Alexanderzuges 191ff. 298f.) hat in Strauch und Frucht die Musa sapientium, d. i. die Banane, erkannt. Da nun, die Richtigkeit der Deutung vorausgesetzt, die einheimischen Namen dem Süden Indiens entstammen, und zwar palā nur an der Malabarküste zuhause ist (s. Leumann bei Bretzl 372, 54), so kann Plinius’ Nachricht nur zum Teil auf die Alexanderzeit zurückgehen und ist für die Bestimmung des Siedlungsgebietes der O. nicht verwendbar, da er hier einen Bericht aus seiner Zeit mitbenützt haben muß. Die Form Sydraci steht Συδράκαι bei Arrian. Ind. IV 9 nahe; daß der ihr Gebiet angeblich durchfließende Hydaspes nicht zu dem wasserlosen Gebiet stimmt, ist um so verdächtiger, als Arrianos in anab. durchweg die Form O. verwendet, außer man schreibt diese den Alexanderhistorikern, jene einer anderen Quelle, Megasthenes, zu. Diod. XVII 98, 1f. nennt die O. gleichfalls Συδράκαι sowie Strab. XV 1, 8. 33; dem entsprechen die lateinischen Formen Sydraci (Plin.) und Sudracae (Curt.); Plin. n. h. VI 92 nennt Sydraci in der Nähe der Arii, Dangalae usw., sie gehören aber mit den Σύδροι des Ptolem. VI 20, 3 in die Gegend zwischen Gedrosien und Indos, an welch letzterem Fluß er VII 1, 61 eine Stadt Σύδρος anführt (vgl. u. Bd. IV A S. 1016. Marquart Unters. z. Gesch. v. Eran II 178). An der ersten Ptolemaiosstelle sind die Sydroi nach dem nördlichen Arachosien versetzt, vielleicht erklärt dies die rätselhafte Angabe bei Curt. IX 7, 14 über die Tributzahlung der Malli und O. an die Arachosier, wo also eine Verwechslung mit den Sydroi vorläge. Die bei Strab. XV 1, 6 p. 687 erwähnten Ὑδράκαι, die den Persern Kriegsdienste geleistet hätten und aus Indien stammten (vgl. o. Bd. IX S. 53), können mit den O. nichts zu tun haben, wiewohl sie als Volk Ὑδράκης neben den Sibai bei Nonn. Dionys. XXVI 218 genannt sind (vgl. noch Steph. Byz. nach Dionys. Bass. s. Ὑδάρκαι); und ebenso scheiden die Oxyttagae, v. l. Oxydracae, bei Plin. n. h. VI 48 hier aus, wie die Ὀξυδρᾶγκαι in Sogdien bei Ptolem. VI 12. 4. Die Syaraci des Plin. n. h. XII 24, in deren Gebiet die Expedition Alexanders d. Gr. geendet haben soll, wären somit die O. am Hydraotes, nicht am Hyphasis. Anspach (De Alex. M. exp. [2028] Ind. II 44, 267) sieht in ihnen die Anwohner des Plin. n. h. VI 63 Sydrus (Hesydrus, Hesidrus, d. i. Sutlej) genannten Flusses. Wenn man so weit geht, wie Bretzl 170f. 299 es tut, die auf den Banyanbaum sich beziehende Beobachtung des Aristobulos (FGrH 139 F 36f. bei Strab. XV 1, 21 p. 694) im Gebiete des Zusammenflusses von Akesines und Hydraotes (am Akesines bei Theophr. h. pl. IV 4, 4; im Lande des Musikanos bei Onesikrit. FGrH 134 F 22) auch auf die Banane auszudehnen, so konnte ein oberflächlich arbeitender Plinius recht wohl die Expedition Alexanders gegen die Sydraci als die letzte im östlichen Gebiet Indiens bezeichnen; dabei ist nicht zu übersehen, daß Alexander gar nicht in ihr Gebiet gekommen, sie vielmehr aus ihren Sitzen Gesandte zu ihm geschickt haben. Somit können die Sydraci das Volk um den Hydraotes auf Grund der dort erfolgten Beobachtung des Aristobulos sein; dafür ließe sich noch die Übereinstimmung von Aristobulos bei Strab. XV 1, 21: λέγει δὲ ὁ Ἀριστόβουλος καὶ ἄλλο δένδρον οὐ μέγα ... τοὺς δὲ φαγόντας οὐ ῥᾳδίως σώζεσθαι mit Plin. n. h. XII 24: est et alia similis huic, dulcior pomo, sed interaneorum valetudini infecta. edixerat Alexander ne quis agminis sui id pomum attingeret anführen. Auf der anderen Seite ist die Überlieferung des Namens der Bananenstaude und seiner Frucht, der nur an der Malabarküste zuhause ist, für die Zeit des Alexanderzuges, bzw. für Aristobulos verdächtig, so daß die Nachricht des Plinius eine Kontamination aus der Alexanderzeit und seiner eigenen sein dürfte, die für die Lokalisierung der O. nur mit der Einschränkung durch seine Ungenauigkeit benutzbar ist. Schon gar nichts mit den O. haben die Σκόδροι (Σκύδροι) bei Dion. Per. 1042 zu tun (vgl. u. Bd. III A S. 557f. GGM II 173f.).
3. Geschichte und Ethnographie. Wie bemerkt, ist Alexander nur mit den Abgesandten der O. und ihren Geiseln in Berührung gekommen, hat ihr Land gar nicht betreten. Die O. gehörten, wie Arrian. anab. V 22, 2 andeutet, zu den autonomen Stämmen Indiens; ihre Verfassung läßt sich aus anab. VI 14, 1 erschließen, wo von ἡγεμόνες τῶν πόλεων καί οἱ νομάρχαι αὐτοὶ καὶ ἄλλοι ἅμα τούτοις ἑκατὸν καὶ πεντήκοντα οἱ γνωριμώτατοι αὐτοκράτορες περὶ σπονδῶν die Rede ist. Somit hätte der Stamm einige Städte besessen, an deren Spitze ἡγεμόνες (vgl. βασιλεῖς bei Strab. XV 1, 8), die mit Rücksicht auf die Kriegstüchtigkeit des Stammes (vgl. V 22, 2) wahrscheinlich ihre obersten Befehlshaber waren, standen; ferner besaß der Stamm einige Gaue, die durch Nomarchen verwaltet wurden; die Vertreter der höchsten Schichten bildeten offenbar eine Art Rat. Die Größe des Stammes ist unbekannt: aus der Zahl der 150 Vornehmsten, der Zahl der 1000 Geiseln und der Beistellung von 500 Streitwagen darf man schließen, daß die O. kein kleiner Stamm waren; bei Diod. XVII 98, 1 wird die Gesamtstärke der Malloi und O. auf mehr als 80000 Mann zu Fuß, 10000 Reiter und 700 Streitwagen angegeben, bei Curt. IX 4, 15 sind es 90000 junge Leute zu Fuß. 10000 Reiter und 900 Streitwagen; bei Iustin. XII 9, 3 haben die Mandri und Sudracae 80000 Mann zu Fuß, [2029] 60000 Reiter (es ist ganz klar, daß es sich hier um die Malloi und O. handelt, es ist daher v. Gutschmids Ablehnung [Rh. Mus. XII 265, 1] der Lesung Mallos als ,naive Verbesserung‘ nicht berechtigt). Nach derselben Quelle, Curtius, pflegten die Malloi und O. miteinander Krieg zu führen, hatten sich aber gegen Alexander diesmal verbündet; beide Stämme waren die mächtigsten, die unverdrossen den Kampf vorbereiteten, ihren Führer wählten sie seiner hervorragenden Tüchtigkeit wegen aus dem Stamme der O. (IX 4, 24), doch gingen sie schon wegen der im Angesicht des gemeinsamen Gegners wiedererstandenen Feindseligkeit auseinander und flohen in die Berge (vgl. Anspach III 16f., 319). Diod. XVII 98, 1 berichtet von der Feindschaft zwischen den Malloi und O., daß sie aber beim Einfall Alexanders sich miteinander versöhnten und, um das Bündnis zu bekräftigen, 10000 Jungfrauen austauschten, trotzdem kam es zu keiner gemeinsamen Kriegshandlung, da wegen der Wahl des Führers eine neuerliche Entzweiung entstand und die beiden Stämme sich in ihre nahe gelegenen Städte zurückzogen. Droysen (178) meinte, daß diese Angabe durch Alexanders Operationsplan einige Bestätigung erhalte; sein schnelles Vorgehen gegen die Malloi sollte doch die befürchtete Verbindung mit den O. und anderen Stämmen verhindern, würde also eher für das Bestehen eines Bündnisses sprechen. In Wirklichkeit ist weder der Darstellung bei Diodoros noch der besonders bei Curtius ausgeschmückten viel Glauben zu schenken. Dem Sachverhalt entspricht die Schilderung des Vorgehens Alexanders und die Angabe bei Arrian. anab. VI 11, 3, daß die Malloi erst nach ihrer Vereinigung mit den O. sich Alexander stellen wollten, aber durch Alexanders schnellen Anmarsch weder von den O. Hilfe erhalten noch ihnen leisten konnten. Arrian nimmt hier auch Stellung gegen die (bei Curt. IX 4, 26ff. Lukian. dial. mort. XIV 5. Plut. de Alex. fort. II 13, 343 E gegenüber Alex. 63 und de Alex. fort. I 2. II 9. Appian. bell. civ. II 152. Paus. I 6, 2. Steph. Byz. s. O. vorliegende) Überlieferung, daß Alexanders Verwundung bei der Belagerung der Hauptstadt der O. und nicht, wie es richtig ist, der Malloi erfolgt sei; ferner gegen andere Lügenberichte, besonders gegen die Unterstellung, daß Ptolemaios Alexander bei seinem tollkühnen Sprung von der Mauer in die Stadt der Malloi mit seinem Schild gedeckt und deshalb den Beinamen Σωτήρ erhalten habe (VI 11, 8; s. Steph. Byz. a. O.). Bei Curt. IX 7, 12–14 ist die Unterwerfung der O. (Sudraci) und Malli ausgeschmückt: sie schicken zusammen (also nicht die O. allein) 100 durch Körpergröße und glänzende Haltung ausgezeichnete Abgesandte, gekleidet in linnene Gewänder, die mit Gold durchwirkt und mit Purpur verziert sind, auf Wagen zu Alexander; er nimmt ihre Unterwerfung an und erlegt ihnen einen Tribut auf, den beide Stämme den Arachosiern (!) zahlten, außerdem die Beistellung von 2500 Reitern; dann lädt er sie zu einem prächtigen Mahl ein (IX 7, 15ff.), bei dem der Zweikampf zwischen Dioxippus und Corratas (vgl. Berve D. Alexanderreich II nr. 284. 445) stattfand. IX 8, 1f. kehren die von Alexander entlassenen Gesandten nach [2030] wenigen Tagen mit Geschenken zurück: 300 Reiter (von den 2500 ist nicht mehr die Rede), 1030 Streitwagen, die mit vier Pferden bespannt sind, linnene Kleider, 1000 indische Schilde, 100 Talente ferri candidi, d. i. Stahl (vgl. Bd. III A S. 2132, so auch Smith Early Hist. of India4 102, 1), gezähmte Löwen, Tiger, ferner Eidechsenhäute und Rückenplatten von Schildkröten. Über die Zuordnung der O. zur Satrapie des Philippos s. o.
4. Die indischen Quellen. Die Wiedergabe des Namens der O. im Indischen durch Kṣudraka (wörtlich ,klein‘, vielleicht auch übertragen wie kṣudra ,gemein, niedrig‘; zur sprachlichen Form s. R. O. Franke Pāli u. Sanskrit 70f. 73) beruht auf der Wahrscheinlichkeit der Lautentsprechung (s. o.) einerseits, auf der Verbindung dieses Volksstammes mit den Mālava, die das indische Äquivalent der Μαλλοί bilden dürften, andererseits. Im Epos (Mahābhārata II 52, 15. VI 51, 16. 87, 7. VII 70, 11) treten die Kṣudraka und Mālava im Kompositum auf (VIII 5, 48 nur im gleichen Vers), das besonders im Mahābhāṣya des Patañjali belegt ist (darüber schon A. Weber Ind. Stud. XIII 374f., vgl. auch V. Sharana Poona Orientalist I 4, 1ff.). Zu IV 2, 45, Kār. 2 und Vārtt. 1 wird das Dvandvakompositum vom Heere der Kṣudraka und Mālava gelehrt, das, während alles andere auf die beiden Stämme gemeinsam sich Beziehende Kṣaudrakamālavaka heißt, als Kṣaudrakamālavī sc. senā ,Heer‘ zu bilden ist. Zu I 1, 24, Vārtt. 3. I 4, 21. V 3, 52, Vārtt. 3 wird angeführt, daß von den Kṣudraka allein ein Sieg errungen worden ist, was indirekt auf die sonst gewöhnliche Verbindung mit den Mālava zu deuten scheint. Der vor dem 7. Jhdt. n. Chr. zu datierende Kommentar Kāśikā nennt (zu Pānini V 3, 114) unter den vom Waffenhandwerk lebenden Vereinigungen gleichfalls beide Stämme der Kṣudraka und Mālava.
Willkürlich ist die Annahme Cunninghams (234), daß für Po-lo-fa-to bei Hiuen Tsang So-lo-fa-to zu lesen sei, welch letzteres Wort Soravatī, modern Shorkot (72° 8' ö. L., 30’ 48' n. Br.) entsprechen und daß der chinesische Name die O. darstellen soll (vgl. 236); derselbe Forscher setzt 246ff. auseinander, der Name des Gebietes im Doab bei Ajudhan, Surätdes, erinnere an die Syrakusai (für O.) bei Diodoros, er glaubt daher, daß Ajudhan und das 28 engl. Meilen nordöstl. gelegene Depālpur (Dīpālpur, 73° 32' ö. L., 30° 40' n. Br.) zwei Hauptstädte der O. gewesen seien. Damit bringt er die Nachricht bei Strabon über die angebliche Abstammung der O. von Dionysos und die Nachricht des Chares von Mytilene (FGrH 125 F 17 bei Athen. I 48 p. 27 D) von dem indischen Gott Σοροάδειος in Verbindung und schließt, daß die O. sich Surāka, d. i. Nachkommen des Sura (! surā ist ein berauschendes Getränk), der dem Dionysos entsprechen soll, genannt haben, während der Sanskritnamen Arāṣṭraka, wie er sich in Iustins Arestae (XII 8, 9: Adrestae) gut erhalten habe, war. Diese Phantasien sind als wertlos zu betrachten, weil sie sprachlich und sachlich nicht stimmen, ebenso ist Cunninghams Bestimmung der Sitze der O. (248) unter Annahme einer Verwechslung der Sorii mit den Sobii des Curtius, womit die Sibi [2031] (IX 4, 11) gemeint seien, und die Ausdehnung ihres Gebietes bis zur Stelle, wo Alexander am alten Bett des Sutlej die Altäre errichtet haben soll, bei Harikipattan, eine auf Kombination mit Namen beruhende Gewalttätigkeit.
Etwas mehr wäre über die Mālava aus indischen Quellen zu sagen, falls ihre Identifikation mit den Malloi (s. o. Bd. XIV S. 913), wie anzunehmen, berechtigt ist; ihre spätere Geschichte, als sie das nach ihnen benannte Gebiet Mālava (modern Mālwā) oder das Reich von Avanti (vgl. Art. Ὀζήνη) besiedelten, ist durchsichtiger, allerdings wieder unter der Voraussetzung, daß die in Mittelindien sitzenden Mālava wenigstens ethnisch mit den zur Alexanderzeit im Panjab ansässigen Mālava verwandt sind. Die Forschung hat eine Wanderung der Mālava aus ihren ursprünglichen Sitzen im Panjab ins Mittelland angenommen (vgl. Banerji Annals Bhandarkar Or. Res. Inst. XIII 218ff. Banerji-Sastri Journ. Bihar and Orissa Res. Soc. XXIII 287ff., vgl. aber Rapson Journ. R. Asiat. Soc. 1900, 542. Allan Catal. of the Coins of Ancient India, London 1936, CIVff.). Bemerkenswert ist im Hinblick auf die autonome Verfassung der Malloi, daß inschriftlich die oligarchische Verfassung der Mālava belegt ist (vgl. Stein Megasthenes u. Kautilya 231, 4. Jayaswal Hindu Polity I 68ff. Shembavnekar Journ. of Indian Hist. X 143ff.).
Unter den ,Beweisen‘ der Abstammung der O. von Dionysos verweist Strab. XV 1, 8, vgl. 33, ohne sie anzuerkennen, nicht nur auf das Vorkommen des Weins bei den O., sondern auch auf die prächtigen Aufzüge, die bakchischen Ausfahrten der Könige und die übrigen Aufzüge unter Paukenbenützung und Verwendung bunter Kleidung; er selbst fügt hinzu, daß dies auch bei den anderen Indern verbreitet sei, was Megasthenes für das östliche Indien (Magadha) im Prasierlande berichtet (Strab. XV 1, 54f. vgl. 58. 71). Die in XV 1, 8 vorangehende Notiz über Nysa und die folgende über den Aornosfelsen und die Sibai, die Nachkommen des Herakles sein sollen, dürften für diese Nachricht über die O. verantwortlich sein. Vielleicht ist sie nicht ganz aus der Luft gegriffen und stellt nur die griechische Umformung eines indischen Tatbestandes vor. Bei Pāṇini V 3, 114 wird gelehrt, wie der Namen einer zu den Vāhīka gehörenden vom Waffenhandwerk lebenden Verbindung, wenn unter dieser nicht Brahmanen und Rājanya (Adelige) gemeint sind, zu bilden ist. Die Kāśikā führt zu dieser Regel als Beispiele auch die Bildungen von Ksudraka und Mālava an, also rechnete man diese Stämme wie andere Stämme des Panjab, besonders die Madra, zu den Vāhīka. Diese standen in schlechtem Rufe, den Frauen wird Trunksucht nachgesagt (– allerdings ist ihr Rauschtrank nicht Wein, sondern saurer Reisschleim), sexuelle Zügellosigkeit, Tanz, Gesang bei den Festen, ihre Kleidung sind Wolldecken und Felle, dies und manches andere wird als charakteristische Eigenschaft hervorgehoben (vgl J. J. Meyer D. Weib im altind. Epos 95ff.). Diese Stämme des Panjab galten dem orthodoxen Brahmanentum nicht nur ihrer Sitten wegen als außerhalb der Gemeinschaft stehend, sie waren es vielleicht [2032] ethnisch, jedenfalls religiös und sozial, da sie als Söldnertruppen sich verdingten und nicht von Königen regiert wurden. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Nachricht über die O. nicht ganz unglaubwürdig.