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Artikel „Roquette, Otto“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 469–478, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Roquette,_Otto&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 02:29 Uhr UTC)
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Roquette: Otto R., Dichter, wurde am 19. April 1824 in dem Posenschen Städtchen Krotoschin geboren. Der Vater Louis, daselbst Landgerichtsrath, wurde bald als Justiz-Commissarius (d. i. Advocat) nach Gnesen, 1833 nach Bromberg versetzt. Er gehörte, gleich seiner Gattin Antoinette Barraud aus der Berliner „Französischen Colonie“, einer hugenottischen Refugiéfamilie Frankfurts a. d. Oder an, und hier, im Hause des Großvaters R., des reformirten Pfarrers, sowie auf dem Gymnasium erhielt der von früh an zart, fast schwächlich gebaute Knabe die Erziehung. Früh entfaltete sich in ihm Sinn für die Nothwendigkeit deutschen Bewußtseins im doppelten Flankenangriffe des Slaven- und des Wälschthums. Die polnischen Nachbarn, Mitschüler, Lehrer mit ihrer ganzen Un- und Halbcultur hinterließen nur unangenehme Erinnerungen, ja manch herben Stachel in ihm, und die südfranzösischen Traditionen ließ schon der Vater, als preußischer Husar 1815 mit in Paris eingezogen, auf sich beruhen. Otto blieb, politisch wie confessionell unter Gegensätzen und Mischungen aufgewachsen, jeder Fractionsschroffheit, jedem Chauvinismus fern: er hat die übernommene Nationalität ohne Auftrumpfen in Ehren gehalten und ihr später in poetischen Aeußerungen eines aufrichtig deutschen Herzens – den Gedichten „Aus großer Zeit. 1870–71“ – den Tribut schönster Dankbarkeit erstattet. Jenes Verhältniß der in Preußen eingewurzelten Calvinisten von 1685 zur Rabenmutter Frankreich, vom Siebzigjährigen einleuchtend dargethan, bricht mittelbar wohl noch in der späteren Dramatisirung des Exils der „Protestanten in Salzburg“ (1867) durch, zumal wenn man sich zurückruft, daß Goethe’s „Hermann und Dorothea“ diesen Stoff auf die Wanderung der vom Westen her vor den „Franken“ Fliehenden verpflanzt hatte. Einen romanischen Tropfen würde man in dem Weine, der seinem Kelche entquoll, vergebens suchen; es müßte denn sein, im beweglichen Walten einer überaus regen Phantasie.

So ist ihm allmählich auch Südwestdeutschland der immer theurere Strich deutschen Bodens geworden. Dessen gottgesegnetsten Landschaften, die er in „Waldmeisters Brautfahrt“ sinnfällig geschildert, die Schweiz und Oberitalien hat er als selbständig gewordener Jüngling durchstreift, nicht zum Schaden seiner gemach reifenden Erstlinge. Die Apenninenhalbinsel freilich genauer kennen zu lernen, was ihm noch 1894 eine öffentliche Ehrengabe ermöglichen sollte, diese langgehegte Sehnsucht ward ihm nie erfüllt. Dafür aber der [470] anfangs sich zerschlagende Wunsch akademischer Wirksamkeit eben im deutschen Südwesten, länger als ein Vierteljahrhundert zwar, doch allerdings spät genug. Seit 1845 besuchte R. die Universitäten Berlin (zwei Mal), mit sonderlichem Behagen Heidelberg, Halle, nach anfänglicher unfreiwilliger Probe mit dem Rechtsstudium der Geschichte, Philosophie und neuerer, voran deutscher Litteratur sich widmend. Zuletzt landete er, nach aufregenden Erlebnissen zwischen den Capriccios der Berliner revolutionsfreudigen Studentenschaft, aus denen er nach Jahrzehnten amüsante und düstere Abenteuer seinen Erinnerungen entlockt hat, „an der Saale hellem Strande“ und feierte daselbst in der Mansarde der „Mitreuterei“, einer fidelen Studiobude, mehrere Semester eine selige Idylle. Nicht alltägliche Geister reichten sich dort die Hand zu anregender Gemeinschaft, so sehr auch später ihre Bahnen sich trennten: der berühmte Augenarzt Alfred Gräfe der Jüngere, der nachherige spätere Universitätsrichter Julius Thümmel, welchem selbständigen Shakespeare- und Musikästhetiker (1818–85) R. innigse Gedenkworte (in der „Nationalzeitung“, dem einzigen Fleck, wo er im letzten Jahrzehnt publicistische Augenblicksregungen bethätigte) nachgerufen hat, der spätere preußische Oberhofprediger Rudolf Kögel, der ausgezeichnete Mime und Dramaturg August Förster, die 1893 hochbetagt geschiedene Luise v. François im nahen Weißenfels, „die letzte Reckenburgerin“, u. a. in der Anfängerschaft ihrer Berufe. An diesen Kreis, an sein harmloses und dennoch tiefgreifendes Zusammenwirken bewahrte R. ein treues Gedächtniß, wie die köstlichen Erinnerungsblätter deutlich belegen, und so winkt er am Ende von deren erstem Theile dieser „unvergeßlichen Zeit meines Lebens“ den Abschied zu. Ist doch auch in jenem burschikosen Verkehr die leichtbeschwingte Dichtung entstanden, die in Heidelberger Reminiscenzen fußte und durch Cotta’s Verlagsübernahme dem jungen Poeten eine hochrenommirte Buchhandlung als dauerhafte Stütze zur Verfügung stellte: „Waldmeisters Brautfahrt“. Obwohl zunächst auf eine Habilitation als Privatdocent lossteuernd, nachdem er 1851 (mit einer nie gedruckten Dissertation über die Entwicklung des Dramas – also entsprechend Gustav Freytag’s lateinischer Habilitationsschrift von 1839 – bezw. über die Hamburger Oper des 17. und 18. Jahrhunderts) in Halle promovirt, nahm er geringe akademische Einflüsse mit ins Philisterium hinüber; sogar von Robert Prutz, der damals in Halle Extraordinarius und Verfechter einer socialen Litteraturwissenschaft radical-belletristischen Anstrichs war, nur ganz allgemeine: R. betrachtete, zwar lediglich auf Prutz’ Ernennung dorthin übergesiedelt, seit Anbeginn das „schöne Schriftthum“ von der Warte des Künstlers, während Prutz den dichterischen Versuchen seines ersten Hörers wenig grün war. Der Historiker Heinrich Leo, der die Einen durch reactionäre Doctrin, die Andern durch philologischen Betrieb abstieß, ward in Halle ebensowenig sein Mann wie Herm. Ulrici, der formalistische Kathederästhetiker über die alten Griechen, Shakespeare und Calderon.

Nach der erwähnten Spritzfahrt ließ sich R. 1852 in Berlin nieder, wo er dem „Tunnel über der Spree“ als Gast angehörte und mit dichterischen Collegen wie Chr. F. Scherenberg, Fontane, dem ihm aus den studentischen Putschen her bekannten Paul Heyse freundschaftlich anknüpfte. Besonders den feinen Köpfen Frdr. Eggers, dem Gründer des „Deutschen Kunstblatts“, und Wilh. Lübke, dem er später für kunsthistorische Impulse sein litterargeschichtliches Hauptwerk zugeeignet hat, schloß er sich an. Franz Kugler, in dessen Haus er öfter kam, Julian Schmidt, Varnhagen von Ense, auch die Birch-Pfeiffer lernte er damals näher kennen, und er berichtet über den Umgang mit ihnen sammt dem späteren mit Gutzkow, den Schwägern Lazarus und Steinthal, D. Fr. Strauß, Fr. Vischer, Scherr, Semper, Schnorr v. Carolsfeld, [471] Ernst Rietschel, Frdr. Preller, dem er 1883 ein gediegenes „Lebensbild“ schuf, wahrheitsgetreu. 1853–56 wirkte er als Lehrer für Deutsch und Geschichte am Blochmann’schen Institut, das dann im Vitzthum’schen Gymnasium aufging, zu Dresden, und in diesem Triennium begeisterungsarmer pädagogischer Praxis spielte sich ein Liebesromann mit Julie, der sensiblen Tochter aus der gleichgestimmten Familie des dichterisch thätigen Naturwissenschaft-Professors an der Fürstenschule zu Meißen Adolf Peters (s. A. D. B. XXV, 481) ab, der zu einem bald gelösten Verlöbniß führte. Darauf nahm er, infolge einer wegen tödlicher Krankheit des Vaters gewagten Urlaubsüberschreitung entlassen, zum vierten Male in Berlin Aufenthalt, zunächst eindringlichen fachwissenschaftlichen Studien und erzählender Production hingegeben, bis er 1862 als Docent der Litteraturgeschichte und deutschen Stilistik an der Kriegsakademie angestellt wurde. Diese ihm wohl zusagende Stellung verlor er schon 1863, da er in einer Stichwahl zwischen Feldmarschall Wrangel und dem Oppositionsführer Waldeck für diesen gestimmt hatte, doch kaum, wie er meint, infolge Einspruchs des bekannten Geheimraths Ludwig Wiese. Im Winter 1864 auf 65 hielt er öffentliche Vorlesungen über deutsche Litteratur des 18. Jahrhunderts, während er zu Michaelis 1867 mit starkbesuchten Vorträgen in deutscher Sprache und Litteratur an der königlichen Gewerbeakademie einsetzte.

Erst im Frühling 1869 gelangte der 45jährige mit der Berufung als Professor der Geschichte, Litteratur und deutschen Sprache am Polytechnikum zu Darmstadt in eine seinem Streben angemessene Thätigkeit, der er sich nun mit Lust und Liebe unter allseitiger Anerkennung widmete, indem er dabei das Aussteigen der Anstalt von einer ziemlich haltlosen gewerblichen Mittelschule zur wirklichen Technischen Hochschule bewußt förderte. Als sein officielles Fach trat dabei die Litteraturgeschichte immer mehr in den Vordergrund. Jahre lang wirkte er auch als deren Bibliothekar und oftmals auch als amtlicher Gelegenheitssprecher. Seit einem Vierteljahrhundert stehe er, drückt sich seine Rückschau beim 70. Geburtstag aus, in einem ziemlich engen Kreis, über den der weite Himmel der großen Welt aber doch auch ausgespannt sei. Von den Amtsgenossen und der Hörerschaft, von seinen Mitbürgern und dem Landesfürsten hochgeehrt, beging R. am 19. April 1894 dort diesen 70. Geburtstag, gleichzeitig das Silberjubiläum seines Postens, im traulichen Heim an der lenzprangenden „Promenade“ (seit 1895 Bismarckstraße) der hessischen Residenz. Die jüngste der vier Töchter des Hauses, Toni, ganz in ihn eingelebt, vertrat die Wirthin. R. hat nämlich nach einer heißen Studentengluth für eines Freundes Weib, nach dem Seelenconflict, der ihm gewogenen Gattin eines Irren näherzutreten, und jener abgeschnittenen sächsischen Episode nie geheirathet: er, der so oft tiefe und reine Liebe dem Leser vor Augen und siegreich zum Ziele führte, so zwar, daß man ihn einen Specialisten der in Prosaform gefaßten, um ein Minneproblem sich drehenden Lebensskizze heißen kann. Das schönste und würdigste Angebinde zu jenem doppelten Ehrendatum hat er selbst geliefert: seine gehaltvolle, liebenswürdige Autobiographie „Siebzig Jahre. Geschichte meines Lebens“ (2 Bde., 1894), welche nicht nur über alle wichtigeren Stationen seiner Lebenspilgerfahrt – Ausdruck Rob. Hamerling’s für Memoiren dieser Art – rückhaltlos anziehende Auskunft, sondern auch ungefälschte Urkunden für die Einsicht in seine Individualität und deren Entwicklung liefert. Bald nach diesem Freudenfeste, dessen zu bedankende Glückwünsche ihm reichlich Anlaß boten, alte Freund- und Bekanntschaften aufzufrischen, starb R., ohne langes Kränkeln, am 18. März 1896.

„Als Roquette starb“, vermerkt L. Geiger als bezeichnend, „meldeten die [472] ersten Telegramme, der Professor, nicht aber der Dichter sei gestorben. Doch hat gewiß nur der Dichter Anspruch auf Beachtung“. So gebührt letzterem natürlich der Vortritt. Gottfried Kinkel, den „Otto der Schütz“ (1843) rasch emporhob, und den durch „Amaranth“ (1849) sofort zum Zenith des Ruhmes hinaufgeklommenen Oskar v. Redwitz hat Niemand ewig auf diesen ersten Wurf zurückverwiesen wie Otto R. auf „Waldmeisters Brautfahrt“. Und dabei kann sich diese Dichtung als sein litterarisches Debut nicht bloß neben jenen technisch engverwandten ebenbürtig sehen lassen, sondern sie war im Erscheinungsjahr 1851 noch mehr ein Niederschlag des Zeitgeistes als die zwei genannten vor bezw. während der 48er Revolutionsbewegung. Außerdem hat Roquette’s Muse weit entschiedener und absichtlicher aus den Kinderschuhen hinaus gestrebt, und mag ihr da auch der Erfolg vielfach gefehlt haben, so darf man sie deshalb ebenso wenig in die anfänglichen Schranken verbannen, wie wegen ihrer prägnanten Lenzeswonne tadeln, zumal R. zeitlebens protestirt hat, in seiner dichterischen Wesenheit an dem Wildling, der ihm Parnaß und Publicum eroberte, zu hangen. So ist ihm „die Geschichte des Erstlingswerks“, die K. E. Franzos’ lehrreiche Umfrage in der „Deutschen Dichtung 1891 aufs Tapet brachte – darin X S. 44 Roquette’s Antwort – eine Leidensgeschichte geworden, und während andere Schriftsteller im unverminderten Weiterkaufe der ersten Publikation einen Trost wider der Kritiker Ketzergericht finden, hat er es oft heimlich verwünscht, sich in solch dauernder Gunst der Lesewelt sonnen zu dürfen. Unparteiisches Votum muß den Vorrang der späteren Schöpfungen unbedingt einräumen, sobald es nach Gebühr veranschlagt, worauf und wie der Dichter zielte. Voll gewürdigt ist, was R. gerungen, was er errungen, besonders deshalb nicht, weil man die lange Reihe seiner Darbietungen im Zusammenhange zu betrachten, anderntheils eine Brücke zwischen seinem Leben und seinem Schaffen zu schlagen nicht für nöthig erachtete. „Waldmeisters Brautfahrt“, dies „Rhein-, Wein- und Wandermärchen“ von prächtigster Frische, fesselnder Anmuth in Stimmung und Einkleidung und nimmermüder Singbereitschaft, war die kecke That, die an der Pforte des ernsten Schriftthums anklopfte, wie die Reactionsperiode seit Ende 1849 unsere Litteratur gemodelt hatte. Ohne Süßlichkeit schwelgte hier ein unpolitisches Gemüth in der Natur, frohlockend ihrer Reize, ohne vagen Symbolismus personificirt eine naive Phantasie die unschuldigen Freuden des Frühlings am Ufer des herrlichen Stromes. Aufs anschaulichste war da die schönste Landschaft des uneinigen Vaterlandes geschildert, und so vergaß man dessen traurige Zerrissenheit und schwärmte mit den neckischen Geisterchen des Pflanzenreiches unter Humor und Musik. Diese beiden umranken die an sich dürftige Handlung: den Prinzen Waldmeister sperrt auf der Fahrt zu dessen Hochzeit mit Prinzeß Rebenblüthe ein vertrockneter Schwarzrock in die Botanisirbüchse, bis ihn sein Gefolge befreit, um ihn an den Hof des Königs Feuerwein, des Brautvaters, zu Rüdesheim zu führen, wo Gesandtschaften aller deutschen Weingegenden zur Feier eingetroffen sind. Das Hochzeitsfest mit den Gratulationen, dazu die Bilder vom Bonner Akademikergelage mit der Trunkenheitsstrafe jenes Pfaffen, der den Waldmeister gefangen hält, sind köstlich ausgeführt, das Ganze geradezu dramatisch belebt, mit dem Chorus der die Kehle zu Trank und Sang wacker brauchenden Studenten, dem wimmelnden Völkchen der Wein- und Kräutergnomen, auch in Episoden, wie der Liebesscene des wilden Jägers mit der Winzermaid. Kein Wunder wahrlich, daß das schmucke Duodezbändchen sich rasch in die Herzen schmeichelte und die strophischen Verse daraus auf flotten Melodien durchs Land schaukelten. Die über 3/4 Hundert Auflagen (79. 1907; 68. bei des Verfassers Ableben) schelten die principiellen [473] Widersacher Lügner, indem sie die weite Verbreitung beweisen, die, des Werkchens Kenntniß allgemein voraussetzend, Anekdoten über auffällige Ignoranten erzeugt. Wie einer der größten und der wohl bestgeschulte deutscher Studentengesangvereine, der Leipziger „Paulus“, die Krone der Lieder, „Noch ist die blühende, goldene Zeit“, mit dem jugendlichen Jubelrefrain „Noch sind die Tage der Rosen!“, längst zum Leibliede, den Verfasser zum Ehrenmitglied erkoren hatte, so wahrte sich dieser selbst das ungebrochene Ergötzen an den leichtbeschwingten Weisen und liebte es, in munterem Kreise eine davon mit geübter Stimme, die bis ins Alter ihren Wohlklang rettete, anzuheben. Im Commersbuch haben zwar Roquette’s jugendfrohe Lieder mit ihrem leisen romantischen Schmelz kein Erdreich gefunden; doch begegnete man manchen früher öfters auf Concertprogrammen.

Einen bunten Strauß wand auch das „Liederbuch“ (1852), „der Jugend“ gewidmet, der der Dichter sich noch selbst zurechnete und zurief: „Und kann’s dem Lied zu fesseln euch gelingen, mit frischer Brust will ich es mit euch singen“. Der flüssige Inhalt dieser Liederernte trat in der 2., unveränderten und vermehrten Auflage (1859) hinter den reiferen der neuen „Gedichte“, wie die Sammlung seitdem hieß, zurück, noch mehr in der 3., ebenfalls veränderten und vermehrten (1880). Die später sich deutlich meldende Herbheit der Lebenserfahrungen kam darin zu Tage, auch in den beschaulicheren antikisirenden „Idyllen, Elegien und Monologen“ (1882), während die Früchte scheinbar Wiederkehr der Laune, die jenen glücklichen Wurf ermöglicht, 1876 im schlichteren actuellen ‚neuen Rheinlied‘ mit dem Zufallstitel „Rebenkranz zu Waldmeisters silberner Hochzeit“ den Wandel einer Lebens- und Dichterperiode versinnlichen. Da war der heitere Uebermuth verflogen, der Dichter war ein anderer geworden, so wie die Zeit und ihre Empfänglichkeit; neun Auflagen hat diese völlig unabhängige poetische Erzählung erreicht. Roquette’s späteres Lieblingsorgan, K. E. Franzos’ „Deutsche Dichtung“, enthält in den letzten Jahrgängen vor Roquette’s Tod eine ganze Menge lyrischer, didaktischer, lyrisch-epischer Spenden, die dann theilweise nicht in Sammlungen seiner Poesien oder einzeln erschienen sind. Die bezeichnendsten und gelungensten Stücke daraus sowie aus dem ungedruckten Vorrath des Todten hat sofort nach seinem Hintritt der ihm nahegestandene Ludwig Fulda „aus dem Nachlaß des Dichters herausgegeben“ als „Von Tag zu Tage. Dichtungen“ (1896): Lieder in allerlei Tönen, vermischte Gedichte, vaterländische aus dem 70er Krieg, eigenartig launige unter dem Sammelnamen „Satyrspiel“, zwei vielseitige Serien Spruchverse als Stimmungstöne und Weltwandel, vier Erzählungen in Versen (eine Gattung vollendeter Form, welche R. in reiferen Jahren mit Vorliebe und Glück pflegte), endlich „Lanzelot“, ein Fünfacter aus der Renaissance. Letzteres Bezugsgebiet hat den Dichter auf seiner Höhe gern gelockt und dieses Schauspiel hier zeigt uns ihn damit ungemein glücklich, der gesammte posthume Band überhaupt als Lyriker wie Epiker auf dem Gipfel seiner Kunst, kaum gealtert, nicht geschwächt, nicht im Niedergange. Die Lyrik war wohl das ihm am nächsten liegende Feld, das er noch in höherem Lebensalter keineswegs selten bepflügt hat. Auch das epische Gebiet, seines Erachtens wohl seine Stärke, überspann er unwillkürlich mit lyrischen Fäden. Dahin gehören: „Orion. Ein Phantasiestück“ (1851), älter als das vorher veröffentlichte Waldmeister-Poem, eine mißlungene Verquickung der eben aufkommenden Auerbach’schen Dorfgeschichte mit der abgethanen Schauerromantik Callot-Hoffmann’schen Spuks, trotz der Düsterheit der Geschehnisse lebendig in Landschaftsmalerei und Liedeinlagen; „Der Tag von St. Jacob“ (1852; 4. Aufl. 1879), wo die sentimentale Liebe der Schweizer Heldenjungfrau Verena zu ihrem [474] bei St. Jacob (1344) gefallenen Geliebten Valentin eine rechte Action des nationalen Freiheitskampfes niederdrückt; „Herr Heinrich. Eine deutsche Sage“ (1854), stellt die Königswahl Heinrich’s des Voglers märchenhaft mit netten Naturscenen dar; „Hans Haidekuckuck“ (1855; 4. Aufl. 1894), eine nicht übel ausgedachte realistische Nürnberger Historie des Reformationszeitalters, novellistischen Anstrichs; „Cesario. Erzählung in Versen“ (1888), welch letztere den Uebergang aus dem modern-romantischen Fahrwasser der jüngern Roquette’schen Epik zu den ungebundenen Erzählungen gut verkörpert.

Da führte „Das Hünengrab“ (1855) mit dem „verunglückten Streifzug in das Gebiet der Tromlitz-Blumenhagen’schen Romantik“ (Prutz) wenig verheißungsvoll ein. Doch folgte ihm 1858 der Roman „Heinrich Falk“ (3 Bde., 2. Aufl. 1879), eine aus dem Leben gegriffene Fabel mit dem Hintergrund eines Künstlerdaseins durch zugespitzte Conflicte hindurch abspinnend, wo nicht mehr wie im „Orion“ das Interesse der ergründeten seelischen Mysterien gänzlich von den wirklichen Vorgängen ablenkt, in psychologischer Feinheit des Dichters weitestauslangendes Werk, dabei wie alle seine Darbietungen in der inneren Form ebenso glatt wie im Ausdrucke. Nur „Das Buchstabirbuch der Leidenschaft“ (2 Bde., 1878), wo übrigens die Neigung des Jünglings, die Heimlichkeit der höher organisirten Pflanzenwelt zu belauschen und deren Vertreter, so hier Pilze, zu vermenschlichen, reifer zurückkehrt, befriedigte in Beobachtung und Umguß des Beobachteten in demselben Grade die strengsten Anforderungen, auch die Roquette’s selbst, der es für sein liebstes, bestgerathenes Kind erklärte. Analog ragen unter den zahlreichen kleineren Prosaerzählungen die als „Welt und Haus“ (2 Bde., 1871 u. 1875) vereinigten merklich hervor, womit den übrigen (über ein Dutzend!) Sammlungen – die einzelnen erschienen vorher meist in Zeitschriften wie Deutsche Romanzeitung, Westermann’s Monatshefte, Deutsche Romanbibliothek, auch in großen Tagesblättern (Nationalzeitung, Frankfurter Zeitung) – nicht etwa das Anrecht auf passende Anlage und anziehende Darstellung geraubt, eine überdurchschnittliche poetische Empfindung abgestritten werden soll. Den erzählenden Dichtungen zuzuzählen ist auch die 1892 erschiene Reihe „Ul von Haslach“, „Der fahrende Schüler“, „Spindel und Thyrsus“, „Ambrogios Beichte“, „Paris der Bessere“, die theilweise Renaissance-Erzeugnisse erneuert und mit echtem Humor elegantesten Gewandes triumphirt. Im „Ul von Haslach“ ersteht Hans Sachsens köstlicher Roßdieb von Fünsingen, aus demselben Milieu wie Roquette’s Schreinerbub Hans Haidekuckuck, der in Sachsens Fastnachtsspielen mitwirkt, auch wie der frischgemuthe Jüngling des damaligen Nürnberg, den am Ausgange seines Schaffens das Drama „Lanzelot“ durch seine Fährnisse in der Fremde begleitet.

So lag denn Roquette auch auf theatralischem Gebiete jedenfalls noch der etwas alterthümelnde, ohne Derbheit urwüchsige Faschingsschwank Hans Sachsscher Gattung am besten. Im übrigen bemerkt K. E. Franzos („Dtsch. Dichtung“ XVI, 200) sehr gut: „Dramen waren seine ersten Arbeiten, wie seine letzten, nach diesem Lorbeer hat er stets am heißesten gestrebt – und doch hat ihn, den Mann von großem Kunstverstand und seltener Selbstkritik, die innere Stimme in diesem Einen getäuscht.“ Auch Roquette’s dramatische Ader füllte mehr lyrisches und episches Blut. Seine zwei originellsten einschlägigen Leistungen, durch 20 Jahre getrennt, nennen sich ‚dramatisches Gedicht‘: „Das Reich der Träume“ (1853) und „Gevatter Tod“ (1873). Die erstere, heute kaum irgendwie bekannt, stellt in den Mittelpunkt einer frei erfundenen, halb märchenartigen, halb mystischen Handlung eine einsiedlerisch grübelnde Theosophin Nymphäa, die statt eines ihrem verstorbenen Vater [475] befreundeten klugen Arztes ein ritterlicher Fürst aus Todesharren und Einsamkeit durch der Liebe Kraft der Welt wiederschenkt, und ward wohl durch des Dänen Henrik Hertz compresseren Einacter „König René’s Tochter“ angeregt. Die andere, trotz theatralischen Rahmens mehr episch gehalten, ist inhaltlich wie formell der Höhepunkt von Roquette’s Poesie, aber ebenfalls heutzutage leider völlig dem Gesichtskreise entrückt. Die sinnige mittelalterliche Volksmythe vom „Gevatter Tod“, uns nach Ludwig Bechstein’s Märchenniederschrift am geläufigsten, ist hier in directem Anklange an Figuren, Situationen, Namen nach dem Muster des Goethe’schen „Faust“ umgebildet worden, und sie soll uns nun den nimmer gelösten Zweifel über den Widerspruch der allumfassenden göttlichen Liebe mit dem unentrinnbaren Abschneiden jeglichen Glücks, auch des reinsten, durch den Tod erledigen: einen himmelstürmenden Jüngling überzeugt ein Ehrfurcht einflößender Greis, der ihm als früherer und jetziger Hort entgegentritt, durch hartes Ringen im Schicksalskampfe von der versöhnenden Harmonie des Trios Glück, Liebe, Sterben – der Tod selbst. Habich fügt seiner Inhaltsangabe dieser, ganz wider Gebühr vergessenen Dichtung hinzu: „Die Sprache ist die edelste, von gedankensatter Concentration und sinnlich angeschauter Pracht. Einige Monologe von einer wundervoll dunklen Klangfarbe stehen hoch über der berühmteren Lyrik des Dichters. Und auch die Saiten der Leidenschaft, die R. sonst nur leise zu rühren wagt, schwingen hier in mächtigen Accorden. ‚Ich war zufrieden mit meinem Werk‘, so spricht er sich selbst aus, ‚denn es lag mehr von meinem innersten Wesen darin als in anderen, welche mehr Beifall gefunden haben.‘ Und das durfte er sagen“. Wo R. bühnenmäßige Dramaturgie einzuhalten sich befleißigte, da ist zwar alles sorgfältig angeordnet und motivirt, auch die Form wie bei ihm stets, abgeglichen und sauber, aber das Packende im Tragischen, das Erschütternde bleibt aus, die Charaktere ermangeln kantiger Umrisse und zumeist des theatralischen Temperaments. In chronologischer Reihe: die Geschichtstragödie „Jakob von Artevelde“ (1856), das historische Schauspiel „Rudolf von Habsburg oder: Die Sterner“ (1856), „Der deutsche Festkalender. Lustspiel“ (1865), „Die Märtyrer des Glücks. Schauspiel“ (1867), die zwei Sammelbände vermischter dramatischer Dichtungen 1867 bezw. 1876, enthaltend: „Die Protestanten in Salzburg. Trauerspiel“, „Sebastian. Trauerspiel“, „Reineke Fuchs Festspiel“ 1856; „Der Feind im Hause. Tragödie“, „Der Rosengarten. Schönbartspiel“, „Rhampsinit. Fastnachtskomödie“, „Die Schlange. Lustspiel“, – aus jüngerer Zeit „Lanzelot“ (1887), „Der Schelm von Bergen“, „Hanswurst“, „Der Dämmerungsverein“, drei einactige Lustspiele, 1890 in Reclam’s Universalbibliothek als Roquette’s dortige Repräsentation, „Die Schweden in Altdorf. Drama“ (1894), „Das Haus Eberhard. Lustspiel in 4 Acten“ (gedruckt als Darmstädter Bühnenhandschrift). Eine kleine Gruppe bilden die „Legende der heiligen Elisabeth“, 1866 auf Antrieb des Weimarer Hofes, an dem, zumal auf der Wartburg, R. in den sechziger Jahren intim verkehrte, für Franz Liszt gedichtet, von diesem dann als Oratorium componirt und überall unter außerordentlichem Beifall (der freilich in der Regel nur dem Vertoner zugute kam) häufig, noch bis in die neueste Zeit aufgeführt, nebst dem von R. 1888 in Voraussicht des Mißglückens (April 1889 im Berliner Opernhaus) widerstrebend zurecht gestutzten Texte zu Emil Naumann’s Oper „Loreley“, den R. schon 1867 auf des Musikers Drängen ausgearbeitet hatte.

Gleich dem alten Hans Sachs, so scheint Goethe mehr als einmal sein gelegentliches Vorbild gewesen zu sein, wie sie seine Lieblingsgenossen waren. Wie ersterer ihm mehr zu dramatischen Anstößen verhalf oder zu formalen [476] Anregungen seiner Kleinepik, so Goethe zu epischen. Zwar läßt sich kaum eine bestimmte Nachahmung herausstechen; aber in Gegenstand, Moral und Fassung erinnert uns allerlei an den Großmeister des Kreises, den R. in den Novelletten „Große und kleine Leute in Alt-Weimar“ (1886) direct, in „Friedrich Preller“ (1883), einem auf peinlichen Studien ruhenden authentischen „Lebensbild“ des ausgezeichneten Weimarer Malers (1804–78; s. A. D. B. XXVI, 553/61), indirect den Tribut der aufrichtigen Sympathie gezollt hat. Seine Abhandlung „Goethe und die Gartenkunst“ am Schlusse der Festschrift zu der Jubelfeier des 50jährigen Bestehens der großherzogl. Technischen Hochschule zu Darmstadt (1886), bringt den Olympier in enge Beziehung zu der diesem wie ihm selbst am Herzen liegenden Natur und deren Verständniß. So hat man ihn denn einen Epigonen der classischen Aera zu schmähen versucht, die Ehre, die in dieser Tadelabsicht liegt, vergessend. Ueberhaupt sah R. die Denkmale der Poesie, den ganzen weiten Bezirk der schönen Litteratur, mit ungetrübtem Auge, mit dem Auge des Künstlers an. Seine Universitäts- und anschließenden Privatstudien waren weit mehr aufs Aesthetische, Reinlitterarische, allenfalls Geschichtlich-Litterarische gerichtet gewesen als auf philologisch-kritische, gar speciell-germanistische Forschung. Das beweisen auch seine sonstigen tüchtigen litterarhistorischen Publikationen, die hier bloß genannt werden können: die erste moderne Biographie des unseligen genialen Lyrikers Joh. Chrn. Günther (1860 mit Auswahl) die eingeleitete sorgfältige Ueberarbeitung von Dante’s Divina commedia in K. Streckfuß’ Verdeutschung (1882), die seine Einleitung zu Cervantes’ ‚Don Quichote‘ (Hier. Müller; 1889), die tüchtige Neuausgabe von Eckermann’s „Gesprächen mit Goethe“ (1895), alle drei in der Cotta’schen Bibliothek der Weltlitteratur; dazu Roquette’s biographischer Text zur „Gallerie moderner Dichterphotographien nach Originalgemälden von C. Jäger, E. Felix und A. Gräfe“ (1878). Auf seine einschlägige Hauptleistung, bei deren Entstehen er, wie er gesteht, „als Poet doch innerlich gedarbt“ hat, legte R. relativ wenig Werth: die „Geschichte der deutschen Litteratur von den ältesten Denkmälern bis auf unsere Zeit“ (2 Bde., 1862/63), die, aus äußeren Anregungen und stoßweise ansetzenden Bibliotheksarbeiten hervorgewachsen, seit der 2. Auflage (1872) „Geschichte der deutschen Dichtung“ umbenannt und in der 3. (1879; Abdruck 1882 vergriffen) mannichfach verbessert und allen fachmäßigen Beiwerks, so auch der Hauptmasse der Bibliographie ganz entkleidet worden. Bei den ältern Perioden die gewohnten Geleise nicht ohne nachprüfende genaue Erwägung gehend, stellt R., je näher er der eigenen poetischen Epoche kommt, mit wachsender Selbständigkeit dar. Klarheit, Uebersichtlichkeit, liebevolles Einfühlen rühmten Kritiker, die litterarhistorischen Zunftvorurtheils bar sind, von jeher, namentlich auch als Seitenstück zu dem tendenziös durchsetzten weit bekannten Buche Vilmar’s. Trotz aller Bescheidenheit rücksichtlich seiner Stellung zur Litteraturwissenschaft hing er mit Eifer und Freuden am Lehramte des Fachs – dem er auch durch ein vom preußischen Ministerium bei ihm veranlaßtes „Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Ausgewählte Stücke deutscher Dichtung und Prosa nebst einer historisch-biographischen Uebersicht“ (2 Bde., 1877) dienen wollte – darin er Jahrzehnte lang die erwachsene Jugend eingeführt hat, und erkannte dessen gewaltigen Fortschritt unumwunden an, auch wo das auf seine Kosten ging. Dem früheren Berliner Schriftstellern und der nachherigen akademischen Wirksamkeit, endlich derjenigen als weithin gebetener populär-wissenschaftlicher Redner entsprangen eine Anzahl litterarhistorische Einzelarbeiten, die dann, gleich nach dem Tode, Ludwig Fulda in Zeitungen und Zeitschriften theilweise zum Druck befördert hat.

[477] Die Abwesenheit jeglichen Eigendünkels und die jeder falschen Scham gingen bei R. Hand in Hand. Er, den man vor sechstehalb Jahrzehnten als den Poeten der deutschen Jugend begrüßte, ist, wie immer allem Servilen abhold, nie im geringsten von Marasmus angekränkelt gewesen, als er die jüngsten Zeilen schrieb. Der „stehengebliebene“ R. hatte von jener fesselnden Anmuth und dem Schwunge der Phantasie, die seine ersten Sprossen auszeichneten, kaum etwas verloren und war bis in die Siebzig, wie Habich richtig sagt, kein philiströser Alltagsmensch, sondern eine wahre Künstlernatur, der das Herz im alten Leibe junggeblieben. Seine Selbstgratulation zum Psalmistenalter 1894, das schöne Gedicht „Jahresringe“, spricht dies volltönig aus. Seine Persönlichkeit erschloß sich nur wenigen recht und auch die Mehrzahl davon wird die Strenge, die der äußerlich höchst milde Mann gegen sich selbst übte, nicht bemerkt haben. Die meisten erfuhren erst aus der Selbstbiographie, welch herben Prüfungen ihm im Daseinskampfe beschieden gewesen waren, bevor die erlösende Berufung nach Darmstadt augenblick1iche Sorge von ihm abstreifte. Auch dann war die Straße unseres Optimisten mit nichten dornenlos bis ans Ende, und er gehört nicht den auserlesenen Sterblichen zu, die sich unbekümmert um des Geschickes Launen nach eigenem Gutdünken frei entwickeln dürfen: vielmehr haben es ihm äußere Umstände leidlich erschwert, ein Ziel zu erreichen, wo er Posto fassen und seinem ehrlichen Streben ungestört genügen konnte. In Aerger und Mißerfolg hielten ihn große Einfachheit und Bescheidenheit stets aufrecht. R. war ein zu vornehmer Geist, um die Reclametrommel zu rühren oder rühren zu lassen, wann er mit seinen, scharfer Selbstzucht abgewonnenen jüngeren Schöpfungen im Hintertreffen der öffentlichen Aufmerksamkeit verblieb. Allerdings bekundet eben die sichtliche Vorliebe, die auf den Seiten des Memoirenbuches und ebenso, sobald er im engsten Zirkel ohne Sentimentalität in das Treiben seines ersten Menschenalters zurückgriff, die Knabenjahre sammt denen des litterarischen Erstauftretens traf, seinen nie versiegten Hang zur Jugend und ihrem Fühlen: diese Grundfarbe seiner älteren Darbietungen. So wird, wennschon die andern Leistungen die Vielseitigkeit, die Sicherheit, den Vervollkommnungsdrang seiner Schriftstellerei bestätigen und „Gevatter Tod“ nebst den hervorgehobenen erzählenden Werken im Vordergrunde stehen, sein Ruhm am unvergänglichsten in der Lyrik und lyrischen Epik währen, worin er die ersten, seine am ehesten unverwelklichen Lorbeeren und, bis ihm die Feder entfiel, duftige Blüten gepf1ückt hat, und „Waldmeisters Brautfahrt“, eines der verbreitetsten Dichtwerke in deutscher Zunge, im deutschen Gemüthe stets Widerhall wecken. Ist doch auch da das Leitmotiv die Empfindung, die wie eine Tendenz für Roquette’s Wirken maßgeblich blieb: die Freude am Dasein und Sonnenschein des Daseins „weil das Leben noch mait“. Und unter dem Banner solch sieghaften Glaubens an Schönheit, Edelsinn, Glück und Licht stand Otto Roquette’s gesamtes Fühlen, Denken, Streben und Schaffen.

Vorstehende Skizze ist überarbeiteter Auszug aus meinem ausführlichen, mit vielen Belegen versehenen Lebens– und Charakterbilde i. d. „Biograph. Blttrn. Hsg. v. A. Bettelheim“ II S. 397–414; dase1bst auch die hauptsächliche Litteratur verzeichnet und charakterisirt. Von späteren sei hier, gleichsam als Ergänzung wie als Ausgleich unserer infolge persönlichen Zusammenhangs wohl im einzelnen etwas zu panegyrischen Behandlung, besonders Ludwig Geiger’s sehr kundiger, allseitig beurtheilender Essay angezogen, der auch den Schattenseiten in Roquette’s Poesie, namentlich der erzählenden, gerecht wird: Westermann’s Illustrt. Dtsch. Monatshefte 80. Bd. S. 604–19 (1896) (auch in Geiger’s „Dichtern u. Frauen“, N. Serie, 1899 S. 290–321). Warme Anhänglichkeit, die kritischem Abwägen ausweicht, spricht [478] aus L. Fulda’s Einleitung zu seiner Auslese des R.-Nachlasses (1896: s. o.). Daselbst wie in meinem eingehenderen Nekrolog bezeichnende Originalbriefe. Aus früherer Zeit noch nennenswerth die Behandlung bei I. Hub, Deutschlands Balladen- u. Romanzendichter III 1, 24 (1870) S. 560/64 u. Hnr. Kurz, Gesch. d. dtsch. Litt. IV (s. Reg.); mit am ernstesten betrachtet ihn immer noch sein Alters- und zwiefacher „Fachgenosse“ Gottschall („Die dtsch. Nationallitt. d. 19. Jahrhs.“7 III 109, 160–64; IV 284). Die theilweise in Einzelheiten bemerklichen Erscheinungen zum 70. Geburtstage, den Memoiren und zum Tode Roquette’s s. i. d. Jhrsber. f. neuere dtsch. Litteraturgesch. IV, V, VII-IX verzeichnet bezw. ausgezogen. Angaben eines aufrichtigen Busenfreundes in Wilh. Lübke’s „Lebenserinnerungen“ (1891) S. 187–190 u. 372. Authentische Biographie bereite ich vor. Freundliche Förderung durch R.’s vieljährigen Hauptverleger, J. G. Cottasche Buchhandlung.