Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hamerling, Robert“ von Anton Schlossar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 736–747, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hamerling,_Robert&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 02:53 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Haltrich, Josef
Nächster>>>
Hamernik, Josef
Band 49 (1904), S. 736–747 (Quelle).
Robert Hamerling bei Wikisource
Robert Hamerling in der Wikipedia
Robert Hamerling in Wikidata
GND-Nummer 118701223
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|736|747|Hamerling, Robert|Anton Schlossar|ADB:Hamerling, Robert}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118701223}}    

Hamerling: Robert H., deutsch-österreichischer Dichter, hieß eigentlich Rupert Hammerling, wählte aber seit dem Jahre 1846, da er schon eifrig poetisch thätig zu werden begann, den oben stehenden Namen, durch welchen er berühmt geworden und den er fortan als Dichter so wie im socialen Leben in solcher Schreibweise beibehalten hat. H. wurde am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde in Niederösterreich geboren, wo sein Vater ein kleines Häuschen besaß und ein Webergeschäft betrieb. Aber schon zwei Jahre nach Hamerling’s Geburt war der Vater, vom Unglücke verfolgt, gezwungen, das Haus zu verlassen, welches nicht mehr sein eigen war und in die Fremde zu ziehen. Die Mutter mit dem Knaben fand ein Unterkommen bei einem verheiratheten Bruder in dem nahen Dorfe Großschönau. Dort erhielt H. denn auch vom 7. Lebensjahre an den ersten Unterricht. Insbesondere der Katechet P. Hugo Traumihler nahm sich des sehr begabten Knaben an, für den auch die Freifräulein v. Geusau auf dem nahen Schlosse Engelstein ein gewissess Interesse bekundeten. Hamerling’s Vater war aus der Fremde zurückgekehrt in die Dienste des Freiherrn v. Geusau daselbst getreten, und der Knabe besuchte ihn häufig und verbrachte manche Zeit dort, auch von der freiherrlichen Familie liebenswürdig aufgenommen. Mit zehn Jahren finden wir H., welcher schon Verse dichtete und schöne Anlagen zeigte, im Gymnasium des Stiftes Zwettl, wo sein Großoheim P. Ambrosius Haßlinger als Stiftsbibliothekar waltete, der junge H. war dort als sog. Sängerknabe aufgenommen und verbrachte vier Jahre im Stifte. Eines seiner damals erstandenen Gedichte erregte sogar die Aufmerksamkeit der im Schlosse zu Kirchberg weilenden französischen Prinzessin Luise, Tochter der Herzogin v. Berry, welche ihn während seiner weiteren Studien zu unterstützen versprach, leider aber dieses Versprechens weiter nicht eingedenk blieb. Vorläufig war bestimmt, daß H. Priester werden sollte, wozu er selbst den Beruf in sich zu fühlen glaubte. Um seine Studien fortzusetzen, kam er nach Wien, wo nun auch seine Eltern weilten; er besuchte das Schottengymnasium daselbst von 1844 an. Schon während dieser Schulzeit verfaßte er die Dramen „Columbus“, „die Märtyrer“ und ein Lehrgedicht „Eutychia“. Kaum hatte H. die sog. philosophischen Studien 1846 begonnen, während welcher er fleißig auch die großen Bibliotheken Wiens besuchte, als er den Plan zu einer nationalen Tragödie: „Hermann“ faßte, aber von der Arbeit abstand, deren historische Eigenthümlichkeit ihm überall Fesseln anlegte. Dagegen schritt er bald zum Entwurfe eines anderen Dramas „Aurora“, dessen hier Erwähnung geschieht, weil die sagenhafte Gestalt Ahasvers in demselben vorkam. Aus der damaligen Studienzeit sei eine kleine Liebesepisode mit der Tochter von Hamerling’s Oheim erwähnt, in dessen Hause der junge Mann verkehrte, die Episode spielte sich allerdings, wie erhaltene Tagebuchblätter zeigen, mehr in der Einbildung des Poeten ab, trotzdem bleibt sein Liebesempfinden für „Regiswinda“ – diesen Namen gab er dem Mädchen – immerhin bezeichnend.

[737] Ein vertrauter, ebenfalls poetisch veranlagter Freund wurde ihm Anton Bruckner, sein Altersgenosse und Landsmann, mit dem er Briefe wechselte, als Bruckner aber in die Studien nach Wien kam, im Verein mit dem Freunde und einem Collegen Wiesner eine geschriebene poetische Wochenschrift „Aurora“ herausgab, in der manche poetische Jugendarbeiten Hamerling’s niedergelegt sind. Bruckner war es auch, der mit H. den Freundschaftsbund der „Herakliusbrüder“ 1846 schloß, über den ein eigener schriftlicher Contract aufgesetzt wurde und der bezweckte, daß jeder der beiden den Andern in seinem Streben, dichterischen Ruhm zu erlangen, unterstützen möge. Schon daraus ist ersichtlich, wie H. jetzt schon eifrig litterarisch thätig war. Um dieselbe Zeit aber hatte er sich auch zum Aufgeben der geistlichen Berufswahl entschieden. Durch Bruckner wurde H. in den kleinen litterarischen Club junger Leute, der sich als „Dichtergilde Teutonia“ zusammengesetzt hatte, eingeführt, woselbst jedes Mitglied poetische Beiträge zum Vortrage brachte. Eine Folge des Verkehres daselbst war es, daß durch Vermittlung eines dieser Mitglieder das erste gedruckte Gedicht Hamerling’s: „Am See“ in der Brünner Zeitschrift „Morawia“ (11. Januar 1848) veröffentlicht wurde.

Im Jahre 1848 bezog H. die eigentliche Hochschule in Wien, er betrieb namentlich philosophische und philologische Studien und las eifrig die älteren und neueren Dichter, unter denen ihn besonders die Romantiker Novalis und Hölderlin fesselten. Aber sein Drang nach allseitiger Bildung veranlaßte ihn auch, sich mit medicinischen Fächern zu beschäftigen, Mineralogie und Chemie pflegte er ebenso wie Sanskrit und orientalische Sprachen überhaupt und alle möglichen philosophischen Disciplinen. Hamerling’s nationales und freiheitliches Empfinden bethätigte sich besonders, als nach dem Ausbruche der gewaltigen Wiener Bewegung im Jahre 1848 die Studentenlegion gegründet wurde, welcher er sofort beitrat und in der Uniform mit der Waffe seinen Dienst leistete. Damals hatte er auch ein begeistertes Sonett an Erzherzog Johann und sogar einen philosophisch-politischen Aufsatz in der Zeitschrift „Oesterreichischer Courier“ veröffentlicht. Allerdings widerten den edelgesinnten Dichter die Rohheiten an, welche das Revolutionsjahr weiter kennzeichneten, und er zog sich zu seinen wissenschaftlichen Studien zurück, betrieb auch Musik, besuchte Theater, Concerte und Museen und suchte seinen ohnehin für das Schöne so empfänglichen Sinn weiter hierfür auszubilden. In den Ferien pflegte er wol auch mit dem Freunde Bruckner seine liebe Waldheimath zu besuchen. Zahlreiche lyrische Gedichte entstanden während dieser Zeit; schon war auch der Plan zu einem Drama „Ahasverus“ entworfen, welcher Stoff den Dichter nicht mehr losließ. Einige Gedichte Hamerling’s erschienen 1851 in Gruppe’s „Musenalmanach“, gingen aber ziemlich spurlos vorüber. Neben seinen poetischen Plänen mußte aber der sich dem Ende seiner Studien Zuneigende nun ernstlich auch auf den Broderwerb bedacht sein. Er beschäftigte sich als Mitglied des philologisch-historischen Seminars nun besonders eingehend mit den classischen Sprachen und wurde 1852 Supplent für dieselben am Wiener Gymnasium der theresianischen Akademie und darauf am akademischen Gymnasium der Residenzstadt. Durch Privatunterricht suchte er seine Einkünfte zu verbessern. Im Jahre 1853 kam H. an das Gymnasium nach Graz, in dessen Programm er die Abhandlung „über die Grundideen der griechischen Tragödie“ veröffentlichte und im Herbste 1854 wurde er nach abgelegter Lehramtsprüfung zunächst Gymnasiallehrer in Cilli, jedoch mit der Bestimmung, am Grazer Gymnasium verwendet zu werden; zu Anfang des Jahres 1855 aber erfolgte seine Ernennung zum wirklichen Gymnasiallehrer in Triest, wo ihm nun eine längere Reihe von Jahren zu weilen bestimmt [738] war. Im Frühjahr 1855 traf H. in Triest ein, aber leider überfiel ihn schon ein Jahr später ein heftiges Unterleibsleiden, das sich stets verschlimmerte. Da zu derselben Zeit in Triest die Cholera ausgebrochen war, erbat sich der Leidende und Aengstliche einen längeren Urlaub, den er vom September 1856 bis April 1857 in der herrlichen Lagunenstadt Venedig zubrachte, ein Aufenthalt, der allerdings für seine poetische Entwicklung von hoher Wichtigkeit wurde. Dort entstand neben vielen lyrischen Gedichten seine erste größere Dichtung „Venus im Exil“, welche aber zunächst keinen Verleger fand. Von Venedig aus besuchte H. auch Padua, Vicenza und Verona und lernte die Schönheiten jenes Gebietes von Oberitalien kennen. Nach Triest zurückgekehrt gab er 1857 seine erste lyrische Sammlung „Ein Sangesgruß vom Strande der Adria“ (Triest 1857) heraus, in welcher auch Bruchstücke aus der genannten größeren Dichtung enthalten waren. Das Büchlein fand eine freundliche Aufnahme und es bot sich bald Gelegenheit, mit der „Venus im Exil“ selbst hervorzutreten, welche 1858 bei Kober in Prag erschien. Spätere Ferienmonate brachte der Dichter sowol in Venedig als auch häufig in Graz zu, wo er mit einem Kreise litterarischer Freunde gern verkehrte, von denen besonders der Dichter und Gelehrte Fritz Pichler genannt sei. Nachdem er inzwischen auch schon in verschiedenen Zeitschriften Gedichte veröffentlicht hatte, gab H. sein schönes Liederbuch „Sinnen und Minnen“ (Prag 1859) heraus, das in der Folge so viele Auflagen erlebte. Daran schloß sich die von deutschnationaler Begeisterung durchwehte, in herrlichen Nibelungenstrophen abgefaßte Dichtung „Ein Schwanenlied der Romantik“ (Prag 1861), dem das 1862 in Graz verfaßte episch-lyrische Gedicht „Germanenzug“ folgte. Von kleineren Arbeiten seien die im Triester Gymnasialprogramm erschienenen „Proben aus einer Uebersetzung von Dschamis Beharistan“ (1856) und „Ein Wort über die Neuplatoniker nebst Uebersetzungsproben aus Plotin“ angeführt. Hamerling’s Besuche in Graz hatten ihn auch mit jener Dame bekannt gemacht, welcher er als „Minona“ so manche seiner glänzenden Verse widmete und die ihm in der Folge wahre Freundschaft und Verehrung auch nach seinem Tode widmete. Im Sommer des Jahres 1862, als der leidende Dichter in dem nadelholzreichen Tobelbade bei Graz weilte, entstand daselbst sein berühmt gewordenes Gedicht: „Vor einer Genziane“. In Triest hatte der Poet auch als Mitarbeiter an der „Triester Zeitung“ gewaltet und namentlich Theaterberichte für dieselbe verfaßt, welche Thätigkeit ihn mit dem dortigen Künstlerleben in manche Berührung brachte. Auch Minona besuchte den übrigens stets mehr oder weniger leidenden Dichter in der schönen Seestadt, von wo er 1864 in ihrer Gesellschaft eine Landreise nach Venedig unternahm, die er selbst in einem Aufsatze seiner „Prosa“ (1884) beschreibt. Um jene Zeit aber beschäftigte ihn schon eifrig die Arbeit an seinem entstehenden Hauptwerke „Ahasverus in Rom“. Gerade damals, als die Herausgabe dieser epischen Dichtung erfolgte, welche 1866 in Hamburg erschien, sollte auch im Leben Hamerling’s eine Veränderung vorgehen. Er hatte noch die vortreffliche Uebersetzung der Gedichte Leopardi’s (Leipzig 1865) edirt, fühlte aber bald darauf sein körperliches Befinden derart verschlimmert, daß er zunächst um einen längeren Urlaub nachsuchte, dann aber im Jahre 1866 sich genöthigt sah, um seine Versetzung in den Ruhestand einzuschreiten, die ihm 1866 auch mit dem etwas erhöhten Ruhegehalte von 600 fl. bewilligt wurde. Da von einer ihm persönlich unbekannt gebliebenen Dame (Frau Genovefa Müller von Milborn in Wien) dem Dichter aus Verehrung für seine Poesien ein nennenswerthes Capital zugewendet worden war, so konnte seine Lebensstellung wenigstens einigermaßen gesichert genannt werden.

[739] H. übersiedelte 1866 nach Graz und lebte daselbst zurückgezogen ganz seinen dichterischen Bestrebungen. Das Erscheinen seines Epos „Ahasver in Rom“ brachte ihm einen ungeheuren Erfolg und stellte seinen Namen neben die ersten deutschen Epiker. Als er im Jahre 1867 wieder seine Heimath in Niederösterreich besuchte, begann er daselbst eine neue Dichtung, welche unter dem Titel „Der König von Sion“ (Hamburg 1869) erschien und nicht geringeres Aufsehen erregte als der „Ahasverus“. Schon konnte der Dichter von dem Ertrage seiner Werke an den Ankauf eines eigenen Häuschens in Graz denken, welcher auch im J. 1869 erfolgte, das er aber später wieder veräußerte und 1870 jene Besitzung im Stiftingthale bei Graz erwarb, die er so gern bewohnte und die er in seinem Gedichte „Stiftinghaus“ auch poetisch verherrlichte. Das Jahr 1869 war auch insofern bedeutungsvoll für H., als er zu jener Zeit die Sammlung der Dialectgedichte „Zither und Hackbrett von Peter Rosegger“ mit einem Vorworte versah, deren Herausgabe förderte und mit dem Dichter einen Freundschaftsbund schloß, der bis zum Tode Hamerling’s währte. Zugleich begann er damals den Plan zu einem Trauerspiel auszuführen, welches, im J. 1870 vollendet, unter dem Titel „Danton und Robespierre“ (Hamburg 1871) erschien, und obwol es für eine eigentliche Aufführung schwer geeignet erschien, durch die gewaltige Anlage und mächtige Darstellung der französischen Revolutionstragödie so wie durch scharfe Charakteristik der Personen und deren hinreißende Sprache des Dichters geniale Begabung nicht verleugnete. Die großen Jahre 1870 und 1871 fanden in H. einen begeisterten Sänger zum Preise des deutschen Namens und der deutschen Siege. Eine überwältigende Wirkung übte ein Prolog aus, welchen er 1870 für eine Akademie zum Besten der Wittwen und Waisen gefallener deutscher Krieger verfaßt hatte und der im Grazer Theater zum Vortrage kam, wo das Publicum begeistert den flammenden Worten des Dichters zujubelte. Auf die deutsche Einigung und den großen Begründer und Förderer derselben bezog sich das Scherzspiel „Teut“, welches H. im J. 1872 veröffentlichte. Schon früher hatte der Dichter dem Componisten A. v. Goldschmidt einen Text für musikalische Behandlung zu verfassen übernommen, welchen er aber zu einer schwungvollen Dichtung erweiterte, die unter dem Titel „Die sieben Todsünden“ (Hamburg 1872) selbständig herausgegeben wurde. Das nächste Werk, zu welchem H. reiche Studien betrieben und für das ihm seine tüchtigen philologischen Kenntnisse zu statten kamen, war eine ideale Verherrlichung des griechischen Schönheitssinnes: „Aspasia. Ein Künstler- und Liebesroman aus Alt-Hellas.“ 3 Bde. (Hamburg 1876). Der Dichter schwieg nun eine Reihe von Jahren hindurch, nur einzelne lyrische Stücke von ihm erschienen als vielbegehrte Zierde in verschiedenen Zeitschriften und Gedichtsammlungen. Manche Erstlingspoeten und Schriftsteller wandten sich an den zurückgezogen Lebenden mit der Bitte, ihre Werke zu prüfen oder wol auch ihnen den Eintritt in das Gebiet der Litteratur zu erleichtern, und H. schlug fast nie eine Bitte um Prüfung solcher Werke ab. Mitunter ließ er sich sogar dazu herbei, die Herausgabe zu unterstützen. Wie er schon 1864 „Albert Guzman’s, k. k. Lieutenant, Erinnerungen aus dem italienischen Feldzuge des Jahres 1859. Mit lyrischem Anhang“ (Wien 1864) edirt hatte, so beförderte er auch Ludwig Meyer’s „Papiere des Philosophen von Rumpelsbach“ (Hamburg 1874) mit einer Vorrede zum Druck. Hamerling’s einsames Leben wurde nur am 10. November 1874 durch ein frohes Fest unterbrochen, welches der goldenen Hochzeit seines greisen Elternpaares galt und an dem näher stehende Freunde des Dichters herzlichst theilnahmen. Dagegen war er ängstlich bemüht, seinen in das Jahr 1880 fallenden fünfzigsten Geburtstag möglichst geheim zu halten, was ihm freilich nicht ganz [740] gelang, da den Feinfühligen doch eine Anzahl von Glückwunschreiben erreichte. Die nächste Veröffentlichung Hamerling’s bildete das geistvolle Lustspiel „Lord Lucifer“ (Hamburg 1880), das allerdings von der überkommenen Art von Lustspielen bedeutend abwich und bisher keine Aufführung erlebte. Eine Novelle „Die Waldsängerin“ (Berlin 1881) und die Anthologie „Das Blumenjahr in Bild und Lied“ (Frankfurt a. O. 1881) seien hier nur angeführt. Die schöne Dichtung „Amor und Psyche“ nach dem Märchen des Apulejus (Leipzig 1882) führt H. wieder als Epiker vor, die Sammlung „Prosa“ (Hamburg 1884) zeigt ihn als feinsinnigen Prosaschriftsteller und gewandten Darsteller und die im Band „Hesperische Früchte“ (Wien 1884) in gelungen und künstlerisch übertragenen Gedichten neuerer italienischer Poeten als vortrefflichen Kenner der Sprache und Uebersetzer. Noch sollte dem immer mehr Leidenden und oft mit heftigen Schmerzen Kämpfenden beschieden sein, zwei Werke zu verfassen und herauszugeben, die hohe Aufmerksamkeit erregten. Zunächst das „moderne Epos“ „Homunculus“ (Hamburg 1889), eine scharfe Satyre auf Verhältnisse und Zustände unserer Tage, reich an Geist und Witz, welche, obwol genial abgefaßt, so verschiedenartige Beurtheilung je nach der politischen Richtung der Beurtheiler erfuhr, und seine fesselnde Selbstbiographie: „Stationen meiner Lebenspilgerschaft“ (Hamburg 1889), ein Buch voll Wahrheit ohne Dichtung, in dem H. uns sein ganzes äußeres und inneres Leben vor Augen führt. Während der Zeit seines Grazer Aufenthaltes verkehrte der stets mehr ängstlich und schüchtern auftretende Dichter nur mit einer kleinen Zahl von Persönlichkeiten, deren einigen er seine freundschaftliche Zuneigung widmete. So vor allem mit dem jüngeren Freunde Rosegger, welchen er, wie erwähnt worden, in das litterarische Leben eingeführt hatte und mit dem ihn bald wahre, innige Freundschaft verband. Zumal in Rosegger’s „Heimgarten“ war seit dessen Beginne 1876 H. ein getreuer Mitarbeiter, dort sind auch die ersten Bruchstücke jener selbstbiographischen Aufzeichnungen erschienen, die H. später in den erwähnten „Stationen“ ausarbeitete. Zu den alten Freunden, mit denen H. fortwährend in freundschaftlichem Verkehre stand, zählte der schon erwähnte Fritz Pichler und der Dichter Friedrich Marx. Auch zu Anastasius Grün und K. G. R. v. Leitner stand er in freundlichen Beziehungen, solche hatten sich auch zu den Schriftstellern H. Penn und Karl Pröll in Graz herausgebildet, ebenso zu F. Kürnberger, Valentin Pogatschnigg und Em. Hermann, den beiden Herausgebern der Kärntner Volkslieder. Von den Uebrigen, die „auf die Bildfläche des Grazer Lebens“ für H. traten, sind die Redacteure V. A. Svoboda und E. Kleinert, dessen Gattin die Dichterin Sophie v. Khuenberg, der Philosoph Prof. A. Riehl, der Geologe Prof. Peters, der Poet Wilh. Fischer, die Tonkünstler R. Heuberger, Wilh. Kienzl, Rich. Sahla, die Bildhauer Hackstock und H. Brandstetter zu nennen, welch letzterer mehrfach in Büsten Hamerling’s charakteristische Gesichtszüge verewigte.

In den letzten Jahren seines Lebens hatte der Dichter mit großen, ja furchtbaren Leiden zu kämpfen. Wie ihn dieselben angriffen, wie er dagegen ankämpfte, ist in den letzten Blättern seiner Stationen mit erschütternder Wahrheit zu lesen. In seinem „Stiftinghause“ bei Graz erlöste den Dichter am 13. Juli 1889 der Tod von diesen Leiden. Ein schönes, großes Marmormonument Hamerling’s hat der hervorragende Bildhauer Prof. Karl Kundmann gefertigt, das an einer passenden Stelle im Grazer Stadtpark aufgestellt ist, wo der Poet sich so gern erging.

Bevor einige andere Mittheilungen über H. und die Charakteristik seiner hervorragendsten Werke folgen, seien noch die aus seinem Nachlasse herausgegebenen Werke desselben hier angeführt. Es sind dies: „Lehrjahre der Liebe. [741] Tagebuchblätter und Briefe“ (Hamburg 1890), eine wichtige Ergänzung seiner Autobiographie; ferner das große philosophische Lebenswerk: „Die Atomistik des Willens“, 2 Bde. (Hamburg 1891), der lyrische Nachlaß: „Letzte Grüße aus Stiftinghaus“ (Hamburg 1894) und „Was man sich in Venedig erzählt. Nach italienischen Quellen“ (Hamburg 1894).

Das Bild des Dichters der Schönheit und Liebe wäre unvollständig, wenn man nicht auch der Frauengestalten gedächte, welche ihm auf seinem Lebenswege begegneten, Begegnungen, die manches schöne Gedicht in seinen Sammlungen zur Folge hatten und die Entwicklung seiner Dichtung überhaupt beeinflußten. Die „Lehrjahre der Liebe“ geben hierüber manche Auskunft, wenn auch des Dichters erste Huldigungen, die er Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes widmete, eigentlich in den „Stationen“ und nachher in den Tagebuchblättern aus der Jugendzeit enthalten sind, die M. W. Rabenlechner im 1. (bisher einzigen) Bande seiner ausführlichen Biographie „Hamerling“ (Hamburg 1896) veröffentlichte. Der geliebten Regiswindis, welcher der Fünfzehnjährige schon seine Zuneigung in Wien schenkte und die seine Phantasie zu einem Liebesverhältnisse ausschmückte, wurde schon oben erwähnt. Er besuchte sie in der Folge, als sie schon einem Manne die Hand gereicht hatte. In zahlreichen Versen feierte H. später das von ihm „Lilie“ genannte Mädchen aus seiner Waldheimath, wo sich ein kleines Liebesidyll abspielte. Eine Schülerin Rosa in Wien, „jung, hübsch, schönäugig und naiv“ war ihm auch zur Muse geworden, seitdem sie, da sie im Hause wohnte, ihm einst ein „Gläschen Punsch“ gebracht, wodurch er zum Plane des dramatischen Ahasverus begeistert wurde. Freilich war diese Rosa, wie sich zeigte, mehr seinem Freunde Bruckner zugethan, wie er wahrheitsgetreu berichtet, aber sie gab ihm Gelegenheit, „das räthselhafte Leben und Weben eines Frauenherzens zu belauschen“. Eine andere Schülerin, die Polin Jadviga, ist es, die er ebenfalls im Liede besingt und für die er oft „lichterloh glühte“, und im Fasching 1851 lernte er die schöne Sidonie kennen, welcher er einen Cyklus von Liedern sandte, die aber ebenfalls bald aus seinem Gesichtskreise schwand. Alle diese Mädchenbilder bildeten seinen Geist in jenem Sinne, welchen er selbst die „Schule der Charis“ nannte. Ernster war der kleine Roman mit Pauline, den H. in den „Lehrjahren“ aus Graz erzählt, wo er 1853 weilte. Eine geborene Italienerin, nahm sie die Huldigungen und Verse des jungen Poeten gern entgegen und die Beziehungen wurden inniger. Aber H. glaubte selbst nicht, daß sein Glück von langer Dauer sei. So war es auch. Eine vielleicht begründete Eifersuchtsscene veranlaßte die Trennung der Liebenden. In Triest fesselte ihn von 1862 an die Harfenvirtuosin Marie Mösner, die er in Sonetten und in dem längeren Gedicht „Marie“ verherrlichte. Später verkehrte er mit der ihn bestrickenden dramatischen Künstlerin Antoniette Julius, die er als Giulietta besingt. In Graz war es Fanny Schreiber, eine romantisch angelegte, an H. schwärmerisch hängende Frau, in deren Gesellschaft er seit 1861 viele schöne Stunden verlebte, namentlich aber die schon früher genannte „Minona“, Frau Clotilde Gstirner, an welche ihn bis zum Tode wahrhaft freundschaftliche Bande knüpften. Minona’s gedenkt der Poet in Gedichten und Briefen, in älteren und neueren Aufzeichnungen, er nannte sie „eine Frau von unvergleichlicher Naturfrische, Wärme, Innigkeit, Heiterkeit, Güte und Hingebung des Herzens“, eines seiner schönsten Gedichte „An Minona“ entstand in Pordenone, als er in ihrer Gesellschaft einen Ausflug nach Venedig machte. Frau Minona lebt noch (März 1904) in Stiftinghause, wo der Dichter gestorben ist, weiht ihm ihre Erinnerung und hängt heute noch in schwärmerischer Begeisterung an dem Verklärten.

[742] H. ist in erster Linie Epiker und Lyriker. Was seine lyrischen Gedichte betrifft, so hat er den 1857 zuerst erschienenen „Sangesgruß“ ausgestaltet in „Sinnen und Minnen“, welche Sammlung bis heute 9 Auflagen erlebte. Darin und in seinen „Blättern im Winde“ sind die schönsten Stücke seiner Lieder enthalten. Er besingt in oft hinreißenden Versen die Schönheit und die Liebe, nennt sich selbst „Priester des Schönen“ und erweist in allen diesem Thema gewidmeten Gedichten eine geradezu ideale Begeisterung. Den meisten Liedern merkt man die Entstehung unter der heißen Sonne des Südens an. Prächtige Bilder und Vergleiche schmücken die Verse Hamerling’s, welche fließend und wohlgefügt seiner Stimmung und seinem Gedankenfluge Ausdruck geben. Diesem Umstande ist es auch zuzuschreiben, daß zahlreiche der Gedichte Hamerling’s von verschiedenen Componisten vertont wurden. Stücke wie: „Hebe mich auf weichen Schwingen“ oder „Laß die Rose schlummern“ oder „Wirf in mein Herz den Anker“ gehören zu den edelsten und zartesten Blüthen deutscher Poesie. Aber auch das Naturbild, zumal des südlichen Meeres, findet in ihm einen begeisterten Schilderer. Er schildet die Lenznacht („Prachtvoll ist im Süden die Lenznacht“) und die Sommernacht am Meere, bietet wohllautende Lieder aus Venedig und hat den Zauber des Meeres und der Schönheit desselben alle Reize abgelauscht. Nicht minder aber wendet er sich auch der Natur im Norden zu, preist einen „Waldgang im Herbste“, zeichnet das Gewitter im Walde wie das nächtliche Ungewitter, die Morgenfrische und die Schönheit des Herbstes, und die Sehnsucht nach der nordischen Heimath dringt nicht selten schon in seinen Klängen aus dem Süden durch („Sehnsucht nach dem Norden“). Welche Gedanken ihm oft eine Blume in die Seele ruft, zeigt das Hymnengedicht: „Vor einer Genziane“ („Die schönste der Genzianen fand ich …“). Ueberhaupt liebt H. die Hymnenform, in welcher er eine ganze Gruppe von Gedichten abgefaßt hat, unter denen die rührenden Stücke „Mein Eichhörnchen“ und „Der geblendete Vogel“ überaus zu Herzen sprechen. Aber auch das Sonett handhabt H. sehr gewandt und in blühender Sprache, Distichen in edelster Form und Epigramme fehlen nicht. Die erzählenden und balladenartigen Stücke, deren er wenige bietet, sind des Dichters schwächste Leistungen, ohne mißlungen zu sein zeigen sie doch, wie ihm auf diesem Gebiete naturgemäß Fesseln auferlegt erscheinen. Dagegen erklingen herrlich die Sänge zum Preise des deutschen Namens und Volkes selbst in den zahlreichen, von ihm verfaßten Gelegenheitsgedichten, die H. stets glänzend durchzuführen verstand und die die gewöhnliche Gelegenheitspoesie thurmhoch überragen.

Den Mottozeilen … „sing in freudigen Tönen – vom tagenden Morgenrothe – vom kommenden Reiche des Schönen“ entspricht der Inhalt seiner ebenfalls mehr lyrischen Charakter aufweisenden Dichtung „Venus im Exil“, und wie tief innig er für sein deutsches Volk fühlt, erweist der „Germanenzug“, sowie namentlich das „Schwanenlied der Romantik“, dithyrambische, prächtig tönende Nibelungenstrophen, welche in dem Preise des deutschen Vaterlandes ausklingen („Ja Vaterland geliebtes, umströme dich Glück und Heil!“). Kaum jemals hat noch ein Dichter in solcher Begeisterung das deutsche Vaterland verherrlicht.

Ausgezeichnet steht H. mit seinen Epen da, sowohl mit „Ahasverus in Rom“ (1866) wie mit seinem „König von Sion“ (1869), die erstere Dichtung hat bisher 25, die zweite 16 Auflagen aufzuweisen. „Ahasverus“, in reinen formschönen, fünffüßigen Jamben abgefaßt, schildert das glänzende, aber auch wüste und verlotterte Leben Roms in der letzten Neronischen Zeit; der junge Nero, allerdings idealisirt, ist die Hauptperson der Dichtung, neben ihm, dem Verehrer der Schönheit und Lebenslust, taucht stets in Momenten, in denen [743] der Gegensatz besonderes packend hervortritt, die düstere, unheimliche Gestalt Ahasver’s auf. Ein pantheistischer Zug weht durch Aeußerungen und wiedergegebene Gedanken in der Rede des ewigen Juden. Die verschiedenen Persönlichkeiten aus Nero’s Umgebung sind mit einer bewunderungswürdigen Schärfe gezeichnet, so der Mohr Tigellin, Seneca, die Kaiserin Agrippina u. a. Die Scenen, welche diese „Epopöe des Sinnentaumels, des Genusses … des Lasters nah’ dem Punkt, wo sichs erbricht“, bietet, erscheinen mit einer solchen sinnlichen Farbenpracht und Gluth gezeichnet, die Schilderungen des schwelgerischen Lebens in Rom, der Feste, Spiele, Bacchanale, des Brandes der Weltstadt von solcher Anschaulichkeit und mit so üppigen Farben ausgemalt, daß man nicht umsonst in einer späteren Broschüre H. mit Hans Makart verglichen hat, dessen unnachahmliche feurige Farbengebung uns hier in Versen des Dichters entgegentritt. Dieses Werk hatte einen der gewaltigsten Erfolge aufzuweisen, den je eine Dichtung errungen, es wurde in fast alle Weltsprachen übersetzt und fügte nach seinem Erscheinen H. den ersten deutschen Poeten der Neuzeit an. Um gerecht zu sein, muß allerdings gesagt werden, daß es auch an Widersachern nicht gefehlt hat, denen in den späteren Auflagen H. in einem „Epilog an die Kritiker“ antwortete.

Nicht minder bedeutend im ganzen und an einzelnen großartigen Schönheiten hervorragend ist auch „der König von Sion“. Diese Dichtung enthält 10 Gesänge, sie erscheint in reinsten und edelsten Hexametern abgefaßt und schildert poetisch verklärt das Treiben der Wiedertäufer in Münster. Jan von Leyden, der jugendlich schöne Mann, anfangs Gaukler, dann König von Sion, nachdem die Anabaptisten zur Herrschaft gelangt sind, tritt als ebenfalls ideale Gestalt in den Vordergrund der Handlung, neben ihm erscheinen die historisch bekannten Gestalten: der Prophet Matthissen, Krechting, Knipperdolling u. a. m. Prächtig treten daraus zwei frei erfundene Frauengestalten uns entgegen, die königliche Zigeunerin Divara und die einstige Nonne Hela in Münster, beide wieder mit den glänzendsten Farben entworfen, welche der Dichter zur Verfügung hat. Obgleich H. erklärt, daß er den „Pinsel getaucht in die kälteren Farben des Nordens“, sind doch wieder die Schilderungen und Beschreibungen von fesselnder Schönheit und Großartigkeit, ja, man könnte sagen, sie übertreffen, wenn möglich, noch jene im Ahasver. Natur- und Seelenschilderungen, letztere hier noch vertiefter, fesseln den Leser vom ersten bis zum letzten Gesang. Wie genau und anschaulich der Dichter die Davert, Münsters ganze nähere und weitere Umgebung in die dahinrauschenden Hexameter gefaßt, beschrieben, ist ebenso bewunderungswürdig, als es seine bis ins Kleinste eingehenden Studien des ganzen Stoffes, des Gebietes, der historischen Persönlichkeiten sind. Allerdings wird Niemand aus der prächtigen Darstellung die Mühe dieser Studien herauslesen, welche das Gewand der Dichtung umhüllt. Wenn er in Jan v. Leyden den Verkündiger des Evangeliums des Schönen und Edlen verherrlicht, so verstößt H. allerdings vielleicht einigermaßen gegen die historische Wahrheit, kehrt aber seine Eigenart der Verherrlichung des Idealen hervor. Einzelne Scenen wie die Waldscene in der Davert, die Scene, da Jan die Nonne findet, die Domscene, die lebendig vorgeführten Kämpfe, die üppigen Gelage im Domhofe sind mit ihrem fesselnden Reize musterhaft ausgeführte Darstellungen. Der Tod des Königs, des für Edles so begeisterten Jan, schließt die mächtige Dichtung ab, welche in poetischen Accorden ausklingt, der nach den Stürmen in Münster wiedergekommenen ruhigen Tage gedenkend.

In der Reihe der großen epischen Gedichte Hamerling’s schließt sich die gewaltige, als eine Art von Epos behandelte Satyre „Homunculus“ (Hamburg [744] 1888) an, welche der Dichter „ein modernes Epos in 10 Gesängen“ nennt. An Tiefe der Gedanken und an geistigem Inhalt ist diese merkwürdige Dichtung überreich. Homunkel, der vom gelehrten Doctor in der Retorte erzeugte, ist eigentlich der moderne Mensch mit allen seinen heutigen Bestrebungen. Sein Lebenslauf bildet den Inhalt des Gedichtes. Munkel wird Poet, Gründer einer Zeitung und Actiengesellschaft, kommt allerdings ins Narrenhaus, wird aber durch den Verlust seines Vermögens wieder vernünftig. Mit Hülfe der Lurlei hebt er den Nibelungenhort im Rhein, vermählt sich mit der Nixe und will später das sagenhafte Eldorado entdecken. Er findet es und in ihm ein glückliches Land, welches er zum Musterstaate umändern will, wodurch allerdings die ursprüngliche Einfachheit weicht. Da ihm nur ein todtgeborenes Kind geschenkt ward, adoptirt er zwei Waisen der Insel, Eldo und Dora. Nach der Zerstörung des Reiches kehrt er in die Heimath zurück, und weil er ein anderes Geschlecht heranbilden will, versucht er es, die Affen zu vermenschlichen und erzieht die Affen zu hoher Ausbildung; diese treten mit den Menschen in Kampf, schließlich nimmt das Affenreich ein Ende. Sodann wird Munkel, welcher sich den Juden zuwendet, deren König, doch von denselben gekreuzigt. Gerettet gründet er einen „Weltcongreß der Seinsverächter“, um die Welt zu vernichten. Doch scheitert der Plan an dem Liebespaare Eldo und Dora, „das die Finsterniß verlockte, sich zu küssen“. Munkel will nun ins Reich der Sterne ziehen mit einem Riesenfahrzeug und rast durch den Weltraum. Eldo und Dora aber verbleiben in dem Erdenthal, „lächelnd, glückumstrahlt, ein Bild der Urkraft“, ihnen gab Natur „das Leben durch die Liebe“. – Aus diesem knappen Inhalt der in vierfüßigen Trochäen abgefaßten Dichtung ist zu ersehen, daß sich der Dichter alle Gebiete des modernen Lebens erwählt hat, auf denen er seiner scharfen Satyre freien Lauf läßt, die Schäden dieses Lebens geißelt er auf das schärfste, Gründerthum, Judenthum, Staatstheorien, auch neue Litteraturbestrebungen (z. B. in der „litterarischen Walpurgisnacht“) verfallen seiner genialen satyrischen Zeichnung. Wenn man auch nicht den „Homunculus“ Hamerling’s bedeutendstes Werk nennen kann, so ist es von seinen größeren Dichtungen unbedingt das gedankenreichste und unterscheidet sich durch seine Eigenart natürlich außerordentlich von den beiden eben besprochenen Epen.

Eine liebliche, ebenfalls epische Dichtung bietet „Amor und Psyche“ (Leipzig 1882), die nach der bekannten Sage bearbeitet sich wieder der Verherrlichung des Schönen und der Liebe zuwendet, aber doch nicht zu den hervorragendsten Stücken des Dichters zählt. – Ueberaus hervorzuheben aber und jedenfalls den glänzendsten Schöpfungen Hamerling’s zugehörig erscheint „Aspasia. Ein Künstler- und Liebesroman aus Alt-Hellas“ (Hamburg 1876. 3 Bde.). Wir finden hier eine prächtige Darstellung des schönheitstrunkenen, griechischen Lebens mit den Gestalten der Aspasia und des Perikles im Vordergrunde. Wenn auch gerade keine fesselnde Handlung des in der edelsten Sprache abgefaßten Romanes zu verzeichnen ist, so hat doch der Dichter alle Seiten des antiken Denkens und Wirkens darin zum geradezu classischen Ausdrucke gebracht. Man muß sich allerdings ganz in das griechische antike Leben hineindenken, um die Beziehungen ganz zu erfassen, welche uns der Dichter hier vorführt, so namentlich das Verhältniß der Aspasia zu Perikles, welches durchaus jedes lüsternen Beigeschmacks entbehrt. Dichter- und Künstlergestalten wie Sophokles, Pheidias u. a., die anmuthige Persönlichkeit des jungen Alkibiades treten uns entgegen, das liebliche Idyll, in dem das arkadische Mädchen Kora und der Hirte Manes eine Rolle spielen, zeigt das anmuthige Hirtenleben im Gegensatze zu den Festlichkeiten und Schauspielen, zu dem Leben und Treiben [745] auf allen Gebieten in der durch die Werke der Kunst so herrlich geschmückten Stadt. Mit dem Tode des Perikles schließt dieses bedeutende Dichtwerk, welches mehr als irgend eine Schöpfung Hamerling’s seiner Begeisterung für Wahres, Gutes und Schönes Ausdruck gibt; die am meisten hervortretende Aspasia im Roman ist die edelste Verkörperung der Schönheit und Liebe unter dem classischen Himmel Griechenlands. Die ganze Dichtung ist gekennzeichnet durch deren Schlußsatz: „Menschlich und edel ist das Gute – göttlich und unsterblich aber das Schöne.“

Wenn auch H. als Dramatiker nicht jenen Rang einnimmt, den er als Lyriker und Epiker beanspruchen darf, so muß doch seine Tragödie „Danton und Robespierre“ (Hamburg 1871) ein höchst beachtenswerthes Werk genannt werden. Das auf eingehenden Studien fußende Revolutionsdrama führt in Robespierre den begeisterten Freiheitshelden vor, welcher im Gegensatze zu dem verweichlichten Danton steht und vor keiner That zurückschreckt, die seinen freiheitlichen Gedanken zum Siege verhelfen soll, freilich war seine Einsicht nur „eitel trotziger Menschenwahn“. Die Volksscenen des ersten Actes und zahlreiche andere Scenen zeugen von einer bedeutenden dramatischen Gestaltungskraft, welche auch der Zeichnung einzelner Charaktere zukommt. Im ganzen aber dürfte wohl an eine Aufführung nicht zu denken sein, da die Länge des Stückes und die Zersplitterung der Handlung einer solchen im Wege stehen. Läßt sich die Wirkung gewisser Theile dieses Dramas übrigens nicht ableugnen, welche bei einmaliger Darstellung des ersten Actes auf der Bühne auch erprobt wurde, so muß ein wahrhaft komischer oder heiterer Eindruck des Lustspieles: „Lord Lucifer“ (Hamburg 1880) unbedingt bestritten werden. Die berühmte Malerin Angelika, welche dem Lord Spiridion keine Liebe entgegenbringt, dagegen in einen Gauner Beppo, vom Lord ihr absichtlich als Marquis verkleidet entgegengeführt, sich verliebt, sieht erst spät ein, wie wenig dem Burschen, der sie sogar bestiehlt, zu trauen war. Zum Schluß öffnet ihr der Sturz einer Lawine, die sie verschüttet, wobei sie vom Lord gerettet wird, die Augen über dessen Zuneigung, die allerdings in seltsamen Scenen, in den Reden des Lords stets mit einem sarkastisch-Schopenhauer’schen Beigeschmack hervortritt. Auch dieses Stück hat geistvolle Seiten, aber die Handlung bietet so viel des Unwahrscheinlichen und Gekünstelten, daß kaum je eine Aufführung dieses sogen. Lustspieles gewagt werden könnte. – Hamerling’s Scherzspiel „Teut“ (Hamburg 1872) wird wol auch niemals dargestellt werden, doch ist es eine recht witzige Satyre auf die frühere deutsche Uneinigkeit und enthält eine Menge historischer und litterarischer Anspielungen auf die früheren und späteren Verhältnisse im deutschen Reiche. Die alten Cherusker werden im modern komischen Gewande vorgeführt, mancher auch dialektische Scherz wird den Vertretern der ober- und niederdeutschen Stämme in den Mund gelegt, Polizei- und Vereins-, Gelehrten- und Militärwesen erscheinen in ihren lächerlichen Auswüchsen humoristisch behandelt. Die sagenhafte Figur Teut’s, welcher in klangvollen Versen spricht, von den Anwesenden bei seinem Auftreten trotz seiner ernsten Rede stets verspottet, wird schließlich von dem Boten des Wodan ins Götterreich entführt, nachdem er noch gesehen, wie die Stämme seines Volkes einig geworden sind. Mit einer Andeutung auf den Mann, der diese Einigkeit zu Stande gebracht, Bismarck, schließt das tolle, an ernsten und heiteren Gedanken reiche Satyrspiel.

Wie schon die schöne, klare und edle Sprache in der „Aspasia“ gezeigt, ist H. auch ein Meister der Prosa. Dies tritt namentlich auch in den 2 Bänden: „Prosa. Skizzen, Gedenkblätter und Studien“ (Hamburg 1884) hervor. Der Inhalt dieser Bände ist ein mannichfaltiger, Litterarisches, Ethnographisches, [746] Reisebilder, kleine philosophische und sprachliche Aufsätze, verschiedene Causerien und Aphorismen sind darin enthalten, Alles aber erweist Gedankenreichthum in virtuoser Sprachdarstellung. Auch die Autobiographie „Stationen meiner Lebenspilgerschaft“ (Hamburg 1889) ist den bemerkenswerthen Prosawerken Hamerling’s beizuzählen, man kann sie eine der besten Selbstbiographien unter den bestehenden deutscher Schriftsteller nennen. Nicht nur dem Leser gewährt sie fesselnden Reiz, sie ist auch die beste, weil überall wahrheitsgetreue Quelle von Hamerling’s Leben.

Zuletzt muß noch jene ernste Gedankenarbeit erwähnt werden, welche H. unter dem Titel: „Die Atomistik des Willens“ als nahezu vollständiges philosophisches Werk zurückließ. Das Buch wurde in 2 Bänden von A. Harpf 1891 aus Hamerling’s Nachlasse herausgegeben. Es bietet ein klares, gemeinverständliches, philosophisches System, das in die 4 Theile: Theorie der Erkenntniß, des Seins, der Wirkung und des Willens zerfällt, zum Theile unter dem Einflusse Kant’s steht, aber auch Principien moderner Naturwissenschaft mit der Willenslehre Schelling’s, Schopenhauer’s und E. v. Hartmann’s zu vereinigen sucht. Naturphilosophie, Ethik und Aesthetik finden darin ihre eigenartige Behandlung. So hat H. als Dichter Großes, aber auch als philosophischer Schriftsteller Beachtenswerthes geschaffen.

Eine Volksausgabe der Werke Hamerling’s in 4 Bänden, herausgegeben von Dr. Mich. W. Rabenlechner, ist 1900 (Hamburg) erschienen, eine zweite Auflage derselben, welche noch Vermehrungen darbietet, wurde 1902 vorgelegt. In dieser Ausgabe ist auch eine Biographie des Dichters und eine litterar-historische Skizze beigegeben.

Die besten Quellen zur Lebensgeschichte Hamerling’s bieten natürlich die oben genannten selbstbiographischen „Stationen“ und „Lehrjahre der Liebe“. – Aus der reichen Hamerling-Litteratur zu erwähnen sind besonders: K. E. Kleinert, Robert Hamerling. Hamburg 1889. – Aur. Polzer, Robert Hamerling, sein Wesen und Wirken. Hamburg 1890. – Mich. W. Rabenlechner, Hamerling. Sein Leben und seine Werke. I. Bd. Hamerling’s Jugend. (Hamburg 1896.) Ein Folgeband dieses außerordentlich reichhaltigen, aber etwas unübersichtlichen Werkes ist leider noch immer nicht erschienen. – Höchst beachtenswerth erscheinen Rosegger’s Persönliche Erinnerungen an Robert Hamerling. (Wien 1893), sowie der von Rosegger im „Heimgarten“, 26. Jahrg. 1902, zum Abdrucke gebrachte „Briefwechsel zwischen Robert Hamerling und Peter Rosegger“. – Ferner sind noch zu verzeichnen: K. Landsteiner, Hans Makart und Robert Hamerling (Wien 1873). – Alfred Marchand, Les poètes lyriques de l’Autriche. 2. Série. (Paris 1886) mit einem Essay von 100 S. über H. – In Ernst Gnad, Litterarische Essays. N. F. (Wien 1895) ist H. als Lyriker und als Dramatiker eingehend behandelt. – Die umfassendste Sammlung der Briefe von H. bieten die 4 Theile der von Josef Böck außerordentlich fleißig zusammengestellten „Ungedruckten Briefe von Robert Hamerling“ (Wien 1897 bis 1901), welche auch in den beigegebenen Erläuterungen reichliches unbekanntes Material und am Ende des 4. Theiles eine genaue Biographie alles dessen, was von H. gedruckt wurde, und das Verzeichniß aller Auflagen seiner einzelnen Werke enthalten. Ebenso findet sich daselbst eine Uebersicht aller Arbeiten, die einzeln oder in Zeitschriften, Zeitungen, Sammelwerken u. s. w. über H. erschienen sind. Das ganz vortreffliche Register macht diese Sammlung sehr brauchbar. Selbstverständlich ist H. in den Litteraturgeschichten von Heinr. Kurz, Rob. König, Otto v. Leixner, R. v. Gottschalk, in Brümmer’s Lexikon d. deutsch. Dichter d. 19. Jahrhunderts und in andern litterar-historischen [747] Werken, z. B. bei Leimbach, die deutschen Dichter der Neuzeit und Gegenwart (III. Bd. Kassel 1886) u. s. w. zumeist sehr eingehend behandelt.