ADB:Corvin-Wiersbitzky, Otto von

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Corvin-Wiersbitzki, Otto v.“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 531–538, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Corvin-Wiersbitzky,_Otto_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 11:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Correns, Erich
Nächster>>>
Cotta, Bernhard von
Band 47 (1903), S. 531–538 (Quelle).
Otto von Corvin bei Wikisource
Otto von Corvin in der Wikipedia
Otto von Corvin in Wikidata
GND-Nummer 118522310
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|47|531|538|Corvin-Wiersbitzki, Otto v.|Ludwig Julius Fränkel|ADB:Corvin-Wiersbitzky, Otto von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118522310}}    

Corvin: Otto Julius Bernhard v. C.-Wiersbitzki, als Mann des öffentlichen Lebens und Litterat (anfängliches Pseudonym ‚Otto von der Weiden‘, Verdeutschung des polnischen Wierzbicki) fast stets Otto v. Corvin oder einfach „Corvin“, Politiker und Publicist, entstammte dem seit Mitte des 17. Jahrhunderts in Ostpreußen begüterten und protestantischen Zweige eines alten vielverästelten polnischen Adelsgeschlechts angeblich magyarischen [532] (Matthias Corvinus u. s. w. im 15. Jahrh.?) und gar altrömischen Ursprungs. Geboren als Sohn eines Majors a. D. sowie Postdirectors – und einer geb. Mandel (Tante des Bildhauers Ed. Mandel) aus Stargard i. Pomm. – zu Gumbinnen am 12. October 1812, wuchs Otto unter den wechselnden Eindrücken des zur Scheidung führenden Zwistes der Eltern und der sittenlosen Unordnung des Vaterhauses in recht „polnischer Wirthschaft“ auf. Nach des Vaters Tode im März 1822 nahm die Mutter den Gymnasiasten mit nach Halberstadt, wo ihr zweiter Gatte Joh. Bernh. Thiersch, der Dichter des ‚Preußenlieds‘ „Ich bin ein Preuße“ (s. A. D. B. XXXVIII, 4), Oberlehrer am Domgymnasium war. Nach dessen noch zweijährigem Besuche erwirkten – der Nachlaß des verschwenderischen Vaters war bei der Auction verschleudert worden – der Klang des Namens Corvin im preußischen Heere, dazu Energie der Mutter und der adelstolzen Verwandten 1824 die Aufnahme ins Cadettencorps zu Potsdam. 1827 kam C. vorschriftsgemäß in das zu Berlin, erhielt auch durch dortige Angehörige Zutritt in höhere militärische und Beamtenkreise, wobei ihn vor allen, wie auch später, seines Vaters Schwester, reiche Wittwe eines Lehnsherrn v. Arnim, warm förderte. Von diesen seinen „glücklichsten“ Jahren führte ihn das Patent vom 12. August 1830 als Lieutenant zum 36. Infanterieregiment ins „goldene“ Mainz, wo er mit Leichtsinn und angeborener Lebenslust sich unter den Junggesellen der Besatzungsofficiere hervorthat in fidelem Treiben. Der aufoctroyirte Beruf stieß ihn bis 1833 mehr und mehr ab, theils infolge des Verkehrs mit den Kameraden Dichter Fr. v. Sallet (siehe A. D. B. XXXIII, 718) und späteren Publicisten F. W. Held (s. A. D. B. XI, 679), theils weil die Bekanntschaft mit dem diplomatischen Parteigänger des verjagten Herzogs Karl von Braunschweig Oberst v. Meyern-Hohenberg, der ihn aus egoistischen Gründen begönnerte, und gar der Wunsch, seine Braut Helene Cardini aus Rödelheim bei Frankfurt a. M. heimführen zu können, ihm eine befriedigende und auskömmliche Existenz nahelegten. Im Mai 1835 verließ er die kleine Festung Saarlouis, wo er den Schluß seiner Soldatenzeit garnisonirt hatte, und warf sich der freien Schriftstellerei in die Arme. Doch erntete er mit Novellen und Dramen 1835–37 keine Lorbeeren, verwerthete aber die virtuosenhafte Schwimmgewandtheit, vermöge deren er in Saarlouis das Militärbad organisirt und den Leuten förmliche Wasser- und Tauchspiele eingeübt hatte, in der „Anweisung zur Erlernung der Schwimmkunst“ (1835, 3. Aufl. 1842), dem ersten, infolge der neuen Lehren in rascher Subscription eindringenden Leitfaden des Fachs. Uebrigens errichtete C. 1842 zu Leipzig in der Elster die erste ordentliche deutsche Schwimmanstalt, wo er sich eine, 1845 erst durch Kaltwasser-Gewaltcuren geheilte qualvolle Erkältung zuzog. Die Versprechungen Baron Meyern’s realisirten sich nicht, obschon er C. mit an den Gothaischen Hof nahm (vgl. A. D. B. XXI, 645), wo er versuchte, ihn dort, sonst bei den Prinzen Ferdinand oder Albert, die die portugiesische bezw. englische Königin heiratheten, unterzubringen. Da er bei Mutter und Stiefvater – nun Gymnasialdirector in Dortmund – keinen Anhalt fand, wandte er sich Ostern 1837 nach Frankfurt a. M., wo ihn der kecke Wurf des ersten deutschen waidmännischen Journals, „Der Jäger. Zeitschrift für Jäger und Naturfreunde“ (1838–42, mit dem tägl. Unterhaltungsblatt „Der Sonntagsjäger“) und, ebenfalls ohne Vorgänger, eine Monatsschrift für Pferdezucht und -sport „Der Marstall“ (1839–42) auf einen leidlich grünen Zweig brachten. Am 28. September 1839 konnte er so endlich seine opferwillige Braut heimführen, die ihm durch alle Widrigkeiten und Stürme eine ideale Genossin geworden ist. Sie übersiedelten dabei nach Hanau, Frühling 1840 nach Leipzig, wo C. seine Zeitschriften [533] unter den Augen haben mußte. In Pleiß-Athen, damals noch mehr Buchhandelsmetropole, auch Sammelpunkt zahlreicher Pläne schmiedender Litteraten und Demokraten, rührte C. mit wachsender Geläufigkeit die Feder. Zu einem „Sporting-Almanach für 1844“ und einem „Taschenbuch für Jäger und Naturfreunde“ für 1845/46 stellte er den Text großentheils selbst zusammen. In Corvin’s engerer Tafelrunde, wie sie sich mit 14 Mitgliedern im ersten deutschen Litteratenverein krystallisirte, staken manche oben anrüchige Publicisten, die einen Kleinkrieg gegen Polizei und Bureaukratie führten. Gerstäcker, H. Laube, Rob. Heller, Kuranda, Saphir, E. M. Oettinger, Herloßsohn, Glaßbrenner, Moritz Hartmann, Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, K. Beck, K. Biedermann, W. Jordan, Gust. Kühne, Rob. Blum, Hnr. Wuttke, Osw. Marbach haben damals in Leipzig mit C. verkehrt oder seinen Weg gekreuzt. Jedoch stieß C. wegen seiner der reformlüsternen Tagestendenz immer mehr Rechnung tragenden Schriften „Abriß der Geschichte der Niederlande bis auf Philipp II.“ (1841) und „Der niederländische Freiheitskrieg, nach den besten Quellen bearbeitet“ (I. II. 1841/42, 1846 deutsch) – letztere vollständig nur holländisch in 6 Bänden 1847–49 zu Amsterdam erschienen und im Gebiete des Schauplatzes (‚de geleerd Wiersbitzki‘) hochgelobt – mit den Behörden ebensowenig zusammen, wie durch seine überaus heftige Sammlung „Historische Denkmale des christlichen Fanatismus“ (1845), die an die Trierer Ausstellung des heiligen Rocks und des Vaters der deutsch-katholischen Bewegung, J. Ronge, Erstauftreten in Leipzig anknüpfte. Nur die litterarische Compagnie-Arbeit mit dem 1843 daselbst gelandeten Regimentsbruder Held brachte ihn in Reibung mit der Censur: das erste wohlfeile (1 Thlr. pro Jahr) politische Volksblatt „Die Locomotive“ erreichte schnell 15 000 Abonnenten, bald aber Verbot, während ihre gleichfalls gemeinsame „Illustrirte Weltgeschichte für das Volk“ (4 Bde., 1844–51) durch volksthümlichen Ton und Illustrationen binnen einiger Jahre auf einen Stereotyp-Absatz von vielen Tausenden kam, durch Baron Hjerta als Volksbuch schwedisch erschien und 1880/83 in 8 Großoctavbänden[WS 1] seitens des Otto Spamer’schen Verlags als „I. W. f. d. V. Unter Berücksichtigung der Kulturgeschichte. Begründet von Otto v. Corvin und Fr. W. Held. Prachtausgabe. 2. Aufl., bis zur Gegenwart fortgeführt von Otto v. Corvin [auf dessen Conto hier nur I.–II. Bd., das Alterthum, fallen], L. F. Dieffenbach, G. Diestel, Otto Kämmel … u. a.“ erneuert wurde. Da C. aus den nie abgerissenen Beziehungen mit v. Meyern, Karl von Braunschweig und dessen Pariser Secretär v. Andlau, die ihm litterarische Klopffechterei für Wiederherstellung des Herzogs zumutheten – C. redigirte und bevorwortete für v. Meyern das anonyme Buch „Herzog Carl und die Revolution in Braunschweig. Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1830. [Angeblich] Aus den Papieren eines verstorbenen Staatsmannes“ (1843) und überwachte den Druck der von ihm sachlich berichtigten, im Auftrage Karl’s 1844 erschienenen Verdeutschung des „verlogenen unwürdigen Machwerks“ (A. D. B. XV, 285) „Charles d’Este“ (frzs. 1836) – keinerlei dauernden Nutzen hervorblicken sah, zog er sich aus diesem Netze.

Auf der Suche nach guten billigen Bildern für seine geschichtliche Encyklopädie gerieth C. 1846 auf die Palmer’sche Glyphographie, die ermöglicht, anstatt der Holzschnitte um ¾ billiger von galvanoplastisch erzeugter Kupferplatte mit erhabener Zeichnung durch Druckerpresse Facsimile nebst einer Million Abzüge zu nehmen. Er vervollkommnete sie, gründete selbst eine Anstalt dafür und verbesserte auch das von ihm erfundene Verfahren, zu einem gegenüber älteren Mosaikarbeiten sehr geringen Preise höchst dauerhaft und vielseitig anwendbar galvanoplastisch Gold, Silber, Perlmutter, Schildpatt u. a. [534] in gravirbaren Metallplatten einzubetten: diese später im Kerker verfeinerte Technik (als „Corviniello“ berühmt) verkaufte C. 1876 aus Nahrungssorgen an die Firma J. P. Kayser Sohn in Crefeld als Patent, die die betr. industriellen Erzeugnisse in schwunghaften Handel brachte. Anfang 1847 nun versuchte C. sein galvanoplastisches Institut mit Hülfe des Herzogs von Gotha in dessen Residenz zu stabilisiren, begab sich aber im Herbst, seine gelungenen Proben geschäftlich zu verwerthen, nach Paris. Mitten in rosigsten Hoffnungen dafür, betheiligte sich C. schon am ersten Tage der dortigen Februar-Revolution 1848 auf den Barrikaden, schloß sich der namentlich von Herwegh (s. A. D. B. XII, 255) geleiteten „Deutschen demokratischen Gesellschaft“ an und bemühte sich, mit der Unterstützung der Pariser provisorischen Regierung an Geld (7000 Fr.!) und Waffen (200 Gewehre!) die republikanische Bewegung in Deutschland anzufachen, fand aber mit dem Angebot von 5–6000 Mann als Grundstock einer Nationalarmee des Deutschen Parlaments bei Frankfurter Demokraten schroffe Ablehnung. Eine „Deutsche Legion“ von 800 meist deutschen brotlosen Handwerkern und Arbeitern marschirte im April von Paris nach Straßburg und fiel, C. als „Chef des Generalstabs“ dabei, in den Breisgau ein, um Hecker’s und Struve’s Freischärler zu verstärken. Auf dem von C. geleiteten Rückzuge wurde sie, wegen Gewehr- und Munitionsmangels ernsten Widerstands unfähig, am 27. April von 300 württembergischen Liniensoldaten bei Niederdossenbach völlig zersprengt (vgl. Corvin’s Heft „Die erste Expedition der deutschen republikanischen Legion“, Arnstadt 1849). Als Schmiedegeselle verkleidet flüchtete C. zu den Führern des Aufstandes in die Schweiz, stand dann, badische Truppen aufreizend, dem demokratischen „Unterstützungs-Comité“ in Straßburg vor, blieb, Anfang August ausgewiesen, als „Alfred Meister“ zu Weißenburg i. E., kam 15. October nach Berlin, mitten in die Revolution hinein, die sein Genosse Held hauptsächlich schürte. Weiterarbeit an der unvollendeten „Weltgeschichte“ und Held’s „Volksblatt“, Vertretung der badischen Flüchtlinge auf dem Berliner „Demokraten-Congreß“, Mitgliedschaft des Bürgerwehr- und des Social-Vereins veranlaßten im Mai 1849 seine durch Minister v. Manteuffel nur hingehaltene Ausweisung. Er warf sich nunmehr der badisch-pfälzischen republikanischen Erhebung ganz in die Arme, obschon er gar bald deren Plan- und Aussichtslosigkeit durchschaute und ihren Häuptern selbst als zweifelhafter Kantonist galt. Als Bürgerwehr-Oberst vertheidigte er unter Mieroslawski Mannheim gegen die Preußen sowie Baiern in Ludwigshafen, schoß letzteres theilweise in Brand und wurde am 30. Juni in Rastatt zufällig mit eingeschlossen. Er mußte die Hauptlast der Vertheidigung der ca. 5000 Mann gegen die cernirende preußische Uebermacht tragen und wegen Unmöglichkeit eines Entsatzes, Demoralisation und Mangels die Capitulation auf Gnade und Ungnade am 22. Juli als Beauftragter abschließen. Das proclamirte Standrecht ergab für die meisten Officiere rasch vollstreckte Todesurtheile: am 15. September wurde C. „mit 5 Stimmen gegen 1 zum Tode durch Erschießen und in die Kosten verurtheilt“, am 20., weil seine Zuständigkeit als Leipziger Bürger und die Bestätigung nichteinstimmiger Verdicte durch den Großherzog von Baden seine Hinrichtung verzögerten, zu 10 Jahren Zuchthaus begnadigt. Diese, am 2. October 1849 in 6 Jahre Einzelhaft im sog. pennsylvanischen Zellengefängniß verwandelte Strafmilderung, durch Corvin’s Gattin, Advocat Kusel, geschickte eigene Vertheidigung und Beweise-Mangel erwirkt, hat ihn durch demokratische Gesinnungsgenossen vielfach, aber mit Unrecht, als verrätherischen Auslieferer Rastatts verdächtigen lassen. C. ermöglichte es allmählich, sich mit Malen, Lesen und Schreiben zu beschäftigen; seine und der hingebenden Gattin Versuche zu Flucht und Begnadigung mißglückten.

[535] Am 2. October 1855 verließ er das Bruchsaler Gefängniß und drohungshalber Baden, körperlich, aber nicht geistig heruntergekommen. In Frankfurt a. Main nicht geduldet, in Soden i. Taunus durch Stickereien der Frau ernährt, vermochte C. nicht die Niederschrift seiner Gefängnißerfahrungen und Lebenserinnerungen wegen der Schärfe in Zeitschriften einzurücken und ging über Amsterdam nach London, wo er auf G. Kinkel’s Drängen deutsche Sprache unterrichtete und Mitarbeiter an Ch. Dickens’ „All the year round“ und „Household words“ wurde. Im Juli 1857 schloß C. in Soden das Manuscript seiner Memoiren ab und wandte sich, um darüber mit (Hoffmann und) Campe zu verhandeln, im December nach Hamburg. Hier behelligte unablässige Polizeichicane ihn und seine Frau, die nur auf nahem dänischen Boden sicher war, und so fuhr er denn im Frühjahr 1858 verstellt bei Nacht und Nebel von Altona mit einem Hamburger Dampfer nach London. Dort kam die Gattin als finishing governess angenehm unter, C. arbeitete für Dickens, Cotta’s „Morgenblatt“, Hackländer’s und Höfer’s „Hausblätter“, die „Gartenlaube“, ließ auch die endlich zurückerhaltenen „Erinnerungen aus meinem Leben“ 1861 in Amsterdam erscheinen. Am 10. Septbr. 1861 reiste C. als Specialberichterstatter der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“ und Mitvertreter der Londoner „Times“ zum sog. Secessionskriege nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, verfolgte und schilderte diesen sowie das Aufstreben der jüngsten Weltmacht, wurde als Oberst dem Kriegsministerium der Union, dann deren Schatzamt attachirt und ging Sommer 1867 als Specialcorrespondent der New-York Times für Deutschland und Nachbarn nach Berlin. Hier begann er vielseitigen Verkehr mit Persönlichkeiten der Politik, Litteratur und Gesellschaft, sowie eine rege actuelle Schriftstellerei. Seit Mai 1868 wohnte das Corvin’sche Paar mit dem von Amerika her eng befreundeten Prinz Felix Salm und dessen Gemahlin (geb. Agnes Le Clerq) in Rorschach am Bodensee, und C. entwarf bezw. redigirte (gegen A. D. B. XXX, 254) und edirte in der Folge: „Queretaro. Blätter aus meinem Tagebuche in Mexiko. Von Felix Prinz zu Salm-Salm, General, erstem Flügel-Adjutanten und Chef des Hauses Sr. Hochseligen Majestät des Kaisers Maximilian von Mexico. Nebst einem Auszuge aus dem Tagebuche der Prinzessin Agnes zu Salm-Salm“ (1. u. 2. Abdruck, 2 Bde., 1869; englisch hrsg. von C. als „The Diary of Prince Salm-Salm“ 1869) und „Zehn Jahre aus meinem Leben. 1862 bis 1872. Von Prinzessin Felix zu Salm-Salm“ (3 Bde., 1875; engl. hrsg. von C. als „Ten years of my life“ 1875), wie er auch 1868 als „Maximilian I. Emperor of Mexico, Recollections of my life“ dessen 1867 bei Duncker & Humblot erschienene deutsche Memoiren übersetzt hatte.

Von Herbst 1869 bis Sommer 1870 hielten Abschlüsse über litterarische Unternehmungen C. in Stuttgart, Berlin, London fest, worauf er im Auftrage der „New-Yorker Staatszeitung“, des Londoner „Temple-Bar“ (die betreffenden Berichte 1872 in 2 Bdn.: „In France with the Germans“), der „Gartenlaube“ und der Wiener „Neuen Fr. Presse“ den deutsch-französischen Krieg mitmachte. In Versailles bei Corvin’s altem Bekannten Lothar Bucher äußerte der Kanzler Graf Bismarck in einer zufälligen Unterredung zu C.: „wie das Schicksal die Dinge fügt: dieselben Gesinnungen haben Sie ins Gefängniß geführt und mich auf den Platz, auf welchem ich stehe“. Er zog mit den Deutschen in Paris ein, ging dann nach London, Frankfurt, Rorschach, Ende 1871 nach Berlin, wo seine Einnahmequellen versiegten und er im Verein mit Moritz Becker, von „Stantin & Becker“, den Pächtern der preußischen Bernsteinfischerei, und dem bekannten Friedrich Kapp das „Corviniello“ [536] energisch auszunützen ansetzte. 1873 vertrat er die North Pacific Eisenbahngesellschaft bis zu ihrem Krach auf der Wiener Weltausstellung. Anfang 1874 übersiedelte er nach dem bairischen Kreuzwertheim am Main, bald ins jenseitige badische Wertheim, wo ihm eine angenehme Idylle beschieden war, October 1877 nach Leipzig. Dort hat er nochmals festen Fuß gefaßt und im „Symposion“, das er 1878 mit gründete und das den „Allgemeinen Deutschen Schriftstellerverband“ ins Leben rief, mit Ernst Eckstein, Franz Hirsch, Frdr. Friedrich, Moritz Brasch, Johs. Prölß – dieser sein und seiner Wittwe litterarischer Erbe und Testamentsvollstrecker – anregenden Umgang gepflogen. Seitens der neuen „Deutschen Freisinnigen Partei“, der C., nie ein Princip-Republikaner, politisch nun am nächsten stand, und des „Symposions“ feierte man in Leipzig am 12. October 1885 das Halbjahrhundert-Schriftstellerjubiläum des 73jährigen, der sich im Frühjahr 1884 nach dem herrlichen Elgersburg in Thüringen (damals auf dem „Totenstein“ daselbst die „Corvinshütte“ als Aussichtspunkt enthüllt) zurückgezogen hatte. Plötzliche schnelle Abnahme der Kräfte bannte ihn an den Fahrstuhl und hieß ihn am 15. October 1885 mit der unermüdlichen Ehegattin nach dem milderen Wiesbaden wandern, wo eine Unterleibszehrung, die Frucht mehrjährigen Darmkatarrhs, die hartnäckige Natur des lebensfreudigen Greises am 2. März 1886 überwältigte. Noch im Juli 1885 hatte die Vorrede zur 5. Auflage seines „Pfaffenspiegels“ sein Leben kurz resumirt. Er erlebte noch die Beschlagnahme dieser 5. Auflage, nicht aber den Ausgang des wider ihn, den Verleger und das Werk angestrengten Processes: der „Pfaffenspiegel“ wurde unter Streichung einiger Stellen ein für alle Male freigegeben, dem Verleger als nunmehr allein Verantwortungsfähigem zwei Monate Gefängniß und die Gerichtskosten zudictirt – der dramatische Abschluß von Corvin’s publicistischer Laufbahn nach dem Tode.

Eben dieser „Pfaffenspiegel“ ist das bekannteste, genannteste und umstrittenste seiner Geisteskinder. So hießen nämlich seit ihrer 2. Auflage von 1868 jene „Historischen Denkmale des christlichen Fanatismus“, die C. 1845 als Sammelbecken aller ihn Ausschreitungen dünkenden kirchlichen und clericalen Sitten hatte drucken lassen und die er eben seit 1868 durch den Untertitel des „Pfaffenspiegels“, „H. D. d. F. in der römisch-katholischen Kirche“, direct gegen Papst, Mönchthum, Cölibat u. s. w. münzte. Dies gepfeffert polemische Werk erschien, obschon wesentlich ein Belege-Reservoir, 1869 in 3., 1870 in 4. (illustrirter und darum später confiscirter), 1885 in 5., 1889 in 6., 1890 in 7. Auflage, und ist damit in einer Massenhaftigkeit unter die Menge gebracht, wie sie auch den gefeiertesten Schriftstellern in Deutschland sonst nicht beschieden ist, und die zu denken gibt (frzs. „La Prétraille Romaine“ 1874, 2. Aufl. 1902; italien. 1902). Kein Wunder, daß der Ultramontanismus dem „Pfaffenspiegel“ bis heute grimmigsten Haß, die Socialdemokratie eifrige, halb officielle Colportage widmete. Als Ergänzungswerk dazu bezeichnet sich Corvin’s Buch „Die Geißler“ (1846, 2. Aufl. 1890, 3. 1891), bis 1902 in ca. 50 000 Exemplaren verkauft: stoffbunt läßt es mit herbem Tadel alle Arten Hiebe in und außer der Kirche Revue passiren. Eine vollgepfropfte Rüstkammer aller Anwürfe gegen das gesammte Legendarische und Wundersame im Christenthum, in dessen Entstehungs- wie Entwicklungsgeschichte, ist: „Die Goldene Legende. Eine Naturgeschichte der Heiligen“ (1875; 2., 3., 4. Aufl. 1888, 1889, 1890, seitdem unverändert abgedruckt, von W. Oberländer und L. Löffler illustrirt); ein 4/9 umfassender Theilabdruck führt seit 1877 die „Heilige Familie“ für sich vor. Lediglich [537] der nüchterne Menschenverstand wägt hier alle kirchliche Tradition ab, doch will C. ausdrücklich das ethisch Hohe und Tiefe an Jesu Lehre festhalten. An historischen Schriften Corvin’s sind neben den angeführten zu erwähnen: „Biographien historisch berühmter Maitressen. I: Maria Aurora, Gräfin von Königsmarck und ihre Beziehungen zu August dem Starken, Kurfürsten von Sachsen“ (1847, 2. Aufl. 1890), „Geschichte der großen französischen Revolution und ihrer Folgen“ (2 Bde., 1883/84; Erneuerung von Bd. VII der Corvin-Held’schen „Weltgeschichte“), „Geschichte der Neuzeit. 1848–1871“ (3 Bde., 1883/84; 2. Aufl. 1887), mit vielen Actenstücken, Urkunden, wahren Anekdoten, eigenen Erlebnissen und Eindrücken, „Historische Hauspostille. Kurzgefaßte Weltgeschichte für das Volk“ (2 Bde., mit 24 Porträts, 1885/86), knapp und drastisch, zugleich ein Beweis, wie C. bis zuletzt ums tägliche Brot ringen mußte. Im Erzählen seiner vielerlei verschlungenen und seltsam anmuthenden Erlebnisse schlägt bei C. oft eine belletristische Ader vor; aber die hervorstechendste Seite darin ist die unaufhörliche Sucht, die ihm begegnenden ungewöhnlichen Menschen als Individualitäten in ihren markanten Zügen – C. war ja tüchtiger Zeichner – mit dem Stifte aufs Papier zu bannen. 1861 erschienen, nach der ein Probeheft abgebenden Broschüre „Die Einzelhaft und das Zellengefängniß in Bruchsal“ (1857), die 4 Bände mit dem Reclametitel des Verlegers „Aus dem Leben eines Volkskämpfers“, 1864 eine 2. Auflage. 1871 eine von C. überwachte, stellenweise ausmerzende englische Uebersetzung „A life of adventure. An autobiography. By Colonel Corvin, Author of …“ (3 Bde.), 1880, bis dahin summarisch ergänzt, die 3. Auflage der „Erinnerungen aus meinem Leben“, 1895 die unveränderte 4. dieses lebendig und unumwunden spiegelnden Kaleidoscops von 68 Jahren Selbstbiographie und deutscher Zustände. Als authentische Ergänzung zur packendsten Periode appelliren unmittelbar an das Gemüth „Aus dem Zellengefängniß. Briefe aus bewegter, schwerer Zeit 1848–1856“ (1884). Auf dem Felde völlig tendenzloser Schriftstellerei, wo Corvin’s gelegentliche Ausflüge ins Reich der Poesie liegen, gelangte C. zu keinen entscheidenden Erfolgen. Die lyrischen und novellistischen Versuche des Dilettanten sind auch, soweit überhaupt versteckt gedruckt, verschollen, und den Dramen blüht kein anderes Schicksal: „Die Hunyaden. Ein historisches Trauerspiel“, 1837 unter dem Pseudonym „Otto von der Weiden“ gedruckt (2., umgearbeitete, bessernde und kürzende Auflage 1880 mit Corvin’s Namen) wie „Hassan. Dramatisches Märchen“ (1837), eine auf „1001 Nacht“ fußende Anregung eines Lustspiel-Preisausschreibens, die die Form des phantastischen Märchens „zu sehr kecken politischen Anspielungen benutzte“ (so 1842 „Allgemeines Theater-Lexikon“ VII, 231), worin noch stärker „Midas. Eine antike Märchen-Extravaganza“, 1838 gedichtet, von Felix Mendelssohn – die Lieder hatte Volkmann in Leipzig componirt – als Text einer beabsichtigten komischen Oper zu derb befunden, endlich 1886 am Tage vor dem Tode in Druckcorrectur von C. gelesen. Weihnachten 1848 führte der beliebte Puppenspieler Lind(e)n(müll)er in Held’s satirischer „Weihnachtsstube“ in Berlin Corvin’s Puppenspiel in Knittelversen „Der Zauberring der weißen Frau“, das General Wrangel u. a. Tagespersönlichkeiten sehr ähnlich nachbildete, wochenlang sehr beifällig auf. Nur aus pecuniärer Ursache entstanden wol „Frisch gewagt ist halb gewonnen. Lustspiel in einem Akt. Aus dem Englischen des J. R. Planché“ (1884, Bloch’s Theaterbücherei), ganz harmlos, 1677 am spanischen Hofe spielend, und „Die gefrorne Schwiegermutter“, ebenfalls ein leichter Einacter nach dem Englischen, kurz vor dem Tode gedruckt.

[538] Trotz des bewegten äußeren Lebensganges Otto v. Corvin’s beruht sein Name und dessen Fortdauer fast ausschließlich auf seiner Wirksamkeit als Publicist; denn ein solcher bleibt er auch, wo er sich an größere historische oder culturgeschichtliche Themata macht, weshalb seine einschlägigen Veröffentlichungen sämmtlich einen actuellen, volksthümlichen, meistens agitatorischen Klang zeigen. Eigentlicher Politiker und politischer Kopf war er jemals ebensowenig wie kunstmäßiger Litterat. Von der Tendenz ganz abgesehen, bekundet C. in der Regel einen ausgeprägten Charakter und spricht Ansicht, Zu- und Abneigung stets offen aus. Der „Pfaffenspiegel“, die Corviniello-Erfindung und das Unternehmen der „Illustrirten Weltgeschichte“ dürften ihn so bald kaum vergessen lassen.

Die Grundlage zur äußern und innern Biographie Corvin’s steckt in Text und Vorreden seiner autobiographischen und zeitgeschichtlichen Schriften. Eine Fülle authentischen Materials machte mir Johs. Prölß (Stuttgart) zugänglich, der kundig und liebevoll über den älteren Freund schrieb („Frankf. Zeitung“ 16. März 1881, 4.–6. März 1884, 4. u. 6. u. 20.–22. März 1886), eine Menge seltener Drucksachen, auch Werke Corvin’s und reiche Notizen der hartgeprüfte Verleger Corvin’s, Buchhändler Albert Bock (Rudolstadt), einige Briefe und Daten Corvin’s langjähriger Freund Dr. Gustav Levinstein (Berlin, † August 1902). Die Artikel der Nachschlagewerke beruhen auf nur geringer Kenntniß seiner Persönlichkeit, desgleichen die Erwähnungen in den Parteischriften (Staroste 1852/53, O. Hartmann 1900, u. a.) über 1848/49. Ausführliches Lebens- und Charakterbild, für die „A. D. B.“ als zu breit zurückgezogen, erscheint demnächst vom Unterzeichneten.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Vorlage: Großactavbänden