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Artikel „Struve, Gustav von“ von Karl Wippermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 681–687, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Struve,_Gustav_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:36 Uhr UTC)
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Struve: Gustav v. St., Publicist und politischer Agitator, wurde am 11. October 1805 in München geboren als Sohn des russischen Wirklichen Staatsraths Johann Gustav v. St., welcher 1817 zum russischen Geschäftsträger in Karlsruhe ernannt wurde. Nachdem er hier die erste Jugendzeit verbracht hatte, studirte er 1824–26 in Göttingen und Heidelberg die Rechte. Seiner freieren Ansichten wegen hielt der Vater eine Anstellung in Rußland nicht für angemessen und bewirkte, daß er 1831 die Stelle eines Secretärs bei der oldenburg’schen Gesandtschaft am Bundestage erhielt. Allein die freieren politischen Ansichten, welche er in Frankfurt offen aussprach und verfocht, brachten ihn mit dem oldenburg’schen Gesandten und anderen Diplomaten in Conflicte. Klagen und Tadel darüber, daß die Zusagen der Bundesacte vom Bundestage nicht erfüllt worden, schienen für einen Angestellten seiner Art nicht passend. Es war ihm daher sehr erwünscht, daß er 1828, nach dem Tode seines Vaters, von dieser Stellung abberufen wurde. Sehr begünstigt vom Minister v. Brandenstein, erhielt er eine Stelle als Landgerichtsassessor in Jever. Dieselbe sagte ihm jedoch aus ähnlichen Gründen wie die Stelle in Frankfurt nicht zu. Derselbe Geist, meinte er, beherrsche, wenn auch unter anderen Formen, den Stand des Richters wie des Diplomaten. Aus den oldenburg’schen Diensten ehrenvoll entlassen, siedelte er 1832 nach Mannheim über. Hier vermochte er zwar in seiner Beschäftigung als Obergerichtsadvocat den Civilprocessen keinen Geschmack abzugewimien, er widmete sich ihnen aber, weil er erkannte, daß die Advocatur eine wichtige Vorschule des politischen Lebens sei. Diesem blieb er jedoch vorläufig noch ganz fern; mit Vorliebe wandte er sich aber dem Studium der Staatswissenschaften und verwandter Fächer zu. Aus diesen Studien ging zunächst hervor ein „Erster Versuch auf dem Felde des deutschen Bundesrechts, betr. die verfassungsmäßige Erledigung der Streitigkeiten zwischen deutschen Bundesgliedern“. Dann folgte ein schon mehr politischer „Briefwechsel zwischen einem ehemaligen und einem jetzigen Diplomaten“ (Mannheim 1845). Schon dieser erste Schritt auf politischem Gebiete brachte ihn ins Gefängniß. Die Verurtheilung erfolgte, weil er in der Schrift den Fürsten Metternich des Hochverraths beschuldigt hatte. Hiernach veröffentlichte er wieder ein rein wissenschaftliches Werk über „Das öffentliche Recht des deutschen Bundes“ (2 Theile. Mannheim 1846). Die folgende Schrift „Briefe über Staat und Kirche“ (Mannheim 1846) trug ihm wieder mehrere Wochen Gefängniß ein. Alsdann schrieb er wieder einige rein juristische Schriften: „Positiv-rechtliche Untersuchung der auf die Presse sich beziehenden bundesrechtlichen Bestimmungen und Bezeichnung der Mittel, deren Freiheit zu erlangen“; „Grundzüge der Staatswissenschaften“ (4 Bde. Frankfurt 1847–48), eine „Kritische Geschichte des deutschen Staatsrechts, dargestellt in ihren Hauptträgern“ (Mannheim 1847) und ein „Politisches Taschenbuch“ (Frankfurt 1847). Daneben fand er noch Zeit, sich mit größtem [682] Eifer der Phrenologie zu widmen. Er gründete eine phrenologische Zeitung, die sich jedoch nicht lange behaupten konnte, hielt in Mannheim und Heidelberg phrenologische Vorlesungen und untersuchte den Schädel jedes Mannes, den er dazu erlangen konnte, am liebsten die Schädel von Volksvertretern. Was er an diesen entdeckt zu haben glaubte, veröffentlichte er einige Male sofort und ohne Rücksicht in seiner Zeitschrift. Dadurch entstand mehrfach Scandal, zumal diejenigen, welche sich so an den Pranger gestellt fühlten, nicht immer dazu schwiegen. Es ging aus diesen Studien übrigens noch hervor eine „Geschichte der Phrenologie“ (Heidelberg 1843); „Die Phrenologie inner- und außerhalb Deutschlands“ (Heidelberg 1843) und ein „Handbuch der Phrenologie“ (Leipzig 1845). Gewissermaßen noch einem dritten Fache widmete er sich durch seine Anfang 1844 gegründete „Zeitschrift für Deutschlands Hochschulen“, wegen der er während der kurzen Zeit seiner Redaction, bis August 1845, mit der Censur mehrfach in Zwist gerieth. Hierdurch bekam, wie er später sagte, sein alter Groll gegen Despotismus neue Nahrung. Gewaltig wuchs dieser aber, nachdem er am 1. Juli 1845 die ihm angebotene Redaction eines politischen Tageblatts, des Mannheimer Journals angenommen hatte. Obwohl er dessen entschieden freisinnige Tendenz sich schriftlich vorbehalten hatte, leitete er, unter Ablegung der Adelsbezeichnung, das Blatt zunächst in sehr gemäßigtem Sinne. Dennoch gerieth er mit dem Censor zu Mannheim in eine lange Reihe harter Kämpfe. Gediegene und in anständiger Form gehaltene Aufsätze wurden ihm so verstümmelt, daß deren Aufnahme unmöglich war. Die Mittheilung von Thatsachen wurde ausgemerzt, Actenstücke, die durch alle Blätter liefen, gestrichen und der gesetzliche Recurs gegen diese Chicanen durch kleinliche Hemmungen erschwert. In diesem täglichen kleinen Kampfe benahm sich St. mit großem Geschick und andauernd mit großer Tapferkeit. Als aber 1846 die Opposition in der zweiten badischen Kammer gegen das ganze Blittersdorf’sche System lebhafter wurde, lenkte auch St. das Mannheimer Journal in die Bahnen dieser Opposition. Die Liberalen in der Kammer waren ihm bald nicht entschieden genug und, verbündet mit Hecker, griff er „die Halben und die Lauen“ an. Der Eigenthümer des Blattes entzog ihm deshalb die Redaction. Dies hatte aber nur die Folge, daß St. selbständiger und kühner den Kampf gegen das Regierungssystem fortsetzte. Er gründete 1847 in Mannheim den „Deutschen Zuschauer“, ein Blatt, in welchem die öffentlichen Zustände aller deutschen Staaten mit größter Schärfe, Rücksichtslosigkeit und Bitterkeit in schwungvollem Stile besprochen und eine zu hoffende Revolution deutlich in Aussicht gestellt wurde. Ferner machte er weiteren Kreisen das Nähere über das Verhalten des Mannheimer Censors bekannt. Er ließ alles drucken was dieser gestrichen hatte und man fand es allgemein unbegreiflich, bis zu welcher Spitze eine constitutionelle Regierung die Censur hatte treiben lassen. So wurden von ihm veröffentlicht „Actenstücke der Censur des Herrn v. Uria-Sarachaga“, dann „Actenstücke der Censur und Polizei der Stadt Mannheim“ und „Actenstücke der badischen Censur und Polizei“. Daneben gab er sich abermals einer Lieblingsneigung hin: aufs strengste alle Fleischspeisen verschmähend, empfahl er ein solches Leben durch die Schrift: „Mandara’s Wanderungen“. Die in ganz Deutschland so viel Aufsehen und Interesse erregenden vormärzlichen liberalen Bestrebungen in Baden bestanden nicht bloß im Auftreten der Kammeropposition, sondern auch in Struve’s journalistischen Thätigkeit. Und diese würde noch mehr Sympathie gefunden haben, wenn er nicht begonnen hätte, sich einer mehr demokratischen Richtung zuzuwenden, welche er auch in einer großen liberalen Versammlung aus ganz Baden zur Schau trug, die am 12. September 1847 in Offenburg stattfand. Nach dem Ausbruch der Bewegung von 1848 hielt er, zumal im Bewußtsein, durch seine journalistische [683] Thätigkeit den Boden für die Bewegung in Südwestdeutschland vorbereitet zu haben, für sich die Zeit gekommen, politisch mehr hervorzutreten. In der That ist er durch seine Betheiligung an der Bewegung im Sinne der Republik am bekanntesten geworden. Schon in der Bürgerversammlung vom 27. Februar in Mannheim trat er Männern wie Mathy, Bassermann, v. Soiron entschieden entgegen und bewirkte gegen diese den Beschluß für eine durch ihn der zweiten Kammer zu übergebende Petition mit den weitgehendsten Forderungen, ein ungewöhnlicher Schritt, welchem jedoch durch v. Itzstein’s kräftiges Auftreten die Spitze abgebrochen wurde. Aehnlich trat St. am 5. März in der das Vorparlament berufenden Heidelberger Versammlung mit dem Verlangen nach einer föderativen Republik besonders H. v. Gagern entgegen. Die große Offenburger Versammlung der badischen Staatsbürger vom 19. März wurde auf Struve’s Antrieb berufen und genehmigte sein Programm einschließlich der Bestimmung, daß in jeder Gemeinde ein Verein für Bewaffnung, politische und sociale Bildung des Volks sorgen solle. Für den Unterrheinkreis ward St. selbst in den Hauptausschuß dieser Organisation gewählt. Gleichen Erfolg hatte er in der großen Freiburger Versammlung vom 26. März. Durch ihn wurde diese zu der Forderung bewogen, daß die neue deutsche Verfassung auf Grundlage der föderativen Republik festgestellt und daß gegen Widerstand hiergegen Gewalt vom Volke gebraucht werde. In demselben Sinne trat er im Vorparlament auf; schon am 31. März trug er demselben ein auf Aufhebung der stehenden Soldaten- wie auch der Beamtenheere, der erblichen Monarchie u. s. w. gehendes Programm vor und am 2. April stand er an der Spitze der 79 Männer, welche nach Ablehnung der Permanenz und des gegen die Bundesausnahmsgesetze gerichteten Zitz’schen Antrags unter Verwahrung ausschieden. Sie traten zwar nach inzwischen erfolgter Aufhebung dieser Gesetze am 3. April wieder ein; aber da, wie er in einer späteren Schrift sagte, kein entschiedener Republikaner in den 50er Ausschuß gewählt wurde, so suchten er und Genossen „sich auf einem anderen Felde geltend zu machen, als auf demjenigen, auf welchem die Ränkeschmieder und die Schwätzer des Siegs gewiß waren“. Den von ihm mit angeregten und geführten ersten badischen Freischaarenzug sah er darin begründet, daß das badische Volk seine bisherige bedeutungsvolle Stellung, Deutschland die Fahne des Fortschritts voran zu tragen, nur unter einer neuen kräftigen Leitung habe behaupten können, und da die in Offenburg aufgestellten Forderungen des badischen Volks von der Regierung nicht befolgt worden, habe er mit Fickler am 5. April bei Welcker als Bundestagsgesandten noch einen friedlichen Versuch gemacht durch die Forderung einer Abstimmung über Monarchie und Republik; nach Fickler’s Verhaftung aber hätten die durch Verschleppung dieser Frage getäuschten Führer infolge ihres öffentlich gegebenen Worts zu den Waffen greifen müssen. Infolge seiner in Ueberlingen, Stockach und Donaueschingen erlassenen Aufrufe zum Aufstand folgten ihm 300 Männer, die jedoch bis zur Vereinigung mit den Schaaren Hecker’s schwer zusammenzuhalten waren. Struve’s Frau Amalie, geborne Düsar, Tochter eines Sprachlehrers aus Heidelberg, führte das Gepäck der Schaar, deren Bestand wechselte, indem mehrmals einige hundert Mann entwichen und Andere wieder eintraten. Trotzdem setzte er unermüdlich seine Aufruhrsreden in Kleinlaufenburg und Säckingen fort, legte Beschlag auf Zollkassen, versuchte Schaaren aus der Schweiz heranzuziehen und die bei Kandern zersprengte Truppe Hecker’s wieder zu sammeln; als aber immer mehr der Seinigen in wilder Flucht davoneilten, setzte er sich, wie er sagt, um sie zu leiten, auch hierbei an ihre Spitze. In Säckingen verhaftet, ward er unter der Bedingung der Auswanderung nach der Schweiz bald wieder entlassen. Er begab sich allerdings nach Rheinfelden im Aargau, kehrte aber mit 200 deutschen Arbeitern zur Unterstützung des [684] Sigel’schen Corps zurück und führte bei Güntersthal eine Abtheilung selbst ins Gefecht. Nach der Niederlage dieses Corps bei Freiburg versuchte er bei Todtnau vergeblich die Flüchtigen zu sammeln. Trotz aller Mißerfolge war er in einer Unterredung mit Hecker in Hüningen für Fortsetzung des Unternehmens; es kam aber nicht zur Einigung, weil Struve’s Plan der Heranziehung französischer Hülfe von Hecker abgelehnt wurde. Er begab sich nun nach Straßburg, wo er mit Heinzen eine Schilderung der „Schilderhebung der deutschen Republikaner im April 1848“ herausgab. Die französische Regierung bewirkte jedoch am 7. Mai seine Entfernung von der Grenze. Er siedelte daher nach Chalons über. Bald darauf ließ er sich mit Heinzen in Birsfeld bei Basel nieder, wo beide einen „Plan zur Revolutionisirung und Republikanisirung Deutschlands“ herausgaben. Dieserhalb aus Baselland ausgewiesen, zog er nach Rheinfelden über, ließ behufs Erhaltung der Gährung in Südwestdeutschlaud eine Fortsetzung seines „Deutschen Zuschauer“ in Basel erscheinen und suchte durch Reisen in der Schweiz wie im Elsaß eine Gemeinsamkeit der deutschen Flüchtlinge unter seiner Leitung zu Stande zu bringen. Die sehnlichst erwartete Gelegenheit wieder loszuschlagen, bot sich ihm durch die Septemberereignisse in Frankfurt a. M. Am 21. September erschien er zu Lörrach in Baden und setzte dort den Bürgern auseinander, daß das Volk nie zu seinem guten Recht gelangen würde, wenn es nicht „seine fluchbeladenen Fürsten verjage“. Alsbald ging er zur That über durch Beschlagnahme öffentlicher Cassen und durch Veröffentlichung von Erlassen im „ersten republikanischen Regierungsblatt Deutschlands“. In einem dieser Erlasse rief er das deutsche Volk zu den Waffen um die Republik herbeizuführen. Ein anderer Erlaß enthielt eine „Dienstanweisung für sämmtliche Bürgermeister“. In einem dritten verfügte er „im Namen der provisorischen Regierung Deutschlands“ die sofortige Abschaffung aller auf dem Grund und Boden haftenden mittelalterlichen Lasten ohne Entschädigung. Auch verfügte er, daß „alles Grundeigenthum des Staats, der Kirche und der auf Seiten der Fürsten kämpfenden Staatsbürger provisorisch an die Gemeinden, in deren Gemarkung es liegt, übergehen solle“. Die Schuld daran, daß die 4000 Mann, mit welchen er am 24. September von Freiburg aufbrach, bald vom badischen General Hoffmann zersprengt wurden, hat St. auf die durch seinen Commandanten Löwenfels bewirkte Zersplitterung der Kräfte geschoben; in Wahrheit aber hatte er selbst diese Theilung vorgenommen, um dadurch die Meuterei eines Bataillons beizulegen. In Wehr bei Säckingen ergriffen, ward er am 30. September von der standrechtlichen Commission in Müllheim an die ordentlichen Gerichte gewiesen, nach Rastatt gebracht und am 30. März 1849 in Freiburg, nach Vertheidigung durch Brentano und nach dem Spruch der Geschworenen, wegen Versuchs des Hochverraths zu 5 Jahren und 4 Monaten Gefängnißhaft verurtheilt. Beim Beginn der badischen Erhebung für die Reichsverfassung aus dieser Haft zu Bruchsal in der Nacht zum 14. Mai von einem Volkshaufen gewaltsam befreit, organisirte er alsbald wieder Streitkräfte und ward in den unter Brentano gebildeten Landesausschuß als einer der Vicepräsidenten aufgenommen. Hier gerieth er wegen seiner radicalen Vorschläge alsbald in Streit mit Brentano und Genossen. Aber auch Beschlüsse, welche er durchgesetzt hatte, wie die auf Verhaftung der gefährlichen, Dienstentlassung der minder gefährlichen Beamten, Verhaftung von 500 Volksverräthern, erwiesen sich als unausführbar, auch nachdem der Ausschuß eine Reihe von Ansprachen, die St. verfaßt, erlassen hatte. Als an Stelle dieser schwerfälligen Leitung eine geringere Personenzahl als provisorische Regierung getreten war, bot diese St. das Departement des Aeußern an, verwarf jedoch sein bezügliches Programm. Unmuthig über Thatenlosigkeit und Schwäche der Regierung, welche ihn nicht aufgenommen, bildete er am 5. Juni 1849 in [685] Karlsruhe einen „Club des entschiedenen Fortschritts“, um eine neue, ausgesprochen republikanische und vor keiner Gewaltthat zurückschreckende Regierung ins Leben zu rufen, ward jedoch von Brentano genöthigt, Karlsruhe zu verlassen. Er gesellte sich zunächst zu den Aufständischen in der Rheinpfalz und schickte sich in Neustadt a. H. durch Verbreitung eines Probeblatts zur dortigen Wiederherausgabe seines „Deutschen Zuschauers“ an, als er sich nach der Niederlage der badischen Aufständischen bei Waghäusel bewogen fühlte, zu diesen zu eilen. Kurze Zeit hier beim Corps Mieroslawski’s weilend, erschien er am 25. Juni in der badischen constituirenden Versammlung zu Offenburg, in welche er inzwischen zu Engen gewählt war. In dieser Versammlung vereitelte er, nachdem sie nach Freiburg übergesiedelt war, Brentano’s Plan, gegen Unterwerfung günstigere Bedingungen für die Führer des Aufstands zu erlangen. Er stürzte dadurch diesen Dictator und wußte selbst in diesem Augenblicke des offenbarsten Niedergangs die Versammlung noch zum Beschluß der Kriegführung aufs äußerste zu bewegen. In einer von St. verfaßten Ansprache der Versammlung wurde Brentano als feiger Vaterlandsverräther bezeichnet; dieser aber schob mittelst öffentlicher Erklärung vom 1. Juli 1849 die Hauptschuld am Mißlingen auf St., worauf St. noch 1849 von der Schweiz aus in der Schrift „Geschichte der drei Volkserhebungen in Baden“ (Bern; rec. in Augsb. „Allg. Ztg.“ 353 Beil. von 1849) die Schuld den Gemäßigten beimaß. In demselben Sinne schrieb seine Frau „Erinnerungen aus den badischen Freiheitskämpfen“ (Hamburg 1850). Im März 1850 wurde St. durch das Stadtamt Mannheim „wegen beharrlicher Landesflüchtigkeit“ des badischen Staatsbürgerrechts verlustig erklärt, in Baiern wurde er wegen Theilnahme am pfälzischen Aufstand zum Tode verurtheilt. Aus der Schweiz, wohin er zunächst flüchtete, ausgewiesen, begab er sich nach Frankreich. Hier polizeilich überwacht, ging er nach England, von wo er jedoch wegen Mangels sicherer Erwerbsquellen nach Nordamerika auswanderte. Am 11. Mai 1851 in New-York angelangt, ließ er sich in Statenisland nieder, ist aber seines Aufenthalts in der großen Republik niemals froh geworden, während Brentano hier zu Ehren gelangte († am 18. September 1891 in Chicago). Gleich beim Maifest der New-Yorker Deutschen, wo er auf Wunsch die Festrede hielt, entgingen St. und seine Frau nur mit Noth der allgemeinen Prügelei. Für neue Schriften konnte er keinen Verleger finden. Der „Deutsche Zuschauer“, welchen er am 1. Juli 1851 in New-York wieder erweckte, mußte schon am 1. April 1852 wieder eingehen. So lebte er 1853–56 in ärmlichen Verhältnissen bei Granitvillage auf Statenisland. Selbst das von ihm und seiner Frau auf Anregung des Directors des deutschen Theaters in New-York geschriebene und am 29. Januar 1855 dort aufgeführte Stück „Abälard und Heloise“ brachte ihm nur Kosten. Ebensowenig Erfolg hatte seine Schrift „Die Union vor dem Richterstuhl des gesunden Menschenverstands“ (New-York 1855; rec. in Grenzboten 1856. 3. Quart. S. 111), worin er Mißverhältnisse der amerikanischen Zustände, namentlich die Aemterjagd, die Sclaverei und die Bestechlichkeit von Congreßmitgliedern tadelnd schilderte. Ungebrochen aber wandten er und seine Frau ihre ganze Kraft an die Vollendung einer schon im Bruchsaler Gefängniß begonnenen, ganz in demokratischem Geist gehaltenen „Weltgeschichte in 9 Büchern“, die er als sein Hauptwerk bezeichnete. Dieser Arbeit widmete er sich besonders seit April 1856 als Gastfreund des Bierbrauers Biegen auf dessen Besitzung Dobbsferry, Westchester-County, am Hudson. Allein viele Abnehmer des Werks gingen von ihm ab, nachdem er 1856 in Reden zu New-York, Boston, Albany, Rochester, sowie mittelst Aufrufs an die Deutschen Amerikas für die Wahl des Sclavereigegners Fremont gegen Buchanan zum Präsidenten der Republik aufgetreten war. Im December 1856 wieder nach New-York verzogen, hielt er 1857–58 in [686] dortigen Handwerkervereinen belehrende Vorträge z. B. „über die Wanderungen der Idee“, und über die Quellen des Aberglaubens. Damit in Verbindung stand seine Redaction der vom New-Yorker Arbeiterbunde seit April 1858 herausgegebenen Wochenschrift „Die sociale Republik“. Bei aller Mühe, welche er sich, namentlich durch Reden in Philadelphia, für die Verbreitung dieses Blattes gab, hatte er so wenig Dank davon, daß er am 5. Februar 1859 auch diese Sache wieder aufgab. Nachdem er dann wieder ein Jahr auf Statenisland (in Stapleton) gewohnt, wo sein erstes Kind geboren wurde, verzog er 1860 abermals nach New-York. Er wirkte hier für Lincoln’s Wahl zum Präsidenten, vollendete seine „Weltgeschichte“ und gab eine Schrift „Revolutionszeitalter“ heraus. Beim Ausbruch des Secessionskriegs trat er 1861 als Gemeiner in das 8. deutsche Freiwilligenregiment unter Blenker, brachte es bis zum Hauptmann, trat aber im November 1862 aus, weil er nicht unter Blenker’s Nachfolger, gegen den sich alle Officiere ausgesprochen hatten, dienen wollte. Ueber diesen Feldzug schrieb er „Das 8. Regiment New-Yorker Freiwilligen und Prinz Salm-Salm“. Längst schon voll Sehnsucht nach der Heimath, kehrte St. nach dem Tode seiner Frau und infolge der badischen Amnestie vom 7. August 1862, der Republik am 2. Juni 1863 wieder den Rücken. Er ließ sich in Stuttgart, dann in Coburg nieder, wo er sich wieder verheirathete und aufs neue zur Feder griff. Zunächst wandte er sich in der A. Allg. Ztg. (310 vom 6. November 1863) gegen Angaben in Häusser’s Denkwürdigkeiten zur Geschichte der badischen Revolution (Heidelberg 1851), welcher Struve’s Verhalten aufs schärfste kritisirt hatte und jetzt, in der A. Allg. Ztg. (324 vom 20. November 1863) erwidernd alles früher Gesagte aufrecht hielt. Sodann gab er in Coburg vier zwanglose Hefte unter dem Titel „Diesseits und jenseits des Oceans“ (1863 u. 64) heraus, um damit „ein geistiges Wechselverhältniß zwischen der alten und der neuen Welt, namentlich zum Frommen Deutschlands anzubahnen“. Die Abschnitte von diesseits des Oceans enthalten u. a. Rückblicke auf sein früheres Auftreten in Baden und dienten mehreren obiger Angaben als Quelle. Ferner gab er heraus eine „Geschichte der Neuzeit“ (Koblenz 1864), schilderte in der Gartenlaube (von 1865, S. 56) „Fr. Hecker in Amerika“, schrieb einen „Kurzgefaßten Wegweiser für Auswanderer“ (Bamberg 1867) und gemeinsam mit G. Rasch Biographien unter dem Titel „Zwölf Streiter der Revolution“ (Berlin 1867). Darin sind die Artikel über Hecker, Blind, Blum, Bakunin von St. verfaßt. Seine Bestellung zum nordamerikanischen Consul für die thüringischen Staaten wurde von deren Regierungen abgelehnt, zumal im Hinblick auf seine am 27. Juli 1864 in Coburg erfolgte gerichtliche Verurtheilung zu 2 Monaten Gefängniß wegen ehrverletzender Aeußerungen gegen deutsche Fürsten in der Allg. deutschen Arbeiterzeitung. 1869 siedelte er nach Wien über, wo er die Schriften herausgab: „Pflanzenkost, die Grundlage einer neuen Weltanschauung“ (Stuttgart 1869), „Das Seelenleben oder die Naturgeschichte des Menschen“ (Berlin 1869) und ein Drama „Eines Fürsten Jugendliebe“ (Wien 1870). Es war ihm nicht beschieden, die Vollendung der deutschen Einheit zu erleben, welche er lebenslang in übergroßer Ungeduld erstrebt hatte. Am 21. August 1870 starb er in Wien mit den Worten: „Dieser entsetzliche Krieg! Ich muß fort!“ Der Beerdigung wohnten einige Journalisten und der Verein der Vegetarier bei, dessen Vorsitzender er war. Er hinterließ außer der Wittwe, zwei Töchter erster Ehe. – St. war eine zum Excentrischen angelegte Natur, ein starker Principienkämpfer, ein Fanatiker, ein durch zahlreiche Nadelstiche des vormärzlichen Regierungssystems großgezogener Republikaner, der die Republik als Radicalmittel gegen Wiederkehr solcher Zustände mit vollster Ueberzeugung, mit der ganzen Kraft seiner Seele, unbeirrt um alle Schwierigkeiten mit rabiater Entschlossenheit einzuführen [687] strebte, dabei ohne praktische Erfahrung, von großer Reizbarkeit und Leidenschaft, von großer Arbeitskraft, unerschrockener Ausdauer, von Muth und Wahrheit im Kampfe für sein Ideal. Darin stimmen auch die Charakteristiken bei Weech, Weber, in den Grenzboten, der Gegenwart und auch sein Freund Heinzen überein.

Heinzen, Einige Blicke auf die bad.-pfälz. Revolution. Bern 1849. – Grenzboten 1849. 2. Sem. Bd. 17 (Die deutsch. Flüchtl. in der Schweiz.). – Steger’s Ergänzbl. IV, 725–732. Leipzig 1849. – Gegenwart II, 338. Leipzig 1849. – Raveaux, Mittheil. über die bad. Revolution. Frankfurt 1850. – Häusser, Denkwürdigkeiten z. Gesch. der bad. Revolution. – A. Allg. Ztg. 1848 Nr. 272, 279; 1849 Nr. 36 u. 171; 1851 Nr. 152; 1870 Nr. 237. – Gartenlaube 1865, S. 453 (Heimgekehrt aus dem Exil, mit Bild, von G. Rasch.). – Braun, Bilder aus d. deutsch. Kleinstaat I, 325. – Meyer’s Ergänzbl. S. 336. Hildburghausen 1870. – v. Weech, Bad. Biogr. II, 331–339. Heidelberg 1875. – Unsere Zeit 1881, II, 840. – Biedermann, 30 Jahre deutsch. Geschichte I, 261. – Biedermann, Mein Leben I, 326. – G. Weber, Geschichtsbilder S. 482–485. Leipzig 1886.