ADB:Gerstäcker, Friedrich (Reiseschriftsteller)

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Artikel „Gerstäcker, Friedrich“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 59–60, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gerst%C3%A4cker,_Friedrich_(Reiseschriftsteller)&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 10:24 Uhr UTC)
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Band 9 (1879), S. 59–60 (Quelle).
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Gerstäcker: Friedrich G., Reisender, fruchtbarer Schilderer und Erzähler, geboren den 10. Mai 1816 zu Hamburg als Sohn des Vorigen, erlernte wider seinen Willen in Kassel die Kaufmannschaft, und widmete sich dann zu Döben bei Grimma der Landwirthschaft. 1837 wanderte er über Bremen nach Amerika aus, wo er unter wechselndem Aufenthalt in Newyork und anderen Städten Streifzüge durch verschiedene Theile der Vereinigten Staaten ausführte und nach ächt amerikanischer Sitte in den verschiedensten, mitunter abenteuerlichen, Lebensstellungen sein Glück versuchte. 1843 nach Deutschland zurückgekehrt, war er litterarisch thätig mit der Herausgabe der Schilderungen seiner Streifzüge und zum Theil darauf gegründeter Romane und Erzählungen und machte dann, vom damaligen Reichsministerium zu Frankfurt unterstützt, von 1849–52 eine zweite Reise durch Südamerika, Californien, die Sandwich- und Gesellschaftsinseln, das südöstliche Australien und einige Theile von Niederländisch-Indien. Im J. 1860 trat er eine dritte Reise an, deren Hauptzweck der Besuch deutscher Colonien in Südamerika und Erhebungen über die Möglichkeit einer Hinlenkung des deutschen Auswandererstromes nach diesem verheißungsvollen Erdtheile war. Sie führte ihn über die Landenge von Panamà nach Ecuador, Peru, Chile, Uruguay und Brasilien. Er kehrte 1861 nach Deutschland zurück. Im folgenden Jahre begleitete er den Herzog Ernst von Coburg-Gotha nach Aegypten und Abessinien. 1867–68 unternahm er eine vierte transatlantische Reise, auf welcher er Theile von Nordamerika, Mexico, Ecuador, Venezuela und Westindien durchzog. Früher in Leipzig und Gotha wohnhaft, lebte er in den letzten Jahren in Dresden und Braunschweig und starb in der letzteren Stadt am 31. Mai 1872. Gerstäcker’s Reisewerke, unter denen die bedeutendsten „Reisen“ (5 Bde., 1853–54) und „Achtzehn Monate in Südamerika“ (3 Bde., 1862), traten an Zahl und Bedeutung weit hinter seinen Romanen zurück. Die letzteren sind es vorzüglich, welche ihm zu dem Rufe und der Beliebtheit verhalfen, die er bei einem großen Theil der deutschen Lesewelt genoß. Daneben hat er eine ausgebreitete journalistische Thätigkeit entfaltet, die unter anderem in der Vertheidigung der Interessen deutscher Auswanderer und Ansiedler in fernen Ländern, besonders Südamerika, und in der immer wiederholten Betonung der Nothwendigkeit fester nationaler Institutionen für die Vertretung unserer Interessen in den außereuropäischen Ländern, Ziele setzte und Erfolge errang, welche Deutschlands Dank verdienten und das zumal in politisch schläfrigen Zeiten wie vor 1848 und nach 1850. Seine ersten Romane waren: „Die Regulatoren in Arkansas“ (3 Bde., 1846) und „Die Flußpiraten des Mississippi“ (3 Bde., 1848). Zwischen diesen und dem letzten „Ein Plagiar“, der in Mexiko spielt, liegt eine lange Reihe von Romanen und Erzählungen, welche alle Länder und Meere der Erde, mit Vorliebe aber die heißen, leidenschaftsreichen Tropengegenden zu ihrem Schauplatz wählen. Die reichen Erfahrungen Gerstäcker’s sind hier mit rasch gestaltender Phantasie zu kecken, naturwahren Bildern verwoben, denen es zwar oft an künstlerischer Durcharbeitung und Vertiefung, nie aber an Lebensfülle und spannender Handlung fehlt. Man sagt, daß das stoffliche Interesse in denselben das künstlerische weit überwiege und es wird freilich eine lebendige Dauer über den Bestand eben jenes Interesses hinaus keinem seiner Werke zuzusprechen sein, da weder Tiefe der Gedanken noch Formschönheit sie classisch erscheinen läßt. Aber der Name „Naturschriftsteller“, mit dem man G. bezeichnet hat, sollte nicht geringschätzig gebraucht werden, denn die Naturwüchsigkeit, Kraft und Lebenstreue seiner Schilderungen und Dichtungen, seine Anlehnung an die große Natur waren ein gesundes und wohlthuendes Element in einer Literatur, die, wie die deutsche zur Zeit seines ersten Auftretens, an epigonenhafter Ueberfeinerung und an binnenländisch-kleinstädtischer Enge des Gesichtskreises litt. Wissenschaftliche [60] Resultate hat G. auf seinen zahlreichen Reisen nicht erzielt, übrigens auch nicht gesucht; selbst seine Naturbilder sind bei aller Wirksamkeit selten genau und detaillirt genug, um in der schildernden Geographie Verwerthung finden zu können.

Vgl. Köln. Zeitung, 1. Juni 1872. Unsere Zeit, N. F. VIII. Jahrg. 2. Hälfte.