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Artikel „Sallet, Friedrich von“ von Daniel Jacoby in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 717–727, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sallet,_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 05:48 Uhr UTC)
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Sallet *): Friedrich v. S., Dichter der neueren Zeit, wurde geboren am 20. April 1812 in Neisse, wo sein Vater Hauptmann im Ingenieurcorps war. Der Dichter stammt nicht, wie falsch behauptet wird, von einer französischen Hugenotten-, sondern aus einer alten lithauischen Adelsfamilie Salleyde, die im Anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbar ist. Ein Stammbuchblatt eines Johann Georg a Sallet, „eques Prussus“ Tübingen 1654, besitzt der Sohn des Dichters, Professor Alfred v. Sallet. Wann das Geschlecht nach Schlesien übersiedelte, ist nicht sicher; bestimmt war es dort schon im 18. Jahrhundert, vielleicht früher. Der Vater des Dichters starb schon 1814. Die Wittwe verheirathete sich zwei Jahre darauf mit dem Assessor Jungnitz in Breslau, dem späteren Kanzler der Universität. Des zweiten Vaters gedenkt der Dichter in den „autobiographischen Knittelversen“: er saß viel über seinen Aktenstößen, vergnügte sich aber gern damit, das Kind im Korbwagen durch ein großes Zimmer zu rollen. In die Aula der Universität fand der Kleine oft Zutritt. Sein gelehrter Onkel, der ebenfalls in der Universität wohnte, der Physiker Jungnitz, ein stattlicher Mann, in altmodischer Tracht, mit „schöner, krummer Nase“ und „nimmer stummen“ Augen unter den buschigt dunklen Brauen, beschäftigte sich viel mit ihm und seinen beiden jüngeren Brüdern. Im geheiligten Studirzimmer zeigte er ein dickes Buch mit schönen Kupferstichen, dann auch einen Band voll pudelnärrischer [718] Affen: „es war, um satirisch ein Kind zu machen.“ Im Guckkasten ließ er sie Bauten und Straßen großer Städte sehen und zauberte ihnen damit eine neue Wunderwelt vor. Wer Sallet’s Novelle „Contraste und Paradoxen“ kennt, wird dabei sogleich an das Guckglas des Onkels Holofernes denken. Auch über den Eindruck, den eine schöne Mädchengestalt machte, berichten die Verse. Ebendasselbe Ereigniß erzählt der Dichter im Tagebuch aus dem Jahr 1831. Das Theater fesselte den phantasievollen Knaben; auf ihn wirkten besonders die damals beliebten Zauberballets und Zauberpossen.

Zur militärischen Laufbahn bestimmt, kam S. zwölfjährig nach Potsdam in die Kadettenanstalt. Damals las er Schiller’s Gedichte eifrig und lernte viele auswendig. Ein Gedicht aus dem Jahr 1825 „der Frühling“ zeigt, daß er trotz der Abneigung gegen den Religionsunterricht, wie er selbst erzählt, ein wahrhaft frommes Kind war, erfüllt von der Sehnsucht nach dem Ewigen. Versuche in Lustspiel und in satirischen Gedichten setzte er in Berlin fort, wohin er 1826 kam. Schiller war auch hier sein Lieblingsdichter. In Berlin lebte er froh und an Leib und Seele gesund, wie er einer Tante 1828 schreibt, der er Gedichte zusendet. Siebzehnjährig bestand er die Prüfung als Officier und kam als Secondlieutenant im 36. Infanterieregiment nach Mainz. Das Leben unter seinen Standesgenossen befriedigte seinen ernsten Sinn, sein tiefes und zartes Gemüth nicht. Seine Thatenlust fand in der schlaffen Zeit keine Nahrung. Sah er, um eine Stelle aus dem Tagebuch zu benutzen, auf seinem Tisch das Exercierreglement aufgeschlagen, so rief er mit Goethe’s Faust aus: Das ist deine Welt, das heißt eine Welt. Gerade weil er sich dem Soldatenstand mit Begeisterung gewidmet hatte, stieß ihn die Hohlheit, dabei die Aufgeblasenheit seiner Umgebung ab. In dramatischen Scenen, in novellistischen Aufsätzen machte er seinem Unmuth über sich und andre Luft. Dabei war er jedoch seiner Bestimmung zum Dichter noch nicht sicher. Die Malerei, besonderes aber die Musik, die er selbst ausübte – er blies auf der Flöte und sang – zogen ihn mächtig an. „Der Musik allein verdanke ich die Ueberzeugung, daß ich überhaupt noch inniger Rührung fähig bin.“ Eifrig widmete er sich ernsten Studien, las die Ilias in der Uebersetzung, Goethe’s Schriften, den er jetzt über Schiller stellte, und vertiefte sich in Shakespeare, den er bald allen Dichtern vorzog. Bei seinem gesunden Sinn fand er die sogenannten Schicksalsdichter lächerlich; „die von einem großen Theil des Publicums verehrte „Schuld“ von Müllner verachte ich“, so schreibt er 1831 im Tagebuch, „und halte sie für abgeschmackt“. Die Aufregungen der Politik blieben ihm fern: noch war er ganz seiner geistigen und sittlichen Entwickelung und Bildung hingegeben. Sein philosophisches Interesse bezeugen mehrere Aufsätze jener Zeit. Im Gegensatz zu manchen seiner Genossen lebte er streng sittlich, seine Mußestunden der Dichtung widmend. Zweifel an seiner Befähigung nahmen ihm den Muth nicht dauernd; Dömming, ein befreundeter Officier, dessen Urtheil er schätzte, stärkte ihn in seiner Hoffnung. Wie gering S. über seine jugendlichen, vorwiegend dramatischen Versuche dachte, beweist der Umstand, daß sich in seinem Nachlaß 4 Bände fanden mit dem Titel „Stümper’s Werke“.

Die erste Arbeit, die er drucken ließ, brachte ihm keinen Ruhm, wohl aber die unfreiwillige Entfernung aus Mainz. In den „hessischen Blättern“ erschien eine Novelle ohne jede politische Tendenz, aber mit Ausfällen gegen seine Berufsgenossen: er war, wie er selbst sagt, unklug genug, seinen ganzen Namen beizufügen. Die Untersuchung dauerte ein Jahr, dann wurde er mit zwei Monaten Festung bestraft. Der König Friedrich Wilhelm III. urtheilte ruhiger und menschlicher als das Kriegsgericht, daß zuerst 10, dann 8 Jahre Festung für nöthig gehalten hatte. In Jülich verbüßte er die Strafe. Sein Tagebuch vom April und Mai 1832 und Gedichte bezeugen, daß der Gedanke an Mathilde, ein [719] Mädchen, das ihm ihre Liebe in der letzten Zeit seines Mainzer Aufenthaltes geschenkt hatte, in der Einsamkeit ihn zum Gesang begeisterte. Eine Reihe wohllautender Sonette entstand damals, die Sallet’s große Begabung für diese Dichtungsart bezeugen. Auch mehrere kleine Gedichte z. B. Kuckucksruf, Liebeslied (Sammlung von 1835 S. 53–54) weisen auf das Verhältniß hin. Als es sich später gelöst hatte und S. in glücklicher Ehe verheirathet war, schrieb er an Theodor Paur: „ich kann Dir betheuern, daß jenes frühere Ereigniß den heitern Himmel meines jetzigen Glückes auch nicht als kleinstes Wölkchen trübt.“

Nach der Befreiung aus der Haft kam er ohne Nachtheile in seiner Stellung als Officier nach Trier zum 30. Infanterieregiment. Eifrig widmete er sich militärischen Studien, aber auch in der Kenntniß der neueren Sprachen befestigte er sich und übersetzte viel aus französischen und italienischen Dichtern. Um als Dichter etwas zu leisten, vertiefte er sich in die Wissenschaft; „wenn man nichts gelernt hat, kann man auch kein ordentlicher Poet werden“. Seine Absicht war, die deutsche Bühne mit einigen guten Trauerspielen und Lustspielen zu bereichern. Jetzt war es ihm gewiß, daß er Beruf zur Poesie habe. Der innige Verkehr mit dem als Schriftsteller schon bekannten, freigesinnten Oesterreicher Eduard Duller (s. A. D. B. V, 457), der seit 1832 in Trier lebte, regte ihn besonders an: in dessen „Erholungsstunden“ ließ er einige Gedichte abdrucken.

Nachdem er Ende des Jahres 1834 nach Berlin gekommen war, um die Kriegsschule zu besuchen, erschien daselbst 1835 in der Fincke’schen Buchhandlung die erste Sammlung seiner Gedichte, ein kleines Bändchen mit dem Motto aus Uhland: Singe, wem Gesang gegeben u. s. w. Einige Gedichte dieser Sammlung sind in die spätere, größere von ihm nicht mehr aufgenommen. Mit Feuereifer widmete er sich der wissenschaftlichen Ausbildung. Die Geschichtskenntniß, schrieb er damals seinem Bruder Jungnitz, ist ein unentbehrliches Glied der Bildung. Durch sie gewann er erst seine festen Ansichten vom Rechte und dem Staat. Man hört Savigny’s Schüler, wenn er schreibt: „Unsere Gesetze sind ein unorganisches Flickwerk, kaum eine Spur von Volksthümlichkeit an sich tragend,“ während die kurz nach der Völkerwanderung entstandenen Sanctionirungen uralter heiliger Sitten und Gebräuche gewesen seien. Das Neue, wenn es haltbar sein solle, müsse sich organisch an das Alte anschließen. Besonders die Geschichte der Reformation zog ihn an, ebenso der Freiheitskämpfe in den Niederlanden; Bentivoglio’s Quellenwerk las er mit innerstem Antheil. Die Behandlung der Erdkunde durch Karl Ritter und Alexander v. Humboldt fesselte ihn; Ritter’s Vorlesungen hat er sorgsam nachgeschrieben. Die Philologie schätzte er hoch. Im Geiste Boeckh’s ist es, wenn er schreibt: „die Sprachen erleuchten oft wie ein Blitzstrahl das ganze Volk scharf und zauberisch vor unseren Blicken. Die Philologie ist das Erkennen des Erkannten, hat man gesagt. Ja wohl. Sie ist das noch einmal Durchfühlen, Durchdenken, Durchleben der ganzen Geschichte des menschlichen Gemüthes.“ Wiewohl er die Meisterwerke der Griechen nur aus Uebersetzungen kannte, hatte er doch ein tiefes Verständniß für ihre Eigenart. Wie Herder wußte er, daß sie an bestimmte Bedingungen ihrer Zeit und ihres Volkes geknüpft waren. Die Schönheit und Harmonie der griechischen Kunstwerke bewundernd, verlangte er für die neuere Kunst Charakter und Ursprünglichkeit. Um die Entwickelung der neueren Sprachen genauer zu erkennen, widmete er sich dem Altfranzösischen und Altenglischen. Aus Percy’s Sammlung übersetzte er mit seinem dichterisch begabten Bruder Karl Jungnitz eine Reihe von Balladen. Das Manuscript, zu Anfang des Jahres 1837 beendigt, ist in Theodor Paur’s Besitz: es enthält nach dessen Angabe etwa die Hälfte der ganzen Sammlung. Der Aufsatz „linguistische Träumereien“ (sämmtl. Schriften 5, 337 f.) beweist, daß S. über die Wirkung der sprachlichen Mittel auch für seine dichterischen Zwecke viel nachgedacht hat. Hegel’s Philosophie, die später den größten Einfluß [720] auf ihn haben sollte, lernte er zunächst durch Vorlesungen bei Henning und Hotho kennen und durch das Studium der Rechtsphilosophie Hegel’s. Bei dem Ernst seines Wesens genügten ihm wenig die Berliner Dichter; er verkehrte mit ihnen, Ferrand (s. d.) ausgenommen, nur äußerlich. In dem 1836 bei Krause erschienenen „Norddeutschen Frühlingsalmanach; herausgegeben von dem Verein der jüngeren Berliner Dichter“, in denen sich Beiträge von Ferrand, Karl Jungnitz, J. Minding finden, erschienen seine Gedichte: „Der Geiger“, „Der starke Hakon“, „Der Heimathheerd“ (Balladen) und „Der Rhein und die Reben“. Der folgende, letzte Jahrgang 1837 enthielt von ihm „Der Rhein und seine Boten“, „Don Quixote“, „Liedesmacht“, „Wellentraum“ und die Balladen „Hornissen-Königs Noth“, „Der Doge“. Diese Gedichte gehören jedoch zum Theil, nach seiner eignen Angabe, einer früheren Zeit an. Denn die sonst so rege Schaffenskraft war in Berlin gehemmt. Nach der Uebersetzung des Percy sehnte er sich nach einer neuen, „frisch poetischen Periode“. Die Tage des Zweifels an dem eigenen Talent, der Kampf mit sich selbst blieben ihm nicht erspart. Dazu kam eine Umwälzung in seinen religiösen Anschauungen. Die beim Publicum beliebte Art der Schriftstellerei verachtete er: „mittelmäßige Novellen schreiben, nein! Da käme ich mir vor wie ein kastrirter Mensch.“

Im Sommer 1837 kehrte er nach Trier zu seinem Regiment zurück, ohne den Cursus an der Kriegsschule beendet zu haben. Ein andrer Geist spricht aus den Gedichten der folgenden Jahre als aus denen seiner Frühzeit. Wenn er wüßte, so schreibt er einem Freunde mit Heftigkeit, daß die Mehrzahl seiner Gedichte zierlich und niedlich und nichts weiter wäre, er vernichtete sein Geschreibsel und schösse sich eine Kugel durch den Kopf. Eine „dunkle aber innige Kraft“ fühlte er in sich, die gerne „ausströmen möchte“. Im Jahre 1838 konnte er drei kleine Bücher veröffentlichen, sämmtlich in Trier bei K. Troschel: 1) Schön Irla. Ein Märchen. 2) Funken. 3) Die wahnsinnige Flasche. Auch lieferte er im selben Jahre eine Reihe kritischer Arbeiten für Duller’s „Phönix“, z. B. eine Würdigung der Gedichte Rückert’s. Eine größere „Novelle“ „Contraste und Paradoxen“, die erst nach seinem Tode gedruckt wurde, war die letzte Arbeit während seines Aufenthalts in Trier.

Mit dem Ende des Jahres verließ er die Rheinlande, nachdem er den Abschied aus dem Militärdienst genommen hatte. Als er wieder in Breslau bei den Seinigen weilte, gedachte er sich zunächst für eine Professur der Litteraturgeschichte vorzubereiten. Eine Zeitschrift „Silesia“, zu der seine Freunde, u. a. Friedrich Rückert, Beiträge zugesagt hatten, kam nicht zu Stande. Dafür gab er zahlreiche Beiträge damals bekannten Zeitschriften, z. B. den hallischen Jahrbüchern. Die in Berlin bei Voß erschienenen „Spenden der Zeit“ 1838 enthielten die Gedichte: „Nehmt hin“, „Glockenzeche“, „Ermunterung“ und die Ballade „Der Organist“. In Chamisso’s Musenalmanach für 1837 war „Elfenwirthschaft“, für 1838 die tiefsinnige Ballade „Das Volkslied“ (S. 146 f.) erschienen, der letzte Jahrgang für 1839 brachte jetzt neun Gedichte von ihm (S. 59–81), darunter „Ein Traum“, „Der Gebannte“, „Prometheus“, „Der Komet“, die Ballade „Nero“ und Gedichte, die in der Sammlung von 1843 unter „Naturleben“ ihren Platz fanden. Das „Laien-Evangelium. Jamben“, zu dem die erste Anregung im Frühjahr 1839 durch seinen Freund J. Möcke gegeben wurde, war Ende des Jahres vollendet und erschien zuerst Leipzig 1842 (Volckmar); es erlebte mehrere Auflagen, die zweite, verbesserte erschien nach seinem Tode 1844 zu Breslau (A. Schulz) mit einem Anhang, der die vom Verleger gesammelten Kritiken enthielt, die dritte bis fünfte ebenda 1845, 1847, 1848; die sechste zu Leipzig 1861; die achte 1873. In gewissem Sinne eine Ergänzung zu diesen „Jamben“ und eine Erklärung seiner Weltauffassung war die Schrift: „Die Atheisten und Gottlosen unserer Zeit“ Leipzig 1844 (Reclam).

[721] Mit wenigen, aber treuen Freunden blieb S. in Breslau in Verbindung. Außer mit Th. Paur, J. Möcke, dem berühmten Botaniker Nees von Esenbeck (A. D. B. XXIII, 368 f.) verkehrte er viel mit dem Germanisten Theodor Jacobi, der ihn erst 1839 durch Paur kennen und lieben gelernt hatte. Eine gleichgesinnte Gefährtin fand S. an Karoline v. Burgsdorff († 30. November 1885), seiner Cousine, mit der er sich im Mai 1840 verlobte. Am 20. Juli wurde sie seine Frau. Ihr ist die „Romanze von einem deutschen Weibe“ gewidmet; sie feiert er im „Gebet“, im Gedicht „Letztes Bedenken“; sie ist die Muse mehrerer Gedichte im Cyklus „Pantheismus und reife Liebe“. Da sich der Herausgabe seiner politischen Gedichte Schwierigkeiten entgegenstellten, sammelte er im Sommer 1842 seine sämmtlichen; die politischen bildeten die letzte Abtheilung unter dem Titel „Ernsthafte Gedichte“. Die Sammlung erschien 1843 „im Verlage des Verfassers“, gedruckt zu Königsberg i. Pr.; 1852 die dritte Auflage; 1862 die vierte (beide Hamburg). Sein häusliches Glück wurde nur zu bald durch Krankheit getrübt. Die letzte Arbeit, die S. selbst veröffentlichte, war ein politischer Aufsatz, in dem er für völlige Preßfreiheit eintrat, in einer schlesischen Zeitung vom 8. November 1842. Am 19. November schrieb er einem Verehrer seines Laien-Evangeliums, Julius Krebs, einen bedeutsamen Brief, der nach seinem Tode erst bekannt wurde. Sein letztes Gedicht war das kurz vor dem Tode mit Bleistift geschriebene „Der Wind“ (sämmtl. Schriften 4, 418). Weihnachten reiste er mit seiner Frau und dem am 19. Juli geborenen Knaben nach Reichau zu seinen Schwiegereltern. Dort erlag er am 21. Februar 1843 frühmorgens einem Brustleiden. Theodor Jacobi schrieb damals Paur: Kein Ereigniß habe ihn so tief erschüttert. „Nicht daß ich ihn nie wieder sehen und sprechen soll, nein, daß so viel Talent und Kraft, so reiner und fester Wille, ein so glücklich erhobener und geläuterter Mensch der Welt verloren gehen kann, indem er ihr erst recht nützlich zu werden versprach, das kann ich nicht vergessen.“ Er und Paur, Nees v. Esenbeck, Möcke und einige andre weihten dem Andenken des Freundes das Buch: „Leben und Wirken Friedrich v. Sallet’s nebst Mittheilungen aus dem litterarischen Nachlasse“, Breslau 1844.

Eine so rasche und folgerichtige Entwickelung, dabei in so kurzer Lebenszeit, findet sich kaum bei einem andern deutschen Dichter. Ueber diese Entwickelung hat S. das klarste Bewußtsein gehabt. Das zeigt die von ihm gemachte Eintheilung seiner Gedichte. Weil durch seinen Beruf der tiefe Drang nach Erkenntniß lange gehemmt war, holte er das Versäumte mit doppelter Energie nach und liebte leidenschaftlich die schmerzlich erkämpfte geistige Freiheit. Von der Romantik ging er aus: Eichendorff und Tieck wirkten auf ihn wohl vorzüglich; seine aller blinden Nachahmung widerstrebende Eigenart ist jedoch auch in den Gedichten wie in den dramatischen Versuchen der frühesten Jugend erkennbar. Phantasievoll und kindlichen Sinnes, lebt er gern in einer holden Märchen- und Traumwelt; im Widerstreit mit der Wirklichkeit regt sich sogleich der in ihm schlummernde satirische Zug. „Naturleben und junge Liebe“ nannte er diese Gedichte der Frühzeit: dazu gehören die meisten aus der Sammlung von 1835, einige auch nach dieser Zeit in Zeitschriften erschienene, so das „Wanderlied“. Mit allen Geschöpfen der Natur fühlt sich der Dichter verbunden, er belauscht Blumen und Bäume, Vögel und Käfer in ihrem geheimsten Leben und gibt ihnen Seele und Sprache. Schilderungssucht aber und zuweilen allzu tändelndes Spiel der Phantasie, Mangel an Plastik im Ausdruck stören nicht selten die reine Wirkung auch manches guten Gedichtes. Eigenartige Begabung zeigen Gedichte wie „Die Sternschnuppe“, „Zephyr und Rose“, „Das Begräbniß der Rose“, „Der Rhein und die Reben“. Und in den Balladen „Der Derfflinger“ und „Ziethen“ (1835) [722] zeichnet er kraftvoll in der Art des Volksliedes einfache und derbe Gestalten. Im „Rhein und seine Boten“ kündet sich der S. der späteren Zeit an: der Rhein schickt den Geist Liebfrauenmilch in die deutschen Lande, daß er „die milde Herrlichkeit“ der deutschen Frauen künde; der Geist von Laubenheim soll Heiterkeit verbreiten, die Großes und Tiefes wirke; der Hochheimer Tiefsinn und Gedanken; der Geist von Rüdesheim aber Thatkraft: die Schwächlinge sollen durch seine Flammenkraft entzündet werden, daß sie ahnen, wie dem Heldenmönch zu Muthe war, als er in die Gluth die Bulle warf, „und was den alten Marschall überlief, wenn vorwärts er mit heitrer Stirne rief.“

Zu dem Märchen „Schön Irla“ gab, wie S. in der seinem Bruder Karl Jungnitz gewidmeten Vorrede in Versen sagt, ein von diesem gespieltes schwedisches Wiegenlied die Anregung. Eichendorff’s Verse sind, bezeichnend genug, zum Motto gewählt: Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort. Schön Irla, ein kleines, schönes Menschenkind im hohen Norden, wird durch den Traum eines Engels zur Sehnsucht entflammt nach der höchsten irdischen Schönheit und nach dem Paradiese. Im Traume durchschwebt sie alle Zustände irdischen Lebens; sie dringt sogar bis an die Mauer aus Diamant, die der Seligen Aufenthalt umschließt. Die Gewalt ihres sehnsüchtigen Schmerzes durchbricht die Mauer: erwacht ruht sie, von irdischer Hülle befreit, in des Engels Arm. „Wenn dem Busen rein entsprießen Unverfälschte Gottgedanken, Dann erst sinken hin die Schranken; Seele darf die Seel’ umschließen.“ Das „Märchen“ hat keine epische Handlung, die Gestalten sind nebelhaft und unlebendig: Empfindungen und Schilderungen verschiedener Zustände der Seele wogen auf und ab, so daß Sallet’s eigene Bezeichnung des Gedichtes „ein geistiges Concert“ (Widmung) treffend erscheint. Eine Symphonie in Worten hat es Th. Jacobi genannt. Die Sehnsucht des Dichters nach dem Ideal, die Schiller so oft dargestellt hat, ist hier schwächer, zuweilen allzu spielend, mit den Mitteln romantischer Dichtungsweise ausgedrückt.

Einen schneidenden Gegensatz zu „Irla“ bildet die „Wahnsinnige Flasche“, seinem Zech- und Dichterbruder Eduard Ferrand gewidmet. Voll Humor erzählt der Dichter, der vorübergehend auch empfinden konnte, wie leicht sich’s leben läßt, in dem „heroischen Epos in zwei Sitzungen“ die Geschichte von dem weinseligen Fiascone. Er galt für toll; so nennt der Hochmuth jeden, der für eine Idee gestorben, die nicht wirklich ward. Denn er hält sich, durch den Anblick eines seltsam gekleideten Fremden verleidet, für eine Weinflasche und fürchtet seine Zerbrechlichkeit, wenn man ihn berührt. Als man ihn einst ohne das gewohnte Schwanken fest und derb schreiten sah, fand man ihn andren Tages todt im Bette. Im „Anhang“ drei feuchte Lieder aus seinem „Nachlaß“, die er auf die verkehrte Seite der Rechnungen geschrieben hatte. Auf sie paßt das Wort aus Hamlet: ist das schon Tollheit, hat es doch Methode.

Die Gefahr des „Verschwebelns“ erkannte S. sehr bald und sah den Forderungen der neuen Zeit entschlossen in’s Gesicht. In den „Funken“ bekämpft er in kleinen Epigrammen und Sprüchen zunächst die litterarischen Richtungen der Zeit. Gern will er lieben, aber „Weh uns! der Liebe Rosenlicht, Blüht ohne des Hasses Dornen nicht“. Ganz unabhängig will er werden, frei vor allem auch in religiösen Dingen: „Warum verdirbst Du’s mit allen Partein? Ich denk’, ich rapple mich durch allein.“ „Ob Dich ein Pfaff’ auch thut in Bann, Sein eigner Richter ist der Mann.“ Bei aller Sympathie für Byron wendet er sich gegen die Märtyrer der Liederlichkeit, die die Märtyrer der ernsten Zeit spielen wollen. Das seichte Publicum geißelt er wie die begeisterungslosen Schriftsteller. Goethe und sein „Wunderbuch“ vom Faust verehrt er: der Faust führt [723] ihn mit heiligen Schauern zum Urgeist. Daß Friedrich Rückert von den „Theefräuleins“ nicht gekannt ist, kränkt ihn: „In Freimund’s Sang so süß und klar Sieht man das Wunder offenbar, Wie ein gedankentiefer Greis Ein selig Kind zu bleiben weiß.“ Bezeichnend für ihn ist der Spruch, er könne „den sich teuflisch Verirrenden“ noch lieben, den wilder Drang umhergetrieben; „doch wer sich gar nicht verirren kann, Den spei’ ich an.“

Er wußte, woran die Zeit krankte: Shakespeare’s Hamlet, schreibt er 1837, ist ein welthistorisches Werk, obwohl ohne eigentlich historischen Stoff. Der Hamlet sei unsere heutige modernste Zeit mit ihrer Gedankentiefe und -Kühnheit und ihrer verächtlichen Impotenz im Handeln u. s. w. (vgl. auch s. Schriften 5, 392). Die engbrüstigen Verhältnisse der Heimath, die Thatenlosigkeit und Schlaffheit rings um ihn, die Erkenntniß des Widerspruchs zwischen der großen Bildung der Nation und ihrer politischen Ohnmacht lasteten um so schwerer auf ihm, als er tiefer eindrang in die politische Geschichte und in die Litteratur Englands und Frankreichs. Die Wahrheit der Worte Börne’s: „Der Deutsche reflectirt über alles, sieht alles aus der Vogelperspective und ist darum nie in der Mitte der Sache; er hat alles und ist nichts,“ sie hat wohl kaum ein Dichter jener Jahre so tief gefühlt wie der männliche S. Wie Börne aus reinster Liebe die Deutschen schalt und geißelte, um sie zur Thatkraft zu ermuntern, so S.; vgl. das Gedicht: „Echtes Deutschthum“. Die Novelle „Contraste und Paradoxen“, die den ganzen dritten Band der Schriften bildet, ist von diesem Gesichtspunkt aus erst ganz verständlich. Die Kunst des Erzählens, Einheit und Harmonie des Ganzen vermißt man in diesem Werk, das S. selbst „eine Amphibie zwischen Novelle und Märchen“ genannt hat; es ist aber reich an tiefen Gedanken, an treffenden und scharfen Ausfällen gegen die Schäden der Zeit, auch an ergreifenden Geständnissen über eigene Seelenkämpfe. Der zum Dichter geborene Knabe Junius hat mit allen Hindernissen zu kämpfen. Sein Vater Habich ist ein Geldsack, die Mutter eine im Weibergeklatsch und wüster Romanleserei verkommene Frau. Nur der Onkel Holofernes versteht den Knaben und sucht ihn nach seiner Art zu bilden. Sein wunderbares Guckglas gewährt ihm Einblick in das Leben der Natur: in ihr lernt er Gott erkennen und die „dumpfe Kirche“ derer fliehen, die als eine „Seligkeitsversicherungsanstalt“ die Religion betrachten. Die Umgebung hemmt jedoch allen Aufschwung, der Onkel erscheint nur selten im Hause, und so ist der junge Dichter auf den Umgang mit einer jüngeren Schwester beschränkt, die ihn ganz versteht. Wenn Holofernes erscheint, kommt er in Conflict mit den Seinigen und ihrem Umgang. So vertritt er in einer Gesellschaft den Gedanken, der Dichter sei vom sittlichen Menschen nicht zu trennen; vertheidigt Byron, „den gefallenen Engel“; verspottet das leere Opernwesen in einer „historisch-romantischen“ Oper. Den „guten Vorsatz“ nennt er lächerlich, bei einem Stand und einer Lebensthätigkeit zu verbleiben, die der innersten Natur widerstreben. Dem gequälten Knaben, den der Vater in sein Comtoir steckt, erscheint die Fee, der er Lieder „von der Loreley“ singt. Er wird ein Träumer trotz den Mahnungen des Onkels, wie Shakespeare „das Leben anzubeißen“ und trotz seiner Warnung vor dem „Vernebeln und Verschwebeln“ (S. 218). Der Poesie aber kann Junius nicht entsagen. In’s Cassabuch schreibt er ein Lied vom Tannhäuser. Im Traum bringt er aus dem Hain der Fee einen Rosenzweig, den er in den Geschäftsthurm des Vaters mitnimmt. Da sproßt er und blüht; alle Anstrengungen des Herrn Habich und seiner zwölf Gesellen bringen die Rosen nicht weg. Der goldene Vogel, den die Fee ebenfalls mitgab, richtet bei den Schreibern neues Unheil an. Er wächst und wächst und sausend fliegt er mit Junius empor in die reineren Lüfte, bis er zur Fee gelangt. Holofernes aber ist zornig über sich selbst: „ich wollte einen Adler aus dir erziehen [724] und du bist eine Nachtigall geworden.“ Auch er, der paradoxe Holofernes, ist einseitig, da er über dem Reflectiren nie zum Handeln kommt in kräftiger Selbstbeschränkung; aber die wahre Ansicht des Dichters spricht er doch aus, wenn er meint, die Poesie sei nichts andres als die Verkündigung der echten, d. h. geistig verklärten Wirklichkeit. Goethe, „der einzige, der es in Deutschland gewußt und durch die That gezeigt hat, ist vielfach pfäffisch verketzert und unrein verehrt worden“ (S. 115 f.). Wenn aber die Wirklichkeit, das ist doch Sallet’s Sinn, so elend und würdelos ist, wie damals in Deutschland, da kann der Dichter weder würdigen Stoff in ihr finden noch auf wahre Theilnahme für seine Gestalten rechnen.

Auch S. hatte eine Epoche der „Zerrissenheit“, wie er selbst sie bezeichnet. Aber er blieb nicht in der verzweifelten Stimmung, wie viele begabte Dichter der dreißiger und vierziger Jahre, die mit Lenau empfanden: Das Sterben in der Dämmerung ist schuld An dieser freudenarmen Ungeduld; Hart ist’s das langersehnte Licht nicht schauen, Zu Grabe gehn in seinem Morgengrauen. Auch S. haderte mit Gott als ein „frevelnder Titane“ und zweifelte an der Harmonie des Weltalls. In der „Dumpfheit“ ist es ihm nicht möglich, wie einst der Kinder des Frühlings sich zu freuen und sie zu besingen. Aber er findet „Versöhnung“; es gibt keine Verdammung, denn Gott ist die Liebe: auch die ihn verhöhnen, sprechen durch ihn nur. „Deinen Trotz wird Gott gebrauchen, daß du stark dich an ihm ringst“ („Versöhnung“). So fühlt sich der Dichter bald eines mit Gott in der „Sühne“: „Zieh in deinen Tempel wieder, Zieh in Haupt und Herz mir ein.“ Mit der Welt dagegen im Kampfe, bleibt er im trotzigen Entschluß, sein eigenes Gesicht zu behalten und zu zeigen. Im „Hamlet“ spottet er der Zeit, die „zum Ueberfluß in Bildung schwimmt“ und nicht einmal zum Selbstmord den Muth findet, von dem sie immer schwatzt. „Prometheus“ liegt zum Dank dafür, daß er heilige Gluth in den Menschen wecken wollte, in Ketten; der Unmuth, der nimmersatte Geier, frißt an seinem Herzen, aber er bereut sein Thun trotz allen Qualen nicht. Aus der fremden Person redet S. hier wie in anderen Gedichten. Mit Bitterkeit zeigt er, daß Begeisterung, „der Ritter Don Quixote“, den Leuten verrückt scheine, „weil die Zeiten elend sind“. Und der tolle „Tasso“ ist doch unsterblich, der gescheite Alphons aber schmachbedeckt. Im „Ariel“ lobt er Prospero ironisch, den praktisch klugen Mann, der die Mitte zwischen dem niedrigen Knechte Kaliban hält und Ariel, der ewig in der Luft schwebt, nie befriedigt; aber so endigt er: „Ariel, ich laß dich nimmer; Durch die Lüfte frisch und froh!“

Nachdem S. sich von allen Fesseln losgerungen, Klarheit, Sicherheit und Heiterkeit gewonnen hat, ruht er fest in sich selbst und fühlt sich berufen zum Erwecker der deutschen Geister. So tritt er uns in den Gedichten, „Pantheismus und reife Liebe“ betitelt, entgegen; so in den epigrammatischen Sprüchen dieser Zeit, von denen ich folgende anführe: Man kann im Herzen Milde tragen Und doch mit Kolben drunter schlagen. – Das ist Pietät, ich sag’ es frei, Die mit Liebe forscht, was zu ehren sei. – Sich selbst als niedern Wurm erkennen, Heißt das nicht Gott einen Stümper nennen? – In allem Andern laß dich lenken, Nur nicht im Fühlen und im Denken. – Seht unser Geschlecht! aus jedem Gesicht Ein zahm durchkrochnes Leben spricht.

Durch die sittliche und religiöse Erneuerung sollte dem Volke der Muth kommen, die Freiheit zu fordern. Das ist Sallet’s wahre Meinung und Denkart gewesen. Von Jugend auf fromm gesinnt, wenn auch kirchlichem Zwang entschieden abgeneigt, hat er das Ewige und Unvergängliche immer vor Augen gehabt. Er faßte seine Aufgabe sehr ernst auf. Im „Gebet“ sagt er, Gott habe ihn zu seinem Rüstzeug ausgewählt. „Hast mit Begeist’rung, Zorn und [725] Spott Mich durch und durch für dich gestählt“; in der „Bitte“ wünscht er, daß seine Gedichte nicht zu müßigem und flüchtigem Zeitvertreibe dienen. „Denn vor eurem Angesichte Zum Bajazzo taug’ ich nicht; Nein, ich will, daß einst Geschichte Werden soll, was jetzt Gedicht.“ Daher greift er rücksichtslos, mit Kraft und soldatischer Kühnheit die Feinde an, die ihm die Neugestaltung des Vaterlandes zu hemmen schienen.

Durch das tiefere Eindringen in Hegel’s Philosophie war er ein entschiedener Anhänger der pantheistischen Weltanschauung geworden. Zum Verständniß des „Laien-Evangeliums“ gibt den besten Schlüssel das oben erwähnte Schreiben an J. Krebs. Während S. das kirchliche, „traditionell-dogmatische“ Christenthum bekämpfte, weil es das Erdenleben aller Göttlichkeit entkleidet und dadurch, wie er meint, alle wahre und freie Sittlichkeit untergräbt, tritt er für das ursprüngliche ein und sieht in Christus den ersten Menschen, in dem Göttlichkeit und Menschlichkeit nicht geschieden war, der zuerst Gott in sich als Geist erkannt hat. Wie Christus aber kann und soll jeder von uns Gott in sich erkennen. „Gott ist kein Ding, das man dir vor kann zeigen, Ob er, ein Geist, das Weltall auch durchwallt. Nur als du selbst, in dir, wird er dein eigen, Nicht als ergreifbar fremde Gottgestalt“. Ihn hat die Pflanze „in des Wachsthums Traume“, das Thier im dumpfen Fühlen, aber im Menschen wird er zum Geiste, der sich selber weiß. So im Capitel: „Wer mich siehet, siehet den Vater“. An die Geschichte des Lebens Jesu, an Lehren und Aussprüche der Evangelien knüpft er an, um seine eigenen Gedanken zu verkünden; der Sage weiß er ihren tiefen Sinn auszudeuten: „Doch wenn ihr sie uns aufzwingt als Geschichte, Dann macht ihr sie zum Märchen, zwecklos toll, Und den lebend’gen Geist in ihr zu nichte“ („Mariä Verkündigung“). Im Märchen „Schön Irla“ hatte er versucht darzustellen, wie die reine Sehnsucht nach dem Göttlichen die Mauer, die Eden umschließt, überwindet: jetzt fällt die Scheidewand zwischen Gott und Mensch für ihn auf andre, natürliche Weise, denn Welt- und Menschenleben sind ihm eins mit dem Geiste Gottes. Wenn die Menschheit zu diesem heitern, freien Gottesbewußtsein gelangt, „wenn erst der Geist, mit lautern Sturmeswehen Ganz hat erfüllt der Erde weite Hallen, Wird jeder Mensch des Bruders Wort verstehen, Dieweil der Geist wird predigen aus allen“. Im Grundgedanken zwar hat S. mit dem „Laienbrevier“ Schefer’s, ebenso mit seinem Landsmann Angelus Silesius manches gemeinsam, aber bei ihm nichts von weicher, friedlich-träumerischer Beschaulichkeit: die religiösen und politischen Kämpfe stürmen überall in seine Betrachtung hinein. Schon die Zeitgenossen wiesen auf Mängel der Form hin, bei aller Anerkennung des Ganzen; die Natur des Stoffes schon war der Einheitlichkeit der Stimmung entgegen, und Reflexion, Lehre und Polemik hemmen oft den ruhigen Fluß der Empfindung. Aber S. hat diese und andre Mängel selbst erkannt: er fühlte sich bei diesem mit innerster Erregung verfaßten Buche mehr als Prophet und Volksredner denn als Künstler. „Möchte man mich doch nicht,“ so schreibt er seinem Bruder, „als Poeten beurtheilen, sondern auf die Sache eingehen. Meine eigne Leistung hierbei ist nichts als ein Hervorblitzen dessen, wovon unsere ganze Atmosphäre schwanger ist“. Und in dem Briefe an Krebs bezeichnet er sich Hegel gegenüber nur als den Kärrner, nennt sich einen Poeten höchstens zweiten Ranges, aber es ist ihm doch gewiß, daß er in dem Ringen und Kämpfen der Zeit eine große Aufgabe zu erfüllen habe.

Er hatte ein Recht zu sagen: Heiß hab’ ich nach dem Ewigen gerungen („Prolog“); die ihn „gottlos“ nannten, konnten sein strafendes Wort in der oben erwähnten, nach seinem Tode gedruckten Schrift vernehmen. Atheisten nennt er alle, die Gott aus der Welt herausleugnen und irgendwohin bannen, also damit dem Gesetz des Raums, des Sinnlichen unterwerfen, gottlos aber alle, [726] die nicht im ganzen Umfang ihres Thuns und Lebens Gott zur Erscheinung bringen, sondern nur nebenbei, zu anberaumter Stunde, so zu sagen ihre Aufwartung machen, alle endlich, die der Entwickelung der Menschheit geflissentlich sich entziehen. Ihr Verhältniß zu den Hauptgebieten des Menschenlebens und Menschenstrebens, der Ehe, der Familie, dem Staate sucht er zu kennzeichnen und sie zur Erkenntniß ihrer Nichtigkeit zu bringen. Bezeichnend ist, daß der Schrift als Motto die Verse Goethe’s voranstehen: Was wär’ ein Gott, der nur von außen stieße. Im Kreis das All am Finger laufen ließe u. s. w.

Als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestiegen hatte, zeigte sich im preußischen und deutschen Volke ein neuer Aufschwung. Der Dichter hatte die übertriebenen Erwartungen nicht getheilt, war daher auch durch Enttäuschung nicht verbittert. Aber er forderte, daß keiner aus Furchtsamkeit und Bequemlichkeit seine Ueberzeugung verleugne. In flammenden Gedichten fertigte er die „zahmen Propheten“ ab, kämpfte gegen den „Schlendrian“ und verlangte im Gedichte Aut-Aut, daß in dem großen Kampf jeder ehrlich und frei Partei ergreife. Wer S. gerecht beurtheilen will, dem müssen die Zustände der Zeit lebendig vor Augen stehen. In den politischen Gedichten wirkt er durch Parabeln, Erzählungen, ernsthafte und scherzhafte Wendungen, nicht spielend und graciös plänkelnd wie Hoffmann (v. Fallersleben), nicht so übermüthig und auch nicht in wohllautenden, bestrickenden Versen wie Herwegh, aber dafür ernster, bestimmter, gehaltvoller und das Ziel schärfer bezeichnend als die meisten politischen Dichter. Er braucht die Hülfe der Franzosen nicht: ihm klingt Freiheit schöner als liberté: „Auch ça ira zu singen Thut wahrlich uns nicht noth, Wir lassen Lieder klingen von deutschem Korn und Schrot.“ Sein Schießpulver ist das Denken, die Kanone das Tintenfaß; verspottet ihr uns die kleine, machtlose Schar, so denkt: auch der alte Fritz wurde einst verhöhnt. „Und unser alter Fritze Ist ewig, ist der Geist.“ Er weiß, wer „der schlafende Riese“ ist, doch darf er es nicht sagen, mit dem die Zwerge ihr Spiel treiben, der nur einmal zu niesen braucht, um sie abzuschütteln. Und im Gedicht „Ecce homo“ wendet er sich gegen die „Thoren“, die Ehrfurcht predigen vor den Riesenbauten, die in ihrer Jugend die Menschheit erbaut hat. Aber der Mensch, „der Unverwüstliche“, kann sie umstürzen, wie er sie gebaut hat: „Himmel und Erde sind ein weicher Teig, Den formt der Mensch, der Meister, wie er’s denkt“.

Zu jedem Opfer für seine Ueberzeugung bereit, sieht er getrost in die Zukunft; in dem schönen Gedicht „Ergebung“ singt er, die Freiheit werde siegen, käme er auch in den Kerker: „Nicht wird sofort der Frühling enden Mit Saft und Kraft, mit Licht und Schall, Weil ihr mit tölpelhaften Händen Erschluget eine Nachtigall“. Was er dem 1837 gestorbenen Ludwig Börne im Gedichte nachrief, das paßt auch auf ihn, den allzufrüh der Welt Entrissenen: er gab sein Herzblut hin für die von ihm vertretene Sache; er war ein ganzer Rittersmann, ein Schwert seine ehrliche Feder, die wie der Blitz traf. „Sancta libertas, heil’ger Strand, dich halt’ ich“: diesen Schlußvers aus seinem Gedicht „der neue Columbus“ zeigt der Stein über dem Eingang zur Gruft nach der Angabe seines treuesten Freundes Theodor Paur.

Leben und Wirken Friedrich v. Sallet’s (s. oben) Breslau 1844: Lebensgeschichte von Th. Paur; aus dem Nachlaß des Dichters von demselben; Charakteristik der Schriften von Theodor Jacobi; Beiträge von Möcke, Nees v. Esenbeck; Gedichte von Rudolph Gottschall, Th. Opitz, Ed. Duller. – Sämmtliche Schriften 5 Bände (zuerst 1845–1848) mit Einleitungen von Paur. – Kurze Selbstbiographie bei Nowack, Schles. Schriftstellerlexicon 1840, 4. Heft, S. 138–140. Ueber Julius Krebs s. ebenda S. 69–73. – Karl Weinhold, Zur Erinnerung an Theodor Jacobi. Zeitschr. für deutsche Philologie [727] 1874. 5, 96 f. – Gottschall, Nationallitt. des 19. Jahrh., 5. Aufl., 1881, 3, 156–163. – Der Brief an Krebs bei Wagner, Archiv für die Geschichte deutscher Sprache, Wien 1874, S. 468–472, vgl. auch sämmtl. Schriften 5, S. XVII–XXII. – Der letzte Aufsatz Sallet’s bei L. Schweitzer, Bestrebungen und Leistungen Breslauer Publicisten in den J. 1842–1844. Breslau u. Oppeln 1844, S. 26–36. – Georg Brandes, Die Litteratur des 19. Jahrhunderts, 6. Bd. Leipzig 1891. S. 417–421 gibt den Inhalt einiger politischen Gedichte an. – Freundliche Mittheilung über die Abstammung des Geschlechts von Prof. Dr. Alfred v. Sallet.

[717] *) Zu Bd. XXX, S. 253. Nachdem der Herr Mitarbeiter, der den Artikel übernommen hatte, zurückgetreten ist, hatte Herr Professor Jacoby die Güte, für ihn einzutreten.