Wilhelm Löhes Leben (Band 3)/Die innere Entwicklung der Diakonissenanstalt, Idee des Diakonissentums und Diakonissenideal nach Löhes Anschauung
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Löhe sagte sich ohne Zweifel, daß für solche Gedanken die Zeit ebenso wenig reif sei, als die Personen, welche an die Stelle jener Gemeindediakonissen des Altertums einrücken sollten. So blieb denn auch für ihn als eigentlicher Kern des Diakonissenberufs: der Dienst der Barmherzigkeit im weitesten Sinn des Worts, der Dienst der Elenden, Armen, Kranken, Gefangenen, die Pflege, Unterweisung und Erziehung der Kinder, kurz eine immerhin reiche Mannigfaltigkeit von Diakonissenwerken, von den niedrigsten Hausgeschäften bis zu den edelsten Frauenwerken. Denn so weit dachte er sich den Umfang des Diakonissenberufs, daß er nichts, was überhaupt auf dem Gebiet des weiblichen Berufs mit Ausnahme der Ehe liegt, von demselben ausgeschlossen sehen wollte. Er forderte von der Diakonissin, daß sie keines dieser Frauen- oder Mägdewerke für sich als zu gering, oder sich dazu für zu gut halte, und daß sie womöglich jedem derselben gewachsen sei.
Wenn ich ein Maler wäre – schrieb er einmal – so malte ich die Diakonissin wie sie sein soll, in ihren verschiedenen Lebenslagen und Arbeiten. Es gäbe eine ganze Reihe von Bildern.| Malen würde ich die Jungfrau im Stall und – am Altar, in der Wäscherei und – wie sie die Nackenden in reines Linnen der Barmherzigkeit kleidet, in der Kirche und – im Krankensaal, auf dem Feld und – bei dem Dreimalheilig im Chor, und wenn sie den Kommunikanten das Nunc dimittis singt, ich würde alle Diakonissenberufe malen, in allen aber Eine Jungfrau, nicht immer im Schleier, aber immer Eine Person... Und warum? Weil eine Diakonissin das Geringste und das Größte können und thun, sich des Geringsten nicht schämen, und das höchste Frauenwerk nicht verderben soll. Die Füße im Kot und Staub niedriger Arbeit, die Hände an der Harfe, das Haupt im Sonnenlicht der Andacht und Erkenntnis Jesu – so würde ich sie aufs Titelkupfer der ganzen Bildersammlung malen. Darunter würde ich schreiben: „Alles vermag sie: arbeiten, spielen, singen.“Aber man könne auch, um einen zweiten Unterschied des Heidentums und Christentums hervorzuheben, umgekehrt sagen, daß durch das Christentum das Ordentliche außerordentlich, das Gewöhnliche ungewöhnlich, das Gemeine ungemein geworden sei. Das Christentum habe die geringen und niedrigen Geschäfte des alltäglichen Lebens geadelt und zu eitel priesterlichem Werk und Opfer umgewandelt, vorausgesetzt, daß sie in Jesu Sinn und Geist, und Ihm zu Ehren vollbracht werden. Eine Ahnung davon finde sich schon im alten Testament, wo neben der Prophetin Debora, die eine hervorragende Gestalt im Reiche Gottes ist, auch jener andern Debora, die in der Welt keinen Namen hatte, die nichts weiter war, als die treue und fleißige (Debora heißt „Biene“) Amme Rahels vom h. Geist ein Ehrengedächtnis gestiftet werde (1 Mos. 35, 8). So seien auch im neuen Testament die Namen der frommen Frauen, die Jesu nachfolgten und ihm von ihrer Habe Handreichung thaten, im Buch der Bücher ausgezeichnet, und mit ihnen leben so unscheinbare Personen, wie der Bettler Servulus, der von seinen Almosen Wohlthat übte, wie die Dienstmagd Radegund, die in den Stunden, welche der Dienst ihrer Herrschaft ihr frei ließ, Kranke pflegte, unvergessen im Andenken der Kirche fort, nicht, weil sie Außerordentliches thaten, sondern weil ihre niedrigen und unscheinbaren Werke groß und ungemein wurden durch die Beziehung auf Jesum, dem zu Lieb und Ehren sie vermeint waren. Diese letztere Wirkung des Christentums (daß es das Gewöhnliche außerordentlich gemacht habe) sei nach des HErrn eigenem Urteil (Matth. 25, 35 ff) noch größer als jene erstere.
Diese Anschauung vom Beruf, die auch die niedrigen Berufswerke zu adeln weiß durch die Beziehung auf Jesum, die den ganzen Diakonissendienst für nichts anderes ansieht, als für ein beständiges| Selbstopfer,[3] aus Liebe und Dankbarkeit dem Bräutigam der Seelen für sein heiliges Sühnopfer am Kreuze dargebracht; diese Gesinnung war es, die Löhe vor allem in die Seelen der Diakonissen zu pflanzen suchte. Ein Ausdruck dieser Gesinnung sind die schönen Worte, die er der Diakonissin als Antwort auf die von ihr an sich selbst gerichtete Frage: Was will ich? in den Mund legt. „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem HErrn in Seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, daß ich dienen darf. Und wenn ich dabei umkomme? Komme ich um, so komme ich um, sprach Esther, die doch Ihn nicht kannte, dem zu Liebe ich umkäme, und der mich nicht umkommen läßt. Und wenn ich dabei alt werde? So wird mein Herz grünen wie ein Palmbaum, und der HErr wird mich sättigen mit Gnade und Erbarmen. Ich gehe mit Frieden und sorge nichts.“Oder jenes andre Wort:
„Ich gäbe mein Leben und alles, was es in sich hat, für ein Glas Narde auf das Haupt meines HErrn. Da er mir aber entrückt und ferne weggezogen ist, so nehme ich mich und alles was ich bin und habe wie eine Traube, und presse es aus, um Seinen auserwählten Stellvertretern ein kleiner Labetrunk zu werden. Presse mit mir deine Traube auch aus, bringe dein Lebenskelchglas dem HErrn, und Seine Elenden sollen es ganz austrinken auf dein Wohl. Das ist schöner, als alles Glück der Erde.“
| Gerne rief Löhe auch seinen Diakonissen ein fast evangelisch klingendes Wort des h. Bonaventura ins Gedächtnis: „Eine vollkommene und beständige Treue im Kleinen ist eine heroische Tugend.“ „Es ist – sagte er einmal in Ausführung dieses Gedankens – zwar eine verborgene Christenherrlichkeit, Treue im Kleinen, d. h. im Berufe üben, aber sie ist schwerer und herrlicher als Märtyrertum. Zum Märtyrertum hilft eine aufgeregte Zeit, ein bewegtes Gemüt, und es ist oft schnell gewonnen; es kostet einen kurzen Todesaugenblick. Bei der Treue im Kleinen aber trägt man die stille Langeweile eines einförmig ablaufenden Lebens geduldig, zum Preis des HErrn (bis ans Ende).“Aus dieser persönlichen Stellung zu dem HErrn fließend, ja mit ihr bereits gegeben ist jene barmherzige Liebe, welche die Seele des Diakonissenberufes ist, und ohne welche alle Diakonissenwerke tote Werke in Gottes Augen sind. Die Barmherzigkeit zu preisen, Sinn und Eifer für diese große Christen- und Diakonissentugend zu wecken war Löhe unermüdlich und unerschöpflich. Wir müssen uns hier mit einem Hinweis auf sein Schriftchen „von der Barmherzigkeit“ begnügen, in welchem er die ganze Geschichte des Reiches Gottes unter dem Gesichtspunkt der mit der göttlichen Gerechtigkeit ringenden Barmherzigkeit betrachtet und (mit seinen eigenen Worten in einer Predigt zu reden) nachweist, „wie durch die ganze Geschichte neben dem roten Faden der göttlichen Gerechtigkeit der blaue Faden seiner Barmherzigkeit läuft, bis auf dem Höhepunkt aller Geschichte, auf Golgatha, beide Fäden zusammenfließen und sich in Eins verweben, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sich nicht blos ausgleicht, sondern die Barmherzigkeit den Sieg und den Ruhm wider und über die Gerechtigkeit behält für immer und ewig.“ Man kann aus jenem Schriftchen nicht wol einen Auszug geben; dafür sei es uns gestattet, einen kleinen Abschnitt aus einem Diktat Löhes „von der seligen Übung der Barmherzigkeit“ hier mitzuteilen.
| „Eine Diakonissin ist eine Dienerin der Barmherzigkeit; wie könnte sie anders als barmherzig sein, d. h. Liebe zu den Elenden haben und üben? Also, Dienerin Christi, erkenne die größte deiner Amtssünden in der Unbarmherzigkeit und die Form aller deiner Amtstugenden in der Barmherzigkeit.Sei barmherzig, d. h. erstens: Erkenne in allen Leidenden Gegenstände deiner heiligen brünstigen Liebe, und wie eine Mutter unter ihren Kindern immer dasjenige am brünstigsten liebt, welches leidet, so laß auch dir diejenigen die nächsten sein, die da leiden. Je mehr jemand leidet, je elender er ist, desto näher sei er deinem Herzen als das ähnlichste Bild des HErrn, der am Kreuze hieng.
Sei barmherzig, d. h. zweitens: Laß die Rauchwolke deines Gebets, deines Morgen- und Abendopfers immer wieder im Andenken der Elenden und Leidenden aufsteigen. – – – Gewöhne deine Seele an die Fürbitte und achte den Tag für verloren, an welchem du Gott dem Opfer der Fürbitte nicht gebracht hast.
Sei barmherzig, d. h. drittens: Vergib alle Tage siebenmal siebenzigmal, wenn es sein müßte, dem Nächsten. Du sollst nicht blind werden für die Fehler deiner Brüder; ein reines Auge sieht die Sünde auch an andern und läßt sich nicht täuschen; aber du sollst die Sünde, die dir weh gethan, vergeben von Grund der Seelen und in der Kunst des Vergebens und Bedeckens immer gleichen Schritt halten mit deiner Fertigkeit, die Sünde anderer zu entdecken. Vergiß nicht, daß dein HErr und Heiland in der Bergpredigt nicht blos das Geben, sondern auch das Vergeben zur Barmherzigkeit rechnet.
Sei barmherzig, d. h. viertens: Denke fleißig nach, ob es nicht Rat gibt, das Elend der Menschen zu mindern, für die du betest. Sei allerdings auch in deinem Rate vorsichtig und bescheiden; ein unnützer Ratgeber ist unleidlicher als der keinen Rat gibt, und wer immer mit der Miene der Erfahrung und des guten| Rates zu den Elenden tritt und am Ende doch nicht befriedigt, ist den Kranken beschwerlicher als Mücken und Ungeziefer; aber wenn du sicher weißt, daß dein Rat gut ist, dann gib ihn in der Form wie er am ersten und liebsten angenommen wird, und lege deinen goldenen Apfel auf eine silberne Schale.Sei barmherzig, d. h. fünftens: Widme dich, so viel du kannst, dem Dienst der Elenden persönlich. Ohne persönliche Bedienung der Elenden wirst du es in keiner Erweisung der Barmherzigkeit weit bringen. Es ist das für jeden Christen gesagt, für eine Diakonissin aber heilige, unerläßliche Amtspflicht, und obendrein darf der persönliche Dienst des Elends nicht zur Erleichterung in Leichtsinn eingehüllt, auch nicht verzweifelnd gethan werden, sondern mit jener unverwüstlichen Achtung und Liebe auch gegen den in seiner Krankheit vor dem Sterben Verwesenden, welche in ihm noch immer einen Gegenstand der erlösenden Liebe Gottes sieht. Wer eher von dem Elenden weicht als Gott und seine Engel, der weicht zu früh und überdies sich zum Seelenschaden.
Sei barmherzig, d. h. sechstens: Erlasse dir unter keinen Umständen die heilige und selige Pflicht zu geben. Es ist niemand so arm, daß er nicht etwas habe, finde oder erwerben könne, womit er andern dienen kann. Es ist allerdings die gebende Barmherzigkeit geringer, als die anderen Erweisungen derselben Tugend; aber wenn sie fehlt oder im geringen Maße vorhanden ist, verwischt sie mit einem Male die andern alle. Die Barmherzigkeit kann keine ihrer Erweisungen entbehren, ohne selbst zu kranken und zu sterben.
Sei barmherzig, d. h. endlich siebentens: bis in den Tod. Ehe du stirbst, beschließe die Arbeit deiner Barmherzigkeit nicht.“
Das persönliche Lebensideal der Diakonissin sah Löhe in der „gottverlobten Jungfrau“ des Altertums. Einem Geschlecht von meist noch sehr jugendlichen Diakonissen jungfräulichen Standes| konnte er nicht „die alternde, heilige, thatkräftige Matrone,“ die Witwe, welche die Ehe und die Erfahrungen der Ehe hinter sich hat, und deren Bild 1 Tim. 5, 5–10 gezeichnet ist, zum Vorbild aufstellen. Seiner Neigung, sich an antike Gedanken und Lebensformen anzuschließen, bot sich dafür die „gottverlobte Jungfrau“ des Altertums als solches dar. Es gab in der ältesten Kirche Jungfrauen, die aus eigener Wahl ehelos lebten, als deren älteste neutestamentliche Vorgängerinen die weissagenden jungfräulichen Töchter des Evangelisten Philippus (Act. 21, 9) gelten dürfen. In späterer Zeit wurde solchen Jungfrauen unter feierlichen Gebeten von dem Bischof der Schleier überreicht, und sie hielten sich für Christo verlobt. Die Diakonissen des Altertums, wenn sie noch Jungfrauen waren, gehörten alle diesem Chor der gottverlobten Jungfrauen an. Dieser Institution des Altertums entlehnte Löhe wenigstens die Bezeichnung für das, was ihm als persönliches Lebensideal der Diakonissin vorschwebte, ohne damit das Irrige, was in der römischen Kirche der Idee einer gottverlobten Jungfrau anhaftet, billigen zu wollen. Denn Gottverlobtheit war ihm eine Tugend der Seele, nicht ein Stand des äußeren Lebens: Freiheit von unreinen Lüsten und Hingabe an den Freund und Bräutigam der Seele, an sich daher ebenso gut in als außer der Ehe möglich und nötig, bei Diakonissen aber freilich um ihres Berufes willen auch die Wahl des ehelosen Standes oder den Verzicht auf die Ehe – wenigstens während der Dauer ihres Diakonissendienstes – in sich schließend.Daß übrigens das evangelische Diakonissentum andererseits auch etwas so Neues, Eigenartiges sei, daß es nicht einfach in alte Schläuche d. h. in antike Formen kirchlichen Lebens gefaßt werden könne, daß mithin das Ideal einer evangelischen Diakonissin erst geschaffen, durch charaktervolle Persönlichkeiten im Diakonissenstande erst vorgelebt werden müsse, verkannte Löhe nicht.
| In einer Einsegnungsrede verbreitete er sich darüber ausführlicher. Es sei – meinte er – mit dem protestantischen Diakonissentum ähnlich wie mit der religiösen Malerei der Protestanten im Unterschied von der der Römischen. Bei letzteren hersche eine sichere Tradition, die ihren religiösen Bildwerken einen bestimmten Charakter aufpräge und eine plastische Vollendung gebe, die den subjektivistischen, oft an Haltungslosigkeit leidenden Erzeugnissen protestantischer Kunst zu fehlen pflege. Ein fest begrenzter Begriff von dem was eine evangelische Diakonissin sei und sein solle, müße bei uns erst gewonnen, von der ersten Diakonissengeneration im Leben verwirklicht und so für die nachfolgenden Diakonissengeschlechter ein Vorbild und eine Tradition geschaffen werden, durch die denselben der Weg ihrer Vorgängerinen erleichtert werde. Für die letzteren sei das freilich eine schwere Aufgabe. Die katholische Ordensschwester oder gottverlobte Jungfrau werde von der Tradition getragen, von der Anerkennung ihrer Kirche geschützt, von der, ob auch irrigen Idee der Gottverlobtheit gehoben zu einem Hochgefühl, größer als das der Braut, die vom Traualtare weggeht, dahingegen die protestantische Diakonissin ihren Weg ohne Tradition, ohne den Halt eines Gelübdes, ohne Erziehung und Anerkennung von Seite der Kirche, ja oft unter Misverstand und Widerspruch der protestantischen Welt gehen müße. Aber wenn auch keine tragende Tradition, so habe doch die evangelische Diakonissin, die „gottverlobte Jungfrau“ im biblischen Sinn des Worts, einen festen Boden unter den Füßen: so klare Schriftworte wie 1 Cor. 7, und ihre Aufgabe sei es nun, als Kind der schriftmäßigen Kirche pur am Worte hangend, auf dem Weg der völligsten, stillsten und heitersten Freiheit, ohne den bindenden Zwang eines Gelübdes in täglicher Erneuerung ihres freiwilligen Entschlusses das zu werden, was die gottverlobte Jungfrau des Altertums durch Tradition, Erziehung und Anerkennung der Kirche wurde, und so einen Mangel| der lutherischen Kirche zu erstatten, die im einseitigen Ruhm der Ehe und in Geringschätzung der Ehelosigkeit von der Reformation an bis auf unsere Tage dahingehe.Es kann nach dem Gesagten nicht befremden, wenn Löhe etwas den bekannten drei römischen Ordensgelübden Ähnliches auch für die evangelische Diakonissin forderte. „Die drei Schlagwörter der römischen Orden: Armut, Keuschheit und Gehorsam sind auch die Schlagworte alles wahren Diakonissentums, und der Unterschied zwischen der alten Kirche und uns kann nur der sein, daß bei dieser der durch Gelübde gebundene, bei uns der völlig ungebundene freie Wille die drei edlen Früchte trägt. Der freie Wille ist der Boden, auf welchem das protestantische Diakonissentum erwachsen muß, und zwar der völlig ungebundene in seiner täglichen Erneuerung.“
Es wird ja nicht nötig sein, Löhe gegen den Verdacht zu verteidigen, als hätte er jene römischen Ordensgelübde in römischem Sinne gefaßt. Er hat sich selbst dagegen bestimmt genug verwahrt. „Die Schwestern wissen, daß nicht die römische, sondern die evangelische Auffassung dieser Worte gilt, daß ihnen damit kein Joch über den Hals geworfen, wol aber Ziele vor Augen gestellt werden, die ein jedes Christenherz, sonderlich aber die Diakonissin mit einer größeren Macht anziehen sollen als der Magnet das Eisen anzieht“ – – sagt er einmal. Die Armut, die er für Diakonissen als geziemend erachtete, war ihm nicht zuerst Entäußerung des Besitzes, sondern innere Unabhängigkeit der Seele von demselben und eine heilige Bedürfnislosigkeit, die auch bei geringen äußeren Verhältnissen fröhlich und in Gott vergnügt ist. „Ob eine Diakonissin durch einfache Hingabe dessen was sie hat oder durch treue Verwaltung desselben im Sinne Jesu dem HErrn dienen soll, das sei ihrer Verantwortung überlassen, nur daß vor allen Dingen die arme Seele frei sei von Silber und Gold, ungeblendet von seinem Glanze, nicht angehaucht vom Mammon“| sagte er in seinem ersten Diakonissenunterricht. Das arme Leben Jesu und die Nachfolge des armen Lebens Jesu war ein Lieblingsthema seiner Reden vor und zu Diakonissen. „Eine Dienerin Jesu darf nicht weichlich sein, Leib und Seele bedürfen der Stählung, und diese wird am allerbesten erreicht durch heilige Selbsterziehung im Sinne des armen Lebens Jesu. Gibt es dabei Entwöhnungsschmerzen, so denke sie, daß an der Mutterbrust kein Held wird, sondern Stärke und Wachstum nur durch Entwöhnung kommt.“ Stellen wie die „apostolische Instruktion“ Luc. 10 oder der Rat des HErrn an den reichen Jüngling, dem er „die Armut als einen Höhepunkt der Vollendung“ zeigte, waren für Löhe Schriftgrund genug zu solcher Empfehlung. Dabei betonte er, daß der HErr, obwol selbst ein Gottesarmer – hierin ungleich Johannes dem Täufer – nicht in der Form der Weltentsagung, nicht in der äußeren Gestalt eines Asceten aufgetreten sei, daß daher jene zur Schau getragene Form der Armut, auf welche man in der römischen Kirche so sehr Gewicht legt und die man dort als ein vornehmstes Stück des „heiligmäßigen“ Lebens betrachtet, unwesentlich sei, und nicht minder hob er hervor, daß die Armut, die der HErr durch sein Beispiel empfohlen habe, nicht jene schmutzige Armut sei, in der so manche mittelalterliche Heilige eine besondere ascetische Leistung erblickten. „Nicht die cynische, sondern die liebende Armut ist groß bei Gott“ – lehrte er seine Diakonissen.Gerade in der freudigen Übung dieses Gehorsams sah Löhe mit Recht eine Schule der christlich-sittlichen Vollendung der Diakonissin. „Eine rechte Diakonissin – sagt er – tötet alle Tage in ihrem Eigenwillen den alten Adam und erweckt den neuen Menschen, indem sie Gehorsam leistet. Jede Bindung des Eigenwillens ist eine Einladung zur wahren Freiheit, und durch Aufgebung des eignen Willens und Eingehen in den untadeligen Willen der Vorgesetzten reift der Mensch zu jener seligen Willensstärke, für welche die dritte Bitte eine Lust ist und zu einem Lobgesang wird.“
| Ähnlich wie unter der Armut verstand Löhe auch unter der Keuschheit, die von der Diakonissin gefordert wurde, nicht zuerst einen äußeren Stand, sondern vielmehr eine Beschaffenheit der Seele „eine innere Freiheit von geschlechtlichen Banden, ein Fertigsein auch mit der unbestimmten weiblichen Wehmut und Sehnsucht, die geistliche Gabe eines reinen und unbefangenen Herzens, einer gottverlobten, jungfräulichen Seele.“ Natürlich war es ihm dann weiterhin etwas Selbstverständliches, daß das Diakonissentum die Ehelosigkeit fordere, so sehr, daß ihm auch Brautstand und Diakonissenstand nicht einmal vorübergehend mit einander verträglich schienen. An dem Diakonissentum und dessen Erfordernissen gieng ihm die Bedeutung des ehelosen Stands für den Dienst des Reiches Gottes auf und erschloß sich ihm das praktische Verständnis von 1 Cor. 7. Wenn er demgemäß jungfräulichen Diakonissen gegenüber den ehelosen Stand pries und in der Verherrlichung desselben soweit gieng, als es sich mit der Rücksicht auf die gottverliehene Würde der Ehe und die gottgebotene Wertschätzung derselben vertrug, so wird das niemand auffallend oder tadelnswert finden können. Hat man ja doch, im Hinblick auf das genannte Kapitel, auch von dem Apostel Paulus ein Gleiches mit Recht gesagt. Auf Grund jenes Kapitels, das er gegenüber protestantischen Misbräuchen und Übertreibungen in Betreff der Ehe und der Ehelosigkeit seine „feste Burg“ nannte, lehrte er seine Diakonissen, daß obwol Ehe und Jungfrauschaft an sich gleicher Würde seien und je nach Umständen beide Lob und Preis verdienten, doch ganz offenbar nach St. Pauli Sinn der ledige Stand der nützlichere, dienlichere sei, weil in Verfolgungszeiten die Ehe die Treue gegen Christum zu erschweren geeignet sei, weil die eheliche Sorge so oft dem Menschen eine Ursache zur Untreue gegen Christum, der Lauigkeit in der Andacht und im Dienst des Herrn werde und weil der jungfräuliche Stand im Gegenteil schön, wohlanständig und geeignet| sei unverhindert dem HErrn zu dienen. – Es ist zuweilen gesagt worden, daß durch den Gegensatz gegen die herschenden protestantischen Anschauungen über Ehe und Ehelosigkeit, nach welchen die Ehe die einzige Form weiblichen Lebensberufes, das Leben im ehelosen Stand als ein verfehltes, als ein Unglück betrachtet zu werden pflegt, Löhe sich hie und da zu Äußerungen treiben ließ, die manchem als „harte Rede“ erschienen, auch über die Linie des richtigen Maßes hinausgiengen, bei denen er aber gewißlich nicht die Absicht hatte, der Ehe als göttlicher Stiftung zu nahe zu treten, die vielmehr nur der „gemeinen Auffassung und Führung der Ehe“ galten, von der, wie er klagte, leider die Welt voll sei. Es war Wahrheit, wenn er in seiner Verteidigung auf die Angriffe gegen die Rosenmonate sagte: ihm sei eine Wahrheit des göttlichen Worts so teuer als die andere, er schäme sich nicht, je nach Umständen, für die Freiheit zur Linken und zur Rechten (für die Freiheit des Gebrauchs wie der Entsagung auf dem Gebiet des Erlaubten) zu eifern; er freue sich, wenn er ledigen unbescholtenen Bräuten seiner Pfarrei den Ehrenkranz reichen dürfe; aber mit derselben Freude würde er auch sterbenden Diakonissen die Krone eines glücklichen, jungfräulichen Lebens aufsetzen.
- ↑ Die Geschäfte dieser im Dienst der Gemeinde stehenden Witwen waren z. T. geistlicher Natur. Es lag ihnen die Pflege der Armen und Kranken ob, der Katechumenenunterricht bei dem weiblichen Geschlecht, die Seelsorge der Frauen, Dienstleistungen bei der Taufe weiblicher Personen, Besuch der Gefangenen, Confessoren und Märtyrer, eine gewisse Aufsicht über die Sitten des weiblichen Teils der Gemeinde etc.
- ↑ Es sind ja nicht viele Stellen des N. T., die von Diakonissen und Diakonissentum handeln. „Aber – sagt Löhe schön – die Diakonissin steht eben in der Bibel, wie im Garten das bescheidene Veilchen, kenntlich durch seinen Geruch, lieblich vor Gott und Menschen, in einer Verborgenheit, die Gott selbst gewollt hat.“
- ↑ Oft hob Löhe hervor, daß die Schrift von der Berufsarbeit der Diakonissin (wie des Geistlichen) das Wort κοπιᾶν gebrauche, welches eine mühevolle, anstrengende und aufreibende Thätigkeit bezeichne. Das Licht, das, indem es andern leuchtet, sich selbst verzehrt, sagte er, sei ein schönes Symbol auch für die Diakonissin.
- ↑ Vilmar dürfte von namhaften neueren Theologen – meines Wissens – der einzige sein, der sich nicht unbedingt gegen Zulässigkeit eines Gelübdes der Ehelosigkeit, aber auch nur im reiferen Alter, ausspricht.
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