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 In einer Einsegnungsrede verbreitete er sich darüber ausführlicher. Es sei – meinte er – mit dem protestantischen Diakonissentum ähnlich wie mit der religiösen Malerei der Protestanten im Unterschied von der der Römischen. Bei letzteren hersche eine sichere Tradition, die ihren religiösen Bildwerken einen bestimmten Charakter aufpräge und eine plastische Vollendung gebe, die den subjektivistischen, oft an Haltungslosigkeit leidenden Erzeugnissen protestantischer Kunst zu fehlen pflege. Ein fest begrenzter Begriff von dem was eine evangelische Diakonissin sei und sein solle, müße bei uns erst gewonnen, von der ersten Diakonissengeneration im Leben verwirklicht und so für die nachfolgenden Diakonissengeschlechter ein Vorbild und eine Tradition geschaffen werden, durch die denselben der Weg ihrer Vorgängerinen erleichtert werde. Für die letzteren sei das freilich eine schwere Aufgabe. Die katholische Ordensschwester oder gottverlobte Jungfrau werde von der Tradition getragen, von der Anerkennung ihrer Kirche geschützt, von der, ob auch irrigen Idee der Gottverlobtheit gehoben zu einem Hochgefühl, größer als das der Braut, die vom Traualtare weggeht, dahingegen die protestantische Diakonissin ihren Weg ohne Tradition, ohne den Halt eines Gelübdes, ohne Erziehung und Anerkennung von Seite der Kirche, ja oft unter Misverstand und Widerspruch der protestantischen Welt gehen müße. Aber wenn auch keine tragende Tradition, so habe doch die evangelische Diakonissin, die „gottverlobte Jungfrau“ im biblischen Sinn des Worts, einen festen Boden unter den Füßen: so klare Schriftworte wie 1 Cor. 7, und ihre Aufgabe sei es nun, als Kind der schriftmäßigen Kirche pur am Worte hangend, auf dem Weg der völligsten, stillsten und heitersten Freiheit, ohne den bindenden Zwang eines Gelübdes in täglicher Erneuerung ihres freiwilligen Entschlusses das zu werden, was die gottverlobte Jungfrau des Altertums durch Tradition, Erziehung und Anerkennung der Kirche wurde, und so einen Mangel

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/189&oldid=- (Version vom 1.8.2018)