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sagte er in seinem ersten Diakonissenunterricht. Das arme Leben Jesu und die Nachfolge des armen Lebens Jesu war ein Lieblingsthema seiner Reden vor und zu Diakonissen. „Eine Dienerin Jesu darf nicht weichlich sein, Leib und Seele bedürfen der Stählung, und diese wird am allerbesten erreicht durch heilige Selbsterziehung im Sinne des armen Lebens Jesu. Gibt es dabei Entwöhnungsschmerzen, so denke sie, daß an der Mutterbrust kein Held wird, sondern Stärke und Wachstum nur durch Entwöhnung kommt.“ Stellen wie die „apostolische Instruktion“ Luc. 10 oder der Rat des HErrn an den reichen Jüngling, dem er „die Armut als einen Höhepunkt der Vollendung“ zeigte, waren für Löhe Schriftgrund genug zu solcher Empfehlung. Dabei betonte er, daß der HErr, obwol selbst ein Gottesarmer – hierin ungleich Johannes dem Täufer – nicht in der Form der Weltentsagung, nicht in der äußeren Gestalt eines Asceten aufgetreten sei, daß daher jene zur Schau getragene Form der Armut, auf welche man in der römischen Kirche so sehr Gewicht legt und die man dort als ein vornehmstes Stück des „heiligmäßigen“ Lebens betrachtet, unwesentlich sei, und nicht minder hob er hervor, daß die Armut, die der HErr durch sein Beispiel empfohlen habe, nicht jene schmutzige Armut sei, in der so manche mittelalterliche Heilige eine besondere ascetische Leistung erblickten. „Nicht die cynische, sondern die liebende Armut ist groß bei Gott“ – lehrte er seine Diakonissen.

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 Wenn nun aber gleich Löhe als das Wesentliche jenes ersten römischen Ordensgelübdes, als den evangelischen Kern desselben die innere Unabhängigkeit vom Besitz und die fröhliche Bedürfnislosigkeit ansah und die Entscheidung betreffs Aufgabe oder Beibehaltung alles eignen Besitzes der Diakonissin selber überlassen haben wollte, so verhehlte er sich doch nicht, welche Versuchung der Dienerin der Barmherzigkeit drohe, die sich ihr Eigentum und die Verwendung

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/191&oldid=- (Version vom 1.8.2018)