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 „Eine Diakonissin ist eine Dienerin der Barmherzigkeit; wie könnte sie anders als barmherzig sein, d. h. Liebe zu den Elenden haben und üben? Also, Dienerin Christi, erkenne die größte deiner Amtssünden in der Unbarmherzigkeit und die Form aller deiner Amtstugenden in der Barmherzigkeit.

 Sei barmherzig, d. h. erstens: Erkenne in allen Leidenden Gegenstände deiner heiligen brünstigen Liebe, und wie eine Mutter unter ihren Kindern immer dasjenige am brünstigsten liebt, welches leidet, so laß auch dir diejenigen die nächsten sein, die da leiden. Je mehr jemand leidet, je elender er ist, desto näher sei er deinem Herzen als das ähnlichste Bild des HErrn, der am Kreuze hieng.

 Sei barmherzig, d. h. zweitens: Laß die Rauchwolke deines Gebets, deines Morgen- und Abendopfers immer wieder im Andenken der Elenden und Leidenden aufsteigen. – – – Gewöhne deine Seele an die Fürbitte und achte den Tag für verloren, an welchem du Gott dem Opfer der Fürbitte nicht gebracht hast.

 Sei barmherzig, d. h. drittens: Vergib alle Tage siebenmal siebenzigmal, wenn es sein müßte, dem Nächsten. Du sollst nicht blind werden für die Fehler deiner Brüder; ein reines Auge sieht die Sünde auch an andern und läßt sich nicht täuschen; aber du sollst die Sünde, die dir weh gethan, vergeben von Grund der Seelen und in der Kunst des Vergebens und Bedeckens immer gleichen Schritt halten mit deiner Fertigkeit, die Sünde anderer zu entdecken. Vergiß nicht, daß dein HErr und Heiland in der Bergpredigt nicht blos das Geben, sondern auch das Vergeben zur Barmherzigkeit rechnet.

 Sei barmherzig, d. h. viertens: Denke fleißig nach, ob es nicht Rat gibt, das Elend der Menschen zu mindern, für die du betest. Sei allerdings auch in deinem Rate vorsichtig und bescheiden; ein unnützer Ratgeber ist unleidlicher als der keinen Rat gibt, und wer immer mit der Miene der Erfahrung und des guten

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)