Seite:Wilhelm Löhes Leben Band 3.pdf/199

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

hat, in charakteristischer Weise durchscheint. Zu beklagen ist freilich, daß Löhe auch solche Wundergeschichten, die sich offen als geschmacklose Erfindungen darstellen, nacherzählt hat. Schwerer würde, wenn er begründet wäre, der andere Vorwurf des Mangels eines nüchternen, evangelisch gegründeten Urteils wiegen. Für eine gerechte Würdigung der Rosenmonate ist indessen fest zu halten, daß Löhes Zweck bei Abfassung jenes Buchs ein durchaus praktisch-ascetischer war. Er wollte den herkömmlichen Heiligenkalender beleben („das Gedächtnis der Hingeschiedenen Heiligen fruchtbar machen“ wie er in der Vorrede sagt), und dadurch das uns Protestanten so sehr geschwundene Bewußtsein der communio sanctorum, der Gemeinschaft der streitenden mit der triumfierenden Kirche, wecken und zur Pflege dieser Gemeinschaft ermuntern. Sodann war es seine Absicht, dem weichlichen Geschlecht der Christen von heute zur Beschämung und Ermunterung Beispiele sittlicher Kraft aus der Heldenschaar der christlichen Kirche vorzuhalten, für deren Tugenden nicht nur, sondern auch für deren Fehler, wie er zu sagen pflegte, die Menschen der Gegenwart zu klein seien. Sittliche Impulse wollte er geben durch Vorhalt in ihrer Art großer, wenn auch keineswegs unbesehens zur Nachahmung geeigneter Beispiele ernster Selbst- und Weltentsagung aus dem kirchlichen Altertum. Bei diesem Zweck war zur Bekämpfung des Irrigen an den antiken und mittelalterlichen Lebensidealen nicht mehr Anlaß, als es die Wahrung des eigenen evangelischen Standpunktes und die Rücksicht auf die Leser erforderte, für welche Löhe nicht versäumte bei abschüssigen Stellen der Lebenspfade so mancher Heiligen Warnungstafeln zu errichten. Er meinte damit um so eher sich begnügen zu dürfen, als er die Wahrnehmung gemacht hatte, daß bei vielen Heiligen der alten und mittelalterlichen Kirche, so fremdartig uns ihre Lebensformen, so unevangelisch, ja unnatürlich uns ihre asketischen Leistungen oft erscheinen, doch – bei aller Unklarheit ihrer Begriffe –

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/199&oldid=- (Version vom 1.8.2018)