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konnte er nicht „die alternde, heilige, thatkräftige Matrone,“ die Witwe, welche die Ehe und die Erfahrungen der Ehe hinter sich hat, und deren Bild 1 Tim. 5, 5–10 gezeichnet ist, zum Vorbild aufstellen. Seiner Neigung, sich an antike Gedanken und Lebensformen anzuschließen, bot sich dafür die „gottverlobte Jungfrau“ des Altertums als solches dar. Es gab in der ältesten Kirche Jungfrauen, die aus eigener Wahl ehelos lebten, als deren älteste neutestamentliche Vorgängerinen die weissagenden jungfräulichen Töchter des Evangelisten Philippus (Act. 21, 9) gelten dürfen. In späterer Zeit wurde solchen Jungfrauen unter feierlichen Gebeten von dem Bischof der Schleier überreicht, und sie hielten sich für Christo verlobt. Die Diakonissen des Altertums, wenn sie noch Jungfrauen waren, gehörten alle diesem Chor der gottverlobten Jungfrauen an. Dieser Institution des Altertums entlehnte Löhe wenigstens die Bezeichnung für das, was ihm als persönliches Lebensideal der Diakonissin vorschwebte, ohne damit das Irrige, was in der römischen Kirche der Idee einer gottverlobten Jungfrau anhaftet, billigen zu wollen. Denn Gottverlobtheit war ihm eine Tugend der Seele, nicht ein Stand des äußeren Lebens: Freiheit von unreinen Lüsten und Hingabe an den Freund und Bräutigam der Seele, an sich daher ebenso gut in als außer der Ehe möglich und nötig, bei Diakonissen aber freilich um ihres Berufes willen auch die Wahl des ehelosen Standes oder den Verzicht auf die Ehe – wenigstens während der Dauer ihres Diakonissendienstes – in sich schließend.

 Daß übrigens das evangelische Diakonissentum andererseits auch etwas so Neues, Eigenartiges sei, daß es nicht einfach in alte Schläuche d. h. in antike Formen kirchlichen Lebens gefaßt werden könne, daß mithin das Ideal einer evangelischen Diakonissin erst geschaffen, durch charaktervolle Persönlichkeiten im Diakonissenstande erst vorgelebt werden müsse, verkannte Löhe nicht.

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/188&oldid=- (Version vom 1.8.2018)