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 Ähnlich wie unter der Armut verstand Löhe auch unter der Keuschheit, die von der Diakonissin gefordert wurde, nicht zuerst einen äußeren Stand, sondern vielmehr eine Beschaffenheit der Seele „eine innere Freiheit von geschlechtlichen Banden, ein Fertigsein auch mit der unbestimmten weiblichen Wehmut und Sehnsucht, die geistliche Gabe eines reinen und unbefangenen Herzens, einer gottverlobten, jungfräulichen Seele.“ Natürlich war es ihm dann weiterhin etwas Selbstverständliches, daß das Diakonissentum die Ehelosigkeit fordere, so sehr, daß ihm auch Brautstand und Diakonissenstand nicht einmal vorübergehend mit einander verträglich schienen. An dem Diakonissentum und dessen Erfordernissen gieng ihm die Bedeutung des ehelosen Stands für den Dienst des Reiches Gottes auf und erschloß sich ihm das praktische Verständnis von 1 Cor. 7. Wenn er demgemäß jungfräulichen Diakonissen gegenüber den ehelosen Stand pries und in der Verherrlichung desselben soweit gieng, als es sich mit der Rücksicht auf die gottverliehene Würde der Ehe und die gottgebotene Wertschätzung derselben vertrug, so wird das niemand auffallend oder tadelnswert finden können. Hat man ja doch, im Hinblick auf das genannte Kapitel, auch von dem Apostel Paulus ein Gleiches mit Recht gesagt. Auf Grund jenes Kapitels, das er gegenüber protestantischen Misbräuchen und Übertreibungen in Betreff der Ehe und der Ehelosigkeit seine „feste Burg“ nannte, lehrte er seine Diakonissen, daß obwol Ehe und Jungfrauschaft an sich gleicher Würde seien und je nach Umständen beide Lob und Preis verdienten, doch ganz offenbar nach St. Pauli Sinn der ledige Stand der nützlichere, dienlichere sei, weil in Verfolgungszeiten die Ehe die Treue gegen Christum zu erschweren geeignet sei, weil die eheliche Sorge so oft dem Menschen eine Ursache zur Untreue gegen Christum, der Lauigkeit in der Andacht und im Dienst des Herrn werde und weil der jungfräuliche Stand im Gegenteil schön, wohlanständig und geeignet

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Johannes Deinzer: Wilhelm Löhes Leben (Band 3). C. Bertelsmann, Gütersloh 1892, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6hes_Leben_Band_3.pdf/194&oldid=- (Version vom 1.8.2018)