Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil/Drittes Buch

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[112]
Drittes Buch.
Von der Geschlechtssympathie [1], und der Sympathie mit dem Gleichartigen.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Heiliger Trieb! bestimmt von der Natur zur Erfüllung hoher Zwecke! Holder Trieb! Geber der höchsten sinnlichen Freuden; Geber so vieler andern, die dem innern Menschen gehören! Edler Trieb! Gegengewicht, mildernder Gefährte unserer selbstischen, zerstörenden Triebe! Urstoff der stärksten Bande unter den Menschen! Mittler älterlicher Zärtlichkeit! Beförderer heroischer Freundschaft! Zeuger, Mehrer, Tröster alles dessen, was lebt und webt in der Natur! – Geschlechtstrieb! Warum haben Unverstand und Mißbrauch so oft deine wahren Züge in einem Afterbilde entstellt, [113] und selbst dem Gebrauche deines Nahmens den Vorwurf der Unanständigkeit zugezogen?

Jetzt, da ich tiefer in deine Natur einzudringen suche, zeige dich mir in Begleitung jener deiner Gefährten, Schamhaftigkeit und Anstand, die sich so gern im Menschen zugleich mit dir entwickeln, und nur durch Rohheit oder Ausartung von dir getrennt werden. Und du, Liebe zur Wahrheit! laß mich nie vergessen, daß selbst reine Seelen über die Wahl ihrer Ausdrücke wachen sollen, und daß Unbescheidenheit dir eben so zuwider ist als übertriebene Zartheit! Beyde stehen der Harmonie des sittlichen Charakters, deinem ersten Gesetze und deinem höchsten Triumph im Wege! So werde ich mit jungfräulicher Hand nur den obern Mantel von der Natur abnehmen, und ihr den innern Schleyer nicht entziehen, der ihre Mysterien vor den Augen des Ungeweihten verhüllet, ohne ihre Umrisse dem mehr Erfahrnen zu verstecken! [2]

[114] Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher alle unsere Untersuchungen über die Natur des Unterschiedes zwischen dem Erhabenen und Anmuthigen gehemmt hat, – wenn wir die Verschiedenheit der Geschlechter und ihren gegenseitigen Zug zu einander bloß auf dasjenige Verhältniß eingeschränkt haben, worin sich lebendige Creaturen gegenseitig befinden. Vielleicht können schon leblose Körper in diesem Verhältnisse von Geschlechtsverschiedenheit, und mittelst derselben in einer genaueren Verwandschaft mit einander stehen!

Doch, der Beweis dieses Satzes liegt hier außer den Grenzen meines Zwecks. Offenbar aber stehen schon leblose Körper, welche durch sinnliche Eindrücke auf uns wirken, mit der Reitzbarkeit unserer Sinnenorgane in dem doppelten Verhältnisse der Geschlechtsverwandschaft und des Gleichartigen; und dieser Satz wird mir bereits wichtig genug, um den Beweis davon in der Folge zu übernehmen.

Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher der Untersuchung über die Natur des Unterschiedes zwischen Freundschaft und Geschlechtsliebe sehr im Wege gestanden hat, – wenn wir die Geschlechtsverschiedenheit unter den Menschen in dem Verhältnisse derjenigen Personen gegen einander ausschliessend aufgesucht haben, welche durch Körperverbindung zur Fortpflanzung der Gattung beytragen können, und ihrer äußern Bildung nach als geschickt dazu erscheinen. Oft trägt diejenige Person, welche allgemeinen äußern [115] Kennzeichen nach zu den Frauenspersonen gerechnet wird, mehr männliche Anlagen an sich, als diejenige, welche man im gemeinen Leben zu den Mannspersonen zählt; und eben diese Verwechselung tritt oft bey unserm Geschlechte ein.

Mehr. Es ist falsch, daß nur die Körper eine Geschlechtsverschiedenheit zeigen, und vermöge derselben nach Verbindung streben! Nein! auch Seelen fühlen den Zug der Geschlechtsverwandschaft zu einander, und diejenige Zärtlichkeit, welche darauf beruht, ist weit verschieden von der Freundschaft zweyer Seelen von ähnlichen Geschlechtsanlagen.

Es ist falsch, es ist nicht wahr, daß der ursprünglichen Bestimmung der Natur nach die Triebe nach Körperverbindung sich nur auf solche Körper richten, welche in der Vereinigung mit einander zur Fortpflanzung geschickt sind. – Es ist nicht wahr, daß die Regsamkeit dieser Triebe allemahl an äußern Erscheinungen am Körper wahrgenommen werde, und daß der Zweck und die Begünstigung derselben in derjenigen Handlung bestehe, welche als die letzte Ursach jener Fortpflanzung der Gattung angesehen wird.

Wie wichtig sind alle diese Behauptungen zur wahren Bestimmung der Geschlechtsliebe und ihrer verschiedenen Modificationen, je nachdem Triebe des Körpers oder der Seele darin prädominieren! Wie wichtig zur Wegräumung so manchen Mißgriffs, der sich in die Erörterungen über Begeisterung und Schwärmerey für Schönheit und Vollkommenheit an todten, lebenden und übersinnlichen Gegenständen eingeschlichen hat!

O! daß bey meinen folgenden Untersuchungen die Unbestimmtheit der Begriffe des großen Haufens, oder [116] die falsche Richtung, welche die Bemühungen seiner Wegweiser genommen haben, die Armuth der Sprache, und die Rücksicht auf die Forderungen des Anstandes mir nicht zu viele Hindernisse in den Weg gelegt hätten! Wie schwer ist mir die Wahl des Ausdrucks geworden! Wie sorgsam habe ich gesucht, mich an bekannte Worte zu halten, welche das wahre Verhältniß der Sache wenigstens im Ganzen bezeichneten, und mir nur die Mühe übrig ließen, allgemeine Wahrnehmungen auf bestimmte Begriffe zurückzuführen! Aber wie selten hat mir dieß gelingen können! Ich habe mich nach langjährigen Bemühungen endlich doch begnügen müssen, eigene Bewegungen für neuentwickelte Begriffe zu erschaffen; zufrieden, nur durch eine gewisse Verwandschaft zwischen bekannten Nahmen und dem wahren Gehalt der Dinge der Aufmerksamkeit und dem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen!


Zweytes Kapitel.

Vorläufige Bezeichnung der Geschlechtsverschiedenheit und des Gleichartigen, so wie der Sympathien, die darauf beruhen, um der Aufmerksamkeit bey der ferneren Untersuchung zu Hülfe zu kommen.

Die Begriffe von demjenigen, was Geschlecht, was Verschiedenheit des Geschlechts, was Hang zum Geschlechte heißt, sind, besonders nach allen Mißverständnissen die sich in diese Materie eingeschlichen haben, so schwer zu fassen, daß ich mir jedes Mittel erlauben darf, wodurch ich der Deutlichkeit näher zu treten, und der Aufmerksamkeit meiner Leser eine bestimmtere Richtung zu geben hoffen kann.

[117] Der bequemste Weg, diese mit mir zur Erkenntniß desjenigen, was ich in diesen Stücken für Wahrheit halte, zu führen, scheint mir dieser zu seyn, von dem Einzelnen zu dem Allgemeinen überzugehen; mithin die Erscheinungen des Hanges unsers Wesens nach Verbindung mit andern Gegenständen an den verschiedenen Bestandtheilen unsers Wesens, am Körper und an der Seele, so wie an den Aeußerungen ihrer Hauptvermögen und Kräfte im Einzelnen nachzuspüren: dasjenige, was der Geschlechtssympathie gehört, von demjenigen abzusondern, was der Sympathie mit dem Gleichartigen anzugehören scheint, und so zu einem allgemeinen Begriffe Beyder zu gelangen.

Dadurch hoffe ich dem Bedürfnisse nach Verständigung abzuhelfen. Aber es kommt zugleich darauf an, mir die Aufmerksamkeit meiner Leser zu sichern; und dazu scheint es nothwendig, selbst auf die Gefahr, in Wiederholungen zu fallen, sogleich das Resultat der künftigen Untersuchung hier voranzustellen.

Die Anlagen oder Fähigkeiten des Menschen können sowohl dem Körper als der Seele nach auf zwey Dispositionen zurückgeführt werden, deren eine seine Stärke, die andere seine Zartheit ausmacht. Beyde Dispositionen finden sich in jedem Menschen, er mag seinen äußern Kennzeichen nach zur Classe der Mannspersonen, oder zu der der Frauenspersonen gerechnet werden.

Zur Stärke des Menschen gehört sein Vermögen, hart angreifende Reitzungen für die Sensibilität seiner Sinnenorgane zu leiden, die feurige Wallung der Lebenskraft und Anstrengung der Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erschüttert, seinen Geist empor gehoben zu fühlen. Es gehört aber auch dahin seine [118] Kraft, sich gegen andre Gegenstände hart angreifend zu bewegen, ihnen die Wallung seiner Lebenskraft, die Anstrengung seiner Lebenswerkzeuge mitzutheilen, ihr Gemüth zu erschüttern, und ihren Geist emporzuheben. Mithin hat jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Stärke als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit dieser Stärke geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Spannung.

Zur Zartheit des Menschen gehört dagegen sein Vermögen, sanfte Reitzungen für die Sensibilität seiner äußeren Sinnenorgane zu leiden, die Allmählichkeit und Auflösung der Lebenskraft und Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erweicht, seinen Geist in leichter Spannung zu fühlen. Es gehört aber auch dahin die Kraft, auf andere Gegenstände sanft einzuwirken, und ihnen unsre Allmählichkeit, Auflösung, Weichheit und leichte Schwingung mitzutheilen. Mithin birgt jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Zartheit als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch Wirksamkeit seiner Zartheit geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Zärtelung.

Jeder Mensch birgt, wie gesagt, diese doppelte Disposition seiner Vermögen und Kräfte in sich, die in Rücksicht auf die ganze Gattung seiner Anlagen als zwey Geschlechter derselben anzusehen sind. In so fern aber die Menschen mit dem ganzen Inbegriffe ihrer Anlagen, der sich in jedem Einzelnen von ihnen findet, unter sich, und in Rücksicht auf die ganze Gattung der [119] Individuen betrachtet werden, findet sich bey dem Einen die Disposition zur Stärke hervorstechend vor der Zartheit, bey dem andern aber die Zartheit im Uebergewichte über die Stärke. Dieß begründet dann die Eintheilung der menschlichen Gattung in zwey Geschlechter. Der Mensch, bey dem die Stärke die Zartheit überwiegt, ist Mann: der Mensch, bey dem die Zartheit über die Stärke hervorragt, ist Weib.

Wenn der Mensch, der sich stark fühlt, sich dem starken Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Stärke zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Starken, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand wird der der reinen aber erhöheten Spannung.

Wenn auf der andern Seite der Mensch, der sich zart fühlt, sich dem zarten Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Zartheit zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Zarten, oder mit dem ihm ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand ist der einer reinen aber erhöheten Zärtelung.

Zuweilen gerathen die beyden Dispositionen im Menschen in Aufruhr, und er strebt nach der vollkommensten Wirksamkeit seiner Anlagen durch gleichzeitige Spannung und Zärtelung. Dann nähert er sich einem andern Menschen, dem er eine verschiedene Mischung der Dispositionen von der seinigen, das heißt ein verschiedenes Geschlecht zutrauet, um in der Verbindung mit ihm nicht bloß die eine oder die andere Disposition seiner Anlagen, sondern ihre Gattung im Ganzen zu verbessern. Er empfindet alsdann Sympathie mit dem [120] Geschlechtsverschiedenen: Geschlechtssympathie, oder, wie man es billig nennen sollte, Gattungssympathie. Der Zustand, dem er nachstrebt, ist der einer gezärtelten Spannung; ein Zustand von überschwenglicher Wollust und Wonne wegen der erhöheten und ausgebreiteten Wirksamkeit beyder Dispositionen unserer Vermögen und Kräfte.

Inzwischen werden sich zwey den herrschenden Dispositionen nach ähnliche Menschen eben so wenig unter einander anziehen, als zwey Menschen, die den herrschenden Dispositionen nach verschieden sind, wenn nicht ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt findet, das weder in der Aehnlichkeit noch in der Verschiedenheit ihrer Anlagen allein zu suchen ist. Es beruhet vielmehr in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer ähnlichen oder verschiedenen Dispositionen die Wirksamkeit ihrer Vermögen und Kräfte auf eine Art erhöhen können, die ihnen isoliert zu erreichen unmöglich wäre.

Sympathie mit dem Gleichartigen ist folglich Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Wesens anzuarten. Der Starke will sich in der Verbindung mit dem Starken stärker, der Zarte mit dem Zarten zärter fühlen. Jener strebt dem Zustande der reinen erhöheten Spannung; dieser dem Zustande einer reinen erhöheten Zärtelung nach.

Geschlechtssympathie ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens anzugatten. Der Starke will sich zugleich zart, der Zarte zugleich stark fühlen. Jener erhält dadurch den Charakter geschmeidiger Stärke; dieser den Charakter [121] hebender Zartheit, und der Zustand, in dem sie beyde zusammentreffen, ist der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung.

Ich will jetzt diese Sätze im Einzelnen näher zu begründen und zugleich zu erläutern suchen. Es wird aber genug seyn, wenn ich die Aeußerungen der Geschlechtssympathie entwickle, die im Ganzen viel auffallender wahrgenommen werden, und diesen die Aeußerungen der Sympathie mit dem Gleichartigen gelegentlich entgegenstelle.


Erster Abschnitt.
Geschlechtssympathie des Körpers.

Drittes Kapitel.
Vorläufige Anzeige der dreyfachen Modificationen der Geschlechtssympathie des Körpers.

So wie wir bereits an leblosen Körpern mehrere Modificationen der Wahlanziehung oder Adfinität wahrnehmen, welche sich bey ihrer Annäherung an einander auf sehr verschiedene Weise ankündigt; so dürfen wir auch bey animalischen Körpern eine dreyfache Modification der Geschlechtssympathie annehmen.

1) Die Anlage zur Ueppigkeit, – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, [122] und besonders derer der Tastung, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche der Körper, in die sie sich einlagern, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung gerathen.

2) Die Anlage zur Lüsternheit; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskräfte unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

3) Der unnennbare Trieb oder die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, der unstreitig an ähnliche Gesetze wie die beyden vorigen Arten von Gefühlen gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf.

Jene Ueppigkeit, jene Lüsternheit, dieser unnennbare Trieb sind Arten der Geschlechtssympathie, die oft stufenweise auf einander folgen, sich oft in umgeworfener Ordnung unter einander erwecken, oft aber auch in gar keinem Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander stehen. Ueppigkeit ladet zur Lüsternheit, Lüsternheit zum unnennbaren Triebe ein: das ist der gewöhnliche Fall. Aber es ist auch nichts Ungewöhnliches, daß das Andringen der Bildungskraft die thierische Lebenskraft in Aufruhr setze, und diese wieder die Sensibilität auf [123] eine analoge Weise stimmen. Ja, der unnennbare Trieb kann befriedigt werden ohne Lüsternheit und Ueppigkeit, und diese beyden können wieder jede einzeln und getrennt von ihren Gefährten wirken.


Viertes Kapitel.
Von der Ueppigkeit.

Ich bin bey meinen Studien über die ästhetischen Empfindungen sehr oft auf den Unterschied aufmerksam geworden, den die Berührung verschiedener Körper, wenn diese gleich bey allen angenehm war, auf meine Gefühlorgane hervorgebracht hat. Ich berührte harte, kalte Körper; den polierten Marmor oder Stahl; – allerdings ein wollüstiges Gefühl, das mich aber zum Anschmiegen nicht einlud. Ich erhielt die Wahrnehmung einer undurchdringlichen Glätte, wovon das Tastungsorgan abgleitet. Es schien mir, daß meine Hand sich den Eindruck zwar gern gefallen ließe, aber sich seiner Ausbildung nicht entgegen böte. Ich berührte dann das seidene Haar gewisser Thierfelle, den weichen Stoff gewisser Gewänder; – wieder ein wollüstiges Gefühl, aber von ganz verschiedener Art! Meine Hand ließ sich den Eindruck nicht bloß gefallen, sie bot sich ihm auch entgegen, sie suchte ihn auszubilden! Aber anschmiegen, anlagern, konnte sie sich nicht. Sie fiel durch, und der Mangel an Widerstand gab ihr die Wahrnehmung des bloß Sanften. Endlich berührte meine Hand den weichen, aber aufgebläheten, schnellenden Polster mit seinem sammetnen Ueberzuge und seiner Füllung von Federn; – welch eine ganz verschiedene Empfindung, [124] wollüstiger und zugleich bindender als die beyden vorigen! Hier ward meine Hand zum Anschmiegen und Einlagern aufgefordert; hier erhielt sie durch die Weichheit des Ueberzuges eine Reitzung, sich anzuneigen, und durch die Elasticität der Füllung, die sich ihr entgegen hob, eine zurückwirkende Spannung. Ich fand ferner, daß, je nachdem der Polster mir zu viel Widerstand oder zu wenig leistete, je nachdem die Wahrnehmung des rein Glatten, oder des rein Sanften sich vermehrte, das Ueberschwengliche in meinem Wollustgefühle und der Reitz, mich an ihn zu schmiegen, abnahm.

Was schloß ich daraus? Dieß: daß die Sensibilität, welche mit meinen Tastungsorganen verbunden ist, sich zuweilen gern gespannt, zuweilen gern gezärtelt fühlt, daß aber beyde Reitzungsarten, wenn sie bar und rein für sich wirken, weder so wollüstig noch so bindend an die Körper sind, welche sie erwecken, als jene andere Reitzungsart, wodurch meine Sensibilität zugleich gezärtelt und gespannt wird. Ich schloß ferner daraus, daß dieser letzte Zustand gleichzeitiger Spannung und Zärtelung seinen Grund in einem Wohlverhältnisse zwischen meinem Zustande beym Einnehmen der Empfindung und der Beschaffenheit des Körpers beym Geben haben müsse, und daß der Charakter der letzteren in dem Wohlverhältnisse seiner Nachgiebigkeits- und Widerstandsfähigkeit zu suchen sey.

Ich wandte diese Erfahrungen bald auf meine übrigen Sinne an, und es hat mir geschienen, daß bey ähnlichen Ursachen immer ähnliche Wirkungen erfolgt wären. In einem gleichen Grade von Klarheit konnten sie freylich nicht erscheinen, weil die körperliche Sympathie, oder die sinnliche Wahrnehmung eines Zusammenseyns [125] und einer accordierenden Lage fremder Körper mit dem Zustande des unsrigen, bey der Verbindung ihrer Oberflächen durch die tastenden Organe am schärfsten unterschieden wird. Allemahl aber blieben die Erscheinungen doch klar genug, um sie nach charakteristischen Merkmahlen von einander abzusondern. Der volle Glanz kann wollüstig auf mein Auge wirken; aber er strengt an, und der Blick zieht sich seinem Strahle nicht nach. Ganz etwas Aehnliches erfolgt beym Anblick greller Farben. Hingegen das sanfte Himmelblau und das Mondenlicht laden mein Auge ein, bey ihrem Scheine zu weilen. Aber welch ein erhöheter Reitz in jenem Anblick einer hellen Erleuchtung, deren Glanz ein dünner Schleyer mildert, oder der gebrochenen Strahlen der Sonne im Purpur des Morgens und des Abendhimmels! Hier bietet sich mein Auge nicht allein den Eindrücken gern entgegen; es fühlt sich auch durch die Mischung der Strenge mit der Milde des ergetzenden Schauspiels diesem entgegengehoben und entzückt!

Eine symmetrisch angeordnete Fläche spannt das Sehorgan, indem es ihre abgestufte Ausdehnung auf Ein Mahl auffaßt. Dieß Gefühl kann wollüstig seyn, wenn es von qualvoller Anstrengung frey ist. Aber mein Auge verfolgt nicht die Umrisse der regulär geordneten Fläche; es schmiegt sich mit seinen Blicken nicht an sie an; es läßt sich den anstrengenden Eindruck bloß gefallen. Hingegen verfolgt das Organ die geschlängelten Gestalten, welche eine andere Fläche überziehen, und ich fühle deutlich, daß es durch dieß freye Spiel gezärtelt wird. Wie yiel entzückender aber ist nicht der Anblick eines geründeten Körpers, einer Gruppe, wie sie etwa die Form der Weintraube darbietet! [126] Das Auge schlüpft mit Leichtigkeit an ihren Umrissen weg, verliert sich in den Sinuositäten ihrer Ründung, wird aber zugleich durch die Abstufungen ihrer hinter und unter einander geordneten Theile aufgehalten, und zum Zusammenfassen des Ganzen aufgefordert! Hier erst mischen sich sanfte Gefühle mit anstrengenden, und bringen jene nähere, innigere Verbindung des Auges mit der angeschaueten Form hervor.

Findet sich nicht etwas Aehnliches in der Wirkung der Töne auf mein Ohr! Stehen nicht der gezogene Ton der Flöte und der angreifende der Silberglocke in eben dem Verhältnisse zu einander, wie die Berührung des sanften Körpers zu der Berührung der Körper von undurchdringlicher Glätte? Oder wie das gedämpfte Licht der himmelblauen Farbe zu dem Glanze der rothen? Und ist es nicht der Laut der Menschenstimme oder der Harmonika, der beyde Vorzüge des flötenden Tönens und des silberhellen Klanges mit einander verbindet, und uns dadurch am reitzendsten scheint und am stärksten anzieht? Sind es nicht die ausgehaltenen Züge der Nachtigallskehle, die mit schmetternden Wirbeln wechseln, welche das Ohr zugleich dehnen und aufschwingen, und dadurch diesem Organe die höchsten und zugleich bindendsten Wollustgefühle zuführen?

Verhält sich nicht der Geschmack des brennenden Gewürzes zu dem der schmelzenden Pfirsche[WS 1], wie der durchdringende Klang des einen Instruments zum weichen Tone des andern? Und ist nicht die Ananas darum von so überschwenglichem Wohlgeschmack, weil sie das Anstrengende des einen mit dem Auflösenden des andern verbindet? Eben diese Beobachtungen treffen auf gewisse Wohlgerüche zu, wenn wir den Eindruck, den bloß [127] pikante Salze auf unsre Geruchsorgane machen, mit dem des Rosendufts, und beyde wieder mit dem gewisser wohlriechenden Oehle und Specereyen vergleichen.


Also giebt es unstreitig eine dreyfache Schwingung, in welche die Sensibilität unserer Sinnenorgane versetzt werden, und die dreyfache Wollustgefühle hervorbringen kann: reine Spannung, reine Zärtelung, und eine dritte höhere und bindendere, die aus einer Vermischung oder Vermählung der beyden ersten entsteht. Ich nenne die letzte: üppige Gefühle.

Da ich hier meine Aufmerksamkeit bloß auf diejenige Modification unserer Sinnlichkeit richte, die ich im ersten Buche körperliche Sympathie genannt habe; so will ich mich hier auch bloß auf die nähere Bestimmung derjenigen spannenden, zärtelnden und üppigen Gefühle einlassen, wobey wir ein Zusammenafficiertwerden, entweder eine Theilung des nehmlichen Zustandes mit dem belebten Körper, oder wenigstens eine Uebereinstimmung unsers Zustandes mit der Lage des neben uns bestehenden unbelebten Körpers beachten.

Ich werde jetzt zeigen, daß die rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühle der Sympathie mit dem Gleichartigen; – die üppigen aber der Geschlechtssympathie angehören.

Die zweyfache Reitzungsart der Sensibilität unserer Organe, [3] gespannt und gezärtelt zu werden, setzt nothwendig [128] zwey verschiedene Dispositionen derselben oder Fähigkeiten zum Voraus, durch äußere Eindrücke zur Lust oder Unlust gereitzt zu werden. Es sey mir erlaubt, die eine unsre Straffheit oder unsere leidende Stärke zu nennen, weil wir vermöge derselben fähig sind, den Angriff zu dulden, ihm eine Art von Widerstand zu leisten, und uns von ihm anstrengen, spannen zu lassen. Die andere nenne ich unsere Zartheit oder leidende Geschmeidigkeit, weil wir vermöge derselben fähig sind, uns sanften Eindrücken zu überlassen, und von ihnen gezärtelt zu werden.

Mit diesen beyden empfangenden Fähigkeiten unserer Sensibilität müssen nothwendig Beschaffenheiten in den äußern Körpern correspondieren, uns auf eine zweyfache Art zu reitzen. Diese werden als thätige Kräfte angesehen, und ich darf das Vermögen, uns zu spannen, dreist durch ihre Spannkraft, das, uns zu zärteln, dreist durch ihre Zärtelungskraft bezeichnen.

Wenn nun der kalte glatte Marmor uns wollüstig reitzt, so ist der Grund offenbar nicht darin zu suchen, weil er uns das Gefühl der Auflösung oder Zärtelung unserer Organen giebt, sondern darin, daß er unsere Organe anstrengt und spannt. Seine Spannkraft wirkt daher nicht auf die Zartheit unserer Sensibilität, sondern auf ihre Straffheit oder leidende Stärke, die Widerstand [129] zu leisten, und durch Anschauung zur Lust gereitzt zu werden fähig ist.

Wenn dagegen das seidene Haar uns wollüstig reitzt, so ist der Grund wieder nicht darin zu suchen, daß unsre Organe angestrengt, sondern darin, daß sie aufgelößt, gezärtelt werden. Ihre Zärtelungskraft correspondiert daher mit einer Zartheit oder leidenden Geschmeidigkeit in uns, vermöge deren wir uns sanften Eindrücken gern überlassen.

Es beruht aber nun wieder auf ausgemachter Erfahrung, daß nicht jeder Eindruck eines Körpers, der unsre Organe spannt, darum wollüstig sey. Im Gegentheil, manche kalte Glätte, mancher Schlag, manche Klemmung von einem Körper, der sich an den unsrigen anlegt, sind uns widrig. Eben dieß ist der Fall mit mancher Berührung zäher Flüssigkeiten, schlaffer Oberflächen animalischer und vegetabilischer Körper, die uns auf eine ekelhafte Art zärteln. Es giebt Menschen, deren Organe so zart eingerichtet sind, daß jeder spannende Eindruck von andern Körpern ihnen grob vorkommt; es giebt andere, deren Organe so stark geformt sind, daß jeder zärtelnde Eindruck ihnen schlaff scheint.

Zuweilen paßt der Eindruck den wir erhalten, nur nicht in die gegenwärtige Stimmung der Sensibilität unserer Organe, z. B. das Auge umfaßt den Anblick einer ganz geradlinig angeordneten Fläche, und wird dadurch gespannt; auf ein Mahl mischt sich eine Schlangenlinie dazwischen, die es zärtelt; oder umgekehrt, das Auge durchläuft die geschlängelten Linien einer mit Krümmungen überzogenen Fläche; auf ein Mahl mischt sich eine gerade Linie dazwischen; so wird in beyden Fällen die Stimmung, worin gerade die Sensibilität unsers [130] Auges war, auf eine unangenehme Art unterbrochen. Auffallender wird dieß noch, wenn die Tastungsorgane an einem harten Körper hinfahren, und schnell auf Weichheit fallen; oder umgekehrt, wenn sie beym Streicheln eines sanft zu berührenden Körpers den Widerstand der Härte finden. Eben so widrig ist es dem Ohre, wenn ein Mollton in den reinen Duraccord, ein Durton in den reinen Mollaccord eingemischt wird.

Damit also die reitzende Kraft der äußeren Körper unsere Sensibilität zu Gefühlen der Lust auffordere, wird nothwendig ein Wohlverhältniß zwischen beyden zum Voraus gesetzt, vermöge dessen wir nicht anders afficiert werden, als unsere Einrichtung im Ganzen, oder unsre gegenwärtige Stimmung es zuläßt.

Dieß Wohlverhältniß kann von doppelter Art seyn:

Entweder es liegt in der Ergänzung, Vermehrung, Vervollständigung der einen oder der andern reinen Disposition unserer Sensibilität, der reinen Stärke, der reinen Zartheit;

oder es liegt in der Schöpfung einer neuen Disposition, worin Stärke und Zartheit zusammen wirksam sind, ohne sich einander zu stören.

Die Wirkung des ersten Wohlverhältnisses ließe sich mit dem Wohllaut des Einklangs, (Unisons) vergleichen; die des zweyten mit dem Wohllaut des Zusammenklangs, (der Harmonie.) Jene empfinden wir in den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen, diese in den üppigen.

Zuerst von den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen.

Wir müssen annehmen, daß wir das Bewußtseyn von einem Vollständigkeitspunkte für unsere Sensibilität [131] und ihre Modificationen haben, der ihr zugleich zum Sättigungspunkte dient. Wir wollen gespannt oder gezärtelt seyn, um unsere Sensibilität in gehöriger Straffheit oder Zartheit zu fühlen. Aber nur bis auf einen gewissen Punkt. So lange dieser noch nicht erreicht ist, fühlen wir einen gewissen Mangel, und nehmen daher gern spannende oder zärtelnde Eindrücke von andern Körpern an. Aber so bald dieser erreicht ist, so sind wir auch gesättigt, und stoßen die ferneren Eindrücke ab.

Gesetzt also, wir kommen mit einem Körper in Verbindung, der uns über den Sättigungspunkt hinaus spannt, so wird der Eindruck übermäßig und widrig; und eben so verhält es sich mit den Körpern, die uns übermäßig zärteln.

Diese Behauptung kann niemand in Zweifel ziehen, der einige Beobachtungen darüber anstellen will, wie uns das Umfassen des kalten, glatten Marmors oder Stahls wollüstig spannt, wie hingegen die Berührung des Eises durch seine übermäßige Kälte uns widrig erschüttert; – wie wir die Berührung des zarten Zobelpelzes lieben, hingegen vor der Berührung der Oberfläche eines schmierigen Körpers mit Ekel zurückschaudern.

Hierauf beruht die Sympathie unserer Organe mit gleichartigen Körpern. Unsere leidende Stärke stößt auf eine ihr wohlgefällige Spannkraft, unsere Zartheit auf eine ihr wohlgefällige Sanftheit. Wir finden zwischen unserm Zustande und der Eigenschaft des äußern Körpers eine Gleichartigkeit, die uns angenehm ist, weil sie durch einen Zusatz von Wirkung auf uns diejenige Modification unserer Sensibilität verbessert, in der wir schon waren, oder in die wir zu gerathen suchen. Nähern wir uns, um gespannt [132] oder gezärtelt zu seyn, Körpern, die uns in den Zustand, dem wir dermahlen nachstreben, nicht versetzen können, so lassen wir sie gleichgültig liegen; wirken sie anders auf uns, als wir es wünschen, oder übertreiben sie die Wirkung, so fliehen wir vor ihnen zurück.

Dieß liegt bey den rein spannenden oder rein zärtelnden Wollustgefühlen zum Grunde, wovon ich oben die Beyspiele angeführt habe.

Ganz verschieden ist hiervon die Ueppigkeit: jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche anderer Körper, in die sie sich einlagern, gerathen.

Der Zustand der Spannung und der Zärtelung unserer Organe hängt offenbar nicht bloß von ihrer leidenden, bloß einnehmenden Wirksamkeit, sondern auch von ihrer thätigen, auf die äußern Körper einwirkenden Kraft ab. Es ist offenbar, daß meine Hand nicht bloß den Angriff des reitzenden Körpers aushalten, und sich dadurch spannen lassen, sondern daß eben diese Hand auch ihn angreifen, in ihn eindrücken, und dabey sich selbst spannen könne. Eben so unläugbar ist es, daß meine Hand sich nicht bloß der sanften Berührung des reitzenden Körpers hingebe, und sich dadurch zärteln lasse, sondern daß sie auch ihn sanft behandeln, und sich dabey zärtlich fühlen könne. Ich nenne diese beyden Dispositionen unserer Sensibilität zur thätigen Spannung und thätigen Zärtelung ihre thätige Stärke und ihre thätige Geschmeidigkeit.

[133] Nun kann es leicht geschehen, daß unsere Organe in den Zustand der gleichzeitigen leidenden und thätigen Spannung gerathen, und dieser Zustand ist unter allen, die wir für die Sensibilität unserer Organe kennen, der vollkommenste. Denn er giebt uns zu gleicher Zeit den Genuß der leidenden und thätigen Wirksamkeit, der Anstrengung und der Auflösung unserer Organe. Das Leidende in diesem Zustande darf man dann sehr wohl mit dem Nahmen der gezärtelten Spannung; das Thätige darin aber mit dem Nahmen der geschmeidigen Stärke bezeichnen. Dieß Thätige nimmt alsdann den Charakter einer inhärierenden Eigenschaft, jenes Leidende aber den Charakter einer Lage, einer Erscheinung an. Die äußere Wirkung ist die engste Verbindung mit dem Körper, das wirkliche oder wenigstens so gefühlte Einlagern in denselben.

Ein harter Körper, mit dem wir uns in Verbindung fühlen, kann diesen Zustand nicht erwecken, oder wenigstens nicht zur Vollständigkeit bringen. Das Umfassen des kalten, undurchdringlichen Marmors hemmt alles Bestreben unserer Muskeln in ihn einzugreifen. Der Eindruck, den er auf uns macht, wird als bloß leidend und als rein spannend beurtheilt, und wenn wir ihn wirklich so streicheln, als ob wir auf ihn einwirken und von ihm gezärtelt werden könnten, so gehört diese Empfindung einer erkünstelten Stimmung, und nicht der unmittelbaren Sensibilität des Tastungsorgans.

Hingegen weiche Körper, die sich leicht eindrücken lassen und uns zärteln, geben unsern Muskeln einen freyeren Schwung nach Außen hin, und fordern diese zum Eingreifen auf. Man darf nur an die unwillkührliche Bewegung, an das Spiel denken, in welches unsre [134] Finger gerathen, wenn wir seidne Haarlocken berühren. Inzwischen wird diese Irritation unserer Muskeln zum Eingreifen sich sehr bald in den bloßen Unison der reinen Zärtelung, und dadurch in den Zustand des ruhigen Einnehmens verlieren, oder wohl gar widerlich werden, wenn der Körper, auf den wir wirken, neben seiner Weichheit nicht zugleich eine Widerstandsfähigkeit, etwas Schnellendes und Hebendes wahrnehmen läßt, das bey uns das Gefühl eines duldenden Entgegenlegens und zärtlichen Zurückwirkens von seiner, und einer allmähligen Anstrengung und eines geschmeidigen Ueberwindens von unserer Seite hervorbringt. Hierdurch entsteht erst die Wahrnehmung einer leidenden Lage in ihm, die mit unserm leidenden Zustande gleichartig ist, nehmlich gezärtelte Spannung; und einer thätigen Eigenschaft in ihm, die von unserer thätigen Eigenschaft verschieden, aber doch mit dieser verwandt ist. Wir legen ihm ein Vermögen bey, zurückzuwirken, das wir sein Hebendes nennen: und eine Fähigkeit, unsre Angriffe zu leiden, die wir seine Zartheit nennen, und finden nun diese hebende Zartheit im Wohlverhältnisse zu unserer geschmeidigen Stärke.

Man darf nur die geringste Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit der wollüstigen Empfindungen wenden, mit denen uns eine straff aufgeblähte Blase, die keinen Eindruck leidet, oder ein schlaffer Schlauch, der keinen Widerstand leistet, oder endlich ein weicher aber schnellender Polster bey der Berührung afficieren, um die Richtigkeit der obigen Bemerkungen zu fühlen. Nur dieser letzte giebt uns eine wirklich üppige Empfindung, und welchen Charakter hat sie? Offenbar den der Beziehung einer Eigenschaft dieses Körpers auf eine [135] Eigenschaft des unsrigen, die mit dieser in Verwandschaft steht, aber ihr nicht gleich ist, der hebenden Zartheit auf die geschmeidige Stärke, die beyde in der übereinstimmenden Lage einer gezärtelten Spannung, die wir empfinden, und dem unbelebten Körper durch Assimilation beylegen, zusammentreffen. Die äußere Wirkung ist das Einlagern in den Polster: die engste Verbindung mit ihm.

Hieraus folgt, daß Ueppigkeit, besonders der Tastungsorgane, den wahren Charakter einer Wollust der Geschlechtssympathie an sich trägt, denn wir vermählen hier in uns Gefühle, die der Art nach verschieden, der Gattung nach aber gleich sind. Sie gehören beyde zu unserer Sensibilität, aber zu ihren verschiedenen Dispositionen. Wir legen dem angenäherten Körper Eigenschaften bey, die wir an unsern Organen finden: Fähigkeit zu empfangen und Kraft zu wirken; leidende und thätige Stärke, die wir sein Hebendes nennen; leidende und thätige Geschmeidigkeit, die wir seine Zartheit nennen. Wir finden aber diese Eigenschaften bey ihm in einer ganz andern Mischung, folglich auch von anderer Beschaffenheit als bey uns. Bey ihm praedominiert die Zartheit, bey uns die Stärke; aber er hat doch Stärke genug, sich uns entgegen zu heben; wir haben Geschmeidigkeit genug, seiner Zurückwirkung nachzugeben. Hierdurch entsteht das Gefühl: wir sind von einer Gattung, aber nicht von einem Geschlecht. Demohngeachtet strebe ich nach Verbindung. Warum? Weil ich meinen Zustand durch Aneignung seiner Eigenschaften und Versetzung in seine Lage verbessern, und indem ich die Vorzüge beyder Arten in mir vereinige, meine Sensibilität zu einer Stufe von vollkommener Wirksamkeit [136] bringen will, die nur der Gattung, nicht dem einzelnen Geschlechte von Empfindungen angehören kann.

Man kann noch folgende Charaktere der Ueppigkeit festsetzen. Sie zieht immer mit einer größern Lebhaftigkeit, mit einem gewissen Grade von Unruhe zu den Körpern hin, die sie erwecken. Das rein Zarte, rein Starke führt diese Unruhe nicht mit sich. Die Wollustgefühle, welche diese in uns erregen, sind viel gemäßigter. Wir bleiben, was wir waren, wir vervollständigen nur unsere Stimmung, und zwar durch leidendes, duldendes Empfangen. Hingegen bey der Ueppigkeit wird die Stimmung unserer Sensibilität zur Stärke oder Zartheit die wir haben, aufgelößt: sie geht in eine andere über, die von beyden etwas an sich trägt: und wir streben, wir wirken ein.

Ueppigkeit ist bindender an die Gegenstände die sie erwecken, als der rein gespannte oder gezärtelte Zustand. Sie strebt stärker nach Dauer der Verbindung und Ausbildung ihres Genusses: Sie lagert sich ein!

Ueppigkeit kommt allen unsern Organen zu, aber dem der Tastung liegt sie am nächsten.

Solchemnach würde es eine völlig unrichtige Vorstellung seyn, wenn wir das Gefühl der körperlichen Ueppigkeit für eine Wirkung der Ideenassociation mit dem unnennbaren Triebe halten, und annehmen wollten, daß der Polster, die Weintraubengruppe, der Ton der Harmonika, u. s. w. uns an die Mittel zur Befriedigung jenes Triebes, oder an die Stimmung, welche wir während desselben empfinden, erinnerten.

Freylich zeigt sich die Ueppigkeit nie auffallender, als in dem Verhältnisse, worin der Mann, der als fähig zum Gatten anerkannt wird, zum Weibe, der Gattin, [137] steht. Aber woran liegt dieß? Bloß daran, daß der Reitz des weiblichen Körpers gerade durch hebende Zartheit, so wie die Sensibilität der Organe des Mannes durch Anlage zur geschmeidigen Stärke charakterisiert wird. Die Temperatur des letzten ist gewöhnlich stark, und der Hang nach Spannung ist ihm vorzüglich eigen. Aber er hat auch eine Zartheit an sich, und der Zustand der Zärtelung, wodurch seine Stärke geschmeidig wird, ist ihm äußerst angemessen. Den Trieb darnach befriedigt nichts so sehr, als der Eindruck des üppigen Reitzes am weiblichen Körper.

Das männliche Auge dehnt sich den geschlängelten Linien der Umrisse des weiblichen Körpers nach, wiegt sich in die sanften Uebergänge seiner Carnation ein, während daß die Windungen der Ründung, die Lebhaftigkeit des Augenglanzes, des Wangenroths und der Haarfarbe, die Sehkraft in steter Regsamkeit erhalten. – Das Organ des Gehörs bey dem Manne zieht sich dem flötenden Tone der weiblichen Stimme nach, deren Silberklang eben dieß Organ zugleich zu stärkeren Schwingungen weckt. – Endlich laden die rundliche Völligkeit des weiblichen Baues, der Sammet der zarten Haut, zum Anschmiegen und Streicheln ein, indem die Muskeln sich zugleich elastisch dem Eindruck entgegen heben.

So hat die liebende Natur, welche die Körperwelt überhaupt an die empfindende Creatur, aber besonders das Weib an den Mann durch Ueppigkeit binden wollte, die hebende Zartheit vorzüglich über den Körper des Weibes ausgegossen, und dem Nervensystem des Mannes in hervorstechender Maße die Anlage zur geschmeidigen Stärke verliehen. Aber der üppige Reitz ist nicht allein [138] dem Weibe eigen, und das Vermögen, dadurch angezogen zu werden, nicht dem Manne allein. Mann und Weib, Greise und Kinder, alle mit Sensibilität begabte Körper huldigen der Ueppigkeit. Seht! wie das Mädchen, noch weit unter der Stufe der Pubertät, unbekannt mit dem unnennbaren Triebe, das aufgeblähte, weiße und zarte Fleisch kleiner Kinder von beyderley Geschlecht zu streicheln, und die Hand mit zärtelnder Spannung in dasselbe einzulagern liebt! Seht! wie Weiber auf jeder Stufe des Alters für die Gestalt einer zartgebaueten Schönheit, es sey in der Natur oder im Bilde, immer mehr Vorliebe empfinden, als für die ernstere des ausgewachsenen Mannes, wenn anders nicht die Lüsternheit erwacht, oder moralische Vorstellungen im Wege stehen. Wo sie sich auf bloße Anschauung der äußern Formen beschränken, da wird der weibliche, üppige Bau des Körpers, Völligkeit der Ründung, Zierlichkeit der Umrisse, lebhafte und zugleich sanfte Carnation, selbst am männlichen Körper, immer das Anziehendste für sie seyn. Die Statue des Apollo von Belvedere rührt sie nicht so stark, als die Statue des Ganymeds und das Mädchen, das als Mann verkleidet ist, erscheint ihnen reitzender als der schönste Jüngling. Was wir Männer weibisch, zu zart, weichlich nennen würden, giebt den Weibern das Gefühl der Ueppigkeit, in Formen, Tönen, Gerüchen, Nahrungsmitteln, u. s. w: und wo dieß nicht der Fall seyn sollte, wo sie etwas schal, abgestanden finden; da ist gewiß entweder das gehörige Verhältniß zwischen der geschmeidigen Stärke ihrer Sensibilität und der hebenden Zartheit des einwirkenden Körpers nicht vorhanden; oder es mischt sich etwas Fremdes ein, was zur Ueppigkeit des Körpers nicht gehört, sondern schon [139] einen Fortsatz der Geschlechtssympathie, Lüsternheit, oder gar den unnennbaren Trieb ahnden läßt.

Und so können uns alle todte und lebendige, belebte und unbelebte Körper in den Zustand der Ueppigkeit versetzen. Denket an die Korinthische Säulenordnung, die Pracht und Weichlichkeit vereinigt, zarter wie die Dorische, pikanter wie die Ionische! Denket an die Lydische Tonart, die Plato aus seiner Republik verwies, weil sie bey ihrer Lebhaftigkeit zugleich zu viel Weichliches an sich trug.

Doch hier kann die Empfindung des Urhebers, welche diese Werke beseelte, vielleicht ähnliche in unserer Seele erwecken, und so auf den Körper zurückwirken. Aber ist dieß der Fall mit der leblosen Natur? Ach! üppig fühlen wir schon das schattige Obdach des Baumes, dessen Gipfel die Sonne beleuchtet, und dessen Fuß einen aufgeblähten Moosteppich zum Lager darbietet! Ueppig fühlen wir so manchen Ton der Bewohner der Lüfte, so manche Temperatur der Luft, so manches Wallen der Gestalten!

O ihr leblosen und belebten Körper unter einander alle! hebende Zartheit, geschmeidige Stärke, sind eure anziehenden Pole! Die Sympathie mit dem gleichartigen Starken oder Zarten ist schwach, ist wenig bindend für alle unsere Sinne. Vielleicht sind sie alle, außer dem der Tastung, dieser sympathetischen Gefühle mit dem Gleichartigen nicht einmahl fähig; sie kennen nur Geschlechtssympathie! Nur durch Ueppigkeit werden ihre Organe zum Zusammenruhen und Anschmiegen eingeladen. Ueppigkeit allein ist der Magnetismus, der Auge, Ohr, Geruchorgan, und selbst den Gaumen an leblose Körper mit lebhafterer Thätigkeit anzieht, und [140] sie noch eine andere Verbindung kennen lehrt, als diejenige, welche gieriges Verzehren oder Ergetzen aus der Ferne mit sich führen. Sogar die Zunge weilt länger bey dem Auskosten der Speise, die mit pikantem Reitze allmählig auf ihr zerschmilzt! Und diese Ueppigkeit! – Ja! sie ist die erste Stufe der Geschlechtssympathie zwischen den Menschen; sie ist eine mit der Lüsternheit verwandte Kraft.


Fünftes Kapitel.
Lüsternheit des Körpers. [4]

Ich wiederhole hier was ich schon gesagt habe: Lüsternheit ist jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

Es ist also hier nicht bloß von der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane die Rede, sondern von der Lebenskraft der ganzen thierischen Organisation. Diese geräth bey der Lüsternheit in Aufruhr. Wir streben [141] auch hier nicht mehr nach Verbindung mit leblosen, sondern mit belebten Körpern, denen, so wie uns, eine thierische Organisation, nur von verschiedener Beschaffenheit, eigen ist.

Die Lüsternheit zeigt sich gemeiniglich, aber nicht unbedingt, als Folge der Ueppigkeit, und als Vorläuferin des Triebes nach derjenigen engsten Verbindung der Körper, woran die Natur die Fortpflanzung ihrer Geschöpfe gebunden hat. Sie begleitet oft diesen Trieb bis zu dem Augenblicke, worin er vollständig befriedigt wird. Eine Anstrengung aller Werkzeuge des Lebens, die mit ihrer üppigen Ausdehnung wechselt, ein stärkeres Einziehen und Verhalten des Athems, ein schnelleres Kreisen des Bluts durch beengte Gefäße, und überhaupt eine gleichzeitige Hemmung und Unruhe unsers ganzen organischen Wesens, bezeichnen das Erwachen der Lüsternheit. Ein fieberhafter aber überschwenglich wollüstiger Schauer charakterisiert ihren Genuß, wenn sie den Körper, mit dem sie sich in Verbindung zu setzen wünscht, berührt, und das Erwachen eines ähnlichen Zustandes in ihm gewahr wird.

Diese Lüsternheit gehört, wie gesagt, zur Geschlechtssympathie; sie ist an ähnliche Gesetze mit der Ueppigkeit gebunden.

Unsere Lebenskraft, oder die Irritabilität unserer ganzen thierischen Organisation, [5] setzt eine doppelte [142] Anlage zur leidenden und thätigen Spannung, und zur leidenden und thätigen Zärtelung zum Voraus. Die erste möchte ich die stärkere, die andere die zärtere Disposition unserer Lebenskraft nennen.

Der Beweis dieser doppelten Disposition unserer Lebenskraft läßt sich nicht anders als aus der Verschiedenheit ihrer Wirkungen erkennen; die Kraft selbst entgeht unsern Wahrnehmungen. Aber wer hat es nicht bemerkt, daß wir so gut das Gefühl einer wollüstigen Wallung als das einer wollüstigen Allmähligkeit, so gut einer wohlbehagenden Anstrengung als Auflösung der Lebenskraft und ihrer Werkzeuge fähig sind! Denkt euch in dem Augenblicke nach dem Genusse stärkender Nahrungsmittel, geistiger Getränke, mäßiger Bewegung, – mit welcher Schnelligkeit strömt euer Blut, wie findet ihr alle eure Fibern und Gefäße so schlank, und wie angenehm ist euch dieser Zustand! Denkt euch dagegen in dem Augenblicke des Erwachens nach einem erquickenden Schlafe, oder des Dehnens auf einem sanften Lager, – wie fühlt ihr euer Blut so allmählig fließen und eure Fibern und Gefäße so geschmeidig, so weich! Und auch dieser Zustand ist wohlbehagend! Vergleicht die Wirkung, die ein kaltes und wieder ein warmes Bad, ein schnell erschütterndes, ein sanft allmähliges Reiben, auf den innern Bau euers Körpers machen! Können nicht beyde höchst wollüstig für euch seyn?

So im gesunden Zustande! Aber selbst im kranken, der aus einem Uebermaße von Irritabilität entsteht, giebt [143] es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. [6]

Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.

Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der [144] Körper eine Naturalisation der Wirksamkeit der Dispositionen, eine neue Temperatur in jedem Körper für sich entstehen, in der sich Stärke und Zartheit mit einander vermählen.

Jeder Mensch birgt in sich doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit der Lebenskraft; aber nicht jeder besitzt sie in einem gleichen Verhältnisse zusammen gemischt. Bey dem einen steht die starke Disposition weit über der zarten, bey dem andern die zarte über der starken.

Unstreitig kündigt sich die herrschende Disposition der Lebenskraft, die eine analoge Beschaffenheit der innern Werkzeuge des Lebens voraussetzt, bereits den Sinnen durch die Formen der äußern Hülle an. Da wo die stärkere prädominiert, werden Zellgewebe, Knochen, Haut fester; da wo die zärtere prädominiert, lockerer erscheinen: und es ist höchst wahrscheinlich, daß eine ähnliche Verschiedenheit auch in die Atmosphäre übergeht, die einen jeden Körper umgiebt.

Der Körper, der Stärke und Festigkeit im Uebergewicht über Zartheit und lockerer Beschaffenheit besitzt, wird sich den Sinnen und dem Gemüth bey dem Eindruck und der Vorstellung, die er hervorbringt, als geschmeidige Stärke ankündigen. Der Körper, der im umgekehrten Verhältnisse steht, als hebende Zartheit. Dennoch muß das Verhältniß, worin beyde Dispositionen in jedem Körper für sich stehen, ein Wohlverhältniß seyn, wodurch das Gefühl der freywirkenden Lebenskraft allein erhalten werden kann. Jeder Körper flieht den Zustand eines Mangels an einem gehörigen Zusatze von Zartheit zu seiner herrschenden Stärke, wodurch er sich überspannt fühlen würde; jeder Körper [145] flieht den Zustand eines Mangels an gehörigem Zusatze von Stärke zu seiner Zartheit, wodurch er sich erschlafft fühlen würde. Tritt dieß Gefühl ein, so suchen wir Mittel auf, uns im Zustande der Elasticität unserer Lebenskraft, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu erhalten. Seht, wie dem rohen Südländer, der so geneigt zur Auflösung seiner Lebenskraft ist, der Genuß erhitzender Nahrungsmittel zum Bedürfniß wird. Seht, wie der rohe Nordländer, der so geneigt zur Anstrengung seiner Lebenskraft ist, ihre Auflösung in heißen Bädern nachsucht.

Wir lassen uns aber nicht bloß daran genügen, das gewöhnte Wohlverhältniß der beyden Dispositionen unserer Lebenskraft, worauf ihre ungehemmte Wirksamkeit beruht, zu bewahren; nein! wir werden zuweilen übermüthig in dem Gefühle unserer Animalität, und ahnden einen Zustand ihrer vollkommensten Wirksamkeit. Wir wollen zu gleicher Zeit gespannt und gezärtelt, empfangend und thätig, und alles dieß im höchsten Grade seyn. Wenn die thierische Ahndung eines solchen überschwenglichen Wohlseyns erwacht, so geräth unsre Lebenskraft in Aufruhr!

Die Gründe der Entstehung dieses Aufruhrs sind vielfach. Wenn er aber durch die Annäherung an lebendige Körper erweckt wird, so ist er gemeiniglich Folge der Ueppigkeit. Da diese bereits in einer gleichzeitig thätigen Spannung und Zärtelung der Sinnenorgane besteht; so ist nichts natürlicher, als daß das Streben nach einem analogen Zustande sich bald unserer ganzen thierischen Organisation mittheile.

Aus was für Ursachen dieser Aufruhr aber auch immer entstehen mag; der Körper, der ihn erfährt, [146] wird ihn durch Befriedigung seiner Triebe zu stillen suchen. Als Mittel braucht er die Annäherung an andere Körper, von denen er annehme, was ihm zur Gleichmaße und zur Erhöhung der Wirksamkeit beyder Dispositionen, an der einen oder der andern fehlt; an die er abgebe was er zu viel hat, von der einen oder der andern; die ihm das Gefühl einflößen, daß er zugleich leidend und thätig, angespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd sey. Welche Körper aber können ihm das geben? Solche, die gar nichts Aehnliches mit ihm haben? Unbelebte oder belebte, die keine Eigenschaften an sich tragen die er sich aneignen könnte, die keines Zustandes fähig sind, in den er sich mit ihnen zugleich hineinversetzen könnte? Nein! Das ganz Verschiedene, dasjenige, was nicht einmahl zu seiner Gattung gehört, stößt er ab, oder läßt er gleichgültig liegen. Aber sucht er denn gleichartige Körper auf? Auch diese nicht. Was kann er von diesen annehmen, was er nicht schon in gleicher Maße mit ihnen gemein hätte! Was kann er an sie abgeben, dessen sie bedürfen? Und wenn er durch sein Nehmen und Geben ihre Lebenskraft nicht gleichfalls in Aufruhr zu versetzen, und ihr Zurückwirken zu empfinden ahndet, wie wird er seinen Einfluß auf sie, und ihren Einfluß auf sich selbst wahrzunehmen, und so durch Theilung eines Zustandes zu dem vollkommensten Grade der Wirksamkeit seiner gleichzeitig leidenden und thätigen Stärke und Zartheit zu gelangen hoffen dürfen?

Er sucht also Körper auf, die ihm der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach aber verschieden von ihm sind. Der Körper, der sich geschmeidig stark fühlt, wird von dem Körper angezogen, den er gegen sich als hebend [147] zart beurtheilt. Bald strebt er nach unmittelbarer Verbindung mit ihm durch Berührung, und wenn ihm diese gelingt, so nimmt er leidend von derjenigen Disposition in sich auf, die in dem angenäherten Körper prädominiert, und woran er einen Mangel empfindet. Ist er geschmeidig stark, so nimmt er von der hebenden Zartheit des andern einen Zusatz von Zartheit an; er wird gezärtelt, mithin fühlt er sich zärter; ist er hebend zart, so nimmt er von der geschmeidigen Stärke des andern einen Zusatz von Stärke an; er wird gespannt, mithin fühlt er sich stärker. Er greift aber auch an, indem er dem andern Körper nach der verschiedenen Beschaffenheit seiner Organisation bald von dem Ueberflusse seiner Stärke oder seiner Zartheit, etwas abgiebt, und sich so stärker oder zärter fühlt, weil er spannen und zärteln will.

Dieß ist die ursprüngliche, angreifende Lüsternheit, und der Körper der ihr huldigt, ist Erwecker der Lüsternheit. Der Genuß, den sie giebt, ist noch unvollkommen. Aber er steigt zu seiner größten Höhe, wenn der angenäherte Körper nun gleichfalls in Aufruhr geräth. Dieser bietet sich jetzt dem Angriffe entgegen und wirkt sogar thätig zurück. Er, der vorher Leiter, leidender Empfänger war, wird nun Erwecker von seiner Seite, und verstärkt die Empfindungen des andern durch ähnliche mit denen, die dieser schon hatte, und durch solche, die er frisch bekommt und nur in dem andern ahndete. Dieß ist die fremde, zurückwirkende Lüsternheit. Durch die beständige Repercussion der Gefühle werden bald Eigenschaften und Lage völlig unter ihnen gemein, und als einem einzelnen Wesen eigen gefühlt. – [148] Stärke und Zartheit, beyde im höchsten Grade ihrer Wirksamkeit empfunden, mischen sich in vollkommenster Gleichmaße zu einem neubelebten Ganzen zusammen. – Höchste Spannung und Zärtelung empfangend und gebend, wird der Zustand dieses neuerwachten Geschöpfes! – Ein überschwenglich wollüstiger aber fieberhafter Schauer kündigt das freudige aber gewaltsame Zusammentreten in ein neues Daseyn, und das Verlassen des alten isolierten an; – Letzte Stufe, letzter Zweck der Lüsternheit! – Ach! daß nun nichts Fremdartiges dazwischen trete, oder der Funke des Lebens sprüht, und der Zustand seiner überschwenglichen Kraft ist dahin! – Doch! oft erscheint bey der Bewegung, welche das ganze Wesen erfährt, auch die Wirksamkeit seiner vegetabilischen Kraft! Ein Zusatz bebender Ermattung, der nicht mehr der Lüsternheit gehört, vollendet die Summe physischer Entzückungsarten, und der Zauber vereinter Animalität verschwindet.


Die Lüsternheit wird, besonders in den policierten Staaten von Europa, am auffallendsten bey der Annäherung solcher Körper bemerkt, welche ihren äußern Kennzeichen nach in dem Verhältnisse männlicher Körper gegen weibliche stehen, und fähig scheinen, durch vollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes die Zwecke der immer fortbildenden Natur zu erfüllen. – Allein man würde sehr Unrecht haben, diese Erscheinung dahin zu deuten, als ob der Mann als Mannsperson, das Weib als Frauensperson, jener bestimmt zum Vater, dieses bestimmt zur Mutter, bloß um diese Bestimmung auszufüllen, der Lüsternheit gegenseitig [149] unterworfen wären. Denn warum würden sonst nicht alle Körper, welche zur vollständigen Befriedigung des unnennbaren Triebes, und dadurch zur Erfüllung der Zwecke der fortbildenden Natur geschickt sind, sich einander anziehen? Warum würden selbst unter den Körpern, welche die Lüsternheit erregen, einige so viel stärker als andere diesen Zustand hervorbringen?

Prüft man die Eigenthümlichkeiten der Organisationen der Manns- und Frauenspersonen, und der davon abhängenden Verschiedenheit ihrer äußern Hüllen genauer nach meinen Bestimmungen, so wird der wahre Grund sich offenbaren. Hebende Zartheit zeichnet die Formen des Frauenzimmers aus, und erweckt den Zustand der Ueppigkeit in der Mannsperson schon bey der fernen Annäherung. Die reife Mannsperson hat der Regel nach nicht das Vermögen, weder auf den Mann noch auf das Weib durch seine todte Form üppig zu wirken. Durch die Ueppigkeit wird die Lebenskraft, wie ich oben gezeigt habe, leicht in Aufruhr gebracht und die Lüsternheit erweckt. Ganz begreiflich also, daß der Mann gemeiniglich der Erwecker der Lüsternheit ist. Er, der sich der Regel nach durch stärkere Organisation auszeichnet, sucht dann nicht die Mannsperson, die eine gleich starke Organisation mit ihm hat, sondern die Frauensperson, welcher, der Regel nach, die zärtere eigen ist, auf. Indem Er, der Regel nach, Erwecker der Lüsternheit wird, wird Sie, der Regel nach, Leiter der seinigen. Da Sie aber eben so wie Er Anlage zu dem nehmlichen Zustande hat, so bietet Sie sich demselben entgegen, und wirkt bald verstärkend eben die Empfindungen auf Ihn [150] zurück, welche Sie kurz vorher von Ihm empfangen hatte.

Es ist folglich das richtige Verhältniß der hebenden Zartheit zur geschmeidigen Stärke, es ist die darauf beruhende Ahndung einer in jedem der beyden Körper hervorzubringenden Gleichmaße der aufs höchste getriebenen thätigen und leidenden Spannung und Zärtelung; es ist das Bestreben nach dem Gefühle einer überschwenglichen Lebenskraft, welche bey der Lüsternheit der Manns- und Frauensperson zum Grunde liegen, und ihre Körper unter sich mehr als zu andern, wiewohl keinesweges ausschließend, anziehen.

Dieß ist so wahr, daß Menschen von roher Sinnlichkeit in der Blüthe des Lebens wechselseitig durch solche Eigenschaften des Körperbaues angezogen werden, woraus sich auf ein Wohlverhältniß der stärkeren Organisation zur zärteren schließen läßt. Männer unter allen roheren Nationen und Ständen fühlen die stärkste Lüsternheit nach Weibern, deren völliger Bau und sanfte Haut ein Uebergewicht der zärteren Disposition der Lebenskraft, und lockere Werkzeuge derselben andeuten; während daß die Weiber unter eben diesen Nationen und Ständen durch die Größe und schlanke Festigkeit der äußern Hülle des Mannes, welche auf ein Uebergewicht der stärkeren Disposition der Lebenskraft und festern Werkzeuge derselben schließen lassen, am leichtesten in den Zustand der Lüsternheit versetzt werden. Daher der Geschmack der Orientaler und so vieler unverfeinerten Männer unter uns an wohlgenäherten Schönen; daher der Geschmack gewöhnlicher Buhlerinnen an Athleten-Figuren.

[151] Dieser Geschmack verändert sich aber, so wie der Mann bey geschwächter Organisation sich nicht mehr so geschmeidig stark fühlt, und das reife Weib nicht mehr so zart gegen sich beurtheilt. Je älter er wird, um desto anziehenden wird für ihn der jugendliche zarte Bau der aufkeimender Rose unter den Mädchen, oft noch unter der Stufe der Pubertät. Hier ahndet er noch eine Organisation gleicher Gattung, die zärter ist, als er, und durch seine Stärke in Aufruhr der Lebenskraft gerathen kann. Die älternde Frau, deren Lebensstoff oft etwas Scharfes, deren Lebenswerkzeuge oft etwas Verhärtetes annehmen, fühlt sich oft mehr stark als zart, und den reifen Mann in einem zu ähnlichen Verhältnisse gegen sich, um bey der Verbindung auf einen verbessernden Zusatz ihrer Dispositionen, und auf den höchsten Grad der Wirksamkeit ihrer Lebenskraft rechnen zu können. Sie zieht daher oft den werdenden Jüngling vor, den sie als hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke beurtheilt. Die weibliche Anlage zur Lüsternheit wird unter diesen Wohlverhältnissen oft erweckend, angreifend. Der Knabe zieht aus einer entgegengesetzten Ursach eine Ceres einer Hebe vor, und das werdende Mädchen einen Mars einem Adonis. Ja! es giebt Mannspersonen, welche vermöge einer ursprünglichen zärteren Organisation ihr ganzes Leben hindurch den Geschmack jener Knaben theilen, und von den männlichen Formen überreifer Landdirnen mehr als von den zarten des sorgsamer erzogenen Frauenzimmers angelockt werden; es giebt Matronen, welche den Geschmack einer Glycera an milchbärtigen Jünglingen nur so lange theilen, bis eine Colossalische Gestalt sie wieder zu ihrem [152] ursprünglichen Geschlechtscharakter, zu dem Gefühle ihrer zärteren Organisation, zurückführt.

Wir würden diese Erfahrungen mit mehrerer Sicherheit und viel allgemeiner machen, wenn nicht in unsern policierten Staaten die Cultur der Seele einen so großen Einfluß auf unsere ursprüngliche physische Organisation hätte. Denn vermöge dieser theilt sich die moralische Stärke oft der physischen Schwäche mit. Auch modificieren die Begriffe des Schönen oft die Ueppigkeit und die Lüsternheit. Inzwischen finden wir doch noch oft den moralischen Helden von riesenmäßiger Natur an dem Mädchen hängen, dessen Reitze nur in Zierlichkeit und Jugend bestehen, finden oft die nervenkranke Dame von starkem Geiste an dem Manne hängen, der eine Messalina bezaubert haben würde.

Am deutlichsten aber zeigt sich die Wahrheit meiner Bemerkungen bey den Aeußerungen der Lüsternheit, welche die Sitten verdammen, indem sie der Schamhaftigkeit und der Bevölkerung so leicht nachtheilig werden können. Denn die Unglücklichen, welche der Lüsternheit auf diese unerlaubte Art huldigen, werden, so lange sie im Gefühl der Stärke ihrer Organisation sind, von zarten Körpern ihres Geschlechts gereitzt, und so wie sie durch Ausschweifungen sich entnervt fühlen, macht das reifere Alter denselben bedauernswürdigen Eindruck auf ihre Weichlichkeit.

Der Anstand verbietet mir mehr hierüber hinzusetzen. [7]

[153]
Sechstes Kapitel.
Vom unnennbaren Triebe und Genusse.

Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, [8] der unstreitig an ähnliche Gesetze wie das Streben und der Genuß der Ueppigkeit und der Lüsternheit gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber hier um des Anstandes willen mehr angedeutet werden muß, als ausgeführt werden darf.

Wenn bey der Ueppigkeit die Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, wenn bey der Lüsternheit die Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation in Wirksamkeit geräth; so fühlen wir besonders während des unnennbaren Triebes jene Bildungskraft wirkend, die wir mit allen organischen Wesen ohne Unterschied, folglich auch mit den Pflanzen, gemein haben.

Dieser Bildungskraft verdanken wir das Entstehen, die Erhaltung, die Wiederhervorbringung der organischen aber vegetierenden Masse in uns, die sich nach und nach zur Animalität, zur Sensibilität, und wer weiß zu welchen höheren Zwecken weiter hinauf, entwickelt und veredelt.

Nicht immer wird die Wirksamkeit dieser Kraft bemerkt. Aber zuweilen fühlen wir ihr Andringen, und werden auf ihr Daseyn durch Symptome aufmerksam [154] gemacht, die sogar unmittelbar in die äußern Sinne fremder Beobachter fallen.

Dieß ist besonders da der Fall, wo der Trieb nach dem unnennbaren Genuß erwacht, nach jener Vereinigung der Körper, an welche die Natur die Reprodukzion der Individuen einer Gattung, als an eine nothwendige Ursach, gebunden hat. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes, und ohne daß wir die Wirksamkeit der Bildungskraft in ihrer deutlichsten Erscheinung und in ihrer höchsten Vollkommenheit finden.

Die Erfahrung die man über dieß auffallendste Beyspiel der Befriedigung des unnennbaren Triebes macht, wird durch andere über die Art, wie er den Zwecken der Natur zuwider durch namenlose Mißbräuche befriedigt wird, unterstützt. Allerwärts wo dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit der Bildungskraft nachgestrebt wird, wird die geschmeidige Stärke oder die hebende Zartheit ihrer Agenten mit Körpern von verschiedenen aber übereinstimmenden Eigenschaften ins Verhältniß gesetzt, und der Zustand ist gleichzeitig leidende und empfangende Zärtelung und Spannung.

Der unnennbare Trieb gehört folglich zur körperlichen Geschlechtssympathie, und seine Befriedigung zu den wollüstigen Gefühlen dieser Geschlechtssympathie.


Sehr mit Unrecht würde man die Wirksamkeit dieses Triebes einem materiellen Bestreben nach Bildung oder Fortpflanzung zuschreiben. Es hat dieser Irrthum zwar zu sehr reitzenden Bildern von dem Zusammenhange eines instinktartigen Triebes nach Reprodukzion mit einer Neigung [155] nach Fortleben, Unsterblichkeit, u. s. w. Gelegenheit gegeben; allein bey genauerer Prüfung bleibt ein thierischer Zeugungstrieb eine Chimäre oder bloße Bezeichnung einer Begierde, wobey man die zufällige Wirkung mit dem Zweck verwechselt hat. Die Befriedigung des unnennbaren Triebes, und der Zweck seines Strebens besteht nicht im Gefühle der Zeugung, sondern in dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit derjenigen Kraft, deren sich freylich die Natur zu ihren Zwecken mit bedient. Aber selbst das Bestreben vernünftiger Creaturen in ihrer Nachkommenschaft fortzudauern, hängt von besondern Verhältnissen ab, die nie als nächster Reitzungsgrund des unnennbaren Triebes betrachtet werden können.

Ein anderer Irrthum ist es, die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallenden Symptome allemahl dem unnennbaren Triebe und einer Vorahndung seiner vollständigen Befriedigung durch Körperverbindung beyzulegen. Dieß ist offenbar falsch. Die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallendsten Symptome sind oft Folgen einer bloßen Anstrengung oder auch Auflösung des Körpers, und sogar der Seele. Sie äußern sich oft da, wo an die Vorahndung einer Körperverbindung nicht zu denken ist. Missethäter auf der Tortur, Menschen von reitzbaren Nerven beym Anblick schauderhafter Auftritte, ermattete Wanderer, Personen, die vom Nachdenken ermüdet waren, haben sie gezeigt. Sie sind oft Folgen einer besonders beförderten Vegetation. Man sieht hieraus, wie lächerlich es ist, aus dem Reitze, den die Agenten der Bildungskraft bey der Schwärmerey für unsinnliche Gegenstände oft erfahren, unbedingt auf einen [156] Vereinigungstrieb der Körper, und sogar der Seele, zu schließen.

Eben so falsch ist es, den unnennbaren Trieb als einen unbedingten Fortsatz, als einen unzertrennlichen Begleiter der Lüsternheit anzusehen. Dieser Irrthum hat besonders unsere Begriffe über den Einfluß des Körpers auf die Geschlechtsliebe in Verwirrung gebracht. Beyde unterscheiden sich gleich in ihren Symptomen. Die Lüsternheit zeigt keine solchen, die unmittelbar besonders bey einem dritten in die Sinne fielen, und bestimmt auf ihre wahre Natur hindeuteten. Sie wird zu leicht von Fremden, und sogar von uns selbst andern Gründen zugeschrieben, die theils in der Seele, theils in unserm Körper gesucht werden, und sich ungefähr in unserm Physischen auf die nehmliche Art ankündigen. Aber die Symptome des unnennbaren Triebes, wenn er erwacht ist, sind für uns und jeden Dritten, der Gelegenheit hat, sie zu beobachten, viel unverkennbarer, und sein Streben und seine Beruhigung sind mit sehr auffallenden Erscheinungen verknüpft.

Begreiflich ist es allerdings, daß jenes Andringen des unnennbaren Triebes und der Kraft, die bey ihm zum Grunde liegt, auf die Irritabilität der Muskeln Einfluß haben, und die Lüsternheit erwecken könne; begreiflich ist es, daß bey dem Aufruhre, in dem die ganze Organisation durch die Lüsternheit geräth, die Bildungskraft zugleich in Bewegung komme, und dadurch den unnennbaren Trieb erwecken könne. Aber dieser häufigen Vereinigung und gleichzeitigen Wirksamkeit ungeachtet sind sie nicht von einander unzertrennlich[WS 3].

Die Lüsternheit erwacht lange vorher ehe die Bildungskraft bey uns zur Reife gekommen ist. Die [157] Lüsternheit dauert fort, lange nach dem Verlust jener Reife. Die kleinsten Kinder an der Mutter Brust, Greise, ja die Opfer orientalischer Eifersucht und italiänischer Kunstliebe sind fähig, sie zu empfinden und sogar sie zu erwecken. Wie oft findet sich dagegen der unnennbare Trieb ohne Lüsternheit gereitzt und befriedigt. Ohne Unanständigkeit kann ich kaum an die traurigen Gewohnheiten gewisser Weichlinge, und an die Ausgelassenheit gewisser Wüstlinge erinnern, welche die Befriedigung des unnennbaren Triebes als ein bloßes Bedürfniß betrachten. Und wie viele Männer könnten nicht als Zeugen für die Wahrheit meiner Behauptung auftreten, die so wie der Ritter in Voltairs Erzählung ce qui plait aux Dames, nur in ihrer Jugend die Mittel finden, gewisse Pflichten einer an Jahren ungleichen, an Glücksgütern aber vortheilhaften Ehe ein Genüge zu leisten. Wie viele Weiber, die oft die gefährlichen und lästigen Folgen der Umarmungen widerlicher oder gleichgültiger Gatten tragen, ohne das Vergnügen der Ursach getheilt zu haben.

Wie oft hemmt dagegen nicht bey beyden Geschlechtern die Stärke der Lüsternheit die Wirksamkeit des unnennbaren Triebes. Wie oft wird die erste gerade im Alter der Unvermögsamkeit am stärksten empfunden. Wie oft haben nicht endlich Wollüstlinge durch übertrieben verfeinerte Ideen über die größte Höhe des Vergnügens die Gewalt über sich erhalten, der Lüsternheit ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes zu fröhnen.

Wenn daher beyde oft zusammengehen, so stehen sie doch keinesweges im Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander, d. h. der unnennbare Trieb ist nicht die unablässige Bedingung, damit die Lüsternheit wirke, [158] und die Wirksamkeit dieser letzten ist nicht unbedingte Ursach zu jenem. Eine heftige Reitzung unsers Physischen ist freylich zu beyden erforderlich, und die Natur scheint diejenige, welche der Lüsternheit eigen ist, mit derjenigen, welche der unnennbare Trieb erfordert, darum in genaue Verwandschaft gesetzt zu haben, damit ihre fortbildenden Zwecke desto eher erfüllt werden möchten. Aber so wie der Wohlgeschmack dem Hunger zugegeben ist, um den Trieb zur Selbsterhaltung desto eher zu befördern; so ist die Wollust der Lüsternheit dem unnennbaren Triebe beygegeben, damit einem allgemeinen Bedürfnisse der Natur desto sicherer abgeholfen würde.


Zweyter Abschnitt.
Geschlechtssympathie der Seele [9]

Siebentes Kapitel.
Von der Ueppigkeit der Seele.

Unser Gemüth ist so gut wie die Sensibilität unsrer äußeren Sinnenorgane, einer zweyfachen Reitzungsart fähig. Es hat so wohl eine Disposition [159] zur Stärke als zur Zartheit, und beyde sind leidend und thätig, d. h. das Gemüth kann sich gespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd fühlen.

[160] Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden.

Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung.

Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des [161] reitzendsten Hirtenlebens in Geßners Idyllen abgeschmackt, während andere das träumende Nichtsthun der Südländer für die Seligkeit der Unsterblichen halten.

Oft liegt es nur an einer vorübergehenden Stimmung des Gemüths, wenn eine gewisse Spannung oder Zärtelung, die wir sonst wohl vertragen haben würden, uns widerlich wird. Wir suchen eine leichte Unterhaltung, und der Gesellschafter will uns in eine gründliche Erörterung verwickeln; die wird quälend: wir suchen ernste Prüfung, und man will uns zum Lächeln zwingen; das wird fade.

Also muß der Gegenstand, dessen Bild unser Gemüth wonnevoll spannen soll, mit der Einrichtung desselben im Ganzen, oder mit dessen jedesmahliger Stimmung im Wohlverhältnisse stehen. Das Gemüth muß sich in der Disposition der Stärke befinden, diese erhöhet zu fühlen wünschen, und der Gegenstand, der sich ihm spannend nähert, muß den Sättigungspunkt nicht überschreiten. Eben so verhält es sich mit der Zärtelung, wenn diese uns wonnevoll reitzen soll.

Hierauf beruht die Neigung der Seele zu gleichartigen Gegenständen, die sich so wohl bey der Selbstheit als beym Beschauungshange so wie endlich auch bey der Sympathie äußert. Mit dieser letzten habe ich mich hier allein zu beschäftigen. Sie zeigt sich da, wo wir dem Gegenstande, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, etwas Selbstständiges und einen Zustand beylegen, uns seine Eigenschaften aneignen, und uns in seine Lage hineinversetzen. Unser Gemüth stößt dann auf eine Person, durch deren Bild es wonnevoll gespannt wird, weil es sich stark fühlt und noch mehr gespannt seyn will; – so sympathisieren wir mit dem Starken. Oder unser [162] Gemüth stößt auf eine Person, durch deren Vorstellung es wonnevoll gezärtelt wird, weil es sich zart fühlt, und mehr gezärtelt seyn will; – wir sympathisieren mit ihrer Zartheit.

Beyspiele einer solchen Sympathie der Seele mit dem Gleichartigen wird das folgende Buch in Menge aufweisen. Allerwärts wo der Mensch, der sich vermöge seiner innern Einrichtung, oder seiner dermahligen Stimmung aufgelegt zur Stärke fühlt, um noch stärker zu werden, die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakteren und Verhältnissen Ernst, Gründlichkeit, Festigkeit, vordringende Thätigkeit, Macht, Großheit, Unruhe, Mannigfaltigkeit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Spannung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Starken.

Hingegen in allen Fällen, worin der Mensch, der sich seiner ganzen Einrichtung oder seiner dermahligen Stimmung nach zart fühlt, um noch zärter zu werden die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakter und Verhältnissen Biegsamkeit, Gefälligkeit, Feinheit, Emsigkeit, Niedlichkeit, Ruhe, Einfachheit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Zärtelung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Zarten.

Hiervon ist die Ueppigkeit der Seele verschieden.

Unser Gemüth kann sich den spannenden oder zärtelnden Gefühlen bloß überlassen, mit denen es von dem Bilde eines Wesens angegriffen wird; es kann sich aber auch seinen Angriffen entgegen bieten, auf das Wesen [163] selbst einzuwirken glauben, und sich bey dieser thätigen Bewegung selbst spannen und selbst zärteln.

Indem wir unser Gemüth den Angriffen eines Wesens gern entgegen bieten, so erkennen wir mit Vergnügen unsre Gewalt über dieß äußere Wesen an. Jener erste Zustand wird Hingebung genannt; dieser letzte Beherrschung.

Der reitzendste Zustand für das Gemüth ist der, wenn es sich zugleich überlassend und thätig, zugleich hingebend und beherrschend, und dadurch zugleich gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlt. Dadurch kommen wir in eine so enge Vereinigung mit dem Wesen, dem wir uns unter diesen Empfindungen nähern, daß wir Besitz von ihm nehmen, und uns mit ihm von der übrigen Gesellschaft der Menschen als ein einzelnes zusammengesetztes Wesen absondern. Ich nenne diese engere Vereinigung das Einlagern des Gemüths.

Er wird aber nicht entstehen, dieser Zustand, wenn das Wesen, dem wir uns nähern, uns mit einer Spannkraft angreift. Alsdann fühlen wir uns in einer bloß überlassenden Lage. Die Kräfte unserer Seele, welche dazu dienen, uns in näherer Verbindung mit dem Wesen zu denken, es ganz in unsere Verhältnisse herüber zu ziehen, es zu besitzen, uns mit ihm von andern Wesen zur Vertraulichkeit abzusondern; – diese Kräfte finden sich in ihrer freyen Wirksamkeit gehemmt. Wir isolieren uns vielmehr von ihm, wir stämmen uns gegen dasselbe an, wir wehren es ab, und die Wonne, welche die reine Spannung mit sich führt, hat allein ihren Grund in der starken Erschütterung des Gemüths, oder in dem [164] Bewußtseyn des Widerstandes, den unser Geist ihm zu leisten im Stande ist.

Es ist unstreitig, daß das Bild des Unermeßlichen, der Ewigkeit, der Allgewalt des Schicksals, der unbedingten Verbindlichkeit, sich für den Staat, für seine eigene Würde, für das bloße Bewußtseyn der bewahrten Pflicht aufzuopfern, unser Gemüth mit Wonne erfüllen könne. Aber wir fühlen sogleich alle seine Kräfte, die sonst dazu dienen, das Wesen in ein anschauliches Bild neben uns zu stellen, und uns in abgesonderter Vereinigung mit ihm zu denken, theils ohnmächtig, theils ruhend. Wir fühlen die Unmöglichkeit des Einlagerns unsers Gemüths, und ziehen uns mit unserm Geiste in Ehrfurcht zurück. Wir sagen uns allenfalls: es wohnt ein Wesen in mir, das Dinge denkt, welche Sinne und Einbildungskraft nicht erreichen: es wohnt ein Wesen in mir, welches zu einem höheren Reiche vernünftiger Geschöpfe gehört, und über das Schicksal dieser Welt und über die Freuden der Sinnlichkeit erhöhet ist. Aber diese Vorstellungen sind nicht auf Verbindung des Gegenstandes mit meinem Gemüthe, sondern auf eine Trennung meines Geistes von dem Eindrucke, den er auf mein Gemüth macht, gerichtet. Ich freue mich mit meinem Geiste von der Vorstellung der Allgewalt des Schicksals und der Aufopferung für Pflicht, nebst allen den widrigen Reitzungen, die sie auf mein Gemüth machen, absondern zu können. Für meinen Geist, sag’ ich mir, ist das Schicksal nicht allgewaltig; mein Geist opfert nichts auf.

Selbst da, wo starke, spannende Gegenstände ästhetisch behandelt werden: wo die Phantasie des Dichters, des Redners, des bildenden Künstlers mir anschauliche [165] Bilder des Großen, Starken, Ungewöhnlichen, Unermeßlichen verschafft; – und durch so manchen Nebenzug auf die Sinnlichkeit meines Körpers und meiner Seele wirkt, – selbst da, sage ich, werde ich bey der Zusammenhaltung dieser Darstellungen mit denen von zärterer Art die verschiedene Wirkung auf mein Gemüth deutlich fühlen.

Ein reguläres Prachtgebäude, – ein Kopf der Juno in der Villa Ludovisi, (das Ideal der Großheit der Formen,) eine Darstellung Gottes vom Psalmisten, oder von Michael Angelo, das Chaos oder der Teufel von Milton, der Heldenvater von Corneille, – wirken auf mich ein Anstaunen. Meine Einbildungskraft kann nicht weiter! Ich überlasse mich in einer Art von Ohnmacht der außer sich wirkenden Kräfte meines Gemüths, der Erhöhung meines Geistes. Und doch liegt in jeder ästhetischen Darstellung spannender Gegenstände noch so manches, wodurch meiner Zartheit geschmeichelt wird.

Jedes rein spannende Bild, das mich wonnevoll reitzen soll, setzt daher, wie schon bemerkt ist, immer die Bedingung zum Voraus, daß entweder unser Charakter im Ganzen, oder eine gewisse Stimmung unsers Gemüths gerade eine Vervollständigung unserer leidenden Stärke erwarte. Wir müssen darauf vorbereitet seyn, Seelenerhöhung zu mögen. Darum haben so wenig Menschen dafür Sinn; – darum ist der Mann hauptsächlich dafür empfänglich; darum sind nur diejenigen unter den Menschen überhaupt dafür gemacht, welche durch Rohheit oder durch Leidenschaft oder durch Ausbildung an Anstrengung gewohnt sind, oder auch zur eigentlichen Begeisterung Anlagen haben; – darum darf man endlich im Gemählde diejenigen Schreckenscenen [166] nicht darstellen, auf die wir im Trauerspiele durch eine abgestufte Tonfolge vorbereitet werden.

Rein spannende Gefühle, wenn sie nicht in Begeisterung übergehen, und dadurch ihre Natur ganz verändern, sind daher nicht einladend zur engeren Verbindung und zur thätigen nach Außen hin wirkenden Lage unsers Gemüths. Dagegen sind Gegenstände, welche uns zärteln, viel einladender und anziehender zur näheren Verbindung und zur thätigen Wirksamkeit unserer Kräfte nach Außen hin. Man denke an Muße, ans süße Nichtsthun, an Unbefangenheit, Gleichheit, Zwanglosigkeit! – Wie die Phantasie das alles sogleich in Bilder zu fassen sucht, und unsre Person mit ihnen in abgesonderte Verbindung setzt! Sogar in der ästhetischen Darstellung bleiben zarte Gegenstände immer die anziehendsten. Unser inneres und äußeres Auge schweift lieber über einen Englischen Garten mit Irrgängen hin, als es die symmetrische Anordnung einer liegenden oder aufgerichteten Fläche mit einem Mahle auffaßt. Ein Madonnengesicht von Fiammingo, eine Nymphe von Boucher reitzt mehr zur Annäherung als die Idealgestalt einer Juno Ludovisi, worin die Uebereinstimmung der Formen mit den Gesetzen der Vernunft in ihrer höchsten Reinheit erscheint. Die dichterische Darstellung des Hirtenlebens im goldenen Zeitalter ist einladender als das Heldengedicht, und die sanften Melodien eines Pergolesi ziehen uns mehr an, als die erhabenen Fugen eines Händel.

Damit unser Gemüth zur Ueppigkeit eingeladen werde, wird Zärtelungskraft in dem Wesen erfordert, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern. Der Charakter unsers Zustandes gehört mehr zur Zartheit als zur Stärke. [167] Aber reine Zartheit ist nicht hinreichend, jene engere Verbindung zu gründen, die ich das Einlagern des Gemüths genannt habe, und mit der überschwenglichen Wonne der Seelenüppigkeit verbunden ist. Wir müssen neben der Biegsamkeit eine Fähigkeit zu widerstehen in dem angenäherten Wesen finden. Sein Charakter muß elastisch seyn, nicht weich. Ist aber die Widerstandsfähigkeit zu stark, im Verhältnisse zu unserer Stärke und zu unserer Neigung, gezärtelt zu werden; so entsteht das Gefühl einer qualvollen Anstrengung, die uns unangenehm ist, weil wir nicht in der Stimmung sind, rein gespannt werden zu wollen. Wir wollen in Ruhe aufgelößt werden, und finden das Gegentheil. Ist auf der andern Seite die Biegsamkeit übermäßig, im Verhältnisse zu unserer Zartheit, und unfähig, uns das Bewußtseyn unserer Stärke durch Ueberwindung einigen Widerstandes zu geben; so wird die Vermählung der Gefühle von verschiedener Art in uns gehindert, und es entsteht bald Gleichgültigkeit bald Langeweile. Es muß daher ein solches Wohlverhältniß von Stärke und Zartheit in dem angenäherten Wesen angetroffen werden, woraus eine Mischung von Dispositionen in ihm entsteht, die wieder mit der Mischung der Dispositionen in uns ins Wohlverhältniß gebracht werden können. Sein Charakter muß dergestalt stark und zart zu gleicher Zeit seyn, daß unser Gemüth bey der Verbindung sich gleichzeitig gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlen könne. Dann erst entsteht eine wonnevolle Vermählung von Gefühlen in unserm Gemüthe durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner zweyfachen Disposition. Dann erst wird das Gemüth zum Besitznehmen, zur Vertraulichkeit, zum Einlagern aufgefordert.

[168] Eine gleiche Mischung beyder Dispositionen in jedem der beyden Gemüther ist völlig unzulänglich, diese Wirkung hervorzubringen. Steht bey beyden die Stärke über der Zartheit, so beurtheilen wir uns beyde als stark, stoßen uns gegenseitig ab, oder verbinden uns nur durch Sympathie mit dem Gleichartigen. Steht bey beyden die Zartheit über der Stärke, so tritt die nehmliche Wirkung ein. Nein! Wir müssen uns geschmeidig stark gegen ein Wesen fühlen, das sich uns zart entgegen hebt; oder umgekehrt: wir müssen uns hebend zart gegen ein Wesen fühlen, das uns geschmeidig stark angreift. Dann treffen wir Eigenschaften in dem Angenäherten an, die mit den unsrigen zusammenpassen, ob sie gleich von den unsrigen verschieden sind; dann theilen wir eine Lage mit einander, deren Reitz durch Mannigfaltigkeit des Beytrags erhöhet wird.

Ueppigkeit der Seele hat folglich die größte Aehnlichkeit mit der Ueppigkeit des Körpers: sie beruht auf den nehmlichen innern Gesetzen, und bringt äußere Wirkungen hervor, die sich jenen sehr nähern.

Ueppigkeit der Seele ist der Zustand einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit des Gemüths, wenn dieß durch das Wohlverhältniß seiner geschmeidigen Stärke gegen die hebende Zartheit eines andern Wesens, in das es sich einlagert, in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

Sie zieht immer mit größerer Lebhaftigkeit an, als die rein spannenden und rein zärtelnden Gefühle; sie ist weit bindender als diese. Sie ist weder dem Beschauungshange noch der Selbstheit fremd; aber der Sympathie, (der Geselligkeit) liegt sie am nächsten.

[169] Diese Ueppigkeit ist nun offenbar ein Geschlechtstrieb, denn sie vermählt in unserer Seele Gefühle, die beyde zu einer Gattung gehören; unser Gemüth ist so wohl der spannenden und gespannten, als der zärtelnden und gezärtelten Empfindungen fähig. Aber diese Gefühle gehören nicht einer und der nehmlichen Disposition, nicht einer ihrer Mischungen im isolierten Zustande an; nicht der reinen Stärke, nicht der reinen Zartheit, nicht der einsamen geschmeidigen Stärke, oder der einsamen hebenden Zartheit. Wir müssen uns einem andern Wesen von verschiedenem Charakter nähern, und dieser Charakter muß der Gattung nach dem unsrigen gleich, dem Geschlechte nach aber von dem unsrigen verschieden seyn.

Ich will mich hier nicht dabey aufhalten, zu zeigen, wie Wesen, die nicht Menschen sind, diese Ueppigkeit in uns erwecken können. Ich wende mich zu ihren Hauptarten im geselligen Umgange mit Menschen.


Achtes Kapitel.
Von einigen hervorstechenden Arten der Seelenüppigkeit.
I.

Unter allen Bildern, welche die Seele zur Ueppigkeit einladen, ist keines hervorstechender als das der Häuslichkeit. (Domesticité) – Ich verstehe darunter jenes Verhältniß, worein uns die Absonderung von der größeren Gesellschaft zur Gründung einer engeren mit wenigen Menschen versetzt, die zusammen gegen jene als eine einzige Person betrachtet werden. Die Vorstellung dieses [170] traulichen Zusammenlebens und Zurückziehens von andern, von denen wir uns doch nicht ganz zu trennen im Stande sind; der Begriff dieser Bildung einer Familie, eines Hauses im Staate, zeichnet sich durch eine solche Mischung von Abhängigkeit und Freyheit, von Anstrengung und Muße, von leidendem Empfangen und thätigem Geben, von Spannung und Zärtelung aus, daß unser Gemüth bloß durch das Auffassen dieses Bildes in den Zustand der Ueppigkeit gerathen kann.

Schon dadurch erhält der Trieb zur Häuslichkeit den Charakter eines Geschlechtstriebes; denn die Wonne, welche uns durch dieß Bild zugeführt wird, beruht auf einer Harmonie von Gefühlen, deren Tonarten von zärterer und stärkerer Beschaffenheit sind, mithin nicht einem besondern Geschlechte von Reitzungen des Gemüths, sondern der Gattung im Ganzen angehören. Man kann sie auch nicht hegen, ohne sich eine Verbindung zwischen Menschen zu denken, die der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach verschieden sind, indem ihre Charaktere im Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit stehen.

Aber wie viel auffallender wird dieß noch, wenn wir nicht bloß ein Bild der Häuslichkeit in unserer Seele aufsteigen sehen, sondern das häusliche Glück wirklich genießen oder ihm nachstreben.

In jeder Verbindung, die in dieser Absicht eingegangen wird, und worin die Verbündeten den Trieb darnach wirklich begünstigt fühlen, wird der eine sich allemahl durch Eigenschaften auszeichnen, die den Begriff geschmeidiger Stärke, der andere durch solche, die den Begriff hebender Zartheit erwecken. Und sollte dieser Begriff auch nicht vollständig bey fremden Zuschauern [171] entstehen; so werden sich die Verbündeten gewiß in diesem Verhältnisse gegen einander fühlen und beurtheilen.

In jeder Verbindung dieser Art, sie mag unter Personen eingegangen werden, welche ihren physischen Kennzeichen und ihrer bürgerlichen Lage nach zu einerley Geschlechte gerechnet werden, oder unter solchen, die für Personen von verschiedenem Geschlechte gelten; es mögen Mannspersonen mit Mannspersonen, Frauenspersonen mit Frauenspersonen oder endlich Mannspersonen mit Frauenspersonen in Häuslichkeit glücklich zusammen leben; – in jeder Verbindung dieser Art ist einer immer der leitende, herrschende, Wort und That führende, der andere immer der nachgebende aber abgewinnende Theil: einer immer der beschirmende, der andere der pflegende, einer der ernstere, der andere der muntere, einer der schonende, der andre der verzärtelnde, einer der liebkosende, der andre der bewundernde Theil! Der eine fühlt sich folglich immer stark, obwohl geschmeidig gegen den andern; dieser fühlt sich immer zart, obwohl dem andern entgegenhebend! Und welches ist ihr gemeinschaftlicher Zustand? Sanfte Erhöhung, gezärtelte Spannung der Gemüther. Sie geben sich wechselseitig hin, wechselseitig beherrschen sie einander; sie sondern sich zur engern Gesellschaft von der größern ab, sie nehmen Besitz von einander, ihre Gemüther lagern sich in einander ein! So setzen sie eine neue Person aus ihren beyden einzelnen zusammen, und gemeiniglich wird diese nicht allein von ihnen selbst, sondern auch von Fremden dafür anerkannt.

Zwey gleich starke Personen werden schwerlich geschmeidig genug gegen einander seyn, um sich zum häuslichen Zusammenleben glücklich mit einander zu verbinden. [172] Sie können sich einander in weiteren Verhältnissen viel Wonne geben, aber es ist die Wonne des Unisonus, des Einklangs. Rücken sie zu nahe zusammen, so wird der Ton zu rauh. Zwey gleich zarte Personen finden sich in den näheren Verhältnissen der Häuslichkeit gleichfalls nicht glücklich. Der Ton ist zu matt. Auch die Person, deren Begriff Stärke erweckt, die sich selbst stark fühlt, wird mit einer bloß zarten nicht zur Häuslichkeit passen. Ihr Charakter, ihre Stimmung, die gewöhnliche Tonfolge ihrer Gefühle, finden zu starke Disparaten, wenn sie auf einen zu biegsamen Charakter stoßen. Eben dieß ist der Fall mit der bloß zarten Person, in ihren häuslichen Verhältnissen zur blos starken.

Das Wort eines unglücklichen Königs ist bekannt, der zu seiner stets nachgiebigen Gemahlin sagte: haben Sie doch Ein Mahl einen Willen für sich; und eben so bekannt sind die Klagen der sittlichen Weiber des Mittelalters über den störrigen, wilden Charakter der Ritter, ihrer Ehegenossen. Es muß ein Wohlverhältniß von Stärke zur Zartheit seyn, welches das Glück häuslicher Verbindung gründet.

Dreist berufe ich mich darauf, daß selbst da, wo Brüder, Schwestern, Hausgesellschafter von einerley äußerlich anerkanntem Geschlechte, glücklich bey einander wohnen, der eine alle Mahl eine Art von Gattin gegen den Gatten, im moralischen und psychologischen Verstande, vorstellen müsse.

Dieß führt mich dann auf die wahren Gründe der Erscheinung, daß der Trieb zur Häuslichkeit hauptsächlich unter solchen Personen Statt findet, welche nach allen ihren äußern und innern Kennzeichen und nach allen ihren bürgerlichen Verhältnissen in einem verschiedenen [173] Geschlechtscharakter zu einander stehen. Die Mannsperson und die Frauensperson suchen sich zur Befriedigung des Häuslichkeitstriebes wechselseitig vor allen andern auf, und finden wechselseitig diesen Trieb durch ihre Verbindung, vorzüglich vor der mit jedem andern, befriedigt.

Der erwachsene Mann, – der nicht aus seinem Charakter herausgeht, – trägt seinen Anlagen und seinen Verhältnissen nach durchaus mehr von der stärkeren Person an sich, so wohl nach seinem eigenen Selbstbewußtseyn, als nach der Vorstellung, die er bey andern erweckt. Er liebt das Gefühl der Spannung, wozu ihn die Stärke seines Herzens geschickt macht. Er liebt das Gefühl der vordringenden Thätigkeit, die Folge seiner stärkeren außer sich wirkenden Seelenkräfte. Sein Körper trägt den nehmlichen Charakter an sich, in Rücksicht seiner Sensibilität und Lebenskraft, der sich sogar an der äußern Hülle ankündigt. So erscheint seine Person ihm selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff von Stärke, und dieses Bild, dieser Begriff, ist mit einer starken, spannenden Reitzung für alle diejenigen verbunden, welche ihn fassen. Alle seine Verhältnisse gegen die bürgerliche und örtliche Gesellschaft erwecken die nehmliche Vorstellung und die nehmliche Reitzung bey ihm und andern. Seine Pflichten, seine Vorzüge spannen die Seele, und werden schon darum männlich genannt. Vaterlandsliebe, Treue gegen Waffenbrüder, Geschäftsgenossen, Vorgesetzte, fordern manche Aufopferungen von ihm, und setzen Kraft, Hoheit, Gründlichkeit, Adel der Seele und unermüdete Thätigkeit zum Voraus. Das Vollkommene, Außerordentliche, Ungewöhnliche, Unermeßliche, sind Ideen, mit denen er sich [174] vertraut zu machen, und die er bey andern zu erwecken sucht.

Die Frau hingegen, – in so fern sie nicht aus ihrem Charakter herausgeht, – liebt Zärtelung; Folge ihres zärteren Körpers und Gemüths: sie liebt mehr eine besorgende, wachsame, als vordringende Thätigkeit; Folge ihrer schwächeren, mehr im engeren Kreise wirkenden Kräfte. So erscheint die Person der Frau ihr selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff der Zartheit, und diese sind für diejenigen, welche sie fassen, mit zärtelnder Reitzung verbunden.

Die Frau hat Pflichten gegen häusliche Verhältnisse, und gegen denjenigen Theil unserer Person, der geschont und mit Nachsicht behandelt werden muß. Ihre Tugenden, ihre Vorzüge, zärteln die Seele bey der bloßen Vorstellung, und werden daher weiblich genannt; z. B. ausdauernde Geduld, Demuth, Schamhaftigkeit, Sanftmuth, Feinheit, Liebenswürdigkeit, Emsigkeit u. s. w.

Ohngeachtet nun der Mann durch seine Person und seine Verhältnisse den Begriff der Stärke, die Frau in eben diesen Rücksichten den Begriff der Zartheit erweckt; so haben doch beyde zugleich vieles an sich, was den entgegengesetzten Begriff begründen kann. Der Mann ist vieler weiblichen Vorzüge und Tugenden fähig, die Frau vieler männlichen. Der Mann liebt zuweilen eine zärtere Reitzung, die Frau zuweilen eine stärkere. Der Mann kann sich über die Verhältnisse des häuslichen Lebens nicht hinaussetzen; die Frau kann sich von ihrem Zusammenhange mit der größeren bürgerlichen Gesellschaft nicht völlig los machen.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, erweckt der Mann den Begriff der Stärke, welche zugleich geschmeidig [175] seyn kann; die Frau den der Zartheit, welche sich heben mag. Nun steht Lieblichkeit der Großheit, Sanftmuth der Festigkeit, Feinheit dem Gründlichen und Vielumfassenden zur Seite! Nun bieten sich Hoheit und Reitz, Stützen und Anschmiegen, Leiten und Abgewinnen, Arbeitsamkeit und Emsigkeit, wohlthuender Ernst und liebkosende Gefälligkeit, vordringende Kraft und ausdauernde Geduld, brüderlich und schwesterlich die Hände. Aus dem allen aber formt sich für beyde und für jeden dritten ein Bild, welches die Seele mit einer Ueppigkeit erfüllt, die so wohl bey der Bestrebung, als bey der wirklichen Befriedigung des Häuslichkeitstriebes zum Grunde liegt.

Ohne allen Zweifel macht der Trieb nach dieser Art von Seelenwonne, nach diesem pikanten Reitze der häuslichen Vereinigung einen wesentlichen Theil der Geschlechtssympathie aus. Der Mensch ist unstreitig in so fern er zum Thiergeschlecht gerechnet werden mag, von Biberart. Er richtet sich mit mehreren Geschöpfen seiner Gattung zu einem Staate ein, und mit einem oder mehreren Geschöpfen von verschiedenem Geschlechte zu einem Hause, zu einer Familie.

Ich bin überzeugt, daß wenn auch ein Gesetz die völlig freye Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie mit allen Individuen von verschiedenem Geschlechte ohne Unterschied erlaubte; daß dennoch die größte Zahl der Menschen dieser Vergünstigung entsagen, und mit einzelnen Personen von verschiedenem Geschlechte sich zum Zusammenleben, wenigstens auf einige Zeit einrichten würde. Dieß ist so gewiß, daß Wollüstlingen, die nur irgend auf Vollständigkeit des Vergnügens aufmerksam sind, vor bloß körperlichen Freuden ekelt, und [176] daß sie schlechterdings etwas Genuß für die Seele haben wollen. Und worin besteht dieser? Wollen sie sich die Zeit vertreiben, wie man sie auch im größern Zirkel der örtlichen Gesellschaft hinbringt; nur fröhlich seyn? Nein! sie wollen das Bild des häuslichen Lebens, wäre es nur auf einen Abend, dargestellt sehen, und sie fühlen sich nicht glücklicher, als wenn sie sich recht heimisch, recht wöhnlich bey der Person fühlen, welche vielleicht am folgenden Abend die Gattin eines andern spielt. Es ist auch so gewiß, daß der Reitz einer solchen Seelenwonne in unsern häuslichen Verhältnissen von dem physischen Reitz der Körperverbindung noch verschieden sey; daß selbst Greise, Väter, Brüder, ja selbst die kleinsten Kinder den höheren Genuß fühlen, den das Zusammenleben, die Häuslichkeit mit Personen von verschiedenem Geschlechte vor dem Zusammenleben mit einer Person von gleichem Geschlechte zum Voraus hat. Der Fürst im Julius von Tarent empfand dieß, wenn er sagte: „zu den häuslichen Freuden des Greises gehören durchaus Weiber!“


II.

Als eine besondere Modification unserer Ueppigkeit sehe ich das Wonnegefühl des Heimischen an, das wir in Gesellschaft mit Personen von verschiedenem Geschlechte, besonders mit solchen, die für Manns- oder Frauenspersonen äußern Kennzeichen nach gelten, alsdann empfinden, wenn wir bey ihnen allein sind, und uns überzeugt halten, daß unsre einsame Gegenwart ihnen eben so viel Vergnügen macht, als uns die [177] ihrige. Woher der unerklärbare Reitz, den das Schwatzen, Kosen, Tändeln und oft selbst das trauliche stumme Beyeinanderseyn zwischen dem Manne und dem Weibe mit sich führt, wenn diese sich einander selbst überlassen und gewogen sind? Man wird sagen: es gehört der körperlichen Lüsternheit! Nein! Sie hat in manchen Fällen Antheil daran: in keinem macht sie diese Art der Wonne allein aus. Das Gemüth nimmt immer seinen Theil davon hin. Sogar unter Männern, die im Verhältnisse des stärkeren Gemüths zum zärteren stehen, findet das Gefühl des Heimischen Statt; es findet Statt bey Weibern, deren Formen, deren kränklicher Zustand alle körperliche Lüsternheit niederschlägt. Ach! es liegt dem Gemüthe viel näher! Es liegt darin, daß dieß in Unbefangenheit und Hingebung aufgelöst, und durch das Bewußtseyn, daß man gefällt, daß man beherrscht, sanft angestrengt wird. Welch eine süße Gewalt, die man in diesen Zusammenkünften, frey von aller fremden Beobachtung, leidet und ausübt! Welch ein angenehmes Ueberlassen und wonnevolles Zurückwirken! Welch ein üppiger Reitz in einer Empfindung, in einem Gedanken zusammen zu treffen, den der eine mit dem ganzen Charakter der geschmeidigen Stärke, der andere mit dem der hebenden Zartheit hegt und ausdrückt! Welch ein üppiger Reitz, Richtigkeit mit Feinheit, Vernunft mit Witz, Feuer mit Sanftheit empfangend und mittheilend zu paaren! Sich auszuahnden, aufs halbe Wort zu verstehen, mit bloßen Blicken verständlich zu machen, sich zu bewundern, und sich auf Schwächen zu ertappen, und zu rufen: Also auch du? und pantomimisch zu antworten: Ja! Auch ich! Und nun mit einander zu trauern oder zu lachen über den Menschen, der sich [178] in beyden Personen in seiner Blöße zeigt! Und so mit den Gemüthern in einander greifen, sich absondern zusammen von der übrigen Welt, und sich besitzen, und sich wechselseitig einlagern! Nein! Nein! Die geistreichste Unterhaltung mit dem Manne kommt der Wonne nicht gleich, welche das Geschwätz mit dem verständigen Weibe giebt, das uns wohl will und uns zart behandelt.


III.

Es ist ein wonnevolles Gefühl für den Mann, wenn er bey dem Bewußtseyn der Oberaufsicht, die er über seine Gattin führt, diese dazu nutzen kann, sie durch die nachgiebigste Gefälligkeit gegen ihre Launen und Eigenheiten, und durch die aufmerksamste Zuvorkommung ihrer vorübergehenden Wünsche zur Dankbarkeit zu verpflichten: nicht anders wie zu zärtliche Eltern oder zu gütige Patronen ihre Kinder und Clienten verziehen. Es ist aber auch ein wonnevolles Gefühl für das Weib, bey Anerkennung der Superiorität des Mannes diesem durch die sorgsamste Pflege und eine oft übertriebene Aufmerksamkeit auf jedes seiner kleinsten Bedürfnisse seine Dankbarkeit ganz zu erkennen zu geben, und ihm fühlen zu lassen, daß es ihm gleichfalls etwas werth sey: nicht anders wie gutgesinnte Kinder und Clienten ihre Eltern und Patronen oft verzärteln.

Hierauf beruht ein Verhältniß, das oft mit allen Charakteren der Ueppigkeit und der Geschlechtssympathie gefühlt wird. Der Mann überläßt sich gern der verzärtelnden Pflege der Gattin, und findet sich dadurch und durch das Gefühl seiner hingebenden Geschmeidigkeit in [179] einem Zustande wohlbehagender Auflösung. Auf der andern Seite spornt ihn zugleich das Gefühl, daß ihm als Herrn geschmeichelt wird, daß er sich als Herr herabläßt. Sie, die Gattin, fühlt sich durch das Streben und das Gelingen des Wunsches, den Beyfall des Obern zu erlangen, und ihm die Herrschaft unvermerkt abzugewinnen, angenehm gespannt: sie wird aber zugleich durch die geschmeidige Zuvorkommung des stärkeren Mannes angenehm gezärtelt.

Es ist gewiß, daß der große Haufe der Männer und Weiber in dem wechselseitigen Verhältnisse verzärtelter Eltern gegen verzogene Kinder zu stehen lieben. Aber selbst in den edelsten Verhältnissen zwischen Personen von verschiedenem Geschlecht erlauben sich diese Vieles in ihrer wechselseitigen Behandlung, was sie sich in engeren Verbindungen mit Personen des ihrigen nicht gestatten würden, ohne die gegenseitige Achtung und das Gefühl ihrer Selbstwürde zu beleidigen. Der Liebende huldigt der Geliebten oft auf eine Art, die gegen den Freund herabsetzend für diesen und für ihn selbst seyn würde; die Geliebte sorgt oft für den Liebenden auf eine Art, die gegen die Freundin ins Kindische und Wegwerfende fallen würde. Nun! in der Geschlechtsliebe, selbst in der edleren, giebt das keinen Anstoß, wenn es nicht übertrieben wird und zu häufig wieder kommt.


IV.

Eben hierher gehört auch der Zug nach geselliger Auszeichnung unter beyden Geschlechtern, die ich üppige Eitelkeit (Coquetterie) nennen möchte: das Bewußtseyn, [180] einer Person von verschiedenem Geschlechte in der Gesellschaft durch Vorzüge, welche das Geschlecht charakterisieren, ausschließend zu gefallen. Er führt etwas Ueppiges mit sich, welches der Ehrgeitz und selbst die Eitelkeit, den Beyfall einer Person von dem nehmlichen Geschlechte zu erhalten, nicht an sich trägt. Eitelkeit gehört überhaupt, in seinem Verhältnisse zum Ehrgeitze betrachtet, zu unserer Zartheit. Wir fühlen uns an unserer zärteren Seite gereitzt, und die Wonne, welche dieß Bewußtseyn begleitet, ist ihrem Charakter nach auflösend. Aber diejenige Eitelkeit, welche durch den Beyfall einer Person von anerkannter Geschlechtsverschiedenheit befriedigt wird, trägt den Charakter des Hanges zum Geschlechtsverschiedenen an sich. Was dem Weibe an dem Manne gefällt, ist nicht seine reine Stärke, seine reine Festigkeit, sondern beydes zur Geschmeidigkeit modificiert: die Annehmlichkeit seines festen Charakters. Die Vorstellung dieser gefallenden Eigenschaft führt jene Mischung von Hingebung und Beherrschung mit sich, welche die Seele zu gleicher Zeit spannt und zärtelt. Wenn das Weib die Macht seiner sanften Reitze über die Stärke des Mannes erprobt, so fühlt es sich mittelst seiner Zartheit stark und dem Manne sich entgegenhebend. Wieder ein üppiges Gefühl, wieder eine Mischung von Stärke und Zartheit, von Hingebung und Beherrschung! Beyde Gemüther lagern sich in einander ein!

Es ist überhaupt sehr merkwürdig, daß der Trieb nach geselliger Auszeichnung vom andern Geschlechte, diese üppige Eitelkeit der Seele, mit der Ueppigkeit und der Lüsternheit des Körpers in so genauem Verhältnisse steht.

[181] Es ist für gewisse Weiber kein gefährlicherer Moment, um in körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit zu gerathen, als derjenige, wenn ihre Eitelkeit auf eine außerordentliche, ungewöhnliche Art geschmeichelt wird. Bildnißmahler haben die Bemerkung gemacht, daß die Damen in dem Augenblicke, worin ihr Portrait einen großen Zusatz von weiblichen Reitzen bekam, etwa beym Auflegen des Wangenroths, in einen sehr gefährlichen Zustand von körperlicher Erweichung geriethen. Ich habe einen Liebhaber gekannt, der bey seiner Geliebten kein Gehör zur Ausübung gewisser Rechte finden konnte; Dienstleistungen, Geschenke, unbedingte Gefälligkeit, kurz, alles vergebens versuchte; bis eine Schmeicheley von ungewöhnlicher Feinheit und Stärke die Spröde auf einmahl besiegte.

Wenn die Bemühung, zu gefallen, nicht bloß eine vorübergehende Befriedigung der Eitelkeit zum Zweck hat, wenn man auf ihren längern Genuß in dauernder Verbindung rechnet; so tritt auch oft die Idee hinzu, daß die Person vom andern Geschlecht uns diejenigen Verdienste beylege, welche den Gesellschafter in gemischten geselligen Zirkeln und in häuslicher Verbindung auszeichnen. Man setzt seine Eitelkeit darin als eine Person gebilligt und gewählt zu werden, mit der die andern ihre persönlichsten Verhältnisse theilen, und mit der sie künftighin als eine zusammengesetzte Person von andern betrachtet werden will. Eine solche Paarung der Verhältnisse, wie Gatte und Gattin mit einander eingehen, bringt die engste Verbindung zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hervor, und es ist keine [182] geringe Begünstigung für die Eitelkeit, dazu vor allen andern würdig gefunden zu werden.


V.

Dieß führt mich auf die merkwürdige Habsucht in dem Bestreben, eine Person von verschiedenem Geschlechte zu gewinnen, und auf den eben so merkwürdigen Stolz auf den Besitz dieser Person bey dem Gelingen jenes Bestrebens. Das Gefühl: ich habe die Person, sie ist mein! wird weder als Zweck noch als Genuß bey der Bestrebung, die Zuneigung von Personen unsers Geschlechts zu gewinnen, angetroffen, wenn diese nicht in Leidenschaft ausartet. Hier begnügen wir uns mit dem Bewußtseyn eines vorzüglichen Anspruchs auf das Herz oder die Vereinigung der Naturen! Was heißt hingegen jenes Bestreben, eine Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, sich ganz anzueignen, anders, als das Bestreben nach dem Bewußtseyn, daß sie uns eine Zuneigung schenkt, die ihrer Natur nach mit keiner andern Person getheilt werden kann, die folglich den Begriff des ausschließenden Besitzes, und dadurch sogar gewisse Ideen von Rechten über ihr Physisches und Moralisches, und von Eigenthum mit sich führt. Wir entziehen dadurch die Person allen Ansprüchen, die andere in eben der Rücksicht auf sie machen könnten; wir sondern sie zu einer engeren Gesellschaft mit uns von der größeren ab. Es läßt sich nicht läugnen, daß, so viel auch unsere policierteren Sitten die Idee der Dienstbarkeit, in welche sich das zärtere Geschlecht durch Verschenkung seines Herzens gegen das [183] stärkere begiebt, gemildert haben, dennoch Spuren dieses tief in der Natur des Verhältnisses gegründeten Begriffs von Absonderung, Ausschließung und Eigenthum, in jener Habsucht und in jenem Stolze auf den Besitz der Person angetroffen werden, die besonders unserm Geschlechte eigen sind.

Der Charakter der Bestrebung, das Herz einer Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, ist an sich höchst eigennützig und interessiert. Eben dadurch wird das Bewußtseyn unserer Abhängigkeit und unserer Erniedrigung begründet, der den Zustand der Gewinnsucht begleitet. Auf der andern Seite zeigt sich aber auch die Aussicht auf Sieg und auf den Zeitpunkt, wo der Stolz des Besitzes die gegenwärtige Sehnsucht krönen wird. Diese Mischung von Affekten begründet die süße Schwermuth, den Zustand der Zärtelung und Spannung unsers Geistes während der regen Bestrebung. Der Moment aber, der das Gefühl ihres wirklichen Gelingens gewährt, der Moment, in dem wir zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Person unser sey; dieser Moment führt eine Wonne mit sich, die durch die Vermählung zarter und spannender Affekte, die sich hier in gleichzeitiger und gleichmäßiger Wirksamkeit äußern, der Wollust befriedigter körperlicher Lüsternheit in manchen Punkten ähnelt, und die Wage hält. Auch darf man dreist behaupten, daß in dem Bestreben und in der Befriedigung des Stolzes auf den Besitz der Person bereits eine wahre Lüsternheit der Seele, wiewohl in ihrem untersten Grade, wo sie sich der Ueppigkeit noch sehr nähert, angetroffen werde.

Und glaubt es mir zu: dieß ist nicht bloß Folge unserer geselligen Conventionen, die mit dem Ansehn, [184] das sie dem zärteren Geschlechte in Europa beygelegt haben, auch den Werth ihres auszeichnenden Beyfalls und des Besitzes ihrer Zuneigung erhöhen mußten! Geht in Erziehungsanstalten von Kindern einerley Geschlechts, und ihr werdet sehen, wie die Individuen von zartgebaueten Körpern den auffallenden Trieb bey den übrigen erregen, von ihnen vorgezogen und zur ausschließenden Verbindung abgesondert zu werden. So meldet sich schon dort mit dem ersten Keime zur Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers der Keim zur Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele!


Alle diese eben bezeichneten Triebe liegen bey der Eifersucht zum Grunde, welche die Verbindungen zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte der Regel nach begleitet, und wenigstens in gleich starker Maße nicht bey Verbindungen zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts angetroffen wird. Sie mag Mißgunst seyn, diese Eifersucht, aber sie ist eine Mißgunst, die mit der Geschlechtssympathie des Menschen unmittelbar verbunden ist, und nur durch mehr als thierische Rohheit oder Ausartung davon getrennt werden kann. Aus der bloßen körperlichen Lüsternheit, oder aus dem bloßen unnennbaren Triebe würde sich die Eifersucht allein nicht erklären lassen; denn die Begierden, welche diese körperlichen Gefühle voraussetzen, sind nicht permanent, und es ist nicht in der Natur, dasjenige zu mißgönnen, was wir selbst nicht begehren. Aber die Triebe nach häuslicher Absonderung, nach dem Heimischen, nach dem Clientelarverhältnisse, nach geselliger Auszeichnung, nach dem Stolze auf den Besitz der Person, stehen mit jenem [185] körperlichen Begierden in natürlicher Verbindung, und diese Triebe sind ihrer Natur nach fortdauernd und ununterbrochen fortwährend.

Wenn also einige Philosophen behauptet haben, daß wir im Stande der unausgebildeten Natur, ehe die Begriffe der körperlichen Schönheit und geselliger Auszeichnung sich entwickelt hätten, keine Eifersucht kennen würden; so läßt sich diese Behauptung gewiß nicht rechtfertigen. Die ohnehin unzuverlässigen Nachrichten, welche wir über die abweichende Empfindungsart gewisser roher Völker von der viel allgemeineren Stimmung der übrigen haben, [10] beweisen weiter nichts, als daß unsere Instinkte auf einer Stufe von Rohheit stehen können, welche noch unter derjenigen ist, die wir an Thieren wahrnehmen. Denn schon unter diesen machen einige einen Unterschied unter ihren Gatten, und halten sich vorzüglich an diejenigen, die ihnen am besten gefallen. Selbst diejenigen, welche ihren Trieben ganz ungebunden huldigen, leben mit den Weibchen in der Zeit, welche die Natur zur Fortpflanzung der Gattung bestimmt hat, zusammen. Sie kämpfen bis aufs Leben für den alleinigen Besitz, und leiden nicht, daß sich die Weibchen von ihnen entfernen. Andere aber, welche ihr Instinkt so wie den Menschen auf gebundene Verhältnisse mit einzelnen Weibchen führt, leiden durchaus nur einen Mann, und verlangen ein ununterbrochenes, abgesondertes Zusammenseyn. Das Geflügel und das Bibergeschlecht, welche sich in größern Gesellschaften zu einzelnen Nestern und Häusern paaren, geben den Beweis. [186] Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin.


Neuntes Kapitel.
Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit.

Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will.


Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys[WS 4] und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben.

[187] So gewagt, so unbestimmt mir diese Behauptungen zu seyn scheinen, [11] so erscheint doch daraus die allgemeine Bemerkung, daß unsere Seele eines schwärmerischen, begeisterten Aneignungstriebes fähig ist, der seiner großen Aehnlichkeit mit der Lüsternheit des Körpers wegen ihre Lüsternheit genannt zu werden verdient. Hier ist vorläufig meine Erklärung dieser Erscheinung.

Die Lüsternheit der Seele, ihr schwärmerischer Trieb, sich den Geist eines andern Wesens anzueignen, ist allemahl ein Zustand von Begeisterung. Dieß Wort wird aber in sehr verschiedener Bedeutung genommen, so wie das Wort Geist unendliche Bedeutungen hat, von derjenigen an, worin es für jede flüchtige körperliche Materie genommen wird, bis zu derjenigen hin, worin es das Ich im Menschen, und sogar die Weltseele heißt.

Im allgemeinsten Sinne nennt man Begeisterung jede außerordentliche Erhöhung der Wirksamkeit unsers Gemüths: Lebendigkeit unserer Seelenkräfte. In einem etwas engeren Verstande heißt Begeisterung so viel als diejenige Wirksamkeit unsers Gemüths, die wir einer besondern Erhöhung unserer Einbildungskraft zuschreiben, wenn diese die Vorstellungen unsinnlicher Gegenstände, (wohin ich auch das Sinnliche aber Abwesende rechne,) zu anschaulichen Bildern hebt, und sie dadurch den anerkennenden Kräften äußerst nahe bringt. Hier bezeichnet folglich der Ausdruck Begeisterung einen Zustand der Erhebung über die Körperwelt zur sinnlichen Einführung in das Reich des Unkörperlichen, oder der Geister: einen Zustand, der an sich schon mit [188] wonnevollen Reitzungen verknüpft ist, theils wegen des Gefühls jener Lebendigkeit unserer Seelenkräfte überhaupt; theils wegen jener associierten Vorstellungen des Emporstrebens zu dem Uebersinnlichen. Je mehr unsre Phantasie, oder die schaffende zusammensetzende Einbildungskraft dabey geschäftig wird, um desto größer ist unsre Wonne. Wir eignen uns alsdann zugleich das Verdienst des Hervorbringens zu, und damit verbindet sich die Eitelkeit, das Abwesende und Unsinnliche so ungewöhnlich anzuschauen, und so tief in seine Eigenthümlichkeiten einzudringen. Diese Begeisterung ist besonders dem Dichter, dem Künstler und dem Phantasiereichen Philosophen eigen, so lange sie noch nicht daran denken, sich durch ihre Produkte vor andern Menschen auszuzeichnen.

Allein die genauere Vereinigung mit den Bildern der Phantasie und ein höherer Grad der Begeisterung entsteht erst da, wo wir das Bild zugleich in genauerer Beziehung mit einem der herrschenden Triebe unserer Natur oder unserer engsten Sinnlichkeit denken, und es als ein Mittel betrachten, diese dadurch befriedigt zu sehen. Alsdann fängt es erst an, unser Gemüth zu beherrschen, d. h. sich gewöhnlich mit Lebhaftigkeit darin darzustellen, und uns durch seine Erscheinung unmittelbar zur Wonne zu reitzen. Beyspiele davon liefert der geistige Stolz aller Schwärmer, welche durch die Hoffnung geschmeichelt werden, sich einige der Eigenschaften des geistigen Wesens, dem sie sich mittelst einer anschaulichen Erkenntniß nähern, anzueignen, seinen Zustand zu theilen, und sich dadurch über andre Menschen zu erheben. Noch auffallender sind die Beyspiele, wo das Bild des unsinnlichen Wesens auf Beförderung unsers [189] Ehrgeitzes, des leidenschaftlichen Strebens nach dem Besitz einer Person vom andern Geschlechte, der Gefallsucht und anderer noch niedrigeren Triebe bezogen wird. So begeistert man sich sehr leicht für berühmte und vornehme Männer, wenn man glaubt, daß die genauere Kenntniß von ihrem Charakter, und oft nur von ihren äußeren Verhältnissen uns bey der Menge auszeichnen wird. Das Bild ihrer Person und ihrer Vorzüge erfüllt dann unsre Seele, wenn sie auch längst verstorben oder abwesend von uns seyn sollten. Eben diese Erscheinung zeigt sich bey demjenigen, der ein Herz zu erobern, die Aufmerksamkeit einer angebeteten Schönen ausschließend auf sich zu ziehen sucht. Ihr lebhaftes Bild wird unser vertrauter Begleiter, mit dem wir in häuslicher Absonderung zusammen leben, das wir immer mit uns herum tragen. Aehnliche Erfahrungen macht der Alchymist und der Geisterbanner, der Schätze zu heben hofft. Er bezieht das Bild der heiligen Zahl oder des Salomonischen Siegels, oder des mächtigen Kobolds als Mittel auf den Zweck seiner Gewinnsucht, und die Folge ist, daß er sich aufs genaueste mit ihm vereinigt, oder, was einerley ist, daß es herrschend in seiner Seele wird. So wird der Erfinder von dem Bilde seines Produkts begeistert, so die Person von warmen Blute von Bildern, die stark auf die Lüsternheit des Körpers wirken, u. s. w.

Von der Begeisterung in allen diesen Fällen trägt die Lüsternheit der Seele, oder die Besessenheit, wie ich sie nenne, etwas an sich, und beruht gemeiniglich auf ihr. Sie geht aber weiter. Sie vergißt, daß es nur ein Bild ist das sie so anschaulich erkennt; sie vergißt, daß sie sich nur mittelst einer Erhöhung der Phantasie so [190] eng mit ihm vereinigt; sie vergißt die Beziehung, worin das Bild als Mittel zu dem Zwecke, herrschende Triebe zu befriedigen, steht; – und sucht den Geist, für die engste Adhärenz des Ich’s einer andern Person genommen, in sich aufzunehmen, oder, was einerley ist, ihr Ich, ohne allen weitern Zweck und ohne alle weitere Beziehung, unter dem Bilde eines andern Geistes zu denken.

Wenn die Phantasie uns mit dem Gelingen dieser Bestrebung täuscht, so erkennen wir gar keine Trennung zwischen unserm Geiste und dem Bilde des Geistes einer andern Person an: wir verlieren beyde unsre Selbstständigkeit. Unser Gemüth und sein Gemüth, sein Körper und unser Körper, werden als Agenten betrachtet, die ein und der nehmliche Geist beseelt, und weil das Ich nur unter dem Bilde seiner engsten Adhärenz, des Geistes, gedacht werden kann, so theilen wir nur ein Ich. Du bist Ich, Ich bin Du: das ist die Empfindung der Besessenheit.

Diese Schwärmerey ist wahre Lüsternheit der Seele, und zeichnet sich durch Symptome aus, welche der Lüsternheit des Körpers äußerst analog, und wahrscheinlich an ähnliche Gründe gebunden sind, ob sie gleich nicht eine und eben dieselbe Kraft oder Anlage zum Voraus setzen. Den Zustand, in den wir durch Begünstigung dieses Triebes gerathen, habe ich Besessenheit genannt. Ein neues Wort, ich gestehe es, für dessen Bildung mich aber die Armuth der Sprache entschuldigt, und das sich wenigstens auf die Benennung des Aberglaubens stützet, vermöge dessen ein böser Geist uns besitzen kann.

Gehen wir zuerst auf die Untersuchung aus, welchen Personen solche Lüsternheit der Seele eigen zu seyn pflegt; [191] so finden wir, daß es gemeiniglich, so wohl unter Männern als Weibern, diejenigen sind, welche sich durch einen Mangel solcher Seelenkräfte, die wir zur Stärke rechnen, und durch solche Vorzüge der Seele, welche zum Begriff der Zartheit gehören, auszeichnen. Menschen von sehr gesunder Beurtheilungskraft sind zu dieser Lüsternheit der Seele nicht aufgelegt. Der Zustand der Leidenschaft zum Geschlecht macht freylich darunter eine Ausnahme: allein sie bestätigt nur den aufgestellten Grundsatz, weil durch sie die stärksten Menschen auf eine Zeitlang in den Zustand der Zartheit versetzt werden. Dagegen sind solche, welche ein weiches Herz, einen feinen Verstand, und vorzüglich viel Phantasie besitzen, sehr fähig zu diesem Zustande. Gehen wir auf die Wesen zurück, deren Bilder diese Lüsternheit am meisten befördern, so sind sie von Gegenständen hergenommen, welche durch den Begriff der Stärke Bewunderung erregen: das höchste Wesen, Sätze der Moral, erhabene Gegenstände der Natur und der Kunst, außerordentliche Menschen, ungewöhnliche Begebenheiten. Allemahl müssen wir den Gegenständen etwas Geistiges beylegen können, und der Charakter dieses Geistes muß im Verhältnisse der Stärke zu unserer Zartheit stehen. Nie sind wir zu dieser Lüsternheit der Seele aufgelegter, als in der Zeit, worin wir einer starken Leidenschaft zum andern Geschlecht huldigen. Hier nimmt der Gegenstand unserer Leidenschaft, wenn er auch noch so gewöhnlich ist, den Charakter der Stärke vermöge der Abhängigkeit an, worin er uns hält, und wir, wir fühlen uns schwach und zart gegen ihn.

Superiorität, sie mag auf dem bloßen Gefühle unserer Abhängigkeit, oder auf dem des Ungewöhnlichen, [192] Außerordentlichen, Vollkommenen beruhen, wird alle Mahl in dem Gegenstande vorausgesetzt, mit dessen Geiste wir nach Vereinigung in dieser Maße streben. Inferiorität von unserer Seite ist davon unzertrennbare Folge. Aber das Gefühl des Verhältnisses der reinen Superiorität gegen unsere Inferiorität; der baren Stärke gegen unsere bare Zartheit, wird nie ein Streben nach Vereinigung der Geister hervorbringen. Das bloß Männliche, bloß Anstrengende, zieht mich nicht zu sich hin; der unerschütterliche Starrsinn, die unbarmherzige Geistesstärke eines Sylla oder Robespierre, die bloß verderbliche Naturkraft, das höhere, aber nur zum Unheil geartete Wesen, das Geschöpf unserer Imagination, der Teufel, können mich zwar in den oben angeführten Bedeutungen begeistern, d. h. ihr Bild kann immer sehr lebhaft bey mir seyn, und in so fern es mir nützlich scheint, mich beherrschen; aber ich werde mich nicht von ihm besitzen lassen, d. h. meinen Geist unter dem Bilde sehen wollen, welches meine Phantasie mir von ihnen darstellt. – Eben so wenig als ich auf der andern Seite die Bilder des bloß freundlichen Charakters, der flachen bloß heitern Gegend, der Ruhe des Alltagslebens, zu solchen unzertrennbaren Gefährten, zu solchen Formen meines eigenen Geistes machen möchte.

Es muß folglich ein Wohlverhältniß der Superiorität des Geistes außer mir und der Inferiorität des meinigen, seiner Stärke zu meiner Zartheit, vorhanden seyn; ein Wohlverhältniß, wodurch ich mich ihm entgegen, zu ihm hinaufzuheben, ihn zu mir sich herabneigen zu sehen hoffen darf, um dadurch ein neues Wesen in der engsten Vereinigung mit ihm hervorzubringen.

[193] So erscheint uns ein Gott, dem wir neben einer unbegreiflichen Allmacht ein liebendes Herz, wie das unsrige, zuschreiben; so erscheint das moralische Gesetz, das uns neben dem Gefühle der Abhängigkeit unserer Sinnlichkeit von seiner Strenge das Bild einer intellektuellen Freyheit, Würde, Selbstgenügsamkeit, und des Emporschwingens zu einem höheren Reiche von Geistern, darbietet: so erscheint der Glanz der Großen dieser Erde, deren Annäherung Zwang, deren Vertraulichkeit aber Auszeichnung vor allen Mitbürgern verkündigt; so erscheint endlich das bewunderte Wesen an dem leidenschaftlich geliebten Weibe oder Manne, oft nur darum bewundert, weil es schwer zu gewinnen[WS 5] ist, aber das doch endlich gewonnen ausschließlich mit uns vereinigt werden kann! – Diese und ähnliche Gegenstände sind es, welche uns gewaltsam zu sich hinreißen, und uns zum sehnsuchtsvollen Streben nach Vereinigung der Geister einladen, kurz, uns in den Zustand der Besessenheit versetzen.

Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenheiten dieses Zustandes! Unsere erste Empfindung bey der Vorstellung eines Wesens, dem wir eine geistige Größe beylegen, ist ein Staunen, eine Bewunderung seiner Superiorität, seiner Stärke, und diese bringt in uns eine Anstrengung hervor, die sehr richtig mit den Worten: Anstarren, Starren unsers Geistes, ausgedruckt wird. Die Folge davon ist Zurückziehen in uns selbst; Gefühl unserer Inferiorität, Schwermuth. Bald aber fühlen wir die Möglichkeit, die Hoffnung, uns ihm entgegen zu heben, einen Punkt zu treffen, worin der bewunderte Geist mit uns vereinigt werden kann. Wir bemerken, daß er ein Herz, daß er zarte Seiten neben den starken hat. An diese wollen wir uns halten; Nachsicht, [194] Dankbarkeit, Achtung für unsre unbedingte Gefälligkeit, für unser Streben ihm ähnlich zu werden, endlich sogar für gewisse zarte Vorzüge an uns, welche ihm fehlen, werden das Band auch von unserer Seite anziehen; wir beyde werden uns zusammen absondern von allen Uebrigen, wir werden ein Wesen ausmachen, wir werden uns gar nicht mehr getrennt von einander denken. Es wird ein neues Wesen entstehen, worin seine und meine Vorzüge zusammengeschmolzen einen höhern Anspruch auf Vollkommenheit haben werden, als wenn wir einzeln gedacht, und einzeln im Bilde dargestellt würden. So entsteht ein sehnsuchtsvolles Streben, eine süße Schwermuth, und das Bewußtseyn, daß die Vereinigung gelingt, es sey durch ein wahres Gefühl, daß wir uns wechselseitig unsre Vorzüge mittheilen, oder daß wir von dem Wesen das uns begeistert, ausgezeichnet werden, oder daß wir uns wenigstens würdig fühlen, ihm vorzüglich anzugehören; – dieß Bewußtseyn überströmt uns mit einem üppigen Schauer, der demjenigen sehr ähnlich ist, welchen die Körper bey der Vereinigung der Organisationen empfinden.

Es scheint mir mehr als wahrscheinlich, daß bey dieser Lüsternheit der Seele das Bestreben des letzten belebenden Princips im Gemüthe, sich in einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit zu fühlen, zum Grunde liege. So wie die körperliche Lüsternheit ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit unserer Lebenskraft ist, so ist die Lüsternheit der Seele ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit des geistigen Wesens in uns, das nach dem höchsten Grade gleichzeitiger Spannung und Zärtelung strebt. Wenn unser Geist in diesem Aufruhr ist, so strebt er nach Vereinigung mit einem andern [195] Geiste, von dem er dasjenige nehmen möge, was ihm zu jenem Vollkommenheitszustande abgeht, in den er dasjenige ausströmen lassen könne, was er zu jenem Vollkommenheitszustande zu viel oder überflüssig hat. Daher der Muth und die Weichheit, daher die Kraft und die Ermattung während der Bestrebung; daher der üppige Schauer bey dem Gelingen!

Dieser schwärmerische Aneignungstrieb der Seele äußert sich nun auf sehr verschiedene Art. Oft steckt die Lüsternheit der Seele den Körper mit ähnlichen Empfindungen an, und dieser modificiert sie auf seine eigene Weise zu einer wahren Lüsternheit nach Körperverbindung. Oft aber bleibt es auch bey einer bloßen consensualischen Reitzung der Nerven, ohne eine Bestrebung dieser Art. Doch von allem diesen mehr in der Folge. Ich will hier nur einige der auffallendsten Beyspiele des schwärmerischen Aneignungstriebes der Seele in der Absicht anführen, um zu zeigen, daß nicht bloß Personen, welche für Männer und Weiber anerkannt werden, diesem Zustande unter einander nachstreben, sondern daß er überall angetroffen wird, wo sich ein Wohlverhältniß stärkerer und zärterer Geister zu dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung unter Mitwirkung der Phantasie voraussetzen läßt.

Junge Künstler werden für große Meister in der Kunst, deren Talent sie zu erlernen hoffen; Schüler für ihre Lehrer in den Wissenschaften; Personen, welche bey vieler Sinnlichkeit zugleich den Trieb nach sittlicher Vollkommenheit in sich fühlen, für Personen, welche auf einer hohen Stufe der Tugend stehen, und sich durch Strenge gegen sich selbst und Nachsicht gegen andere auszeichnen, diesen Aneignungstrieb der Geister empfinden. [196] Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.

Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.

[197] Wo es nicht Menschen, sondern ein höheres und unsichtbares Wesen ist, welches wir uns zuzueignen suchen, da entsteht die begeisterte Aneignung noch viel leichter, weil sie ganz Werk der Phantasie ist, und kein in die Sinne fallender Umstand die Illusion stört. Das Bild der Tugend, der Vaterlandsliebe, der Freyheit, des höchsten Abstrakts von Vollkommenheit erscheint uns unter einer starken, aber zugleich geschmeidigen Form, der wir die zarten aber hebenden Formen des Bildes von unserm Geiste anzupassen und beyde mit einander zu vereinigen hoffen. Wir gefallen uns in dieser Umwandlung des Bildes von unserm Geiste zu einem neuen Bilde, und das Bewußtseyn des begünstigten oder gar gelungenen Strebens nach jener Vereinigung überströmt unsre Seele mit üppigen Schauern.

Nehmen wir diese Bemerkungen zusammen, so werden wir den Charakter einer Geschlechtssympathie in dem schwärmerischen Aneignungstriebe der Seele nicht verkennen. Denn es liegt offenbar das Streben nach dem harmonischen Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit in dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung, dabey zum Grunde. Wir wollen nicht unsern Geist vermehren, verbessern, ergänzen, wir wollen ein neues Wesen aus ihm schaffen, wir wollen uns ihn unter Formen denken, welche das Bild unsers isolierten Geistes, selbst in seiner höchsten Vollständigkeit nicht darbietet. Die Weiblichkeit unsers Geistes, wenn ich so sagen darf, will sich mit der Männlichkeit eines andern vermählen; unser liebend einnehmender, aber zugleich emporstrebender Charakter, will sich mit dem strengeren, vordringenden, aber zugleich gütig annähernden und nachsichtigen, zu einem neuen [198] Charakter umschaffen, in dem beyde Naturen in der genauesten Gleichmaße des höchsten Grades ihrer Wirksamkeit zusammentreffen.

Die Lüsternheit der Seele findet man am häufigsten bey Personen, deren Geschlechtsverschiedenheit allgemein anerkannt wird; in den Verhältnissen zwischen Männern und Weibern. Diese Erfahrung beweiset die angeführte Entstehungsart: sie kann aber nicht dahin gedeutet werden, als wenn der unnennbare körperliche Trieb und das Verhältniß des Mannes zum Weibe, als solcher Personen, welche ihn am vollständigsten befriedigen könnten, dabey zum Grunde läge. Nein! die beyden anerkannten Geschlechter sind darum so geschickt, den schwärmerischen Aneignungstrieb der Seele zu erwecken, weil der Geist des einen gemeiniglich von stärkerer, der des andern gemeiniglich von zärterer Natur ist, und ihre Verhältnisse in der bürgerlichen Welt den Berührungspunkt beyder in gezärtelter Spannung so sehr befördern. [12]

Der reine Enthusiasmus, vermöge dessen wir mit dem völligen Bewußtseyn unsers isolierten Geistes uns nur gewisse Beschaffenheiten des bewunderten Gegenstandes anzupassen suchen, er mag von der wackern oder schmelzenden Art seyn, wird gegen jene Schwärmerey, wie die Sympathie mit dem Gleichartigen gegen die Geschlechtssympathie stehen.

Der begeisterte Muth, wenn Bilder großer Menschen und großer Thaten uns zu ähnlichen entflammen, weil wir fühlen, unser Geist habe ähnliche Kräfte, welche nur durch das Bild verstärkt werden, ist der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Starken zuzuschreiben.

[199] Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, – gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, – dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; – wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. [13]

[200]
Zehntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen.

Aus meinen bisherigen Bemerkungen folgt, daß weder das Aehnliche noch das Verschiedene sich unbedingt anziehe: daß allemahl ein gewisses Wohlverhältniß vorausgesetzt werden müsse zwischen den Körpern unter einander und den Seelen unter einander, die ähnlich oder verschieden sind, vermöge dessen sie in einem gemeinschaftlichen Berührungs- oder Bindungspunkte zusammentreffen können. Dieß Wohlverhältniß beruht bey dem Aehnlichen auf dem Gefühle der Ergänzung, der Vermehrung der ursprünglichen Anlagen durch einen Zusatz des Aehnlichen bis zu dem Punkte, wo das Individuum sich der Art nach, zu der es gehört, vollständig fühlt. Dieß Verhältniß beruht bey dem Verschiedenen auf dem Gefühle der Umwandlung zweyer verschiedener Anlagen zu einem vollkommneren individuellen Wesen der Gattung nach. In beyden Fällen muß der Zustand gleich entfernt vom Mangel und vom Uebermaße seyn.

Der Trieb, sich mit dem Aehnlichen zu vereinigen, in so weit es zur Vervollständigung der Art dienen kann, heißt Hang zum Gleichartigen. Der Trieb, sich mit dem Verschiedenen zu vereinigen, in so fern es zur Vervollkommnung der Gattung dienen kann, heißt Hang zum Geschlechtsverschiedenen.

[201] Ich weiß nicht ob es bloße Bilder sind, was ich von einem ähnlichen Hange zum Gleichartigen, von einem ähnlichen Hange zum Geschlechtsverschiedenen bereits in den Erscheinungen an unbelebten Körpern antreffe.

Hier finde ich schon eine Anziehungskraft zwischen gleichartigen Körpern, welche die Lehrer in der Chemie der zusammenhäufenden Verwandschaft zuschreiben, und wobey beyde nach der Vereinigung ein eben so gleichartiges Ganzes bilden, als einer der beyden vor derselben war. Hier finde ich eine Anziehungskraft zwischen Körpern von verschiedener Art, wobey diese vermöge der zusammengesetzten Verwandschaft ein Ganzes bilden, welches neue Eigenschaften besitzt, die von den Eigenschaften, welche jedem dieser Körper vor der Verbindung zukamen, völlig verschieden sind. Ich finde bey beyden Verwandschaften einen gewissen Sättigungspunkt, so daß wenn die Körper an gewissen Theilen bereits einen Ueberfluß haben, sie keine gleichartige, keine verschiedene weiter annehmen: nicht dasjenige annehmen, was sie weder der Art noch der Gattung nach verstärken kann. [14]

Ich finde ferner einen großen Unterschied zwischen der Mittheilung der Elektricität von Körpern die elektrisch sind, an solche, die es nicht sind, aber doch die Capacität haben, diese Materie in sich aufzunehmen, und jener Wahlanziehung, womit zwey bereits elektrische Körper ihre entgegengesetzten Elektricitäten mit einander verbinden; und ich bin sehr geneigt, in jener Mittheilung den Trieb zur Vermengung des Aehnlichen; in [202] dieser Wahlanziehung den Trieb zur Vermischung des Verschiedenen zu suchen.

Die Mittheilung der magnetischen Kraft an Körper, die noch nicht magnetisch sind, scheint mir eben so wohl auf einem Triebe nach Vermengung, Zusammenfluß des Aehnlichen zu beruhen; dagegen die Neigung entgegengesetzter Pole zweyer Körper, die beyde magnetisch sind, sich mit einander zu verbinden, auf einem Triebe zur Vermischung des Verschiedenen. Und so wohl die elektrischen als magnetischen Körper haben einen Punkt des Bedürfnisses, der Sättigung und des Uebermaßes; sie sind einem Verhältnisse gegen andere Körper unterworfen, indem sie bald dasjenige gleichgültig liegen lassen, was ihre Kräfte nicht verstärkt; bald das Aehnliche und Verschiedene begierig anziehen um ihre Kraft zu verstärken; bald, wenn sie zur Vollständigkeit oder Vollkommenheit gelangt sind, das Uebermäßige abstoßen.

Und, o Tonkunst! nächstes Bild unserer reitzbaren Einrichtung; wie auffallend finde ich in den beyden Leitern deiner Töne den Hang zum Gleichartigen und zum Geschlecht! Schlagt einen Durton an auf einer reingestimmten Saite; er ruft alle seine Brüder, alle seine Freunde auf der Leiter der Durtöne auf, um seine Schwingung zu verbessern. Und welche sind es, die er ausläßt, die er übergeht, und die, wenn sie sich mit einmischen, den sichersten Beweis einer Unvollständigkeit der Saite abgeben, die den Grundton angiebt? Es sind gerade die Töne, die entweder zu entfernt von ihm liegen, um seine Schwingung verstärken zu können, oder diejenigen, welche durch ihre Nähe ein Uebermaß herbeyführen würden. Und doch giebt es Ausweichungen in der Musik, Auflösungen, Uebergänge, wo die Einmischung [203] eines Molltons in den Grunddurton einen Wohlklang hervorbringt, der nicht mehr die Melodie der vorigen Art vervollständigt, aber die Gattung des Gesanges durch Harmonie vervollständigt. Allein auch hier wird die Beobachtung gehöriger Verhältnisse zwischen den Tönen verschiedener Leitern vorausgesetzt, und durch diese entsteht eine Vermählung stärkerer und zärterer Gatten, die in erhöheter Sanftheit zusammentreffen.

Doch! ich will mir nicht den Vorwurf der Schwärmerey zuziehen, indem ich die Neigungen des Menschen den Gesetzen, denen das Unbelebte huldigt, wirklich unterwerfe! Ich habe zu wenig praktische Kenntnisse in der Chemie und in der Physik, ich bin zu wenig in die höhere Theorie der Musik eingeleitet, um wahre Gleichheit zwischen ihren Grundsätzen und denen, welche bey Entwickelung der Natur des Menschen angenommen werden können, zu finden. Ich stelle also das Gesagte so lange als bloße Bilder auf, bis vielleicht Männer, die in jenen Wissenschaften gründliche Kenntniß mit Genie verbinden, in meinen Ahndungen Spuren der Wahrheit finden mögen.

Aber so viel glaube ich mit Zuverlässigkeit annehmen zu können: jeder Mensch vereinigt in sich die doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit. Nur in so fern in seinem Wesen Stärke über Zartheit prädominiert, ist er positiver Art, männlichen Geschlechts: nur in so fern die Zartheit über die Stärke prädominiert, ist er negativer Art, weiblichen Geschlechts.

Wo der Mensch, (er mag männlichen oder weiblichen Geschlechts seyn,) seine Kräfte von der stärkern Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er stärkeren Eindrücken von andern Körpern, stärkeren [204] Vorstellungen und Bildern der Seele nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Starken; wo er hingegen seine Kräfte von der zärteren Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er zärteren Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Zarten.

Wo aber der Mensch seine Kräfte überhaupt durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner stärkeren und zärteren Dispositionen zu erhöhen, mithin sich selbst als Wesen einer Gattung zu vervollkommnen sucht, indem er Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, die zugleich stark und zart sind, da fühlt er den Hang zum Geschlechtsverschiedenen.

So wohl der Hang zum Gleichartigen als der Hang zum Geschlechtsverschiedenen ist eines Vollständigkeitszustandes, eines Zustandes der Uebermaße und des Bedürfnisses unterworfen. Was uns stärker oder zärter machen will als wir seyn können, was in uns, wenn wir stark oder zart seyn wollen, diese Stimmung nicht vermehren kann, das ist uns widerlich oder gleichgültig. Was die gleichzeitige Wirksamkeit unserer doppelten Disposition nicht befördert, wo wir sie erwarten, das ist uns widerlich oder gleichgültig.

Der Hang zum Gleichartigen setzt also ein Wohlverhältniß unserer reinen Stärke, oder unserer reinen Zartheit zu den Gegenständen zum Voraus, die uns rein spannen oder rein zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem wollüstigen oder wonnevollen Gefühle einer erhöheten Wirksamkeit der einen oder der andern unserer Dispositionen bey der Verbindung mit äußern Gegenständen.

[205] Der Hang zum Geschlechtsverschiedenen setzt ein Wohlverhältniß unserer gemischten Zartheit und Stärke zu den Gegenständen zum Voraus, die uns gleichzeitig spannen und zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem überschwenglich wollüstigen Gefühle einer gleichzeitigen Wirksamkeit unsrer beyden Dispositionen zur leidenden und thätigen Zartheit und Stärke bey der Verbindung mit äußern Gegenständen. Wir fühlen uns geschmeidig stark gegen ihre hebende Zartheit; oder wir fühlen uns hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke, und unser Zustand ist: gezärtelte Spannung.

Wenn wir in den äußern Gegenständen, die uns durch den Hang zum Gleichartigen, oder durch den zum Geschlechtsverschiedenen an sich ziehen, fortdauernde Eigenthümlichkeiten und einen besondern Zustand beachten, und darin den Grund unserer Lust setzen, daß wir mit ihnen Eigenschaften und Zustand theilen; – so modificiert sich der Hang zur Sympathie. Und so giebt es denn eine Sympathie mit dem Gleichartigen und eine Geschlechtssympathie, die besonders in unsern Verhältnissen zu andern Menschen wahrgenommen wird.

Auf diese treffen die nehmlichen Grundsätze zu, die oben aufgestellt sind. Die männliche Person, diejenige, die von positiver Art ist, weil die Disposition zur Stärke in ihren Anlagen prädominiert, vereinigt sich mit der männlichen Person, oder mit derjenigen, bey der die nehmliche[WS 6] Modification der Anlagen Statt findet, wenn sie ihre Kräfte dadurch in Gemäßheit ihrer Art in erhöhete Wirksamkeit versetzt fühlt: sie eignet sich gleichartige Eigenschaften von der Person außer ihr an, trifft mit ihr in einem reinspannenden Zustande zusammen, und bringt dadurch ihr Individuum, als zu einer gewissen [206] Art gehörig, zur Vollständigkeit. Sie huldigt der Sympathie mit dem Gleichartigen. Eben so die weibliche Person, die von negativer Art ist, weil in ihren Anlagen die Zartheit prädominiert, wenn sie sich mit der zartgeformten weiblichen Person vereinigt.

Hingegen vereinigt sich mittelst der Geschlechtssympathie die männliche Person mit der weiblichen, um sich als ein Individuum der Gattung nach zur Vollkommenheit zu bringen, indem beyde durch Vermischung starker und zarter Gefühle, die sie wechselseitig in einander erwecken, sich ungleichartige Eigenschaften aneignen, in einem Zustande von gezärtelter Spannung zusammentreffen, und dadurch ihre Kräfte in Gemäßheit der Gattung zu einer vollkommenen Wirksamkeit heben. Dasjenige, was sie mit einander wirken, kann die Vereinigung des Mannes mit dem Manne, des Weibes mit dem Weibe, nicht ausrichten.

Solchemnach ist Sympathie mit dem Gleichartigen die Neigung des Menschen, seine Stärke mit der Stärke – oder auch seine Zartheit mit der Zartheit – eines andern Menschen zu vereinigen, um sich durch ihre Vermengung in Gemäßheit seines Geschlechts zu ergänzen, und sich als Person seiner Art vollständiger zu fühlen.

Solchemnach ist Geschlechtssympathie Neigung des Menschen, seine geschmeidige Stärke – oder auch seine hebende Zartheit – mit der hebenden Zartheit – oder auch mit der geschmeidigen Stärke – eines andern Menschen zu vereinigen, um durch ihre Vermischung in Gemäßheit seiner Gattung sich als Person dieser Gattung vollkommener zu fühlen.

[207] Kürzer, Sympathie mit dem Gleichartigen ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Menschen anzuarten.

Geschlechtssympathie ist Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern anzugatten.


  1. Άφροδίτη, Venus, bey den Griechen und Römern. Es ist mir unbekannt, ob der Begriff der Sympathie mit dem Gleichartigen bey den Alten und Neuern durch einen besondern Nahmen bezeichnet gewesen sey.
  2. Ich hoffe diesen Grundsätzen getreu geblieben zu seyn, und wirklich hat die Sorge für den Ausdruck mir mehr Arbeit verursacht als der Inhalt selbst. Sollte aber demohngeachtet irgend Jemand so unbillig seyn, mir einen Vorwurf darüber zu machen, daß ich diesen Gegenstand überhaupt berührt habe; für den habe ich nicht geschrieben. Und wirklich würde ich auf die Bedingung, ganz über den Geschlechtstrieb zu schweigen, das Werk nie unternommen haben. Zur Gründung des wahren Begriffs der edleren Liebe war es nöthig, den Begriff des Antheils, den der Körper daran nehmen muß, näher zu erörtern. Mit unserer übertriebenen Zartheit haben wir es verwirkt, daß die Unschuld sich selbst hintergangen, und der Spötter alle Seelenliebe verlacht hat. Unsern unbestimmten Begriffen über den Grad der körperlichen Geschlechtssympathie, der bey der Liebe, wie sie Plato darstellte, mitwirken darf, haben wir es zu verdanken, [114] daß wir ihren Lehrer nicht verstanden haben. Kurz, ohne die Untersuchung anzustellen, die ich zu unternehmen im Begriff bin, kann man viel Schönes über die Liebe dichten, aber man kann nicht darüber philosophieren.
  3. Empfindungsvermögen, Nervenkraft, Reitzbarkeit der Organe. Vergleiche Iths Versuch einer Anthropologie. Plattners neue Anthropologie. Sömmering vom Seelenorgan. Plouquet Skizze der Lehre der menschlichen Natur. Ich habe [128] das Wort Sensibilität der Organe gewählt, um mich theils auf die Frage nicht einzulassen, wo der Sitz der Reitzbarkeit unserer Sinne zu suchen sey, ob in den Nerven selbst, oder in einem sensorio communi? theils um diese Sensibilität eben so wohl von der Irritabilität oder Lebenskraft, als von dem Gemüthe zu unterscheiden.
  4. Das eigentliche Wort ist Lascivität. Allein da dieß so wie der Deutsche Ausdruck, der jene Lateinische Benennung völlig wiedergiebt, eine unsittliche Nebenbedeutung erhalten hat, so habe ich mich dessen enthalten müssen. Ohnehin haben Thümmel und einige andere unserer klassischen Schriftsteller das Wort „Lüsternheit“ bereits in ähnlicher Bedeutung gebraucht.
  5. S. Iths Versuch einer Anthropologie. 1. Theil, 2. Hauptstück[WS 2] §. 41. Ich nehme das Wort: Lebenskraft oder Irritabilität für das Princip der Bewegung der thierischen Organisation, das offenbar vom Mechanismus verschieden ist. Uebrigens lasse ich mich nicht darauf ein, woher sie rührt, und worin sie liegt. Genug, die Lebenskraft äußert sich anders als das Empfindungsvermögen, [142] die Sensibilität, die an den äußern Sinnenorganen zunächst empfunden wird.
  6. Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.
  7. Mit diesem Kapitel, so wie mit diesem ganzen Buche, muß das 8te Buch verglichen werden.
  8. Vergleiche Blumenbachs Abhandlung über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäft. – Ith’s Versuch einer Anthropologie. §. 37.
  9. Ich verstehe unter Seele alles, was nicht Körper, und nicht solche Kraft und Reitzbarkeit ist, die wir unmittelbar am Körper wirksam spüren, und sich dennoch von dem Ich als Subjekt aller Veränderungen, die an mir vorgehen, im Bewußtseyn unterscheiden läßt. Ich gebe gern zu, daß dieser Begriff nicht metaphysisch ist, aber darauf kommt es hier nicht an. Es wird mir nur wichtig, solche Bestimmungen [159] der verschiedenen Adhärenzen unsers Ich’s festzusetzen, die zum praktischen Gebrauche, und besonders zur Unterscheidung verschiedener Gefühle wichtig seyn können.
    Ich habe in den vorigen Kapiteln ein sensitives, ein thierisch lebendiges, ein vegetierendes Wesen als Adhärenzen unsers Ich’s, angenommen. Nicht, weil ich sie für wirklich verschiedene Wesen halte: denn das kann ich nicht beurtheilen; sondern weil ich an meinen Organen, an meiner innern Organisation, und endlich an dem gröbern Stoffe, den ich an mir trage, solche verschiedene Wirkungen wahrnehme, die ich mir unter dem Bilde verschiedener mit Kräften und Reitzbarkeit versehener Wesen, deren Veränderungen das Ich mittelst des Bewußtseyns unmittelbar aufnimmt und vereinigt, am deutlichsten denken kann.
    In eben dem Sinne und in eben der Absicht, um nur Merkmahle von den verschiedenen Veränderungen zu haben, die ich an mir bemerke, theile ich nun wieder die Seele, als Adhärenz meines Ich’s, in zwey Wesen ein, die beyde mit Kräften und Reitzbarkeit versehen sind: in das Gemüth und in den Geist. Unter Gemüth verstehe ich dasjenige Wesen meiner Seele, das der Sensibilität der äußeren Organen meines Körpers durch die Art, wie es Eindrücke von Bildern und Vorstellungen einnimmt, sich mit diesen ins Verhältniß setzt, und von ihnen zur Lust oder Unlust gereitzt wird, so ähnlich ist. Es ist der Inbegriff aller Kräfte und aller Vermögen an mir, die ich nur nicht unmittelbar am Körper wirksam fühle, und die ich nicht zu meinem Geiste rechne: Mit einem Worte: das niedere Seelenwesen. Unter Geist verstehe ich hingegen die engste Adhärenz meines Ich’s, das letzte belebende Princip im Gemüthe, mit dem mein Ich gedacht wird, wenn ich im Bewußtseyn ein vermögendes und reitzbares Wesen in mir noch von den Kräften und der Reitzbarkeit meines Gemüths unterscheide: Mit einem Worte: das höhere Seelenwesen. Ich bin mir bewußt, [160] daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.
  10. Ich werde mich im dritten Theile noch weiter darüber äußern.
  11. Vergleiche das achte Buch dieses Werks.
  12. Vergleiche das achte Buch.
  13. Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn [200] sollte, daß der Körper gerade den Antheil daran nahm, den Hemsterhuys und andere voraussetzen. Hierüber mehr in der Folge.
  14. Vergleiche Morveau von der chemischen Affinität. Deutsche Uebersetzung. Berlin 1794.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. die Pfirsche: der Pfirsich
  2. Vorlage: Haupstück
  3. Vorlage: unzertrennnlich
  4. Frans Hemsterhuis (1721–1790), niederländischer Philosoph.
  5. Vorlage: zugewinnen
  6. Vorlage: nemliche