Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil | |
|
sie noch eine andere Verbindung kennen lehrt, als diejenige, welche gieriges Verzehren oder Ergetzen aus der Ferne mit sich führen. Sogar die Zunge weilt länger bey dem Auskosten der Speise, die mit pikantem Reitze allmählig auf ihr zerschmilzt! Und diese Ueppigkeit! – Ja! sie ist die erste Stufe der Geschlechtssympathie zwischen den Menschen; sie ist eine mit der Lüsternheit verwandte Kraft.
Ich wiederhole hier was ich schon gesagt habe: Lüsternheit ist jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.
Es ist also hier nicht bloß von der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane die Rede, sondern von der Lebenskraft der ganzen thierischen Organisation. Diese geräth bey der Lüsternheit in Aufruhr. Wir streben
- ↑ Das eigentliche Wort ist Lascivität. Allein da dieß so wie der Deutsche Ausdruck, der jene Lateinische Benennung völlig wiedergiebt, eine unsittliche Nebenbedeutung erhalten hat, so habe ich mich dessen enthalten müssen. Ohnehin haben Thümmel und einige andere unserer klassischen Schriftsteller das Wort „Lüsternheit“ bereits in ähnlicher Bedeutung gebraucht.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_1.djvu/140&oldid=- (Version vom 1.8.2018)