Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil | |
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und selbst dem Gebrauche deines Nahmens den Vorwurf der Unanständigkeit zugezogen?
Jetzt, da ich tiefer in deine Natur einzudringen suche, zeige dich mir in Begleitung jener deiner Gefährten, Schamhaftigkeit und Anstand, die sich so gern im Menschen zugleich mit dir entwickeln, und nur durch Rohheit oder Ausartung von dir getrennt werden. Und du, Liebe zur Wahrheit! laß mich nie vergessen, daß selbst reine Seelen über die Wahl ihrer Ausdrücke wachen sollen, und daß Unbescheidenheit dir eben so zuwider ist als übertriebene Zartheit! Beyde stehen der Harmonie des sittlichen Charakters, deinem ersten Gesetze und deinem höchsten Triumph im Wege! So werde ich mit jungfräulicher Hand nur den obern Mantel von der Natur abnehmen, und ihr den innern Schleyer nicht entziehen, der ihre Mysterien vor den Augen des Ungeweihten verhüllet, ohne ihre Umrisse dem mehr Erfahrnen zu verstecken! [1]
- ↑ Ich hoffe diesen Grundsätzen getreu geblieben zu seyn, und wirklich hat die Sorge für den Ausdruck mir mehr Arbeit verursacht als der Inhalt selbst. Sollte aber demohngeachtet irgend Jemand so unbillig seyn, mir einen Vorwurf darüber zu machen, daß ich diesen Gegenstand überhaupt berührt habe; für den habe ich nicht geschrieben. Und wirklich würde ich auf die Bedingung, ganz über den Geschlechtstrieb zu schweigen, das Werk nie unternommen haben. Zur Gründung des wahren Begriffs der edleren Liebe war es nöthig, den Begriff des Antheils, den der Körper daran nehmen muß, näher zu erörtern. Mit unserer übertriebenen Zartheit haben wir es verwirkt, daß die Unschuld sich selbst hintergangen, und der Spötter alle Seelenliebe verlacht hat. Unsern unbestimmten Begriffen über den Grad der körperlichen Geschlechtssympathie, der bey der Liebe, wie sie Plato darstellte, mitwirken darf, haben wir es zu verdanken, [114] daß wir ihren Lehrer nicht verstanden haben. Kurz, ohne die Untersuchung anzustellen, die ich zu unternehmen im Begriff bin, kann man viel Schönes über die Liebe dichten, aber man kann nicht darüber philosophieren.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_1.djvu/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)