ADB:Niemeyer, Hermann Agathon

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Artikel „Niemeyer, Hermann Agathon“ von Otto Nasemann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 682–687, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niemeyer,_Hermann_Agathon&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:49 Uhr UTC)
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Niemeyer: Hermann Agathon N. wurde am 5. Januar 1802 in Halle a. S. geboren. Er war der jüngste Sohn des Kanzlers Aug. Herm. N. und einer geborenen v. Köpcken, der Tochter des aus der Klopstock- und Gleimzeit bekannten Magdeburger Litterators (s. A. D. B. XVI, 675). Mit seinem wenig älteren Bruder Max erhielt er von dieser den ersten Unterricht, bis er Ostern 1810 als Scholar in das Pädagogium aufgenommen ward. Hier waren Johann August Jacobs, welcher nachmals sein Schwager ward, Mollweide und A. F. Näcke seine Lehrer, von welchen besonders der letztere großen Einfluß auf ihn ausübte, ihn namentlich in das Verständniß der griechischen Tragiker einführte. Doch beschränkte sich sein Interesse nicht auf die Alten, eine genauere Kenntniß der deutschen Litteratur brachte ihm das elterliche Haus nahe. Als er sich Michaelis 1819 der Maturitätsprüfung unterzog, erhielt er ein Zeugniß unbedingter Tüchtigkeit, in welchem zugleich sein reiner Sinn und seine Bescheidenheit anerkannt wurden. – Der Kanzler ließ seinen Söhnen in der Wahl des Berufes volle Freiheit, wie denn die Brüder Niemeyer’s Aerzte oder Juristen gewesen sind; dieser wird sich also zum Studium der Theologie aus eigener Neigung entschlossen haben. Allein wenngleich er mit seinem gewissenhaften Eifer alle Zweige dieser Wissenschaft betrieb, so ward er doch weniger von der speculativen Seite derselben angezogen; seine Richtung war eine historische und exegetisch-kritische, zu welcher ihn die tüchtige philologische Schulbildung vorzugsweise zu befähigen schien. Auch ließ er die philologischen Studien mit nichten beiseite liegen; seine Freundschaft mit Reisig, die ihn in der Folge auch in nähere Beziehung zu dessen bedeutendstem Schüler Ritschl brachte, erhielt das alte Interesse lebendig. So war er schon früh, mit 21 Jahren, am Ziele seines akademischen [683] Studienganges; er wurde am 26. Juli 1823 zum Dr. phil. auf Grund einer Dissertation „de Docetis“ promovirt. Ganz von selbst fand sich nun der Entschluß, die Docentenlaufbahn einzuschlagen, in welchem ihn sein Vater begreiflicher Weise bestärkte. Nach einem halbjährlichen Aufenthalte in Göttingen, den er zur Anfertigung seiner Habilitationsschrift benutzte, vollendete er diese in Halle im Herbst 1824; sie handelte „de Isidori Pelusiotae vita, scriptis et doctrina“. Am 28. December desselben Jahres folgte die Licentiatenprüfung, am 8. Januar 1825 die Disputation. Im Sommer 1826 hielt er die erste Vorlesung. Seine Vorträge bezogen sich hauptsächlich auf die neutestamentlichen Schriften, auf Apologetik und christliche Alterthümer. Aber außerdem ließ er sich auch als Lehrer an der lateinischen Hauptschule verwenden, beschritt mithin genau den Weg, den sein Eltervater Francke den angehenden wissenschaftlichen Theologen vorgezeichnet hatte. Und verhältnißmäßig rasch gelangte er zu einem Erfolge, den er einer Anzeige über ein Buch Augusti’s zuschrieb; er erhielt einen Ruf nach Jena als Prof. extraord. welchen er ohne weiteres annahm.

Michaelis 1826 siedelte er dorthin über. Die kurze Zeit, welche er in der kleinen Stadt verweilte, hat er immer als den erfreulichsten Abschnitt seines Lebens bezeichnet. Wie er mit frischer Kraft und harmlos einfachem Sinne kam, so fand er auch bald Menschen, die ihn verstanden und ihm nahe traten; mit Göttling, Credner, Baumgarten-Crusius, Schwarz und vor allen mit Henke ist er, so lange sie und er lebten, in enger Freundschaft verbunden gewesen. Während des Jenenser Aufenthaltes feierte sein Vater das 50jährige Jubiläum, das der Göttinger Faculät Veranlassung gab, ihm die theologische Doctorwürde zu verleihen. Hier in Jena gründete er auch einen eigenen Hausstand, indem er sich mit der Schwester seines Schwagers, des bekannten Juristen Pernice, verheirathete. Inzwischen starb der Kanzler am 7. Juli 1828. Nachfolger desselben war sein Schwiegersohn August Jacobs, welcher bereits seit dem Tode des jüngeren Knapp als Condirector an der Verwaltung des Waisenhauses theilgenommen hatte. Indessen Jacobs war schon lange kränklich und nicht fähig die Last des schweren Amtes allein zu tragen; er beantragte sofort die Ernennung Niemeyer’s zum Condirector. Es ist nicht zu übersehen, weshalb man an entscheidender Stelle in Berlin mit der Bestätigung zögerte, wenn man auch weiß, daß sich die verschiedensten Einflüsse dort kreuzten und daß sich viele bedeutende Leute um die Stelle bewarben, seltsam genug die Antipoden Gesenius und Tholuck. Erst am 8. Juni 1829 erfolgte die Genehmigung und zwar auf directe Weisung Friedrich Wilhelms III., der das Anrecht der Familie auf das Amt respectirte. Seinerseits hatte N. lange geschwankt, ob er dem Rufe an das Erbe seiner Ahnen entsprechen sollte. Indem er dem Wunsche seiner Mutter nachgab, gab er zugleich die Ideale seines Lebens auf; denn wenn er in Jena blieb, so durfte er auf eine ebenmäßige Entwicklung seiner wissenschaftlichen Betreibungen und auf Erfolge als akademischer Lehrer hoffen, wogegen in Halle vor dem Amte als Verwalter mit den unaufhörlichen, vielseitigen Ansprüchen die Wissenschaft zurücktreten mußte. So ist er ungern gegangen und sein Vorgefühl hat ihn nur insofern getäuscht, als noch viel schwerere Sorgen und Enttäuschungen über ihn gekommen sind, wie der Anfang erwarten ließ.

Als er im August 1829 in Halle eintraf, fand er die Stiftungen in einem kritischen Zustande. Die alten Einrichtungen, auf welche Francke sein Werk aufgebaut hatte, trugen den Bestand nicht mehr und waren selbst nicht zu ertragen; das Pädagogium, dessen Erhaltung Staatsmänner wie L. v. Vincke, v. Bassewitz, v. Merckel, v. Bodelschwingh, die selbst auf der Schule ihre Bildung genossen hatten, für eine Nothwendigkeit erklärten, und das zu Lebzeiten des Kanzlers als die erste Schule Deutschlands angesehen wurde, war zurückgegangen; die Einkünfte, [684] welche ehedem aus den erwerbenden Instituten, der Buchhandlung, der Apotheke geflossen waren, versiegten mehr und mehr. Eine Neubelebung mußte auf allen Gebieten eintreten. Zudem hatte sich die Krankheit des Directors Jacobs so verschlimmert, daß sofort die gesammte Last der Administration dem 27jährigen Condirector zufiel. Er ging mit voller Einsicht in die zahllosen Schwierigkeiten, mit dem festen Entschlusse, durchgreifend umzugestalten, und mit demüthigem Gottvertrauen zugleich an die Arbeit. – Sein erstes öffentliches Auftreten war ein Act der Pietät gegen seinen Ahnherrn Francke, dessen Statue, ein Werk Rauch’s, er mit einer Weiherede zu übernehmen hatte, am 5. November. Am 21. December starb dann Jacobs. Da schleunig ein Vertreter des Geschäftskreises desselben bestellt werden mußte, so gingen die Behörden auf das Auskunftsmittel ein, den Professor Karl Thilo, welcher der Schwiegersohn Knapp’s war und von seinem Lehramte im Pädagogium die Anstalten genau kannte, zum Director zu ernennen. Allein auch jetzt wieder ward die Entscheidung verzögert und Thilo schied unwillig am 5. October 1830 aus. Erst im November desselben Jahres ward die Cabinetsordre, welche N. als Director und außerordentlichen Professor der Theologie sowie als Leiter des pädagogischen Seminars bestätigte, vollzogen; er hatte bisher für seine Arbeit die Summe von 400 Thaler erhalten. – Von den zahlreichen Aufgaben, die er nunmehr zu erledigen hatte, waren folgende die wichtigsten. Es handelte sich eben jetzt um die Ordnung der Ressortverhältnisse der Stiftungen, welche aus der unmittelbaren Beaufsichtigung des Ministeriums ausscheiden, an das Provinzialschulcollegium übergehen sollten; N. wußte mit Entschiedenheit und doch auch mit Geschick die Selbständigkeit der Anstalten einigermaßen zu wahren. Die lateinische Hauptschule war neu zu organisiren, mit jüngeren Lehrern auszustatten; auch hier gelang es ihm, einen Ausgleich zwischen den allgemeinen staatlichen Verordnungen und dem eigenartigen Charakter der Schule herbeizuführen. Nun erst konnte er daran denken, derselben auch einen neuen Leiter zu setzen; er ernannte den bisherigen Inspector des Pädagogiums, M. Schmidt, zum Rector und Condirector, er selbst übernahm die Sorge für das Pädagogium. Doch auch hier war ein Bruch mit der Vergangenheit unumgänglich nöthig. Sollte – wie es von oben verlangt ward – das Fachsystem abgeschafft, das Classensystem eingeführt werden, so war der gesammte Lehrplan zu ändern und unter den Lehrern mußte ein Wechsel eintreten. N. zog die besten Kräfte aus der Reisig’schen Schule heran, A. Stahr, K. Peter, Th. Echtermeyer, Mor. Seyffert, Herm. Daniel wurden gewonnen, auch Ruge hat es damals nicht verschmäht, Schulmeister zu sein. Die Frequenz wuchs von Jahr zu Jahr, zuletzt bis auf 70 Hausscholaren, während er mit 17 begonnen hatte. Vergegenwärtigt man sich nun, daß um dieselbe Zeit die Realschule neu gegründet ward, daß eine höhere Töchterschule entstand, daß die Elementarschulen erweitert wurden und eine Präparandenanstalt für künftige Volksschullehrer neben dieselben trat, daß das Missionswesen reorganisirt ward, daß überdem Vorlesungen auf der Universität gehalten und Lectionen in den Schulclassen ertheilt wurden und daß doch der Director noch Zeit fand auf dem Turnplatze oder auf der Schlittenbahn mit den Schülern zu verkehren, so muß man staunen über die Elasticität seiner Natur und den Umfang seiner Arbeitskraft, hat ihn aber nicht nur als den treuen Erhalter der Institute anzusehen, sondern ihm auch die Neuschöpfung von Institutionen zu danken.

Zu diesen Geschäften trat noch eine ganz abweichende Seite der Wirksamkeit, als er 1839 zum Stadtverordneten gewählt ward. Daß seine Mitbürger ihre Augen auf ihn wandten, war ja bei seiner Erfahrung und Gewandtheit in dem Administrationsfache begreiflich; ein Beweis aber des hohen Vertrauens und der Achtung dieser Körperschaft war es, daß er wiederholt zum Vorsteher der Versammlung [685] oder, wenn er diesen Platz einzunehmen sich weigerte, regelmäßig zum Stellvertreter erwählt ward. Bis zu seinem Tode ist er Stadtverordneter gewesen. Dazu kamen dann noch die Arbeiten, welche er als einer der Gründer des Hallischen Hauptvereins der Gustav-Adolph-Stiftung zu übernehmen hatte, die ihm die Beaufsichtigung des Provinzial-Blindeninstitutes brachte – und gerade diese waren sehr lästige – Mühen, die man ihm, ohne Rücksicht zu nehmen, auflud.

Wer die Last einer so vielverzweigten Thätigkeit zu wägen weiß, wird kaum erwarten, daß N. noch Muße für wissenschaftliche Unternehmungen fand. Und doch hatte er schon 1834 die neunte Auflage von seines Vaters „Grundsätzen der Erziehung und des Unterrichts“ besorgt, in welchem Buche er den historischen Theil fast ganz neu aufbaute. Als 1836 die bekannte Lorinser’sche Frage über die Gesundheitspflege der Schüler die Pädagogen zu beschäftigen anfing, war er einer der ersten, welche sich darüber vernehmen ließen. Die von seinem Studienfreunde Mor. Rödiger begonnene Collectio confessionum in ecclesiis reformatis publicatarum ließ er 1840 im Druck erscheinen. Im folgenden Jahre, zur Jubelfeier der Einführung der Reformation in Halle, veröffentlichte er eine Probe der kritischen Ausgabe der lutherischen Bibelübersetzung von 1545, von welcher in der Folge wenigstens die Bücher des Alten Testaments aus der Hand Bindseil’s erschienen sind. Außerdem hat er wiederholt die Abhandlungen für das Schulprogramm des Pädagogiums verfaßt und in denselben zuerst nachdrücklich auf die Bedeutung Ratich’s aufmerksam gemacht, – Studien, zu denen er als Dirigent des pädagogischen Seminars geführt wurde. Erwähnen wir endlich, daß er 1844 in die Redaction der Allgemeinen Litteraturzeitung eintrat und dem sinkenden Blatte durch Werbung von jüngeren Mitarbeitern aufzuhelfen suchte, so wäre im Großen und Ganzen der Umkreis seiner wissenschaftlichen Thätigkeit gezogen, wenn wir nicht noch von einem Buche zu reden hätten, das für sein Verhältniß zu den vorgesetzten Behörden entscheidend wurde. – Er gab 1843 die 18. Auflage des „Lehrbuches für die oberen Religionsclassen in gelehrten Schulen von A. H. Niemeyer“ heraus. Wie tief mußte es ihn verletzen, als der Minister Eichhorn die Benutzung des Buches in den Anstalten, in denen es entstanden und für welche es geschrieben war, verbot. Er hat in langen Verhandlungen die Unterdrückung rückgängig zu machen gesucht, doch vergebens. Wenn Eckstein in der unten anzugebenden Lebensskizze von diesem rohen Eingreifen der Regierung, das zu der Menge von persönlichen Kränkungen gehörte, durch die es Eichhorn mit aller Welt verdarb, bemerkt, daß es N. tief betrübt, doch nicht erbittert hätte, so ist dies gewiß richtig, nur freilich ward er dadurch auch persönlich belehrt, daß das System, nach welchem Eichhorn verfuhr oder zu verfahren gedrängt wurde, eine freie und selbständige kirchliche Entwickelung nicht leiden würde. Wenn er zu den protestantischen Freunden gehörte, so zählte er doch zu den Gemäßigten, ging weder soweit wie Uhlich einerseits, noch andererseits Ruge; ihm kam es auf die Herstellung einer kirchlichen Vertretung an, weshalb er sich 1846 von seinem Bruder Anton, welcher Mitglied der damaligen Generalsynode war, über den Gang der Verhandlungen stets Bericht erstatten ließ. Ueberhaupt wäre es falsch, N. zu den Rationalisten gewöhnlichen Schrotes zu rechnen; er hatte einen so reichen Schatz schlichter Gemüthstiefe und eine so reine Innigkeit des Glaubenslebens, daß er dies nicht sein konnte. Aber allerdings war er auch fern davon, an pietistischen Erweckungen oder an unfreier Bekenntnißgebundenheit, zumal wenn sie mit Herrschsucht gepaart auftrat, Gefallen zu finden und die wissenschaftliche Forschung mochte er sich um keinen Preis verkümmern lassen. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß er in seiner großen Familie mit seinem Hamburger Schwager Wolff, der energisch pietistisch gerichtet, aber von der höchsten Lauterkeit des Wesens war, am allerintimsten stand, daß er Wichern’s Person [686] und Wirksamkeit außerordentlich hoch stellte. Das Jahr 1848 bewies denn auch, daß er viel mehr positive Eigenschaften hatte als von seinen bisherigen Vorgesetzten angenommen wurde, daß er sich durch persönliche Anfechtungen nicht von dem Boden abziehen ließ, auf den ihn seine ganze Natur stellte. Die Stadt Halle sandte ihn als ihren Abgeordneten in die Berliner Nationalversammlung, nachdem Hansemann, welcher in erster Linie gewählt worden war, abgelehnt hatte. Es verstand sich für ihn von selbst, daß er der rechten Seite angehörte, daß er unter den ersten auf Rückberufung des Prinzen von Preußen drang, daß er in der Verfassungscommission den Theorien und Forderungen Waldecks mit Nachdruck entgegentrat. Allein seine Handlungsweise wurde von den Wählern nicht völlig gebilligt, so daß er sich entschloß, am 14. November, kurz nach der Verlegung der Versammlung nach Brandenburg, sein Mandat zurückzugeben. Für die Ordnung zu wirken, die königstreue Gesinnung zu beleben hörte er trotzdem nicht auf; er hat in demselben Herbste verschiedene Gebiete der Provinz in den mühseligsten Reisen durchzogen, um die bevorstehenden Wahlen richtig zu leiten. Hatte das Jahr 1849 allmählich ruhigere Verhältnisse gebracht, so folgte bald das Ministerium Manteuffel, in welchem Raumer die Unterrichtsangelegenheiten übernahm. Der Umschlag in der Beurtheilung von Niemeyer’s Stellung und Thätigkeit machte sich sehr bald bemerkbar. Ladenberg hatte noch bewirkt, daß er durch die Verleihung des Adlerordens 3. Classe ausgezeichnet ward; demselben dankte er es auch, daß 1849 Eckstein als Condirector bestätigt wurde, eine Erleichterung seiner Arbeitslast, deren er umsomehr bedurfte, da er nach dem Tode des Oekonomieinspectors auch der Verwaltung der Finanzen allein vorgestanden hatte. Nunmehr ward eine Richtung mächtig, die zwar seinem Schwager Pernice günstig war, nicht jedoch ihm selbst. Es wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn er in dem Gefühle, daß ihm bei dem Uebelwollen der neuen Vorgesetzten eine selbständige Wirksamkeit unterbunden sei, daß er für die Stiftungen eine vorurtheilslose Theilnahme der Regierung nicht hoffen dürfe, verdrossen und müde die Dinge hätte gehen lassen. Nichts lag ihm ferner. Er hat nicht aufgehört in treuer Hingebung für das Erbe seiner Väter zu sorgen, wie er denn gerade jetzt eine gewinnreiche Umgestaltung der Hausökonomie herbeiführte und mit der Stadt die Verhandlungen wegen der Rückgabe eines Stadtzwingers, den die Stiftungen in Erbpacht hatten, aufnahm. Allein seine Kraft war erschöpft. Ein Magenleiden, das er Jahre lang getragen, dann zuerst durch eine Reise, später durch eine Badekur zu heben versucht hatte, trat immer lästiger auf. Im Herbst 1851 gönnte er es sich noch einmal, bei seinen Freunden in Jena zu Gaste zu sein, auch stellte er noch den Lehrgang des Pädagogiums für das Winterhalbjahr fertig, ertheilte sogar im October und November noch Unterricht. Am 9. November jedoch mußte er dies aufgeben. Ob er es fühlte, daß er das Krankenzimmer nicht wieder verlassen würde? Zuweilen schien es so, aber das Pflichtgefühl ließ ihn nicht ruhen, immer noch dachte er an neue Arbeiten und Aufgaben, bis sein zweiter, hoffnungsvoller Sohn, der eben von einer italienischen Reise zurückkehrte, von einem jähen Nervenfieber ergriffen ward und am 20. November starb. Zwar wich die Fassung und Gottergebenheit, die Freundlichkeit gegen seine Umgebung nicht von ihm; allein er wußte nun sicher, daß er dem geliebten Kinde bald folgen müsse, ordnete seine persönlichen Angelegenheiten und die der Stiftungen und verschied am 6. December 1851. Sein Begräbniß gab Zeugniß davon, wie sehr die Vorzüge seiner wahrhaft vornehmen und liebenswürdigen Persönlichkeit gewürdigt wurden. Ebenso haben die Lehrer, die mit und unter ihm wirkten und deren manchem er das Leben gestaltet hat, und nicht minder seine Schüler ihm ein treues, pietätsvolles Andenken bewahrt. Dagegen hat die Staatsregierung auch seine letzten Anordnungen unbeachtet gelassen und in der Wahl seiner Nachfolger nicht einmal das Anrecht, welches den [687] Nachkommen des Stifters unfraglich zu gebühren schien, geehrt. Hätte er zehn Jahre länger gelebt, so würde er vielleicht nicht der letzte Director der großen Anstalten A. H. Francke’s aus dem Stamme desselben gewesen sein, auch würde wol manches Glied der Institute, namentlich das Pädagogium, dessen Eingehen von vielen Seiten beklagt ist, erhalten sein. Für den, welcher seinen Lebensgang für weitere Kreise und kommende Zeiten zu zeichnen hat, ist es darum doppelte Pflicht hervorzuheben, daß N. der Regenerator der Stiftungen geworden ist, und zum Schluß noch einmal zu wiederholen, daß er eine Persönlichkeit seltener Art war. Mit dem scharfen und schnellen Blicke für Personen wie Verhältnisse, mit reichem, vielseitigem Wissen und Feinheit des Geschmacks verband er eine unvergleichliche Geschäftsgewandtheit und eine selbstlose Freudigkeit des Arbeitens, zugleich aber eine Feinheit und einen Adel des Empfindens und eine Hingebung für andere, die keinen Dank und keine Anerkennung suchten, vielmehr dem Empfangenden durch die heitere Leichtigkeit des Gebens über die Verlegenheit des Annehmens hinweghalfen.

Eckstein im Hallischen patriotischen Wochenblatt 1852, Nr. 47 und 48. – Hallischer Courier (Waisenhaus) 1852, Nr. 42. – Vgl. auch Wiese, Lebenserfahrungen und Amtserinnerungen, I, 169 der jedoch die zuletzt berührte Frage und die ganze Persönlichkeit N.’s unrichtig und einseitig, nur von dem Standpunkte des Raumer’schen Ministeriums aus, beurtheilt und N. selbst fast gar nicht gekannt hat.