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Artikel „Niemeyer, Felix von“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 680–682, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niemeyer,_Felix_von&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 03:20 Uhr UTC)
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Niemeyer: Felix v. N., Arzt, Enkel des berühmten Theologen und Kanzlers der Universität Halle, ist am 31. December 1820 in Magdeburg geboren, wo sein Vater als hochgeschätzter Arzt lebte. Im J. 1839 bezog er die Universität Halle, um sich dem Studium der Medicin zu widmen, bekleidete eine Zeit lang die Stelle eines Assistenten in der Krukenberg’schen Klinik, ging, nachdem er im J. 1843 die Doctorwürde erlangt hatte, zu seiner weiteren wissenschaftlichen Ausbildung nach Prag und Wien, wo er sich besonders eingehend unter Rokitansky mit dem Studium der pathologischen Anatomie beschäftigte und habilitirte sich im J. 1844 in seiner Vaterstadt als Arzt. – Mit einer gründlichen praktischen Ausbildung ausgestattet gewann er hier schnell das Vertrauen des Publicums und einen großen Wirkungskreis. Die in der Choleraepidemie des Jahres 1848 gemachten Erfahrungen boten ihm die Gelegenheit, durch Veröffentlichung derselben – zuerst in der von Virchow und Leubuscher redigirten „Medicinischen Reform“, darnach in einer kleinen Monographie „Die symptomatische Behandlung der Cholera mit besonderer Rücksicht auf die Bedeutung des Darmleidens, 1849 – sich auch litterarisch in günstiger Weise bekannt zu machen; noch mehr aber geschah dies durch seine im J. 1855 erschienenen „Klinischen Mittheilungen“, in welchen er die Erfahrungen niederlegte, welche er an der medicinischen Abtheilung des Magdeburger städtischen Krankenhauses, deren Leitung [681] ihm seit 1853 übertragen war, gemacht hatte, und so sah sich die preußische höchste Unterrichtsbehörde, deren Aufmerksamkeit schon früher auf die Leistungen Niemeyer’s hingelenkt worden war, veranlaßt, ihn auf den durch den Tod Berndt’s erledigten Lehrstuhl der speciellen Pathologie und Therapie nach Greifswald zu berufen und ihm die Leitung der medicinischen Klinik und der Provinzial-Irrenheilanstalt zu übertragen. – Von einem wahren Feuereifer erfüllt gelang es N. bald, die Schwierigkeiten, welche diese neue Stellung für ihn mit sich führte, in der glücklichsten Weise zu überwinden. Rastlos arbeitete er an seiner eigenen wissenschaftlichen Ausbildung, mit Geschick verstand er es bei den überaus ärmlichen klinischen Einrichtungen des ihm für den Unterricht überwiesenen Krankenhauses unter Zuhülfenahme einer umfangreichen Poliklinik sich ausreichendes Unterrichtsmaterial zu verschaffen und die Studirenden nicht nur durch seine geistvolle Lehrmethode an sich zu fesseln, sondern auch den regen Eifer für die Wissenschaft und die Praxis, von dem er selbst erfüllt war, auf sie zu übertragen. Im J. 1858 veröffentlichte er den ersten Band seines „Lehrbuches der speciellen Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf Physiologie und pathologische Anatomie“, mit welchem er einem tief gefühlten Bedürfnisse nach einem derartigen präcis gefaßten, dem neuesten Standpunkte der Wissenschaft entsprechenden Werke genügte und das von dem ärztlichen Publicum daher mit großem Beifalle aufgenommen wurde. Im Frühling 1860 folgte N., zu tiefem Bedauern seiner Greifswalder Collegen und Schüler, einem Rufe auf den durch den Abgang Griesinger’s erledigten Lehrstuhl der medicinischen Klinik nach Tübingen. Auch hier gestaltete sich sein Verhältniß zu den amtlichen Genossen, den ärztlichen Collegen, seinen Schülern und dem Publicum in der erfreulichsten Weise; seine stete Bereitwilligkeit Hülfe zu bringen, wer sie auch fordern mochte, die Liebenswürdigkeit in seinem Auftreten, der wohlthätige Sinn den Armen gegenüber und der Eifer in der Erfüllung der übernommenen Pflichten, verbunden mit vielen glücklich durchgeführten Kuren, machten ihn bald „zu der populärsten und geachtetsten medicinischen Persönlichkeit im ganzen Würtemberger Lande“, seine unermüdete Thätigkeit als klinischer Lehrer und das freundliche Wohlwollen, das er den Studirenden entgegentrug, zogen zahlreiche Schüler nach Tübingen, und in Anerkennung aller dieser seiner Leistungen wurde ihm im J. 1865 die Ehre zu Theil, vom Könige von Würtemberg zum consultirenden Arzte ernannt und durch die Verleihung eines Ordens ausgezeichnet zu werden, mit welchem er (persönlich) in den Adelstand erhoben wurde. – Auch an Ernennungen zum correspondirenden oder Ehrenmitgliede von zahlreichen in- und ausländischen gelehrten Gesellschaften hat es N. nicht gefehlt. – Im Kriegsjahre 1870 stellte er sich der freiwilligen Krankenpflege in den deutschen Kriegslazarethen in Frankreich zur Disposition; hier wirkte er als consultirender Arzt in den Spitälern in Metz, Nancy, Rheims, Versailles u. a. und auch hier bekundete er seinen wissenschaftlichen Eifer in der Begründung eines medicinischen Cirkels in Versailles, welcher für die deutschen Aerzte ein wissenschaftliches Centrum abgeben sollte. Am 21. December 1870 kehrte N. nach Tübingen zurück; die schweren Strapazen und Entbehrungen, welchen er während des Aufenthaltes auf dem Kriegsschauplatze ausgesetzt gewesen war, hatten seine Kräfte erschöpft und ohne Zweifel zu Steigerung eines schweren, bereits längere Zeit bestehenden Unterleibsleidens erheblich beigetragen; ohne daß gerade Besorgniß erregende Zufälle eintraten, schwanden seine Kräfte und in der Nacht vom 13. zum 14. März 1871 machte ein sanfter Tod seinem thatenreichen Leben ein Ende. – N. nimmt unter den medicinischen Gelehrten der neuesten Zeit eine sehr achtungswerthe Stellung ein. Aus seiner Greifswalder und Tübinger Schule sind Männer wie Ziemssen, Liebermeister, Waldeyer, Immermann, Heineke, Hertz, Landois [682] hervorgegangen und mit seinem „Lehrbuche der speciellen Pathologie und Therapie“ hat er sich ein Denkmal gesetzt, das trotz der großen Fortschritte der medicinischen Wissenschaft in unseren Tagen sein Leben wohl noch für Decennien überdauern wird. Der zweite Band dieser Schrift erschien in erster Auflage im J. 1861; bis zu seinem Tode hat dieselbe acht von ihm selbst verbesserte und erweiterte Auflagen erlebt und seitdem sind bis zum Jahre 1885 drei weitere, von Professor Seitz besorgte Auflagen veröffentlicht worden; auch hat das Werk Uebersetzungen in fast alle europäischen Sprachen erfahren. – Im Uebrigen ist die litterarische Thätigkeit Niemeyer’s eine sehr umfangreiche gewesen; im J. 1865 gab er einen Bericht über „Die epidemische Cerebro-Spinal-Meningitis nach Beobachtungen im Großherzogthum Baden“, ein Jahr darauf veröffentlichte er eine Broschüre über die „Behandlung der Korpulenz nach dem sogenannten Bantingsystem“, und 1869 eine solche über „Das Verhalten der Eigenwärme bei gesunden und kranken Menschen“; im J. 1867 hat Ott seine „Klinische Vorträge über die Lungenschwindsucht“ herausgegeben, die eine Uebersetzung ins Holländische, Französische und Englische erfahren haben, schließlich sind eine Reihe von Aufsätzen praktischen Inhaltes aus der Feder Niemeyer’s, die in der Berliner klinischen Wochenschrift und in dem Archiv für klinische Medicin abgedruckt sind, und zahlreiche unter seiner Leitung gearbeitete und bei der medicinischen Facultät in Tübingen erschienene Dissertationen zu erwähnen, denen ein bleibender wissenschaftlicher Werth zukommt.

Ueber sein Leben vgl. einen anonym erschienenen Nekrolog in der Berliner klinischen Wochenschrift 1871, Nr. 16 und den Nekrolog von Ziemssen im Archiv für klin. Med. 1871, VIII, 427 (abgedr. in würtemb. ärztl. Correspondenzbl. 1871, Nr. 17–21), in welchem ein interessanter, in Form eines aus Nancy datirten Briefes gekleideter Bericht Niemeyer’s an einen seiner Freunde in Tübingen über seine Erlebnisse und Beobachtungen auf dem Kriegsschauplatze während des Novembers abgedruckt ist.