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Artikel „Niendorf, Anton“ von Franz Brümmer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 687–688, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niendorf,_Anton&oldid=- (Version vom 16. April 2024, 06:00 Uhr UTC)
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Niendorf: M. Anton N. wurde am 24. December 1826 zu Niemegk, einem kleinen Städtchen der Provinz Brandenburg, geboren und widmete sich nach genossener Vorbildung von 1844–1846 in dem Seminare zu Potsdam dem Berufe eines Volksschullehrers. Er wandte sich bald nach Berlin, wo er als Lehrer an einer Privatschule thätig war, gleichzeitig aber auch einige Vorlesungen an der Universität hörte. Die Märztage des Jahres 1848 ergriffen ihn aufs heftigste und begeisterten ihn zu den „Stunden der Andacht. Gesänge aus Berlins Revolutionszeit. Nebst einer Pfingstreise durch die Hölle im Jahre 1848“ (Berlin 1849), welche die Berliner Revolution und den im October und November eingetretenen Sieg der Reaction in einem so scharfen Tone schildern, daß man sich nicht wundern durfte, daß er wegen Ehrfurchtverletzung gegen den Monarchen in den Anklagestand versetzt und zu achtmonatlichem Gefängniß verurtheilt wurde. Nach Verbüßung dieser Strafe aus Berlin verwiesen, übernahm N. eine Hauslehrerstelle in Heegermühle bei Eberswalde und hier entstand „Die Hegler Mühle. Cyklus märkischer Gedichte“ (1850). Der Stoff dieser Dorfgeschichte in Versen ist so beschränkt wie die Oertlichkeit, aber der Dichter weiß ihn zu ziemlich reicher Mannigfaltigkeit auszubilden. „Der Dichtung liegt eine einfache Geschichte zum Grunde, die sich in einer fortlaufenden Reihe von Liedern entwickelt, deren Sprache oft absichtlich in das Provinzielle übergeht, was allerdings dem Ganzen eine eigenthümliche, oft wirkungsvolle Färbung gibt.“ Gegenüber diesem mit charakteristischer Treue wiedergegebenen Bilde aus der Mark sind Niendorf’s „Gedichte“ (1852) und „Lieder der Liebe“ (1854) etwas leichtere Waare. Die Motive sind meist derb realistisch, die Sprache kernhaft und kräftig, der Ausdruck aber sehr oft prosaisch und trivial, so daß Vortreffliches dadurch verunstaltet wird. In seinen epischen Dichtungen „Anemone“ (1853) und „Liebenstein. Eine thüringische Sage“ (1853) ist die allzu sichtbare Nachahmung der mittelalterlichen Poesie nicht gelungen und der Gebrauch veralteter Wörter unnatürlich affectirt. Durch seinen Aufenthalt auf dem Lande hatte N. bald gelernt, sich für die Landwirthschaft zu interessiren, und durch Hülfe einiger Freunde, welche ihm die nöthige Caution vorschossen, wurde er in den Stand gesetzt, sich 1854 das Rittergut Rußdorf zu pachten. Seine intelligente Bewirthschaftung und glückliche Umstände setzten ihn in den Stand, im J. 1863 den [688] Wolfswinkel bei Zahna, eine wüstliegende Feldmark, zu kaufen, die er bald in eine ertragsfähige Gegend umwandelte. Mit dem folgenden Jahre betrat N. das politische Gebiet; als Mitglied der Fortschrittspartei erlangte er sogar, 1869 an Waldeck’s Stelle von Bielefeld aus in das Haus der Abgeordneten entsendet zu werden, dem er bis 1871 angehörte. Dieser Periode entstammen Niendorf’s novellistische Arbeiten: „Skizzen und Erzählungen aus dem modernen Leben. Soziale Federzeichnungen“ (1865); „Der Schulzenhof in Raben“ (1866), unstreitig seine beste Prosadichtung; „Kontraste der Gegenwart. Skizzen aus dem deutschen Kulturleben“ (1867); „Die Entsagungsurkunde“ (1867), eine Erzählung, deren Stoff N. bereits früher dramatisirt hatte („Karl Theodor, Fürst zu Solms-Braunfels, oder die Entsagungsurkunde“, 1862); „Entfesselte Furien“ (II, 1868); „Wie man regiert“ (1869); „Ein ausgerissenes Blatt“ (II, 1868); „Die Randschrift eines Königs“ (1870); „Rittergut Marderheim“ (II, 1872); „Vom Altar in den Krieg“ (II, 1873). Alle diese Romane, Novellen und Skizzen erörtern politische und socialpolitische Fragen der Gegenwart. Nachdem N. nach Berlin übergesiedelt war, gründete er hier 1875 eine Buchhandlung, aus deren Verlag die von ihm als Chefredacteur geführte „Deutsche Landeszeitung“ hervorging. Mit dieser Zeitung schuf er, indem er sich nun von der Fortschrittspartei lossagte, zugleich die selbständige Partei der „Agrarier“ oder „Steuer- und Wirthschafts-Reformer“ und schwang sich zum anerkannten Führer derselben empor. N. starb am 12. Juni 1878 zu Niederlößnitz bei Dresden; seine Parteigenossen errichteten ihm auf dem Friedrichs-Werder’schen Kirchhofe in Berlin ein Denkmal.

H. Kurz, Geschichte der deutschen Nationallitteratur, 4. Bd., S. 271. – Emil Kneschke, Deutsche Lyriker seit 1850, 6. Aufl., Leipz. 1883, S. 587.