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Artikel „Peter, Karl Ludwig“ von Hermann Peter in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 53 (1907), S. 21–23, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Peter,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 05:27 Uhr UTC)
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Peter: Karl Ludwig P., Schulmann, Historiker und Philolog, geboren am 6. April 1808 in Freyburg a. d. U. als Sohn eines dort allgemein hoch geachteten Baccalaureus. Entscheidend für die Richtung seines Lebensweges war, daß er nach einer, meist privaten Vorbereitung zu Hause und dem einjährigen Besuch des Gymnasiums in Naumburg zu Ostern 1822 eine Stelle im Alumnat der Landesschule in Pforta erhielt. An ihr wirkten damals ausgezeichnete Persönlichkeiten als Lehrer, an der Spitze „der alte Ilgen“, dessen Autorität in wissenschaftlichen und disciplinellen Dingen sich selbstverständlich Jeder unterordnete. Doch lag der Schwerpunkt für strebsame Schüler weniger im Unterricht selbst als in der von ihm ausgehenden Anregung und in der von der Tradition der Schule geforderten Selbstthätigkeit, die gerade, weil sie die Kräfte aufs höchste anspannte, mit um so größerem Stolz auf das selbst erworbene Besitzthum erfüllte. Der Wunsch, in die Differential- und Integralrechnung, in deren Anfänge damals schon in der Schule von Jacobi eingeführt wurde, tiefer einzudringen, bestimmte P., auf der Universität in Halle (seit 1822) zuerst Mathematik zu studiren, doch gewannen ihn Gesenius und Wegscheider bald für die Theologie und 1830 hat er in Magdeburg sein Examen pro licentia contionandi „sehr gut und mit ganz vorzüglicher Auszeichnung“ bestanden. Die Kanzel aber hat er nur sehr selten bestiegen und sich schon im Januar 1831 dem Lehrerberuf zugewendet, darin bestärkt durch den Director der Francke’schen Stiftungen H. A. Niemeyer, der dem Fünfundzwanzigjährigen, nachdem er sich in dem philologischen Staatsexamen die unbedingte Facultas docendi erworben, sogar das Ordinariat der Unterprima übertrug. Schon nach zwei Jahren (1835) wurde er nach Meiningen als Director des neu einzurichtenden Gymnasiums berufen, wo er sich 1836 mit der ältesten Tochter von Gesenius verheirathete, 1843 als Consistorial- und Schulrath in das Consistorium zu Hildburghausen, nach dessen Aufhebung 1848 als Referent für das Kirchen- und Schulwesen des Herzogthums nach Meiningen zurück in das Ministerium. Der Wunsch wieder zu lehren und die Rücksicht auf die Zukunft seiner sechs Söhne waren für ihn der Grund nach Preußen zurückzukehren, wo er fünf Vierteljahre das Gymnasium in Anklam, dann zwei Jahre das in Stettin, endlich siebzehn die Landesschule in Pforta geleitet hat. Das unruhige und arbeitsreiche Leben hatte aber seine Kräfte doch stark in Anspruch genommen, und so bat er für Ostern 1873 um seinen Abschied, um einer frischeren Kraft Platz zu machen, und zog sich nach dem benachbarten Jena zurück. Hier hat er, von der Universität durch den Titel eines Honorarprofessors ausgezeichnet, zuerst noch einige Collegien gelesen, dann aber, in den letzten zwei Jahren fast des Augenlichts beraubt, allein seinen Studien und seiner Familie gelebt, bis ihn nach mehr als zwanzigjährigem Otium am 11. August 1893 eine kurze Krankheit dahinraffte.

P. hat es wiederholt als ein Unglück seines Lebens bezeichnet, daß er nur ein Autodidakt sei. Er hat in der That auf der Universität weder philologische noch historische Collegien gehört. Einen gewissen Ersatz boten ihm die Beziehungen zu Gesenius, der in seiner Theologischen Gesellschaft Kritik und Erklärung mit streng philologischer Methode handhabte; aber zum Philologen ausgebildet hat er sich erst als Lehrer in Pförtner Weise durch Selbstthätigkeit und Verkehr mit Altersgenossen und Collegen (Seyffart, Eckstein, A. Stahr, Echtermayer), mit denen er z. B. an den Abenden eines Winters den ganzen Plato durchgelesen hat, und hat 1838 und 1839 selbst Cicero’s Orator und Brutus, später (1876 und 1877) seines verehrten Tacitus Agricola und Dialogus herausgegeben, dort mehr die Kritik, hier die Erklärung bevorzugend, immer von [22] gründlichen sprachlichen Studien ausgehend. Ueber die Zugehörigkeit zu einer „Schule“ hat er Zeit seines Lebens geringschätzig geurtheilt, sich von Modeströmungen, weil er stets selbständig und frei von jedem Einfluß dachte, nie beirren lassen und über die bestehenden Einrichtungen und herrschenden Meinungen hinweg mit freiem Blick einen weiten Horizont umspannt. Sein praktischer Sinn behütete ihn vor Utopien. So hat er noch als Rector von Pforta Mängel des Gymnasiums, die zwei Jahrzehnte später in starker Uebertreibung die Oeffentlichkeit beschäftigt haben, zum Gegenstand der Besprechung mit Collegen gemacht und einen Vorschlag zur Abhülfe 1874 veröffentlicht, der auf Bifurkation auf der ersten Lehrstufe hinausging. Ueber eine Sammlung von Quellenwerken der mittleren und neueren Zeit zur Belebung des geschichtlichen Sinns hat er bereits 1851 mit der Firma B. G. Teubner in Leipzig abgeschlossen, den geographischen Unterricht 1833 von demselben Gesichtspunkte aus gestalten wollen, der jetzt als der richtige eingeführt ist, 1846 die Schreiblesemethode empfohlen und angewandt, 1848 einen Plan über die Schulaufsicht ausgearbeitet, der die Volksschulen in erster Instanz einem aus dem Pfarrer, dem Schullehrer und einigen Gemeindegliedern gebildeten Vorstand, in zweiter in Bezirken von 80–100 Schulen einem Inspector unterstellt.

Noch zwei persönliche Eigenschaften beeinflußten seine Studien. Zuerst sein ernster und unerbittlicher Wahrheitssinn, der ihn nie auch nur ein Wort zu viel sagen ließ und ihn zu einem Feind jeder Rhetorik, selbst der erlaubten machte. Er schrieb daher einfach, schlicht und nüchtern und verschmähte jeden Schmuck der Darstellung, wie in seinen litterarischen Arbeiten so im Unterricht, weshalb er in dem geschichtlichen durch das Buch „Der Geschichtsunterricht auf Gymnasien. Ein methodischer Versuch als Beitrag für die Neugestaltung des deutschen Gymnasialwesens“ (1849) an die Stelle des mündlichen Vortrags das Lesen von Quellenschriftstellern setzen wollte; denn nicht einmal der beste Vortrag eines Lehrers, meinte er, erreiche die Macht der Herodotischen Erzählung. Damit gepaart war sein Streben, der Sache immer auf den Grund zu gehn. Als ihm in Halle der Geschichtsunterricht übertragen wurde, genügte ihm die übliche Vorbereitung nicht, er arbeitete die Quellen selbst durch, und so entstanden die Zeittafeln der griechischen Geschichte (1835, in 6. Aufl. 1886) und 1843 die der römischen (in 6. Aufl. 1882), die weit verbreitet viel in seinem Sinn zur Ausbildung eines „selbständigen, unbefangenen und gründlichen Urtheils“ gewirkt haben.

Es war nicht Zufall, daß sich Peter’s Studien, die auf die Geschichte besonders durch K. O. Müller’s Werke hingelenkt worden sind, allmählich immer mehr auf die des ihm sympathischen römischen Volkes beschränkten; sie erhielten ihren Abschluß in der „Geschichte Roms“ (erschienen in 1. Auflage 1853 und 1854, in 4. 1882), die in drei Bänden bis zu dem Tode Mark Aurels reichte, mit dem sich nach seiner Ueberzeugung der alte Geist des Volkes erschöpft hatte, und vor allen Dingen dem großen Kreise der Gebildeten ihre für alle Zeiten und Parteien lehrreichen Elemente zum Ausdruck bringen sollte. Auch auf diesem Gebiet hatte er sich gründlich vorbereitet. Er stand im wesentlichen auf dem von Niebuhr gewonnenen Boden, aber er hatte sich ihm gegenüber die gewissenhafteste Prüfung nicht erspart und war in wichtigen Fragen zu eigenen selbständigen Ansichten gelangt; seine „Epochen der Verfassungsgeschichte der römischen Republik“ (1841) liefern für die innere Geschichte den Beweis. Für die Feststellung des Verhältnisses zu den Oskern und Umbrern ist er bis zum Studium des Sanskrit zurückgegangen und hat mit Abhandlungen über die Sprache der Osker auch die Anerkennung von [23] Sprachvergleichern wie G. Curtius geerntet. Um über die Glaubwürdigkeit der alten Autoren sich ein sicheres Urtheil zu bilden, arbeitete er sie unaufhörlich durch und verglich sie mit einander; die Abhandlungen über das Verhältniß des Livius und Dionys von Halikarnaß zu einander und zu den älteren Annalisten (1853) und über das des Livius im XII. und XXII. Buch zu Polybius (1863) haben mannichfache Anregung gegeben; als letztes hat er das Buch „Die Kritik der Quellen der römischen Geschichte“ (1879) veröffentlicht. In der Geschichte Roms selbst hielt er indeß mit dieser Gelehrsamkeit als für sein Publicum ungeeignet zurück und erzählte auch die Geschichte der älteren Zeit, obwol er sie als unglaubwürdig bezeichnete, weil sich gerade in seinen Erdichtungen der Geist eines Volkes am charakteristischsten kundgebe. Daß der Ton der Geschichtschreibung, die Auffassung der Ereignisse und die Beurtheilung der Persönlichkeiten in Mommsen’s kurz darauf erschienener Geschichte wesentlich von P. abwich, liegt in der Verschiedenheit der Naturen begründet, daß sie nicht immer in ihren Forschungen zu den gleichen Ergebnissen gelangten, in der Schwierigkeit des Stoffes; unter unbedingter Anerkennung der Genialität Mommsen’s hat die eigenen P. in seinen „Studien zur römischen Geschichte“ (1. u. 2. Aufl. 1873) begründet.

Am unmittelbarsten wirkte seine Persönlichkeit in der Lehrthätigkeit. Er hatte Kant und Herbart gründlich studirt, eindringend über ihre Aufgabe nachgedacht und griff gelegentlich auch litterarisch in die Debatte über pädagogische Fragen ein (so über den Ruthardt’schen Vorschlag und Plan einer äußeren und inneren Vervollständigung der grammatikalischen Lehrmethode, 1843); er verstand das Wesen der Jugend und achtete ihre Rechte, indem er die Individualitäten sich innerhalb gewisser Grenzen frei bewegen ließ und im Unterricht ihrem eigenen Nachdenken und Empfinden Raum gewährte, nicht alles bis ins einzelne verstandesmäßig klar gemacht wissen wollte; es war auch jede einzelne Lehrstunde wohl überlegt, aber er künstelte nicht und gab sich auch hier so wie er war, natürlich, klar und schlicht, immer ein Muster ernster Auffassung seines Christenthums, treuer Pflichterfüllung, maßvoller Besonnenheit und großer Anspruchslosigkeit. Sein Schüler Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff hat uns von ihm als Lehrer ein anschauliches und pietätvolles Bild gezeichnet (s. unten).

Peter’s unermüdliche Arbeitskraft erstreckte sich auf die mannichfaltigsten Gebiete des menschlichen Wissens, über die er gern in Vorträgen seine Meinung entwickelte, sie hat sich aber auch in dem geschäftlichen Theil seiner Aemter bethätigt. Das reichste Feld dazu bot ihm die zweite Meininger Zeit, in der er ein neues Volksschulgesetz ausarbeitete und durchbrachte, aber auch in Pforta hat ihm die Verwaltung viel Zeit gekostet, da er für die leibliche Pflege seiner Schüler nicht weniger gewissenhaft sorgte wie für die geistige, obwol es ihm nicht gelungen ist, alles zu erreichen, was er geplant hat; er konnte sich nur schwer entschließen das Gute zu nehmen, wenn das Bessere sich ihm versagte, und Zugeständnisse zu machen, wenn er von der Ueberzeugung der Richtigkeit des eigenen Wollens durchdrungen war.

Das Ecce der Kgl. Landesschule Pforta im J. 1893, S. 3–13 (von D. Volkmann). – Bursian’s Biogr. Jahrbuch XVIII (1895), S. 110–151 (von H. Peter, darin S. 135–140 die Schilderung von U. v. Wilamowitz).