Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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göttliche Zwittergestalt mann-weiblich
Band VIII,1 (1912) S. 714721
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Hermaphroditos (Ἑρμαφρόδιτος). Die Vorstellung von mannweiblichen Zwittergestalten bei den Griechen beruht nicht auf einfacher Übertragung eines orientalischen androgynen Kultes nach Griechenland. Verschiedene Quellen fließen nebeneinander. Der Dichter rühmt die mädchenhafte Schönheit eines Jünglings, der Künstler gibt der Brust des schönen Jünglings weiche, weibische Formen, der Denker setzt an die Spitze der Schöpfung ein doppelgeschlechtiges Wesen, das Volk stellt sich insbesondere den Hochzeitsgott, unter dessen Schutz sich Mann und Frau verbinden, im Anschluß an alte Bräuche mancherorts als mannweibliche Gottheit vor. Es handelt sich dabei um Bräuche, die einen Austausch der Funktionen zwischen Mann und Frau zeigen, wie das Wochenbett der Männer, um den Kleidertausch zwischen Braut und Bräutigam auf [715] dem Hochzeitslager, um den Beischlaf der Braut bei einem ithyphallischen Kultbild in weiblicher Kleidung oder bei einem androgynen Götterbilde; vgl. Dümmler Philol. LVI (1897) 22ff. = Kl. Schr. II 233ff. Nilsson Griech. Feste 369ff. Gruppe Griech. Myth. 903ff. Um den Vorstellungskreis, dem H. anzugehören scheint, kurz zu charakterisieren, sei hier auf einige Parallelen zwischen Bräuchen, Sagen und androgynen Gottheiten hingewiesen. In Sparta trägt die Frau auf dem Brautbett Männerkleidung (Plut. Lykurg. 15), in Argos bindet sie einen Männerbart um (Plut. de virtut. mulier. 245 F). In Amathus auf Kypros gebärdet sich bei dem Fest der Ariadne Aphrodite ein Jüngling wie eine in Geburtswehen liegende Frau (Paion v. Amathus bei Plut. Thes. 20; vgl. o. Bd. II S. 808), und auf Kypros, vermutlich ebenfalls in Amathus, wird eine bärtige mannweibliche Aphrodite verehrt (Paion v. Amathus bei Hesych. s. Ἀφρόδιτος u. a.; vgl. Aphroditos o. Bd. I S. 2794). Auf Kos trägt der Bräutigam ebenso wie Herakles und sein Priester Frauenkleidung (Plut. quaest. Graec. 304 Cff.). Der attische Hymenaios (Serv. Verg. Aen. IV 99), der elische Leukippos (Paus. VIII 20, 2. Parthen. 15) und Achilleus auf Skyros gehen in Mädchenkleidung der Geliebten nach. An dem attischen Hymenaios wird die mädchenhafte Schönheit gerühmt (Cornel. Balbus bei Serv. Aen. IV 127; vgl. IV 99: adeo pulcher fuit, ut adulescens puella putaretur). Neben die Darstellung des Hymenaios auf dem pompeianischen Wandbild aus der Casa di Meleagro (Helbig Wandgem. Campan. 855, abgeb. Mus. Borbon. XII Taf. 17. Roscher Myth. Lex. I 2802) tritt eine androgyne Darstellung auf dem bei Roscher Myth. Lex. I 2333 publizierten pompeianischen Wandgemälde. In Argos, wo Frauen in der Brautnacht sich den Männerbart umbinden, wurde in dem Monat Hermaios (gleich dem attischen Gamelion) an dem Neumondstage, der als besonders geeignet für die Hochzeit galt (Nilsson a. a. O. 373), das Hybristikafest gefeiert, bei dem die Männer Frauenkleidung, die Frauen Männertracht trugen (Sokrat. v. Argos bei Plut. de virtut. mulier. 245 E. Polyaen. VIII 33). Philochoros sprach in seiner Atthis (Macrob. Sat. III 8, 3) von einem ähnlichen Fest, bei dem Männer und Frauen ihre Kleidung vertauscht hatten, und bezeichnete die Gottheit dieses Festes als androgyn, indem er sie zugleich in Übereinstimmung mit der von Plat. sympos. 190 B entwickelten Theorie als Mondgottheit deutete. In Phaistos auf Kreta, wo das Ekdysiafest gefeiert wurde, schliefen die Bräute vor der Hochzeitsnacht bei dem Kultbild des von dem schon erwähnten elischen Leukippos im Wesen nicht zu trennenden Leukippos von Phaistos (Nikand. bei Anton. Liber. 17), und dieser galt für androgyn.

Die griechische Sage, wie sie nach dem Ausdruck Herodots II 53 Hesiod und Homer schufen, hat freilich keine Zwittergottheiten anerkannt. Sie behandelt den Androgynismus jenes Leukippos, an dessen Stelle Ovid. met. IX 666ff. Iphis von Phaistos nennt, als einen Wechsel des Geschlechts: Leukippos bezw. Iphis sei als Mädchen geboren und erst später in einen Mann verwandelt worden. Die Sage berichtet von einem ähnlichen Wechsel des Geschlechts bei Kaineus, Teiresias, [716] Siproites, Hypermestra-Mestra, Sithon; sie berichtet auch in verschiedenem Zusammenhang von manchen Helden und Göttern, die hier oder dort Frauenkleidung trugen. Man darf nicht in jedem einzelnen Fall auf alte androgyne Vorstellungen schließen. Allein darüber kann kaum ein Zweifel bestehen, daß der Glaube an mannweibliche Gottheiten auch der älteren griechischen Welt nicht fremd gewesen ist.

In Athen wurde das Interesse an der androgynen Gottheit gegen Ende des 5. Jhdts. neu belebt, sei es durch nähere Beziehungen zu androgynen Kulten von Kypros und Kleinasien, sei es, wie auch vermutet worden ist, durch die künstlerische Lösung des Problems, Männliches und Weibliches in einer Statue harmonisch zu vereinen. Vielleicht hat sich erst damals das Bedürfnis nach einem charakteristischen Sondernamen der Zwittergottheit geltend gemacht. Die bärtige mannweibliche Göttin hieß auf Kypros und in Pamphylien (Joh. Lyd. de mens. IV 64) wohl einfach Aphrodite, wie auch andere Gottheiten, wenn sie gelegentlich androgyn gedacht sind, ihren Namen nicht verändern. In Athen spricht Aristophanes (Macrob. Sat. III 8, 2 gekürzt bei Serv. Aen. II 632) von Aphroditos. Der übliche Name aber wurde H.

Im Gegensatz zu fast allen anderen androgynen Gestalten, kommt H. niemals als eingeschlechtiges Wesen vor. Jeder sah in diesem Namen sprachlich und sachlich eine Bildung wie ἀνδρόγυνος, eine Verbindung der Namen Hermes und Aphrodite (Athen. X 448 e), ein Kind dieser beiden Gottheiten, das in seiner Gestalt das Geschlecht beider Eltern vereinte. So bezeichnen ihn als Kind des Hermes und der Aphrodite z. B. Diod. IV 6, 5. Luc. dial. deor. 15, 2; muscae encom. 12 nebst Schol. Anth. Pal. II 102. IX 783. Joh. Lyd. de mens. IV 64. Auson. epigr. 100. Martian. Capell. I 34 p. 14 Eyss. Myth. Vat. III 9, 2. Remig. bei Myth. Vat. III 11, 18. Ebenso spricht von einer Mehrzahl von Ἑρμαφρόδιτοι als Kindern des Hermes und der Aphrodite Ps.-Lukian. Philopatr. 24. Eine abweichende Genealogie gibt es nicht.

Die einzige Sage, die von H. handelt, will zugleich die Entstehung der Zwitterbildung und die besondere Eigenschaft der Salmakis-Quelle bei Halikarnassos erklären, der eine verweichlichende Wirkung zugeschrieben wurde (vgl. Ennius bei Cic. de offic. I 61 und Fest. s. Salmacis. Strab. XIV 656. Vitruv. II 8, 11). Ovid. met. IV 285ff. beginnt die Erzählung dieser Sage mit dem Hinweis auf die allgemein bekannte Wirkung dieser Quelle: unde sit infamis, quare male fortibus undis | Salmacis enervet tactosque remolliat artus, | discite; causa latet, vis est notissima fontis. Dann erzählt er ausführlich: der Sohn des Hermes und der Aphrodite wurde von Nymphen auf den Ida großgezogen; als er 15 Jahre alt geworden war, durchschweifte er die Länder, auch Lykien und Karian, und kam zu jener Quelle, deren Nymphe Salmakis ihn lieb gewann, wider seinen Willen in das Wasser hinablockte und zur Liebe zwang; ihr Wunsch, ewig mit dem Geliebten vereint zu sein, wird dadurch erfüllt, daß beide zu einem einzigen Zwitterwesen zusammenwachsen; der Quelle aber verleihen Hermes und [717] Aphrodite die nunmehr von H. erflehte Eigenschaft: quisquis in hos fontes vir venerit, exeat inde | semivir et tactis subito mollescat in undis. – Alle sonstigen Erwähnungen dieser Sage gehen einzig und allein auf Ovid. zurück, z. B. Martial. VI 68, 9. X 4, 6. XIV 174. Stat. silv. I 5, 21. Auson. epigr. 69, 11. Ebenso beruht es lediglich auf flüchtiger Lektüre Ovids, wenn Hyg. fab. 271 unter den schönsten Jünglingen nennt; Atlantius, Mercurii et Veneris filius, qui Hermaphroditus dictus est. Der Irrtum entstand daraus, daß Ovid a. a. O. zwar gleich im Anfang deutlich sagt, daß der Sohn des Hermes und der Aphrodite ,nomen quoque traxit ab illis‘ (291), aber den Namen H. hier nicht ausdrücklich nennt; im Vers 368 heißt er Atlantiades wie sein Vater Hermes, den Ovid mehrfach Atlantiades nennt (z. B. met. I 682, II 704. 834, VIII 627), erst im Vers 383 ausdrücklich Hermaphroditus.

Über den Kult des H. ist nur weniges bekannt. Aus dem ältesten Zeugnis, in dem der Name H. vorkommt, Theophrast. char. 16, geht hervor, daß innerhalb des Hauses oft eine Mehrzahl von H.-Bildern aufgestellt war; es heißt hier in dem Abschnitt περὶ δεισιδαιμονίας: καὶ ταῖς τετάρταις δὲ καὶ ταῖς ἑβδομάταις προστάξας οἶνον ἕφειν τοῖς ἔνδον, ἐξελθὼν ἀγοράσας μυρσίνας, λιβανωτῶν πίνακα, καὶ εἰσελθὼν εἴσω στεφανοῦν τοὺς Ἑρμαφροδίτους ὅλην τὴν ἡμέραν. Der vierte Tag ist der Tag des Hermes (Roscher Hermes der Windgott 101), und er ist nach Proklos zu Hesiod. 800 auch ἰερὰ Ἀφροδίτης καὶ Ἑρμοῦ καὶ διὰ τοῦτο πρὸς συνουσίαν ἐπιτηδεία. Wer den H. an diesem Tage verehrt, sieht in ihm den androgynen Hochzeitsgott. Vielleicht hängt die Verehrung am siebten Tage mit der Bedeutung zusammen, die dieser Tag für das neugeborene Kind hat (Roscher Ennead. und hebdomad. Fristen, Abh. d. sächs. Ges. d. W. 1903, 41 ff.). – Ein besonderes Heiligtum des H. ist nur aus dem attischen Demos Alopeke bekannt durch Alkiphron epist. III 37, wo es von der verwitweten Epiphyllis heißt: εἰρεσιώνην ἐξ ἀνθῶν πλέξασα ἤειν εἰς Ἑρμαφροδίτου τῷ Ἀλωπεκῆθεν ταύτην ἀναθήσουσα. Ob dieses Heiligtum im Zusammenhang steht mit dem Kult der Aphrodite von Alopeke (Gruppe Griech. Myth. 885, 8), ist fraglich. Sicherlich aber ehrt die Witwe Epiphyllis mit dem Kranze H. als Hochzeitsgott. – Was Diod. IV 6, 5 über H. sagt, τοῦτον δ' οἱ μέν φασιν εἶναι θεὸν καὶ κατά τινας χρόνους φαίνεσθαι παρ' ἀνθρώποις κτλ., bekundet nur die abergläubische Furcht vor menschlichen Zwitterbildungen.

Zur Erklärung der Namensform . wird seit C. F. Heinrich Commentatio academica, qua Hermaphroditorum origines et causae explicantur, Hamburg 1805, zumeist auf Bildungen wie Hermathene (Cic. ad Att. I 1, 5. 4, 3), Hermerakles (Cic. ad Att. I 10, 3), Hermerotes (Plin. XXXVI 33) verwiesen und vermutet, in Athen seien dereinst ,Hermen des Aphroditos‘ so häufig gewesen, daß daraus der Sondername H. entstanden sei; vgl. Preller-Robert Griech. Myth. I 510 und P. Herrmann Myth. Lex. I 2315. 2319f., wo auch die erhaltenen, allerdings einer späteren Zeit angehörigen hermaphroditischen Hermen aufgezählt sind aus der Sammlung Barracco (Ann. [718] d. Inst. 1884 tav. L), dem British Museum (Ancient marbles X 30. Clarac Musée d. sculpt. 666, 1515 B), in Stockholm (Clarac 668, 1554 A); letzterer entspricht im Typus die bei J. Reinach Répertoire de la statuaire II 526, 1 abgebildete Herme aus dem römischen Kunsthandel.

Berechtigte Bedenken gegen diese Namenserklärung erheben Furtwängler Antike Gemmen III 98 und Gruppe Griech. Myth. 1331, 2. Es ist zweifelhaft, ob Worte wie Hermathene, Hermerakles, Hermerotes im Sinne von Hermen der betreffenden Gottheit in Athen schon im 5. Jhdt. üblich waren, und ebenso zweifelhaft, ob der Name Aphroditos für den androgynen Gott überhaupt der ursprünglich allgemein anerkannte war. Daß H. an dem Hermes-Tage verehrt wurde, weist auf einen nicht nur äußerlichen Zusammenhang mit Hermes. Neben H. tritt der Hermes Epaphroditos (Iulian. or. V p. 179 B). Wenn man Aphroditos – Aphrodite auch nur nach Analogie (vgl. Usener Götternamen 35f.) als ursprüngliches Götterpaar auffassen kann, so sind doch Hermes und Aphrodite oft gemeinsam verehrt worden als πάρεδροι und σύμβωμοι (Kornut. 24. Plut. coniug. praecept. prooem.), wie sie z. B. auch auf dem alten Terrakottarelief aus Unteritalien (abgeb. Ann. d. Inst. 1867 tav. D = Roscher Myth. Lex. I 1351) und auf Münzen von Mallos (Gardner Types of Gr. coins Taf. X 31) nebeneinanderstehen. Gerade solche Orte, mit denen H. in Beziehungen steht oder wo die oben erwähnten Bräuche die Annahme eines älteren mannweiblichen Hochzeitsgottes nahe legen, haben auch gemeinsame Kulte des Hermes und der Aphrodite (vgl. Gruppe Griech. Myth. 1331). So findet sich in Athen z. B. Hermes Psithyristes neben Aphrodite Psithyros und Eros Psithyros (Harpokr. s. Ψιθυριστής), in Halikarnassos gab es ein Heiligtum des Hermes und der Aphrodite (Vitruv. II 8. 11), und in Argos, woher die griechischen Kolonisten von Halikarnassos gekommen waren, standen nicht nur im Heiligtum des Apollon Lykios die Statuen der Aphrodite und des Hermes nebeneinander (Paus. II 19, 6), sondern es scheint auch das oben erwähnte Hybristika-Fest mit dem Kleidertausch der Männer und Frauen dem Kulte der beiden Gottheiten anzugehören; denn es wurde gefeiert im Hermaios-Monat, und die spätere, an Telesilla anknüpfende Legende (s. o. Bd. II S. 735) läßt vermuten, daß es als Hochzeitsfest zugleich jener Aphrodite galt, neben deren Kultbild die Statue der Telesilla stand (Paus. II 20, 8). In Kyllene stand neben Aphrodite das ὀρθὸν αἰδοῖον ἐπὶ τοῦ βάθρου als Ἑρμοῦ ἄγαλμα (Paus. VI 26, 5. Artemidor. I 45. Philostrat. vit. Apoll. Tyan. VI 20 p. 120). H. vereint das hier getrennte in seiner Gestalt. An einem der Kultorte des Götterpaares Hermes-Aphrodite dürfte für den androgynen Hochzeitsgott nach Analogie der Wortbildung ἀνδρόγυνος der Name . gebildet sein zugleich mit der Sage, daß er ein Sohn jenes Götterpaares gewesen sei, wie Eros nach dem Götterkatalog bei Cic. nat deor. III 60.

Weil das ungewöhnlich gebildete Wort die ungewöhnliche Zwittergestalt so deutlich charakterisierte, wurde es nachmals auch adjektivisch als ἑ. ,hermaphroditisch‘ im Sinne von ἀνδρόγυνος gebraucht für menschliche und tierische Zwitterbildungen [719] (Plin. VII 34. XI 262. Gell. noct. Att. IX 4, 16. Myth. Vat. III 9, 2), zur Kennzeichnung mann-weiblicher Bildung für Priapos. (Mnaseas bei Schol. Lukian. Iup. trag. 6), Sardanapalos (Schol. Lukian. dial. meretr. 6. 2), Adagyus (Hesych. s. Ἀδαγυοῦς), dann auch für eine besondere Redeweise (Ioh. Lyd. de mensib. IV 64: τὸν εὐφραδῆ καὶ ἀστεῖον λόγον, τὸν ἐξ ἡδονῆς τὸ τραχὺ θηλύνοντα; Myth. Vat. III 9, 2: quandam sermonis lascivitatem, quia plerumpue neglecta veritatis ratione superfluus sermonis ornatus requiritur). Über die Verwendung des Wortes in unzüchtigen Beziehungen, vgl. Suid. und Etym. Magn. s. v., Suid. und Hesych. s. ἀνδρόγυνος, Lukian. dial. meretr. 5, 3. Anth. Pal. IX 317. Nach Analogie von . bildet Palladas Anth. Pal. XI 353 das Wort Ἑρμοπιθηκιάδης.

Hermaphroditische Darstellungen waren seit dem 4. Jhdt. überaus beliebt und blieben es in der ganzen hellenistisch-römischen Zeit. Im Privathaus (Theophrast. char. 16), in Gymnasien (Anth. Pal. II 102), in Baderäumen (Anth. Pal. IX 783: ἀνδρογύνοις λουτροῖς. Martial. XIV 174) als Statuen, Hermen, Statuetten, als Wandgemälde (Helbig Wandgem. Campan. 1368ff.), als Schmuck an Geräten, überall finden sich hermaphroditische Gestalten. Die beste Übersicht über die verschiedenen Typen gibt P. Herrmann Myth. Lex. I 2319ff.; weiteres J. Reinach Cultes, mythes et religions II 319ff.; die statuarischen Typen bei Clarac Musée de sculpture Taf. 666–672. Reinach Répert. de la statuaire II 176ff. III 54 u. ö., vgl. den Index IV 596.

Stets ist H. jugendlich dargestellt, im 4. Jhdt. als schöner Jüngling mit weiblicher Brust, später erst als Aphrodite mit männlichem Glied. Je stärker die weibliche Bildung im ganzen Körperbau, zumal durch das breitere Becken, betont wird, desto widernatürlicher wirkt die Zwittergestalt. Nicht jede hermaphroditische Darstellung gilt dem Einzelwesen H.; neben hermaphroditischen Eros-Figuren (z. B. aus Myrina, Pottier und Reinach Nécropole de Myrina) gibt es z. B. den hermaphroditischen Dionysos mit Thyrsos und Kantharos auf einem Ring aus Sizilien, den Furtwängler Antike Gemmen Taf. X 50 dem 4. Jhdt. zuweist, dann den hermaphroditischen Satyr aus Pompeii (Clarac 671, 1731. Gerhard Neapels ant. Bildw. 427), hermaphroditische Priapos-Figuren und andere. Aber auch die meisten anderen Darstellungen der späteren Zeit gestatten keine näheren Schlüsse auf das Wesen des H. Denn in der Vorliebe für die Zwitterbildung und in mehr oder minder lasciver Absicht gestaltete man ältere Typen in hermaphroditische um. So wird aus der von Eroten umgebenen ruhenden Aphrodite ein von denselben Eroten-Typen umgebener ruhender H., vgl. die Kline aus Südrußland (Stephani Compte rendu 1880, 93 Taf. IV 10) und Gemmen des British Museum (Furtwängler Ant. Gemm Taf. LVII 23. Roscher Myth. Lex. I 2328), des Berliner Museums (Furtwängler Beschreib. d. geschnitt. Steine in Berlin nr. 3911f. 11167. 11242), sowie weitere Repliken (Stephani a. a. O. 1869, 185, 9). Aus der schlafenden Mainade (in Athen, abgeb. S. Reinach Cultes II 329; Répert II 400, 1–3) wird der bekannte schlafende H. des Thermen-Museums in Rom (Mon. [720] d. Inst. XI 43. Reinach Répert. II 177, 9), mit den Repliken in der Villa Borghese, im Louvre, in der Ermitage in Petersburg und in Florenz; vgl. Kieseritzky Ann. d. Inst. 1882, 245ff. Friederichs-Wolters Gipsabgüsse ant. Bildw. 1481. Roscher Myth. Lex. I 2330. Reinach Répert. I 153, 1–3. 371. II 178, 1. 5. Die tanzenden hermaphroditischen Gestalten mit dem Thyrsos auf Reliefs aus Athen und Rom (Ann. d. Inst. 1882 tav. V und W) haben ihre Vorbilder in anderen tanzenden Gestalten des dionysischen Kreises. Und dieselbe Umgestaltung älterer Typen in hermaphroditische hat Reinach Cultes II 319ff. auch an anderen Beispielen nachgewiesen, so z. B. für die dort von ihm S. 321 und 335 publizierten Bronzen aus Pont-Sainte-Maxence und Rom, die hermaphroditische Gestalten zeigen, welche mit beiden Händen eine Schale vor sich hielten, wie bekannte Nymphen-Statuen. Manche Motive werden von Priapos-Darstellungen auf H. übertragen. Wie Aphrodite sich oftmals auf Priapos oder Priaposhermen stützt, so stützt sich die sitzende Aphrodite einer attischen Terrakotta auf einen kleinen nackten. H. (Gerhard Ges. akad. Abhandl. Taf. LIII. 5); wie Priapos Eroten im Bausch seines Gewandes hält, so auch H. (Clarac 670, 1548); wie Priapos mit beiden Händen das Gewand hebt, um das Glied zu zeigen, so wird auch H. häufig in Statuen (z. B. Clarac 667, 1549 A. 670, 1549), Hermen (Clarac 668, 1554 A. Reinach Répert. II 526, 1) und Statuetten (Reinach Cultes II 325) dargestellt. Auf einem Wandbild aus Pompeii, das die Schmückung des H. schildert (Helbig Wandgem. Campan. 1369, abgeb. Arch. Ztg. 1843 Taf. V. Daremberg-Saglio Dictionn. des antiquités III 138 nr. 3822), hält übrigens Priapos selbst dem H. den Spiegel vor (vgl. Furtwängler Samml. Sabouroff Text zu Taf. 127).

Das lascive Spiel, das die Phantasie der Künstler mit der Gestalt des H. trieb, zeigt sich am deutlichsten in den von P. Herrmann a. a. O. 2336ff. behandelten Gruppenbildern. Bald sucht ein Eros dem H. das Gewand fortzuziehen (Furtwängler Ant. Gemm Taf. XXXI 32), bald staunen Satyrn oder Pan über die Zwittergestalt, und in verschiedenen Gruppen, deren Repliken die Beliebtheit der Typen bekunden, wird dezenter oder obszöner der Liebesverkehr zwischen H. und Satyrn oder Pan geschildert. H. ist ganz in den dionysischen Kreis hineingezogen, wie er auch bei Clem. Homil. V 15 unter den Lieblingen des Dionysos genannt wird. Am anmutigsten gibt dies das Relief aus dem Palazzo Colonna in Rom wieder (Schreiber Hellenistische Reliefbilder Taf. XV), auf dem der noch ganz als Jüngling mit weiblicher Brust gebildete H. einen Eros auf dem Arm hält, der eine Dionysos-Herme bekränzt.

Unter der verhältnismäßig geringen Zahl von statuarischen H.-Typen, denen der Charakter eines eigentlichen Kultbildes zukommen könnte, nimmt den ersten Platz ein die Statue in Berlin nr. 193 (abgeb. Clarac 669, 1546 C. Roscher Myth. Lex. I 2324. Furtwängler Über Statuenkopien, Abh. d. Akad. Münch. 1896 Taf. XII. Kekule Griech. Skulptur 284; über Repliken vgl. auch Friederichs-Wolters a. a. O. 1482. P. Herrmann a. a. O. 32 24): der jugendliche H. ist völlig unbekleidet, nur auf dem Kopf trägt er über dem [721] halblangen Lockenhaar ein charakteristisches Kopftuch; dieses Tuch allein und die mädchenhaft gestaltete Brust kennzeichnen die Figur, die in ihrer sonstigen Bildung dem künstlerischen Jünglingstypus aus der ersten Hälfte des 4. Jhdts. entspricht, als Zwitterwesen; das von einem Gewandstück bedeckte Gefäß, das der Marmorstatue als Stütze dient, fehlte bei dem vermutlichen Bronze-Original. Furtwängler a. a. O. 582 und Amelung Antiken in Florenz 261 nehmen wohl mit Recht an, daß das Original jene Bronzestatue des Polykles (und zwar des älteren Polykles) war, die Plin. XXXIV 80 mit den Worten rühmt: Polycles Hermaphroditum nobilem fecit.

[Jessen. ]