Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen

Textdaten
Autor: Wilhelm Löhe
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Titel: Ein Conferenzvortrag in Betreff der Rosenmonate heiliger Frauen
Untertitel: Besonderer Abdruck aus dem Correspondenzblatt für innere Mission nach dem Sinne der lutherischen Kirche.
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Entstehungsdatum: 1860
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: S. G. Liesching
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
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Ein Conferenzvortrag
in Betreff der
von dem
Verfasser derselben.


Besonderer Abdruck aus dem Correspondenzblatt für innere
Mission nach dem Sinne der lutherischen Kirche.

Stuttgart.
Verlag von S. G. Liesching.
1860.


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Ein Conferenzvortrag
in Betreff der
Rosenmonate heiliger Frauen.


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Ein Conferenzvortrag
in Betreff der
Rosenmonate heiliger Frauen
von dem
Verfasser derselben.


Besonderer Abdruck aus dem Correspondenzblatt für innere
Mission nach dem Sinne der lutherischen Kirche.

Stuttgart.
Verlag von S. G. Liesching.
1860.


| |  Wenn ich mir erlaube, unsere heutige Versammlung mit einem Vortrage über die am Schluße des vorigen Jahres erschienenen Rosenmonate zu eröffnen, so kann es scheinen, als bringe ich einen Gegenstand zur Sprache, welcher ebenso wenig für eine Pastoralconferenz, als für unsere Gesellschaftsconferenz geeignet ist. Dennoch aber wage ich es, und zwar in der Meinung, daß dasjenige, was ich zu sagen habe, unter den Umständen, die nun einmal vorhanden sind, allerdings nicht blos für eine Pastoralconferenz, sondern auch für unsere Gesellschaft von einigem Werth sein kann. Die Rosenmonate haben so vielen Widerspruch erregt und Gegner von so ehrenwerthem Charakter gefunden, daß es weder meinen theuern Freunden, noch der Gesellschaft, deren Obmann ich bin, gleichgiltig sein kann, wie ich mich gegen den erhobenen Widerspruch verhalte. Sind die Rosenmonate wirklich das sträfliche Unternehmen, wofür sie von ihren Gegnern gehalten und ausgegeben werden, so kann ich Ihr Obmann fernerhin nicht sein, und Sie selbst, meine theuern Freunde, müßen mir wenigstens so lange den Rücken kehren, bis ich Buße thue. Das angefochtene Buch soll ja in römischem Sinne geschrieben sein, oder mindestens| Sinn, nach Vollständigkeit zu ringen; auch verwechselte ich weder in dem einen noch in dem andern Falle meine Aufgabe mit der eines sogenannten historischen Schriftstellers; ich wußte vornherein, daß ein jeder andere alles anders gemacht haben würde, und glaube, daß auch Principien diejenigen, welche sie haben, nicht so urtheilen und darstellen lehren, daß auch nur die Menschen von gleichem Princip mit ihnen durchweg zufrieden wären. Es ist ein großer Unterschied zwischen der Aufstellung eines Princips und der richtigen Anwendung desselben. Ich will das hier nur im Vorübergehen erwähnen, weil man unter anderem auch gesagt hat, meine Arbeit sei principlos. Also wolan, noch einmal, ich gestehe gerne zu alles, was man beweist; was falsch ist, will ich von dem Augenblick an, in welchem ich es erkenne, nicht für recht ausgeben, am wenigsten, wenn ich selbst falsch aufgefaßt und geredet habe. Worauf es mir ankommt, ist gar nicht mein Buch, sondern allein dasjenige, was ich mit demselben gewollt und beabsichtigt habe.
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 Theilweise kann meine Absicht schon aus dem Buche selbst erkannt werden; ich habe ja bereits am Eingange des Vorworts an die Leserin nicht verschwiegen, daß diese Lebensläufe im Zusammenhang mit dem Calendarium sanctorum entstanden sind, welches sich im zweiten Theile meines Hausbuchs findet. In dem Calendarium finden sich Calendernamen, die sich überall finden, und weil in verschiedenen Calendern verschiedene stehen, so habe ich es für gut gehalten, für manchen Tag mehr als einen Namen zu verzeichnen.| Ich bin dabei weder allein römischem, noch blos lutherischem, sondern auch uniertem, oder blos irgendwie protestantischem Vorgang gefolgt; denn die verschiedenen Parteien alter und neuer Zeit haben es ebenso gemacht. Um das, was ich sage, für die lutherische Kirche zu bezeugen, brauche ich nur z. B. auf den im Jahre 1559 zu Frankfurt a. M. erschienenen Kirchenkalender von Caspar Goltwurm hinzuweisen, der für jeden Tag eine oder etliche kurze Lebensbeschreibungen alter Christen darlegt. Für die neuere Zeit wird es hinreichen, auf den im Verlag der Decker’schen geheimen Oberhofbuchdruckerei zu Berlin erschienenen „Vergleichenden Kalender für 1855“ zu verweisen, welcher in seinem ersten Hauptrubrum unter dem Namen „Deutscher Kalender“ für jeden Tag einen oder mehrere Namen von ausgezeichneten Christen der alten Zeit benennt. Was hat man von diesen Namen, wenn man nicht weiß, wem sie angehören? Und wozu sollen Kalendernamen dienen, besonders für uns, die wir nicht mehr von Jugend auf den Cisio Janus lernen, nicht mehr gewohnt sind, mit diesen Namen die Tage zu bezeichnen und zu zählen, sondern uns längst angewöhnt haben, mit der puren Zahl zu zählen? Entweder laße man die Namen weg, oder man lerne sie kennen, und behalte sie alsdann oder merze aus und setze andere an die Stelle, zu denen man größere Lust hat. Wozu eine unverstandene Reliquie alter Zeit mit sich fortschleppen? Unsere Väter haben mit Bewußtsein die alten Kalender ihrer Gegenden, welche mehr oder minder auf dem Römischen| fußen, beibehalten und mit in die neue lutherische Zeit herübergenommen. Sie lebten noch in der Zeit, wo die Kalendernamen mehr sagten, als jetzt, wo man unter jedem Namen eine Person dachte und etwas von ihr wußte, und sie waren zu verständig, als daß sie das große Bildungsmittel, welches man im Kalender für das Volk besitzt, hätten wegwerfen mögen, ohne daß es doch in ihrer Macht gewesen wäre, etwas anderes und beßeres dafür zu geben. Die Kalenderlitteratur der lutherischen Kirche ist nicht so arm, als es denen scheint, die sich nie darum bekümmert und sie nie kennen gelernt haben; wer sie kennt, der sieht wohl, daß man den großen Schatz volksmäßiger Historie, welcher im Kalender vorliegt, in der That hoch und theuer gehalten hat, und ihn durchaus nicht vergraben oder aus dem Gedächtnis kommen laßen wollte. Man hat in der neuen Zeit mit Recht den Gedanken, Geschichte in Biographieen zu lehren, beglückwünscht; der Gedanke ist vortrefflich, aber neu ist er nicht, sondern die alte Kalenderlitteratur der lutherischen und anderer Kirchen ist die echt volksmäßige Ausprägung desselben, welche zugleich Maß und Ziel an Hand gibt. So wie der Kalender in seinem ersten Theile ganz richtig anzeigt, wie viel Himmelskunde in Schulen gelehrt werden sollte, so zeigen die Kalendernamen im zweiten deutlich an, wie viel aus der Geschichte der Kirche ins tägliche Leben der Schule und des Volkes übergehen sollte. Es kann keine schönere Vereinigung von Natur und Gnade geben, als den Kalender, so wie er uns überliefert ist, mit seinen Zeichen,| Zeiten, Tagen und Jahren und mit seinen Sternen am Natur- und Gnadenhimmel. – Das Volk hat auch etwas am Kalender und schätzt ihn, so wenig es ihn gegenwärtig versteht und kennt. „Wer wohl kalendern kann, sagte mein alter Nachbar zu mir, der kommt durch die ganze Welt.“ Er hätte noch mehr sagen können, wenn er es recht verstanden hätte. Das Verständnis der Kalendernamen zu geben, ist die Absicht der erklärten Kalender alter und neuer Zeit, war auch meine Absicht bei Herausgabe der Rosenmonate. Zwar habe ich nur weibliche Kalendernamen vorgelegt, aber doch Kalendernamen, und wenn etwas ungewohntes an meinem Beginnen ist, so sollte es durch die kleine Zahl der Namen gemindert und entschuldigt werden, anstatt so großes Aufsehen zu machen. Es könnte sich der ganze Kreis der Freunde und die ganze Gesellschaft für innere Mission ohne Tadel mit mir vereinigen, sofern ich dem Volke seine gewöhnlichen Kalendernamen wieder auferwecken und zu eigen geben will. Auch wenn die genauere Kenntnis die Wirkung haben sollte, daß mancher Name aus den protestantischen Kalendern verwiesen, also der Kalender gereinigt und beßer würde, als ihn unsere Väter zu geben verstanden, welche alle die Namen im Kalender ließen, die gegenwärtig anrüchig geworden sind; so würde das doch nur eine gute Folge des Unternehmens sein; das Volk würde nicht blos seinen alten Schatz wiederbekommen, sondern es würde ihn auch gesäubert und gereinigt besitzen.
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|  Indem ich nun auf diese Weise die eigentliche Absicht, welche ich bei den Rosenmonaten hatte, darlegte, war mir ganz wohl bewußt, daß dieselbe vielen meiner Gegner an sich keineswegs widerwärtig war. Vielleicht erkennen manche die Absicht nicht blos an, sondern dürfen noch überdies behaupten, daß sie dieselbe schon längst gehegt und gepflegt hätten, nur in anderer Weise; und das wird nun eben der Tadel sein, der mich treffen soll, die Art und Weise, wie ich die alten Heiligen der Gegenwart wieder vorführe. Man fühlt den Rosenmonaten ein sehr verschiedenes historisches und kirchliches Urtheil ab. Nicht blos einzelne Züge in den Lebensläufen der Heiligen; sondern die ganze Würdigung der alten Zeit ist eine andere, als die gewohnte protestantische, und das kirchliche Urtheil sieht gleichfalls demjenigen nicht ähnlich, welches man in andern Büchern dieser Art findet. Andere Protestanten der neueren Zeit erzählen auch Heiligenleben, zum Theil dieselbigen Heiligengeschichten, wie ich, aber kein Mensch nimmt daran Anstoß, weil in der gewohnten protestantischen Weise alles und jedes nach dem Vorgange der historischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts erzählt ist. Wenn etwas daran läge, könnte ich anschließend an die letzten Sätze fast alles dasjenige vorbringen, was man an meinem Buche getadelt hat. Ich will aber lieber meinen Sinn erklären und einem jeden von den theuern Brüdern es selber überlaßen, meine Thesis durch Vergleichung mit dem Urtheile anderer zur Antithesis zu machen.
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 Ich läugne also gar nicht, daß mein historisches| und kirchliches Urtheil sich vielfach von dem meiner Brüder unterscheidet; vielmehr gestehe ich es zu, und bekenne, daß der Unterschied meinerseits ein völlig bewußter ist: ich billige nicht allewege das gewöhnliche historische und kirchliche Urtheil und theile es nicht; habe dabei auch die vollkommene Ueberzeugung, daß das gewöhnliche Urtheil keineswegs die nothwendige Folge unserer Bekenntnisse ist, sondern daß es sehr häufig weniger das Gepräge der Wahrheit, als das einer parteiischen und zum Theil fanatischen Auffaßung derselben trägt. Ich verwahre mich dagegen, daß man etwa aus diesen meinen Worten entweder eine Verwerfung alles historischen Urtheils, oder eine hochmüthige und übermüthige Schätzung meines eigenen Urtheils demonstrire. Es ist nicht möglich auf einem Gebiete, auf dem es sich um die Beurtheilung einer so großen Menge von Thatsachen und Personen handelt, einen so leuchtenden Canon aufzustellen, daß er für alle einzelnen Fälle gleich für den ersten Blick giltig und durchschlagend wäre. Auf dem Gebiete des Lebens ist alles kasuistisch und es fallen daher manchmal die ähnlich scheinendsten Dinge dennoch unter ein verschiedenes Urtheil. Eben deshalb ist es vornherein leicht zuzugeben, wenn ich sage, daß das Verhältnis des reinen Gegensatzes und des Streites, in welchem ja unsere Väter gestanden haben, und in welchem auch wir noch stehen, das Urtheil trüben kann, und daß daher auch eine nachfolgende Zeit hie und da einmal anders urtheilen darf, ja muß, als eine vorausgegangene, vielleicht beßere Zeit. Es muß daher auch nicht eine ungebührliche| Kühnheit sein, wenn man das Urtheil vergangener Tage verläßt, obwohl man auch nicht läugnen kann, daß neuere Urtheile ebenso wohl irren können als frühere, und daß sich daher derjenige, der es wagt, anders zu urtheilen als seine Brüder, möglicher Weise zugleich durch Impietät gegen die Väter und gegen die Wahrheit versündigen kann. Ich finde es daher auch ganz in der Ordnung, wenn man es mit meinem historischen und kirchlichen Urtheil scharf nimmt; ich will es auch durchaus nicht anders, denn ich wünsche, daß der Wahrheit vor allen Dingen gedient werde, und habe in der That mit allem, was ich geschrieben habe, nichts anderes, als das im Sinn gehabt. Nur kann ich mich meines Urtheils nicht begeben, so lange ich mich nicht als überwunden erkennen kann; bis dahin aber scheint es noch gute Weile zu haben, weil man sich das Wahre, was in meiner Meinung liegt, noch zu wenig angeeignet hat, als daß man mir und andern von meines Gleichen in unserem Vorgehen Maß und Ziel setzen könnte. Es gehört mehr dazu, als der bloße Gegensatz und ein kräftiges Nein, wenn mein Urtheil im Ganzen und im Einzelnen fallen soll.

 Um nun deutlicher zu werden, will ich etwas eingehender sagen, was ich an dem gewöhnlichen historischen und kirchlichen Urtheil auszusetzen habe.

 An dem gewöhnlichen historischen Urtheil setze ich aus, daß Personen und Thatsachen so häufig im Parteisinn und Parteiinteresse aufgefaßt sind, und dadurch die Geschichte eine ganz andere Gestalt gewinnt, als sie nach den vorhandenen Quellen| wirklich hat. Es ist überhaupt mit der Historie, der menschlichen Geschichtsschreibung, so eine Sache. Man legt auf Augen- und Ohrenzeugnis, auf Berichte der Gleichzeitigen, auf Acten und Documente einen so großen Werth, und man muß ja wohl zugestehen, daß man immerhin für historische Dinge darauf sollte den größten Werth legen können. Dennoch aber, wie oft muß man über das Augen- und Ohrenzeugnis auch wohlwollender Menschen erstaunen; wie wenig verstehen oft die Zeitgenoßen und Mitlebenden gerade dasjenige, was der Herr der Geschichte und der Geist der Zukunft unter ihnen bildet und vorbereitet; wie ungründlich und unwahr sind oft private Berichte und öffentliche Acten; wie wenig Verlaß gewährt oft die ganze Darstellung einer Begebenheit oder die Auffaßung einer Persönlichkeit: wie viel Staub und Dunkel, wie wenig Licht und Wahrheit ist oft in dem geltenden Urtheil des Tages: wie ganz anders wird dermaleins im Lichte der Ewigkeit, im Ganzen, besonders aber im Einzelnen der Weg Gottes in der Geschichte sich zeigen; wie werden wir enttäuscht werden, wenn uns jenseits die Sonne der Wahrheit aufgeht! Ich bin ein großer Freund geschichtlicher Studien und schätze sie neben dem Studium der heiligen Schrift am höchsten. Ich weiß, wie viel gerade auf diesem Gebiete unser Zeitalter geleistet hat und täglich leistet, rühme es und freue mich darüber von Herzen; es ist mir aber auch klar, und zwar gerade auf dem Wege des Lesens und Studierens klar geworden, daß sich in der Geschichtsschreibung neben den Vorzügen auch die Mängel| einer jeden Zeit und eines jeden Geschichtsschreibers am allermeisten zeigen und daß die Unvollkommenheit und die Sünde der Menschen den größten Einfluß auf die geschichtliche Auffaßung gehabt hat und noch haben. Die pragmatische, gewißermaßen teleologische Darstellung der Geschichte und die historische Kunst, welche ich dennoch selbst unter den irdischen Dingen sehr hoch anschlage, geben dem jeweiligen religiösen, sittlichen, politischen Standpunkt eine so große Macht und Weitschaft, daß man vollkommen berechtigt ist, dem Leser historischer Schriften ein „Trau, schau, wem“ zuzurufen.
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 In der ersten Zeit unserer lutherischen Kirche war man von den Sünden der modernen Kritik allerdings fern. Wenn meine Gegner die Art und Weise kennen würden, wie damals Heiligengeschichten behandelt wurden, würden sie gewiß nicht sagen dürfen, daß ich aus der Väter Art geschlagen sei: Luther und die Seinen haben die Nachrichten früherer Zeiten im Allgemeinen gläubiger angesehen und behandelt, als ich, der ich ein Kind des 19.&nbap;Jahrhunderts und darum auch ein Erbe und Theilhaber des gleichen kritischen Unglaubens bin. Doch das nur nebenbei, zurück zum Faden: ich wollte sagen, nicht der kritische Unglaube der gegenwärtigen Zeit sei bei den Protestanten der ersten Zeit zu finden; man findet ihn eben so wenig, als die historische Kunst unserer Tage; dagegen aber findet man Leidenschaft genug, und wo die Leidenschaft nicht das Auge blendete, sah man dennoch oft nicht hell und klar, wenn es sich um historische Zustände handelte, die von denen der Reformationszeit| sehr verschieden waren und der Zeit ferner lagen, deren Tag gerade noch im Verlauf war. Wer sich davon überzeugen will, der vergleiche nur einmal die Darstellungen des Gnosticismus, wie sie von den ersten christlichen Jahrhunderten her, aus der reformatorischen, und aus der jetzigen Zeit vorliegen. Dieselben Dinge werden durch die verschiedene Darstellung so verschieden, daß sie nicht mehr dieselben sind.

 Was insonderheit die Geschichtsschreibung unserer Zeit anlangt, so ist sie bis zur Stunde noch vom Rationalismus durchzogen und bestimmt. Sie theilt ein und dasselbige Schicksal mit andern Wißenschaften, z. B. mit der Pädagogik, die ja auch noch unter dem gleichen Joche seufzt, ja der Theologie selber, deren Principien- und Systemreiterei mit der Geistesplage des Rationalismus auf das innigste verwandt ist.

 Mein Protest gegen den Rationalismus der Geschichtsschreibung hat allerdings für niemanden einen Werth, aber es gereicht mir dennoch vor Ihren Ohren, meine theuern Freunde, zum Vortheil, sagen zu können, daß er verhältnismäßig schon ziemlich alt ist, wenn ihn auch niemand als Gott und meine nächsten Freunde gehört haben: er geht bis in meine Studentenjahre zurück, und ist also über 30 Jahre alt. Schon damals wurde mein Vertrauen zu der gewöhnlichen protestantischen Geschichtsschreibung erschüttert: ich hatte mir z. B. herausgenommen, zu untersuchen, wie die Darstellung der Person und des Werkes des sogenannten Apostels der Deutschen, Bonifacius, mit den Quellen stimmte, und wurde beim Studium entrüstet über die Keckheit einer so| schwachen Zeit, wie die unsrige ist, gegenüber einem solchen Helden und solchen Thaten. Seitdem traute ich der Subjectivität der Geschichtschreiber nicht, und oft gerade dann am wenigsten, wenn sie das größte Vertrauen in Anspruch nahmen und die Genesis einer Geschichte vom Keim bis zur Frucht entwickelten; ich sah wohl, daß es dieser Kunst und Tugend der neuen Zeit wie jeder Tugend gieng; denn die nächste Anwohnerin einer jeden Tugend ist die entgegengesetzte Schwachheit, in die sie überschlägt.
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 Sie wißen, verehrte Freunde, mit was für einem Hohne zuweilen ein Wort von mir aufgenommen wird, und Sie werden sich daher nicht wundern, wenn ich, wie durch eine weissagende Hallucination des Gehörs, die höhnende Stimme meiner Gegner vernehme: „Also sollen die Rosenmonate die richtige Geschichtsbetrachtung zeigen, und wenn die schwarze Maria am Jordan Wunder thut, oder die Nachtgesichte Theodots, des Schenkwirths, erzählt werden, so werden die Historiker Deutschlands von dem Dettelsau her belehrt, wie man die Erzählungen des Alterthums erzählen und auffaßen müße!“ Ich denke nicht nöthig zu haben, auf solchen Hohn zu antworten. Es ist mir nicht eingefallen, die richtige Auffaßung geschichtlicher Personen und Thatsachen in den Rosenmonaten an Beispielen zu zeigen, oder meine Arbeit für nachahmenswerth auszugeben. Ich wollte nur sagen, warum ich nicht der gewöhnlichen Geschichtsbetrachtung folgte, und bin zufrieden, wenn an die Stelle meiner Verkehrtheit die rechte Betrachtungsweise tritt, die leidenschaftlose,| nach allen Seiten hin gerechte und billige und wahre. Für den Vortheil, an meinem Theil dem Rationalismus in der Geschichtsbetrachtung gegenüber gestanden zu sein, laße ich mir ganz gerne sagen, daß ich auf der rechten Seite das wahre Maß so wenig gefunden habe, wie andere auf der linken.
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 Was insonderheit die Wunder anlangt, so werde ich die Wunder der nachapostolischen und späteren Zeit ebenso wenig denen Christi oder auch nur seiner Apostel gleich setzen wollen, als es mir gefällt, wenn Männer und Frauen der jetzigen Zeit, welche mit einem gewißen Maße der Gabe Kranke zu heilen betraut sind, ihre Heilungen denen Christi und Seiner Apostel zur Seite stellen und von den Leidenden Glauben fordern, wie der Heiland. Ebenso wenig aber wird es mir einfallen, alles zu läugnen, was das Alterthum eben so einmüthig erzählt, als die gegenwärtige Zeit einmüthig bemistraut. In meinen Augen ist nicht alles Wunderbare ein Wunder. Wenn Trajan durch Aufstellung seines Fußes heilte, oder Könige von Frankreich die königliche Krankheit wegnehmen konnten; so laße ich es ohne Bemerkung passieren, aber auch ohne hohe Verwunderung, geschweige daß ich es für ein Wunder sollte gelten laßen. Wenn zwei dasselbe thun, ist es nicht dasselbe, so sehr es auch scheine. Es gibt eine natürliche Kraft des Menschen über die Creatur und hie und da einmal auch eine Uebermacht des Geistes über die Leiblichkeit, die man wahr und wunderbar nennen kann, ohne daß sie ein Wunder ist. Eine solche Kraft findet sich bei Heiden, warum denn nicht auch bei Christen, unter denen doch| manche es bis zu einer solchen hohen Meisterschaft der Gewalt über sich selber gebracht haben, und zu einer so großen und intensiven Spannung ihres gesammten inneren Lebens, daß es mich nicht Wunder nimmt, wenn von ihnen irgendwie die Creatur bewältigt wurde. Es wird kein Wunder sein, so wunderbar es sein wird, wenn dermaleins der Mensch die anerschaffene Macht über die Welt wiederbekommen wird; ebenso wenig ist es ein Wunder, wenn dieser Beruf und die in dem Menschen liegende verborgene Fähigkeit, der Creatur Meister zu werden, hie und da einmal hervortritt und ein paar Strahlen von dem Lichte zeigt, in welchem sie dermaleins wandeln wird. Mir ist es beim Lesen vieler wunderbaren Ereignisse im Leben alter und auch neuer Christen immer so gegangen, daß mich dünkte, ich müßte vieles unbekrittelt stehen laßen, ohne es deshalb ein Wunder zu nennen, oder es in dem Sinne für wunderbar auszugeben, wie die großen Thaten Jesu. Ich glaube von Herzen, daß „der Herr Wunder thut alleine“, obwohl ich auch gestehe, daß ich weder in der Schrift noch sonst Grund finde, die Hand des Herrn gegenwärtig für verkürzt zu halten, oder anzunehmen, daß der Brunnen Seiner Wunder ganz und gar versiegt sei. Ich behalte mir daher vor, in den Geschichten der Alten manches mit Stillschweigen zu übergehen, was als Wunder erzählt wird, für manches eine Erklärung gelten zu laßen, einiges auch anzuerkennen als Zeugnis der Mithilfe Gottes für seine Knechte und Mägde, ohne es den göttlichen Wundern gleich zu stellen, aber auch ohne andern zuzumuthen,| daß sie meines Urtheils seien. Ich habe auch in den Rosenmonaten in diesem Sinne manche Erzählung des Alterthums wiedergegeben, gestehe aber gerne zu, daß es weise und obendrein leicht gewesen wäre, durch einige passende Bemerkungen diejenige Deutung meiner Erzählungen zu verhüten, die ich hinterher erfahren mußte, ohne mich innerlich getroffen zu fühlen. Das ist ja ohnehin leicht zuzugeben, daß ich alle meine Absicht mit größerer Weisheit hätte verfolgen sollen, und mit weniger Hoffnung auf diejenige Deutung meines Vortrags, welche ich mir wünschen konnte.
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 Laßen Sie mich nun auf die Differenz übergehen, welche sich zwischen mir und manchem meiner Freunde rücksichtlich des kirchlichen Urtheils findet. – Um nun diese darzulegen, muß ich erst sagen, was ich unter kirchlichem Urtheil verstehe. Kirchliches Urtheil ist mir hier nichts anderes, als: Urtheil über die Zugehörigkeit zur Kirche, nemlich zu der unsichtbaren. fragt sich nemlich, wie soll ich mir das Verhältnis z. B. der in den Rosenmonaten vorgeführten Personen zu dem Haufen derer denken, die da selig werden? Muß ich mir denken, daß, um recht in das Mittelalter hinein zu greifen, eine Hildegard, Hedwig, Elisabeth, eine Adelheid, Mathildis, Ida von Boulogne u. dgl. unter diejenigen gehören, auf welche des Apostels Spruch paßt: „Alles ist euer?“ Darf ich hoffen, sie im Himmel bei dem HErrn zu finden? Oder was soll ich mit ihnen anfangen, wenn die Frage abgehandelt wird, wer zu der Kirche Gottes gehöre? Selbst wenn die Lebenszeit solcher| Christen, wie etwa der Theresia a Jesu, in die Jahrhunderte nach der Reformation fiele, also in die Jahrhunderte des hellen Gegensatzes zwischen der römischen Kirche und den verschiedenen protestantischen Kirchen, würde ich so schnell mit der Antwort nicht fertig werden, wie mancher andere. Wie viel weniger werde ich leichthin urtheilen dürfen, wenn es sich um Persönlichkeiten handelt, welche die Gnade der Reformationszeit, das helle Licht der Lehre von der Gerechtigkeit allein aus Glauben gar nicht kannten, denen bei ihrem Bibellesen rücksichtlich dieses Punktes die Augen durch die Ansicht ihrer Zeitgenoßen und der vorangehenden Zeit getrübt waren, die in gar keinem bewußten, ja kaum in einem unbewußten Gegensatz gegen dieselben standen. Sie konnten eben so wenig Lutheranerinnen, als Feinde des lutherischen Glaubens sein, weil es eine lutherische Kirche damals noch nicht gab; wohl aber sehe ich bei vielen unverkennbar, daß sie trotz der Klippen der eigenen Gerechtigkeit, von denen ihre Fahrt beirrt ward, dennoch die Gnade in Christo Jesu suchten, voll Glaubens, Liebe und Andacht an Jesu Christo hiengen, mit uns Protestanten demselben Teufel und derselben Welt entsagten, denselben dreieinigen Gott anbeteten, denselben menschgewordenen und gekreuzigten Erlöser Jesus Christus für ihren einzigen Helfer erkannten, Sein Leiden ein Paradies ihrer Freuden sein ließen, und an den Gnadenmitteln hiengen, so weit ihre Erkenntnis reichte. Wenn sie nun den Weg Gottes nach dem Lichte giengen, das sie hatten, ja wenn das trübe Licht, das vergleichsweise| trübere Licht, das ihnen leuchtete, ihnen dennoch durch ihre Klippen hindurch den Weg also zeigte, daß die Liebe zu Jesu ganz offenbar mehr als das Vertrauen auf ihre Werke und Kasteiungen hervortritt; soll ich ihnen den Rücken kehren, wie wenn sie nie gelebt hätten, sie ignorieren, oder gar als Leute verwerfen, die mir böses Beispiel hinterlaßen haben? Ich darf einen fremden Knecht und eine fremde Magd nicht richten, weil sie ihrem Herrn stehen und fallen: wie soll ich die richten, die doch zu meiner geistlichen Verwandtschaft in den früheren Zeiten offenbar gehörten, so daß ich sie fremde Knechte und Mägde kaum nennen darf? Es ist eine ganz andere Sache, wenn ich den Heilsweg beurtheile, welchen sie ihren Lehrern nach eben so betreten haben, wie die Mehrzahl aller Zeiten andern nachgeht. Wo habe ich denn ihren Weg gelobt, wann ihn gepriesen? Habe ich nicht vielmehr allenthalben vorausgesetzt, als unwiderlegliche Wahrheit angenommen, daß der Heilsweg, wie die lutherische Kirche ihn lehrt, wie auch ich ihn seit dreißig Jahren gelehrt habe, und bis in den Tod lehren werde, der einzig richtige sei? Wenn ich aber eine Zeit vor mir habe, und Personen, die den Weg nun einmal nicht kannten und darum nicht gehen konnten; wenn es sich gar nicht darum handelt, welchen Weg ich gehen, sondern wie ich diese Personen beurtheilen soll: muß ich sie dann verwerfen, weil sie bei aller Liebe zu Christo, dem gemeinschaftlichen Herrn, den einfachen Weg nicht kannten, der mir den Gang zur Ewigkeit so viel leichter macht? Wäre es nicht möglich, daß, ich will nun nicht| einmal sagen alle, aber doch manche von den Personen, um die es sich handelt, gerechtfertigt waren, ohne die Lehre von der Rechtfertigung zu kennen? Muß man diese notwendig kennen, um gerechtfertigt zu sein? Kann man den Glauben, der da rechtfertigt, nicht dennoch haben, auch wenn die Seele von vielem und großem Irrthum umwoben wird? Antworte auf diese Fragen Nein, und wende dann dies Nein, ich sage nicht auf die römischen Katholiken dieser Zeit, sondern auf die Lutheraner an, die vor deinen Augen sterben, und siehe dann zu, was deine Verwechselung der Person mit der Lehre dir für ein Thränenthal eröffnen wird! Mir ist, wenn irgend etwas, das Eine fest, daß ich allein aus Gnaden, allein durch Christi Blut und Wunden, allein aus Glauben, ohne alles Verdienst der Werke selig werden muß: darnach lehre ich Kinder und Alte, Gesunde und Kranke, Lebende und Sterbende, und wenn mir einer das läugnen wollte, so würde ich mich anders wehren, als wenn es die Frage gilt, ob die Lebensläufe heiliger Frauen Rosen- oder Dornenmonate zu nennen, zu loben oder zu tadeln seien. Dennoch, bei allem Fleiße in Lehr und Unterricht finde ich das protestantische Volk aller Orten hart und stolz, ich sage nicht bloß auf seine Werke, sondern gar auf Sünden, und eine erfreuliche, gottlob immerhin nicht allzuseltene Ausnahme ist es mir, wenn ich meine Pfarrkinder nur in einem gewissen Maße bußfertig, im, sei es auch schwächlichen Vertrauen auf Jesum, mit einigem Lichte über den Weg ihres Friedens sterben sehe. Gerade diese Lehre von der Rechtfertigung ist, so| leicht das Gleichnis vom Gericht gefaßt wird, an dem sie gewöhnlich vorgetragen wird, dennoch für die gläubige Erfaßung keine leichte Lehre: das erfahren Pastoren, die wirklich Seelsorge üben, alle Tage. Gerade das aber hat eine doppelte Wirkung: einmal die, daß man anhält mit der Lehre von der Seligkeit allein aus Gnaden, dann aber auch die, daß man mild wird, und sich mit wenigem genügen läßt, auch ein Senfkörnlein des Glaubens achtet, und auch für die noch hofft, die in der elenden Welt auch nur ein wenig Glauben retten. Wenn ich aber bei meinen Pfarrkindern so zu urtheilen und zu hoffen ein Recht habe, bei denen alles so viel beßer sein könnte; warum soll ich denn ein Gleiches nicht thun dürfen in Anbetracht der alten, um ihrer Liebe zu Christo willen berühmten Leute, denen kein Reformator Luther und kein 16. Jahrhundert zu Hilfe gegeben war? Wenn ich die Lehre der Römischen beurtheile, so werde ich mit gleicher Schärfe verfahren, wie meine Brüder; bei der Beurtheilung der Personen aber urtheile ich nicht wie einer, der das ganze Jahr bloß mit der Lehre zu thun hat, sondern wie ein alter Pfarrer, der so viele Jahre lang in der Kirche, dem Hospitale Christi auf Erden, dient, und den nicht allein die Liebe Christi, sondern auch die Hoffnung auf das Gelingen des eigenen Amtes dazu treibt, fein säuberlich zu fahren und nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ich weiß, daß man heutzutage von dem Satze, daß eine Verwandtschaft unter den Christen sei, die nicht der gleichen Confession angehören, eine Anwendung gegen| Confession und confessionelle Entschiedenheit macht, die grundfalsch ist. Ich darf deshalb gegen die confessionellen Unterschiede nicht gleichgiltig werden, weil es Einigungspunkte der verschiedenen Confessionen gibt, und weil so viele mit mir ihre Kniee vor demselben Sohne Gottes beugen. Umgekehrt aber halte ich es auch für einen verkehrten Confessionalismus, kraft der Unterscheidungslehren, mit denen Gott uns begnadigt hat, die unläugbare Wahrheit mit Füßen zu treten, daß zwischen den Christen eine Einigkeit bestehe, welche über die Confessionsunterschiede hinausliegt, und daß daher allerdings auch die Verwandtschaft zu pflegen ist, die zwischen den Anbetern Jesu trotz der verschiedenen Confessionen besteht. Es ist mir ganz gleichgiltig, ob hiebei einer sagt, ich hätte früher diese Saite selbst nicht angeschlagen. Ich halte es kaum für der Mühe werth, nur zu bemerken, daß ich allerdings längst, z. B. in den drei Büchern von der Kirche, die Saite angeschlagen, zu oftmaliger Wiederholung aber weniger Ursache hatte. Was liegt an mir? Ich gehöre nicht zu denen, die den Sieg erst dann für vollkommen halten, wenn sie auch noch einen persönlichen Trumpf ausspielen können. Wie es auch sei, ich halte es doch in dieser Zeit für einen großen Fortschritt, wenn man bei confessioneller Schärfe confessionelle Ruhe besitzen und rücksichtich Anderer billiger und wahrhaftiger urtheilen kann, als es jetzt und früher so häufig geschah und geschieht. Ich bekenne es daher frei heraus, daß ich neben und bei, ja kraft der confessionellen Festigkeit und Zuversicht viele Christen, welche vor Luther, zur Zeit der selbsterwählten| Wege der Heiligung und Gerechtigkeit lebten, dennoch für Leute halte, die mit mir und meinen lutherischen Brüdern dermaleins einen Himmel und dieselbige ewige Seligkeit besitzen werden. Ich könnte nicht selig werden, wenn ich ihre Wege gienge zu meiner Zeit und bei meinem Lichte; ob sie bei ihrem Lichte, ist eine ganz andere Frage.
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 Einer hat gesagt, er habe die Biographie der Prinzessin Helene v. Orleans gelesen, und die habe in seiner Wage die Schaale mit den 60 Dettelsauer Krankengeschichten, wie er die Rosenmonate benennt, dermaßen in die Höhe geschnellt, daß die Heiligen mit einander – es lautet ganz possierlich – zum offenen Fenster hinaus in den Fluß geschleudert worden seien, um noch einmal des Märtyrertodes zu sterben. So gehts eben; wenn mancher zum Wägen und Wiegen kommt, da fährt der Eindruck, den er von jemand hat, in die Schaale hinein und drückt und schnellt, daß dann Zünglein und Schaale in den Tag hineinfährt, etwa wie es der Jugend geschieht, von der ein Prophet des jetzigen Geschlechtes mit Wahrheit sagt: „Die Jugend ist bald fertig mit dem Wort.“ Dem obigen Urtheil (?) gegenüber sagt ein anderer, auch ein Recensent: „Warum nicht gar! Das Leben der Frau Herzogin ist lieblich zu lesen, namentlich auch der lieblichen Hand wegen, die es beschrieben hat. Eine freundliche christliche Erscheinung, die werth war, festgehalten zu werden und glücklicherweise Schubert als Biographen gefunden hat. Aber Grundlegendes war an diesem Charakter nichts. Mit denen, die unter Schweiß und Blut die Kirche in die Welt hineingebaut haben, darf| die Frau Herzogin sich nicht meßen. Preist man sie so sehr, so muß man auch auf ihre Schwachheiten aufmerksam machen, z. B. daß sie, eine deutsche Fürstentochter, von Kindheit auf sehnsüchtig nach Frankreich hinüberschaute, daß sie auch, nachdem das Gericht Gottes über das, was ihr Leben war, ergangen war, dieses Gericht im Grund gar nicht merkte. Obgleich sie sonst so zart und feinfühlend war, ist sie dann doch gar nicht mustergiltig. Aber freilich, nicht obgleich, sondern weil sie in solchen Schwachheiten gefangen lag und blieb, liebt sie die moderne fromme Welt.“ So weit ein Recensentenwort gegen ein anderes. Meines Erachtens sollte man da gar nicht vergleichen. Ich finde Zeiten, Umstände und Personen allzusehr verschieden. Wenn es aber ja geschehen soll, so denke ich, es werden sich in jedem Betracht Frauen wie Hedwig, Elisabeth, Mathildis, Adelheid, Hildegard etc. etc. wohl immerhin bei denjenigen, die einfach urtheilen, nicht blos Bewunderung ihrer Größe, sondern auch Achtung und Liebe zu erwerben wißen.
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 Was will man aber mit denen nur rechten, die zwischen Helene von Orleans und den Heldinnen der Vorzeit ein solches Gericht richten? Wir haben noch ganz andere Urtheile in Vergleich zu ziehen. In derselbigen Zeit, in welcher man die Kämpfer und die Kämpferinnen Jesu, wie wenn wirklich gar kein Unterschied bestände, mit heidnischen Fakiren vergleicht, hat mans erlebt, daß eifrige Lutheraner, und unter ihnen Diener des Wortes, dem Cultus des Genius huldigten, und sich Mühe gaben, dem Leben und den Werken der| Dichter, welche die Götter Griechenlands und die Braut von Corinth gedichtet haben, eine christliche Seite abzugewinnen; sogar in Blättern, wie die fliegenden des rauhen Hauses, konnte man diesem Zwecke wenigstens mitgewidmete Artikel lesen. Wenn der eine meiner Freunde oder Feinde die Helene von Orleans, ein anderer die Argula von Stauffen, mit ihrem ganzen weiblich unschönen Leben zu Gewichten braucht, die sechzig Heiligen der Rosenmonate in die Höhe zu schnellen, so läßt sich das noch entschuldigen; was soll man dann aber sagen, wenn man mit solchen abgefallenen Leuten, wie unsere großen deutschen Dichter sind, eine Gemeinschaft des Geistes herzustellen sucht? Und was soll man dazu sagen, wenn die großen Künstler, die Schiller und Göthe dem Volke Gottes genießbar machen wollen, die alten vielberühmten Christen der Vorzeit über Bord werfen zu müßen glauben? So lange man so in der Finsternis tappt, wird man wahrhaftig auch noch sagen dürfen, es sei an den Helden der christlichen Vorzeit noch etwas Gutes, von ihnen noch etwas zu lernen, an ihnen noch etwas zu rühmen. Ich kann vieles vertragen, ja ich freue mich einer Gerechtigkeit, die nach allen Seiten hin sich erweist; es ist mir ein Vergnügen, nicht blos von Amalie Sieveking, sondern auch von Hanna Moore, Sara Martin und Elisabeth Fry zu lesen. Was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist irgendwo eine Tugend, da will ich Gerechtigkeit widerfahren laßen; was irgendwie aus Christi Geist gefloßen ist, bewußter oder unbewußter Maßen, das laße ich mir nicht nehmen, da denke ich| an das Wort: „Alles ist euer“; aber eben deswegen laße ich es mir auch nicht nehmen, meine Verwandtschaft mit den alten Heiligen zu bekennen, und mich auf den Himmel unter anderem auch deshalb zu freuen, weil ich sie dort finden werde. Die Gegner der Rosenmonate gestehen zu, daß in ihnen mit Worten nichts gegen die Lehre der Protestanten stehe, sondern daß sie an vielen Stellen ausdrücklich bekannt sei; aber das können sie nicht begreifen, wie man bei vollem confessionellen Standpunkt dennoch mit Ehrerbietung von den alten Christen reden könne, wie man es wagen könne, sich an ihnen zu erbauen, wie man in ihre Gesellschaft gehen und sich unter ihnen heimathlich fühlen könne, ohne deswegen aufzuhören, ein Lutheraner zu sein. Ich aber kann das begreifen, und übe es frei: ich kann meine Finger emporheben und schwören, daß man nur aus Gnaden selig werden könne, und beim tiefsten Bewußtsein des Gnadenbedürfnisses, mit Lippen, von denen alle Tage die Lehre von der Rechtfertigung trieft, dennoch den großen Heiland preisen, der, wie er die lutherische Kirche trotz ihrer Mängel und Fehler nicht wegwirft, so auch die alte Kirche und ihre Heiligen nicht völlig weggeworfen hat, sondern auch die Lämmer und Schafe zu sich gesammelt, die nicht wie wir im seligen Lichte der lutherischen Kirche wandeln konnten. Ich meine auch, es sei einmal Zeit, daß sich das kirchliche Urtheil in Barmherzigkeit kläre, und man nicht ferner mehr vor lauter Eifer gegen die alten Ketzerrichter und ihre Richtung selbst in ihre Sünde falle. Ich meine sagen zu dürfen, so lange sei das kirchliche| Urtheil nicht reif, so lange es nicht konfessionelle Festigkeit mit gütiger Rücksicht und Barmherzigkeit vereint, und so lange es den Menschen die Macht und Freiheit nimmt, sich ohne Gefahr der Seelen der alten Zeit zu freuen. Es hat in der lutherischen Kirche allezeit Menschen gegeben, welche denselben Sinn gehabt haben wie ich, wenn sie auch nicht in jeder Einzelheit mit uns überein treffen. Ich habe schon früher einmal deshalb an Philipp Nicolai’s Buch vom Reiche Gottes erinnert, ich thue es wieder und freue mich seiner und anderer. Ich kann mich in Heiden schicken und das natürlich Gute an ihnen bewundern. Ich freue mich am meisten der Glaubensgenossenschaft und der Kinder meines Volkes. Ich kann aber auch das Gute und Große an den Christen der alten Zeit finden, und laße mich nicht ihre dunkle Lehre, wohl aber ihre Andacht, ihren Glaubensmuth, ihre brünstige Liebe, ihr aufopfernd christliches Leben nach bestem Wißen und Gewißen, zur Nachfolge reizen.
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 Wenn ich nun auch nicht hoffen darf, mit dieser meiner Aussprache meine Gegner zu versöhnen, so kann man doch sehen, daß ich den Unterschied zwischen mir und ihnen in dem historischen und kirchlichen Urtheil finde. Ich will aber auch noch ein drittes zugestehen: es ist zwischen uns ein Unterschied im ethischen Urtheil. Ganz unbedingt unterschreibe ich wie meine Gegner den Satz, daß wir ohne alle Werke allein im Glauben die hohe Gabe Gottes, die ewige Seligkeit, empfangen können. So habe ich geglaubt und gelehrt, so glaube und lehre ich, so werde ich mit des guten Geistes| Hilfe glauben und lehren bis ans Ende. Wenn daher jemand auf Werke und eigne Bereitung, leibliche oder geistliche, also hält, daß sie zum ewigen Leben als nöthig erfunden werden, so falle ich ihm gewiß nicht bei. Ich stehe ganz auf dem Standpunkt der lutherischen Symbole, wenn ich auch so wenig als ein anderer wahrhaftiger Mensch sagen kann, daß mir jedes historische Urtheil oder jeder begründende Satz in dem dicken Concordienbuche gefiele. Wenn nun aber auf Grund dessen die Ethiker der neuen Zeit ihre Systeme ausbauen, so muß ich ebensowenig ihnen wie den Dogmatikern, um lutherisch zu sein, in allen ihren Consequenzen nachgehen. Es gibt menschliche Schlüße, die eine Weile allgemein angenommen werden, bis ein Tag aufgeht, der die fallacia zeigt. Es ist mancher Schluß in der Folge der Zeit schon hingefallen, und wird noch mancher fallen. Wer wüßte es nicht, daß sich fast in allen kirchlichen Fragen der neuern Zeit ein verschiedenes Urtheil hervorgehoben hat? Wie selten aber ist eine Frage zu Ende gekommen, wie oft die Verhandlung im Sand verlaufen, wie manchmal dennoch die Meinung aufrecht geblieben und sieghaft geworden, die man niederlegen wollte! Ich traue der Wißenschaft nicht, und zwar dann am wenigsten, wenn sie vom höchsten Pferde herunter redet, und am Ende doch nicht aus Leben und Erfahrung herausspricht. Gerade die Ethik aber ist dasjenige Gebiet der Wißenschaft, auf welchem dem christlichen Seelsorger die meisten Fragen entstehen, auf welchem er auch die meisten Fragen für andere zu lösen hat: was bieten ihm| da die wißenschaftlichen Bücher namentlich der neuen Zeit? Seelsorge ohne Casuistik ist eine Unmöglichkeit: alles Leben ist Casus; kaum zwei Fälle, die ein Seelsorger in gleicher Weise bescheiden dürfte. Wie verlaßen aber vom Rathe aller ethischen Schriftsteller sind wir armen Gewißensräthe des Volks so gar oft! Hätten wir nicht die alten lutherischen Casuisten, die mancher Thor sammt den jesuitischen über Bord geworfen hat, wir hätten gar keine Handleitung. Was gäbe es da zu klagen, zu desiderieren! – Hieher gehört denn auch insonderheit das Gebiet der christlichen Freiheit. Dies Gebiet hat zwei Provinzen, eine zur Rechten und eine zur Linken. Oder ist es nicht wahr? Kann unter der Menge der Dinge, die erst durch das inwendige Leben des Menschen recht oder unrecht werden, nicht verschiedenes recht sein? Soll einer die Freiheit haben, dieser Welt zu brauchen, und nicht eben so wohl die Freiheit, sie nicht zu brauchen, je nachdem es in seinem Falle das rechte ist? Darf ich einseitig den einen loben, weil etwa mein wißenschaftlicher Verstand seinen Weg für richtiger erkennt, für angemeßener dem christlichen Principe? Darf ich mein abstraktes Denken in allen Fällen so ins Leben mengen, daß nicht Zeit noch Umstände mir Erlaubnis geben, dem Schluße zu entrinnen, den der Mann der Wißenschaft macht? Die alle Tage in den Fragen sind, alle Tage entscheiden sollen, die wißen wohl, wie wenig das angeht. Wer die Menschen retten will, der darf nicht einseitig dem Verstande folgen, der muß auf dem Gebiete der Freiheit den Weg zur Rechten wie den zur Linken frei und| offen laßen. So macht es Christus, so seine Apostel. Man kann ehelich leben und nicht ehelich, Ehe und Jungfrauschaft sind völlig gleicher Würde, beide verdienen Lob und Preis je nach Umständen. Man kann fasten oder nicht fasten, seinen Leib betäuben oder nicht, ein Gelübde thun oder nicht, alles wie man will, alles ohne daß man gegen die Grundlehre der Rechtfertigung anzustoßen braucht. In allen diesen und ähnlichen Fällen lebt ein jeder seines eigenen Rechtes, niemand braucht ihn zu richten oder zu verdammen. Verboten ist nichts, als seine Seligkeit in diesen Dingen zu suchen; hält einer dies Verbot ein, so mag er thun, was er will. Man kann mir hierauf sagen: Freilich, aber wer weiß das nicht, und wer sagt anders? Darauf sage ich: Ich habe bei Gelegenheit der Rosenmonate und sonst so viel Gegentheiliges gehört, daß ich über die Verdrehung protestantischer Lehren oftmals erstaunt bin. Es hat sich mir deutlich gezeigt, daß man nur auf die eine Seite, auf die linke hin Freiheit gestatten wollte, aber nicht auf die rechte. Die augsburgische Confession weist nach, daß die Apostel sich auf der rechten Seite bewegt haben, d. h. Gelübde gethan, gefastet, theilweise auch im Cölibate gelebt, freiwillig ihre Freiheit beschränkt haben, aber ohne die Seligkeit darein zu setzen. Alte Protestanten, z. B. Porta in seinem Jungfrauenspiegel, gehen denselbigen Weg des rechten Maßes. Jetzt aber gebraucht man nicht blos die Freiheit fast immer auf die linke Seite hin, sondern man geht in Massa den allerdings unverbotenen Weg zur Linken, richtet die wenigen| anderen, nennt das Gebiet zur Rechten am Ende selber ein Gebiet der Knechtschaft, das zur Linken allein eine Freiheit, und mißt alsdann dem allgemeinen Brauch auch das System an, wie ein Kleid. Es ist nicht meine Sache, deutlicher zu reden, ich habe weder Lust noch Zeit, mich auf Schriften, Personen und Einzelheiten einzulaßen; ich rede, weil ichs in diesem Fall nicht laßen kann noch darf, fühle, daß ich Vorwürfe mache, halte es aber dennoch für das beste, den Vorwurf einer unpraktischen, für die Seelsorge nicht passenden Einseitigkeit der herrschenden ethischen Anschauung vom Gebiete der Freiheit zu machen. Ich bin selbst ein Kind des 19. Jahrhunderts; ich kann mich auf keine Entsagung, auf keine Kasteiung verlaßen, weil ich mich niemals damit befaßt, und allezeit dieser Welt mehr gebraucht habe, als ichs loben kann. Ich bin nie in der Versuchung gewesen, den Weg zur Rechten über das Maß zu erheben. Aber ich Christ und ich Seelsorger weiß, daß beide Wege schriftmäßig und für das Leben je nach Umständen frei gegeben sind; ich schäme mich nicht für die Freiheit zur Rechten und zur Linken zu eifern, weil ichs brauche. Ich errichte kein Kloster, ich laße der Ehe und Ehelosigkeit wegen jedem seinen Willen, ich habe mich als Vorstand der hiesigen Diakonissenanstalt je und je geweigert, von den Diakonissen auch nur ein halbes Jahr oder ein Vierteljahr oder vier Wochen als ausbedungene Zeit des jungfräulichen Dienstes zu fordern; keine ist auch nur eine Stunde aufgehalten, ihren Stand zu ändern, wenn sie will, obwohl dieser Grundsatz dem Diakonissenhause schon| großen pecuniären Schaden gebracht hat. Wenn aber ein Haufen Diakonissen freiwillig, ohne mein Zuthun, um des Berufes willen und des Reiches Gottes willen, ohne falsches Vertrauen auf ihr Thun, glücklich und fröhlich bei ihrer Wahl, im Stande der Jungfrauschaft lebten, – oder unsere hiesigen Missionare dasselbige könnten und wollten; so würde mir das, ich sage es unverholen, eine hohe Freude sein; ich würde daraus beweisen, daß also die protestantische Freiheit nicht weniger vermöchte, als das Ordensgelübde der Römischen. Ich würde mit der selbigen Freude, die ich habe, wenn ich den ledigen Bräuten meiner Pfarrei den Ehrenkranz reiche, sterbenden Diakonissen die Krone eines glücklichen jungfräulichen Lebens aufsetzen, und mich gar nicht irren laßen, wenn mich die Hunderte von Müttern darüber schälten, die der Tochter schon den ersten Strumpf, den sie stricken soll, dadurch angenehm machen wollen,daß er zur Ausstattung gehören soll und zum Heirathsgute, und dem kleinen Mädchen in der Wiege schon drohen, es werde keinen Mann bekommen, wenn es so böse sei. Bitter, aber völlig wahr, wer weiß in Anbetracht wie vieler!
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 Man kann mir freilich sagen, es handele sich nicht darum, sondern um meine Darstellung der Abwege, welche so viele Frauen und Jungfrauen der alten Zeit gegangen seien, um meine Ehrerbietung, um den panegyrischen Ton, um die Begeisterung, welche ich offenbar für das Alterthum hege. Ich aber sage, daß ich die Alten nicht wegen, sondern bei und trotz ihrer Abwege ehre; da ich ihre Abwege nicht gehe und ihre Personen dennoch hoch| achte, so mischt sich in meiner Darstellung ein durch Hochachtung gemildertes Urtheil über ihre Fehler mit der Hervorhebung solcher Dinge, namentlich einer hohen sittlichen Kraft, welche die Menschen unserer Zeit nun einmal nicht besitzen. Gerade mein Bekenntnis zur lutherischen Wahrheit neben einer ehrerbietigen Darstellung von Lebensläufen, wie sie gegenwärtig kaum vorkommen können, hat man nicht zu begreifen vermocht, während ich doch beides aufs innigste in mir vereinige, und wie in dem historischen und kirchlichen, so in dem ethischen Urtheil, Wahrheit und Gerechtigkeit anstrebe. Ich habe mich dabei auch, wie schon gesagt, überzeugt, daß viele von den alten Asceten und Ascetinnen bei aller Unklarheit der Begriffe doch nicht auf ihre Werke und Ascesen vertrauten, sondern auf Christum den Herrn, und daß ihr Grund bei Ausübung ihrer strengen Selbstzucht sehr häufig kein anderer gewesen ist als derjenige, welchen unsere Symbole anerkennen, nemlich der pädagogische. Daher kommt es dann auch, daß ich die Pein und Kasteiung, die sie sich angedeihen ließen, nicht lobender, aber ruhiger als andere ansah und darstellte.
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 Ich weiß nicht, ob ich völlig recht habe, aber mir ist es so, als ob der heftigste Widerspruch gegen die Rosenmonate hauptsächlich von Seiten derer komme, welche die Ehe, die Herrlichkeit und Heiligkeit des ehelichen Lebens dadurch angetastet glauben. Allein meine Burg ist das 7. Kapitel im ersten Brief an die Corinther, welches nicht blos den römischen, sondern auch den protestantischen Misbräuchen und Uebertreibungen in Sachen des sechsten| Gebotes mit apostolischer Kraft widerstrebt. Wer dies Kapitel, seinen ursprünglichen Sinn, nicht die gewöhnliche einseitige Ausdeutung der Protestanten zu Grunde seines Urtheils legt, der wird sich auf meinen Standpunkt hingetrieben fühlen und am Ende auch begreifen, warum ich es übersehen konnte, der Enthaltung innerhalb der Ehe, wie sie z. B. bei Heinrich und Kunigunde vorkommen, kräftigere Bemerkungen anzuhängen. Meine Unzufriedenheit mit den Abweichungen unserer protestantischen Ansichten und Zustände in Betreff der Ehe hat mir vielleicht für den Augenblick, da ich schrieb, den Sinn und Willen genommen, meiner Erzählung die und jene Wahrheit anzufügen, die mir bei allem Misbrauch, der heutzutage damit getrieben wird, dennoch so theuer ist, wie andere.
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 Nach diesem allen, was die Sache weder erschöpft noch erschöpfen soll, und was ebenso wenig wie anderes, was ich geschrieben habe, der Misdeutung entgehen wird, erlaube ich mir noch ein Wort beizusetzen. Es ist das Wort eines Unzufriedenen, – eines Unzufriedenen, der aber dennoch in Frieden und Liebe zu denen lebt, mit denen er unzufrieden ist, der alle Last und Noth des Lebens mit ihnen trägt. Wir leben alle in Massenkirchen, und das Leben unter den Massen, die nichts weniger als christlich sind, es jetzt noch weniger sind, als früher, hat uns die Grenzen des kirchlichen, des ethischen und eben dadurch auch des historischen Urtheils verrückt. Ich halte es für nachweisbar, daß der schrecklich gemischte Zustand der Kirche uns nicht blos das Leben, sondern auch Sinn und Urtheil verderbt| hat. Die Rücksicht der brüderlichen Liebe, die uns von Gott auferlegt ist, ist bei uns zu einer Carricatur geworden, und die Theologie der Rücksichten hat uns vielfach den einfältigen Blick namentlich in die sittlichen Zustände unserer Kirche genommen. Was hilft es da, von einer allmählichen Durchdringung des ganzen Volkes mit christlichen Ideen, von einem Siege des Teiges über den Sauerteig zu reden, und Hoffnungen zu faßen, welche durch alle gemachten Erfahrungen als hoffnungslos hingestellt werden. Wir werden niemals die Massen durchdringen, ja wir werden auch die einzelnen Seelen nicht in der Tiefe fassen können, wenn wir es nicht wagen, mit der Welt in der Kirche den Krieg aufrichtig zu führen, und die Grenzen zwischen Welt und Kirche richtig herzustellen. Aus der Mischung der Kirche, in der wir leben, welche ja eine ganz andere ist, als die in Christi Gleichnissen vorausgesagte, kommt jenes hohe Maß von Theilnahme an der Welt und ihren Freuden, an ihren Genüßen und an ihrem Treiben, welches uns und die Jugend aller Stände vergiftet. Weit entfernt, daß diese Zustände geschickt wären, eine Durchdringung des Volkes durch den Geist Christi darzustellen, oder auch nur zuzulaßen, zeigen sie vielmehr, wie sehr die Kirche von der Welt überwunden ist, und bringen jenes unglückliche Gefühl hervor, welches auch die meisten beßeren Menschen zu haben pflegen, das nemlich, daß ihr Christenthum keine Wahrheit sei. Was will man mit diesem Leben der weltförmigsten Art, das auch die Familien von Geistlichen und renommierten Christen| führen? Soll das etwa der Beweis des rechten Glaubens sein? Was wird die nachfolgende Zeit der Kirche, wenn sie beßer werden wird, davon urtheilen? Wird mans vereinbar finden mit dem Glauben, der in den Wunden Jesu Christi gründet, wird man es für eine geringere Abweichung von der Wahrheit erkennen, für weniger selbsterwählt und weniger unrecht finden, als die selbstgerechten Wege der Heiligen in den Rosenmonaten? Wird die allgemeine sittliche Laxheit, Lauigkeit und Weltförmigkeit, auch in beßern Kreisen, das Christentum mehr empfehlen, als die unevangelische gesetzliche Strenge des Mittelalters? Wer es glauben will, der glaube es. Ich aber sage: „So lange ihr das reinere Licht, welches ihr allerdings besitzet, nicht beßer zu empfehlen wißet, als durch die Verschmelzung eures Lebens mit dem der Welt, werdet ihr Ursache haben, gegen die Heiligen der alten Zeit ein bescheidenes Urtheil euch anzueignen. Diese haben die Wahrheit nicht gekannt, wie ihr; nehmt euch in Acht, daß euch der Besitz nicht ein strengeres Gericht von dem unnahbaren Sitze bringe, als jener alten Welt der Mangel der reinen Lehre.“
C. H. Beck’sche Buchdruckerei in Nördlingen.