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sehr verschieden waren und der Zeit ferner lagen, deren Tag gerade noch im Verlauf war. Wer sich davon überzeugen will, der vergleiche nur einmal die Darstellungen des Gnosticismus, wie sie von den ersten christlichen Jahrhunderten her, aus der reformatorischen, und aus der jetzigen Zeit vorliegen. Dieselben Dinge werden durch die verschiedene Darstellung so verschieden, daß sie nicht mehr dieselben sind.

 Was insonderheit die Geschichtsschreibung unserer Zeit anlangt, so ist sie bis zur Stunde noch vom Rationalismus durchzogen und bestimmt. Sie theilt ein und dasselbige Schicksal mit andern Wißenschaften, z. B. mit der Pädagogik, die ja auch noch unter dem gleichen Joche seufzt, ja der Theologie selber, deren Principien- und Systemreiterei mit der Geistesplage des Rationalismus auf das innigste verwandt ist.

 Mein Protest gegen den Rationalismus der Geschichtsschreibung hat allerdings für niemanden einen Werth, aber es gereicht mir dennoch vor Ihren Ohren, meine theuern Freunde, zum Vortheil, sagen zu können, daß er verhältnismäßig schon ziemlich alt ist, wenn ihn auch niemand als Gott und meine nächsten Freunde gehört haben: er geht bis in meine Studentenjahre zurück, und ist also über 30 Jahre alt. Schon damals wurde mein Vertrauen zu der gewöhnlichen protestantischen Geschichtsschreibung erschüttert: ich hatte mir z. B. herausgenommen, zu untersuchen, wie die Darstellung der Person und des Werkes des sogenannten Apostels der Deutschen, Bonifacius, mit den Quellen stimmte, und wurde beim Studium entrüstet über die Keckheit einer so