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hat. Die Rücksicht der brüderlichen Liebe, die uns von Gott auferlegt ist, ist bei uns zu einer Carricatur geworden, und die Theologie der Rücksichten hat uns vielfach den einfältigen Blick namentlich in die sittlichen Zustände unserer Kirche genommen. Was hilft es da, von einer allmählichen Durchdringung des ganzen Volkes mit christlichen Ideen, von einem Siege des Teiges über den Sauerteig zu reden, und Hoffnungen zu faßen, welche durch alle gemachten Erfahrungen als hoffnungslos hingestellt werden. Wir werden niemals die Massen durchdringen, ja wir werden auch die einzelnen Seelen nicht in der Tiefe fassen können, wenn wir es nicht wagen, mit der Welt in der Kirche den Krieg aufrichtig zu führen, und die Grenzen zwischen Welt und Kirche richtig herzustellen. Aus der Mischung der Kirche, in der wir leben, welche ja eine ganz andere ist, als die in Christi Gleichnissen vorausgesagte, kommt jenes hohe Maß von Theilnahme an der Welt und ihren Freuden, an ihren Genüßen und an ihrem Treiben, welches uns und die Jugend aller Stände vergiftet. Weit entfernt, daß diese Zustände geschickt wären, eine Durchdringung des Volkes durch den Geist Christi darzustellen, oder auch nur zuzulaßen, zeigen sie vielmehr, wie sehr die Kirche von der Welt überwunden ist, und bringen jenes unglückliche Gefühl hervor, welches auch die meisten beßeren Menschen zu haben pflegen, das nemlich, daß ihr Christenthum keine Wahrheit sei. Was will man mit diesem Leben der weltförmigsten Art, das auch die Familien von Geistlichen und renommierten Christen