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offen laßen. So macht es Christus, so seine Apostel. Man kann ehelich leben und nicht ehelich, Ehe und Jungfrauschaft sind völlig gleicher Würde, beide verdienen Lob und Preis je nach Umständen. Man kann fasten oder nicht fasten, seinen Leib betäuben oder nicht, ein Gelübde thun oder nicht, alles wie man will, alles ohne daß man gegen die Grundlehre der Rechtfertigung anzustoßen braucht. In allen diesen und ähnlichen Fällen lebt ein jeder seines eigenen Rechtes, niemand braucht ihn zu richten oder zu verdammen. Verboten ist nichts, als seine Seligkeit in diesen Dingen zu suchen; hält einer dies Verbot ein, so mag er thun, was er will. Man kann mir hierauf sagen: Freilich, aber wer weiß das nicht, und wer sagt anders? Darauf sage ich: Ich habe bei Gelegenheit der Rosenmonate und sonst so viel Gegentheiliges gehört, daß ich über die Verdrehung protestantischer Lehren oftmals erstaunt bin. Es hat sich mir deutlich gezeigt, daß man nur auf die eine Seite, auf die linke hin Freiheit gestatten wollte, aber nicht auf die rechte. Die augsburgische Confession weist nach, daß die Apostel sich auf der rechten Seite bewegt haben, d. h. Gelübde gethan, gefastet, theilweise auch im Cölibate gelebt, freiwillig ihre Freiheit beschränkt haben, aber ohne die Seligkeit darein zu setzen. Alte Protestanten, z. B. Porta in seinem Jungfrauenspiegel, gehen denselbigen Weg des rechten Maßes. Jetzt aber gebraucht man nicht blos die Freiheit fast immer auf die linke Seite hin, sondern man geht in Massa den allerdings unverbotenen Weg zur Linken, richtet die wenigen