Die bayerische Abendmahlsgemeinschaftsfrage

Textdaten
Autor: Franz Delitzsch
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Titel: Die bayerische Abendmahls-gemeinschaftsfrage
Untertitel: Ein Anfang eingehender Erörterung
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Auflage: 1
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Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: Theodor Bläsing
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Erscheinungsort: Erlangen
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Quelle: Commons, MDZ München = Google
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Die
bayerische
Abendmahlsgemeinschaftsfrage.

Ein Anfang eingehenderer Erörterung
von
Prof. Delitzsch in Erlangen.




Erlangen.
Verlag von Theodor Bläsing.
1852.


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   Das ist das ihr thun sollt: Rede einer mit dem andern die Wahrheit und richtet recht und schaffet Frieden in euren Thoren!
 Sach. 8, 16.


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Vorwort.

 Die Abendmahlsgemeinschaftsfrage ist jetzt das Schibbolet der kirchlichen Bewegung in Bayern geworden, welcher die lutherische Kirche aller deutschen Länder und auch des benachbarten Auslands mit gespanntester Theilnahme zugewendet ist. Sie ist noch ziemlich jung und ihre Beantwortung lautete bis jetzt fast nur kategorisch. Einen Anfang zu eingehenderer Besprechung derselben zu machen ist der Zweck dieses schlichten, aber doch nicht der Begründung ermangelnden Zeugnisses. Vielleicht gewinnt man daraus wenigstens den Eindruck, daß die strengere, die altkirchliche Abendmahlspraxis nicht in Widerspruch steht mit der heiligen Liebe, die wir unsern miterlöseten, Einen Herrn mit uns anbetenden Brüdern schulden. Die Lieblosigkeit hat oft den Schein der Liebe und die Liebe oft den Schein der Lieblosigkeit. Die wahre Liebe ist geistlichen Wesens. Was aber geistlich ist, geht wider die Natur und hat immer etwas Paradoxes.

|  So mögen diese Blätter denn ausgehen und geistliche Richter finden! Vor allem wünsche ich, daß sie nicht in die Hände solcher fallen mögen, welche die unendliche Zartheit der Angelegenheit die sie besprechen nicht zu würdigen verstehen. Denn es gibt, wie schon der Chor der alttestamentlichen Propheten bezeugt, in der ganzen Welt kein widerlicheres Zerrbild, als ungeistlicher Eifer für die Reinheit der Kirche – Tod im Herzen und das „Hie ist des Herrn Tempel“ auf den Lippen.


 „Friede auf Erden!“ singen heute die Engel. O daß dieser Friede, der sich jetzt noch in dem innersten Grunde der Herzen der Gläubigen birgt, bald aus seiner geheimen Innerlichkeit hervorbräche und allen Streit der Kirchen ersäufete! So lange das noch nicht geschehen, dürfen wir die Waffen nicht weglegen. Auf den innern Frieden wie auf ein neutrales Gebiet sich zurückziehen – das wäre bequem, aber ungeistlich trotz des geistlichen Scheines.


 Geschrieben am Christfest 1851.

F. D. 




|  Strenge und reinliche Scheidung lutherischen und reformirten, einschließlich unirten Kirchenwesens – das ist allenthalben die Forderung des wiedererwachten confessionellen Bewußtseins und ist auch in Bayern seit einiger Zeit die Losung eines wider die überkommenen Zustände und die hergebrachte Praxis gerichteten Kampfes geworden.

 Es ist die Losung nicht allein Löhe’s und seiner Kampfgenossen – es ist auch die Losung der um die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche geschaarten lutherischen Bekenner. Beide wollen äußerliche Trennung beider Kirchenwesen, weil der dogmatische Gegensatz, der beide trennt, noch nicht innerlich überwunden ist.

 Daß lutherische und reformirte Lehre einander noch ungeeinigt entgegenstehen, ist eine Thatsache, welche auch reformirterseits nicht verhehlt wird. Die Abendmahlsdifferenz – nur eine von den Differenzen beider Kirchen – ist von Ebrard zum Gegenstande eines großen dogmatisch-geschichtlichen Werkes [1] und von K. Göbel neuerdings zum Gegenstande einer Predigt gemacht worden[2]. Beide Wortführer der reformirten Kirche erkennen die vorhandene Differenz an, suchen sie aber auszugleichen,| indem sie das Bekenntniß ihrer Kirche in einem unserer Kirche möglichst entsprechenden Sinne deuten.

 Solche Bestrebungen haben eine erfreuliche und eine unerfreuliche Seite. Erfreulich ist die an ihnen ersichtliche Bewegung nach unserer Kirche hin, unerfreulich die geflissentliche Zurückführung des Gegensatzes beider Kirchen auf Nichtkennung oder Verkennung der reformirten seitens der lutherischen. Da der Jahrhunderte hindurch geführte Abendmahlsstreit doch wahrlich kein bloßer Wortstreit gewesen ist, so wird eine wahre Union beider Kirchen nur dadurch herbeigeführt werden können, daß die eine Kirche, ihres Irrthums eingeständig, sich selber in dem Maße aufgiebt als sie sich der anderen hingiebt.

 Die Verschiedenheit der Verfassung beider Kirchen ist kein Hinderniß der Einigung. Die reformirte Kirche hat alle Ursache, an ihrer in Gottes Wort wohlbegründeten Verfassung festzuhalten, und wir hätten manche Ursache, in diesem Punkte von ihr zu lernen. Auch hat die reformirte Kirche eine geschichtliche Vergangenheit, deren Erinnerung unauslöschlich ist. Sie könnte immerhin bleiben die so und so verfaßte, würde jedenfalls bleiben die so und so geschichtlich gewordene – nur daß sie ihr Bekenntniß gegen das unsrige vertausche, ist die Eine unerläßliche Bedingung einer wahren Union. Nicht diese oder jene Verfassung, nicht der oder jener historische Name, sondern Glaube und Bekenntniß gehören zum Wesen der Kirche. So lange die reformirte Kirche auf dem Grunde des heidelberger Katechismus stehen bleiben will, besteht zwischen uns und ihr eine wesentliche innere Scheidung. Mag sie diesen Katechismus noch so schriftgemäß deuten – er ist, im Sinne seiner Verfasser verstanden, ein geschichtliches Denkmal der bisher bestandenen Kirchenspaltung und müßte, wenn diese wahrhaft beseitigt werden soll, zugleich mit beseitigt werden.

 Betrachten wir die Sache wie sie wirklich liegt: die reformirte Kirche Bayerns und überhaupt der Gegenwart will im| Unterschiede von der lutherischen nicht allein ihre ererbte Verfassung, sondern auch ihr ererbtes Bekenntniß behaupten. Sie bietet aber, wie von jeher, unserer Kirche die Hand und freut sich, wenn diese mit Absehen von den Lehrdifferenzen auf Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft mit ihr eingeht. Ueberall da wo die lutherische Kirche diese Kirchen- und Abendmahlsgemeinschaft mit der reformirten verfassungsmäßig eingegangen ist, da ist, wie in der Pfalz, Preußen, Nassau, Baden u. s. w., die Union eine vollzogene. Eine solche verfassungsmäßige Union existirt im diesseitigen Bayern nicht. „Die Landeskirche diesseits des Rheins – sagt der denkwürdige Oberconsistorialerlaß vom 19. Sept. 1851 – ist, die verhältnißmäßig nur sehr geringe Zahl der Reformirten und Unirten ausgenommen, eine auf dem geltenden Bekenntnisse ruhende, diesem in Lehre, Ritus und Verfassung treu anhängende evangelisch-lutherische Kirche. Eine Union und eine daraus hervorgehende Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern, Reformirten und Unirten besteht in ihr weder grundsätzlich noch verfassungsmäßig noch faktisch. Es ist von Seiten der kirchenregimentlichen Organe in keiner Weise ein Schritt geschehen, der die lutherische Kirche zu einer Union mit der reformirten hinführen wollte oder zu einer derartigen Vermuthung gegründeten Anlaß geben könnte.“

 Nichtsdestoweniger nimmt das königl. Oberconsistorium in ebendemselben Erlasse nicht in Abrede, daß allerdings an einzelnen Orten Lutheraner, Reformirte und Unirte miteinander das h. Abendmahl genießen, mit dem Bemerken jedoch, daß dies „durchaus keine Union bezwecke, sondern als ein durch unvermeidliche Verhältnisse hervorgerufener und in allen protestantischen Ländern in und außer Deutschland überlieferter ausnahmsweiser Zustand zu betrachten sei und daß durch solche Ausnahmsfälle der lutherische Charakter der vaterländischen Kirche in seinem wesentlichen und grundsätzlichen Bestande in keiner Weise aufgehoben sei.“

|  Solche Ausnahmszustände bestehen namentlich in den katholischen Gebietstheilen des Königreichs, in Oberbayern, Schwaben und Neuburg, wo sich nach und nach protestantische Gemeinden gebildet haben, zusammengewachsen aus Lutherischen und Reformirten, vielleicht sogar in überwiegender Anzahl der Letzteren. Diese Gemeinden gelten nicht für unirte, sondern ohne Einsprache der reformirten Mitglieder für lutherische (abgesehen von der förmlich unirten pfälzischen Colonialgemeinde Groß-Carolinenfeld); wenigstens sind Predigt, Katechismusunterricht, Confirmation und Abendmahlsritus durch das lutherische Bekenntniß, nicht durch das reformirte normirt. Die reformirten Mitglieder werden als in lutherischem Gemeindeverband befindlich angesehen, und das Exceptionelle besteht nur darin, daß dieser Anschluß an unsere Kirche nicht als Uebertritt zu derselben gilt, daß man seitens des Kirchenregiments und des Pfarramtes Bedenken trägt, diese Anschauung auszusprechen und ihr Folge zu geben, und daß der gegenwärtigen Anschauung durch unterschiedslose Zulassung Reformirter und Unirter, die sich nur zeitweise am Orte aufhalten, Vorschub geleistet wird.
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 Aber jene Ausnahmszustände beschränken sich keineswegs auf die katholischen Gebietstheile des Königreichs. Man sagt nicht zuviel, wenn man behauptet, daß sie bestimmend auf die Abendmahlspraxis in den Gemeinden der ursprünglich lutherischen Gebietstheile eingewirkt haben und daß auch da die Zulassung einzelner Reformirter und Unirter zum Abendmahl unserer Kirche das Ansehn einer Pflicht kirchlicher Gastfreundschaft gewonnen hat. Die verfassungsmäßige und auf allen Gesangbuchstiteln zu lesende Benennung der Landeskirche mit dem Namen einer protestantischen, besonders aber auch die gerade von einem reformirten Lehrer gesegneten Andenkens, dem sel. Prof. Krafft, auf die Landeskirche ausgegangene Erweckung und das friedliche und anspruchslose Einvernehmen der wenigen und| kleinen reformirten Gemeinden des diesseitigen Bayerns mit den lutherischen haben dazu mitgewirkt. Abgesehen von einzelnen kirchenregimentlichen Maßnahmen, welche von derselben Ansicht ausgehen, daß die Zulassung Reformirter oder Unirter zu einer Pflicht kirchlicher Gastfreundschaft werden könne, ist allerdings von der obersten Kirchenstelle kein diese Praxis anordnendes oder ausdrücklich gutheißendes Generale erlassen worden. Aber in Nürnberg wurde der Grundsatz der Gegenseitigkeit in Betreff der Abendmahlspraxis durch das jetzt freilich verschollene Edict des königl. General-Commissariats vom 10. April 1810 (Intelligenzblatt 1833 Nr. 104) ausdrücklich und unbeschränkt festgestellt, von der Voraussetzung aus, daß in dem Verhältniß beider Kirchen zu einander die Uebereinstimmung, nicht der Gegensatz das Vorwaltende sei.
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 Der Bestand gemischter Abendmahlsgemeinschaft reducirt sich also keineswegs auf vereinzelte Ausnahmsfälle, sondern er bindet ganze Gemeinden zusammen, wird auch mehr oder weniger grundsätzlich gepflegt und hat es sogar zu localer kirchengesetzlicher Geltung gebracht. Wir sind nun zwar weit entfernt zu behaupten, daß überall wo diese Praxis besteht unlutherische Gesinnung oder gar geflissentliche Unionstendenz der Beweggrund ihrer bisherigen Ausübung war. Aber was bisher in argloser Einfalt bestanden hat ist nun einmal durch das erstarkte confessionelle Bewußtsein und geschärfte confessionelle Gewissen an das Licht der Prüfung gezogen worden. Das Herkommen, wenn es ein Adiaphoron war, ist diesem Bereiche auf immer entrückt und wir sind ihm gegenüber in den Stand der Selbstentscheidung versetzt. Diese Selbstentscheidung ist ebenso sehr durch Einsicht in die principielle Frage als in den landeskirchlichen Thatbestand bedingt. Die Kulmbacher Conferenz vom 23. Sept. 1851. hat beides, sowohl das Princip als den Thatbestand, gebührend wahrzunehmen geglaubt, indem sie in ihrer 6. These aussprach, „daß Abendmahlsgemeinschaft zwischen Mitgliedern| der lutherischen Kirche und denen anderer evangelischer Confessionen da wo sie nicht durch einen dringenden Nothstand entschuldigt werden kann als durchaus verwerflich erscheint und auch da wo diese Entschuldigungsgründe stattfinden immer ein Uebelstand bleibt, dessen Beseitigung zugleich mit der Beseitigung der bedingenden Nothstände dringend gewünscht und auf alle Weise erstrebt werden muß.“

 Die Conferenz hat also die principielle Verwerflichkeit gemischter Abendmahlsgemeinschaft erklärt und die Beseitigung derselben überall wo sie innerhalb der Landeskirche besteht als das Ziel dringenden Wunsches, ernstlichsten Strebens bezeichnet. Wenn sie dabei verlangt, daß diese Beseitigung ohne daß der eine Theil den andern in den Zustand kirchlicher Verkümmerung verstößt vollzogen werden soll, so ist das sicher ein christliches und also kein unlutherisches Verlangen. Wenn sie aber hinzusetzte, daß gemischte Abendmahlsgemeinschaft durch dringenden Nothstand entschuldigt werden könne, so trifft das den eigentlichen Kernpunkt der Frage, so aber, daß es ihn mehr in Dunkel hüllt als in rechtes Licht setzt. Eine rechte Einigung der Conferenz über diesen Zusatz kam auch nicht zu Stande.

 Wenn man gemischte Abendmahlsgemeinschaft als Zustand betrachtet und Entschuldigung von Rechtfertigung gehörig unterscheidet, so mag ein solcher Zustand, insofern er in einer Zeit entstand, wo die beiden Kirchen über ihren Gegensatz zur Religionsgleichgültigkeit einerseits und zum Katholizismus andererseits ihres inneren Gegensatzes ganz vergessen hatten, allerdings entschuldigt werden. Aber kann der Pfarrer sich selbst entschuldigen, welcher thut was auch nach dem Urtheil der Conferenz principiell verwerflich ist und alles Ernstes abgestellt werden muß? Thut er Sünde oder was die Pflicht der Liebe von ihm fordert und also Gott gefällig ist? Diese Frage zu lösen ist der eigentliche Zweck dieser Blätter. Wir wollen wieder von dem Verhältniß beider Kirchen zu einander im Allgemeinen ausgehen.

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|  Handelt denn überhaupt die lutherische Kirche Recht, indem sie die Hand der Gemeinschaft, welche die reformirte ihr bietet, zurückweist?

 Denen welche Lust tragen, diese Frage zu verneinen, geben wir vorerst zu bedenken, daß wer sie verneint einen Strich der Verwerfung durch das ganze Werk der deutschen Reformation macht. Dann ist Luther, sind die Heroen unserer Kirche fleischlich gesinnte Starrköpfe gewesen, die den Streit lieber hatten als den Frieden, und eine jämmerliche Verblendung war’s, daß Joh. Arndt sich 1590 lieber seines Amtes in Badeborn entsetzen ließ, als daß er durch die unter andern Umständen unverfängliche Weglassung des Exorcismus der Hinneigung seines Fürsten zu reformirter Lehre nachgegeben hätte – eine jämmerliche Verblendung, daß Paul Gerhardt 1661 sein Amt niederlegte, weil die mit der Concordienformel unvereinbare churfürstliche Beschränkung der Polemik gegen reformirte Irrlehre sein Gewissen ängstete und kein Zureden, keine Concession des Churfürsten und seiner Gemahlin es zu beruhigen vermochten. „Ich fürchte mich für Gott, in dessen Anschauen ich hier auf Erden wandele, Unnd für welches gerichte ich auch dermahleins erscheinen muß, Unnd kan’s nach dem, wie mein Gewißen von jugend auff gestanden und noch itzo stehet, nicht anders befinden.“ So schrieb er dem Churfürsten und legte sein kaum wieder angetretenes Amt in Angst seines Gewissens freiwillig nieder.

 Bedenke doch: diese Männer, die unsere Kirche gepflanzt und begossen haben, deren Schriften vom himmlischem Balsam triefen, deren Lieder wie Blätter vom Baume des Lebens nie verwelken, diese Männer, welche den Werth einer Seele vor Gott nicht nach unfruchtbarer Erkenntniß, sondern nach dem rechtfertigenden Glauben und lebendiger Erfahrung bemaßen, waren so schroff, so exclusiv und wollten keinen Frieden als in Einheit der Wahrheit.

|  Und was machen wir mit unseren Bekenntnißschriften, wenn wir eine andere, als diese exclusive Stellung zu den Reformirten einnehmen zu müssen glauben? Daß unsere Bekenntnißschriften die strengsten Verwerfungsurtheile über die Lehre der Reformirten, die entschiedenste Ablehnung kirchlicher Gemeinschaft mit ihnen enthalten, weiß jeder der sie auch nur oberflächlich kennt. Ist das unsittliche Maßlosigkeit, orthodoxistische Härte, consequenzmacherische Schroffheit? Schlimm dann für uns, die wir auf diese Symbole eidlich verpflichtet sind oder doch der Kirche angehören, welche sich zu diesen Symbolen bekennt, ohne sich von jenen unsittlichen und keinesweges unwesentlichen Bestandtheilen öffentlich losgesagt zu haben. Denn wenn jene Strenge den Gegensatz der Liebe bildete, welche unser Herr und Heiland zum Kennzeichen seiner Jünger gemacht hat, wenn der Sachverhalt des recht verstandenen reformirten Bekenntnisses ein anderer wäre, wenn das Verhältnis der beiden Kirchen zu einander eine wesentliche Aenderung erlitten hätte: so dürfte die lutherische Kirche nicht schweigen, sie müßte durch den Mund ihrer bekenntnißtreuen Glieder reden und demjenigen im Inhalt der Symbole entsagen was wider die Liebe aus Gott ist oder doch jetzt keine Anwendung mehr leidet.
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 Aber so gern und freudig wir es anerkennen, daß viele gläubige Glieder der reformirten Kirche mit den gläubigen Gliedern der lutherischen durch Einheit gleichen Glaubens verbunden sind, so gewiß ist es doch auch, daß das öffentlich anerkannte und rechtsgültige Bekenntniß der reformirten Kirche bis auf den heutigen Tag desselben geblieben ist. Es sind die alten Fahnen, mit welchen die Heerlager beider Kirchen einander gegenüberstehen. In demselben Maße als die lutherische Kirche die Fahne ihres Bekenntnisses wieder hoch emporgehoben und entfaltet hat, ist auf Seiten der reformirten Kirche das Gleiche geschehen. Und wenn es auch wahr ist, daß die reformirte Kirche ihre Fahne ein wenig gesenkt hat, um unsere Kirche mit| dem Wunsche des Friedens zu begrüßen, so steht der Friede doch erst in Aussicht, er ist noch nicht geschlossen, der Friedensschluß ist Sache beider Kirchen, nicht mit Ignorirung der Kirchen die Sache einzelner ihrer Glieder.
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 Das Verhältniß beider Kirchen zu einander ist also noch wesentlich dasselbe, weil ihr Bekenntnißstand noch derselbe ist wie ehedem. Wenn wir die uns gebotene Hand der Gemeinschaft nicht zurückweisen, so könnte es nur deshalb geschehen, weil überhaupt die Lehrdifferenzen beider Kirchen nicht als fundamental, nicht als gemeinschafttrennend anzusehen seien. In diesem Falle müßten wir annehmen, daß der Kampf, welchen unsere Kirche Jahrhunderte hindurch gegen die reformirte geführt hat, vor Gott ein Greuel gewesen ist und daß Fleisch und Blut, ja der Teufel selbst den von Anfang an möglichen und gottgefälligen Frieden beider Kirchen verhindert hat. Es wäre schrecklich wenn es so wäre; indeß wenn die Voraussetzung, daß die Unterschiede beider Kirchen unwesentlich seien, wahr sein sollte, so dürften wir selbst vor so hartem Urtheil nicht zurückbeben und wir müßten um Gottes willen über unsere Vergangenheit den Stab brechen. Gott sei Dank, daß wir das nicht nöthig haben! Wohl wissen wir, daß wir uns an dem Gotte der Wahrheit versündigten, wenn wir unsere lutherische Lehre um jeden Preis zu behaupten suchten eben nur weil wir sie ererbt, weil sie die unsere ist. Das Erbe der Väter muß immer aufs neue in den Schmelztiegel des Wortes Gottes, und wehe den Kindern, die sich nicht freuen wenn in Feuer aufgeht was nicht feuerbeständig ist! Aber wir können ohne Selbstruhm laut und fröhlich bezeugen, daß unsere bekenntnißmäßige Lehre in allen mit der reformirten Kirche streitigen Punkten diese Feuerprobe siegreich bestanden hat. In der Periode des herrschenden Rationalismus war sie wie in den Tod dahingegeben. Aus diesem Tode ist sie wiedererstanden, mit der Macht göttlichen Wortes die Herzen überzeugend und sich an ihnen bezeugend,| der gläubigen Wissenschaft sich bewährend, neue Gemeinden sammelnd und mit altem Bekennermuth durchdringend. Wir behaupten nicht zu viel wenn wir sagen, daß auf dem Gebiete der neuesten Kirchengeschichte kein Bekenntniß solche gemeinschaftbildende Kraft bewiesen, wie das lutherische, und daß auch auch auf dem Gebiete der Wissenschaft die lutherische Grundanschauung von dem unzertrennlichen geheimnißvollen Ineinander des Göttlichen und Menschlichen in der Person Christi, in dem Worte Gottes, in den sacramentlichen Gaben, in dem Heilsrathschlusse und seiner zeitlichen Verwirklichung zur treibenden Kraft neuer fruchtreicher Erkenntnisse, ja einer ganz neuen verheißungsvollen Entwickelung geworden ist.
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 Wer die Sätze und Gegensätze unseres Bekenntnisses im Verhältniß zum reformirten mit einem Blicke übersehen will, der lese die unserm Concordienbuch beigegebenen sächsischen Visitationsartikel. Die Lehrunterschiede sind hier überaus klar, bündig und würdevoll auseinandergelegt. Es handelt sich nicht um speculative Lehrsätze, sondern um einfache Heilswahrheiten. Was beide Kirchen scheidet, läßt sich in wenige Worte fassen und selbst der Einfalt eines Kindes verständlich machen. Wenn die Schrift sagt, daß die Taufe das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung des heil. Geistes ist, daß in dem Brote und Weine des Abendmahls uns der Leib Christi, der für uns dahingegebene, und sein Blut, das für uns vergossene, dargereicht werden, daß Christus aufgefahren ist über alle Himmel, auf daß er alles erfüllete und daß Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, obwohl er in Christo die welche selig werden von Ewigkeit her erwählt hat: so beugt sich unsere Kirche ohne zu deuteln unter diese Aussagen der Schrift, nimmt ihre Vernunft gefangen unter den Gehorsam des Glaubens und beruht anbetend in der göttlich bezeugten Wirklichkeit des unbegriffenen Mysteriums. Die reformirte Kirche dagegen reißt was in geheimnißvoller Weise sacramentlich zusammengegeben, persönlich| geeinigt ist, mehr oder weniger auseinander und läugnet, soweit sie an ihren prädestinatianischen Symbolen festhält, zu Gunsten der ewigen Vorherbestimmung den heiligen Ernst des allgemeinen göttlichen Gnadenwillens. Sie sucht was für die Vernunft unbegreiflich und widersprechend ist dieser näher zu bringen, indem sie das Unzertrennliche trennt und den Widerspruch beseitigt.
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 Können wir den Charakter der Lehrunterschiede nur so und nicht anders ansehen: so müssen wir es auch für die Pflicht unsrer Kirche halten, daß sie ihr gutes Bekenntniß wahre und wie eine festgegründete unerschütterliche Säule vor aller Welt hoch emporhalte. Der Inhalt ihres Bekenntnisses ist ja nicht ein erstudirtes System, auf welches sie nach Gutdünken mehr oder weniger Werth legen könnte, nicht eine menschliche Hypothese, welche Bescheidenheits halber mißtrauisch gegen sich selbst sein muß, sondern das ihrem Herzen durch den heil. Geist besiegelte, ihr Gewissen bindende Ja und Amen zum göttlichen Worte. Die schriftgemäße Erkenntniß die sie besitzt ist nicht ihre Erfindung, sondern eine Gabe der Gnade, das ihr von ihrem Herrn anvertraute Pfund das sie nicht in’s Schweißtuch wickeln und vergraben soll, die gute Beilage die sie zu bewahren hat bis auf jenen Tag durch den heiligen Geist der in ihr wohnet. Sie ist nicht so stolz und bornirt, sich für die allgemeine (katholische) Kirche zu halten, aber sie ist göttlich gewiß, daß ihre Lehre die katholische ist und bleiben und triumphiren wird selbst wenn das geschichtlich gewordene deutsch-lutherische Kirchenwesen dem Gerichte des Todes verfallen sollte. Das Credo im Schrein ihres Bekenntnisses ist freilich sehr verschieden von dem bekenntnißmäßig festgestellten Credo anderer Kirchen, es ist aber das wesentliche Credo aller in allen Kirchen zerstreuten Kinder Gottes auf Erden. Ihr ists gegeben gewesen, den rechten Ausdruck dafür zu finden. Diesen Typus der gesunden Worte hält sie hoch empor und kann kühnlich fordern, daß die Lehrtypen aller andren Kirchen sich nach dem ihrigen| richten und umgestalten. So weit sie nicht sich selber vergessen und verloren hat, ist diese gesunde Lehre das Band ihres Gemeinwesens, das Vorbild ihrer Praxis, die Voraussetzung ihrer Wissenschaft. Unser Kirchenlied, unsre Kirchenordnungen, unsre ascetische Literatur, unsre alte Theologie mit der Fülle ihres geistlichen Lebens selbst in harter und rauher scholastischer Form – das sind ihre Früchte. Liest man auch Trauben von den Dornen und Feigen von den Disteln?

 Ists denn also starrer Eigensinn, wenn die lutherische Kirche an ihrem Bekenntniß festhält, wenn sie es für ihr theuerstes Kleinod achtet und jedes gleichgültige Verhalten gegen dasselbe als Verkennung und Verwahrlosung ihres Berufes, als Undankbarkeit gegen Gottes Gabe ansieht? Ists gemeiner Haß, übertriebene Hartherzigkeit, wenn sie denen, welche kein freudiges Ja zu ihrem Bekenntnisse zu sagen vermögen oder ihm keine praktische Folge geben wollen und die Unterschiede beider protestantischen Kirchen für unwesentlich halten, die Hand der Gemeinschaft verweigert? Wehe ihr, wenn sie in fleischlichem Trotz den Streit lieber hätte als den Frieden, wenn sie diejenigen haßte, welche mit ihr durch Wort und Sacrament in Ein Leben aus Gott gezeugt sind und mit ihr zu den Füßen Eines Herrn anbeten! Nein, wenn sie auf ihrem Bekenntnisse besteht, so thut sie es aus Liebe zu denen, welche noch nicht dieses Glaubens und Bekenntnisses sind, damit sie es werden. Aus Liebe zu ihren miterlöseten christlichen Brüdern wehrt sie, an ihrem Bekenntnisse haltend, dem Selbstbetruge und der Lauheit, der Religionsmengerei und dem Indifferentismus. Aus Liebe verlangt sie, daß die sich zu ihr gesellen wollen durch die Thüre dieses Bekenntnisses eingehen, und nicht diese um ihr Gemeinwesen und ihre Heiligthümer gezogene Mauer übersteigen. Ihre Liebe hat überdies an dieser Mauer keine Grenze. Sie erkennt das Werk der Gnade auch außerhalb ihrer selbst überall an wo es sich zeigt, freut sich seiner und segnet es. –

|  Aber ist es nicht lieblos, Reformirte oder Unirte, welche in unsrer Kirche communiciren wollen, von der Communion auszuschließen? Soll die Unruhe und der Lärm des Streites der Kirche bis in ihr friedliches Allerheiligstes, das Sacrament des Altars, dringen? Es ist ja ein Mahl der Liebe. Es ist ja der Tisch des Herrn, nicht der Tisch der Kirche.

 Hierauf geben wir vorerst (wie schon im Mecklenburgischen Zeitblatt 1850. Nr. 4.) die bestimmte historische Antwort: die Nichtzulassung Reformirter zum Abendmahl war von jeher in unsrer lutherischen Kirche, so weit sie sich von philippistischem Synkretismus rein erhielt, allgemein gültige Kirchenpraxis. Wir werden dies in einem Anhange, soweit uns vorjetzt die Belege dafür zugänglich sind, beweisen.

 Es ist ferner bekannt, daß unsre Kirche um die reine Lehre vom heil. Abendmahl einen Jahrhunderte langen Kampf bis aufs Blut gekämpft hat. Die Abendmahlslehre ist dadurch unendlich hoch über alle Mitteldinge (Adiaphora) emporgerückt worden. Sie ist das Schibbolet der Kirche geworden, an dem sie erkennt wer mit ihr und wider sie ist. Ihre Eigenthümlichkeit geht zwar in der Abendmahlslehre nicht auf, aber sie concentrirt sich darin. Die reine Rechtfertigungslehre gegenüber der römischen Kirche, und die reine Abendmahlslehre gegenüber der reformirten Kirche – das sind die beiden Herzkammern lutherischen Wesens.

 Wie konnte und wie kann die Kirche bei dieser Wichtigkeit der Abendmahlslehre an sich und bei dieser Wichtigkeit, welche dieselbe für sie im Laufe einer dreihundertjährigen mit Schweiß und Blut und Thränen getränkten Geschichte erlangt hat, gleichgültig dagegen sein, ob derjenige der in ihren Gemeinden zum Abendmahl gehen will die rechte schriftgemäße Erkenntniß vom Sacramente des Herrn habe oder nicht! Sie würde, wenn sie Reformirte mit zwinglischer oder calvinischer Lehre, Unirte mit ihrer die Unterscheidungslehren indifferenzirenden Ansicht zum Tische des Herrn zuließe, die Waffe der Väter bei Seite legen,| falschen Frieden schließen, die Unwissenheit begünstigen, die Lauheit heiligen. Thun das ihre Kinder, so handeln sie ohne Auftrag und wider den Geist der Mutter.

 Die alte solcher falschen Abendmahlsgemeinschaft feinde[WS 3] Praxis sieht allerdings sehr lieblos aus und wo sie, wie bei uns in Bayern, in Vergessenheit und Verfall gerathen ist, erscheint sie beinahe wie die Inhumanität selber. Auch wollen wir nicht läugnen, daß diese Praxis, ausgeübt von solchen, welche nur einen orthodoxen Kopf und nicht in Liebe lebendigen Glauben haben, recht abstoßend und seelenverderblich werden kann. Wenn überhaupt die Seelsorge ein unaussprechlich zartes Geschäft ist und, wie irgendwo Bernhard von Clairvaux sagt, jede Seele einem bis oben an mit Christi Blut gefüllten Gefäße gleicht, welches der Seelsorger zu tragen hat, ewig verantwortlich für jeden verschütteten Tropfen: so ist hier wo es sich um Theilnahme am heil. Abendmahl handelt, diesem allerzartesten Geheimniß der für uns gekreuzigten und nun verklärten Liebe, doppelte und dreifache Zartheit von Nöthen, und es heißt hier im unendlich höchsten Sinne: verdirb den nicht durch deine Speise, für welchen Christus gestorben ist. Wo aber jene Praxis von einem nicht blos namenchristlichen und pharisäisch lutherischen Pfarrer gehandhabt wird, da birgt die rauhe Schale einen süßen Kern, die harte Muschel eine köstliche Perle, die scheinbare Schroffheit einen seligen Zwang.

 Das heil. Abendmahl ist ja nicht allein eine Selbstdargabe des Herrn, es ist auch ein Bekenntniß der seinen Tod verkündigenden Gemeinde; es ist der Culminationspunkt des Gottesdienstes, der Hauptakt der kirchlichen Gemeinschaftsbethätigung, der höchste Ausdruck und Vollzug des Glaubenslebens der Gemeinde[3]. Wer an dem heil. Abendmahl in dieser oder jener| Kirche theilnimmt, der bekennt sich nicht allein zum Herrn, sondern auch zu der ihn hier bekennenden Gemeinde. Er muß kennen und glauben was die Kirche bekennt und entschlossen sein es mitzubekennen. Deshalb schloß die alte Kirche die Katechumenen von der Abendmahlsfeier aus, ganz entsprechend dem Wesen dieses höchsten Bekenntniß- und Cultusactes[4]. Ebendeshalb geht noch jetzt der Berechtigung zur Communion die Confirmation voraus; denn cultusfähig ist erst der welcher weiß was es um Leib und Blut des Herrn ist. Und nach altem Brauch erlangt ein bisher einer anderen Kirche angehöriger Christ die Berechtigung zur Communion erst nach vorausgegangenem Katechumenat oder doch vor Superintendent oder Pfarrer abgelegtem Bekenntniß; auch wurde er nicht angenommen, wenn er nicht der Kirchengemeinschaft, der er bisher angehörte, die schuldige Anzeige gemacht. Die dann erfolgende Theilnahme am Abendmahl galt von jeher als öffentliche Kundgebung des Uebertritts von der einen Confession zur andern.

 Warum in aller Welt sollten wir diese alte gute Praxis aufgeben? warum da wo sie in Verfall gerathen mit ihrer Wiederaufrichtung zögern?

 Man verweist auf lutherische Gemeinden, denen Reformirte in völliger Untergebung unter lutherische Gottesdienst- und Kirchenordnung sich angeschlossen haben. Man findet es hart, daß solche Reformirte mit Einem Male vom Tische des Herrn innerhalb der Gemeinde der sie angehören zurückgewiesen werden sollen. Aber wenn sie mit Mund und Herz der lutherischen Gemeinde angehören, so sollen sie ja nicht zurückgewiesen werden. Wollen sie aber zur lutherischen Gemeinde gehören und| doch Reformirte bleiben, so ist das ein Selbstwiderspruch, welcher entweder von Mangel an Erkenntniß oder von grundsätzlichem Indifferentismus oder von Gewissenlosigkeit zeigt. Die erste Ursache ist schlimm, die zweite schlimmer, die dritte die schlimmste; der Seelsorger wird in allen drei Fällen solche reformirte Mitglieder seiner lutherischen Gemeinde mit Weisheit und Milde zum bewußten Uebertritt zu unsrer Kirche zu bestimmen suchen müssen. Ein triftiger Grund, weshalb er Bedenken tragen sollte, ihnen mit dem Verlangen nach freier Selbstentscheidung für die lutherische oder reformirte Kirche zu nahen, ist gar nicht vorhanden. Sind es Gemeindeglieder denen es noch an der allgemeinsten christlichen Erkenntniß mangelt, wenigstens an lebendiger, so ist die Frage, welcher Kirche sie angehören wollen, sofern sie nur gehörig vorbereitet wird, geeignet sie aus ihrem Unwissenheits- und Sicherheitsschlafe aufzurütteln. Sind es redliche wahrheitliebende Seelen, so wird ihnen das Zweideutige und Heuchelartige ihrer gegenwärtigen Stellung leicht verständlich zu machen sein; die Wahl, die ihnen vorgelegt wird, wird sie in’s Gebet treiben und die Salbung von dem Heiligen wird sie lehren was vor Gott recht und ihnen heilsam ist. Sie lassen ja ihre Kinder lutherisch confirmiren, warum sollten sie selbst nicht lutherisch sein mögen? Uebrigens wird man nicht gewaltsam in sie dringen, man wird ihnen Bedenkzeit lassen, und während derselben bereit sein, mit Geduld ohne Ermüden sich ihrer anzunehmen. Sollten aber mehrere vermöge der Macht der Gewohnheit oder aus Starrsinnigkeit oder aus Unfähigkeit sich zu überzeugen bei der reformirten Kirche bleiben wollen, so steht es ihnen frei, sich in den äußern Verband und die geistliche Pflege dieser zu begeben und es bedürfte nur eines reformirten Reisepredigers, für welchen die Mittel sicherlich aufzubringen wären, um eine solche reformirte Diaspora kirchlich zu versorgen. In Abwesenheit desselben bleibt es ihnen ja unbenommen, am lutherischen Gottesdienst theilzunehmen –| nur das Sacrament des Altars ist ihnen unzugänglich, weil sie der Kirche nicht angehören wollen die es feiert. Vielleicht aber giebt es auch andere Wege, um die bei gemischten Gemeinden sich etwa vernothwendigende Sonderung ohne Verletzung wohlbegründeten Rechts und christlicher Liebespflicht auszuführen. Sie würden sich schon ausfindig machen, wenn man mit vereinten Kräften darnach forschte. Warum sollte man sich dessen weigern? Sehe ich recht, so berühren sich in der Weigerung die beiden Extreme unlutherischer Milde und unlutherischer Engherzigkeit. Denn einestheils sucht man vor den schwachen Gemüthern, als ob sie nie stark zu werden brauchten, den Streit der Kirchen zu verhüllen, der doch eine offne weltgeschichtliche von Gott zugelassene Thatsache ist, anderentheils benimmt man sich so als ob es zur Seligkeit schon genüge, auch nur äußerlich und mit halbem Herzen innerhalb der lutherischen Kirche zu sein. Es ist aber doch jedenfalls besser, wenn man eine Ueberzeugung hat und dorthin sich hält, wohin man durch seine Ueberzeugung gewiesen ist, als wenn man gar keine Ueberzeugung hat und weder recht reformirt noch recht lutherisch ist. Wir verhehlen es uns allerdings nicht, daß in gemischten städtischen Gemeinden bei der Massenhaftigkeit mancher Parochien die seelsorgerliche Sichtung, welche wir wünschen, eine riesige Arbeit ist. In solchen Gemeinden giebt es Hunderte, welche weder Rechts noch Links wissen und denen die Entscheidungsfrage nur mühsam oder gar nicht klar zu machen ist. Es wäre aber auch eine ebenso thörichte als ungeduldige und unbarmherzige Forderung, daß diese alle plötzlich in entschiedene Lutheraner oder Reformirte umzuschaffen seien. Das ist nicht möglich. Eine Landeskirche wird immer eine mehr oder weniger blinde und unbewußte Mitgliedermasse enthalten. Es ist das ihr Uebel, aber auch ihr Segen; denn, um nur Eine Seite dieses Segens anzudeuten, das christliche Bewußtsein und Leben vieler Menschen bleibt bis zur letzten diesseitigen| Entscheidung, wie einmal Bengel sagt, in gemma (in geschlossener Knospe). Kundige werden diese Andeutung verstehen. Genug daß man unlutherischem Bewußtsein, wo es sich kundgiebt, entschieden entgegentrete und das Unbewußtsein nicht pflege und vertheidige, sondern alles Ernstes zum Bewußtsein zu erheben strebe. Die Kirche zählt ja nicht nach Köpfen, sondern nach Seelen.
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 Ein Aufsatz Hofmann’s über den Streit der Kirchen (Mecklenburgisches Kirchenblatt S. 281 f.) schließt mit folgenden in die Zukunft gerichteten Worten: „Ich sehe im Geist – ob nah oder fern, weiß ich nicht – die Kirche des evangelischen Bekentnisses zu ihrer selbst Gestaltung gelangt. Ihre selbstthätigen Gemeinden bestehen ganz aus solchen, welche sich mit freiem Entschlusse zum Glauben der Kirche bekannt haben. Jedweder kennt seine Verpflichtung der Kirche zu leben und von ihr sich strafen zu lassen; der Träger des geistlichen Amts kann sie um sich schaaren zu allem guten Werk, das Christen zukommt, damit der Tempel Gottes auf Erden erbauet werde. Aus solchen Gemeinden gehen die Träger des geistlichen Amtes hervor, denen nun nichts seltsames mehr geschieht, wenn sie verpflichtet werden, dem Bekenntnisse der Kirche gemäß zu lehren.“ Als Mittel zur Herbeiführung dieser besseren kirchlichen Zukunft bezeichnet er vor allem die Confirmation, dies daß aus dem Unterrichte und aus der Reiferklärung der Unterrichteten ein heiliger Ernst gemacht werde und nicht mehr, wie bisher gar oft, der Geistliche mit bewußter Unwahrheit beladen am Confirmationsaltar stehe und bezeuge, eine Schaar wohlunterrichteter und zu selbstständigem Bekenntniß befähigter Christen der Gemeinde einzuverleiben. Nun denn, soll Reformirten und Unirten erspart werden, was von unsern Confirmanden, ehe wir sie zum Tische des Herrn zulassen, zu fordern unsere heilige Pflicht ist? Ziemt der Kirche eine auf implicita ignorantia beruhende Vereinigung mit Reformirten| und Unirten, von denen wir nicht wissen und nicht fragen mögen ob sie bleiben wollen was sie sind? Ziemt der Kirche eine so politisch äußerliche Propaganda, welche die Eltern um der Kinder willen, welche lutherisch confirmirt werden, in ihrem Unbewußtsein beläßt und kein Kirchenbewußtsein in ihnen aufkommen läßt?
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 Es ist keineswegs unsere Meinung, daß die in lutherischem Gemeindeverband befindlichen Reformirten ohne weiteres als Reformierte anzusehen und auszuschließen seien. Das wäre unwahr, ungerecht und lieblos. Man hat vielmehr in hoffender Liebe davon auszugehen, daß ihrem tatsächlichen Anschluß an die lutherische Kirche auch ihr Wille und ihre Ueberzeugung entsprechen. Aber Zweies ists was uns bei solchen gemischten Gemeindebeständen unerläßlich scheint: erstens daß die Unklaren auf seelsorgerlichem Wege zu bewußter kirchlicher Entscheidung gebracht werden und daß das Amt öffentlich und sonderlich mit ebensoviel Weisheit und Milde als Ernst und Entschiedenheit darauf hinzuarbeiten gewillt und bestrebt sei; zweitens daß denen, welche erklärter und bekanntermaßen Glieder der reformirten Kirche bleiben wollen, der Zutritt zu unserem Abendmahl um ihres eignen Gewissens willen gewehrt werde. Es ist freilich möglich, daß es gerade recht liebe und ehrenwerthe Christen sind, welche von dieser scheinbar harten Praxis betroffen werden. Aber wollen wir denn damit, daß wir solche zurückweisen, sagen daß wir das Werk des h. Geistes an ihren Seelen nicht anerkennen oder geringschätzen und uns der christlichen Tugenden nicht freuen, mit denen die Gnade sie geschmückt hat? Zählen wir sie den Unreinen und Unwürdigen bei, denen nach Matth. 7, 6. Heiligthum und Perlen nicht preisgegeben werden sollen? Stellen wir ihre Zurückweisung auf gleiche Linie mit der Ausschließung solcher, welche in herrschenden Sünden und beharrlicher Unbußfertigkeit dahingehen? Nichts von dem allen. Sondern deshalb sind sie zurückzuweisen weil wir unsere| lutherische Kirche nicht für die rechtgläubige halten können, ohne die reformirte für eine irrgläubige zu halten und weil es wahrlich keine gleichgültige Sache ist, ob man sich zu jener bekenne oder dieser. Nun wissen wir freilich auch, daß viele Reformirte schriftgemäßer glauben als ihre Kirche bekennt, und überhaupt ist von dem Bekenntniß einer Kirche noch kein Schluß zu ziehen auf den Glauben aller ihrer Glieder. Aber das ist eben die Krankheit unserer Zeit, daß der Einzelne in demselben Maße als er früher ganz und gar in dem Natur- und Kirchenzusammenhange aufging in dem er sich vorfand, sich jetzt aus diesem Natur- und Kirchenzusammenhange isolirt und alle Wechselbeziehung der Verpflichtung und der Verantwortlichkeit aufhebt. Als ob die Kirche nicht da wäre, meinen Glieder der lutherischen und reformirten Kirche glauben zu können was sie wollen. Und allerdings sind sie frei, aber ebenso gewiß ists, daß das Bekenntniß der Kirche alle ihre Glieder überwaltet und daß derjenige dessen Glaube in Widerspruch steht mit dem Bekenntnisse seiner Kirche sich in gewissenswidrigem Widerspruch befindet mit sich selber. Denn er gehört der Kirche nicht innerlich an, welcher er äußerlich angehört. Bei diesem Subjectivismus unserer Zeit ist eine strengere Abendmahlspraxis doppelt nothwendig. An der Schwelle des Allerheiligsten soll er zur Besinnung und Ueberzeugung seiner Unkirchlichkeit gebracht werden. Diese Schwelle soll er nicht überschreiten.
 Fassen wir unsere Ueberzeugung nun kurz zusammen, so kann es in folgenden Thesen geschehen: 1) Das h. Abendmahl ist von Seiten des Herrn Mittheilung seines wahren Leibes und Blutes an die Gemeinde, von Seiten der Gemeinde Hinnahme dieser allerheiligsten Gaben unter Verkündigung seines Todes. Es hat also eine confessionelle Seite und ist wie der Gipfel des Gemeindegottesdienstes, so auch der Gipfel des fort| und fort ergehenden Gemeindebekenntnisses. 2) Das Abendmahlsbekenntniß der lutherischen Kirche ist Bekenntniß zu dem unter Brot und Wein zu mündlichem Genusse dargebotenen und Würdigen wie Unwürdigen, diesen jedoch zum Gerichte zutheil werdenden Leibe und Blute des Herrn. 2) Dieses Bekenntniß hat die reformirte Kirche nicht, und die unirte läugnet seine Fundamentalität und überhaupt die Wesentlichkeit der Differenzen beider Kirchen; mit beiden Kirchen geht deshalb die lutherische keine Gemeinschaft, am wenigsten Abendmahlsgemeinschaft ein, wo sie ihres Berufes eingedenk ist und nicht von sich selber abfällt. 4) Denn alle Kirchengemeinschaft ist Ausdruck der Glaubensgemeinschaft, der Gipfel aller Kirchengemeinschaft aber ist die Abendmahlsgemeinschaft, weshalb alle Unionen von jeher durch diese vollzogen und besiegelt worden sind. 5) Die bekenntnißmäßige und grundsätzliche Stellung der lutherischen Kirche zur reformirten und unirten ist normirend für die Praxis des lutherischen Kirchenamts; es darf Reformirte und Unirte die es bleiben wollen nicht zur Abendmahlsgemeinschaft mit unserer Kirche zulassen, darf nicht die Glieder der lutherischen Gemeinde in Abendmahlsgemeinschaft mit jenen versetzen. 6) Gemischte Abendmahlsgemeinschaft läßt sich durch keinen Nothstand rechtfertigen, denn es kann nichts zur Liebespflicht werden was gegen die Glaubenspflicht ist. In gemischten Gemeinden lutherischen Namens und Bekenntnisses ist offen zu erklären, daß von allen welche am h. Abendmahle theilnehmen die Willigkeit, der lutherischen Kirche mit Herz und Mund, Wort und That anzugehören, erwartet wird und verlangt werden muß.
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 Nur zwei Fälle haben wir noch nicht besprochen. Der erste ist die Communion Sterbender. Daß der Blick dieser nicht mehr auf den diesseitigen Kirchenstreit, sondern nur auf das himmlische Manna des Sacramentes selbst und die Bedingungen des Eingehens in das jenseitige Kanaan hinzulenken ist, versteht sich von selbst. Der andere Fall betrifft das| Verhalten gegen solche, welche von der Schriftmäßigkeit unseres Bekentnisses überzeugt, aber noch nicht zu dem Entschlusse, von der reformirten oder unirten Kirche abzutreten, hindurchgedrungen sind. Solche werden mit weiser Zartheit zu ermahnen sein, um ihres eignen Gewissens willen von ihrem Begehren vorjetzt abzustehen, weil die Gewährung ihnen Pflichten auferlegt die sie noch nicht anerkennen. Sind sie redlich, so wird ihnen daraus der Segen heilsamer Beschleunigung ihrer Krisis erwachsen, während die Zulassung mit der Gefahr der Erschlaffung und der Einschläferung verbunden ist.

 So können wir die scheinbar allzu rigorose altkirchliche Praxis bis an ihre äußersten Grenzen verfolgen, und nirgends hat sie, wenn mit geistlicher Weisheit und liebevoller Zartheit geübt, das Abschreckende und Abstoßende was man ihr schuld giebt. Sie ist die unerläßliche Consequenz unseres Glaubens sofern er seiner selbst gewiß ist. Daß wir vor dieser Consequenz zurückbeben, ist die Macht der Gewohnheit, welche uns die gute alte Ordnung der Kirche ganz aus den Augen gerückt hat. Aber wenn wir nur Ernst machen wollten mit consequenter Ausübung dessen was wir glauben und bekennen, so würde sichs zeigen, daß auf unserer Seite der Sieg und der Segen ist.

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Man wird es diesen Blättern abmerken, daß sie nicht das schnell fertiggewordene Machwerk eines oberflächlichen Theoretisirens sind, sondern die mühsam gezeitigte Frucht eines inneren Kampfes. Ich habe alle Gegengründe in ihrer ganzen Schwere auf mich wirken lassen, und will deshalb auch jetzt noch zwei gewichtigen Einsprachen mich nicht entziehen, welche das obige Ergebniß, wenigstens seine äußersten Consequenzen, wankend zu machen scheinen.

|  1) Die erste Einsprache lautet, daß das Heil der lutherischen Kirche nicht in Repristinirung eines früheren einseitig doktrinellen, überspannt rigorosen Standpunkts bestehe, der sie schon einmal dem Untergange nahe gebracht hat, sondern in frischerer und freierer Wiedererstehung aus ihrer in den Tod . gegebenen Vergangenheit. Diese allgemeine Prämisse, so verstanden wie sie von bekenntnißtreuen lutherischen Theologen der Gegenwart verstanden wird, ist wahr und beherzigenswerth. Aber es ergiebt sich daraus keine unseren obigen Ergebnissen widersprechende Folgerung. Wem fällt es denn ein, außer etwa einem Grabau, die consequenzmacherische und wechselseitig rohe Streitpraxis früherer Zeiten zu erneuern und die Dogmatik des 17. Jahrh. zum Symbol zu erheben? Von woher hat denn die von dem Grunde des kirchlichen Bekenntnisses aus fortschreitende und den substantiellen bekenntnißmäßigen Inhalt der Symbole von unwesentlichem Beiwerk und entwickelungbedürftigen Keimansätzen unterscheidende lutherische Theologie Verketzerung erfahren? Auf allen Seiten regt sich ein in die Zukunft gerichtetes Streben nach wahrem Fortschritt, und nicht nur das Gefühl des Bedürfnisses, sondern auch das gegenseitige Zugeständniß einer die Tradition durchbrechenden Freiheit ist hier allgemein. Selbst in der Lehre vom h. Abendmahl liegen kühne Fortbildungsversuche vor, zu denen auch Huschke’s Aufsatz über Wort und Sacrament als die Factoren der Kirche zu zählen ist. Aber mitten in all diesem Werden ist unserer Kirche die Ueberzeugung von der substantiellen Wahrheit ihres Bekenntnisses im Gegensatz zum reformirten neu besiegelt und man kann in Wahrheit sagen, daß die gesammte lutherische Theologie der Gegenwart in den der reformirten Kirche gegenüber festgehaltenen Dogmen lebt und webt. Das ist eine Thatsache, und es folgt daraus, daß die Kirche durch eine strengere Abendmahlspraxis nur bethätigt was ihr der h. Geist von neuem tief ins Herz gedrückt hat. Und die Vernichtung der Selbstständigkeit der| lutherischen Kirche durch die Unionen in den meisten deutschen Ländern – ist das nicht auch eine Thatsache? Sind im 17. Jahrh. der lutherischen Kirche so tiefe Wunden geschlagen worden, wie im 19ten? Der Kampf um Sein oder Nichtsein, welchen die lutherische Kirche mit der unirten zu kämpfen hat, ist eine Thatsache der Gegenwart, kein heraufbeschworenes Gespenst der Vergangenheit. Also wird man auch strengere Abendmahlspraxis gegen Unirte keine unvermittelte Repristinirung von Vergangenem nennen können, sie ist ein durch die Gegenwart gebotenes Selbsterhaltungsmittel.
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 2) Aber collidirt die Sorge der lutherischen Kirche für ihre Reinheit nicht mit einer höheren Pflicht der sie weichen muß, wenn sie solche von ihrem Abendmahl abweist, welche zwar der reformirten oder unirten Kirche angehören, aber ohne kirchliches Bewußtsein, und welche das h. Abendmahl in aller Einfalt zur Befestigung ihrer Gemeinschaft mit Christo begehren und voraussichtlich nicht ohne Segen empfangen würden? Diese Einsprache ist unstreitig die allergewichtigste. Sie würde jedoch, wenn wir bejahend antworten müßten, nur beweisen, daß es gewisse Fälle geben kann, in welchen der Pfarrer von der Zugehörigkeit des Communikanten zur lutherischen Kirche Umgang nehmen kann. Aber wir können sie nicht schlechthin bejahend beantworten. Es ist wider das lutherische Gewissen, kirchliches Unbewußtsein zu pflegen und die Gegensätze der Kirchen zu verhüllen als wären sie nicht vorhanden. Das soll nicht geschehen. Es soll auch dem einfältigsten Christen nicht verschwiegen werden, daß er sich zur lutherischen Kirche bekennt wenn er mit ihr das h. Abendmahl begeht und daß er dies nicht thun soll wenn er es nicht von ganzem Herzen thun kann. Uebrigens wollen wir nicht läugnen, daß hier Fälle vorkommen können, welche in das Gebiet der Casuistik gehören und welche unseren alten Lehrern gar nicht in den Sinn gekommen sind, und für alle Fälle sei hier was wir schon oben bemerkt noch einmal ausgesprochen,| daß der Pfarrer sich mit größter seelsorgerischer Milde der Fassungskraft des sich Meldenden anzubequemen und mit Furcht und Zittern zu Werke zu gehen hat; denn es wird dereinst das Blut jeglicher Seele von ihm gefordert werden, welche durch seine Schuld, sei es durch sein Reden oder Schweigen, verloren gegangen ist.
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 Allen denen, welche durch die bisherige Auseinandersetzung nicht überzeugt worden sind, möge nun zum Schlusse noch ein Spiegel vorgehalten sein, in welchem sie sich besehen mögen, um zu erkennen, zu welcher Klasse der nicht Ueberzeugten sie gehören.

 1) Sie gehören vielleicht zu denen, welche es für gleichgültig halten, ob man in den streitigen Dogmen lutherischen oder reformirten Glaubens ist. Sie meinen, es sei genug, daß man das h. Abendmahl für ein Gnadenmittel geheimnißvoller Vereinigung mit dem Gottmenschen Jesus Christus halte, möge man über die Art und Weise, in welcher diese Vereinigung sich verwirklicht, denken wie man wolle. Der Streit hierüber gilt ihnen als ein mehr oder weniger scholastischer. Aber mit freudigster Zuversicht halten wir ihnen entgegen: das Abendmahlsbekenntniß unserer Kirche ist nichts anderes als das entfaltete Ja und Amen zu den Worten des Herrn: „Das ist mein Leib, Das ist Mein Blut.“ Mehr verlangt unsere Kirche nicht als demüthige Beugung unter diese Worte dessen der wahrer Gott und Mensch in Einer Person ist. Man wird einwenden: giebt es denn nicht viele glaubenseinfältige Seelen in der reformirten Kirche, die sich wirklich demüthig unter diese Worte beugen? Allerdings, auch wir trösten uns dessen, aber die reformirte Kirche in ihren Bekenntnissen beugt sich nicht.

 2) Vielleicht aber gehören die Leser die wir nicht überzeugt zu denen, welche es für gleichgültig halten ob man äußerlich der lutherischen Kirche oder einer andern zugehöre. Sie können unser eignes Zugeständniß, daß es auch in anderen Kirchen| schriftgemäß glaubende Christen giebt, dafür geltend machen, aber mit Unrecht. Denn wenn auch auf den Glauben nicht Weniger die irrige Lehre ihrer Kirche keinen trübenden Einfluß übt, so ist doch immer die Gefahr vorhanden, und auch zurechnungsweise, obwohl in vielen Gotte allein bekannten Abstufungen, ist der Zusammenhang mit der Kirche der man angehört immer ein solidarischer. Und ist es, auch abgesehen davon, nicht ein mißlicher Widerspruch wenn man einer Kirche äußerlich angehört und innerlich nicht angehört? Dennoch sitzt dieser Indifferentismus Vielen wenn nicht auf den Lippen, doch tief im Herzen. Erkennen sie die lutherische Kirche wirklich für die Kirche des schriftgemäßen Bekenntnisses, so ist es baare Unsittlichkeit; meinen sie aber, daß die schriftgemäße Wahrheit auf die Bekenntnisse aller Kirchen vertheilt sei oder gar daß die Bekenntnisse aller Kirchen Erzeugnisse einer schulmäßigen Reflexion seien und außer aller Beziehung zu dem persönlichen Verhältnisse des Menschen zu Gott stehen, so ist das ein eklektischer, ein theosophischer Standpunkt, der sich über alle Kirchen erhaben dünkt und auf falschen Höhen schwebt und in keiner Kirche berechtigt ist.

 3) Vielleicht aber auch gehören die Leser die wir nicht überzeugt zu denen welche, fern von den eben bezeichneten Arten des Indifferentismus, von ganzem Herzen des Glaubens und Bekenntnisses unserer lutherischen Kirche sind und doch einige theils grundsätzliche theils unserem landeskirchlichen Thatbestande entnommene Bedenken gegen die strengere Abendmahlspraxis nicht los werden können. Mit solchen reden wir zum Schlusse noch ein Wort brüderlicher Verständigung.

 Der Streit über die Abendmahlsgemeinschaft ist nun einmal da. Wie man auch urtheilen möge über die Art und Weise wie dieses Feuer angezündet und geschürt worden ist – es brennt und keine menschliche Macht kann das ungeschehen machen. Laßt uns doch die rechten Mittel ergreifen, es zu löschen!

|  Wie die Kulmbacher Conferenz, so hat das Kirchenregiment selbst die anstößig gewordenen Zustände für Ausnahmszustände erklärt und die Ausnahmen zu „regeln“ verheißen. Ist es denn recht, diesen Ausnahmszuständen die man im Grunde mißbilligt deshalb das Wort zu reden, weil man die Löhe’sche Opposition dagegen für zu stürmisch hält?

 Und verdient der Gewissenskampf, in welchen redliche Seelen durch jene Zustände versetzt werden, gar keine Beachtung? Ist es nicht apostolisch, sich in seiner Freiheit zu beschränken wenn sie Anderen zum Aergerniß gereicht?

 Man pflegt leider auf Löhe’s Seite nur hartherzige Schroffheit zu sehen. Es ist auch wahr, daß die Schwabacher Eingabe und Erklärung nicht den Eindruck mitleidiger, geduldiger, hoffender Liebe machten. Aber sollen wir den Kern wegwerfen weil die Schale rauh ist? unser Ohr den dennoch durchklingenden Klagelauten beunruhigter Gewissen verschließen?

 O daß man doch fahren ließe was nur individuelle Ansicht ist und sich der von Anfang an in unserer Kirche gültigen Praxis und Ordnung fügte! Die Reformirten und Unirten selbst können es nicht wünschen und fordern, daß wir ihnen die Einheit und den Frieden unserer Kirche opfern. Wir sind ja zunächst unseren Hausgenossen verpflichtet. Den Frieden aber der Gesammtkirche hat noch nie irgendwelche Indifferenzirung befördert. Die Geschichte der Vergangenheit und der Gegenwart bestätigt es, daß die Confessionen erst nach gesicherten Grenzen friedlich wohnen.

 Ach daß ich hören sollte daß Gott der Herr redete, daß er Frieden zusagete seinem Volke und seinen Heiligen, daß sie nicht auf eine Thorheit gerathen!


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Vier Anhänge.

1. Die alte Praxis.
 Alle Stimmen unserer Kirche sind darüber einig, daß die Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutherischen und Reformirten unzulässig sei, selbst Georg Calixt. Die actualis communio – sagt dieser – ist gesperrt, welches mit heißen und blutigen Thränen zu beweinen; es bleibt aber dennoch eine virtualis, das ist, daß wir darnach uns sehnen und ein Verlangen tragen, daß die Sperrung und Hindernisse möchten aufgehaben und die völlige communio zum Stande gebracht werden, lassen es auch an unser Seite an keinem Fleiße und dienlichen Mitteln und moderation, sofern mit gutem Gewissen geschehen mag, erwinden (Verantwortung lit. M m 3). Es herrscht nicht blos darüber, daß ein Lutheraner an dem reformirten Abendmahl nicht teilnehmen könne, bis zu den äußersten Consequenzen die vollste Uebereinstimmung, so sehr daß selbst Spener hier sich ohne alles Schwanken ausspricht (Bedenken 2, 43), sondern auch darüber, daß solche, welche sich beharrlich zum Calvinismo bekennen, zum Abendmahl unserer Kirche nicht zuzulassen seien, denn – dies einer der dafür geltend gemachten Gründe – „der Brauch des Abendmahls ist, wie alle Sacrament, ein öffentlich Zeugniß und Bekenntniß, welcher Kirchen Gliedmaß ein jeder sey und waserley Lehre, Glauben und Religion ein| jeder für sich habe, gläube und bekenne, auch unzweifelich für die ewige und unwandelbare Wahrheit halte“ (Gutachten der Wittenberger Fac. vom 14. Okt. 1568 bei Dedeken 1, 634). Weshalb „Lutherus 1536 Bucerum, Capito etc. nicht zu unserer Kirchen-Communion verstattete, sie hätten denn ihre vorigen Irrthum in allen Puncten retractiret und unsere Lehre durchaus unterschrieben. Deme ao. Chr. 1586 gefolget Herzog Friederich zu Würtenberg, welcher die Gallos (d. i. die französischen Exulanten) auf ihr bloßes Ansuchen zu dieser Kirchen Communion mit nichten verstattet, es wäre denn vorhero unser Kirchen Bekenntniß von ihnen approbiret“ (Erklärung eines großstädtischen Ministeriums vom 9. Dec. 1619 ebend. 1, 638 f.). In demselben Sinne antwortet Joh. Conr. Dannhauer, der Lehrer Speners, auf die Frage, ob ein Reformirter bei einem lutherischen ministerio das Sacrament des Abendmahls begehren und empfangen könne: „Beza, Zanchius, Ursinus, die Casselischen Wechselschriften sagen hierauf Ja[5], aber es kann und soll nicht geschehen mit Wissen unseres Predigtamtes, als welches dergestalt informirt aus Gottes Wort, daß dasselbe einen bekanntlichen irrglaubenden und anders gesinnten Bekenner nicht wird zulassen, nicht wird am fremden Joche mitziehen wollen, das sacramentliche Losungszeichen gemein machen mit denen die nicht deß Fahnens sind, sondern zum Gegenpart gehören“ (Reformirtes Salve S. 586).
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 Es wird aber unterschieden zwischen entschiedenen Gegnern unseres Bekenntnisses und einfältigen unbewußt Irrenden. Letzteren| soll man „billig eine geraume Zeit lassen, bis sie durch tägliche Unterweisung und Ermahnung eines Besseren berichtet“ (Torgauischer Convent vom 11. Jan. 1620 ebend. 1, 629). Solche sollen nicht vom Tische des Herrn ausgeschlossen werden. „Nein, nein, sondern zuvor und ehe sie zur h. Communion gelassen, sollen sie in den Hauptstücken christlicher Lehre und im heilsamen gesunden Verstande der Worte der Einsetzung und vom seligen Nutz und Gebrauch des h. Abendmahl gründlich und treulich unterwiesen werden“ etc. (ebend. 1, 631). Dieselbe Anweisung geben die Kirchenordnungen sofern sie diese Frage berühren, z. B. die Churfürstliche Sächsische S. 314: „Die im Glauben vom heiligen Nachtmahl irrig werden, sollen die Pfarrherren mit dem Geiste der Sanftmuth aus Gottes Wort gründlich berichten und die gradus admonitionum mit denselben, wie auch andern, halten, wenn sie aus Gottes Wort nothdürftiglich unterrichtet werden.“ Die Kirchenordnungen bezeugen wie mit Einem Munde, daß die Pfarrer die reine Lehre vom hochwürdigen Sacrament fleißig predigen und erklären, daß sie die Gegenlehre widerlegen und davor treulich und ernstlich, doch mit gebührender Sanftmuth warnen, und daß sie solche, welche im Glauben irrig geworden, mit dem Geist der Sanftmuth unterrichten und vermahnen, sofern sie aber in ihrer irrigen Meinung verharren, die gradus admonitionum beobachten und dem Consistorio Anzeige machen sollen.
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 Ueberaus wichtig für die Erkenntniß der alten Praxis sind die beiden Vorgänge, auf welche sich die oben erwähnte Erklärung vom J. 1619 bezieht: die Wittenberger Concordia und das Religionsgespräch von Mömpelgard (Montbeillard). Als Bucer in seinem Gespräch mit Melanchthon zu Cassel sich einverstanden erklärt hatte mit der mündlichen Nießung im h. Abendmahl oder, was dasselbe ist, mit der wahrhaftigen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi unter Brot und Wein, bot Luther den Straßburgern brieflich die Vereinigung an. Capito,| Bucer, Fecht und andere mehr aus Straßburg, Ulm, Memmingen, Frankfurt, Augsburg, Reutlingen wurden 1535 nach Wittenberg abgefertigt. Als sie da „durch göttliche Verleihung sich richtig und solchergestalt erkläret, daß Herr Lutherus sel. durchaus zufrieden gewesen, sind sie mit Freuden von den Unsrigen aufgenommen worden und ist Bucerus und Capito zum h. Abendmahl, jener auch auf unsere Cantzel allhier gelassen“ (Calov, Historica syncret. S. 10[WS 6])

 Das Religionsgespräch zu Mömpelgard zwischen Jacob Andreä und Theodor Beza 1586 endete nicht so erfreulich. Die Geschichte seines herzzerschneidend traurigen Endes gehört nicht hieher, wohl aber der Bescheid, den Beza und seine Genossen auf ihr Gesuch um ihre und ihrer Confessionsverwandten Zulassung zum lutherischen Abendmahl, jedoch unter Beibehaltung ihres Bekenntnisses, erhielten. Die französischen Vertriebenen hatten schon früher dasselbe Gesuch gestellt; der Herzog hatte sie auf das lutherische Bekenntniß verwiesen und sie so ernst als freundlich ermahnt, mit ihren eignen Gewissen zu Rathe zu gehen (ne quid dubitante conscientia facerent). Infolge dessen nahm an der weihnachtlichen Communion (vor dem Religionsgespräch) Keiner Theil. Ebenso beschied der Herzog das Gesuch Beza’s: er bedingte ihre Theilnahme durch Annahme des lutherischen Bekenntnisses und gab die Entscheidung ihren Gewissen anheim. Durch diesen Bescheid ließen sich wenigstens einige der in Mömpelgard aufgenommenen Vertriebenen nicht abhalten: sie communicirten mit der Gemeinde sowohl Ostern als Pfingsten nach dem Religionsgespräch. Unde colligimus, sagt der Herzog in der Vorrede der Acta Colloquii Montis Belligartensis (1594) mit hoffender Liebe, plerosque ex audito Colloquio tantum profecisse, ut intelligerent, nostram de Coena Domini sententiam firmis et immotis verbis. Christi niti atque in iis conscientiam hominis pii acquiescere posse.

 Theilnahme am Abendmahl ward also nur unter der Bedingung| der Zustimmung zum lutherischen Bekenntniß verstattet und galt, ohne daß es eines anderweitigen öffentlichen Aktes bedurfte, als Uebertritt zur lutherischen Kirche: qui enim cum Ecclesia aliqua in hujus Sacramenti sumtione communicant, hoc ipso publice profitentur quod ejusdem Ecclesiae doctrinam amplectantur et contrariam rejiciant seque ab aliis separent (ebend.). Da die öffentliche Predigt die lautere Lehre in thesi et antithesi aussprach, so genügte auch schon die Zustimmung zur angehörten öffentlichen Predigt, denn Rich. Dinot, der französisch-lutherische Prediger in Mömpelgard, erwiedert auf die Bitte der Vertriebenen, sub sua confessione zugelassen zu werden: neminem hactenus ab Ecclesia Gallica Mompelgartensi exclusum fuisse, sive Geneva sive aliunde Mompelgartum venisset, dummodo auditis prius et approbatis ipsorum concionibus sese ad sumtionem sacrae Coenae obtulisset.
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 Die Praxis gestaltete sich somit je nach Umständen mannigfach, aber immer nach gleichem unverhehlten Grundsatz, daß Theilnahme am Abendmahl Zutritt zum Bekenntniß und zur Gemeinschaft der Kirche sei, mit der man es begeht. Nicht der Zutritt zur äußern Gemeinschaft der lutherischen Kirche stand in dem Vordergrund, sondern der Zutritt zur Gemeinschaft ihres Glaubens; es verstand sich aber von selbst, daß dieser Zutritt kein redlicher sein könne, ohne mit einer zugleich innern und äußern Sonderung von der bisherigen Glaubens- und Kirchengemeinschaft verbunden zu sein. Die Antwort, wie es zu halten sei, wenn ein Reformirter sich lutherisch erklärt, ohne jedoch durch den Anschluß an das Abendmahl der lutherischen Gemeinde seinen Zutritt zur lutherischen Kirche erklären zu wollen, konnte deshalb nicht zweifelhaft sein. Auch diese Frage findet sich bei unsern alten Theologen gestellt und beantwortet. Die Reformirten eines reformirten Landes begehrten Zulassung zum h. Abendmahl bei den Lutherischen, indem sie sich zu dem Katechismus Lutheri bekannten, übrigens sich still, friedlich und| exemplarisch verhielten, ohne jedoch zur lutherischen Kirche übertreten zu wollen, aber die um ihr Gutachten angegangene Facultät entschied (unterm 17. Aug. 1848 bei Dedeken 3, 432): „Kein lutherischer Prediger soll und kann dergleichen Personen zum Gebrauch des h. Abendmahls zulassen, denn die von Einem geheiligten Brot des Abendmahls essen, die sollen auch ihrem Glauben und Bekenntniß nach zu der Gemeine gehören, in welcher sie das Abendmahl empfangen; die sich aber mit dem Leibe befinden in den calvinischen Gemeinden und daselbst communiciren, bald hernach wenn sie sich mit dem Leibe in lutherischer Gemeinde befinden, daselbst auch communiciren wollen, sind so wenig zuzulassen als“ etc. Wir brechen hier ab, denn es gilt nur die alte Praxis festzustellen und fällt uns nicht ein, die ganze Art und Weise ihrer Begründung und Vertheidigung auf die Gegenwart übertragen zu wollen. Die lieben Alten haben zuweilen vergessen, daß, wie einmal Baco sagt, der heil. Geist specie columbae, non vulturis aut corvi vom Himmel herniedergekommen ist.
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 Nur ein einziges Gutachten und zwar ein älteres derselben Facultät vom 4. Oct. 1626 findet sich (bei Dedeken 3, 474), welches eine verwunderliche Dissonanz in diese Uebereinstimmung bringt[6]. Ein lutherisch gesinnter, auf das lutherische Bekenntniß berufener Prediger steht neben einem entschieden reformirt gesinnten Collegen an einer reformirten Gemeinde und verwaltet neben jenem das h. Abendmahl mit Anbequemung an den äußern reformirten Ritus, die ihm zur Bedingung gemacht ist. Diese Zwitterstellung beschwert sein Gewissen, aber die Facultät räth ihm weder sein Amt aufzugeben, noch so lange Gewinnung der Gemeinde für die lutherische Kirche zu hoffen sei eine „sonderbare Communion“ aufzurichten. „Weil es mit dieser| Gemeine gleichwie mit einem Patienten einen Zustand hat, so muß auch mit derselben also umgegangen werden, daß sie nicht übern Haufen geworfen, sondern allgemach zu vollständiger Gesundheit des christlichen Glaubens gebracht werde. Und: „weil wir diese Kirche nicht mehr für eine ganz calvinische Kirche achten, sondern durch die heilsame Lehre des lutherischen Pfarrers die Zuhörer, wiewohl noch in großer Schwachheit, Christo zugeführet sollen werden und durch des Collegen Dienst der Kraft der h. Sacramente nichts abgehet, so soll dannenhero der lutherische Pfarrer mit den Seinigen neben andern Pfarrkindern zu Gottes Tisch zu gehen kein Bedenken tragen, obgleich der eine Theil solches h. Stifts von einem so nicht ihres Glaubens ist ihnen dargereicht wird.“ Dieses Gutachten setzt auf Seiten des Predigers voraus, daß er sich bei seiner Vocation ausdrücklich Freiheit des lutherischen Bekenntnisses ausbedungen habe und diesem gemäß die Leute wie in allen Artikeln christlicher Lehre, also auch in dem vom h. Abendmahl treulich unterweise, billigt aber eine auf Hoffnung unterhaltene gemischte Abendmahlsgemeinschaft: „Und weil der lutherische Pastor zweifelt, ob jemahls das h. Abendmahl durch einen lutherischen und calvinischen Prediger zugleich sei administriret worden, so haben wir dergleichen Fall vor wenig Jahren zu Marpurg in statu Ecclesiae presso gehabt, da eine geraume Zeit Herr Coletus, ein guter eifriger Lutheraner, und nach ihm Herr D. Corvinus neben einem calvinischen Collegen das h. Abendmahl ausgespendet. Denn weil die Kraft der h. Sacramente einig und allein hanget an den Worten der Einsetzung des Herrn Christi und nicht an dem Glauben und Beifall und Intention dessen, so an Wort und Sacramenten dienet, so ist auch den Sacramenten nichts benommen, wenn sie gleich von einem Falschgläubigen administriret werden, nur daß man sie nach Christi Wort und Einsetzung handele.“ Wenn man bedenkt, daß jene Gemeinde vom Patron ausdrücklich verlangt hatte, daß sie in| ihrem Gewissen ungekränkt bleibe und bei der reformirten Kirche gelassen werde, so erscheint dieses Gutachten als ein gänzlich verunglücktes, und man mag nur dies daraus entnehmen, daß da keine Separation zu verfrühen und zu decretiren ist, wo diejenigen, welche dadurch zurückgestoßen würden, sich willig der Lehre und Praxis unserer Kirche untergeben. Aber Bedienung einer solchen Gemeinde wie die obige, und zwar neben einem Collegen ihres Glaubens ist eben so sehr wider das gute Recht der Gemeinde als wider das Gewissen des lutherischen Predigers. Man vergleiche überdies das Responsum derselben Facultät auf die Frage: ob ein lutherischer Prediger mit gutem Gewissen einem der sich beharrlich zum Calvinismus bekennt das Sacrament reichen möge (von 11. Jan. 1620. bei Dedeken I, 635), welche entschieden verneinend beantwortet wird, und man wird bald einsehen, in welche Widersprüche sich die Facultät durch jenes andere Responsum mit sich selbst verwickelte.  Das Responsum der in derselben Angelegenheit befragten, Wittenberger Facultät lautet ganz anders (Consilia Theologica Witebergensia II; 127). Sie erklärte Anbequemung an den Gebrauch des Brotbrechens, da dieses reformirterseits für kein Mittelding gehalten wird, für unzulässig und antwortete auf die Frage, ob ein lutherischer Pfarrer mit calvinischen Zuhörern communiciren dürfe, im Allgemeinen folgendermaßen: „Die calvinischen Zuhörer sind entweder dociles und lassen sich in den Hauptpunkten christlicher Lehre besser informiren, da denn ein lutherischer Pfarrer mit ihnen ohne Verletzung seines Gewissens wohl communiciren kann oder sind pertinaces, in welchem Fall u. s. w., in Betreff des vorliegenden Falls aber: „So ist demnach unseres Erachtens am besten, daß an einem solchen Ort, da ungleiche Lehrer sind, ein lutherischer und calvinischer, auch unterschiedene Communionen angestellt werden und die Lutheraner zur calvinischen Communion und Ceremonien nicht genöthiget würden; der luth. Pfarrer soll auch die| calv. Zuhörer mit allem Fleiß unterrichten, damit sie ihren Irrthum fallen lassen und also mit der Zeit Ein Hirt und Eine Heerde angerichtet werden möchte.“

 Die Wittenberger Facultät gesteht also Abendmahlsgemeinschaft mit Reformirten gewissermaßen zu, mit solchen nämlich, welche ohne einen der reformirten Irrthümer geflissentlich zurückzubehalten sich ganz und gar lutherischem Unterricht anheimgeben. Wir sehen dies ganz deutlich aus dem lehrreichen Gutachten ebendas. S. 110., wo schon das Beharren auf Verneinung der manducatio oralis als gemeinschafttrennend bezeichnet wird. Die Frage ist dort aus der Mitte einer Landeskirche gestellt, in welcher bisher einfältige, um die kirchlichen Streitigkeiten unbekümmerte Reformirte von den Pastoren auf dem Lande und in den Städten zum h. Abendmahl zugelassen und in den lutherischen Gemeindeverband aufgenommen worden sind. Die Facultät kann das nach den ihr gemachten Vorlagen nicht billigen, widerräth die Fortführung dieser Praxis und antwortet auf den ersten Punkt, die Einfalt der Zugelassenen: „Daß sie als einfältige Leute hätten sich um solche Streitigkeiten nicht bekümmert, sondern man sollte sie bei ihrer Einfalt bleiben lassen, ist in dieser hochwichtigen Handlung des h. Abendmahls gar nicht genug, da zu dessen heilsamer Nießung genugsam vorhergehende Erkenntniß und Glauben vonnöthen, und ohne daß ein jeder Christ schuldig seines Glaubens Rechenschaft zu geben 1 Petr. 3, 15., so kann und soll man auch nicht eine in Einfalt eingebildete Opinion und Wahn zum Grunde seines Glaubens setzen, sondern das Wort, Einsetzung und Verheißung Gottes, und wer anders gläubet und hält, denn das Wort Gottes, Ordnung und Befehl mit sich bringet, der hat auch keinen rechten wahrhaftigen, sondern falschen und todten Glauben.“

 Abendmahlsgemeinschaft mit Reformirten als solchen wird also verworfen und nur Abendmahlsgemeinschaft mit solchen| gestattet, die sich ohne Rückhalt in lutherischen Unterricht begeben. Man sollte denken, daß die Zulassung solcher als sich von selbst verstehend gar nicht ausgesprochen zu werden brauchte, aber wir finden sie doch so häufig ausgesprochen, weil die Zugehörigkeit zur äußeren Gemeinschaft der so oder so genannten Kirche im Bewußtsein unsrer Väter gegen das Verhältniß zum Worte Gottes, den Glauben und das Bekenntniß zurücktrat. Daher kommt es, daß so oft wiederholt wird was uns sonderbar dünkt, daß Reformirte zuzulassen sind, aber nur solche, welche nicht auf den calvinischen Irrthümern bestehen und dem lutherischen Bekenntniß beipflichten. Es kommt ihnen alles darauf an, daß die das Abendmahl haltende Gemeinde einmüthigen, nicht zwiespältigen Glaubens sei, und daß der Irrglaube nicht gepflegt und gestärkt werde. Davon und darauf geht auch Luther in seinem Sendschreiben an die Frankfurter von 1633 aus, wenn er sagt: „Es ist mir erschrecklich zu hören, daß in einerley Kirchen oder einerley Altar sollen beydertheil einerley Sacrament holen und empfahen, und ein Theil soll gläuben, es empfahe eitel Brot und Wein, das ander Theil aber gläuben, es empfahe den wahren Leib und Blut Christi, und oft zweifele ich, obs zu gläuben sey, daß ein Prediger oder Seelsorger so verstockt und boshaftig sein könnte und hierzu stillschweigen und beydertheil also lassen gehen, ein jegliches in seinem Wahn, daß sie einerley Sacrament empfahen, ein jegliches nach seinem Glauben“. „Ein rechtschaffener christlicher Pfarrherr – sagt Balth. Mentzer in seinem Bericht vom h. Abendmal 1606 – der seines Glaubens gewissen Grund in Gottes Wort hat, wird das nimmermehr thun, daß er den theuren Schatz des h. Abendmals denjenigen anbieten oder überreichen wolle, die da nicht richtig von demselbigen halten und glauben. Und wüßte ich es in Ewigkeit gegen Gott nicht zu verantworten, daß ich einem das h. Abendmal des Herrn Christi geben sollte, der die Worte des Herrn Christi lügenstrafet| und meine aus denselbigen genommene Confession und Lehre verwerfen und widerfechten wollte. Wenn demnach ein Prediger, der calvinischen Lehre öffentlich zugethan, mir das Abendmal des Herrn nach meiner eignen Confession und Glauben zu reichen anbieten wollte, könnte ich in meinem Herzen anders nicht schließen, als daß derselbige entweder seiner Meinung gar nicht gewiß sey und durchaus keinen Grund habe, oder aber ohne Gewissen sey und weder nach Gott oder seinen Geheimnissen frage.“ Eine interessante hieher gehörige Thatsache erzählt uns Spener in seinen Consilia et Judicia Theologica Latina I, 391. Er erinnert dort daran, daß in jüngster Vergangenheit einige Hugenotten im Herzogthum Würtenberg auf die Unterschrift von vier Artikeln hin zum h. Abendmahl zugelassen wurden. Der vierte, das h. Sacrament betreffend, lautete: Je croy recevoir au S. Sacrament de la cene le vray corps et le vray sang de Jesus Christ avec le pain et le vin suivant ces paroles: prenez, mangez, cecy est mon corps; prenez, buvez, cecy est mon sang Matth. 26. Mais quant à la manière de la manducation, je croy qu’elle est sacramentelle, mysterieuse, spirituelle et incomprehensible à nos sens. Je croy que la foy est necessaire pour recevoir salutairement le Sacrament et que ceux qui n’y apportent pas la foy se rendent coupable du sang et du corps de Jesus Christ. Spener bemerkt dazu: non dubito plerosque omnes Reformatos laicos huic confessioni subscripturos. Hanc tamen Consistorium Wirtenbergense sufficientem judicavit, qua volentes intrare Ecclesiam nostram possent, ea haud dubie spe, in eadem morantes in cognitione veritatis porro profecturos: quae causa est quod ab ingredientibus non eadem requiri videantur, quae omni jure ab iis postulamus qui ex antiquo cives, adeoque infantes lacte se alere non indigne ferimus, qui adultiores cibis solidis demum assuescent. Speners Urtheil ist um so beherzigenswerther, je übereinstimmiger mit der älteren Kirche er sich anderwärts| gegen gemischte Abendmahlsgemeinschaft erklärt: „Denn ich zwar die Trennung zwischen den Reformirten und uns aufzuheben nicht so blos dahin unmöglich halte, wie zwischen uns und den Papisten, sondern bei anderer Bewandtniß der Gemüther und Reinigung derselben von allen fleischlichen Affecten, die vieles hindern und verderben, glaube daß göttliche Gnade uns zu einer Vereinigung bringen könnte, indessen ist doch noch jetzo die Trennung offenbar und kann daher keiner, welcher seiner Kirchen Lehr und zwar auch im Gegensatz der andern für die göttliche reinste Wahrheit hält, sich zu der andern verfügen, daher solches auch nicht durch die Communion thun, oder er trennt sich damit von seiner eigenen Gemeinde.“
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 Wir irren uns wohl nicht, wenn wir diese Anschauungsweise als die von der älteren kirchenordnungsmäßigen Praxis her noch immer im Bewußtsein unseres lutherischen Volkes herrschende ansehen. Ihr entspricht die Praxis der preußischen lutherischen Kirche, welche bei Aufnahme neuer Mitglieder unter Umständen von einem öffentlichen Act vor der ganzen Gemeinde oder vor einigen Zeugen Umgang nimmt und schon die Teilnahme am h. Abendmahl als hinreichende Kundgebung des Bekenntnisses zu unserer Kirche gelten läßt, aber auch nur unter der Bedingung, daß sie dies sein soll, gestattet (Beschlüsse der Breslauer Generalsynode S. 161). Ihr entspricht die Praxis der deutsch-lutherischen Gemeinden der Synode von Missouri, Ohio und andern Staaten, in deren Verfassung §. 12 für den Fall, daß gemischte d. i. aus Lutheranern, Reformirten und sogen. Evangelischen oder Unirten bestehende Gemeinden die Synode um Prediger angehen, festgestellt ist, daß solche Gesuche nicht ohne weiteres zurückgewiesen, aber nur erfüllt werden sollen, „wenn die vormals Nicht-Lutherischen der Erklärung beipflichten, daß sie durch das Empfangen des h. Abendmahls aus der Hand des Dieners der lutherischen Kirche öffentlich in| die Gemeinschaft der lutherischen Kirche eintreten und hiemit aufhören, Reformirte, sogen. Evangelische oder Unirte u. dgl. zu sein.“ Daß die Einsprachen, welche heut zu Tage gegen die strengere Abendmahlspraxis erhoben werden, unsern Vätern keineswegs verborgen waren, zeige schließlich eine Stelle aus Chr. Königs Casus Conscientiae 1654. p. 593[WS 7]: „Putant nonnulli, eos omnino esse admittendos, ex duplici causa: 1) quia Ecclesia et ejus bona spiritualia omnibus sint patefacienda, nulli praecludenda, quia et hic fortean locum habere illud Christi: Venite omnes et reficiam vos; 2) quia vera et legitima sacramenta apud Evangelicos inveniant, quibus in suis coetibus destituantur. Hos autem tanto bono fraudare velle, manifestam prae se ferre invidiae rabiem. Sed Logi sunt. Nam nos nulli praecludimus viam ad Ecclesiam, hoc tamen requirimus, ut quivis recto incedat tramite. Quod alteram rationem concernit, non sequitur, illum qui sciat, ubi vera sit Eucharistiae celebratio, statim ad eam esse admittendum. Ulteriore opus habet apparatu, nempe ut sit verum verae Ecclesiae membrum et nuptiali veste indutus. Nos igitur, in contrariam partem propensiores, respondemus in genere, non posse aliquem, qui ab Evangelicis in diversum abeat ac doctrinam erroneam foveat, ab iisdem bona cum conscientia ad Communionem admitti. Postea respondemus in specie: Calvinistam quod attinet, ille vel Laicus est vel Ecclesiasticus, et ille rursus vel idiota vel eruditus. Si idiota fuerit, nesciet fortassis discrepantiam cet. Tunc summopere cavendum erit, ne is admittatur ad Coenam utpote rerum adhuc rudis et vana sua persuasione adhuc imbutus, sed prius quantum in hoc capite inter nos distemus, aperte informetur et quare una pars cum altera communicare nec possit nec debeat, dilucide instruatur, nempe, inter alios fines, Coenam Dominicam etiam hunc habere usum, ut sit religionis quam quisque profitetur nota atque tessera. Qui enim| cum Ecclesia aliqua in hujus Sacramenti sumtione communicant, hoc ipso publice profitentur, quod ejusdem Ecclesiae doctrinam amplectentur et contrariam rejiciant seque eo modo ab aliis separent. Oportere se igitur prius nostram Confessionem amplecti, Calvinismum tanquam erroneum abjicere et ab eo se separare, si Communionis nostrae vult reddi particeps. Multo vero magis id erit cavendum, si fuerit eruditus cet. In sumtione Coenae Dominicae nequaquam ludendum vel quicquam simulandum est, a quo animus abhorreat. Proinde admonemus omnes, ut tum demum nobiscum communicent si Confessionem nostram sincere fuerint amplexi; sin minus (verba sunt Principis Friderici in responso Gallis dato), posse eos abstinere et hac ratione suae Conscientiae consulere – nostratibus autem a Ministerio Evangelico illud Apostolicam (Jac. 4, 17) occentamus: Qui noverit recte facere et non facit, peccato tenetur.
2. Die falschen Consequenzen.

 1) Es ist eine falsche Consequenz, wenn man eine Kirche, in welcher das lutherische Bekenntniß zu Recht besteht, wegen der hie und da bestehenden unlutherischen Abendmahlspraxis verlassen zu müssen glaubt, so lange das freie Wort ungebunden ist, welches sie straft und das gewissensmäßige Handeln, welches sich unbefleckt davon erhält, nicht verpönt wird.

 2) Es ist eine falsche Consequenz, daß die hie und da in einer Kirche lutherischen Bekenntnisses bestehende unlutherische Abendmahlspraxis den ganzen Körper anstecke und durchdringe. Allerdings ziehen kirchliche Schäden alle Glieder in Mitleidenschaft, aber sie sind deshalb nicht alle mit gleichen Schäden behaftet, nicht alle unter gleiche Schuld verhaftet.

 3) Es ist eine falsche Consequenz, wenn man meint, daß die laxere Praxis in Betreff der Zulassung zum Abendmahl| das Sacrament seines Inhalts beraube. Der Inhalt des Sacramentes ist durch nichts bedingt als durch den stiftungsgemäßen Vollzug des Sacramentes selbst. Ist dieser vorhanden, so kann laxere Praxis des Pfarrers das Sacrament nicht um seinen Inhalt bringen. Nicht einmal falsche Lehre des Pfarrers kann es (s. Beschlüsse der Breslauer Generalsynode S. 91).

 4) Es ist eine falsche Consequenz, wenn man einen Pfarrer, welcher sich von der Pflicht geschärfter Abendmahlspraxis noch nicht überzeugt hat, trotz seiner sonst bewährten lutherischen Gesinnung für schlechtweg nicht lutherisch erklärt. So wenig durch die unerkannte Versäumniß einer christlichen Lebenspflicht der Name eines Christen verwirkt wird, so wenig durch die unerkannte Versäumniß einer kirchlichen Bekenntnißpflicht der Name eines Lutheraners.

 5) Es ist eine falsche Consequenz, wenn man die Nichttheilnahme an dem lutherisch verwalteten Abendmahl überall da wo die Praxis des Pfarrers eine laxere ist zur objektiven Bekenntnißpflicht macht. Die Bekenntnißpflicht erfordert nur, daß man sich gegen jene Praxis erkläre; die Frage, ob man theilnehmen dürfe oder nicht, ist eine Gewissensfrage, deren Beantwortung dem Einzelnen zu überlassen ist, ohne daß man über ihn richtet.

 Diese falschen Consequenzen durften nicht unausgesprochen bleiben. Der Zweck, zu dem ich sie ausgesprochen, ist Löhe gegenüber Verständigung, manchen Fanatischen gegenüber Warnung, allen meinen Lesern gegenüber Wahrung vor Mißverstand.

3. Die falschen Besorgnisse.

 Es giebt ihrer Viele, welche der confessionelle Streit so sehr betrübt, daß sie es lieber sähen wenn man das Streiten aufgäbe und die confessionellen Streitpunkte auf sich beruhen ließe. Wir wollen einmal so weit es mit dem nächsten Zwecke dieser Blätter vereinbar ist die Gründe besehen die sie uns entgegenhalten.

|  Sie verweisen uns auf die römische Kirche und die Freude des Triumphes, welche dieser der Streit der protestantischen Confessionen gewährt. Aber diese unheilige Freude kann uns weder beirren noch erschrecken. Das h. Abendmahl (um beim Hauptgegenstande dieser Blätter zu bleiben) ist ja das Testament des Herrn aller Herrn und ein solches Testament ist werth, daß man darum streite. Die römische Kirche hat das Testament des Herrn zerrissen und ihre Kinder sitzen still und schweigen. Sollen wir sie darum beneiden? Nein, unsere Zerrissenheit ist uns lieber als ihre Einheit mit dem zerrissenen Testamente.

 Sie stellen uns warnend und drohend in Aussicht, daß durch den confessionellen Streit Viele unserer Kirche und überhaupt der Sache des Protestantismus entfremdet werden. Aber unser Streit treibt in die h. Schrift und wer in dieser redlich zu forschen begonnen hat, der wird nicht von uns abfallen. Die neutestamentliche Schrift spricht den gesegneten Kelch wie das gesegnete Brot mit klaren Worten der ganzen Gemeinde Christi zu (1 Cor. 11, 26. 12, 13. u. ö.) – die römische Kirche hat ihn der Gemeinde genommen und aus dem h. Sacramente ein Meßopfer für die Lebendigen und die Todten gemacht. Sie steht nicht auf der h. Schrift, sondern auf einer ihr widersprechenden Tradition. Unsere Zerrissenheit auf dem Grunde der infalliblen Autorität des apostolisch-prophetischen Wortes ist uns lieber als ihre Einheit auf dem Grunde der infalliblen Autorität der römischen Curie. Von allen denen, welchen diese Einheit lieber ist als jene, gilt das Wort des Apostels (1 Joh. 2, 19): „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns, denn wo sie von uns gewesen wären, so wären sie bei uns geblieben, aber – auf daß sie offenbar würden, daß sie nicht alle von uns sind.“

 Man ruft uns ferner zu, daß unsere Gemeinden von den confessionellen Differenzen nichts verstehen und daß man, ehe man darum streitet, doch vor allem erst allgemeine Erkenntniß| des Heils in ihnen heimisch machen solle. Wir sollen also mit der Vertheidigung der Grenzen unserer Kirche warten, bis alle diese stehenden und zum Theil versumpften Wasser zu lebendigen geworden sind. Wollen wir so lange warten, so wird der confessionelle Streit, mag er kommen wenn er wolle, immer zu früh kommen. Aber auch bei dem jetzigen Stande kann es ja nur die Gewissenlosigkeit bei jener allgemeinen Erkenntniß des Heils bewenden lassen. Soll denn nicht jeder vierzehnjährige Confirmand wissen, daß und warum er sich zur lutherischen Kirche und zu keiner andern bekennt? Wir muthen ja den Alten nicht mehr zu als den Jungen. Die Gemeinden sollen erfahren, daß sie lutherische und weshalb sie keine reformirten oder sonst was sind. Die Gründe dafür liegen von der allgemeinen Erkenntniß des Heils nicht so weit ab als man meint. Man braucht kein Dogmatiker zu sein, um sie zu fassen. Uebrigens ist allgemeine Erkenntniß des Heils ohne kirchliches Selbstbewußtsein gewöhnlich ein nebelhaftes gestaltloses Ding. So weit meine Erfahrung reicht, habe ich die göttliche Heilsordnung immer da am wirksamsten predigen hören und handhaben sehen, wo zugleich Liebe zu unserer Kirche bewiesen und gepflegt ward.
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 Allerdings ist der confessionelle Streit zu beklagen und zu beweinen, nicht aber daß gestritten wird, sondern daß gestritten werden muß. Es wäre besser, wenn wir uns in die Eine Wahrheit friedlich vertiefen könnten, ohne nach außen für sie streiten zu müssen. Aber die Einheit des Glaubens und der Erkenntniß des Sohnes Gottes, von welcher der Apostel Eph. 4, 13 redet, ist nun einmal ein Ziel, welches sich nicht durch menschliche Maßregeln in die Gegenwart verpflanzen läßt. Diesseits dieses Zieles giebt es seit den Tagen der Apostel Streit und dieser Streit ist bis auf heute heiliger als der Friede. Mitten unter allem Streit aber bestehet der feste Grund Gottes und hat dieses Siegel: „Der Herr kennet die Seinen“ und:| „Es trete ab von der Ungerechtigkeit wer den Namen Christi nennt“ (2 Tim. 2, 19).


4. Die reformirte Kirchenzeitung gegen die Löhe’sche Erklärung über die Kulmbacher Thesen.

 In der Löhe’schen Erklärung lesen wir S. 13 Folgendes:

 „Der Reformirte – von welcher Färbung er auch sei – glaubt nicht, daß im Abendmahl Christi Leib und Blut ausgetheilt werde, mag er nebenher und während des Abendmahls zu empfangen wähnen was er will: das Abendmahl selbst reicht ihm nur Brot und Wein.“

 „Der Lutheraner glaubt, daß die Gläubigen und die Ungläubigen beim Abendmahl der rechtgläubigen Kirche den wahren Leib und das wahre Blut Christi empfangen.“

 Dagegen bemerkt die Reformirte Kirchenzeitung Nr. 47 S. 188: „Jenen Neunen (Löhe und den andern Unterzeichnern) wird das Sacrament erst durch den subjectiven Glauben, und zwar den Kopfglauben, derer die es feiern zum Sacrament. Das ist uns Reformirten zu subjectiv.

 Die Ansicht daß das reformirte Abendmahl ohne himmlischen Inhalt sei ist allerdings in unserer Kirche sehr stark vertreten. Luther spricht sie öfter aus, ein derartiger Ausspruch Luthers ist selbst in das Concordienbuch übergegangen. Eine bindende symbolische Geltung hat sie aber nie beansprucht und nie erlangt. Wie über den Inhalt des römisch-katholischen Abendmahls seit der Kelchentziehung neben der milderen Ansicht Luthers eine strengere bestand, so neben der strengeren Ansicht Luthers über den Inhalt des reformirten Abenmahls eine mildere. In der That ist auch uns jene Ansicht welche den Inhalt des Sacraments und zwar inconsequenterweise nur des Abendmahls und nicht der Taufe von der Schriftmäßigkeit des kirchlichen Abendmahlsbekenntnisses abhängig macht, zu subjectiv. Der Inhalt des Sacramentes ist durch nichts| bedingt als durch den Tatbestand des Sacramentes selbst d. i. durch seinen stiftungsgemäßen Vollzug inmitten einer des Herrn Tod verkündigenden Gemeinde. Der Leib und das Blut des Herrn sind vorhanden auch überall da wo das schriftwidrige Gemeindebekenntniß nicht in die Handlung selbst alterirend eingreift. So ist es leider in der römischen Kirche, welche Brot und Kelch trennt und das Testament des Herrn auseinanderreißt. Für das Vorhandensein des Leibes und Blutes des Herrn im römischen Abendmahl haben wir keinen Grund als den Hoffnungsgrund des göttlichen Erbarmens.

 Ad Calvinistas quod attinet – heißt es wahrheitsgemäß bei Dedeken 1, 543 – si minister quispiam Calvinianus dicat, se tantum panem et vinum in recordationem passionis Christi et absentis corporis, et sanguinis ejus dispensaturum, non credibile est, ipsum verum administraturum Sacramentum. Sin vero institutionem Christi forinsecus observet, nihil substantiae Sacramenti decedit, si maxime privatim apud sese hunc errorem foveat, quod nihil praeter panem et vinum dispenset. Das ist auch unsere Ueberzeugung. Gegen die Aussage, daß zwischen reformirtem und lutherischem Abendmahl der Unterschied eines Bissens Brots und des Leibes Christi, eines Trunkes Weins und des Blutes Christi bestehe, sträubt sich mein Innerstes in göttlicher Gewißheit des Gegentheils.

 Auf die Löhe’sche Angabe der reformirten Abendmahlsfassung erwiedert die Kirchenzeitung: „Das Abendmahl reicht uns gar nichts, sondern das h. Abendmahl wird uns gereicht, und zwar Brot und Wein als materia externa vom Diener Christi, Leib und Blut Christi aber als materia interna vom Herrn selbst.“ Die reformirte Lehre kennt allerdings ein Empfangen, (nach einigen Bekenntnissen: der Substanz des Leibes und Blutes Christi), welches insofern nicht neben dem Abendmahl erfolgt als es innerhalb des sacramentlichen Actes selbst vor sich| geht und zu ihm gehört – aber kein Empfangen des hienieden selbstgegenwärtigen Herrn, kein Empfangen seines mit Brot und Wein sacramentlich vereinigten Leibes und Blutes. Die Erwiederung zeigt dies wider Willen recht deutlich. Sie will nicht den Ausdruck gelten lassen, daß das Abendmahl uns etwas reiche, weil sie die Abendmahlshandlung hienieden und Christum nicht zusammennimmt. Sie scheidet das was uns die Hand des Dieners Christi reicht von dem was uns Christus selber reicht, während doch beides ineinander ist und uns zumal gereicht wird. Denn die reformirte Kirche glaubt nicht, daß uns in Brot und Wein des Abendmahls Christi Leib und Blut gereicht wird; sie beugt sich nicht unter die hellen und gewaltigen Worte der Stiftung und trennt was diese verbinden. Die lutherische dagegen, ohne das Wie begreifen zu wollen, hält sich von der realen Gegenwart des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein unwidersprechlich überzeugt durch das Wort der Stiftung. Obs der Vernunft zusage oder nicht, die Vernunft hat dem Worte gegenüber keine Stimme; „auf dem Worte stehts, am Worte ists genug, wie die Worte lauten, so will sie’s halten“[7]. Der Herausgeber der reformirten Kirchenzeitung, der in seinem Werke über das h. Abendmahl die Lehre seiner Kirche so schriftgemäß als möglich zu deuten bemüht ist, fühlt diese Schwächen des Bekenntnisses seiner Kirche, ohne sie anzuerkennen, wenn er daselbst 2, 263 sagt: „Soll es zu einer Union kommen, so möge die reformirte Kirche den Anfang machen und alles nur halbweg Zweideutige aus ihrem Bekenntniß entfernen. Entfernen möge sie jede Spur von einem Schein, als lasse sie durch den Glauben das Sacrament zum Sacramente werden; entfernen möge sie jede Spur von einem Schein, als lasse sie den Gedanken mit Jesu Leib| und Blut gespeist werden; entfernen möge sie den Schein, als bleibe Christus auch im h. Abendmahl im Himmel.“ Obwohl wir das alles nicht für blosen Schein halten, so freuen wir uns doch dieser frommen freimüthigen Rathschläge. Und die lutherische Kirche – was hat diese nach Ebrard aufzugeben? „Die menschlichen Zuthaten, welche in der h. Schrift keinen Grund haben, als da sind: die Gegenwart im Brot, die mündliche Nießung, das Empfangenwerden des Leibes und Blutes Christi von den Unwürdigen und die Begründung der Mittheilbarkeit des Leibes und Blutes Christi durch die Teilnahme der menschlichen Natur Christi an den Eigenschaften der göttlichen (communicatio idiomatum).[“]

 Diese Lehrstücke sind ja aber gerade das eigenste Wesen unseres lutherischen Bekenntnisses, und ihr guter Schriftgrund ist uns so göttlich gewiß wie unsern Vätern. Also: die lutherische Kirche soll das Wesen ihres Bekenntnisses als schriftwidrig aufgeben und die reformirte will dagegen den Schein der Schriftwidrigkeit beseitigen, der auf dem ihrigen haftet. So stehen die Kirchen noch nach dreihundertjährigem Kampfe einander gegenüber – zwischen beiden eine große noch immer unausgefüllte Kluft! Nur die Untreue gegen die lutherische Kirche schlägt über diese Kluft eine frei passierbare Brücke. Die Treue weint und betet und harrt und beweist Liebe, aber Liebe die der Wahrheit sich freut, und jagt dem Frieden nach, aber dem Frieden in der Wahrheit.


| |  In dem Verlage von Theodor Bläsing in Erlangen ist ferner erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:


Goebel, Pfarr. Karl, Das Abendmahl eine Speisung.[WS 9] Predigt üb. Ev. Joh. 6, 54. 55. gr. 8. 1851. 2 Ngr. od. 6 kr.

Hacker, Pfarr. Georg, Wer da? oder die Missionen der Redemptoristen.[WS 10] Ein Bericht aus der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche neu abgedruckt und mit einem Vor- und Nachwort versehen. gr. 8. 1852. 5 Ngr. od. 18 kr.

Hebart, Pfarr. J. A. L., die zweite sichtbare Zukunft Christi.[WS 11] Eine Darstellung der gesammten biblischen Eschatologie. gr. 8. 1850. 27 Ngr. od. 1 fl. 30 kr.

Höfling, Prof. Dr. J. W. Fr., Grundsätze evangelisch-lutherischer Kirchenverfassung. 2te verm. u. verb. Aufl. gr. 8. 1851. 21 Ngr. od. 1 fl. 12 kr.

Löhe, Pfarr. Wilh., Kirche und Amt. Neue Aphorismen. gr. 8. 1851. 14 Ngr. od. 45 kr.

Thomasius, Prof. Dr. G., Predigten. I.Sammlung.[WS 12] Predigten über epistolische Texte. gr. 8. 1852. 20 Ngr. oder 1 fl. 12 kr.

– Predigten. II. Sammlung.[WS 13] (Erscheint demnächst.)

Zeitschrift für Protestantismus und Kirche.[WS 14] Herausg. von Oberhofprediger Dr. Harleß, Prof. Prof. D. D. Höfling, Thomasius und Hofmann. Jahrgang 1852 in 12 Monatsheften, gr. 8. 4 Rthlr. od. 7 fl.

Revidirtes vierstimmiges Kirchenmelodienbuch (Choralbuch).[WS 15] Im Auftrag des königl. protest. Oberconsisteriums in München in Verbindung mit Mehreren bearbeitet und herausgegeben vom Seminarpräfecten Johannes Zahn in Altdorf. gr. quer Quart. 1852. Preis 1 Rthlr. 4 Ngr. od. 1 fl. 48 kr. Eleg. gebund. 1 Rthlr. 16 Ngr. 2 fl. 24 kr.


Druck von Junge & Sohn.


  1. Das Dogma vom heil. Abendmahl und seine Geschichte. Von Dr. Aug. Ebrard. 2. Bdd 1844. 46.[WS 1]
  2. Das Abendmahl eine Speisung. Predigt über Ev. Joh 6, 54. 55., gehalten bei der Herbstcommunion den 7. Sept 1851 von Karl Göbel, ev. reformirtem Pastor in Erlangen. Erl., Bläsing 1851.[WS 2]
  3. Worte Höflings, von der Composition der christlichen Gemeindegottesdienste. Erl. 1837. S.17 ff.[WS 4]
  4. Ebenders. S. 49.[WS 5] „Die ganze Handlung würde in ihrem Wesen alterirt werden und ihre eigentliche Bedeutung verlieren, wenn man die Theilnahme an ihr auf Katechumenen oder gar Ungläubige ausdehnen wollte.“
  5. Umgekehrt sprach sich die französische Generalsynode von Charenton 1631 für die Zulassung Lutherischer zum Abendmahl der reformirten Kirche aus sans avois fait abjuration auparavant des opinions qu’ ils tiennent, lesquelles sont contraires à la créance de nos églises, s. Ebrard 2, 595. Es ist das überhaupt synodalbeschlußmäßige reformirte Praxis geworden.
  6. Vgl. Löhe, Unsere kirchliche Lage im protestantischen Bayern 1850. S. 18.
  7. Thomasius, das Bekenntniß der evangelisch-lutherischen Kirche in der Consequenz seines Princips (1848) S. 155 f. [WS 8]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. 1845 MDZ München; 1846 MDZ München
  2. MDZ München
  3. feind seiende
  4. Johann Wilhelm Friedrich Höfling, Von der Composition der christlichen Gemeinde-Gottesdienste oder von den zusammengesetzten Akten der Communion. Eine liturgische Abhandlung MDZ München
  5. MDZ München
  6. Abraham Calov - Historia Syncretistica, Das ist Christliches wolgegründetes Bedencken über den Lieben Kirchen-Frieden und Christliche Einigkeit In der heilsamen Lehre der Himmlischen Wahrheit. 1682 MDZ München MDZ München
  7. MDZ München
  8. MDZ München
  9. [MDZ]
  10. [MDZ]
  11. [MDZ]
  12. [MDZ]
  13. [MDZ]
  14. UB Tübingen
  15. [MDZ]