ADB:Hörwarth von Hohenburg, Hans Georg (bayerischer Staatsmann)

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hoerwarth v. Hohenburg, Hans Georg“ von Johann August Ritter von Eisenhart in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 169–175, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:H%C3%B6rwarth_von_Hohenburg,_Hans_Georg_(bayerischer_Staatsmann)&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 01:58 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Hortleder, Friedrich
Band 13 (1881), S. 169–175 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Hans Georg Herwart von Hohenburg in Wikidata
GND-Nummer 100357946
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|13|169|175|Hoerwarth v. Hohenburg, Hans Georg|Johann August Ritter von Eisenhart|ADB:Hörwarth von Hohenburg, Hans Georg (bayerischer Staatsmann)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100357946}}    

Hoerwarth: Hans Georg H. (auch Herwarth) v. Hohenburg, baierischer Staatsmann und Gelehrter, geb. am 11. Februar 1553, † am 15. Januar 1622. Die größeren Reichsstädte führen in ihren Stammtafeln Namen, deren Träger sich Generationen hindurch bald im städtischen Regimente, bald in weiteren Kreisen durch ruhmvolles Wirken hervorthun. – Ein solches Geschlecht ist das der Augsburger Hoerwarth. Nach Mitte des 12. Jahrhunderts treten sie urkundlich auf, und bekleidete bis zur Errichtung des Zunftregimentes (1308) kein Geschlecht öfters die Würde eines Stadtpflegers als jenes der H. Die fortlaufende Reihe beginnt im J. 1362 mit Heinrich H.; er ist der Urahne all’ jener bedeutenden Männer, welche aus der baierischen (Hohenburger), der württembergischen (Bittenfelder), der Augsburger und französischen Linie hervorgingen und der Familie mit neuem Ruhme neuen Glanz zuführten. Nun sind all’ diese Linien erloschen mit Ausnahme der von Lukas H. gegründeten Bittenfeld’schen, welche in den Nachkommen des in der Nördlinger Schlacht 1634 gefallenen Feldhauptmanns Mathias H. in Preußen blüht und in ununterbrochener Folge dem preußischen Heere tapfere Kriegsmänner liefert. Der Vater des Hans Georg H., Hans Paul H., geb. 1519, Mitglied des geh. Rathes in Augsburg, Herr zu Haimhofen und Otmarshausen, entgab sich 1576 (irrig 1567), seines Bürgerrechtes und seiner liegenden Habe zu Augsburg; er ließ sich auf dem mütterlichen Edelsitze Hohenburg nieder, einer stattlichen Feste unferne Längries, die von bewaldeter Höhe des Geyersteines auf die grünen Fluthen der Isar niederschaut und nun dem Herzoge von Nassau zu eigen ist. Hans Paul H. bestimmte Hohenburg 1574 als Erbgut seiner Familie und wurde Gründer der nach dieser Hofmark benannten katholischen Linie der Hoerwarth’s. Später erwarb er noch einige Herrschaften im Rentamte München und segnete 1583 als baierischer Hofrathspräsident das Zeitliche. Karl V. hatte ihm 1554 die Reichsfreiherrnwürde verliehen, Herzog Albrecht am 11. Juli 1572 die Hof- und Edelmannsfreiheit [170] bewilligt. Weder er noch seine unmittelbaren Nachkommen machten hiervon Gebrauch. Kaiser Leopold erneuerte später den uralten Adel der Hoerwarth’s, welche bereits bei Friedrich III. in hohen Gnaden standen, den sie auch zur Krönung nach Rom begleiteten. Er erhob mit Brief vom 7. April 1659 Paul’s Urenkel, den kaiserlichen Kämmerer und Reichshofrath Hans Heinrich H. nebst dessen beiden Brüdern, dem kurbaierischen Landschaftskanzler Hans Wilhelm H. († 1691) und dem kaiserlichen Geheimrathe Hans Georg H. († 1702) zu Reichsfreiherren und versetzte sie 28 Jahre später, am 4. Mai 1687 (ersteren wegen seiner Verdienste bei Durchführung diplomatischer Geschäfte in Polen (1676) und Ungarn (1681) unter Mehrung des Wappens in des Reiches Grafenstand. – Hans Georg H., des erwähnten Hans Paul H. und dessen Hausfrau Magdalena, aus dem angesehenen Geschlechte der Welser, vierter Sohn erblickte am 11. Februar 1553 zu Augsburg das Licht der Welt. Ueber seine Kindheit und seinen frühesten Bildungsgang gebricht es an Nachrichten; wir wissen nur, daß er 1574 die Universität Ingolstadt bezog. Mit guten Talenten ausgestattet, von heißem Wissensdrange beseelt, trieb er auf der Hochschule mit seinen beiden älteren Brüdern, Hans Christoph (der bereits 1568 die Rechtsschule zu Padua besucht hatte und 1576 auf jene von Douay ging), sowie mit Hans Konrad philosophische, dann rechtswissenschaftliche Studien und legte den Grund zu jener tiefen, vielsitigen Bildung, welche sein späteres Leben und Wirken zu einem so inhaltsvollen gestaltete. 1583 treffen wir den jungen Rechtsgelehrten in Speier, wo er am 8. April auf Präsentation des baierischen Kreises nach vorgängiger Eidesablage als außerordentlicher Assessor beim Reichskammergerichte feierlich eingeführt wurde. Seins Bleibens war indeß von kurzer Dauer; schon im Frühjahre 1585 erbat er wegen beharrlicher Krankheit und vieler Sterbefälle in der Familie seine Entlassung, die er auch mit Visitationsdecret vom 12. Mai unter der Verpflichtung erhielt, noch ½ Jahr zu dienen und auch dann bis zur Ankunft seines Nachfolgers fortzuarbeiten. – Am 6. November des nämlichen Jahres trat er als Hofrath in baierische Dienste und wurde nach Umfluß zweier Jahre als Landschaftskanzler aufgenommen, da der bisherige Kanzler, sein älterer Bruder Hans Konrad H. (geb. 1522), „beschwerlicher Leibeszustände halber“ um Entlassung des neun Jahre verwalteten Cancellariatsamtes nachgesucht hatte. Neben dem Kanzlergehalte bezog H. noch 200 fl. „wegen der speierischen Sachen“, unter denen wol die beim Reichskammergerichte anhängigen Fiskalprocesse Baierns zu verstehen sind. Die Annahme, daß H. um 1586 als steierischer Kanzler einige Zeit bei Erzherzog Ferdinand in Gratz zugebracht, beruht auf Irrthum. Nach den vorliegenden Hofkammerrechnungen war H. damals Hofrath in München und bezog seinen Gehalt fortlaufend aus der baierischen Kasse. Herzog Wilhelm V. beehrte ihn mit besonderem Vertrauen, ja er rief ihn alsbald an die Spitze der Geschäfte, indem er ihn am 10. März 1590 zum geheimen Rath und Obristkanzler mit 1500 fl. ernannte. H. diente seinem Fürsten mit redlicher Hingebung, fertigte alle wichtigen Actenstücke politischer Natur, führte zum Theil die vertraute Correspondenz Wilhelm’s und erfreute sich weitreichenden Einflusses. So war er 1593 auf dem Landtage zu Landshut Vorsitzender des von Regierung und Landschaft gewählten Finanzausschusses und Verfasser jener freimüthigen memoranda welche die von Wilhelm 1597 niedergesetzte Commission bezüglich Reform des verschuldeten herzoglichen Kammerwesens und fürstlichen Hofstaates überreichte. Andererseits gelang es zu keinem geringen Theile der Bemühung des Kanzlers, daß die Landstände die Schulden des Herzogs im Betrage von mehr als: 2½ Millionen Gulden zur Deckung übernahmen. Als ferner die Erzherzöge den Vortritt vor den baierischen Herzögen beanspruchten und Wilhelm zur Wahrung der Rechte seines Hauses in diesem Rangstreite 1591 [171] den Titel „Durchlaucht“ annahm, gab man in der Hofburg zu Innsbruck, darüber mißvergnügt, „den schwäbischen Doctores“ (H. und Gailkofer) oder den Jesuiten die Schuld, und als Erbprinz Maximilian am 9. Mai 1594 zum Reichstage in Regensburg mit 488 Personen einritt, befand sich der Obristkanzler als baierischer Reichstagsabgeordneter im Gefolge, der auch dort blieb und die Reichstagsberichte für den Herzog fertigte, als der Prinz Regensburg bereits am 29. Juli verließ, wie er auch in der bald darauf spielenden Abdankungsangelegenheit Wilhelms als Vertrauensperson auftritt, indem er hierüber zum Oefteren mit Maximilian Briefe wechselt und vom Herzog am 7. August 1597 die Weisung empfängt: „die Gesandtschaft an den Kaiser sowie die ganze Abdankungssache schleunigst auszuführen“. Die Verzichts- und Uebergabsinstrumente wurden auch bereits am 25. October 1597 unterzeichnet, der eigentliche Regierungsantritt Maximilians konnte indeß erst nach kaiserlicher Bestätigung am 4. Februar 1598 erfolgen. Der neue Herrscher war H. gleichfalls gewogen, legte jedoch das Kanzleramt alsbald in jüngere Hände; er übertrug es dem Regierungskanzler von Landshut, Joachim v. Donnersberg, während H. unter Beibehaltung der geheimen Rathswürde und des Pflegamtes Schwaben am 1. April 1599 wieder die Geschäfte eines Landschaftskanzlers übernahm. Dieser Wechsel gestattete ihm seinen Lieblingsstudien nachzugehen und sich auf dem Felde der Wissenschaft einen geschätzten Namen zu sichern. Hoerwarth’s Schriften und hinterlassene Papiere, welche aus fünf großen Fascikeln bestehen, gewähren einen klaren Einblick in sein geistiges Thun und Schaffen. Er zeigt sich uns als gewiegter Kenner des Rechts und der alten Sprachen, als Mathematiker und Astronom, als Geschichtsforscher und Chronologe. Als Schriftsteller hielt er sich von der Schwäche nicht frei, fremde Arbeiten ohne Namensnennung zu benutzen; doch geschah dies mehr in Nebendingen; in der Hauptsache waren seine Werke wirklich seine Schöpfungen. Welches Ansehen er bei seinen Zeitgenossen fand, wie wohlwollend er den Trägern der Wissenschaft entgegen kam, das erfahren wir am besten aus seinem Briefwechsel mit namhaften Gelehrten jener Epoche, mit dem Historiographen Johannes Meursius (de Meurs) mit dem Mathematiker Prätorius in Altdorf, mit den Augsburger Humanisten David Höschel, Jakob Pontanus, Markus Welser, mit dem Tübinger Astronomen Mästlin und dem stets schlagfertigen Controversisten Jak. Gretser; das bezeugt sein näheres Verhältniß mit Kepler, das bekunden auch die Lobesworte, welche der Jesuit Mathäus Rader bei Widmung seines Chronicon Alexandrinum (1615) spendet. Unter Hoerwarth’s Werken ist nach der Reihenfolge der Veröffentlichungen zuerst der Katalog der griechischen Handschriften der herzoglichen Büchersammlung anzuführen; er erschien 1612 zu München. Die wissenschaftliche Beihülfe, welche H. bei Anlage dieses Kataloges fand, mag zu der unbegründeten Beanstandung von dessen Autorschaft geführt haben, indeß ist das Werk in neuerer Zeit durch Hardt’s fünfbändigen catal. manuscr. graec. (München 1806, 4°) überholt. Nach Theiner (Schenkung der Heidelberger Bibliothek durch Maximilian I.) wurde von H. um 1580 auf Geheiß des Herzogs Wilhelm in Heidelberg ein genaues Verzeichniß der griechischen Manuscripte der berühmten Palatina gefertigt. – Hat H. die Schätze der herzoglichen Büchersammlung der Wissenschaft eröffnet und hierdurch seinen Namen in der Gelehrtenwelt eingeführt, so gewann er einen vielgenannten durch den Ludovicus IV Imperator defensus“, dessen freimüthige Sprache kein geringes Aufsehen erregte, da er ja seine Entstehung Maximilian, dem eifrigsten Vorkämpfer des Katholicismus, zu danken hatte. Die Autorschaft des Buches war schon bald nach dessen Veröffentlichung von Leibnitz und Balde angestritten; neueste Forschungen haben außer Zweifel gestellt, daß der Ludovicus defensus nicht aus Hoerwarth’s Feder floß, wenn er auch dessen Abfassung nahe stand. Herzog Maximilian, entrüstet über den seinem großen Ahnherrn durch die Schmähungen des Dominikaners Bzovius widerfahrenen [172] Unglimpf ertheilte nach der Vorrede zur zweiten Auflage (1621) durch Decret vom 16. März 1618 H. den Befehl zur Abfassung einer Ehrenrettung; letzterer war wol bei Sammlung und Sichtung des Urkundenmaterials wie auch bei der Drucklegung betheiligt, allein geschrieben hat das Buch der Jesuit Jakob Keller, Rector des Münchener Collegiums, dessen Autorschaft nach Anordnung des Ordens unbekannt bleiben mußte. Die in fließendem Latein geführte Vertheidigung weist die Rechtmäßigkeit der Kaiserwahl nach, bekämpft sowol den Eingriff des Papstes in die weltliche Herrschaft als den dem Kaiser gemachten Vorwurf der Ketzerei und wälzt die Schuld an der Entwickelung des unheilvollen Streites auf den Papst. – Die gewaltigen Entdeckungen Tycho de Brahe’s, Galilei’s und später Kepler’s wirkten allenthalben anregend auf mathematische und physikalische Studien und machte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Streben bemerklich, die trigonometrischen Tafeln auf den möglichsten Grad der Genauigkeit zu bringen. Je sorgsamer diese Tafeln hergestellt wurden, desto zeitraubender war das Rechnen mit vielziffrigen Zahlen; so entstand das Streben nach Abkürzung jener Manipulation. Auch H. beschäftigte sich mit dieser Aufgabe. Die mühsamen Früchte seines Fleißes sind die zahlenstrotzenden: „Tabulae arithmeticae προσθαφαιρεσεως universales“, Fol. Es ist immerhin möglich, daß diese 1611 zu Ingolstadt herausgegebenen Tafeln auf die später erschienenen Arbeiten des Schotten Lord John Napier und des Toggenburgers Jost Bürgi, welche als die Erfinder der Logarithmen gelten, Einfluß übten; jedenfalls kommt H. das Verdienst zu, sich an diesem wissenschaftlichen Probleme hervorragend betheiligt zu haben. Er benutzte jedoch die Mathematik mehr als Hilfswissenschaft zu astronomisch-chronologischen Arbeiten, und berichtigte in der That durch seine „Novae, verae et exacte ad calculum Astronomicum revocatae chronologiae et capita praecepua“, Mon. 1612; einige wesentliche chronologische Irrthümer, was Mästlin veranlaßte im 20. Briefe an Kepler besonders die ersteren Kapitel des Werkes sehr günstig zu beurtheilen und dem Verfasser „etiam propter ingentes labores et industriam“ Bewunderung und Verehrung zu zollen. Gelegentlich dieser chronologischen Untersuchungen wurde H. mit Kepler’s Erstlingswerke, dem Prodromus (1596) und hierdurch mit diesem selbst bekannt. Er glaubte, aus einer Stelle des Dichters Lucan, welche den von Nigidius Figulus beobachteten Stand der Gestirne zur Zeit der römischen Bürgerkriege schildert, das Jahr des Ausbruches jener Kämpfe feststellen zu können und wandte sich deshalb an Kepler nach Gratz. Der Befragte beschäftigte sich eingehend, aber erfolglos mit der gestellten Aufgabe, lieferte dagegen H. höchst werthvolle chronologische Berechnungen. So entspann sich zwischen beiden eine längere Correspondenz, welche nach doppelter Richtung unsere Beachtung verdient. Einerseits gibt sie genaue Kunde von Kepler’s wissenschaftlichen Plänen und Erfolgen zu jener Zeit, andererseits lernen wir aus ihr H. als einen vorurtheilslosen, scharfen Denker schätzen. So macht er im vierten Briefe die für jene Zeit überraschende Aeußerung: Es wundere ihn, daß Keiner ex professo die Bewegung der Erde erwäge, da doch die schönsten Argumente, besonders physische, nicht fehlen würden, durch welche vorzüglich aus Wind- und Meeresströmung, aus Ebbe und Fluth nachzuweisen wäre, daß der Erde mit größerem Rechte als den Fixsternen Bewegung zuzuschreiben sei. – Nicht minder war H. als Staatsmann bis an sein Lebensende thätig. Gleich Wilhelm V. hörte auch Maximilian gerne in rechtlichen und politischen Fragen dessen erfahrenen Rath, beschenkte ihn 1611 mit einem Ehrensolde von 10,000 fl. und übertrug ihm öfters wichtige Staatsgeschäfte. Auf dem ersten Landtage Maximilians (October 1605) war er Abgeordneter der Regierung, wirkte in der Commission, welche die 1616 promulgirten großen Justizgesetze berieth, erschien als fürstlicher Stellvertreter auf dem ligistischen Bundestage zu München im Mai 1640, unterhandelte neben Tilly, Donnersberg [173] und Rechberg vom 17. bis 24. October desselben Jahres mit den Gesandten der protestantischen Union, bekleidete die Stelle eines herzoglichen Vollmachtträgers sowol auf dem Regensburger Reichstage wie in der Heirathssache des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm v. Neuburg mit Maximilians jüngster Schwester, Prinzessin Magdalena, und leitete im Mai 1616 die geheimen Berathungen mit dem unionistischen Sendboten Freiherrn v. Freyberg-Oepfingen. Im höheren Alter hatte er schwer an der Gicht zu leiden; trotzdem arbeitete er unverdrossen weiter. Ein gar schmerzhafter Anfall quälte ihn im Sommer 1611, als er sich eben mit einem staatsrechtlichen Gutachten über die Irrungen mit Salzburg wegen des Halleiner Salzhandels beschäftigte; dasselbe ist vom Obristkanzler (Donnersberg) unterzeichnet mit dem Beisatze: „statt des Landschaftskanzlers, der weder Hände noch Füße aber desto besser die Zunge rühren kann“. Trotz solch’ reger Berufserfüllung wurde ihm 1619 „von der Churfürstin Maria Anna wegen 12 Thaler Strafe dictirt, dieweilen seine Tochter bei des Klötzl’s (?) Hochzeit sich Freile (Fräulein) habe tractiren lassen“. Der Vorgang berührte den wackern Mann schmerzlich; das mit alternder Hand geschriebene Gnadengesuch betheuert feierlich die Unschuld des Verurtheilten und schließt nicht ohne Anflug von Bitterkeit mit der Bemerkung: daß er Gottlob in Zeit seiner getreuen 43jährigen Dienstgeschäfte einer Bestrafung überhoben geblieben sei. Im Uebrigen leuchtete H. auf seinem Lebensgange ein ungewöhnlich freundlicher Stern; kein nachhaltiger Unfall trübte die Harmonie seiner Tage. Hochgeehrt von den Besten seiner Zeit um seiner Stellung, um seiner Kenntnisse willen, reich gesegnet mit Glücksgütern – (er nannte sich Herr von Planegg, Berg, Almannshausen, Poschets- (jetzt Fürsten-) ried und besaß außerdem Seeholzen, Aufkirchen, Bibekohr und Forstenried –, reich gesegnet mit Kindern aus zwei Ehen – (deren zweite er 1604 abschloß), starb er am 15. Januar 1622 und ist in Aufkirchen am Würmsee begraben. Das von seinen Söhnen errichtete Steinepitaphium erhebt sich an der Westwand der Josephskapelle in der Münchener Lieb-Frauen-Kirche. H. ist knieend abgebildet mit kräftigem Schnur- und Knebelbart, kurzen Pluderhosen und zierlich verbrämtem Mäntelchen. Der breitkrämpige Hut liegt zur Seite. Als Wilhelms und Maximilians vertrauter Diener war H. in nahen Beziehungen und engem Verkehr mit den Jesuiten, denen er seine große, kostbare Bibliothek vermachte; nach Aufhebung des Ordens kam sie an die Ludwig-Maximilians-Universität. König Ludwig I. ließ die von Professor Widnmann gefertigte Marmorbüste Hoerwarth’s in der baierischen Ruhmeshalle aufstellen. Ein genaues Verzeichniß seiner Werke nebst kurzer Lebensskizze bei Veith, Biblioth. August. Alph. X. 134–154. – Ein jüngerer Bruder, Hans Friedrich H., geboren und erzogen zu Augsburg, diente bei Herzog Ferdinand (dem Gründer der gräfl. Wartenberg’schen Seitenlinie des baierischen Hauses) als Kämmerer und Stallmeister. Er schrieb ein bibliographisch werthvolles Buch „Ueber die hochberümpte adeliche u. ritterliche Kunst der Reitterey“; mit vielen guten Holzschnitten geschmückt erlebte es mehrere Auflagen, die erste zu Tegernsee 1577. Um 1588 wurde er Stadt- und Landrichter, auch Kastner zu Schongau, in dessen Besitze sich Herzog Ferdinand befand. An seine Richterthätigkeit knüpft sich ein trübes Andenken. Führte er ja von 1589–91 mit blindem Uebereifer jenen Schongauer Hexenproceß, in dem gegen 63 Weiber als unglückliche Opfer einer im Irrwahne befangenen Rechtspflege auf dem Blutgerüste endeten. Zweimal vermählt starb er 1598 kinderlos. – Hoerwarth’s ältester Sohn, der gleich seinem Vater Hans Georg hieß, geb. 1588, † 1656, war wie dieser Dr. jur., Landschaftskanzler, Geheimrath und Pfleger in Schwaben, dann kurfürstlicher Kammerdirector. Wegen seines Wissens und seiner Leistungen von Max I. hoch gehalten, wurde er wiederholt zu wichtigen Verrichtungen außer Land geschickt. – Hoerwarth’s dritter Sohn aus erster Ehe, Hans Friedrich H., [174] geb. zu München, studirte 1615 zu Ingolstadt, promovirte dortselbst 1620, wurde am 27. Februar 1622 Hofrath und nebenbei am 22. December 1627 herzoglicher Bibliothekar, dann (nach Lerprechting) Legat in Frankfurt und starb im besten Mannesalter 1632. Er ordnete den handschriftlichen Nachlaß seines Vaters, vollendete ex incompletis optimi parentis monumentis dessen „Admiranda ethnicae theologiae mysteria propraelecta“, Ingolst. 1623, und widmete sie dem erlauchten Gönner seines Vaters, Maximilian. Das Buch enthält neben manchen Irrthümern bisweilen wundersam-paradoxe Ideen über Mythen und religiöse Culten der alten Welt. Die Angabe Kobolt’s u. A., daß auch dieser Hans Friedrich ein seltenes, zu Tegernsee erschienenes Buch über die Reiterei verfaßt habe, ist auf eine Verwechslung des Neffen mit dem vorgenannten gleichnamigen Onkel zurückzuführen. – Stehen auch die Hoerwarth’s der französischen Linie nicht im Rahmen der allgemeinen deutschen Biographie, so mag doch eines Gliedes derselben, des aus Augsburg stammenden und dort am 16. Aug. 1607 geborenen Bartholomäus (Barthélemy Hervart, auch Hervard) an diesem Orte gedacht werden. Der Vater, Daniel H., hatte vielleicht aus confessionellen Gründen mit den Seinen die alte Heimstätte Augsburg verlassen und war nach Lyon gezogen. – Bartholomäus ging mit seinem Bruder Johann Heinrich nach Paris, wo sie ein mit Glück und Umsicht geleitetes Bankhaus gründeten. Als eifrige Protestanten kamen die Brüder mit Bernhard von Weimar, als er im Elsaß stand, in nähere, ja freundschaftliche Beziehungen; sie vollzogen, namentlich Barthol., diplomatische Sendungen heikler Art, machten großartige Armeelieferungen und ihr Haus zählte bald zu den ersten Bankhäusern Frankreichs. Ihr Ansehen stieg; durch ihre Verbindungen mit Bernhard wurden sie auch mit Mazarin bekannt. Nach Bernhard’s Tod, zur Zeit der Frond, bot sich Barthol. durch den Cardinal Gelegenheit, dem französischen Hofe schwerwiegende Dienste zu leisten. Es galt, die wankenden deutsch-schwedischen Hilfstruppen, welche unter Bernhard gefochten hatten und nun von dem parlamentsfreundlichen Turenne geführt wurden, an das Lilienbanner zu fesseln und für den Hof zu gewinnen. Die Aufgabe war schwierig, die Armee vielumworben, der Sold rückständig, die Mannszucht gelockert, die Haltung Turenne’s dem Cardinale feindselig. Mit ausgedehnter Königsvollmacht und vielen Briefschaften ging H. im Februar 1649 und wiederum Ende Januar, dann im April 1650 nach Lothringen und Deutschland. Er begann seine Unterhandllmgen mit den Oberofficieren, die ihm von früher her großen Theils wohl bekannt waren. Die klug und umsichtig geleiteten Abmachungen, das verschwenderisch ausgestreute Gold gewannen die Truppen; die Oberofficiere erklärten sich gegen das Parlament für Mazarin, der von Turenne’schen Sendlingen in Stenay geplante Treubruch wurde zu nichte und der verlassene Marschall mußte sich mit wenigen Getreuen nach Hessen zurückziehen. Als dies Mazarin am königlichen Hoflager zu Saint Germain-en-Laye erfuhr, brach er vor der versammelten Gesellschaft in die Worte aus: „Monsieur H. hat den Staat gerettet, dem Könige die Krone erhalten; das Andenken an solche Großthat wird der König unsterblich machen!“ H. hatte aber nicht blos keine Mühen und Gefahren, er hatte auch keine Geldopfer gescheut; die von ihm aus eigenen Mitteln aufgewendeten Summen erreichten die Höhe von 2½ Millionen Livres;, deren Rückersatz nach den erhaltenen Briefen keineswegs gesichert war. Auch später stellte H. in geldklemmen Tagen dem Könige seine Kasse zur Verfügung. Als Ludwig XIV. nach Fouquet’s Verhaftung aus der Bretagne kam und seine Mittel erschöpft fand, wandte er sich an H., der mit einer Anweisung auf 2 Millionen Livres antwortete. Der König lohnte die Dienste mit dem Hartwalde und dem früher vorderösterreichischen Amte Landser im Elsaß. H. mehrte noch diesen Besitz durch Kauf; so erwarb er le bois de Vicomte, Vitry, Meaulx, St. Cloud, das im October 1658 Ludwig XIV. erwarb. Die erstgenannten [175] Besitzungen gingen durch Widerruf des Edictes von Nantes der Familie verloren. Auch durch Staatsämter wurde H. ausgezeichnet. 1649 wurde er Staatsrath, 1650 oder 1656 Intendant der Finanzen und 1657 wurde ihm trotz seines protestantischen Bekenntnisses zum schweren Verdrusse des katholischen Klerus die Oberleitung der Finanzen als contrôleur général de finances übertragen, unter gleichzeitiger Ernennung zum Geheimrath. Er blieb bis 1661 Generalcontroleur und öffnete als solcher seinen Glaubensgenossen den bisher streng verwehrten Eintritt in die Finanzverwaltung. Den Rest seiner Tage beschloß er zu Tours Ende October 1676. Sein Nachlaß wurde auf 6 Millionen Livres geschätzt. In Barthol. H. begegnen wir nicht blos einem scharfblickenden Finanzmann und klugen politischen Agenten, er war auch feiner Weltmann, der sein prachtvolles, von P. Mignard um 10,000 Thaler mit meisterhaften Fresken ausgeschmücktes Hotel in der rue Plâtrière (das jetzige Postgebäude) gerne zum Sammelpunkt einer auserwählten Gesellschaft machte, mit vollen Händen gab und als leidenschaftlicher, aber unglücklicher Spieler an manchem Abende viele tausend Thaler verlor. Unter seine Freunde zählte er Colbert und J. Lafontaine. Die biographische Mittheilung, H. habe nach dem Tode der Frau v. Sablière (1693) den verlassenen und bedrängten Fabeldichter in sein Haus aufgenommen, wo dieser am 15. April 1695 starb, verwechselt den Vater Barthol. H. mit dessen jüngerem Sohne, dem Parlamentsrathe, der im November 1685 katholisch wurde, im folgenden Jahre eine Tochter des Präsidenten Bretonvilliers heirathete und 1713 ohne Nachkommen starb. Bartholomäus’ Wittwe, Esther Wymar aus Lyon, schildert Voltaire als glaubenseifrige Hugenottin, die beträchtliche Summen aufwandte, um den Uebertritt der Calvinisten zu verhindern. Nach Widerruf des Edicts von Nantes ging sie mit einigen Familiengliedern nach England, was Voltaire zu dem Irrthum veranlaßt haben mag, eine englische Abkunft der Familie H. anzunehmen.

Familie Hoerwarth: v. Stetten. Gesch. der adel. Geschl. Augsburgs. – Langenmantel, Hist. des Augsb. Regiments – Stridbeck, Hoerwarth’scher Stammbaum. – Arch. des hist. Ver. f. Oberb. XI. 316; XIV. 198–208; XXX. 318. – Hans Georg H.: Wolf, Maximilian I., Bd. I–IV. – Stieve, Ursprung des 30jähr. Krieges, I; ders., Briefe u. Acten zur Gesch. des 30jähr. Krieges, IV. – Histor.-polit. Blätter, Bd. XVIII S. 42–47. – Sitz.-Ber. der phil. Kl. der Münch. Akad. d. Wissenschaften, Bd. IV S. 48 bis 53. – v. Stetten a. a. O. – Häberlin, Neueste d. Reichsgesch., Bd. XIII u. XIV. – Acten des Reichsarchives. – Hans Friedrich H.: Arch. d. hist. Ver. f. Oberb., Bd. XI. S. 356–80. – Veith, Bibl. Aug. Alph. X. p. 154–57. – Barthol. H.: Haag, la France protest. V. 512 und die dort Citirten, bes. Vanhuffel, Doc. inéd. conc. l’hist. de France.Moreri, Dictionnaire. V. 645. – G. Depping: Barth. H. in der Revue historique, Bd. X (1879) S. 285–338, Bd. XI (1879) 63–80. (Eine trotz ihrer französ. Färbung vortreffliche Abhandlung, in deren Noten die gesammte, sehr reichhaltige Litteratur über Barth. H. u. seinen Bruder zusammengestellt ist). – Hans Herwarth v. B.: Die Brüder Barth. u. Joh. H. Herw. in der Ztschr. d. hist. Ver. f. Schwaben u. Neuburg, Jahrg. I. (1864) S. 185–206.