ADB:Praetorius, Johannes (Mathematiker)

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Artikel „Praetorius, Johannes“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 519–520, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Praetorius,_Johannes_(Mathematiker)&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 03:19 Uhr UTC)
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Praetorius: Johannes P. (Richter), Mathematiker und Astronom, geboren 1537 im Joachimsthal, † am 27. October (a. St.) 1616 in Altdorf bei Nürnberg. P. studirte in Wittenberg die Philosophie und ließ sich sodann als Verfertiger mathematischer Instrumente in Nürnberg nieder. Mehrere von ihm damals hergestellte Globen, Astrolabien u. s. w. sind heute noch vorhanden. 1569 trat P. eine Reise nach Prag und Wien an; in einer dieser Städte lernte er den am Hofe in großer Gunst stehenden Bischof und Rath Dudithius kennen, der für den jungen Gelehrten eine entschiedene Vorliebe faßte und es u. a. bewirkte, daß Kaiser Maximilian II. selbst bei jenem Unterricht in der Mathematik nahm. Auch nach Polen begleitete P. den Dudithius. Im J. 1571 berief die Universität Wittenberg unsern P. an Stelle des zur Medicin übergegangenen Winshemius als Professor der „höheren“ Mathematik; er folgte dem Rufe und lieferte während seines Wittenberger Aufenthalts eine Monographie des neu erschienenen Sternes in der Kassiopeja, welche Tycho Brahe sorgfältiger Berücksichtigung in seinem großen Werke über dieses Phänomen für würdig hielt. Fünf Jahre weilte P. in Wittenberg, dann ging er als Professor der Mathematik an die Nürnbergische Universität Altdorf über, der er bis zu seinem Tode treu blieb, obwohl ihn der gelehrte Landgraf von Hessen durchaus als Vorstand seiner in Kassel neu gegründeten Sternwarte bei sich haben wollte und nur widerstrebend diesen Posten nachher mit dem bekannten Rothmann besetzte. Prätorius’ Lehrthätigkeit wird übereinstimmend als eine überaus segensreiche geschildert; sein trefflichster Schüler Schwenter wurde auch sein Nachfolger. – Obwohl P. nur weniges im Drucke veröffentlichte, so war er doch schriftstellerisch ungemein rührig. Wir wissen nicht anzugeben, was aus seinem handschriftlichen Nachlasse geworden ist, der bis zur Aufhebung der Altdorfer Hochschule (zu Anfang dieses Jahrhunderts) auf der dortigen Universitätsbibliothek verwahrt wurde. Von seinen Manuscripten werden uns die folgenden namhaft gemacht: Eine nach der Methode des Clavius bearbeitete Algebra, ein zweites „kossisches“ Fragment, Anleitungen zum Feldmessen, zum Gebrauche des Jakobsstabes und der Kanalwage, eine eingehende Widerlegung gewisser Würfelverdoppler und Kreisquadrierer (zumal des Scaliger), mehrere Schriften über ebene und sphärische Trigonometrie [520] (z. B. Berechnung der Bogendistanz zweier Punkte der Erdkugel aus deren geographischen Coordinaten), Planetentafeln, Planetentheorien nach Ptolemaeus und nach Coppernicus, Bemerkungen zu den chronologischen Tabellen des Herwart v. Hohenburg und ein Commentar zum „Computus ecclesiasticus“ des Sacrobosko. Die Algebra des Nonius soll P. aus dem Spanischen ins Lateinische übertragen haben. In weitere Kreise sind von Prätorius’ gelehrten Arbeiten nur gedrungen einige Kalender (1578, 1579 etc.), die Schrift „De cometis“ (Nürnberg 1578) und das „Problema, quod jubet ex quatuor lineis rectis datis quadrilaterum fieri, quod sit in circulo, aliquot modis explicatum“ (Nürnberg 1598). Die Kometenschrift zeichnet sich durch die Vorurtheilslosigkeit aus, mit welcher darin die viel behandelte Frage nach der Vorbedeutung dieser Himmelskörper erörtert wird. Wie richtig P. über solche Dinge dachte, erhellt u. a. auch aus einigen noch nicht publicirten Gutachten über astrologische Fragen, welche P. auf Wunsch des Nürnberger Senates für diesen ausarbeitete (1602 und 1610), und welche sich zur Zeit im Nürnberger kgl. Kreisarchiv befinden. Was die geometrische Studie Prätorius’ anlangt, so ist dieselbe von dem ausgezeichneten Geschichtschreiber dieser Disciplin, von Chasles, mit hohem Lobe bedacht worden, der über dieselbe u. a. nachstehendes bemerkt: „Dieses Werk ist in mehreren Hinsichten von Werth: zuerst wegen einiger Andeutungen, die es über die Geschichte des Problems enthält, und sodann, weil es uns, indem es dieselbe Aufgabe wie Brahmegupta löst, die sich auf die Bedingungen der Rationalität einzelner Theile der Figur bezieht, einen Vergleichungspunkt zwischen den Indern und uns darbietet, bei einer Aufgabe, die eigenthümlich und original bei dem indischen Autor wie bei dem europäischen ist“.

P. ist der Erfinder des noch jetzt von unsern Feldmessern viel gebrauchten Meßtisches, der deshalb auch lange den Namen „Mensula Praetoriana“ führte. Sein geodätisches Geschick befähigte ihn auch, dem Städtchen Altdorf bei der Anlage einer Wasserleitung und beim Bau einer neuen Straße nach der Landeshauptstadt Nürnberg die wesentlichsten Dienste zu leisten. Wir werden es nach alldem begreiflich finden, daß er sich eines allgemeinen Ansehens in Fachkreisen zu erfreuen hatte. Mit Herwart, Marx Welser, Henry Savile stand er im Briefwechsel; de Thou und Setthus Calvisius ließen sich, wenn ihnen bei ihren chronologischen Untersuchungen Schwierigkeiten begegneten, gerne von ihm berathen.

Joecher, Gelehrten-Lexikon, 3. Band. – Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730. S. 83 ff. – S. Günther, Die mathematischen und Naturwissenschaften an der Nürnbergischen Universität Altdorf, Verhandl. d. Vereins f. Geschichte Nürnbergs, 3. Heft. – Chasles, Geschichte der Geometrie, deutsch von Sohncke, S. 497 ff. – Wolf, Geschichte der Astronomie, SS. 102, 183, 272, 342, 408.