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Artikel „Wolf, Peter Philipp“ von Sigmund Ritter von Riezler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 781–785, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolf,_Peter_Philipp&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 23:34 Uhr UTC)
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Wolf: Peter Philipp W., Historiker, geboren am 28. Januar 1761 als Sohn des Bürgers und Schlossermeisters Joh. Peter W. zu Pfaffenhofen in Oberbaiern, † am 9. August 1808. Den angegebenen Geburtstag nennt das Taufbuch und Wolf’s Trauungsschein, wie auch W. selbst in einem Briefe an Westenrieder vom 27. August 1803 erwähnt, daß er damals im 43. Lebensjahre stand. Die hergebrachte Angabe des Geburtsjahres 1758 ist demnach zu berichtigen. W. erhielt seine erste Bildung in Jesuiten- und anderen Mönchsschulen zu München. Aber wie sein anonymer Biograph, fast unsere einzige Quelle für seine Jugendzeit, berichtet: sein freies Denken setzte ihn sehr bald in die Nothwendigkeit aus der Schule zu entfliehen. Ohne Geld und Empfehlung wandte er sich nach Straßburg, scheint jedoch bald in die Heimath zurückgekehrt zu sein. Auf Wunsch seiner Eltern in das Alumnat in Weihenstephan aufgenommen, um für den geistlichen Stand ausgebildet zu werden, konnte er die Fesseln des aufgedrungenen Berufes nicht lange ertragen und entfloh zum zweiten Male. „Ich könnte es durch mein eigenes Beispiel erhärten“, schrieb er später an Westenrieder, „wie wenig die Erziehung in einem Seminare taugt. Rohe Studentensitten …, asketischer Stolz, mönchische Heuchelei, jugendlicher Eigendünkel sind die Klippen, an welchen selbst die hoffnungsvollsten Jünglinge scheitern können.“ W. trat jetzt beim Buchhändler Strobel in München in die Lehre, vertauschte jedoch, da er sich mit Strobel nicht vertrug, diese Stellung mit einer anderen Buchhandlung (wahrscheinlich v. Crätz). Strobel fühlte sich dadurch beleidigt und als eine Schmähschrift gegen ihn erschien, glaubte er in W. den Verfasser zu erkennen. Auf seine Klage soll W. ein Jahr lang auf dem Münchener Rathhause eingesperrt worden sein. Zwölf Jahre später meinte W. mit Bezug auf diese Vorgänge, Zeit und Nachdenken sollten doch wol bei Strobel die Spuren der Leidenschaft, die sein Betragen gegen ihn trug, wovon aber auch er selbst nicht frei gewesen sei, ausgelöscht haben. Seinen Abschied von München bezeichnet die Erstlingschrift: „Erzählungen zum Trost unglücklicher Menschen“ (1784), gewidmet dem Geh. Archiv- und Hofrath Karl von Eckartshausen, „dem ersten Schriftsteller des Vaterlandes, der die Sprache des Herzens mit so vielem Nachdruck und so gutem Erfolg reden konnte“. Es sind Sittengemälde aus dem Leben der Gegenwart, entworfen mit der ganzen Empfindsamkeit des Zeitalters und mit der Bitterkeit, welche die herben Schicksale der eigenen Jugend und der auf dem Baiern Karl Theodor’s lastende geistige [782] Druck dem Verfasser einflößten. In den „Skizzen aus der Geschichte meiner Jugend“, zum Theil wol auch sonst, dürfen wir Wolf’s eigene Erlebnisse suchen. Wir hören, daß er oft drei Tage in der Woche nichts zu essen hatte; dann legte er sich aus Hunger früh zu Bett, hörte in der Nachbarschaft den Lärm der Gastereien und weinte. Aber das Unglück stählte seine Kraft und die Befriedigung, die der mangelhafte Unterricht in den vaterländischen Lehranstalten ihm nicht gewährt hatte, fand er in ausgedehnter Lectüre.

Ein guter Geist führte ihn nach Zürich und in das Haus des Rathsherrn Füßli. In der angesehenen Buchhandlung von Orell, Geßner und Füßli vollendete er seine Ausbildung als Buchhändler, lernte Französisch, Englisch, Italienisch, übernahm die Redaction der in Füßli’s Verlag erscheinenden Züricher Zeitung, die er neun Jahre lang führte, und fand Gelegenheit mit bedeutenden Männern der Schweiz wie Pestalozzi und Paul Usteri freundschaftliche Verbindungen anzuknüpfen. Am 15. Februar 1792 feierte er in Ehrendingen seine Vermählung mit Elisabeth Sytz, Tochter des Altdrillmeisters Joh. Jakob Sytz von Knonau. Schwierigkeiten gab es auch hier zu überwinden, da die Eltern der Braut nicht sogleich volles Vertrauen zu dem Fremdling fassen konnten. Mittlerweile hatte ein zufälliger Anlaß W. den eigentlichen Beruf seines Lebens finden lassen. Die Zürcher Stadtbibliothek verwahrt eine reiche Sammlung zur Geschichte der Jesuiten, die ein Engländer nebst einem Capital zu ihrer Vervollständigung dahin gestiftet hat. Als W. seinen Landsmann v. Massenhausen, einen der ersten Vertrauten und Gehülfen Weishaupt’s bei der Stiftung des Illuminatenordens, auf die Bibliothek geleitete, fiel dessen Bemerkung, daß sich mit diesem Material wol eine Geschichte der Gesellschaft Jesu schreiben lassen würde, als zündender Funke in die Seele des aufgeklärten früheren Jesuitenschülers. Mit dem ihm eigenen Feuereifer warf sich W. sogleich auf die Arbeit. Täglich brach er sich einige Stunden vom Schlafe ab oder vielmehr er arbeitete, ohne Tag und Nacht wahrzunehmen, so lange, bis er vor Müdigkeit umsank. Wahrscheinlich hat er schon damals, indem er sich zum Gelehrten bildete, zugleich den Grund zur Untergrabung seiner Gesundheit gelegt. Die „Geschichte der Jesuiten“ erschien in 4 Bänden von 1789–1792 und fand verdienten Beifall, wiewol sich W. selbst nicht verhehlte, daß das Werk „unzählige Fehler enthielt“. Die ziemlich starke Originalausgabe sowie zwei Nachdrucke waren bald vergriffen und 1803 konnte der Verfasser eine neue Ausgabe erscheinen lassen. Auch trug ihm das Werk einen Ruf nach dem josephinischen Wien ein. Aber die Aufforderung rührte, wie W. schreibt, von Jansenisten her, in deren Netze er sich ebensowenig verstricken wollte wie in die der Jesuiten, da beide in ihren Grundsätzen religiöser Intoleranz einig seien. Im letzten Bande seines Werkes hatte er warnend auf den mächtigen Einfluß hingewiesen, den Exjesuiten noch immer übten. Kaum war diese kühne Arbeit vollendet, so machte sich W. wieder an ein großes kirchengeschichtliches Werk: die „Geschichte der römisch-katholischen Kirche unter Papst Pius VI.“, und vollendete es in 7 Bänden von 1793–1802. Wie ernst er seine Arbeit nahm, mag man daraus ersehen, daß er 1797 als Hülfsmittel für dieselbe schon mehr als 600 Broschüren über die durch die französische Revolution hervorgerufenen Veränderungen in der Kirche gesammelt hatte.

1795 gründete Paul Usteri, „der schweizerische Sieyès“, um der Züricher Censur zu entgehen, eine Verlagshandlung in Leipzig. Es scheint, daß W. durch diesen seinen Freund veranlaßt wurde, als Geschäftsführer dieser Buchhandlung nach Leipzig überzusiedeln. Die Firma trug Wolf’s Namen und das Geschäft scheint bald auf ihn allein übergegangen zu sein. Hier erschienen die historisch-politischen Zeitschriften, die dem deutschen Publicum die Kenntniß der [783] französischen Revolution vermittelten: die „Klio“ und die „Beiträge zur französischen Revolution“. An seinem Landsmanne Michael Huber und dessen in Paris geborenen Sohne Ferdinand fand W. in Leipzig kenntnißreiche Berather für die französischen Verhältnisse. Eine europäische Staatengeschichte für die Jugend, die W. in einer Reihe kleinerer Bändchen herausgab, brachte ihm nicht die Hälfte der aufgewendeten Kosten ein. Daneben hätte er gern auch Specialgeschichten der einzelnen deutschen Staaten ins Leben gerufen. Für Baiern wünschte er seinen früheren Lehrer Westenrieder zu gewinnen, mit dem er eine freundschaftliche Correspondenz unterhielt. In dem „Vorschlag zu einer Reformation der katholischen Kirche“, den er 1800 (Leipzig u. Luzern, bei Geßner, Usteri u. Wolf) erscheinen ließ, zeigt sich, wiewol ein Theil der hier erhobenen Forderungen bald oder später Erfüllung fand, in anderen jene Unterschätzung der starren Beharrens- und zähen Lebenskraft der Kirche, welche den aufgeklärten Kreisen dieser Epoche gemeinsam war. Nachdem „eine fatale Reaction beinahe alles Gute vernichtet, was Joseph II. und Leopold II. gestiftet hatten“, hofft W. von einer Kirchenversammlung durchgreifende, selbst vor den Dogmen nicht Halt machende Reformen. „Man kann die thaumaturgischen Matronen die Augen wenden, man kann Crucifixbilder schwitzen, man kann das Blut des hl. Januarius wieder fließen lassen, man kann Prozessionen und überhaupt alle Anstalten der gröbstsinnlichen Andacht wiederherstellen und man wird mit allen diesen eher aus Haß gegen den gegenwärtigen Zustand als aus Klugheit ergriffenen Heilsmitteln der Kirche ihr verlorenes Ansehen und der Religion ihre geschwächte Kraft nicht wiedergeben“. Bei der nächsten Papstwahl, meinte er, sollte die Kirche durch eine Versammlung von Deputirten aus allen katholischen Staaten repräsentirt werden. Die weltliche Souveränität des Papstes sei so wenig ein Glaubensartikel wie seine Unfehlbarkeit. Der Priestercölibat, eingeführt wegen der ärgerlichen Aufführung des Clerus, verdiene aus demselben Grunde wieder aufgehoben zu werden. Die Pfarrer sollten zu wahren Volkserziehern werden, die geistlichen Fürstenthümer säcularisirt, die Mönchsorden nicht vertilgt, aber durch das Verbot fernerer Aufnahme von Novizen allmählich ausgelöscht werden. Der Staat dürfe sich als Eigenthümer des Kirchenvermögens erklären, aber nur mit der ausdrücklichen Verpflichtung von demselben angemessenen Gebrauch zu machen.

War W. mit dieser Schrift als Wortführer einer kirchenpolitischen Richtung hervorgetreten, welche in seinem Heimathlande eben ans Ruder gelangt war, so kann es nicht überraschen, daß er bald dorthin zurückberufen wurde. Ob und inwieweit etwa früher angeknüpfte persönliche Verbindungen dabei mitspielten, entzieht sich unserer Kenntniß. Daß W. selbst Illuminat gewesen, dafür fehlt es nicht nur an sicherem Anhalt, sondern in anbetracht des jugendlichen Alters, in dem er sein Heimathland verließ, an innerer Wahrscheinlichkeit, doch legen manche Umstände – u. a. spricht er in einem an seine Schwiegereltern gerichteten Briefe vom 31. Dec. 1791 von „seinen in ganz Deutschland zerstreuten Freunden“ – den Gedanken nahe, daß er mit Mitgliedern dieses Geheimordens oder der Freimaurer Fühlung gewonnen hatte. Durch die Bemerkungen über die Illuminaten und deren Verfolgung in Baiern, die er im 4. Bande seiner Geschichte der Jesuiten niedergelegt hat, dürfte diese Vermuthung unterstützt werden; jedenfalls zählte er zu den Gesinnungsgenossen des Ordens und gerade um die Zeit, da dessen Mitglieder geächtet wurden, war er in die Schweiz ausgewandert. Die Erfahrung, daß man im Buchhandel nicht mit guten, sondern mit schlechten Büchern Geschäfte mache, hatte ihm jetzt seinen Beruf, der nach seiner Klage in Leipzig herrschende Geldstolz hatte ihm den Aufenthalt in dieser Stadt verleidet. Ueberdies entzog ihm die Flucht eines Engländers, der ihm [784] an 10 000 fl. schuldete, die Möglichkeit sein Geschäft in der bisherigen Weise fortzusetzen. Er sehnte sich nach seinem Vaterlande, wo er auch mit dem bescheidensten Posten vorlieb nehmen wollte, und wenige Wochen, nachdem er diesem Wunsche in einem Briefe an Westenrieder Ausdruck gegeben hatte, konnte er (1. Oct. 1803) bereits erwähnen, daß er Leipzig wegen eines nach München erhaltenen Rufes verlasse. Seine Buchhandlung überließ er an Karl Gottlob Schmidt. Montgelas dürfte die Hauptrolle bei seiner Berufung gespielt haben. Am 18. Mai 1804 erhielt er vom Kurfürsten Max Josef den Auftrag, eine pragmatische Geschichte des Kurfürsten Maximilian I. von Baiern nach dem dem Minister Montgelas vorgelegten Plane auszuarbeiten. Eine feste amtliche Stellung war wol schon damals für ihn in Aussicht genommen und die Möglichkeit dazu eröffnete sich, als bei der Reorganisation der Akademie der Wissenschaften für eine Anzahl von Mitgliedern Gehälter ausgeworfen wurden. Nach dreijährigem Aufenthalt in München ward er als Akademiker mit einem Gehalte von 1200 fl. angestellt, die Ausfertigung des Ernennungsdiploms verzögerte sich jedoch bis zum 12. Januar 1808. Im Jahre vorher hatte er von dem Bruder und Erben des geistlichen Rathes und Zeitungsverlegers Lorenz Hübner dessen Zeitungsbuchdruckerei um 2600 fl. gekauft und durch Decret vom 19. October 1807 erhielt er das bisher von Hübner innegehabte Privileg für die Herausgabe der „Münchener Zeitung“, eines Organs, das bis zu seinem Ende (als „Bayerische Zeitung“ 1867) im Besitze von Wolf’s Nachkommen geblieben ist. Der Gegensatz eines begabten, freien und feurigen Geistes gegen den clericalen Druck, unter dem er aufgewachsen war, hatte seiner Entwicklung die Wege gewiesen und seinem Wirken den Stempel aufgedrückt. Jetzt fand er in dem wiedergewonnenen Vaterlande Zustände, die den in der Jugend erträumten und ersehnten nicht zu ferne lagen, fand die früher verfolgten Illuminaten als die eifrigsten Baumeister an dem Staatsgebäude des neuen Baiern. Nach harten Kämpfen schien es ihm endlich beschieden die Früchte seiner Anstrengungen in der Thätigkeit zu genießen, die ihm die willkommenste war – aber nun rächte sich das Uebertriebene dieser Anstrengungen. Sein Geist ward umnachtet, am 6. August 1808 mußte durch amtliche Verfügung seine Unterbringung in ein Asyl angeordnet werden, aber vier Tage darauf zog man bei Bogenhausen seine Leiche aus der Isar. Mit welchem Kraftaufwand er nach Gewohnheit auch in München gearbeitet hatte, wird daraus klar, daß er in der Zeit von etwa vier Jahren zwei Bände seines auf den mühevollsten archivalischen Studien aufgebauten Buches über Max I. herausgegeben und vom dritten zwei volle Drittel vollendet und auch schon abgedruckt hatte. Auch das letzte Drittel dieses Bandes war von W. niedergeschrieben, trug aber, wie sein Fortsetzer Breyer bemerkt, bereits Spuren der Geistesverwirrung. Von W. selbst rührt also die Darstellung des dritten Bandes bis zum Reichstage von 1613 einschließlich. Dazwischen hatte er, nachdem Tirol durch den Preßburger Frieden bairisch geworden war, auch eine kurzgefaßte „Geschichte, Statistik und Topographie von Tirol“ (1807) herausgegeben. „Sie haben Recht“, hatte er 1797 an Westenrieder geschrieben, „es zu mißbilligen, daß ich mich zu früh in das Gebiet der ernsthafteren Wissenschaften gewagt habe. Die Natur hat mich mit einer sehr reichlichen Gabe von Einbildungskraft versehen, die mir bei meinen historischen Arbeiten mehr als einen schlimmen Streich spielen mußte.“ Von diesem Fehler hatte sich der stets nach Vollendung ringende Autodidakt bei seinem letzten und reifsten Werke vollständig befreit. Auf gründlichen archivalischen Studien beruhend, darf die Geschichte Maximilian’s I., wenn man den Maßstab der Zeit anlegt, als eine vorzügliche Leistung bezeichnet werden. Aus dem Schoße der Münchener Akademie war bis dahin kein historisches Werk hervorgegangen, [785] das, einem ebenso bedeutenden Stoffe gewidmet, Sorgfalt der Forschung, strenge Objectivität, wohl abgewogenes Urtheil, Reinheit der Sprache und Geschmack der Darstellung in gleich erfreulicher Weise vereinigt hätte.

Außer Wolf’s Schriften und spärlichen Familienpapieren im Besitz der Herren Karl und Ludwig Wolf in München, der Urenkel Peter Philipp’s, wurde benützt: Kluckhohn, Zur Erinnerung an P. Ph. Wolf (Sitz.-Ber. der Münchener Akad. d. Wiss., histor Cl., 1881, Bd. II, S. 449 flgd.) sowie der dort verwerthete kurze Nekrolog eines ungenannten Verfassers.