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Artikel „Füßli, Johann Heinrich“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 263–266, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:F%C3%BC%C3%9Fli,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 19:55 Uhr UTC)
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Band 8 (1878), S. 263–266 (Quelle).
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Füßli: Joh. Heinrich F., Geschichtsforscher, Schriftsteller und Staatsmann, geb. 3. Dec. 1745 zu Zürich, † am 26. Decbr. 1832 daselbst. – Johann Heinrich F. war der Sohn des jüngeren Johann Rudolf (s. d. Art.) und genoß unter den Augen des Vaters, aber vorzüglich durch den Einfluß des Philologen Steinbrüchel und infolge der Einwirkung Bodmer’s, welcher den Jüngling für die historischen Studien gewann, eine vorzügliche Erziehung: mit dankbarer Wärme pries F. durch sein ganzes Leben die Anregungen, welche von den sokratischen Jugendfreunden, Bodmer und Breitinger, wie auf ihre jungen Mitbürger überhaupt, so speciell auf ihn ausgegangen seien. Mit siebzehn Jahren kam F. zum Behufe seiner weiteren Ausbildung nach Genf, welches gerade damals durch den Emile, dessen Verfasser F. kennen lernte, in große Aufregung versetzt war, und wo dem Jüngling in den geistig hoch angeregten Kreisen reiche Förderung erhältlich wurde. 1763 folgte eine Reise nach Italien, welche für F. bleibende Bedeutung gewann; denn durch die Empfehlung seines Vaters und Leonhard Usteri’s (s. d. Art.) wurde F. mit Winkelmann bekannt, dessen Zuneigung er sich rasch in hohem Grade erwarb. „Nach einem Aufenthalte von einigen Monaten – schrieb Winkelmann bald an den Vater Füßli’s – würden Wenige in Rom selbst sein, denen dieser würdige Jüngling nicht Lection geben könnte“, und anderswo versichert er, derselbe sei ihm „Sohn, Freund und Alles“. F. gestand, im Umgange mit Winkelmann die eigentliche Weihe des geistigen Lebens gewonnen zu haben. Er reiste im Frühjahr 1764 mit demselben und mit der Malerin Angelika Kaufmann und deren Vater nach Neapel, und Winkelmann widmete ihm die aus den Studien dieser drei Wochen hervorgegangenen „Nachrichten von den neuesten Herkulanischen Entdeckungen“; hinwieder wurden durch F. die ästhetischen Ansichten Bodmers an Winkelmann und Mengs übermittelt. Noch 1764 nach Zürich zurückgekehrt, widmete sich F. vorzüglich historischen Studien, wobei frühe schon eine für jene Zeit ungewöhnliche Vertiefung in die Quellen sich geltend machte. Schon ehe Bodmer 1775, eigentlich zum Besten seines Zöglings, die von ihm ein halbes Jahrhundert hindurch bekleidete Stelle eines Professors der vaterländischen Geschichte und Politik niederlegte und F. statt seiner erwählt wurde, hatte derselbe mit großem Beifall historische Vorträge zu halten begonnen, als deren Programm die von hohem sittlichem Ernste durchdrungene Rede: „Schärfgen auf den Altar des Vaterlandes gelegt“ (1778), betrachtet werden kann. Aber diese bedeutenden Sammlungen und mehrfachen Bearbeitungen einzelner, in den Vorträgen behandelter Perioden – besonders über die ereignißreichen letzten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts, – sind zumeist entweder ungedruckt geblieben, oder nur in Bruchtheilen veröffentlicht, weil F. in strenger Beurtheilung seiner Arbeit an derselben die gewünschte Vollendung vermißte. Einzig „Johann Waldmann, Ritter, Burgermeister der Stadt Zürich“ [264] erschien 1780 (Zürich) als selbständiges Buch, noch bis heute die zwar vielfacher Verbesserung fähige, aber befriedigendste Darstellung dieses schwierigen Gegenstandes: F. zeigte durch die Beifügung auf dem Titel: „Ein Versuch, die Sitten der Alten aus den Quellen zu erforschen,“ wie er seine Aufgabe als Historiker auffaßte. Vorzüglich jedoch verzichtete F. auch deswegen auf eine eigene größere Arbeit, weil er dem um sieben Jahre jüngeren Johannes Müller, dessen glänzenderer Begabung sich unterordnend, in edler Selbstlosigkeit seine reichen Sammlungen zur Benutzung hingab. F. ist jener „älteste Freund in der Schweiz“, an den Müller die 78 durch F. selbst 1812 (Zürich) herausgegebenen Briefe gerichtet hatte, welche für die Entstehung der Müller’schen Schweizergeschichte die meisten Aufschlüsse bieten. Schon 1771 hatte die Verbindung zwischen F. und Müller angefangen, und sehr bald bildete sich ein sehr inniges Verhältniß aus. Müller bekennt sich offen als „Schüler“ seines Freundes, „dessen Denkungsart ihn so treuherzig mache, wie er gegen Wenige noch gewesen sei“. 1773 machte Müller den Vorschlag einer Theilung der Arbeit für die Schweizergeschichte, so daß F. besonders die neueren Partien übernommen hätte: „Ich freue mich unendlich, daß wir miteinander arbeiten, mein Herzensfreund! und in Gesellschaft vor dem Publikum erscheinen!“ Allein andere Aufgaben, vorzüglich eine steigende politische Wirksamkeit hielten F. davon ab. Immerhin wurde es ihm möglich, in der von ihm begründeten Zeitschrift: „Schweitzersches Museum“ 1783 bis 1790, sowie im J. 1793 bis 1796 erscheinenden „Neuen Schweitzerschen Museum“ eine Reihe historischer Arbeiten zu veröffentlichen, voran den Anfang einer Biographie seines eben verstorbenen verehrten Lehrers Bodmer, dann eine Geschichte des Schwabenkrieges, andere Bruchstücke aus dem 15. Jahrhundert, eine Analyse des Zürcherischen Richtebriefes von 1304, eine Biographie Hutten’s u. a. m. Durch andere werthvolle Beiträge, besonders des Forschers über Zürcherische Geschichte, Joh. Heinrich Schinz, dann des ihm durch Müller befreundet gewordenen Bonstetten (s. d. Art.), Bridel’s (s. d. Art.) und Anderer vermochte F. wirklich diese werthvolle Sammlung zu dem zu machen, was er durch sie zu erzielen suchte, zu einer gediegenen Vereinigung in der einsichtigen Liebe zum Vaterlande gleichstrebender geistiger Kräfte. F. war auch als Theilnehmer an dem buchhändlerischen Geschäfte Orell, Geßner, Füßli u. Co. (Geßner war der bekannte Idyllendichter) materiell an diesen und ähnlichen Unternehmungen betheiligt, so jedoch, daß die geistigen Interessen stets zumeist an diesen Dingen ihm werthvoll erschienen. Dahin ist Füßli’s „Allgemeine Blumenlese der Deutschen“, 1782 bis 1788, 6 Bde., woraus die zwei ersten Theile als „Der heilige Gesang der Deutschen“ auch abgesondert, zu rechnen; von ihm ging ein nicht zu unterschätzender Einfluß auf den Dichter Matthisson aus; F. hat den originellen „armen Mann aus dem Toggenburg“ (s. d. Art. Brägger) an das Tageslicht gezogen. – Inzwischen war F. erst als Mitglied des großen Rathes, wo er als ein gründlicher und einflußreicher Redner sich bald auszeichnete, dann seit 1785 als solches des kleinen Rathes, vollends mit der Ernennung zum Obmanne, d. h. zum obersten Aufseher der in der Reformation eingezogenen Klostergüter, welches ökonomische Amt zu den neun höchsten Staatsämtern zählte, in die politischen Angelegenheiten eingeführt worden. Mit hohem Pflichtgefühle verband F. in diesen öffentlichen Stellungen eine klare Erkenntniß der unter den Einwirkungen der französischen Revolution sich gefährlicher gestaltenden Lage. So vermochte er 1795 bei Anlaß des Stäfner Handels (s. d. Art. J. J. Bodmer) als Berichterstatter der Untersuchungscommission, dadurch, daß die Sache in die Länge gezogen wurde, die in der Stadt herrschende Aufregung etwas sich besänftigen zu lassen, und neben Lavater ist es nicht zum wenigsten F. zu verdanken, daß es nicht zu Todesurtheilen kam. Als dann 1798 die Staatsumwälzung drohend heranrückte, [265] gehörte F. zu den von den maßgebenden Persönlichkeiten nicht gehörten Rathgebern, welche dem unausweichlichen Sturme durch selbstgewährte Verbesserungen zuvorzukommen suchten. Darnach blieb er zunächst in der helvetischen Organisation unbetheiligt. Nur als Mitglied des Zürcherischen Erziehungsrathes, welchen er 1798 mit einer seiner trefflichen öffentlichen Reden eröffnete, war er thätig und bewies seine in der schon früh durch ihn dargelegten Werthschätzung Pestalozzi’s bereits ausgedrückte pädagogische Erkenntniß. Jedoch 1800 wurde F. zu den Staatsangelegenheiten herangezogen und zuerst mit einer Sendung in den durch den Coalitionskrieg und innere Parteiung zerrütteten Kanton Graubünden beauftragt, dann in den gesetzgebenden Rath nach der helvetischen Hauptstadt Bern gerufen, als sich derselbe infolge der nach dem Staatsstreiche vom 7. August 1800 (s. d. Art. Finsler) gefaßten Beschlüsse aus dem gesammten helvetischen Volke um acht Mitglieder ergänzte. Von da an nahm F., zu einer Zeit, als das helvetische Staatsleben im Widerstreite der immer schroffer sich gegenüberstehenden Parteien durch rasch aufeinander folgende Staatsstreiche zu stets größerer Unfruchtbarkeit verurtheilt war und rasch sich abnutzte, an der Leitung desselben in verschiedenen Stellungen Theil. Insbesondere war er 1802, nachdem durch den Staatsstreich vom 17. April das föderalistische Element unterlegen war, in der unitarisch zusammengesetzten Regierung geblieben, als zweiter Statthalter neben dem Landammann Dolder (s. d. Art.) in dem am 5. Juli bestellten Vollziehungsrathe, und so kam er im Herbste des Jahres, als sich die föderalistische Erhebung gegen das verhaßte Einheitssystem in Bewegung setzte, in die peinliche Lage, als einer der Träger desselben der eigenen Vaterstadt gegenüber zu stehen. Seine Uneigennützigkeit mußte auch von den Gegnern anerkannt bleiben; in einer mit Mäßigung verbundenen Festigkeit suchte er der undankbaren Aufgabe der Führung der Geschäfte auch nach dem Wiedereinrücken der französischen Truppen und der Entwaffnung der Föderalisten gerecht zu werden. Aber er sah ein, daß „die eigentlichen Häupter der beiden Systeme ihn nie für ihren Mann halten werden“, und obschon er aufrichtig versichern durfte, daß er an den Brutalitäten des helvetischen Generals Andermatt (s. d. Art.), an dem „abscheulichen Bombardement von Zürich“ gänzlich unschuldig gewesen sei, wurde ihm doch von seinen Mitbürgern nicht verziehen, daß er in einem politisch entscheidenden Momente in guter Ueberzeugung anders, als ihre Majorität, gedacht hatte. Bei der Durchführung der kantonalen Verfassung nach Maßgabe der Mediation 1803 gelang es nicht, Füßli’s Wahl in den kleinen Rath zu ermöglichen, und von da an hielt sich derselbe im Ganzen von der Theilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten zurück; doch nahm er noch an den Verhandlungen des großen Rathes Theil, bis er mit seinem 85. Geburtstage nach seinem Wunsche ehrenvoll entlassen wurde. – Dagegen widmete er sich seit 1803 wieder eifrig der Litteratur und Wissenschaft. Auch in der Zeit seiner staatsmännischen Wirksamkeit war er hierin thätig geblieben, hatte in einzelne Zeitschriften historische Arbeiten geliefert, besonders aber die Redaction der werthvollen historisch-statistischen Schilderungen der Kantone in der langen Reihe der „Helvetischen Almanache“ seit 1799 begonnen. Aber neben der aufmerksamen Verfolgung der Zeitgeschichte als Redactor der Zürcher Zeitung verwandte F. nun in erster Linie seine Kraft auf die in den Jugendjahren so verständnißvoll begonnenen Kunststudien. Sein „Allgemeines Künstlerlexikon: Zweyter Theil, welcher die Fortsetzung und Ergänzung des ersten enthält“ (Zwölf Abschn., Fol., Zürich, 1806–1821, nebst Zusätzen von 1824) ist eigentlich neben dem Werke des Vaters eine ganz neue Arbeit von großer Gewissenhaftigkeit, eine wissenschaftliche Leistung von bleibender Bedeutung. Den Hauptinhalt des zu einer eigenen Abtheilung angewachsenen Artikels über Rafael legte er in einer noch jetzt werthvollen kleineren Schrift [266] 1815 (Ueber das Leben und die Werke Raphael Sanzio’s, eine Vorlesung, Zürich) nieder, einem Denkmale seiner noch im hohen Alter lebendigen und treffenden Anschauung. In lebhaftem mündlichem und schriftlichem Verkehre mit Freunden – – Bonstetten, Ebel, Wessenberg in Constanz –, ein liebevoller und sorgsamer Rathgeber der jüngeren wissenschaftlichen Generation, so besonders des jüngeren Hottinger, eines der späteren Fortsetzer Müller’s (s. d. Art.), von Reisenden viel besucht, hielt sich der geistig rege Greis bis in ein sehr hohes Alter heiter und kräftig. Der Stadtbibliothek von Zürich, welcher er in seinem Leben zahlreiche wissenschaftliche Dienste geleistet hatte, kamen nach seinem Tode die reichhaltigen geschichtlichen handschriftlichen Sammlungen zu, und nachher erwarb dieselbe auch die kunstgeschichtliche Bibliothek.

Vgl. Joh. Heinr. Füßli, Altrathsherr von Zürich, von seinem Freunde Ign. Heinr. v. Wessenberg“ (Trogen, 1836).