Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Füßli, Heinrich“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 260–263, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:F%C3%BC%C3%9Fli,_Heinrich&oldid=- (Version vom 16. Oktober 2024, 01:08 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 8 (1878), S. 260–263 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Heinrich Füssli in der Wikipedia
Johann Heinrich Füssli in Wikidata
GND-Nummer 118536745
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|8|260|263|Füßli, Heinrich|Gerold Meyer von Knonau|ADB:Füßli, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=118536745}}    

Füßli: Heinrich F., Maler, geb. am 7. Febr. 1741 in Zürich, gest. 16. April 1825 in London. Heinrich F., oder wie er sich später in England nannte, Fuseli, der zweite Sohn des Hans Caspar F. (s. d. Art.), ist unter allen Malern seines Hauses derjenige, dessen Namen den weitesten Klang gewann. Durch die eigenthümliche Gestaltung des Hauswesens des hochbegabten [261] Vaters verlebte F. eine sehr vereinsamte Jugendzeit, legte aber immerhin schon, angeregt durch den dem älteren Bruder Rudolf vom Vater gegebenen Unterricht, Proben seiner Kunstfertigkeit als Knabe ab. Der Aufenthalt auf dem Lande führte ihn auf Naturstudien; seine litterarische Befähigung that er durch selbständige Theilnahme an den schriftstellerischen Arbeiten des Vaters kund, von denen ganze Abschnitte durch den Sohn abgefaßt waren. Für das Studium der Theologie bestimmt, trat F. in die höheren öffentlichen Schulen seiner Vaterstadt, wobei er nunmehr durch den Umgang mit Bodmer und Breitinger bleibenden Eindruck für sein Leben erhielt und insbesondere für poetische Anregungen empfänglich wurde. F. hat sich selbst 1781 in einem großen Gemälde als lernbegierigen Schüler Bodmer’s dargestellt, mit demselben vor der Büste eines alten Philosophen sitzend und den lebhaften Worten des greisen Lehrers lauschend. Ein scharfer Beobachtungsgeist, eine gefürchtete satyrische Anlage ließ ihn bald unter den Mitschülern eine hervorragende Rolle einnehmen; daneben wandte er außer den eigentlichen Vorbereitungsstudien seinen Fleiß noch einer Reihe anderer geistiger Ziele in unermüdlicher Spannkraft zu, vorzüglich der Vertiefung in die englische Litteratur. Allein auch die Sehnsucht der aufstrebenden Jugend nach einer freieren Entfaltung der heimischen Staatszustände fand in F. ihren Ausdruck, und in kühner Weise richtete er gemeinsam mit seinem Freunde Lavater (s. d. Art.), mittelbar wenigstens jedenfalls dabei Anregungen Bodmer’s folgend, welcher seine jungen Genossen an eine rückhaltlose Besprechung der öffentlichen Zustände gewöhnt hatte, gegen einen gewissenlosen Beamten, den Landvogt Grebel von Grüningen, 1762 eine vernichtende Anklage vor der öffentlichen Meinung. Vom Rathe aufgefordert, sich als Verfasser der anonymen Druckschrift: „Der ungerechte Landvogt oder Klagen eines Patrioten“ zu nennen, traten Lavater und F., während der Schritt ursprünglich von einer etwas größeren Zahl von Freunden ausgegangen war, hervor, und sie gewannen insofern den Sieg, als Grebel vor der Anklage der Jünglinge floh und bestraft wurde. Immerhin wurden auch die Ankläger – denn Grebel war der Schwiegersohn des damaligen, an sich zwar ganz unbescholtenen, ja vortrefflichen Bürgermeisters Leu (s. d. Art.) – wegen ihres höchst sträflichen Verfahrens hart getadelt, und eine Reise, welche die vier Hauptanstifter alsbald mit Sulzer (s. d. Art.) nach Norddeutschland antraten, wurde ihnen ein Mittel, sich der ihnen zu Hause drohenden Ungnade für einige Zeit zu entziehen. Für F. wurde übrigens diese Entfernung von Zürich für sein ganzes Leben entscheidend. Denn hatte er schon als Studirender der Theologie seine Kunstbethätigung fortgesetzt – dabei mit Vorliebe sich auch hier dem Leidenschaftlichen, Seltsamen, Ungewöhnlichen zuwendend –, so wandte er sich nun ganz der Malerei zu. Spalding, der auf dieser Reise 1763 von den jungen Schweizern auf längere Zeit besucht wurde, gab über F. das Urtheil ab, daß derselbe „voll gelehrter Kenntnisse, aber auch eben so voll starken und fast ungestümen Feuers der Einbildungskraft und der Entschlossenheit, das ihn in Denkungsart und Betragen oft genug über das Conventionelle zu einer befremdlichen Originalität hinaustreibt“, gewesen sei. In engem Verkehr mit Sulzer blieb F. noch einige Zeit in Berlin, bis er Ende 1763 nach England ging. Er war durch seinen Gönner insbesondere mit dem Gesandten in Berlin, Mitchell, bekannt geworden, welcher sich nun des jungen Künstlers eifrig annahm und ihn weiter empfahl. Durch Uebersetzung Winkelmann’scher Schriften in das Englische, sowie durch Uebernahme einer Erzieherstelle in einem vornehmen Hause – 1766 begleitete er einen seiner Zöglinge nach Frankreich – vermochte sich F. selbständig zu stellen, und auch gegenüber Bodmer brach jetzt in seinen Briefen die selbstbewußt unabhängige Haltung im Verhältniß zu den ihm bisher als gültig erschienenen ästhetischen Auffassungen der Zürcher und [262] Sulzer’s mehr hervor. Nach seiner Rückkehr nach England 1767 wurde er mit Reynolds bekannt, welcher ihn erst völlig ermunterte, die Malerei zu seinem Lebensberufe zu machen. Von 1770 an hielt sich F. in Italien, vorzüglich in Rom auf, wo er Michel Angelo zum Vorbilde seiner Studien machte. Zwar nennt Goethe F. einen „würdigen Bewunderer des großen Michel Angelo“; allein für einen ohnehin so sehr auf die Wahl des Maßlosen angelegten künstlerischen Charakter, wie F. war, konnte ein derartiges Streben nicht vortheilhaft wirken, so daß bei ihm mehr die Schwächen, als die großen Seiten des gewaltigen Meisters künftig hervortraten. Immerhin fand seine Weise Anklang, so daß er nicht nur Gemälde für die Ausstellungen der Akademie nach London schickte, sondern auch vielfach durch Reisende in Rom Beschäftigung gewann. Nach einem Besuch anderer italienischer Kunststätten kam er 1778, nach 16jähriger Abwesenheit, zum letzten Male auf der Rückreise nach London über Zürich, wo er während seines Besuches das einzige größere daselbst vorhandene Gemälde, die „Beschwörung des Schweizerbundes durch die drei Eidgenossen“ (im Sitzungssaale des großen Rathes), schuf. Von 1779 an war er bleibend in England, mit einziger Ausnahme einer 1802 nach Paris unternommenen Reise. Neben Reynolds und West errang F. allmälig die Geltung höchster Leistung in der Malerei in England. Seit 1790 Mitglied der Akademie, 1799 als Professor der Malerei erwählt, trat F. somit in seinen Vorlesungen in die Nachfolge des 1792 verstorbenen Reynolds ein. Diese mit großem Beifall aufgenommenen Vorträge wurden nach ihrem Gehalte und der Schönheit der Form denjenigen Reynolds’ vorgezogen; dagegen traten eine stark subjective Färbung, sowie das F. überhaupt eigenthümliche absprechende Wesen vielfach zu sehr hervor. Sie erschienen 1801 im Drucke (1820 eine neue Ausgabe Lectures of painting, delivered at the royal Academy, with additional observations and notes) und 1803 in deutscher, aber nicht sehr glücklicher Uebersetzung, von J. J. Eschenburg (Braunschweig). Aber auch sonst blieb F. neben seinen zahlreichen künstlerischen Arbeiten litterarisch bethätigt, und für seine fortgesetzte Verbindung mit den Jugendgenossen ist unter andern bezeichnend, daß er 1789 eine ihm 1787 gewidmete Schrift Lavater’s, als „Aphorisms on Man“ übersetzte und herausgab. 1805 und 1810 übernahm er neue Ausgaben von „Pilkington’s Dictionary of Painters“. 1804 Aufseher der Akademie, 1810 als Professor von neuem erwählt, nachdem ihn schon 1807 die Studirenden durch eine glänzende Ovation geehrt hatten, blieb F. hoch angesehen, bis kurz vor seinem Tode körperlich kräftig, noch in seinem 84. Lebensjahre als Künstler und Lehrer thätig. Zwar seit 1788 – mit einer Engländerin – verheirathet, starb er kinderlos. Er wurde neben Reynolds in der St. Paulskirche beigesetzt. – Füßli’s Kunstmanier litt an einer Ueberfülle der über die Grenzen des Schönen, mitunter auch des Wahren hinausgehenden Kraft; an Geduld in der Ausführung, welche oft wenig genau war, gebrach es ihm, und so stehen auch seine Leistungen als Maler erheblich unter denjenigen in der Zeichnung. Aber in der Kühnheit der Erfindung leistete er Großes, und in so weit rechneten die Engländer ihn neben dem 1820 verstorbenen West mit Recht unter ihre ersten Repräsentanten der Malerei. Dazu kam, daß F., stets gewillt, das Schauerliche und Abenteuerliche in erster Linie als Gegenstand für seinen Pinsel zu nehmen, vorzugsweise in englischen Dichtern Anregungen für seine Schöpfungen fand. Zu der 1786 durch Boydell angefangenen Shakespeare-Gallerie lieferte F. eine Reihe von Gemälden, besonders aus Hamlet, Macbeth, König Lear; er selbst konnte 1799 eine lange vollendete Serie als Milton-Gallerie, zur Illustration des verlorenen Paradieses, zur Ausstellung bringen; Dante’s Hölle und die Nibelungen zogen ihn an; Oedipus, Ugolino im Hungerthurm, Ezzelino waren weitere von ihm gewählte Gegenstände. Nur ausnahmsweise nahm er einfachere, [263] anmuthig schöne Vorwürfe, welche zugleich auch ein harmonischeres Colorit gestatteten, heraus. Aber gerade die Schrecken hervorrufenden Scenen, Gespenster und Schauergestalten, mußten sich durch die Uebertragung in den Kupferstich in ihrem künstlerischen Eindruck verbessern, und so ist dieser geistreiche Manierist, welcher sein Publicum so gut zu fassen wußte, von vielen englischen Stechern reproducirt worden. Eine in Zürich 1807 von Heinrich Füßli u. C. begonnene Unternehmung, seine sämmtlichen Werke in Kupfern nach Umrissen, sammt Text, herauszugeben, stockte nach zwei ersten Heften (eine darin begonnene Lebensbeschreibung, zumeist nach des Geschilderten Jugendgenossen, Canonicus Felix Nüscheler, gest. 1816, Erzählung, verbreitet sich nur über die Jugendzeit).

Vgl. des 1805 mit F. bekannt gewordenen John Knowles’ The Life and Writings of Henry Fuseli (3 Bde., London 1831).