Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Gracchus, Ti., Vater der Gracchen cos. 177 ca 220 geboren
Band II A,2 (1923) S. 14031409
Tiberius Sempronius Gracchus (Konsul 177 v. Chr.) in der Wikipedia
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53) Ti. Sempronius Gracchus, der Vater der Gracchen. Sein gleichnamiger Großvater war Nr. 50, sein Vater dessen sonst nicht bekannter, wahrscheinlich jung verstorbener Sohn P. (Bezeichnung des Gracchus als P. f. Ti. n. Fasti Cap. 577. 585. 591. [....T]i. n. Acta tr. 578. P. f. Elog. XVI CIL I² p. 195 = Dessau 58 und zur Unterscheidung von seinem Sohne Nr. 54. Cic. Brut. 79. 170; div. I 36; off. II 43), sein älterer Bruder vermutlich P. Gracchus Nr. 49. Gracchus war um [1404] 534 = 220 geboren und nahm 564 = 190 an dem Feldzuge der scipionischen Brüder gegen Antiochos bereits in angesehener Stellung teil; er wurde von ihnen aus Griechenland an den Hof Philipps von Makedonien geschickt, um sich von dessen Zuverlässigkeit zu überzeugen (Liv. XXXVII 7, 8–14; mit dem wohlwollenden Urteil der Quelle über Gracchus vgl. das bei Diod. XXIX 26). Im öffentlichen Leben trat er zuerst stärker hervor bei den inneren Kämpfen, die den Sturz des P. Scipio Africanus und seiner Partei bezweckten, die 567 = 187 einsetzten und 570 = 184 ihr Ziel erreicht hatten. Der heillos verfälschten Tradition liegen etwa folgende Tatsachen zugrunde: Gracchus war politischer, nicht persönlicher Gegner der Scipionen und insofern an ihrem Sturze beteiligt; er war Volkstribun 570 = 184, als gegen den verurteilten L. Scipio das Zwangsverfahren seitens eines Mitglieds des Kollegiums eröffnet werden sollte. Dagegen rief Africanus die Intercession der übrigen Tribunen an; die acht andern lehnten sie ab, Gracchus aber gewährte sie mit der Erklärung, daß er dem Rechtsgange nicht in den Weg treten wolle, jedoch die Abführung des früheren Triumphators in das Gefängnis, in das die von ihm im Triumphe aufgeführten Feinde verbracht worden seien, für unwürdig des römischen Staates erachte und nicht zulassen könne, ohne daß er deshalb seine Parteistellung gegenüber den Scipionen irgendwie ändere (Cic. prov. cons. 18. Liv. XXXVIII 60, 3–7, vgl. 57, 4; daraus, doch schon mit Vermischung der von Livius unterschiedenen Episoden Val. Max. IV 1, 8. 2, 3 und Dio 65, 1. Plin. n. h. praef. 10. Auct. de vir. ill. 53, 2. 57, 1). Die Verfälschung der Tradition besteht erstens in der Zurückschiebung des Tribunats des Gracchus bis ins J. 567 = 187 (Liv. XXXVIII 52, 9; vgl. Mommsen Röm. Forsch. II 494; o. Bd. IV S. 1482), zweitens in der Übertragung der Erzählung von L. Scipio auf P. Scipio Africanus (Liv. XXXVIII 52, 7 – 53, 8), bzw. in der Verdoppelung der Erzählung (ebd. 57, 8f.; vgl. besonders die Motivierung 53, 1f. mit 57, 4 und 60, 5f.; dazu Mommsen a. O. 473f.), drittens in der Unterschiebung einer Rede des Gracchus, die der letzten Zeit Caesars angehört (Liv. XXXVIII 56, 5ff.; vgl. Mommsen a. O. 502ff.; o. Bd. IV S. 1480f. Ed. Meyer Caesars Monarchie 524f.). Herausgesponnen ist alles besonders aus den zwei Tatsachen, daß Gracchus einerseits Gegner der Scipionen war (Cic. prov. cons. 18. Liv. XXXVIII 52, 9. 53, 6. 57, 4. Gell. XII 8, 1; vgl. 4. Plut. Ti. Gr. 1, 3) und anderseits eine Tochter des Africanus heiratete; daß die Frau bedeutend jünger und damals noch kaum geboren war, und daß die Vermählung etwa zwei Jahrzehnte später stattfand, blieb unberücksichtigt (Liv. XXXVIII 57, 2–8; daraus Val. Max. IV 2, 3. Gell. XII 8, 1–4. Cic. de inv. I 91. Plut. a. O.: vgl. Mommsen a. O. 478, 129; o. Bd. IV S. 1592f., s. u.). Derselbe Fälscher, der die Rolle des Gracchus bei den Scipionenprozessen umgestaltete, wies ihm als angeblichem Tribunen von 567 = 187 auch eine solche bei dem Streite über den aetolischen Triumph des M. Fulvius Nobilior zu (Liv. XXXIX 5, 1–6, als Einschiebsel ohne weiteres aus dem Zusammenhange zu lösen; vgl. Mommsen a. O. 494, 159); möglich ist höchstens, daß Gracchus damals als Senator [1405] wirklich das Wort ergriffen hat. Im J. 569 = 185 wurde er mit dem Consular Q. Metellus und dem Praetorier M. Baebius Tamphilus nach Makedonien entsendet, um die Streitigkeiten Philipps mit Pergamon und den Thessalern zu schlichten, und kehrte noch im Laufe des Jahres wieder zurück (Liv. XXXIX 24, 13ff. 33, 1 ohne Kognomen. Polyb. XXII 9, 6: Τιβέριον Κλαύδιον, von Ursinus mit vollem Recht verbessert. Vgl. auch Mommsen a. O. 494, 159). Nach dem Tribunat im J. 570 = 184 (s. o.) führte er 571 = 183 als Triumvir eine Colonie nach Saturnia in Etrurien (Liv. XXXIX 55, 9) und bekleidete 572 = 182 die curulische Aedilität; die hohen Kosten seiner Spiele wurden innerhalb und außerhalb Italiens so schwer empfunden, daß ein Senatsbeschluß für die Zukunft ähnlicher Verschwendung Schranken zog (Liv. XL 44, 12, bezeichnenderweise beim J. 575 = 179 nachträglich und beiläufig). 574 = 180 wurde Gracchus Praetor und erhielt als Nachfolger des Q. Fulvius Flaccus (o. Bd. VII S. 246f.) das diesseitige Spanien und die Führung des von Flaccus begonnenen großen Krieges gegen die Keltiberer (Liv. XL 35, 2. 9). Er wurde, da Flaccus den größten Teil seiner Truppen heimzuführen wünschte, längere Zeit durch die Bildung eines neuen starken Heeres in Rom und Italien festgehalten (ebd. 35, 3–36, 12) und traf erst spät im Jahre in der Provinz ein (ebd. 39, 1); in Tarraco übernahm er von Flaccus den im Lande verbleibenden Rest der alten Armee (ebd. 39, 3f. 40, 14f.; vgl. XLII 34, 9f.). Die Berichte über seine Taten in Spanien in den Jahren 574 = 180 bis 576 = 178 sind von Anfang an stark ausgeschmückt und übertrieben worden; zunächst sorgte er selbst dafür (vgl. z. B. Liv. XLI 6, 4), denn auch er war wie Cato haud sane detrectator laudum suarum (Liv. XXXIV 15, 9, ebenfalls im Hinblick auf den Bericht über spanische Erfolge); dann übernahmen seine Angaben sowohl die römischen Annalen, wie der seiner scipionischen Verwandtschaft nahestehende Polybios (vgl. gegen diesen XXV 1, If. [dazu Schulten Herm. XLVI 573] bei Strab. III 163 den ebd. zitierten Posidon. FHG III 274, 50). Im J. 574 = 180 konnte Gracchus nicht mehr, wie Liv. XL 40, 15 will, sein Heer gegen das feindliche Land führen (in Celtiberiam), sondern höchstens gegen die ins römische Ebrogebiet eingefallenen und Karavis bedrängenden Keltiberer (Appian. Ib. 43). Erst 575 = 179 mit prorogiertem Imperium (Liv. 44, 4) eröffnete er den Angriff, indem er am Jalón aufwärts in das Hochland einrückte, während gleichzeitig der Statthalter der jenseitigen Provinz L. Postumius Albinus von Westen her vorstieß (ebd. 47, 1; vgl. über den Kriegsplan und die geographischen Verhältnisse Schulten Numantia I 328–332): berichtet wird die Einnahme der mit Namen genannten Städte meist unsicherer Lage Munda, Certima. Alce, Ergavica (Liv. XL 47, 2–50,1; daraus Frontin. str. II 5, 3) und einer großen Anzahl kleiner Ortschaften; deren Zahl betrug nach Liv. 49, 1 bei diesem Feldzug 103, während der Bericht über den folgenden im Anfang des XLI. Buches ausgefallen ist: nach Flor. I 33, 9 waren es 150, nach Oros. IV 20, 32f. im ersten Fehlzug 150 und im zweiten 200, nach Polyb. a. O. insgesamt 300; zur Charakteristik dieser oppida. vgl. Posidon. [1406] a. O. übertreibende Darstellungen erzählten von einer großen Schlacht am Mons Chaunus (wohl jetzt Moncayo) mit ungeheuren Zahlen von erschlagenen und gefangenen Feinden (Liv. 50, 2–7; vgl. dazu Nissen Krit. Untersuch. 237.); Appian. Ib. 43 nennt statt dieser Schlacht eine solche bei Complega (vgl. auch Frontin. str. II 5, 14. III 5, 2 [Lusitanier statt Lusoner]. IV 7, 33 [Vaccaeer nur als Hilfsvölker der Keltiberer]. Auct. de vir. ill. 57, 2: Praetor Galliam domuit, consul Hispaniam, altero consulatu Sardiniam, vielleicht durch irrtümliche Teilung der Keltiberer in Kelten und Iberer und falsche Verteilung der so erschlossenen drei Feinde auf die drei Ämter zu erklären). Nach weiteren Erfolgen (s. o.) schloß Gracchus Anfang 576 = 178 Frieden mit den Keltiberern unter der Bedingung, daß von ihron Stämmen die Lusoner, Beller und Titter unter die römische Herrschaft traten, die Arevaker mit dem Vorort Numantia in ein Freundschaftsbündnis mit Rom (Liv. XLI ep.; vgl. 6, 4. 26, 1. Appian. Ib. 481. 48. Plut. Ti. Gr. 5, 5); zum Andenken an seine Siege gründete er an der Stelle einer älteren Ansiedlung die nach ihm benannte Stadt Graccurris (Liv. XLI ep. Fest. ep. 97; o. Bd. VII S. 1687). So hatte sich Gracchus während seines ersten selbständigen Kommandos als Feldherr und als einer der Leiter der äußeren Politik ausgezeichnet bewährt (Diod. XXIX 26, wohl nach Polybios) und durfte gleich seinem Kollegen Postumius in glänzendem Triumphe über die Keltiberer und ihre Verbündeten in Rom einziehen (Acta triumph. Liv. XLI 7, 1–3.( Appian. Ib. 43 E.; vgl. Plut. Ti. Gr. 1, 2: τριάμβους δύο καταγαγόντι). Als weiteren Lohn empfing er das Consulat für das folgende Jahr 577 = 177, zusammen mit C. Claudius Pulcher (Fasti Cap. Polyb. XXV 4, 1. Liv. XLI 8, 1. Chronogr. Hydat. Chron. Pasch. Cassiod., vgl. auch bis consul Cic. Brut. 79; div. I 36. Diod. XXXIV 5. Plut. Ti. Gr. 1, 2. App. b. c. I 71). Gerade vor 60 Jahren hatte sein Großvater Nr. 50 Sardinien für Rom zuerst in Besitz genommen; jetzt war dieser Besitz durch Aufstände der Eingeborenen des Innern (Volksnamen: Ilienses und Balari, Liv. XLI 12, 5; o. Bd. II S. 2817. IX S. 1062f.; ob auch Ἄγριοι Polyb. a. O.? = Insani Flor. I 22, 35?) gefährdet, und die für die Jahre 576 = 178 bis 578 = 176 eigentlich mit der Statthalterschaft betrauten Praetoren T. Aebutius Carus, L. Mummius und M. Popillius Laenas waren der Aufgabe, die Provinz beim Reiche zu erhalten, nicht gewachsen; sie wurde daher dem Consul Gracchus übergeben, der den bisherigen Verwalter Aebutius zu seinem Gehilfen herabdrückte (Liv. XLI 15, 6), dem neuernannten Mummius sein Amt ungefähr wegnahm (8, 2–5. 9. 1f. 8) und dem folgenden Popillius dessen Antritt von vornherein verleidete (15, 6–8). Wie er sich hierbei sehr entschieden zur Geltung brachte, so hat er auch mit großer militärischer Machtentfaltung und rücksichtsloser Anwendung seiner Machtmittel in zwei Feldzügen die Sarden unterworfen und in seinen eigenen Berichten sein Verdienst in hellstes Licht gestellt. Die Angaben des Livius mit den großen Zahlen der gefallenen Feinde, erbeuteten Waffen, auferlegten Leistungen gehen hier durchweg über die Annalen auf diese Primärquelle zurück (12, 2. 4–6. 17, 1–4; vgl. [1407] Flor. I 22, 35); außer dem Bericht an den Senat (17, 3f.) ist namentlich die Triumphaltafel charakteristisch, die Gracchus 580 = 174 im Tempel der Mater Matuta am Forum Boarium mit einer bildlichen Darstellung weihte (28, 8–10; Versuch einer Herstellung der Saturnier z. B. Baehrens Frg. poet. Lat. 55. Über ähnliche Inschriften CIL I² p. 386. 506). Selbstverständlich erhielt Gracchus bei der Rückkehr aus Sardinien Anfang 579 = 175 einen zweiten Triumph (CIL I² p. 53 und 341. Liv. 28, 9. Plut. Ti. Gr. 1, 2 [s. o.]. Ableitung des sprichwörtlichen Sardi venales von der Masse der mitgeführten Gefangenen Auct. de vir. ill. 57, 2, bestritten von Sinnius Capito bei Fest. 322, s. Nr. 50). Im J. 585 = 169 bekleidete er gemeinsam mit seinem früheren Amtsgenossen im Consulat C. Claudius Pulcher die Censur (Fasti Cap. Cic. Brut. 79; div. I 36. Liv. XLIII 14, 1f. Plut. Ti. Gr. 1, 2. 14, 4) und erwarb sich in diesem Amte noch größeren Ruhm. Die beiden Censoren unterstützten die Aushebungen für den makedonischen Krieg (Liv. XLIII 14, 5–15, 1. 15, 7f.), nahmen die Lectio senatus vor (15, 1; vgl. Victorin. zu Cic. de inv. p. 96 Orelli) und schritten sehr scharf gegen die Ritter ein (16, 1f.). Es kam zu einem heftigen Kampfe zwischen ihnen und dem Volkstribunen P. Rutilius, der zunächst durch eine Verfügung der Censoren persönlich getroffen wurde, dann sich zum Anwalt der Kapitalisten gegen sie aufwarf und vor den Centuriatcomitien Anklage gegen beide erhob. Gracchus erklärte sich mit solcher Entschiedenheit für solidarisch mit seinem weniger populären und daher mehr bedrohten Kollegen, daß die Volksversammlung mit geringer Stimmenmehrheit diesen freisprach, und somit ein sehr gefährlicher Angriff gegen die ganze Stellung der Nobilität glücklich abgewehrt war (Liv. XLIII 16, 3–16. Cic. de inv. I 48; rep. VI 2 [bei Gell. VII 16, 11. Non. 290, 15]. Varro de vita p. R. bei Fest. 285. Val. Max. VI 5, 3 [ungenau]. Auct. de vir. ill. 57, 3 [in unrichtigem Zusammenhange]. Vgl. auch o. Claudius 300|Bd. III S. 2855. I A S. 1248). Am Ende des Jahres nach dem Rücktritt des Tribunenkollegiums traf den Rutilius die Rache der Censoren (Liv. XLIV 16, 8). Im weiteren Verlauf ihrer Amtsführung erbaute Gracchus die nach ihm benannte Basilica Sempronia an der Stelle des Hauses des Scipio Africanus an der Ecke der Sacra Via und des Vicus Tuscus (Liv. XLIV 16, 9f.), die später unter den östlichen Teilen der Basilica Iulia verschwunden ist und wohl mit seiner für 633 = 121 nahe beim Forum bezeugten Statue (Plut. C. Gr. 14, 4) geschmückt war; dann nahm er trotz des Widerstrebens seines Kollegen eine wesentliche Einschränkung des Stimmrechts der Freigelassenen vor, indem er ihre Einreihung in die vier städtischen Tribus aufs neue befestigte (Liv. XLV 15, 1–9. Cic. de or. I 38. Auct. de vir. ill. 57, 3; vgl. Mommsen St.-R. III 437f.). Die gefürchtete Strenge des Censors Gracchus wird durch eine Äußerung des Q. Metellus Macedonicus beleuchtet (Plut. Ti. Gr. 14, 4); seine politische Haltung und Tendenz läßt sich nur bei näherem Eingehen auf die ganze innere Politik der damaligen Parteien verstehen. Im J. 589 = 165 ging Gracchus an der Spitze einer Gesandtschaft zu Eumenes von Pergamon, Ariarathes von Kappadokien, Antiochos Epiphanes und den Rhodiern, um deren Ergebenheit [1408] gegen Rom zu prüfen, und brachte von überall befriedigende Nachrichten heim (Polyb. XXXI 5, 1–4; daraus Diod. XXXI 17. Polyb. 6, 7. 7, 19f. 9, 1. 14, 4); wahrscheinlich hielt er damals vor den Rhodiern die griechische Rede, die dem Cicero als einziges (vielleicht nicht selbständig, sondern bei einem Historiker wie Poseidonios) überliefertes Beispiel seiner Beredsamkeit bekannt war (Brut. 79). Zum zweiten Consulat gelangte Gracchus mit M.’ Iuventius Thalna (o. Bd. X S. 1371 Nr. 30) im J. 591 = 163 (Fasti Cap. Chronogr. Hydat. Chron. Pasch. Terent. Hautontim, tit. Cic. de inv. I 48. Val. Max. IX 12, 3. Obseq. 14. Licinian. p. 9 Bonn. = 5 Flemisch. Cassiod.; vgl. die Zeugnisse für consul bis o. beim J. 577); wahrscheinlich hatte er die Führung der Geschäfte in Rom und ging erst nach dem plötzlichen Tode seines Amtsgenossen auf Corsica in die Provinz ab, nämlich nach Sardinien (Cic. ad Q. fr. II 2, 1), das mit Corsica einen einzigen Verwaltungsbezirk bildete, und das ihm von früher her vertraut war. Vorher hatte er die Wahlen abgehalten; da stiegen ihm nachträglich im J. 592 = 162 Bedenken über deren Rechtmäßigkeit auf, als er selbst noch auf Sardinien weilte, und als die neuen Consuln P. Scipio Nasica Corculum, dessen Frau eine Schwester der seinigen war, und C. Marcius Figulus bereits ihre Befehlshaberstellen übernommen hatten. Gracchus war – unbekannt, seit wann – Augur (Cic. ad Q. fr. II 2, 1; nat. deor. II 11; div. I 33. 36) und hatte einen Einspruch der Haruspices gegen die von ihm geleiteten Comitien schroff zurückgewiesen; bei dem späteren Studium der Auguralvorschriften erkannte er jedoch, daß er in der Tat gegen das heilige Recht verstoßen hatte; er veranlaßte die Ungültigkeitserklärung der Wahlen und die Abdankung der Consuln (Cic. ad Q. fr. II 2, 1; nat. deor. II 10f.; div. I 33. II 74f. Val. Max. I 1, 3. Licinian. p. ll Bonn. = 8f. Flemisch. Auct. de vir. ill. 44, 2. Plut. Marc. 5, 1–3 mit belanglosen Abweichungen; vgl. o. Bd. IV S. 1498, auch v. Domaszewski Abhandl. z. röm. Religion [Leipz. 1909] 218). Als später im J. 592 = 162 Aemilia, die Witwe des Africanus, die gemeinsame Schwiegermutter des Gracchus und des Nasica, starb, waren anscheinend beide Männer in Rom (Polyb. XXXII 13, 6. 16). Das Verhalten des Gracchus gegen seinen Schwager und Amtsnachfolger dürfte zu der Verfeindung zwischen ihren Söhnen wesentlich beigetragen haben und aus den allein überlieferten religiösen Bedenken kaum genügend zu erklären sein. Ende desselben J. 592 = 162 ging Gracchus zum zweiten Male an der Spitze einer Gesandtschaft nach Asien, um die Folgen der Flucht des Seleukiden Demetrios aus Rom, der sich seines väterlichen Erbreichs bemächtigte zu beobachten und abzuschwächen (Polyb. XXXI 23, 9–11. XXXII 3, 3. 4. 1ff. 5, 2. Diod. XXXI 23). Auch nach diesem seinem letzten ausdrücklich bezeugten Auftreten als Staatsmann muß Gracchus noch etwa ein Jahrzehnt gelebt haben, da sein Sohn Gaius erst 601 = 153 geboren ist (s. Nr. 47). Zu welcher Zeit und bei welcher Gelegenheit Gracchus von Cato, der ihm in der Politik meistens feindlich gegenüberstand, als Richter gefordert wurde (Val. Max. III 7, 7), ist nicht bekannt. Erst als Censorier im Alter von einigen fünfzig Jahren heiratete [1409] Gracchus die um etwa 30 Jahre jüngere Cornelia, die hinterlassene Tochter des Scipio Africanus; der Ehe entsprossen zwölf Kinder, von denen aber nur die Söhne Ti. und C. die um neun Jahre auseinander waren, und eine Tochter Nr. 98 am Leben blieben (s. o. Bd. IV S. 1592ff. Röm. Adelsparteien 104 –108). Das zärtliche Verhältnis zwischen dem ungleichen Paare und dem frommen Sinn des Mannes zeigt eine Erzählung von einem seinem Tode vorangegangenen Schlangenvorzeichen, die von dem Sohne Gaius in Umlauf gesetzt (bei Cic. div. I 36 vgl. II 62) und oftmals wiederholt wurde (Val. Max. IV 6, 1. Plin. n. h. VII 122. Auct. de vir. ill. 57, 4. Plut. Ti. Gr. 1, 4L; s. o. Bd. IV a. O. Fraccaro Studi sull’ età dei Gracchi 131–34). Solche Vorzeichen sind vielleicht gerade in diesem Hause mehrfach beobachtet worden (vgl. Liv. XXV 16, 1–4. 17, 3; o. Nr. 51); aber zur Würdigung der Anekdote muß man bei aller Achtung vor dem guten Glauben der Familie und des Volkes bedenken, daß der Tod des Gracchus mit beinahe 70 Jahren nicht eigentlich als ein vorzeitiger betrachtet werden konnte. Cornelia hat den Gatten um etwa vier Jahrzehnte überlebt (s. o. Bd. IV a. O. Röm. Adelsparteien a. O.). Gracchus wird von Cicero und den Folgenden als ein Muster der virtus (har. resp. 41; fin. IV 65. Sen. de matrim. frg. 29 aus Hieron. adv. Iovinian. I 49 p. 394, 13 Bickel. Diod. XXIX 26. Plut. Ti. Gr. 1, 2; Marc. 5, 1), der gravitas (prov. cons. 18; de or. I 38; Brut. 79), der politischen Weisheit gepriesen (de or. I 211; Brut. 120; Lael. 101; off. II 43. 80. Vell. II 2, 1) und gern in Gegensatz zu seinen Söhnen gestellt; deswegen wird er sogar einmal (de or. I 38) als haudquaquam eloquens unterschätzt im Widerspruch mit Ciceros eigenem bessern Wissen (Brut. 79). Er war ein echter und rechter Vertreter der römischen Nobilität in der Zeit ihrer höchsten Blüte und stolzesten Größe. Vgl. über ihn u. a. Neumann Gesch. Roms während des Verfalls der Republik I 107–127.