Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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L. C. Scipio Asiagenus, Konsul 190 v. Chr., siegt über Antiochos III. Megas
Band IV,1 (1900) S. 14711483
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337) L. Cornelius Scipio Asiagenus war der zweite Sohn des P. Scipio Nr. 330 und der jüngere Bruder des P. Scipio Africanus Nr. 336. Obwohl er nach Auct. de vir. ill, 53, 1 infirmo corpore und nach Val. Max. V 5, 1 imbellis war (vgl. Cic. Phil. XI 17. Appian. Syr. 21; s. u.), nahm er schon an den spanischen Feldzügen seines Bruders als Legat teil (Liv. XXVIII 28, 14. XXXVIII 58, 8). Im J. 547 = 207 leitete er die Belagerung von Oringis im Gebiet der Bastetaner und ging nach der Einnahme der Stadt selbst zur Berichterstattung nach Rom (Liv. XXVIII 3, 1–4, 4. Zonar. IX 8). Bei seiner Rückkehr nach Spanien konnte er dem Bruder schon berichten, dass er Aussicht habe, die Führung des Krieges in Africa zu erhalten (Appian. Iber. 29). Dann wurde 548 = 206 das letzte karthagische Heer vernichtet, das noch auf der iberischen Halbinsel gestanden hatte, und wieder wurde Lucius als Siegesbote nach Rom gesendet (Liv. XXVIII 17, 1. Zonar. IX 8 Ende). Darauf begleitete er den Bruder auf den neuen Kriegsschauplatz; 549 = 205, während dieser für kurze Zeit nach Locri eilte, führte er an seiner Statt das Commando in Messana (Liv. XXIX 7, 2), 550 = 204 ging er mit ihm nach Africa hinüber (ebd. 25, 10), zeichnete sich angeblich dort sogar im Felde aus (Auct. de vir. ill. 53, 1; vgl. Liv. XXXVIII 58, 8) und war 552 = 202 wieder unter den Gesandten, die den Sieg bei Zama in der Hauptstadt verkündeten (Liv. XXX, 38, 4, vgl. 40, 1ff.). Ein kleines Fragment seines Elogiums vom Augustusforum (CIL I² p. 194 elog. XIV) enthält den Anfang seiner in absteigender Folge verzeichneten Ämterlaufbahn: [aed. cu]r. q(uaestor) tr. [mil.]; Militärtribunat und Quaestur fallen in diese oder die nächstfolgenden Jahre, die Aedilität ohne Zweifel 559 = 195, weil nur in diesem Jahre die curulischen Aedilen von Livius nicht verzeichnet werden und damals als in einem varronisch ungeraden Jahre Patricier gewesen sein müssen. Dazu stimmt, dass Scipio 561 = 193 die Praetur erhielt (Liv. XXXIV 54, 2). Er verwaltete als Praetor Sicilien (ebd. 55, 6), und Cicero macht gelegentliche Angaben über seine Thätigkeit daselbst (Verr. II 123; de or. II 280); man bezieht auf ihn ausserdem, doch nicht mit voller Sicherheit, die Ehreninschrift aus Halaesa, die noch ganz dem griechischen Sprachgebrauche gemäss verfasst und vielleicht die älteste ihrer Art in lateinischer Sprache ist: Italicei | L. Cornelium Sc[ip]i[one]m | honoris causa (CIL I 533 = X 7459 = Dessau 864). 562 = 192 bewarb sich Scipio ohne Erfolg für das folgende Jahr ums Consulat (Liv. XXXV 24, 4). 563 = 191 wurde er nach Liv. XXXVI 21, 7 von dem Consul M’. Acilius Glabrio an den Senat geschickt, um die Kunde von dessen Siege bei den Thermopylen zu überbringen, doch kam ihm Cato zuvor. Abgesehen von dem Verdacht, den die Regelmässigkeit der Verwendung Scipios für solche Missionen erregen könnte, hat Nissen (Kritische Untersuch. 183f.) gegen die Glaubwürdigkeit des livianischen Berichts andere Bedenken geltend gemacht und vermutet, Scipio sei vielmehr von dem andern Consul, seinem Vetter P. Scipio Nasica (Nr. 350), aus Oberitalien als Siegesbote geschickt worden. Diese Vermutung ist aber zurückzuweisen, nicht blos weil damit [1472] der Nachlässigkeit des Livius zu viel zugemutet wird, sondern auch weil der Aufenthalt Scipios in Griechenland jetzt sicher bezeugt ist. Die delische Schatzmeisterurkunde, Bull. hell. VI 39 = Dittenberger Syll.² 588 verzeichnet nämlich kurz nach Weihgeschenken des A. Atilius Serranus und des C. Livius Sarinator, die als römische Admirale 562 = 192 und 563 = 191 nach Delos kamen (vgl. Liv. XXXV 20, 11. XXXVI 2, 6. 43, 1), und unmittelbar nach einem Weihgeschenk des T. Quinctius Flamininus, der während derselben zwei Jahre in Griechenland thätig war (vgl. über seine Rückkehr Liv. XXXVII 1, 1), in Z. 90: ἄλλος στέφανος χρυσοῦς, ὃν ἀνέθηκεν Λεύκιος Κορνήλιος Σκπίων στρατηγὸς Ῥωμαίων und: ἄλλος στέφανος χρυσοῦς ἐλαίας ὃν ἀνέθηκαν Δηλιάδες χορεῖα στεφανωθεῖσαι ὑπὸ Λευκίου Κορνηλίου Σκιπίωνος στρατηγοῦ Ῥωμαίων. Es kann hier nur L. Scipio, der Bruder des Africanus, gemeint sein, den die Griechen damals ebenso ungenau Praetor statt Praetorier nennen, wie einige Jahre später Consul auch nach Ablauf des Consulats (s. u.). Wenn Scipio von den Thermopylen erst nach Delos segelte, so erklärt es sich, dass Cato, der zwar nach ihm abgereist war, aber direct und sehr rasch reiste, noch vor ihm in Rom eintraf. Sein Dienst unter Glabrio hat aber nichts Befremdendes, da auch dieser zur scipionischen Partei gehörte (vgl. Mommsen Röm. Forsch. II 456, 84). Für 564 = 190 wurden L. Scipio und C. Laelius zu Consuln gewählt (Fasti Cap. Chronogr. Idat. Chron. Pasch. Liv. XXXVI 45, 9. XXXVII 1, 1. Eutrop. IV 4, 1. Obseq. 1. Cassiod. Gell. XVI 4, 2). Nach Liv. XXXVII 1, 7–10 (vgl. XXXVIII 58, 8) überliessen sie dem Senat die Verteilung der Provinzen, und zwar Laelius aus eigenem Antriebe, Scipio dadurch gezwungen und auf Rat seines Bruders; dann habe dieser Bruder erklärt, wenn man dem Lucius den Krieg gegen Antiochos anvertraue, so werde er selbst als Legat mit ihm gehen; unter dem Eindrucke seiner Erklärung habe der Senat die Teilung vorgenommen. Ähnlich berichtet Ps.-Ascon. p. 173 Or. Noch ungünstiger für den Consul L. Scipio ist die Darstellung bei Cic. Phil. XI 17 und Val. Max. V 5, 1, es sei ihm Asien durchs Los als Provinz zugefallen, aber der Senat habe sie ihm wegen seiner notorischen Unfähigkeit abnehmen wollen und nur auf die Fürbitte und jenes Anerbieten des Africanus davon abgestanden. Das ist vielleicht aus der Geschichte eines späteren Scipio (Nr. 321) auf den Asiaticus übertragen. Auf eine dritte Version deutet Cic. Mur. 32 hin: neque vero cum P. Africano senatus egisset, ut legatus fratri proficisceretur, .....nisi illud grave bellum et vehemens putaretur; damit stimmt ziemlich überein Iustin. XXXI 7, 2: creatur.....consul L. Scipio eique datur legatus frater Africanus, und Appian. Syr. 21: οἳ δὲ Μανίῳ μὲν αἱροῦνται διάδοχου ἐπὶ τὴν στρατηγίανεύκιον σκιπίωνα, ὃς τότε αὐτοῖς ὕπατος ἦν, ἀπράκτῳ δ’ ὄντι καὶ ἀπειροπολέμῳ σύμβουλον αἱγοῦνται τὸν ἀδελφὸν Πόπλιον Σκιπίωνα. Diese auf Polybios zurückgehende Überlieferung kommt jedenfalls der Wahrheit am nächsten. Das Los hatte zu Gunsten Scipios entschieden, aber der Senat stellte an ihn die nicht wohl abzulehnende Forderung, seinem Bruder eine Legatenstelle [1473] zu übertragen. Der Consul sollte den Befehl über das bereits in Griechenland stehende Heer übernehmen und dazu ziemlich bedeutende Verstärkungen erhalten; die neuen Truppen, mit denen er im Frühjahr 564 = 190 in Epirus landete, waren 13 000 Mann zu Fuss und 500 zu Pferd (Liv. XXXVII 2, 2. 3, 8. 4, 1–3). Er vereinigte sie mit den bisher von M’. Acilius Glabrio befehligten vor Amphissa, das dieser belagerte; Scipio wollte freie Hand gegen den Hauptgegner Antiochos bekommen, brach deshalb die Operationen hier ab und bewilligte den Aitolern nach längeren Verhandlungen einen sechsmonatlichen Waffenstillstand (Polyb. XXI 4, 1–5, 13. 8, 1–3. 30, 4. Liv. XXXVII 6, 1–7, 6. Zonar. IX 20). Verschiedene Erwägungen bestimmten ihn, nun den Landweg nach Asien zu wählen. In langsamem Marsche und mit mancherlei Aufenthalt zog er durch Thessalien, Makedonien, Thrakien an den Hellespont (Liv. XXXVII 7, 7–16. XXXIX 28, 8f.; nach Claud. Quadrig. XXXVIII 41, 11. Appian. Syr. 23. Zonar. IX 20, vgl. Polyb. frg. 137?); da er nach Lysimacheia erst gelangte, als der Feind diese Stadt infolge der Seeschlacht bei Myonnesos geräumt hatte, kann er nicht vor dem Herbst über den Hellespont gegangen sein (Liv. XXXVII 33, 1–7. 47, 3. Diod. XXIX 5. Appian. Syr. 29). Während des Marsches hatten die Scipionen mit Prusias von Bithynien Verbindungen angeknüpft (Polyb. XXI 11, 3. Liv. XXXVII 25, 8); ehe sie die Meerenge überschritten, empfingen sie Friedensanerbietungen von Antiochos, aber die Verhandlungen zerschlugen sich, und die Legionen rückten auf dem von keinem römischen Heere zuvor betretenen Erdteil vorwärts (Polyb. XXI 13, 2 - 14, 9. Liv. XXXVII 34, 3 – 35, 10. Iustin. XXI 7, 3–9. Appian. Syr. 29. Zonar. IX 20). In Ilion bekräftigte der Consul die traditionelle Blutsverwandtschaft der Römer und Troianer, indem er der Burggöttin ein feierliches Opfer brachte (Liv. XXXVII 37, 1–5; vgl. Iustin. XXXI 8, 1–4). Eumenes stiess zu ihm, Antiochos nahm seine Stellung am Sipylos bei Magnesia, alles drängte zur Entscheidung, da erkrankte Scipio Africanus. Er war nach der im Altertum allgemein herrschenden Ansicht die Seele der ganzen Unternehmung, der Consul nur dem Namen nach der Oberfeldherr; dennoch ist es zweifellos, dass jener während der wichtigsten und glänzendsten Action des ganzen Feldzugs fern in Elaia an der Küste weilte (Liv. XXXVII 37, 6f. 45, 3. XXXVIII 53, 10. 58, 9. Appian. Syr. 30. 38). Bei Livius erscheint daher L. Scipio in der Schlacht selbständig und der Sieg als sein Verdienst; Frontin. strat. IV 7, 30 berichtet von Africanus: exhortatus est fratrem, ut postero die committeret proelium, was mit der Überlieferung von seiner Krankheit nicht vereinbar ist, da er in Elaia, wie Liv. XXXVIII 58, 9 richtig bemerkt, dierum aliquot via vom Schlachtfeld entfernt war; nach Appian und Plut. reg. et imp. apophth. p. 197 D gab Africanus dem Bruder einen kriegskundigen Berater in der Person des Cn. Domitius Ahenobarbus bei, führte dieser aus persönlichem Ehrgeiz die Entscheidung herbei (Appian) und war der eigentliche Leiter der Schlacht. Man wird Appian in diesem Punkte Glauben schenken dürfen, denn sein Schlachtbericht scheint im allgemeinen [1474] das polybianische Original getreuer als Livius wiederzugeben (vgl. Nissen Krit. Unters. 195–197. Ed. Meyer Rh. Mus. XXXVI 123f.). Der Tag der Schlacht bei Magnesia ist nicht bekannt; sie fällt ganz ans Ende des Jahres (vgl. Liv. XXXVII 39, 2). Die syrische Armee war der römischen an Zahl weit überlegen, und ihr rechter Flügel unter persönlicher Führung des Königs war eine Zeit lang im Vorteil; aber das vermochte das siegreiche Vordringen der Römer auf der ganzen Linie nicht aufzuhalten; der Kampf endete für Antiochos mit einer gänzlichen Niederlage unter ungeheuren Verlusten (Liv. XXXVII 38, 1–44, 2. Appian. Syr. 33–37. Zonar. IX 20. Iustin. XXXI 8, 5–7. Flor. I 24, 14–17; kürzer Cic. Verr. I 55; Mur. 31. Vell. II 38, 5 Eutrop. IV 4, 1. Auct. de vir. ill. 53, 1. 54, 5; aus der Grabschrift des Sohnes Scipios Nr. 324: pater regem Antioco subegit. Weihgeschenk der Achaier συναγωνισάμενοι τὴν ἐν Λυδίᾳ παρὰ τὸν Φρύγιον ποταμὸν μάχην Inschriften von Pergamon I 64 = Dittenberger Syll.² 286). Mit einem Schlage war der ganze Krieg zu Ende; die Städte des westlichen Kleinasiens öffneten dem Sieger ihre Thore, die feindliche Flotte wich zurück, Scipio hielt seinen Einzug in Sardes, wohin auch der wieder genesene Africanus kam (Liv. XXXVII 44, 3–45, 3. Tac. ann. III 62. Zonar. IX 20, vgl. Appian. Syr. 38). Hier empfingen die Brüder die Gesandten des Antiochos, die dessen Unterwerfung unter die Bedingungen der Römer anboten; wieder führte hauptsächlich P. Scipio die Verhandlungen und dictierte den Frieden, den der König annehmen musste und den Senat und Volk bestätigten (Polyb. XXI 16, 1ff. 24, 2. Liv. XXXVII 45, 4–21. 55, 2. Iustin. XXXI 8, 8. Flor. I 24, 18. Diod. XXIX 10ff. Appian. Syr. 38f.; die Friedensbedingungen s. o. Bd. I S. 2469). Die Winterquartiere bezog der Consul in Ephesos und dessen Umgebung; hier löste ihn im Frühjahr 565 = 189 sein Nachfolger im Amte und im Commando Cn. Manlius Vulso ab (Polyb. XXI 25, 1. Liv. XXXVII 45, 20. 50, 2. XXXVIII 3, 1. 12, 2). Auf der Rückreise brachte er dem delischen Apollon ein Weihgeschenk dar (Z. 100 der oben angeführten Schatzmeisterurkunde: ἀνάθεμα Λευκίου Κορνηλίου Σκιπίωνος στρατηγοῦ ὑπάτου Ῥωμαίων). In Rom feierte er 566 = 188 mense interkalari pridie kal. Martias (Liv. XXXVII ) 59, 1), anno fere post quam, consulatu abiit (ebd. 6), einen glänzenden Triumph, verherrlicht durch viele vornehme Gefangene und eine ungemein reiche Beute (Polyb. XXI 24, 16f. Cic. prov. cons. 18. Liv. XXXVII 58, 6–59, 6. XXXVIII 59, 3. XLV 39, 1. Val. Max. III 5, 1. IV 1, 8. V 3, 2 c. 5, 1. VIII 1 damn. 1. Plin. n. h. XXXIII 148. XXXVII 12. Gell. VI 19, 3. 7. Eutrop. IV 4, 3. Ampel. 24. Plut. Cato 18, 1). Ein Votivgemälde mit der Darstellung seines Sieges stellte er auf dem Capitol auf (Plin. n. h. XXXV 22) und vielleicht gleichzeitig ebendort seine eigene Statue in griechischer Tracht (Cic. Rab. Post. 27. Val. Max. III 6, 2), beides Werke griechischer Künstler, deren er manchen in seinen Dienst nahm (vgl. Liv. XXXIX 22, 10). Ferner legte er sich nach dem Vorbilde seines Bruders, des Africanus, einen Ehrenbeinamen von dem besiegten Asien bei. Von ihm selbst fehlen gleichzeitige [1475] Zeugnisse für dieses Cognomen, und sein Sohn Nr. 324 hat es nicht geführt. Zuerst findet es sich auf der Grabschrift seines Enkels Nr. 339 in der Form Asiagenus, dann in der wohl ebenso aufzulösenden Abkürzung Asiag. auf den Münzen seines Urenkels Nr. 338. In den Fasti Aug. heisst dieser Asiagenes, und dieselbe Form findet sich bei Diod. XXXIV 33, 1. Liv. XXXIX 44, 1. Eutrop. IV 4, 3. Sidon. Apoll. carm. VII 80. Asiagenus ist gut lateinisch, Asiagenes gut griechisch; jene Form hat wohl Scipio selbst gewählt, aber für Kenner des Griechischen hatten beide Formen einen ganz andern Sinn, als den von ihm gewünschten (vgl. Mommsen zu CIL I 36; R. G. I 862 Anm.), deshalb vermeidet z. B. Cicero das Cognomen überhaupt (vgl. u. a. Mur. 81: belli victor L. Scipio aequa parta cum Publio fratre gloria, quam laudem ille Africa oppressa cognomine ipso prae se ferebat, eandem hic sibi ex Asiae nomine adsumpsit). Erst seit der augustischen Zeit scheint die früher mehr vereinzelt gebrauchte Form Asiaticus die älteren verdrängt zu haben; L. Scipio selbst wird so genannt in dem oben erwähnten Fragment seines Elogiums (erhalten: [L. Corneli]us P. f. S[cipio Asia]ticus) und in den Fasti Cap. zum J. 564 (qui postea Asiaticus appellatus est; ebenso zum J. 671 von seinem Urenkel: Asiaticus) und bei den Schriftstellern z. B. fast an allen für den Triumph citierten Stellen (vgl. auch Auct. de vir. ill. 53, 1. Zonar. IX 20 u. a.).

Auf Scipios Triumph folgte sehr bald sein Sturz. Die Ereignisse, die diesen herbeiführten, sind bekannt unter dem Namen der Scipionenprocesse und gehören mehr in die Geschichte des Scipio Africanus als in die seines Bruders. Sie sind in nahezu abschliessender und erschöpfender Weise behandelt worden von Mommsen (Die Scipionenprocesse, Röm. Forsch. II 417–510); durch seine Arbeit sind die früheren, von denen die von Nissen (Krit. Untersuch. 213–220) sehr sorgfältig ist, überholt worden, aber auch die Bemerkungen, welche später von Niese (De annalibus Romanis observationes alterae, Marbg. ind. lect. 1888) gegen Mommsen gerichtet worden sind, vermögen m. E. dessen Ergebnisse in keinem wesentlichen Punkte zu erschüttern, und überall, wo im folgendem Nieses Einwendungen unbeachtet geblieben und Mommsens Ansichten wiedergegeben sind, haben sich jene bei näherer Prüfung als nicht stichhaltig erwiesen. Mir nicht zugänglich sind die neueren Arbeiten von Pascal (Studi romani. I Il processo degli Scipioni. III L’ esilio di Scipione Africano Maggiore, Turin 1896); nach dem Referat Holzapfels darüber (Berl. philol. Wochenschr. XVI 1587ff. XVII 627ff.) dürften ihre Resultate gleichfalls geringe Überzeugungskraft besitzen. Ebensowenig ist mir eine Kenntnisnahme der Arbeit von Niccolini möglich: La questione dei processi degli Scipioni, Rivista di storia antica III (1898), sowie der von Pascal daran geknüpften Bemerkungen ebd. IV (1899). Von sonstiger Litteratur sei noch verwiesen auf die Bemerkungen von Anspach (Jahrb. f. Philol. CXXXIX 357) über Anspielungen auf die Scipionenprocesse in Plautus Bacchides und von Kniep (Societas publicanorum [Jena 1896] 146ff. 154f.) über die Rechtsfrage. Im folgenden [1476] wird auf Grund von Mommsens Darlegungen, wo auch die Belegstellen vollständig gesammelt sind, nur eine Darstellung von der Entwicklung der Tradition gegeben; dabei werden einzelne bisher nicht genug beachtete Punkte schärfer betont und mehrfach abweichende Ansichten aufgestellt, ohne den Gegensatz zu älteren besonders hervorzuheben. Die Angriffe, denen die Scipionen schliesslich erlagen, richteten sich nicht nur in erster Linie, sondern auch in der ersten Zeit direct gegen Scipio Africanus. Darüber berichtet vor allem Polybios XXIII 14, 1–4. 7–11 (aus ihm Diod. XXIX 21, vgl. Mommsen Strafr. 769, 4), es seien je einmal in der Volksversammlung und im Senate Anklagen gegen Africanus erhoben und hier wie dort von ihm durch wenige stolze Worte niedergeschlagen worden; die Verehrung, die das Volk, das Vertrauen, das der Senat ihm entgegenbrachte, werden dadurch, wie es die Absicht des Autors ist, ins hellste Licht gestellt. Dieselben zwei Erzählungen giebt in derselben Reihenfolge Gellius IV 18, 3–5. 7–12, und zwar sicherlich aus den Exempla des Cornelius Nepos. Eine Vergleichung der ersten Anekdote bei Polybios und Nepos ergiebt folgende Diffenzen: der Ankläger wird von Polybios nicht genannt, von Nepos als M. Naevius tribunus plebis bezeichnet; der Grund der Anklage fehlt bei Polybios, ist bei Nepos Bestechung durch Antiochos, damit dieser günstigere Friedensbedingungen erlangte; die Worte Scipios sind bei Polybios, es zieme dem römischen Volke nicht, Klagen gegen P. Cornelius Scipio anzuhören, der den Klägern überhaupt erst wieder die Möglichkeit gegeben habe, den Mund aufzuthun, während Nepos diese Äusserung im Sinne hat, wenn er sagt: Scipio pauca praefatus, quae dignitas vitae suae atque gloria postulabat, und dann in directer Rede fortfährt: Memoria, inquit, Quirites repeto, diem esse hodiernum, quo Hannibalem Poenum imperio vestro inimicissimum magno proelio vici in terra Africa pacemque et victoriam vobis peperi spectabilem. Non igitur simus adversum deos ingrati, et, censeo, relinquamus nebulonem hunc, eamus hinc protinus Iovi optimo maximo gratulatum; die Wirkung der Rede ist bei Polybios und Nepos dieselbe, denn die Volksversammlung löst sich sofort auf und lässt den Ankläger allein sitzen, nur folgt sie bei Nepos natürlich ausserdem dem Scipio aufs Capitol. Die polybianische Erzählung ist also bei Nepos vollständig aufgenommen worden, aber um wesentliche Züge bereichert aus einer zweiten ausführlicheren Darstellung. Diese ist offenbar der polybianischen an Alter und Wert ebenbürtig, aber römischen Ursprungs. Einen dritten Bericht giebt Liv. XXXVIII 50, 4–51, 14 und führt ihn sofort als den des Valerius Antias ein. Dieser Bericht stimmt in den Grundzügen durchaus mit dem zweiten von Nepos benutzten überein: der Charakter der Anklage als einer gerichtlichen ist schärfer betont, die Anklagerede breit ausgeführt, desgleichen die von Nepos in directer Rede mitgeteilten Worte Scipios, während dessen von Polybios erwähnte Äusserung ganz fehlt. Alles das sind Ausschmückungen und keine Änderungen, aber neu ist bei Antias erstens die Ansetzung der Sache ins J. 567 = 187 und zweitens die Einführung von zwei Volkstribunen, die beide Q. Petillius hiessen, als Anklägern. Nach Hinzuziehung [1477] anderer Quellen bemerkt Liv. XXXVIII 56, 2 selbst: non de accusatore convenit: alii M. Naevium, alii Petillios diem dixisse scribunt, und giebt auch die Erklärung dafür ebd. 6: index orationis P. Scipionis nomen M. Naevi tribuni plebis habet, ipsa oratio sine nomine est accusatoris; modo nebulonem, modo nugatorem appellat, und XXXIX 52, 3, wo er sich gegen die Ansetzung des Todes des Africanus ins J. 567 = 187 wendet: Antiatem auctorem refellit tribunus plebis M. Naevius, adversus quem oratio inscripta P. Africani est. hic Naevius in magistratuum libris est tribunus plebis P. Claudio L. Porcio consulibus (570 = 184), sed iniit tribunatum Ap. Claudio M. Sempronio consulibus (569 = 185) ante diem quartum idus Decembres. inde tres menses ad idus Martias sunt, quibus P. Claudius L. Porcius consulatum inierunt. ita [et] vixisse in tribunatu Naevi videtur diesque ei dici ab eo potuisse, decessisse autem ante L. Valeri et M. Porci censuram. Es war also eine Rede des Africanus überliefert, die sich gegen jemand wandte, der nicht mit Namen genannt, sondern nur als nugator und nebulo bezeichnet wurde. Da der letztere Ausdruck in der von Gellius aus Nepos entnommenen Rede vorkommt und der erstere in dem nicht wörtlich wiedergegebenen Anfang gestanden haben kann, so ist ohne Zweifel diese Rede gemeint. Sie wurde aber überliefert unter dem Titel: Oratio in M. Naevium trib. pl., und da Naevius im J. 569 = 185 Tribun war, muss die ganze Begebenheit von älteren Annalisten, wie der Quelle des Nepos, unter diesem Jahre erzählt worden sein. Valerius Antias nun erklärte die Überschrift der Rede für falsch und konnte das, weil der Name des Naevius in der Rede selbst nicht vorkam; er behauptete ferner, aus Gründen, die wir noch kennen lernen werden, der Process falle schon 567 = 187, und Scipio habe seine Abwehr gegen zwei Tribunen dieses Jahres gerichtet. So hängen seine beiden Neuerungen zusammen, und zu ihrer Unterstützung konnte er noch etwas geltend machen. Nepos bei Gellius schliesst seinen Bericht: fertur etiam oratio quae videtur habita eo die a Scipione, et qui dicunt eam non veram, non eunt infitias, quin haec quidem verba fuerint, quae dixi, Scipionis. Es wurde also ausser jener bei den Annalisten aufgenommenen Rede, die den Gegner nicht mit Namen nannte, noch eine zweite selbständig überliefert, die Nepos als unecht verwarf. Die Gründe der Verwerfung kennen wir nicht, aber gewiss gehörte zu den Dingen, worin sich diese Rede von der andern unterschied, auch die Nennung des Gegners. In der That citiert Cic. de or. II 249: Quid hoc Naevio ignavius? severe Scipio. Cicero hat allerdings im Brutus 77 und de off. III 4 erklärt, es seien keine Reden des Africanus erhalten, aber zwischen der Schrift, die das Citat enthält, und diesen Schriften liegt ein Jahrzehnt, in dem er wohl, vielleicht grade durch Nepos belehrt, seine Ansicht über die unter Africanus Namen überlieferte Rede geändert haben kann. Jenes Wortspiel stammt also aus dieser Rede, und deren Existenz konnte dem Antias den Beweis erleichtern, dass die andere echte gar nichts mit Naevius zu thun habe, sondern dass ihre Überschrift ebenso gefälscht sei, wie ihr [1478] Gegenstück. Nur die gefälschte war gesondert überliefert, die echte kannten alle Autoren nur aus einem älteren annalistischen Berichte, auch Livius, der sich ebendieses Berichts gegen Antias bediente; ob er den älteren Annalisten direct oder durch Vermittlung des Nepos benutzte, ist hier nicht zu erkennen. Bis hierher ist die gute alte Tradition und die Änderung, die Antias mit ihr vornahm, klar zu erkennen; jetzt setzt bei Antias die reine Erfindung ein. Sein ganzer weiterer Bericht über diesen ersten Angriff gegen Africanus, wie ihn Liv. XXXVIII 52, 1–53, 8 wiedergiebt, ist einfach zu streichen; der Process des Africanus war zu Ende, und was hier über seinen Fortgang erzählt wird, ist nur die Verdoppelung des Berichts vom Process des L. Scipio. Zu ihren sich von selbst ergebenden Folgen gehörte der Rollentausch der Brüder; wie Publius in Wahrheit für Lucius die Tribunen anrief, so nach Antias bei dieser Gelegenheit Lucius für Publius. Die Erfindung wäre zu durchsichtig gewesen, wenn Antias nicht zwischen beiden Processen den Publius hätte sterben und deshalb für Lucius nicht ihn selbst, sondern seinen Doppelgänger und Vetter P. Nasica (Nr. 350) appellieren lassen. Antias hat nicht nur Neues erfunden, um das Ganze wohl abzurunden, sondern hat sich auch dazu verstanden, Überliefertes aufzugeben, wenn er dadurch diesen Zweck besser erreichte. Er hat deshalb die ganze Erzählung von der zweiten im Senat erhobenen Anklage gegen Africanus beseitigt. Für diesen Angriff gegen die Scipionen ist zunächst wieder Polybios die Hauptquelle. Aus ihm schöpft ausser Diodor auch Livius XXXVIII 55, 10–12 in einer Anmerkung zu dem Berichte des Antias; Livius hat sich hier allerdings einen argen Rechenfehler zu Schulden kommen lassen, aber seine Abhängigkeit von Polybios ergiebt sich mit voller Sicherheit schon daraus, dass er § 13 in demselben Zusammenhange wie Polyb. § 5 eine zweite Anekdote von Africanus erzählt, die der annalistischen Tradition ganz fremd ist. Mit dem polybianischen Berichte ist aber wieder der des Nepos zu vergleichen. Beide stimmen darin überein, dass die Klage im Senat erhoben wurde, dass sie Rechenschaft über gewisse den Scipionen von Antiochos gezahlte Summen von den Scipionen forderte, dass Africanus die Rechnungsbücher vorwies, dass er sie aber dann vor aller Augen zerriss, weil er 0 auch ohnehin über jeden niedrigen Verdacht erhaben war. Im einzelnen weichen aber beide hier sehr von einander ab; Polybios ist ausführlicher und genauer, indem er die Gelder, um die es sich handelte, bezeichnet als die, welche Scipio ἔλαβε παρ’ Ἀντιόχου πρὸ τῶν συνθηκῶν εἰς τὴν τοῦ στρατοπέδου μιστοδοσίαν, wenn er den Gegner und Scipio je zweimal sprechen lässt, wenn er den letzteren als Vertreter seines Bruders handeln und diesen die Bücher herbeischaffen lässt, vor allem, wenn er eine sehr charakteristische Rede Scipios kurz wiedergiebt, in der auch der Betrag der Summen vorkommt; den Schluss, dass alle, selbst der Kläger daraufhin verstummten, hat er allein. Bei Nepos ist die ganze Erzählung flüchtiger, ungenauer und mehr auf den Effect hin gearbeitet; deswegen ist L. Scipio bei ihm verschwunden, entbehrt die Rede jeder individuellen Färbung und beschränkt sich auf einen allgemeinen [1479] Gedanken, der Scipios Handlungsweise motivieren soll. Die Summen werden einfach als pecunia Antiochina bezeichnet (ebenso bei Gell. VI 19, 8); aber doch finden sich wieder einige Angaben, die den polybianischen ergänzend zur Seite treten und den selbständigen Wert dieser Darstellung trotz der eben berührten Mängel erkennen lassen. Erstens heisst es, dass Rechenschaft gefordert wurde über jene Gelder und die in dem Kriege gemachte Beute, zweitens, dass die Ankläger Petillii quidam tribuni plebis gewesen seien, drittens, dass diese a M., ut aiunt, Catone inimico Scipionis comparati in eum atque immissi seien. Alle drei Punkte sind gewiss vollkommen glaubwürdig und können mit der Darstellung des Polybios combiniert werden zu einer dritten, die den wirklichen Sachverhalt wiedergiebt. Jetzt durchschauen wir klarer als zuvor die Fälschungen des Antias. Auf welche Weise er den Tribunen Naevius beseitigte, haben wir gesehen, aber noch nicht, woher er den Ersatz dafür und seine Chronologie nahm. Er hat zwar diesen Angriff gegen die Scipionen im Senat gestrichen, aber die Namen der Männer, die ihn unternahmen, an Stelle des Naevius eingesetzt; da sie 567 = 187 Volkstribunen waren, verlegte er den ganzen Process aus dem Tribunatsjahr des Naevius in das ihrige. Dass hinter den Petilliern Cato stand, gaben die älteren von Nepos benutzten Annalen als unsicheres Gerücht (ut aiunt); Antias (bei Liv. XXXVIII 54, 1f.) behauptete es bestimmt und brachte dafür auch einen Beweis (§ 11): exstat oratio eius de pecunia regis Antiochi. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Livius den Titel dieser Rede Catos ebenso aus seiner Vorlage übernommen hat, wie den der Rede Scipios gegen Naevius; hätte er jene selbst gelesen, so würde er wohl etwas daraus anführen; da aber nirgends Fragmente davon erhalten sind, so kann sogar das Citat eine Fälschung des Antias sein. Dass Livius XXXIX 43, 1 einmal seine vielleicht auch nur aus einem andern Annalisten geflossene Kenntnis einer Rede Catos gegen Antias gebraucht, ist eine Ausnahme und kann für den vorliegenden Fall nichts beweisen. Antias bezeichnet hier noch nicht die letzte Stufe der Entwicklung der Tradition; sondern beim Auct. de vir. ill. 49, 17 sind die beiden verschiedenen Erfolge Scipios über seine Ankläger insofern zu einer Scene verschmolzen, als der Held auf dem Forum vor allem Volke erst die Rechnungsbücher zerreisst und dann zu dem Zuge aufs Capitol auffordert. Das ist späte Combination, ebenso wie hier die Nachricht, er sei repetundarum accusatus gewesen, unbrauchbar ist. Dass Antias nicht so erzählte, sondern jenen Zug, das Zerreissen der Bücher, fallen liess, beweist ausser Livius auch die Darstellung Appians (Syr. 40). Die beiden Angriffe gegen Africanus hat Polybios ohne Zeitangabe erzählt und nach sachlichen Gesichtspunkten angeordnet, um παρὰ μὲν τοῖς ὄχλοις εὔνοιαν, παρὰ δὲ τῷ συνεδρίῳ πίστιν zu beweisen (14, 1); Nepos hat diese Anordnung beibehalten, weil er in seinen Exempla ähnliche Zwecke verfolgte. Chronologisch gehören aber die Begebenheiten in die umgekehrte Reihenfolge; die Beschwerden im Senat wurden kurz nach der Rückkehr der Scipionen 567 = 187 gegen beide erhoben; [1480] da Africanus sie abwehrte, wurde später 569 = 185 zuerst gegen ihn förmliche Anklage erhoben. Nachdem er zum zweitenmale die Bemühungen der Gegner vereitelt hatte, begannen diese den dritten Vorstoss gegen Lucius, diesmal mit besserem Erfolg. Leider versagt uns hier die beste der bisher benutzten Quellen Polybios; dagegen bringt Gellius VI 19, 1–7 aus den Exempla des Nepos den Bericht darüber im Wortlaut, aber ohne den Anfang und Schluss, und fügt diesem Bericht § 8 die wichtigsten Abweichungen des Antias hinzu. Er will durchaus nicht die sämtlichen Differenzen zwischen seinen beiden Quellen in der ganzen Darstellung der Scipionenprocesse aufzählen, sondern nur die, welche bei dem von ihm aufgenommenen Bruchstücke nachweisbar sind, ganz ähnlich, wie er VII 8, 6 nur die Parallelstelle des Antias zu der ebd. 3 erzählten Anekdote von Scipio Africanus nachgelesen hat. Was er aber hier als Abweichung des Antias von Nepos, d. h. wohl auch von älteren Annalen, hervorhebt, das beweist schlagend, dass der Hauptbericht des Livius über diese Begebenheiten aus Antias stammt (XXXVIII 54, 1–55, 8. 58, 1–60, 10); an der Stelle, wo Livius ihn unterbricht, nennt er auch ausdrücklich Antias als seine Quelle (XXXVIII 55, 8). Er unterbricht ihn nämlich, um eine andere ältere Tradition einzulegen, die zunächst mit Nepos verglichen werden muss. Sowohl Nepos, wie diese livianische Einlage (XXXVIII 56, 8–13. 57, 3f.) handeln nicht von dem Process des L. Scipio, sondern von den darauffolgenden Ereignissen, deren Voraussetzung die Verurteilung des Angeklagten ist. Beiden gemeinsam ist besonders gegenüber dem Bericht des Antias, dass Africanus zu Gunsten seines Bruders eingreift, dass der Volkstribun, der die Verurteilung bewirkt hat, von seinen Amtsgenossen unterstützt wird, und dass nur einer von ihnen, Tib. Gracchus, auf die Appellation des Africanus hin dem L. Scipio zu Hülfe kommt. Im übrigen kommt es aber jedem von beiden Autoren auf etwas anderes an; Nepos bringt im Wortlaut ex annalium monumentis exscripta das Decret der acht Tribunen, die ihrem Collegen freie Hand gegen L. Scipio liessen, und das des Gracchus, der gegen ihn intercedierte; Livius bringt eine sehr eigentümliche Rede des Gracchus, die verschiedene Anklagen gegen Africanus erhebt und nur am Schluss dessen Bruder Hülfe zusagt. Livius und Nepos stellen diese Documente in den Vordergrund und berichten von der ganzen Angelegenheit nur das, was mit ihnen im Zusammenhang steht; alles andere übergehen sie, und zwar ganz natürlich der eine immer das, worauf der andere das Hauptgewicht legt, so dass ihre Darstellungen trotz der gemeinsamen Grundlage ein völlig verschiedenes Aussehen erhalten haben. Während aber die von Nepos angeführten Urkunden auch bei anderen Autoren ihre Spuren hinterlassen haben, weiss von der Rede des Gracchus und dem durch sie beglaubigten gewaltsamen Eingreifen des Africanus nur Livius, aus dem sie Seneca cons. ad Polyb. 14, 4 entnahm. Cicero (Brut. 79) kannte keine lateinische Rede des Gracchus, und das, was Livius aus der damals gehaltenen wiedergiebt, beweist nach Mommsens überzeugender Darlegung (Röm. Forsch. II 502ff.), dass es in [1481] caesarischer Zeit gefälscht ist. Die angebliche Rede hängt aber so eng mit einer eigentümlichen Darstellung der Thatsachen zusammen, dass sie ebensowenig wie die von Livius citierten übrigen Reden ein selbständiges Product gewesen sein kann, sondern von ihm aus einem Geschichtswerk entlehnt sein wird. Eine Vermutung über dessen Verfasser ist vielleicht erlaubt. Es kann Q. Aelius Tubero sein, den Soltau (Herm. XXIX 631; Jahrb. f. Philol. CLV 414ff.) schwerlich mit Recht aus der Reihe der Annalisten streichen will. Er ist nämlich der einzige Historiker aus der Zeit Caesars, den Livius in den erhaltenen Büchern zweimal citiert (IV 23, 2f. X 9, 10), und zwar für Notizen der Beamtenlisten; IV 23, 2f. wird Tubero zur Unterstützung einer Ansicht des Antias angeführt, weil er sich dafür auf die libri lintei berief, die nach IV 20, 8 zu den libri magistratuum gehören; in der Geschichte der Scipionenprocesse wird XXXIX 52, 3f. (s. o.) die Autorität der libri magistratuum gegen Antias ins Feld geführt; folglich kann in beiden Fällen dieselbe Mittelquelle zu Grunde liegen, die auf Grund derselben Urkunden Behauptungen ihrer Vorgänger bald bestätigte, bald berichtigte. Endlich passt die politische Gesinnung, die Mommsen (a. O. 507ff.) bei dem Verfasser der Rede des Gracchus nachweist, sehr gut zu dem, was über Tuberos persönliches Verhältnis zu Caesar bekannt ist (s. o. Bd. I S. 534. 537). Nach Abzug der Fälschungen Tuberos bleibt als Kern der livianischen Einlage eine Darstellung, die im wesentlichen mit der des Nepos oder seiner Quelle übereinstimmt. Von ihr ist auch Cicero in der 698 = 56 gehaltenen Rede de prov. cons. 18 abhängig; er vergleicht hier sein eigenes Verhältnis zu Caesar mit dem Verhalten anderer Männer, die dem allgemeinen Wohle ihre Privatzwistigkeiten zum Opfer gebracht hätten, z. B. mit dem des Gracchus, und nimmt natürlich aus der ganzen Geschichte der Scipionenprocesse nur die hierfür charakteristische Stelle heraus, aber darin stimmt seine Angabe genau mit Nepos überein (vgl. z. B. alienum sibi videri dignitate imperii Cic. mit: alienum videtur esse dignitate rei publicae Nep.). Dass er das übrige beiseite gelassen hat, beweist nichts für Benutzung einer anderen Darstellung, als der auch von Nepos zu Grunde gelegten; ebenso ist die Änderung im Wortlaut des Decrets des Gracchus bei Liv. XXXVIII 57, 4 (Einsetzung des Africanus statt seines Bruders, der die feindlichen Feldherren ins Gefängnis führte) nur eine willkürliche Correctur des Tubero oder des Livius selbst, die nicht auf eine andere Urquelle schliessen lässt. Die Angaben Späterer vollends, wie Val. Max. IV 1, 8. Plin. n. h. praef. 10. Ampel. 19, 3, denen man gelegentlich selbständigen Wert beimessen wollte, vertreten nirgends eine selbständige ältere Tradition, sondern bieten nur Notizen aus den erhaltenen Berichten in ungeschickter Verkürzung oder nachlässiger Wiedergabe. Es bleibt also die älteste für uns erkennbare Darstellung die annalistische, welche Cicero, Nepos und Tubero gleichmässig zu Grunde legten und von der Antias am stärksten abwich. Auch Tubero hat sie abgeändert, und es ist wohl möglich, dass sie auch von Nepos modificiert wurde, aber das können wir nicht mehr feststellen. Nach dieser [1482] Tradition ist L. Scipio von dem Volkstribunen C. Minucius, der jedenfalls ein College des Naevius war, also im J. 570 = 184, angeklagt worden; der Process war ein tribunicischer Multprocess, der erste seiner Art (vgl. Mommsen St.-R. I 702. II 322; Strafr. 172, 1. 769, 2), und endigte mit der Verurteilung Scipios. Der Tribun forderte die Stellung von Bürgen und wollte auf die Weigerung des Verurteilten hin ihn ins Gefängnis führen. Dagegen rief sein Bruder Africanus die übrigen Tribunen zur Intercession auf; acht von ihnen erklärten, dass sie ihrem Collegen nicht entgegen sein wollten, der neunte aber, Tib. Gracchus, gewährte seinen Beistand, obwohl er persönlich mit den Scipionen verfeindet war, weil jetzt für die Gerechtigkeit genug geschehen war und man die Demütigung verdienter Männer nicht bis zum Äussersten treiben dürfe. So, wie es in diesen Berichten dargestellt war, wird die Sache sich auch verhalten haben, und es bleibt nun noch übrig, die Fälschungen des Antias ins Auge zu fassen, dem Livius seinen Hauptbericht entlehnt hat (XXXVIII 54, 1 - 55, 7. 58, 1– 60, 10). Gellius hebt als die folgenreichsten Fälschungen des Antias hervor, dass er erstens den Process des L. Scipio nach dem Tode seines Bruders angesetzt und dass er ihn zweitens in einen Peculatprocess umgewandelt habe. Die erste von diesen beiden Fälschungen hatte zur Folge, dass die Rolle des Africanus im Process des L. Scipio eine andere Persönlichkeit übernehmen musste; dazu wählte Antias den P. Scipio Nasica und verschleierte seine Verdoppelung derselben Erzählung (s. o.). Da er durch die Beseitigung des Tribunen Naevius den Process des Africanus und durch jene Verdoppelung zugleich das Tribunat des Gracchus ins J. 567 = 187 verschoben hatte und da er Gracchus nicht fallen lassen konnte, musste auch der Process des L. Scipio in dasselbe Jahr hinaufgerückt werden. Das ergab freilich eine enge Zusammendrängung der Begebenheiten, aber dafür gewann die Abgeschlossenheit des Ganzen. Africanus musste in jenem Jahre sterben und der Tribun Minucius seinen Platz den in jenem Jahre amtierenden Petilliern überlassen, die Antias demnach gegen beide Brüder Klage erheben liess. Die zweite der von Gellius betonten Fälschungen des Antias ermöglichte diesem sehr mannigfache Erfindungen, die Einführung neuer Personen wie des den Process leitenden Praetors Q. Terentius Culleo, gegen den sich nun die Intercession des Gracchus richten musste, und vor allem auch den Beweis der völligen Unschuld des L. Scipio, die sich bei der Versteigerung seiner Habe herausstellte. In Wahrheit war durch die Intercession des Gracchus das Verfahren gegen L. Scipio aufgehoben; aber die zwei Thatsachen, dass er verurteilt worden ist, und dass Antias eine besondere Erfindung für nötig hielt, um die Ungerechtigkeit des Urteils zu beweisen, erregen den Verdacht, dass L. Scipio nicht ganz schuldlos war, obwohl darüber natürlich keine Entscheidung möglich ist. Um ihn in ein günstiges Licht zu setzen, konnte Antias nach seiner Verschiebung des Processes aus dem Frühjahr 570 = 184, wo er wirklich stattfand, ins J. 567 = 187 auch noch eine Thatsache benutzen, nämlich die von Scipio 568 = 186 gefeierten Votivspiele. Er erzählte, Scipio hätte zwar aus dem Kriege in Asien [1483] nicht einmal die Mittel für diese Spiele heimgebracht, aber als er jetzt nach seiner Verurteilung noch einmal dorthin als Gesandter reiste, brachten die Fürsten und Städte Asiens durch freiwillige Beiträge so viel zusammen, dass er nachträglich sein Gelübde erfüllen konnte (Liv. XXXIX 22, 8–10). Abweichend berichtet Plin. n. h. XXXIII 138: populus Romanus stipem spargere coepit Sp. Postumio Q. Marcio coss., tanta abundantia pecuniae erat, ut eam conferret L. Scipioni, ex qua is ludos fecit; hätte dies auch bei Antias gestanden, so wäre es noch ehrenvoller für Scipio, aber man kann bei einer solchen aus dem Zusammenhang gerissenen Notiz die eigentliche Bedeutung nicht recht erkennen. Damit die Rehabilitation Scipios so vollständig wie möglich erschiene, liess Antias ihn sogar an zwei diplomatischen Missionen nach Asien teilnehmen; erstens an der zur Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Antiochos und Eumenes 568 = 186, zweitens an der, welche von Prusias Hannibals Auslieferung fordern sollte (Liv. XXXIX 56, 7. Plut. Flamin. 21, 9); weil kein anderer Bericht etwas davon wusste, citiert Livius beidemale ausdrücklich seinen Gewährsmann. Thatsächlich war das Ansehen der Scipionen nach dem Process vernichtet; das beweist auch die einzige historische Nachricht über das spätere Leben des L. Scipio, dass ihm der Censor Cato im J. 570 = 184 das Ritterpferd nahm, ohne ihn aber aus dem Senat zu stossen (Liv. XXXIX 44, 1 aus guter Quelle wegen der Form des Beinamens Asiagenes. Auct. de vir. ill. 53, 2. Plut. Cato 18, 1). Dass sich Scipio vorher mit Cato zusammen um die Censur beworben habe, ist möglich (Liv. XXXIX 40, 2), ganz wertlos dagegen, nur eine rhetorische Phrase, die Behauptung, er sei noch vor Africanus gestorben (Seneca cons. ad Polyb. 14, 4). Diesem seinem berühmten Bruder dankte Scipio nach den übereinstimmenden Berichten der Alten alles; er war selbst ein gänzlich unbedeutender Mensch. Nicht recht vereinigen lässt sich damit freilich die Notiz von dem vorzüglichen Gedächtnis eines L. Scipio, die man zunächst auf ihn beziehen möchte (Plin. n. h. VII 88); doch ist die Beziehung nicht sicher, vielleicht auch der Vorname verschrieben. Eine Porträtstatue Scipios stand auf dem Capitol (s. o.); dagegen wurde ihm ein Standbild bei den Scipionengräbern mit Unrecht zugeschrieben (Liv. XXXVIII 56, 4), zumal da er, wie es scheint, seine Grabstätte dort nicht gefunden hat. Unglaubwürdig ist die Behauptung, Gordian III., dessen Bildnis wir besitzen, sei ihm ähnlich gewesen (Hist. Aug. Gord. 21, 5; vgl. Bernoulli Röm. Ikonographie II 3, 131); sie hängt damit zusammen, dass sich die Gordiane von den Scipionen ableiten wollten (Hist. Aug. Gord. 5, 5–7. 9, 4–6. 17, 2).

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337) (Zu S. 1475, 9) Asiagenes auch Sulpic. Sev. chron. II 19, 4 nach der Hs. mit der überzeugenden Verbesserung von Jac. Bernays Ges. Abh. II 183–185.

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337) Das eine Weihgeschenk Scipios auf Delos (S. 1472, 14) scheint auch in der Schatzmeisterurkunde Bull. hell. XXIX 536 Z. 42 (vgl. 559) erwähnt zu werden. Zu seinem Feldzug in Asien (S. 1473, 37) vgl. noch Memnon 26, 1f. (FHG III 539).

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337) L. C. Scipio Asiagenus. Konsul im J. 190 v. Chr., Sieger über Antiochos III. Megas bei Magnesia. (L) S I. (L) S III.