Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
korrigiert  
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Ostwind bei Homer, später Ostsüdost, bei Eratosthenes Südost, gilt als gesund
Band VI,1 (1907) S. 13111313
Euros in der Wikipedia
Euros in Wikidata
Bildergalerie im Original
Register VI,1 Alle Register
Linkvorlage für WP   
* {{RE|VI,1|1311|1313|Euros 2|[[REAutor]]|RE:Euros 2}}        

2) Der Ostwind. Das Wort hängt vermutlich zusammen mit εὔω (Curtius Gr. Etym.5 398. Prellwitz. Etym. Wörterb. s. v., anderes bei Pfannschmidt De vent. ap. Hom. significatione, Diss. Leipzig 1880, 20f. Christ Gr. Lautl. 251); im Altertum (von Poseidonios? vgl. Kaibel Herm. XX 614) ist es mit αὔρa ( Vitr. I 6, 11) oder ἠώς (ὁ ἀπὸ τῆς ἠοῦς ρέων Gell. II 22, 7 = Galen. XVI 406 K.) in Verbindung gebracht worden (Weiteres Etym. M. 396, 8). E. ist der älteste griechische Name des Ostwindes, bei Homer (Hauptstelle Od. V 295f. 331f.) einer der vier Kardinalwinde, die Homer allein kennt. Auch als die Windrose weiter ausgestaltet wurde, blieb E. die generelle Bezeichnung der östlichen Winde, nicht nur bei den Dichtern, denen Homers Vorbild und das Metrum das Wort empfahlen (z. B. Arat. 435. 933. Hor. epod. 10, 5. Verg. Aen. I 131. Ovid. met. I 61; trist. I 2, 27. Lucan. IX 420. Nonn. Dionys. VI 37ff. XLI 282ff.). sondern offenbar auch in der Praxis des täglichen Lebens; wenn nur die vier Kardinalwinde in Frage kommen, heißt der Ostwind E. bei Galen. XVI 399 K. und περὶ κόσμ. p. 394 b 19 (aus Poseidonios?), ja dem Aristoteles selbst, nach dessen System der reine Ostwind Apeliotes heißt, ist doch eigentlich als generelle Bezeichnung des Ostwindes E. geläufig (met. 363 a 7. 364 b 19 εὔρος, ἀπηλιώτην, pol. [1312] 1290 a 18; vgl. Kauffmann o. Bd. I S. 2682). Für den gleichen Gebrauch sprechen die Bildungen εὐροακύλων und εὐρόβορος (Kaibel a. a. O. 620, 1). Sobald eine mehr als vierstrichige Rose aufgestellt wurde, offenbar schon in der Zeit der ionischen Physiker, kam für den reinen Ostwind der Name ἀπηλιώτης auf und E. bezeichnete dann den Wind zunächst südlich von ihm; am Horizont suchte man den Punkt zu fixieren als denjenigen der größten Morgenweite der Sonne (s. Art. Windrose). Schon Herodot unterscheidet (IV 99) scharf zwischen E. und ἀπηλιώτης und bezeichnet mit letzterem Wort die Ostrichtung überhaupt (VII 188). Apeliotes bleibt dann, vollends durch das aristotelische System (met. II 6) sanktioniert, der korrekte Name für den Ostwind (Diels Doxogr. 375, 2. Achill. Isag. 68 M. = 321 M. Vitruv. I 6, 4. Lyd. de mens. IV 119 p. 157 W. Ptolem. tetrabibl. I 8. 16. II 2. Gemin. Isag. 22). Bei den Römern heißt der reine Ostwind korrekt subsolanus (s. o. Bd. I S. 2682); das Fremdwort E. hat sich in den entwickelten Windrosen, der acht- wie der zwölfstrichigen, Heimatrecht verschafft (Sen. n. qu. V 16, 4. Vitruv. I 6, 5. Suet. p. 230 R.; vgl. Kaibel a. a. O. 619), wiewohl Varro (s. Seneca a. a. O.) dafür volturnus einführen wollte, was wir außer bei Liv. XXII 43. 46 auch von Colum. V 5. XII 2. Plin. II 119. Veget. IV 38 angewendet finden (vgl. Nissen Ital. Landesk. I 389); volturnus ist aber später der Name für den Ostnordost geworden (Kaibel a. a. O. 619f. 623f.).

Nachdem E. aufgehört hatte die einzige Bezeichnung des Ostwinds zu sein, ist er in der Theorie stets der nächste südliche Seitenwind des Apeliotes, des reinen Ost, gewesen; die Phantasie eines Unbekannten, die Strabon I 29 zurückweist, und der Schnitzer des Favorin bei Gell. II 22, 7 = Galen. XVI 406 K., wonach E. als Ost, εὐρόνοτος als Ostsüdost erscheint, können füglich aus dem Spiele bleiben. Bei Aristoteles, der, wohl in unklarer (vgl. Berger Gesch. d. wiss. Erdk. d. Gr.2 284f. 430, 1) Anlehnung an ein älteres System, die Morgen- und Abendweiten der Sonne zur Grundlage der Einteilung macht, entspricht E. ungefähr unserem Ostsüdost (met. 363 b 20). Die nämliche Stelle hat E. in der zwölfstrichigen Rose des Timosthenes, die konsequent aus dem System des Aristoteles entwickelt ist, Agathemeros Geogr. gr. min. II 473. Anon. περὶ κόσμ. p. 394 b 24 (Poseidonios? vgl. Capelle N. Jahrb. 1905. 542ff.). Sen. n. qu. V 16. Plin. n. h. II 119. Apul. de mund. 11. Suet. p. 228ff. 304ff. R. (= Isid. n. r. 37 [Varro]). Isid. orig. XIII 11. Veget. IV 38. Lyd. de mens. IV 119 p. 157f. W. Adamant. bei Rose Anecd. gr. 35. 49. Geop. I 11. PLM V 383 nr. 70. Zwei Pfeiler mit Windrosen IG XIV 906. 1308 (Herm. XX 623f.). In die Aristotelische Sphäre gehören ferner und die gleiche Lage des E. bieten Theophr. de vent. 53. 61. Frg. ἀνέμων θέσεις (Rose Arist. pseud-epigr. 247ff.). An der letztgenannten Stelle wird aber auch die übliche Gleichsetzung des E. mit dem Apeliotes (aber auch mit dem Südsüdost) erwähnt, und als Lokalname im syrischen Aigai σκοπελεύς und in Kyrene Κάρβας verzeichnet. Eratosthenes brach mit der traditionellen Anknüpfung an die Auf- und Untergangsörter der Sonne und [1313] schuf eine achtstrichige Windrose, auf der jedem Wind ein Kreissegment von 45° zukommt (Galen. XVI 403ff. K. = Vitruv. I 6, 12. Kaibel a. a. O. 584ff.; angewendet bei Plin. XVIII 331–339); das Zentrum des E. entspricht hienach genau unserem Südost.

Verewigt ist dieses System am Turm der Winde in Athen, der uns auch die einzige künstlerische Darstellung dieses E. bietet (Abb. z. B. Baumeister Denkm. III 2116). Alle anderen Darstellungen beziehen sich auf den E. als Kardinalwind und gehen über die allgemeinste Charakteristik einer Windgottheit nicht hinaus (auf Sarkophagen, Mosaiken, Mithrasreliefs, astrologischen Instrumenten; vgl. Cumont Mon. et Myst. de Mithras I 93ff. II 496ff. Boll Sphaera 300. 303 T. V). Auch für die Mythologie ist E. nie ein Gegenstand gewesen; bei Hesiod in der Theogonie fehlt er bei den Astraiossöhnen (378ff.); daß er deshalb zu den Typhoeussöhnen (869ff.) zu rechnen sei, ist bloße Vermutung (s. Steuding bei Roscher Myth. Lex. I 1419).

Am Turm der Winde ist E. ohne alle Attribute, aber durch Gesichtsausdruck, Haupt- und Barthaar als unfreundlicher Wind charakterisiert, dazu stimmen seine Epitheta bei den Dichtern (trux heißt er Ovid. met. XV 603; praeceps met. XI 481; niger Hor. epod. 10, 5), die freilich vom E. = Ostwind reden. Eben dieser (εὖρος ὃν ἀπηλιώτην) heißt bei Aristoteles (met. 364 b 19) feucht, bei Homer (Od. XIX 205f.) trägt er zur Schneeschmelze bei; auf den E. = Ostwind gehen auch die damit übereinstimmenden Epitheta aquosus (Hor. epod. 16, 54), madidus Lucan. I 219; nubifer II 459 (vgl. PLM 384 nr. 70, 14); ὑγρὸς Schol. Od. V 295. Hingegen sind die ἀπηλιῶται insgesamt ἄνικμοί τε καὶ ξηραντικοί nach Ptolem. Tetrab. I 8. Vom E. = Ostsüdost sagt Aristoteles (met. 364 b 19. 23), er sei ξηρός, τελευτῶν δ’ ὑδατώδης und sei καυματώδης, also ein Wind von Sciroccocharakter (wiederholt [Theophr.] de sign. 35. 36. Plin. II 126. XVIII 338). Feucht heißt dieser E. bei Suet. p. 230. 305 R. Von einem im griechischen Archipel nicht seltenen Luftspiegelungsphänomen (vgl. Ideler zu Arist. met. II 288f.) sagt Aristoteles, es trete besonders beim Wehen des E. auf, der auch die Gegenstände größer erscheinen lasse (met. 373 b 10; darnach probl. 26, 53 p. 946 a 33); ob solche Phänomene tatsächlich mit dem E. zusammentreffen, ist mir nicht bekannt. Als vornehmste Zeit für das Wehen des E. nennt Aristoteles (met. 364 b 3) die Winterwende; in den erhaltenen Parapegmen findet dieser Ansatz keine Bestätigung, wie denn dort E. überhaupt höchst selten genannt wird (Lyd. de mens. IV 123 p. 159 W. = de ost. p. 297 nr. 17 W. Eudoxos bei Gem. [14. September], Αἰγύπτιοι bei Ptolem. [15. November]); tatsächlich sind Ost und Südost wenigstens für Attika selten (vgl. Neumann-Partsch Phys. Geogr. v. Griechenl. 118. 125); für die italischen Verhältnisse vgl. Nissen Ital. Landesk. I 382f. 388 und Kauffmann o. Bd. I S. 2683. In gesundheitlicher Hinsicht gilt östliche Lage von altersher als gesund (Hippocr. de aere usw. 5 p. 38 Ilb.); im Widerspruch damit werden die εὖροι als ungesund bezeichnet bei Galen. XVI 401 K. (aus Antyllos nach Rose Anecd. gr. 23).

[Rehm. ]