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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Mograby
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 213–248
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[213]
22. Mograby.

Der fluchwürdigste Zauberer und der größeste an Gewalt, der ärgste aber an Bosheit war Mograby, das furchtbarste Werkzeug des Zatanai. Ueberall schweifte er auf Erden in tausend Gestalten umher, zu sehen wo er Unheil anrichten und Seelen verführen könnte, um das Reich seines Meisters zu vergrößern.

Mograby war auf dem höchsten Gipfel seiner Macht, als in Syrien Kalib zu Tadmor regierte, ein gewaltiger Fürst, der dreimal hunderttausend Reiter hatte, von welchen siebenmal siebentausend seine Leibwache waren. Seine Hauptstadt schimmerte von Palästen und allen Herrlichkeiten, weil Gewalt und Pracht fast immer beisammen sind.

Sultan Kalib hatte Alles, aber nur keinen Sohn, welcher der Erbe seiner Macht und seiner Reichthümer werden konnte, das verbitterte [214] ihm sein ganzes Leben. Er ließ in allen Tempeln bitten, der Himmel möchte ihm einen Sohn schenken, er spendete reiche Allmosen aus, er bauete große Spitäler, aber er bekam keinen Sohn.

Als er nun schon etwas alt zu werden anfing, und über seinen vergeblichen Wunsch recht unmuthig und mürrisch geworden war, hatte sich ein Mann in den Palast eingeschlichen, der wie ein Landmann gekleidet war, und Aepfel zum Verkauf ausrief. Der Mensch hatte ein widriges Gesicht, und ein Pflaster auf dem rechten Auge. – Es war Mograby.

„Aepfel! Aepfel! Aepfel für Leute, die keine Kinder haben!“ rief er. „Was hast du?“ fragte verwundernd der Großweßir, der eben zum König wollte. Der Händler wiederholte es ihm, und eröffnete ihm die geheimnißvolle Kraft seiner Aepfel.

„Wenn das wahr ist, sagte der Großweßir, was du von deinen Aepfeln rühmst, daß der Genuß derselben Kinder verschafft, so mußt du bald reich werden als ein König!“

„O nein! antwortete Mograby; denn mein Baum trägt im Jahre nur eine einzige Frucht, aber diese hat auch die Wunderkraft, ein Kind zu gewähren, gewiß in sich, so wie sie auch von Aussehen wunderschön ist.“ Mograby deckte seinen Korb auf und hob die Baumblätter ab, die den Apfel verdeckten, welchen der Weßir mit großer Aufmerksamkeit betrachtete.

Indeßen kam der Hofnarr herbei und machte sich mit seinen Späßen an den Händler, neckte ihn, und fragte, ob er ihm nicht auch ein Kind schaffen könne.

„Nimm diese große Haselnuß, antwortete Mograby, und setze sie dir an deine Nasenspitze, dann wirst du ja sehen, was sich begibt!“

Der Narr, in der Hoffnung, die Gelegenheit zu mancherlei Spaß zu bekommen, nahm die Nuß, setzte sie mit vielen Grimaßen [215] an seine Nase, und siehe da, sie saß fest und wurde fleischern, und der Narr hatte eine kleinere Nase auf der großen, worüber die Hofbedienten ein greuliches Gelächter erhoben. Die Bitten des Narren, ihm die fatale Nasenzugabe wieder abzunehmen, blieben unerhört. „Behüte! sagte Mograby, das würde dein eigner Schade sein! du hast so viel Mühe gehabt, Gelächter zu erregen, die kannst du jetzt ersparen, denn man wird schon lachen, wenn man dich nur ansieht. Merke dabei: daß man sich erst seinen Mann recht ansehen muß, ehe man ihn neckt.

Der Weßir geht nun, nachdem er Augenzeuge von dem Kunststücke mit der Nase gewesen ist, zum König, gibt demselben Bericht, und sucht ihn zu überreden, den Apfel um jeden Preis zu kaufen, denn es sei seine Pflicht auf Erbfolge für den Thron zu denken, und das Land gegen künftige Kriege zu sichern. – Wozu wüßte ein Hofmann nicht Vorwand!

Der König findet die Sache zwar bedenklich, aber wie oft sind unsere Wünsche mächtiger als unsere Vernunft. Er läßt sich den Apfel zeigen und findet ihn unübertrefflich. Aber ehe er in nähere Unterhandlung mit dem Verkäufer tritt, muß sich derselbe erst umkleiden laßen. Nun konnten Seine Majestät sich mit demselben einlaßen, nun es mit der Bekleidung seine Richtigkeit hatte, und boten dem Mograby viertausend Zechinen für den Apfel, wofern derselbe nur Sicherheit stellen könne, daß die gepriesene Kraft des Apfels nicht fehlen werde.

„Für die Sicherheit der Wirkung setze ich diesen Ring hier zum Pfande, sagte Mograby, indem er einen Ring aus seinem Körbchen nahm, sehet zu, ob er nicht wenigstens zwanzigtausend Zechinen werth sei?“

Man fand ihn noch mehr werth, und fragte, wie viel er denn verlange?

[216] „Werdet nicht entrüstet, gnädigster Herr, erwiederte Mograby. Es gibt Dinge, die um kein Gold feil sind, und mein Apfel ists auch nicht. Mir fehlt daßelbe, was sich deine Majestät wünschet – ein Sohn, der der Erbe meiner Reichthümer und meiner Wißenschaften sei. Die Kraft des Apfels ist für mich verloren, obwohl sie für dich sicher ist. Daher ist meine Bedingung, daß das erste Kind, welches durch des Apfels Kraft deiner Majestät Gemahlin bekommen wird, mein sei, wenn es ein Sohn ist, dein aber, wenn es eine Tochter ist.“

Der König gerieth in Wuth über die Unverschämtheit des Apfelhändlers, und wollte schon der Leibwache befehlen, den Nichtswürdigen niederzusäbeln, aber der Minister, der dem König oft mit dem Verstand aushelfen mußte – zuweilen sogar mit Unverstand – schlug sich auch hier ins Mittel.

„Gnädigster Herr, flüsterte der Minister seinem Herscher, in einem Winkel des Thronsofas, ins Ohr – er wußte aus langer Erfahrung, welch eine Macht solches Einflüstern hat – der Nichtswürdige wäre werth, niedergehauen zu werden, allein daß er auch gern einen Sohn haben möchte, ist ihm wohl nicht so ganz zu verargen. Laßt ihn doch seine Schätze, mit welchen er nicht scheint zu wißen wohin? auf Euren Prinzen vererben. Erwägt auch, daß der Schuft schon alt und ganz kraftlos ist. Ich glaube, der lebt kein halbes Jahr mehr. Die Hauptsache aber ist, daß ein König bei dreihundert tausend Reitern nicht Wort zu halten braucht, wie ein gemeiner Mann!“

Das letzte begriff der König am ersten, denn es war ihm seit langer Zeit sehr geläufig geworden. Man wurde eins, dem Verkäufer den Prinzen, den des Apfels Kraft hervorbringen würde, als Sohn zu überlaßen.

[217] Mograby unterrichtete den König nun über den Gebrauch des Wunderapfels. „Schneide, sagte er, den Apfel in zwei Hälften, ehe du mit deiner Gemahlin dich schlafen legst. Die eine Hälfte gib der Gemahlin, die andere iß selbst, und indem Ihr beide eßet, sprichst du laut die Worte: „O du verborgene Macht, die du die Kraft in den Apfel gelegt hast, gewähre uns ein Kind!“

Zu rechter Zeit und Stunde wurde ein Prinz geboren. Da war große Freude, aber auch große Bekümmerniß, daß der alte unheimliche Kerl sich melden, und den Prinzen fordern möchte, aber der meldete sich nicht. Der Prinz wuchs munter und frisch heran, und wurde von keinen Kinderzufällen geplagt, und als nach einigen Jahren der Apfelhändler sich noch nicht sehen ließ, dachten König und Weßir, derselbe sei todt. Nur wenn sie die sonderbare Nase des Hofnarren ansahen, wollte es ihnen zuweilen doch etwas bedenklich vorkommen.

Als Habed, so hieß der Prinz, dazu alt genug war, wurde er dem gelehrtesten Manne des Reichs und dem Obervorsteher der Geistlichkeit zu Lehre und Zucht übergeben. Der behielt ihn bei sich im Hause, und erzog ihn als ein ausgelernter Prinzenhofmeister recht steif und förmlich. Da durfte er nicht etwa lustig und frei und fröhlich mit andern Kindern spielen, die ihm etwa gefielen, falls sie zu tief unter ihm standen; oder – nein die Söhne der Krongroßbeamten waren seine Gespielen einzig und allein, und die waren Alle abgerichtet ihrem künftigen Herrn mit der allertiefsten Ehrfurcht zu begegnen und sich keines vertraulichen Wortes zu erdreisten. So lernten sie denn selbst auch ein gutes Stückchen Hofkunst, schon in der Kindheit.

[218] Als Prinz Habed nun bald das vierzehnte Jahr erreicht hatte, übertraf er alle seine Gespielen an Schönheit, Geist und Kenntniß, wenigstens sagte es der alte Gelehrte. Der entzückte Vater dachte schon daran, daß ihm sein Sohn nun bald helfen könnte, Land und Leute regieren. Mograby war ganz vergeßen.


Es meldet sich eines Tags ein Fremder in reicher Kleidung, und erhält Zutritt zu dem Könige, der umgeben von seinen Großen auf dem Thron saß.

Ein Schreckensruf fährt aus Aller Mund! „Es ist Mograby!“ und er war es. „Herr, sagt er, ich erinnere dich an unsern Vertrag und dein Fürstenwort. Ich habe dir die Freude an dem Prinzen an vierzehn Jahr gelaßen, jetzt aber fordere ich meinen Sohn, um ihn nach meiner Hand und Weise zu erziehen.“

Die zornfunkelnden Augen des Königs machten den Forderer nicht unruhig, denn er war keiner seiner Hofleute.

Der Weßir hielt ihm eine lange Rede, ihm seine Frechheit zu Gemüth zu führen, und ihn von der Raserei seiner Forderung zu überzeugen, aber Mograby sprach: „Weßir, ich spreche nicht mit dir, sondern mit dem Sultan, der sein Wort lösen muß.“

„Leibwache her! schrie der ergrimmte Fürst; greift und bindet ihn und schlagt ihm den Kopf ab. Er soll erfahren, wie Sultane ihr Wort lösen.“

Mograby wird auf den Schloßhof geführt und geköpft, und der Kopf rollt wie eine Kugel auf dem Boden herum, und als sie nun stille liegt, sieht man einen in der Mitte entzwei gehauenen Kürbiskopf, und zugleich einen mit Reißstroh ausgestopften Sack, der sich [219] von selbst entzündet, und einen gräßlichen Dampf verbreitet. Damit war Alles vorüber.

Jetzt saß der Fürst mit allen seinen Räthen rathlos und verwirrt da, und Keiner ersann ein taugliches Mittel.

Als der König am andern Morgen ausreitet, aber, aus Furcht vor Mograby, mit so viel Leibwache, als nur immer Platz hatte, stellt sich ihm auf einmal ein Derwisch in den Weg.

„Ich fordere meinen Sohn!“ spricht der Derwisch. – Es war Mograby! Die Wache muß den Tollkühnen greifen und ihn todt schlagen, und sie schlagen ihn auch rein todt, und als er nun todt ist, liegt ein Sack mit Erbsen da, die überall auf dem Platze umherrollen, und dann verschwinden.

Jetzt wurde der gute Rath immer noch theurer, und Hof und Land flehten um Hülfe zum Himmel.

Indeßen berathfragte man auch einen berühmten Sterndeuter. Dieser bespricht eine Schlinge mit Zauberworten, und versichert, Mograby sei gewiß in des Königs Gewalt, könne Jemand demselben nur schnell genug die Schlinge überwerfen und zuziehen. Das getraute sich der Hofnarr gar gut zu können, denn er war weit und breit der geschickteste Taschenspieler.

Am andern Morgen reitet der Sultan zum Tempel, den Sterndeuter und den Hofnarren zu beiden Seiten. Da springt ein Esel aus einem offenen Stall und brüllt den König furchtbar an: „Ich bin Mograby; gib meinen Sohn her!“

Gleich will der Narr die Schlinge überwerfen und der Sternseher eilt auch herbei. Sie bekommen Jeder einen tüchtigen Schlag von den Hinterhufen des Esels, der in die Erde versinkt. Plötzlich ist dagegen der Narr in einen kleinen schäbigen Esel verwandelt, aber ohne Schwanz und Ohren, welche sich beide am Hintern und am [220] Kopfe des Astrologen finden, deßen Verwandlung jedoch nur einige Stunden dauert. Auch der Narr wurde wieder zum Menschen.

Der Sultan setzt seinen Zug zu der Moschee mit Grausen fort, und des Prinzen Hofmeister muß, als der Oberste der Geistlichkeit, die heiligen Gebräuche verwalten, indeßen er den Prinzen mit seinen Gespielen in einen Hinterhof verschloßen hat.

Es saß aber mitten im Hofe auf einem großen Baume eine Eule mit einem Fläschchen im Schnabel, und während die Knaben spielen, läßt sie ein Tröpfchen aus dem Fläschchen auf den Kopf des Prinzen fallen. Der Prinz ist auf einmal fort und statt seiner ist eine Maus da, die ängstlich ein Loch sucht; aber die Eule stürzt auf die kleine Maus herab, und führt sie davon. – So hatten es die Gespielen gesehen.

Als der König in seinen Palast zurückkehrt, findet er auf seinem Tische ein Blatt von Mograby. „Dein Sohn, hieß es in demselben, gehört der Macht, die du anriefst, als du den Apfel aßest. Ich werde ihn dieser zubringen!“

Der Weßir kam mit dem Prinzenhofmeister. Die Bestürzung und die Angst waren groß, der Thränen viel und die Aeltern wollten verzweifeln. – Der Hofmeister tröstete, der Himmel werde den Prinzen erretten; sein Herz sei gut; sein Glaube an Muhamed stark, und seinen Koran könne er fast auswendig. So könne er weder am Leibe noch an der Seele untergehen. –

Mograby gab seiner Maus den Menschenkörper erst tief in einer Wüste wieder, und fragte den Prinzen in widriger Gestalt, und mit barscher Stimme und Gebehrde: „Kennst du mich?“ – „Nein, antwortet der erschrockene Prinz; wie sollt ich denn, da ich dich niemals gesehen habe?“

[221] „Wohlan! so sollst du mich kennen lernen, sagte der Zauberer, indem er dem Prinzen eine entsetzliche Ohrfeige gab. Ich bin Mograby.“ Der arme Jüngling, der nicht einmal eines Verweises gewohnt war, als nur des allersanftesten, war betäubt und bestürzt.

„Du schläfst nicht und träumest nicht, Knabe, sagte der Zauberer. Ich heiße Mograby. Hast du nie von mir gehört?“

Habed antwortete, er habe wohl etwas von einem Apfel gehört, den Mograby gebracht, und den sein Vater und seine Mutter zusammen gegeßen hätten.

„Was gaufst du von deinem Vater und deiner Mutter? sprach der Zauberer; du bist aus den Kernen meines Apfels entstanden.

Habed versicherte, seine Mutter habe ihn geboren; da empfing er aber die zweite, viel fürchterlichere Ohrfeige, und die Gestalt des Zauberers war noch viel gräßlicher und grimmiger geworden.

„Ich will dich lehren, sagte Mograby, weßen du bist, dein sogenannter Vater und Mutter taugen nicht einmal zu Mauleseln in meinem Stalle. Laß sehen, ob du etwa von dieser Raçe bist!“

Er besprengte ihn mit ein Paar Tropfen Waßer, das sich in einem hohlen Felsstück gesammelt hatte, und Habed wurde zum Maulesel, den der Zauberer bestieg und mit den unbarmherzigsten Hieben zum schnellsten Rennen antrieb, so lange, bis er kraftlos niederstürzte. Habed wollte Muhamed anrufen, brachte aber nur Töne hervor, vor welchen er selbst erschrack.

Sie waren am Fuße eines fürchterlichen Felsengebirges, das mitten in der Wüste da stand, als Habed niederstürzte.

Noch hieb der Zauberer so lange auf ihn los, bis er seinen Arm nicht mehr heben konnte. „Dir fehlts an Erziehung, sagte er, aber ich will sehen, was ich aus dir noch herausbringe.“

[222] Er schöpfte Waßer aus einer aus dem Felsen rieselnden Quelle und bespritzte ihn damit, indem er sagte: „Knecht des Schatanai, nimm deine Gestalt wieder an!“

Da lag der arme Habed in menschlicher Gestalt, mehr als halbtodt, und zerrißen von blutigen Wunden und mit unterlaufenen Striemen. Der Zauberer tauchte ihn in die Quelle, wodurch der grausam Verwundete wieder zu sich selbst kam.

Mograby lehnte ihn an den Felsen an, und fragte: „Nun, sage mir, Habed, weßen Sohn bist du?“

Bei der guten Lehrart, die Mograby hatte, konnte die Antwort nicht fehlen. Es war dieselbe, die noch da und dort im Gange ist, wenn man den Leuten guten Willen machen will, Gut oder Blut herzugeben, Vermögen aufzuopfern und Heldenmuth zu bekommen. Es ist eine ganz sichere Lehrart.

„Ich bin doch wohl, versetzte kläglich der arme Habed, der Sohn des Apfels und also dein Kind; aber da sei doch auch mitleidig gegen mich!“ Ach, was lehrt die Angst und Noth dem Menschen nicht sprechen! Lehrt sie doch Tyrannen wie Gott verehren!

„Dein Glück, sagte der Zauberer, daß du zur Erkenntniß kommen willst. Ich denke schon, es wird noch Etwas aus dir herauszubringen sein, zumal da ich das verhaßte Blut der Treulosen, deren Kind du zu sein glaubtest, aus dir heraus habe. – Es hat mir leid gethan, daß ich dir Schmerzen machen mußte; aber es war der kürzeste Weg. – Und nun! sei gehorsam und gescheut, so wirst du einen guten Vater an mir haben, der dich aber durch die Poßen von Macht und Hoheit eines Fürstensohns, womit man dich schon verzogen hat, nicht will zum ganzen Narren werden laßen. Willst du aber nur selbst, so sollst du höhere Gewalt und auch Weisheit erlangen, als kein Fürst auf Erden hat.“


[223] Mograby nahm aus einem Beutel ein Büchlein[WS 1], machte ein Feuer an, um welches er, heimliche Worte sprechend, herum ging, warf einiges Räucherwerk hinein und sagte endlich überlaut: „Mächtiger Schatanai, König des Erdkreises, zwei deiner Kinder wollen sich in deinem Freudengarten erquicken; öffne ihnen den Eingang!“

Da bebte der Erdboden und einige Donnerschläge durchdröhnten die Felsen und der halbtodte Prinz sank ohnmächtig hin, aber der Zauberer hielt ihm eine Eßenz vor, die ihn wieder zu sich selbst brachte. Vor den Zauberworten hatte sich eine dunkle Grotte im Felsen geöffnet, durch deren Windungen der Zauberer seinen Zögling führte. Als sie hindurch waren, schloß sich die Grotte wieder mit donnerähnlichen Krachen.

Sie traten in eine herrliche Gegend, wo die lieblichste Luft wehete, Gewächse und Blumen in außerordentlicher Fülle und Schönheit prangten, Quellen rieselten, da und dort Heerden weideten ohne Schüchternheit und Scheu, und prächtig gefiederte Vögel durch die Lüfte flatterten, und von weitem erblickte Habed einen überaus großen Palast von schimmerndem Glanze.

„Siehe, ob es hier schön ist? mein Sohn, sprach Mograby. Alles, was du hier siehst, gehört mir, aber dir eben so wohl, wenn du mir folgen wirst. Aber das ist das Geringste von dem, was ich dir zugedacht habe. Du hättest wohl nicht gedacht, wie lieb dich dein Vater Mograby hat, weil er dich züchtigte, aber die dummen Fürstengrillen mußten erst aus dir heraus. Du hättest gewiß gedacht, die ganze Welt wäre für deine Laune gemacht, wärst du in deiner vormaligen verhätschelnden Zucht geblieben, und hättest gemeint, für alle deine dummen Prinzeneinfälle müßtest du noch hohe Verehrung erlangen; hier sollst du es aber beßer lernen.

[224] Ich selbst werde dich erziehen, mein Sohn, und dich nicht fremden Händen anvertrauen, wie der that, welcher dein Vater sein wollte. Damit dich Niemand verwöhne, hab ich alle Leute aus dem Palaste gejagt, du aber sollst dennoch vergnügt leben und ich selbst will dich bedienen, weil ich dein wahrer Vater bin.

Während der Zauberer so sprach, wurde seine gräßliche Gestalt immer erträglicher und freundlicher, und der Prinz fand sich in einer sonderbaren Verwirrung des Gemüthes, voll Zweifel und Vertrauen, voll Widerwillen und Zuneigung, die Furcht aber herrschte hervor, und machte ihn vorsichtig.

Der Palast war weit prächtiger, als der seines Vaters, aber nirgends ein menschliches Wesen darin, und alle Thüren waren geöffnet. Durch Säle und Gänge ging es in ein Nebengebäude mit Springbrunnen und Waßerbecken, deßen krystallhelle Strahlen in wunderbaren Farben und mit allen Lichtern des Regenbogens spielten. Die weichsten Sofas, die kostbarsten Geräthe schmückten die Säle und Zimmer, und vier hohe Fenster, die das Licht einfallen ließen, enthielten vier Vogelhäuser von Golddrath, wo das luftige, farbenglänzende Gefieder zwitscherte und sang und unter Blumen, unter duftenden Orangenbäumen und Luststräuchern hüpfte und spielte.

„Hier soll dein Studirzimmer sein, sagte Mograby, wenn es dir gut genug ist. Ruhe auf einem Sofa aus, indeßen ich das Abendeßen besorge, du wirst der Ruhe wohl nöthig haben. Auch werd ich dir ein Bad besorgen, welches alle deine Schmerzen heilen wird.“

Der Prinz versank in tiefe Gedanken; aber der Zauberer brachte ihm bald ein Körbchen des auserlesensten Obstes, und als Habed davon gegeßen hatte, führte er ihn ins Bad, in einem Saal, voll der herrlichsten Wohlgerüche. Er salbte ihn, er drückte, wie mit weicher [225] Mutterhand die schmerzhaften Stellen, und in weniger Zeit war der Prinz so heil und frisch, als er am Morgen dieses Tages gewesen war. Der Zauberer kleidete ihn sogleich in den bequemsten Nachtanzug und führte ihn zum Abendeßen in einen mit lauter Kronenleuchtern erhellten Saal, wo die ausgesuchtesten Gerichte und die erquickendsten Weine sich fanden.

Habed aß mit bester Eßlust, und während er dem Mograby gegenüber saß, fiel es ihm immer mehr auf, daß derselbe das Gesicht eines ehrwürdigen Greises hatte, und selbst die Stimme so mild und sanftklingend geworden war.

„O! sagte Habed auf einmal in seiner Unbedachtsamkeit; du bist gewiß doch der böse garstige Mann nicht, der mich entführt und in einen Maulesel verwandelt und mich so entsetzlich gehauen hat?“

„O! mein Kind, hieß die Antwort, ich bin furchtbar häßlich, triefäugig, einäugig und zornig, wenn man mir widerspenstig ist, und wenn ich Leute mit Verdruß ansehen muß; aber gegen einen lieben Sohn bin ich immer so, wie du mich jetzt siehst. Hältst du mich denn aber für deinen rechten Vater?“

„O gewiß! erwiederte Habed, der schon die Blitze des Grimmes in den Augen des Alten sahe! Gewiß! jetzt wüßte ich nicht, wer es sonst sein könnte!“

Der Zauberer umarmte ihn zärtlich. Habed that sich bei Tische gütlich, ging und schlief, und verschlief Schmerzen, Angst und Bedenklichkeit.

„Komm, mein Sohn! sagte am andern Morgen der weckende Alte zu Habed. Der Morgen ist so schön, ich will dich ankleiden!“

Mograby legte seinem Sohn eine leichte Jagdkleidung an. Der Morgen war so schön, als Habed noch keinen erlebt hatte, auch hatte [226] er noch nie eine so reizende Gegend gesehn. Tausend Dinge wurden ihm gezeigt, die er noch gar nicht, oder so schön und herrlich nicht gesehen hatte. Der Zauberer unterrichtete ihn, daß sie mitten in einem, von den Felsengebirgen des Atlas umschloßenen Thale sich befinden, welches er mit Quellen, Pflanzen und allerlei Gethier versehen, und aus einer dürren Sandwüste in einen Lustgarten umgeschaffen habe. Hier möge Habed sehen, was des Menschen recht ausgebildete Kraft vermöge, und er wolle ihm zu dieser Ausbildung verhelfen.

Sie kamen an das Ufer eines klaren Baches, in welchem lustige Fische spielten. Eine Gazelle, die am Ufer des Flußes stand, um zu trinken, erlegt Mograby mit seinem Pfeil, und bald darauf Habed ein junges Reh, welches aus dem Gebüsche hervorsprang. Bald drauf schoß der Zauberer mit seinem Pfeil einen Fisch mitten in den Fluthen. Habed sprang ins Waßer und holte ihn. Der anstellige Lernling bekam von seinem Meister Lobpreisungen und liebkosende Worte.

Mograby zeigte seinem Sohn den Hünerhof, den Viehhof für das Zucht und Schlachtvieh; die Menagerie für wilde und reißende Thiere, Löwen, Tiger u. dgl. und dann ein sehr großes Vogelhaus, wo die Vögel unter lauter Bäumen und Gesträuchen lebten, deren Früchte, Beeren und Samen ihnen angenehm, und die aus allen Erdtheilen hier zusammengebracht waren. Der Rasenboden des Vogelhauses wurde von einer klaren Springquelle bewäßert, aus welcher sich in kleinen Gerinnen das Waßer überall hin vertheilte. In dem Baumgarten, durch welchen sie zurückgingen, pflückte sich Habed die schönsten Früchte, die er in sein Studirzimmer trug, wo er eine andere Kleidung fand, die er anlegte.

O wie glücklich wäre der Jüngling gewesen, der sich frei regen [227] und bewegen durfte, hätte nicht heimliche Furcht und stilles Verlangen nach den Aeltern ihn gemartert. Die liebkosenden Worte des Alten thaten ihm wohl, aber es blieb eine gewiße Beängstigung dabei in seinem Herzen.

Mit den schönsten Vergnügungen unterhält der Zauberer von nun an seinen Sohn und bezeigt ihm eine innige Liebe. Das junge Herz vergißt die erlittenen Mißhandlungen immer mehr; sein Mißtrauen und seine Beklemmungen verlieren sich immer mehr, und Habed, der scheinbar frei und unbeschränkt leben darf und keineswegs den Zauberer immer zum Geleitsmann hat, fühlt sich immer glücklicher und fängt täglich immer mehr an zu glauben, der ehrwürdig freundliche Alte möchte dennoch wohl sein wahrhaftiger Vater sein, obwohl er sich im Herzen nicht recht dazu verstehen konnte, seine Mutter nicht für seine Mutter zu halten, so sehr ihn auch der Zauberer mit seinen Vorspiegelungen gegen Mutter und Vater einzunehmen suchte.

Der Prinz lebte aber nicht etwa blos unter zerstreuenden Vergnügungen, sondern der Alte zog ihn auch allgemach in seine geheimen Wißenschaften hinein. Er versprach ihm viel Wunderdinge zu lehren, wie die Zedern ihre Gipfel vor ihm neigen, die Löwen sich vor ihm dehmüthigen, und die Stürme auf seinen Wink gehorchen sollten. Solche geheime Künste haben schon viele angezogen, aber auch dann in die Abgründe des Verderbens hinabgezogen, zumal junge Menschen, die am meisten geneigt sind, sich irre führen zu laßen, besonders wenn das ehrwürdige Angesicht eines erfahrnen Greises mit wohlwollendem treuherzigen Worten den Betrug vollendet.

Der Alte führt seinen Zögling in die Bibliothek. „Hier, sagte er, findest du die besten Werke über alle Fächer der menschlichen [228] Erkenntniß, und hier kannst du den Anfang mit deinen Studien machen. Ich werde dir, wo es nöthig ist, schon nachhelfen, und wenn du guten Willen hast, so wird Alles leicht werden und schnell vor sich gehen.

Habed warf sich mit großem Eifer auf die Wißenschaften, besonders weil ihm die verborgenen Dinge anzogen. Mograby half überall nach, und so waren die Fortschritte reißend. Oftmals mußte der Lehrer den Schüler in seinem allzugroßen Eifer unterbrechen, damit er sich durch Jagd und Fischerei wieder erholte, oder den Reitstall besuchte, wo er Pferde fand, viel schöner, als er sie in den Ställen seines Vaters nicht getroffen hatte, und dazu noch in größerer Menge. Der Prinz war schon im Reiten geübt, aber Mograby lehrte ihn, mit den Pferden so zu sprechen, als ob sie Menschen wären, die ihn verständen.

Nach und nach lernte Habed immer mehr geheimnißvolle Kunstdinge. Eine erlegte Gazelle berührte er nur mit dem Stabe, und sprach Ein Wort, so zog sich das Wild selbst die Haut ab, und zerlegte sich in Stücke. Er sagte der Pfanne nur: „Pfanne, thue, was dir gebührt,“ so praßelte das Fleisch von selbst und wandte sich um. So war es mit Allem, was die Küchensachen anging.

Diese Künste, sagte der Zauberer, lehre er dem Prinzen deshalb zuerst, damit sich derselbe leicht helfen könne, wenn Mograby genöthigt wäre abwesend zu sein, welches schon morgen früh der Fall sein würde. Auf die Worte: „im Namen des Herrn der Geister, gehorche dem Kinde vom Hause;“ würde ihm Alles unterthan sein. Mograby ermahnte ihn, seine Studien fortzusetzen. Zu seinen Erholungen stände ihm Alles bereit und alle Thüren würden sich ihm willig öffnen.

[229] Habed fand sich am andern Morgen allein, und theilt seinen Tag genau so zwischen Studien und Vergnügungen, als ihm vorgeschrieben war, und that es um so williger, weil er wohl sahe, wie viel er durch Mograby in aller Art Wißenschaft weiter gekommen war, als vorher. Er hätte jetzt selbst Lehrer seines gewesenen Hofmeisters sein können. Die Dankbarkeit band ihn immer fester an den Alten, obwohl es ihm unmöglich war, Liebe gegen ihn zu empfinden, wie gegen seine Aeltern.

Eines Tags sagte er in seinem Studienzimmer laut vor sich hin: „die Naturlehre und die Größenlehre (Physik und Mathematik) möchte ich am liebsten einzig und allein studiren, aber das ist mir verboten, und ich wäre höchst undankbar gegen so viele Güte meines Wohlthäters, der mich schon so weit gebracht hat, wenn ich nicht blind folgen wollte.

Es war ein Glück für Habed, daß er so dachte und es laut sagte. Mograby war nicht abwesend, sondern unsichtbar auf allen Tritten bei ihm, um die Gesinnungen seines Zöglings genau kennen zu lernen. Er erschien wieder am Tage darauf, und Habed erzählte demselben, was Mograby schon wußte, nämlich wie weit sein Zögling es in Wißenschaften und Leibesübungen in den Tagen daher gebracht, wie er die Kleiderkammer gezwungen, ihm andere Kleider zu liefern, und wie er sich zum Herrn über Alles gemacht habe.

Mograby war entzückt über die Dankbarkeit und Aufrichtigkeit seines Zöglings, denn seine Hoffnung wuchs dadurch, in kurzer Zeit aus demselben ein mächtiges Werkzeug des Schatanai zu bilden, und sich durch ihn bei seinem Oberherrn noch größere Gunst zu erwerben.

Nach mehrern Monaten, in welchen Habed in geheimnißvollen Dingen unglaublich weit vorgerückt war, mußte Mograby im Ernst verreisen und zwar auf ungewiße Zeit.

[230] „Wahrscheinlich, sagte er zu Habed, werde ich dießmal länger von dir abwesend sein müßen, als es meine Liebe zu dir wünscht. Indeßen, es ist jetzt an der Zeit, daß du deine Studien verdoppelst. Was deine Vergnügungen betrifft, so kennst du fürwahr unsern Bezirk noch lange nicht durchaus. Ich habe dir von Vielem nichts eröffnet, weil es dir größere Freude machen wird, es selbst aufzufinden. – Hier sind die Schlüßel zur Bibliothek, die dir von nun an offen steht. Komm! wir wollen hinein!“

Als sie hineingekommen waren, fuhr er fort: „Dieses Fach hier enthält vierzig Bände, die zu den vierzig Pforten aller geheimnißvollen Weisheit führen. Du sollst dir nur vor der Hand die zwölf ersten recht zu eigen machen. Du wirst viel daraus lernen, aber ich verbiete dir eher eine Anwendung davon zu machen, als ich wieder da bin.

Habed mußte dem Zauberer sein Ehrenwort geben, daß er ihm hierin folgen wollte. Der Zauberer umarmte seinen Zögling zum Abschiede aufs zärtlichste. Ein schwacher Stoß von Erdbeben und einige dumpfe Donnerschläge waren das Zeichen seines Durchgangs durch die Felsen.


Der Prinz nimmt sogleich, nachdem er allein war, den ersten von den zwölf Bänden, der ihm anfangs ganz unverständlich ist, aber er findet bald, daß die Deutung auf Rechnungen beruht, und, wie bei allen Wißenschaften, ging es auch hier desto leichter und schneller, je beßer das Vorhergehende begriffen war, und je tiefer er hineinkam, und in wenigen Tagen war er mit allen zwölf Bänden durch.

[231] Er wagte sich an den dreizehnten Band, aber hier halfen ihm alle seine Mühe und seine schwersten Rechnungen gar nichts. Er bittet den großen Propheten Muhamed um Erleuchtung, den er beinahe schon vergeßen hatte. Er geht mit Bitten zum Propheten zu Bette, und hat ein Traumgesicht, welches ihm den Schlüßel zum Verständniß des Buchs gibt, indem es ihn anweist, daß er (gegen Sitte der morgenländischen Sprachen) von der Linken zur Rechten lesen, und dann Rechnungen anstellen solle, wodurch er alle Nachweisungen erhalten werde.

„Bist du mit deiner Arbeit fertig, hieß es im Traum, so geh in des Zauberers Zimmer, wo du eine weiße marmorne Bildsäule finden wirst. Gib dieser eine Ohrfeige auf den rechten Backen und sprich: „Thue deine Schuldigkeit für das Kind vom Hause:“ so wird sie auf die Seite treten, und die Wand hinter ihr wird sich öffnen und du wirst mancherlei Dinge sehen.“

Habed war sogleich völlig wach, geht in die Bibliothek, und nimmt den dreizehnten Band und arbeitet so emsig, daß er mit Anbruch des Tages so weit ist, als er zu sein wünscht. Ein Capitel in diesem Bande hatte ihn vorzüglich beschäftigt; das: wie man erfahren könne, ob ein Thier ein verwandelter Mensch sei, und wie man ihm die Sprache wiedergeben könne. Der Prinz nahm sich vor an den Löwen und Tigern Versuche anzustellen und glaubte dabei sein Ehrenwort nicht zu brechen, welches er ja nur für die Nichtanwendung der ersten zwölf Bände gegeben hatte.

Er geht zuvor aber erst in das Zimmer des gefährlichen Zauberers, findet die Bildsäule, gibt ihr eine Ohrfeige und kommt in ein großes Vogelhaus, wo lauter Vögel sich finden, welche leicht sprechen lernen. „Wer da? Wer da?“ schreien sie allzumal, nur ein [232] großer Hara (Papagei) schrie nicht, welcher mit einer Stahlkette an der Klaue gefeßelt war.

„Warum liegst du an der Kette?“ fragte der Prinz; bist du denn so böse? – Der Vogel nickte traurig mit dem Kopfe. – „Warum sprichst du nicht? bist du vielleicht ein verwandelter Mensch?“ – Der Vogel nickte noch trauriger.

„O! sagte Habed, Muhamed, den ich angerufen habe, hat mich gewiß nicht ohne Ursach hieher geführt.

Auf einmal schrieen alle Vögel, „Muhamed! Muhamed!“ und der Hara war sehr unruhig.

„Laß mich drei Federn von deinem Kopfe nehmen;“ sagte der Prinz zu dem Hara; und der Vogel hielt den Kopf hin. Habed zündete ein Feuer an, warf Räucherwerk und die drei Federn hinein und sprach: „Bist du ein Mensch, so sprich wieder.“

„Leider bin ich ein Mensch, sagte der Hara bekümmert, und ein sehr strafbarer, denn ich habe mit dem Zauberer viel Böses begangen, aber ich sehe, Gott ist barmherzig und hat uns in dir einen Helfer gesendet.

Als der Prinz fragte, ob er ihm menschliche Gestalt wiedergeben könne, sagte der Vogel: „Ja, aber erst dann, wenn du den Bösewicht besiegt hast. O! fuhr er fort; du scheinst nicht zu wißen, wo du bist. Es gibt deren viele hier, die noch weit unglücklicher sind als ich, und die der gräßliche Zauberer mit den langsamsten Qualen hinmartert. – Gehe, Prinz, und richte eine Mahlzeit von leichten Speisen zu. Nimm einen Wagen und fahre bis zum Fuße des Gebirges gen Osten und vergiß nicht, vom Lebenselixir mitzunehmen, welches du ja kennen wirst. Gib der schwarzen Bildsäule, die du dort antreffen wirst, eine Ohrfeige auf den linken Backen, gehe mit Licht in die Höhle, die sich dir zeigen wird, und deren Eingang [233] das Fußgestelle der Seule verdeckte, und findest du dann noch vier unglückliche Schlachtopfer am Leben, dann kannst du mich auch erlösen.“

Den Prinzen grauste es bei den letzten Worten, aber er eilte, um Alles zu vollbringen, indem er seufzte: „unter welche schändliche Macht bin ich gerathen! O Muhamed rette uns!“

Habed kam zur Bildsäule und stieg auf einer Treppe in ein großes Gewölbe hinab, in welchem er bald genug ein Wimmern und Aechzen vernahm. Er kam zur Oeffnung eines Brunnens, über welchem Menschenkörper, in denen zum Theil noch Leben war, mit den Füßen aufgehenkt waren. Unter Vielen findet er noch vier, welchen er mit dem Elixir ein wenig wieder ins Leben half, sie behutsam auf seinen Wagen ladete und zu dem Palaste hinbrachte. Durch kostbare Arzeneien und durch die zugerichtete Speise kehrten sie wieder ins volle Leben zurück, und dankten ihrem Erretter mit Thränen, nachdem sie sich überzeugt hatten, daß derselbe kein Werkzeug des Bösewichts sei.

Nachdem sie sich stark genug dazu fühlten, erzählten sie, wie sie hierher gekommen waren. Es fand sich, daß sie allesammt Prinzen waren, um welche Mograby ihre Aeltern durch seine boshaften Künste betrogen hatte, und daß sie auf ziemlich gleiche Weise, wie Habed, waren gemißhandelt worden. Auch der Hara erzählte seine Jammer und Leidensgeschichte. Er war eine Prinzeßin von Yemen in Arabien, und eine zeitlang die Frau des Zauberers gewesen, den er daher am besten kannte, zumal da er in der Zauberkunst es noch viel weiter gebracht hatte, als der Prinz Habed. Durch einen Geist, den Zulma – so hieß die Prinzeßin – aus Mograbys Gewalt heimlich erlöst hatte, wußte sie die ganze Zaubergeschichte dieses [234] Bösewichtes, und die Art, wie die Macht deßelben vernichtet werden konnte, wovon sie den Prinzen genau unterrichtete.

„Macht Euch, Ihr Prinzen, sprach sie, unverzüglich auf und bemächtigt Euch der vereinigten Asche von Mograbys Aeltern, die unter der Ebene vor den Thoren der Stadt Harenahy verborgen ist. Du, Habed, hast in dem Waldgarten Mograbys unmöglich einen Vogel unbemerkt laßen können, welcher einst Salomo gehörte und Feßefzeh genannt wird. Sein Herr hat ihn mit wunderbaren Eigenschaften begabt. Sucht ihn und sprecht: „Lieber Vogel, wir greifen dich im Namen Salomos, zum Dienste des großen Propheten Muhameds;“ so wird er sich selbst Euch in die Hände liefern. Tödtet ihn sodann, welches er, wie ich weiß, erwartet und wünscht; bewahrt seine Federn sorgfältig, verbrennt dann zuerst sein Herz, und sodann seinen Körper. Nehmt die Hälfte von der Asche des erstern und streut sie auf ein Räucherwerk, so wird sich der Felsen Euch zum Durchgang öffnen. Seid Ihr hierauf in die Wüste gekommen, so nehme ein Jeder von Euch eine Schwanzfeder, zwei Schwungfedern und zwei Kronenfedern von dem Vogel, und sprecht: „Federn von Salomos Boten, bringt die Arbeiter des Propheten ans Werk;“ und Ihr werdet Euch schnell vor Haranhys Thoren unter Palmbäumen finden, von welchen sich einer an Wuchs und Größe auszeichnet. Zieht um demselben einen Kreis von dreißig Schritten, werfet einen Theil von Asche des Vogelkörpers auf die Rauchpfanne und räuchert im Kreise umher, und die Erde wird erbeben und an der rechten Stelle unter den Wurzeln des Baumes die Oeffnung sich finden, welche zu dem Grabmale der Aeltern Mograbys führet.“

Alles geschahe, wie der Hara, oder vielmehr Zauberer, gesagt [235] hatte, aber auch für das, was weiter erfolgen würde, hatte sie Unterricht ertheilt.

Habed hob die Marmorplatte ab, welche die Oeffnung des Grabmals bedeckte, und ging mit seinen Begleitern auf einer Treppe in finstere Tiefen hinab. Die Federn von Salomos Vogel flatterten leuchtend vor ihnen voraus. Sie kamen in eine lichte Ebene, über welche sich ein reiner blauer Himmel wölbte. Rieselnde Quellen durchperlten die Ebene und das lieblichste Obst aller Art stand überall lockend und reitzend.

Sie waren Alle hungrig und durstig, aber sie erquickten sich nicht mit dem Obste, sie tranken nicht aus den Quellen. Habed war von dem Hara gewarnt worden. „Streiter des Propheten, rief er seinen Gefährten zu, das Große und Schwere wird nur durch Versagungen erlangt. Enthaltet Euch! Wir sind nicht des Eßens und Trinkens wegen hieher gedrungen. Meidet die Fallstricke des bösen Zaubers.“

Sein ermuthigender, tapferer Zuruf siegte über das Verlangen der Gefährten. Aber jetzt kamen sie in eine Sandebene, wo die scheitelrechte Sonne sie fast zu verbrennen drohete und sie bis über die Knöchel im Sande, wie in glühenden Kohlen wadeten. Hie und da aber liefen am Wege schattige, kühlende Baumgruppen hin, unter welchen der Rasen sammetweich und erfrischend war; aber es waren auch nur Versuchungen des Zaubers, die sie, obwohl nur mit großer Ueberwindung, besiegten. – Eine noch listigere Falle war ein Feld mit Mohn, durch welches sie hindurch mußten. Die Mohnblumen machten betäubt und schläfrig. Hätte nicht Habed angeordnet, die Blumen, so weit sie dieselben vom Wege aus erreichen könnten, nieder zu treten, so hätten sie sich gewiß der Schlaftrunkenheit hingegeben und wären vielleicht einige Jahrhunderte [236] schlafend geblieben. Aber durch Habeds Anordnungen retteten sie sich, denn der Schlaftaumel wich von den umnebelten Sinnen.

Sie kamen an einen Hügel, auf welchem ein großer Dom glänzte. Ein unergründlich tiefer Graben umzog den Hügel; aber unsere Helden konnte er nicht aufhalten, denn Feßsefzehs Federn trugen sie hinüber. Unter vielen Treppen, die den Hügel hinaufführten, fanden sie die einzig haltbare durch Räuchern mit der Vogelasche auf, die andern aber verschwanden.

Sie kamen bis an die Schwellen des Doms. Vier goldene Pforten führten in denselben hinein, aber nur durch Eine konnte man hineinkommen, durch diejenige, deren Gold, bei der Beräucherung mit der Vogelasche, unverändert blieb. Dieß war die Pforte gegen Osten hin, die sich mit dem Getöse eines Donners öffnete, als Habed dreimal mit seinem Schwerdte an derselben anklopfte. Ein greulicher Riese trat aus der Pforte gegen Habed hervor und hob eine stählerne Keule auf, ihm den Schädel zu zerschmettern. Aber ehe diese niederfiel, hatte der Prinz den Riesen, im Namen der vier und zwanzig Bücher des Ananias beschworen, und die Gestalt des Ungeheuers zerfloß in einem schwarzen Dampfe. Einen der Prinzen bestellte Habed, mit gezucktem Säbel den Eingang der Pforte zu bewachen, indem er selbst zu der zweiten Pforte ging, aus welcher zwei große Löwen hervorbrachen, die aber ebenfalls in Dunst zergingen, da sie bei Salomos Siegelring beschworen wurden. Der Wächter der dritten Pforte, ein ungeheurer Lindwurm, löste sich auf gleiche Weise auf, als er bei Muhameds Säbel dazu aufgefordert wurde. Ebenfalls verwandelte sich in der vierten Pforte ein Beil, das haarscharf war, und viele Zentner wog, in demselben Augenblick, als es auf Habeds Hals niederzufallen drohete, [237] in ein Bündel leichter Flaumfedern, da es bei Moses Stab beschworen wurde.

Alle Pforten waren geöffnet, und in jede derselben hatte Habed einen seiner begleitenden Prinzen als Hüter gestellt, die bei jeder Gefahr, welche von Außen drohete, im Namen Muhameds die Säbel schwingen mußten. Diese Vorsicht war sehr nöthig, weil in demselben Augenblick, als Habed durch die goldene Pforte gegen die Mitte des Doms vordrang, die Geister aller Elemente losgekettet wurden, um die Bildsäule des Obersten der bösen Geister, des Satanai oder Kokopilesobehs, nebst der Urne zu entführen, in welcher die Asche von Mograbys Aeltern enthalten war.

In ungeheurer Riesengestalt saß die goldene Bildsäule Kokopilesobehs auf einem goldenen Thron. Aus den Augen fuhren Blitzflammen, und ein feuriger Pfeil zielte furchtbar nach Habeds Herzen, aber Pfeil und Bogen zergingen in Rauch, als sie von dem Prinzen bei den heiligen Buchstaben auf der Stirnbinde des Hohenpriesters der Juden beschworen wurden. Jetzt entriß der kühne Held der Bildsäule den Fingerreif, welcher, so groß er auch war, sich an Habeds Finger anschmiegte und ihn zum Herrn des Geisterreichs machte. Hierauf bemächtigte er sich der Urne, worauf die Vernichtung des Zaubers ankam und die auf den Knien der Bildsäule ruhete. Mit der verkehrten Hand, an welcher der Prinz den Ring trug, schlug er das riesige Bild und sprach: „Verruchtes Bild des bösesten Wesens, sei vernichtet durch die Mächte, die dir das Dasein gaben.“

Die Geister des Ringes hatten die Bildsäule gemacht und diese mußten sie auch wieder vernichten. Sie kamen unter lauten Donnerschlägen, und die finsterste Nacht erfüllte den Dom. Mit einem Krachen, als ob eine Welt untergehen wollte, wurde der Koloß gestürzt [238] und verschwand. Jetzt war der ganze Zauber vernichtet, der in dieser unterirrdischen Gegend geherrscht hatte. Der Dom zerfiel in Staub, der Himmel mit seinem Lichte, die Quellen, die Bäume – Alles war plötzlich verschwunden, und nichts blieb übrig als eine ungeheure natürliche Erdhöhle mit ihren Gängen und Schluchten. Habed behielt seinen Muth, obwohl er mit seinen Gefährten in der dicksten Finsterniß stand und nicht wußte, wohin er sich wenden sollte.

Er bemerkte ein schwaches Leuchten an dem Ringe, und rieb denselben. Da sprühten hell leuchtende Funken aus dem Ringe und ein Geist in Menschengestalt mit vier andern in Thiergestalt trat hervor und sprach: „Befiehl den Elementen; mit diesem Ringe bist du ihr Meister.“

„So schaffet Licht für uns,“ befahl Habed, und eins der Thiere fing an zu leuchten und tausend Fackeln erhellten die Erdhöhle.“ Bevor wir zurückkehren, sprach Habed, haben wir, gleich auf der Stelle, noch eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen. Zulma muß ein Zeichen haben, daß unser Werk gelungen ist, und ihrer Feßeln entledigt werden.“ Er nahm seine Rauchpfanne und warf drei, aus dem Federkragen des Hara mitgenommene Federn in die Gluth und sprach einige Worte dazu, die ihm der Hara gesagt hatte. In demselben Augenblicke fielen dem Hara die Stahlfeßeln ab, und er merkte daran, daß das große Werk gelungen war.

Als sie nun aus der Höhle an das Tageslicht gekommen waren, meinten die Prinzen, daß sie mittelst der wunderbaren Federn ein Jeglicher in seine Heimath zurückkehren wollten.

„Thut was Euch gefällt, sagte Habed unwillig, und vergeßt, nachdem Ihr nun frei seid, aller der Unglücklichen, die nach ihrer Erlösung seufzen, und der Dankbarkeit gegen den armen Hara, ohne [239] deßen Rath Ihr noch allesammt unter Mograbys Gewalt ständet. Geht! Ich kehre allein zurück! zum Wohnsitz des Zauberers, und hoffe das Werk zu vollenden.“

Die Schaam, die sie, obwohl sie Prinzen waren, doch in sich fühlten, half, wie so oft, auch hier dem Gefühl der Pflicht und Ehre nach, und sie betheuerten, daß sie ihn, ihren Führer und Retter nimmermehr verlaßen wollten, und daß sie sehr unrecht gedacht hätten.


Sie kamen wieder in den Wohnsitz Mograbys an, und hörten über sich eine wohlbekannte Stimme, welche rief: „Glück zu! wenn Habed den Ring und die Urne mitbringt.“ Es war die Stimme des Haras, der sich auf Habeds Schultern niederließ, und dem er Urne und Ring zeigte.

„Laß uns eilen, Prinz, sagte sie; rufe den Sklaven des Ringes, und befiehl ihm das älteste und räudigste Schaaf herbeizubringen, welches in diesem Bezirk befindlich ist, denn wir bedürfen deßelben zu einem Opfer.“

Nachdem der Geist des Ringes seine Befehle erhalten und wieder verschwunden war, das Schaf zu holen, fühlten die Prinzen das Bedürfniß des Eßens und Trinkens. Aus Furcht, daß sie einem Menschen das Leben nehmen möchten, wenn sie eins von den vorhandenen Thieren schlachteten, und vielleicht auch weil ihnen die Zurichtung der Speisen zu lange dauerte, forderte Habed den Geist der Urne, indem er die Handhaben derselben sanft rieb.

Ein großer Mohr stand vor ihm, mit einem glänzend goldenen Halsbande und empfing den Befehl, Speise und Trank in der aus [240] gesuchtesten Art zu schaffen; denn, wie von jeher und immerdar wollen die Helden sich gütlich thun, wenn sie große That vollbracht haben. Der Mohr legte zum sklavischen Zeichen seines Gehorsams die Hände kreuzweis über die Brust – ein Zeichen, welches Niemanden zu sklavisch bedünken kann, der es weiß, wie tief wir in Europa vor Gewalthabern das Haupt beugen und gesenkt halten, und mit welcher knechtischen Dehmuth die Augen niedergeschlagen werden müßen.

Ehe man noch zur Tafel gehen konnte, erschien der Geist des Ringes wieder mit einem höchst alten Schafe, welchem die vier Füße fest und scharf zugeschnürt waren. Es hatte kein Härchen Wolle mehr auf dem nackten, mit rauher, aufgesprungener Rinde bedecktem Leibe; der eine Hinterfuß war eine Handbreit kürzer und der Schenkel deßelben stark aufgeschwollen.

„Verwünschte Bestie, stöhnte mit kurzem Athem der Geist des Ringes, indem er das Thier auf die Erde warf; so alt und steif es zu sein scheint, glaubte ich doch kaum, daß ich es mit allen meinen Kameraden würde einfangen können, so gelenk und flüchtig sprang es. Wo eine Fliege, wo ein Sonnenstäubchen kaum hindurch konnte, war es entschlüpft, und wo es uns mit dem Kopfe stieß, waren die Stöße so gewaltig, daß sie Kieselsteine könnten zu Staub gemalmt haben, und so unvorhergesehen, als ein Blitzstrahl vom heitern Himmel. Die Bestie ist zuverläßig einmal ein ausgelernter Hofmann gewesen, der sich überall leicht durchzuwinden weiß, und seine tüchtigen Stöße immer unvermuthet anbringt.“

„Der Geist hat nicht unrecht, sagte Zulma, denn die Mutter des Zauberers hat dieses Geschöpf mit außerordentlichen Kräften [241] begabt, als sie in seinem Schenkel den Talisman verschloß, von welchem das Leben ihres Sohnes abhängt.“

„So tödte das Thier,“ sprach Habed zum Geiste des Ringes. „Es tödten? erwiederte der Geist; das steht in keines Geistes Gewalt; aber schlage du es mit deinem Ringe, so wird es sterben.“

Habed schlug es mit seinem Ringe. Das Thier wand und krümmte sich und verschied unter gräßlichem Aechzen. Nachdem der Prinz die Schenkelgeschwulst ebenfalls mit dem Ringe geschlagen hatte, zerplatzte die Beule, und es kam ein Goldblech zum Vorschein, auf welchem dieselben Zeichen eingegraben waren, die auf dem Ringe standen.

Jetzt nun hatte der Prinz Alles, worauf das Leben des Bösewichts beruhete, und wollte sogleich die Erde von dem Ungeheuer befreien, wenn sie sich sämmtlich erst würden gesättigt haben. Das Schicksal des Unholds aber, deßen Zeit um war, führte ihn seinem Untergange selbst entgegen, denn er kam an, als die Prinzen noch bei Tafel saßen und mit dem Hara über ihn Rath hielten. Der dumpfe Donner und die Erderschütterung, die allezeit den Durchgang durch den Felsen begleiteten, verkündigten sein Herannahen.

Mograby hatte sich zu Mußul befunden und wieder auf eine ungeheure That gesonnen, die er mit Hülfe seiner vertrautesten und anhänglichsten Dienerin, Medschine, ausführen wollte. Medschine war bei ihm in mancherlei Gestalt, am meisten in Gestalt eines Püppchens oder eines Stäbchens, das auf seinen Fingern tanzte. Mitten in einem solchen Tanz entschlüpfte das Stäbchen seinen Fingern und zerbrach in Stücken. Das geschahe [242] in demselben Augenblick, wo der Dom unter Harenahys Ebene vernichtet wurde.

Ein ungeheures Entsetzen überfiel den Bösewicht, als ihm sein Stäbchen ungetreu wurde. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete, und daß es nun mit seiner Macht aus sei. Dennoch flüchtete er sich in seine Burg, um hier in den Zauberbüchern sich Raths zu erholen. Es wäre ihm aber, da er mit seiner Macht fast gar nichts mehr ausrichten konnte, unmöglich gewesen so schnell dahin zu gelangen, hätte er nicht die Federn von Salomos Vogel gehabt, die er allezeit bei sich führte. Mit ihnen gelangte er an den Felsen und öffnete sich den Durchgang auf gewöhnliche Weise.

Er tritt auf sein Zauberland, und die Geisterschaaren, die sich bei seiner Wiederkunft sonst knechtisch um ihn herandrängten, weichen ihm geflißentlich aus, und selbst der kriechendste aller seiner Sklaven, kehrt ihm den Rücken zu. Er hatte nicht Zeit, lange darüber zu sinnen, denn die Gewalt der Federn riß ihn fort und führt ihn in das Zimmer, wo die Prinzen und der Hara noch an der Tafel sitzen. In einer halb furchtbaren, halb lächerlichen Gestalt ist er da, denn in Mußul hatte er sich in einen Fakir vermummt. Ein zerrißenes, verschabtes Schaffell schlug um Schultern und Lenden. Die häßlichen braunen Glieder waren voller Narben scheußlicher Wunden, die zum Theil noch ekelhaft eiterten und bluteten. Sein struppiges Haupt und Barthaar war fuchsroth gefärbt; seine Augen rollten wild im Kopfe, wie bei einem Beseßenen; um den Hals hing ein langer Rosenkranz, und in der Hand führte er das Meßer noch, womit er sich die Glieder zerfetzt hatte, um einen Fakir recht natürlich vorzustellen.

[243] Solchergestalt kam er in das Zimmer und wollte mit dem aufgehobenen Meßer auf den Hara zustürzen, aber, schneller als er, hatte Habed schon die Geister des Ringes gerufen, und befahl ihnen, den Verruchten zu feßeln. Dieser verfluchte mit schäumenden Munde den Hara, den Prinzen und am fürchterlichsten den Propheten Muhamed.

„Knebelt ihm den ruchlosen Rachen, befahl der Prinz den Geistern, tragt ihn mitten in den Hof seines Palastes, schmiedet ihn an vier eiserne Ketten, thürmt einen Scheiterhaufen um ihn auf und laßt ihn braten.“ Die Geister gehorchten, denn wer den Ring besaß, der war ihr Gebieter.

An einem stählernen Pranger wurde der Unhold fest geschmiedet und den Geistern aufgetragen, dafür zu sorgen, daß die Asche des Zauberers unvermischt bliebe, denn die Entzauberung der Menschen, die jetzt noch Thiergestalt hatten, war nur dann erst möglich, wenn Mograbys Asche der Asche seiner Aeltern beigemischt wurde. So hatte Zulma den Prinzen gelehrt. Sie sagte ihm überdieß noch, daß er den Talisman, an welchem des Zauberers Leben hing, mitten in die Flammen des Scheiterhaufens werfen müßte. „Ja, setzte sie hinzu, wenn dir mein Rath etwas gilt, so wirf auch den Ring ins Feuer. Er gibt dem Besitzer zu viel Gewalt, als daß er ihn nicht häufig mißbrauchen sollte. Auch die vierzig magischen Bücher müßten nach meinem Erachten in die Flammen kommen, damit die heillose Kunst, so viel möglich, von der Erde vertilgt werden möge.“

Habed befolgte den Rath Zulmas. Im heiligen Glaubenseifer wurden nicht nur Talisman, Ring und Bücher, sondern Alles, was irgend durch die Kunst des Zauberers bereitet worden war, kräftige Arzeneien und Elixire aller Art, und selbst sogar verschiedene Naturseltenheiten den Flammen überliefert.

[244] Erst als der goldene Talisman im Feuer schmelzend zerfloßen war, verließ die ruchlose Seele den Zauberer, und als auch der Ring in der Macht der Flammen zerstört worden war, verschwanden der Palast und alle Anlagen rings umher in Rauch, und was darin war eingesperrt gewesen, wurde frei. Diejenigen unter den Thieren, welche Menschen gewesen waren, versammelten sich in einem weiten Kreise um den Prinzen, als erwarteten sie von ihm die Erlösung aus thierischer Hülle. Selbst Löwen und Tiger standen zahm und wartend im Kreise.

Bis sich die Gluth des Scheiterhaufens so weit verlor, daß man Mograbys Asche daraus hervorholen konnte, besahe sich der Prinz mit dem Hara die Schätze, welche des Zauberers Raubsucht hier aus allen Gegenden der Erde aufgehäuft hatte. Sie fanden die köstlichsten Waaren und Stoffe, Gold und Silber, gemünzt und zu kunstvollen Gefäßen, verarbeitet, Diamanten und andere Edelsteine, aus welchen zum Theil die kostbarsten Schalen und Becher geschnitten waren. Alle Kostbarkeiten und Seltenheiten der Erde fanden sich in unglaublicher Menge, und, was das Nothwendigste war, Vorräthe für die Lebenserhaltung in so großer Maße, daß eine Armee damit Monate lang hätte können beköstigt werden. Nun war Habed außer Sorgen, wie er diejenigen wohl ernähren wollte, welche die Menschengestalt wieder erhalten würden. Zum Fortbringen aller dieser Dinge fehlte es nicht an Lastthieren, an Elephanten, Kameelen, Pferden und Mauleseln.

„Jeder, sagte der Hara, wird aus der Menge das Seine herausfinden. Das Uebrige ist herrenloses Gut, was du mit Recht dir zueignen darfst. Ich für mein Theil will mir aus den Haufen auch Etwas nehmen.“ Nach diesen Worten zupfte der Hara mit dem Schnabel ein höchst feines Florgewebe aus einem Waarenhaufen [245] hervor, zog es in die Höhe und flatterte darauf, wie auf einer Wolke, hoch in die Luft.

Man kehrte zurück. Habed nahm die Asche Mograbys und vermischte sie mit der Asche seiner Aeltern. Der Hara rief ihm von seiner Florwolke herab: „Zünde auch ein Rauchwerk an und wirf alle Federn von Feßefzeh darauf, die du mit deinen Gefährten noch hast, und wirf die Asche davon nach allen vier Winden zu.

Kaum war das geschehen, so erhob sich ein Rufen, Schreien, Jauchzen, Weinen und Schluchzen durcheinander. Es kam von den Tausenden, die wieder Menschengestalt gewonnen hatten, und jetzt wie aus einem Traum erwacht waren.

Die Verwandelten sammelten sich, als sie zur Besinnung gekommen waren, in Haufen, indem ein Jeder seine Bekannten und Landesleute aufsuchte. Es wurden Anordnungen getroffen, zu der auf den nächsten Morgen bestimmten Abreise. Es wurden Anführer der verschiedenen Karawanen gewählt; aber Habed ward einstimmig als Obergebieter anerkannt, von welchem ihre Dankbarkeit die nöthigen Befehle eben so gern annahm als befolgte. Ein Kreis von Freiwilligen sammelte sich um ihn und um seine Gefährten und so wurden alle Einrichtungen leicht zu Stande gebracht, welche für eine weite Reise erforderlich waren, die mehrere Tage durch Sandwüsten hinzog. Jeder suchte sein Eigenthum, aber keiner wollte mehr nehmen, als ihm gehörte – ohne Zweifel lag noch ein Stück Zauberei auf der Gegend, denn in der wirklichen Welt geht es ein wenig anders zu – Habed behielt also sehr viel als Eigenthum, obwohl er es erst nach vieler Ueberredung dafür gelten ließ, weil er sehr großmüthig und edel war.

Nachdem Alles zur Abreise besorgt und nun einige Ruhe wieder eingetreten war, ging Habed überall umher, fragt und erkundigt [246] sich nach Allem und findet am Fuße eines Baumes ein traurig da sitzendes, tief verschleiertes Frauenzimmer.

„Armes Kind! Wer bist du?“ fragt er. „Ja wohl armes, recht armes Kind! antwortet es, das sich nicht zu seinem Vater wieder hinwagen darf, sondern zu Mekka, am Tempel des Propheten, als Büßerin das einsame Leben vertrauern will, weil es sich von dem Bösewicht Mograby verführen ließ!“

Habed hörte schon an der Stimme, bei den ersten Worten, daß die unglückliche Zulma es war, welche hier saß. Er wußte, daß Unglück und Schuld nur der Einsamkeit angehören können, und sagte nichts, sie von ihren Gedanken abzubringen, aber er tröstete sie mit sanften und zarten Worten, und war auf der ganzen Reise ihr aufmerksamster und treuester Hüter und Beschützer.

Am andern Morgen setzte sich der Zug in Bewegung. Der Felsen brauchte nicht erst beschworen zu werden, einen Durchgang zu öffnen, denn er war mit der allgemeinen Entzauberung auch entzaubert worden, und von unten bis an die Spitzen hinauf weit genug gespalten, um den Elephanten und Kameelen hinlänglichen Raum zu gestatten.

Ueberhaupt war Alles anders geworden. Das milde Klima war glühend heiß. Die Berggipfel von Sand, die bisher fest wie Mauern gestanden, rollten locker und gemachsam in die Thäler hinab; die Pflanzen, welche noch standen, waren dem Verwelken schon nahe und die Bäche dem Versiegen, und Alles deutete auf eine traurige Sandwüste. Die ganze Thierwelt dieser Gegend zog den Karawanen nach, als wär es ihr offenbart worden, daß sie hier hätte umkommen müßen.

Man zog durch einen der ödesten Theile der Sahara oder großen Wüste; man macht da und dort den Einwohnern bewohnter Gegenden [247] bange, indem man in so großer Zahl kam; man verständigte sich jedoch leicht. In einigen Monaten war das große Heer sehr geschmolzen, denn es waren ihrer Viele schon da und dorthin abgegangen, je nachdem die Wege ihrer nähern oder entferntern Heimath zuführten.

Von so Vielen, was sich auf der Reise begab, kann hier nichts erzählt werden. Genug, daß sie Alle glücklich nach Hause kamen, und Viele durch Habeds Freigebigkeit, weit wohlhabender, als sie waren, da sie Mograby in seine Raubburg einsperrte.

Was aber den Prinz Habed insonderheit betrifft, müßen wir mit einigen Worten erwähnen.

Man hatte um den Prinzen im ganzen Lande Trauer und Bettage angeordnet, ohne daß sich ein schwacher Schein von Hoffnung gezeigt hätte, die jedoch der alte fromme Scheick, Habeds Hofmeister, in dem Herzen der unglücklichen Aeltern zu erhalten suchte, welcher immer behauptete, daß das Böse dem Guten zuletzt dennoch unterliegen müße.

Der erste Strahl von Hoffnung ging ihnen da auf, als bei dem Hofnarren die zweite Nase verschwand. Man vermuthete daraus, daß es mit der Macht des Zauberers zu Ende gehen müße, und der große Prophet sich seines unglücklichen Bekenners wieder annehme, und man vervielfältigte die Gebete[1].

Nach zwei Monaten erhielten die glücklichen Aeltern Nachricht von dem Herannahen ihres Sohnes, der einen Eilboten vorausgeschickt hatte. Stadt und Land legten die Trauer ab, und man schickte dem Prinzen einen großen Theil der Leibwache entgegen. Im nächsten Monat kam er mit seiner Karawane an, und lag in den Armen seiner Aeltern und seines Lehrers, und am Hofe und [248] im ganzen Lande feierte man Freudenfeste, die erst nach vielen Wochen aufhörten.


  1. Verbeßerungen S. 471: st. vervielfältigte – Gebiete l. Gebete

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Büchlenr