Einige Stückchen von Rübezahl

Textdaten
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Autor: Johann Andreas Christian Löhr
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Titel: Einige Stückchen von Rübezahl
Untertitel:
aus: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, Band 2, S. 190–213
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: [1820]
Verlag: Gerhard Fleischer d. Jüng.
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Kinder- und Jugendbibliothek München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[190]
21. Einige Stückchen von Rübezahl.

Rübezahl hatte schon Jahrtausende zuvor, ehe noch Menschen daselbst wohnten, im Riesengebirge gehaust, denn er war der Geist des Gebirges, der in den innersten Tiefen und Schluchten deßelben eigentlich sein Wesen treiben und über die Berggeister [191] Aufsicht führen mußte, welche Gold und Silber und anderes Metall, oder böse Gifte und Wetter zu bereiten hatten.

Er hatte alle Launen und Arten eines großen Geistes, und richtete tausenderlei Unfug und tolle Streiche an, wenn er auf die Oberwelt kam und wenn er sich müde getobt hatte, dann wurde er ernst und griesgramig und in sich verschloßen, wie große Geister zu sein pflegen, und stieg in seine Gebirge hinab und blieb eine feine Weile drinnen.


(1)

Er mochte einmal so ein drei oder vierhundert Jahr in den Tiefen seines Gebirges zugebracht haben, als er wieder auf die Oberwelt herauf kam, und sich auf den höchsten Schneegipfel des Gebirges stellte und umherschauete. Wie fand er Alles verändert! Da standen Dörfer, Häuser, Hütten; da weideten Heerden auf Triften; da waren bebauete Ackerfelder und schöne Obstpflanzungen; da rauchten in den Wäldern die Meiler; da standen Warren auf den Berghöhen; da fuhren Wagen mit Pferden, und starke Ochsen gingen im Pfluge, und das war Alles auf seinem Berggebiete und ohne seine Erlaubniß. Er wußte nicht, wie das Alles zugegangen war und wie es gekommen sei, denn er hatte nie Aehnliches gesehen.

Bald bemerkte er, daß eine kleine Art Wesen tausend Dinge trieb, und daß sie es sein möchte, die die ganze Gegend also verändert hätte. Er hatte sich nicht geirrt. Die Veränderung kam von Menschen her, welche er noch nicht kannte.

„Das sind ganz kluge Dinger, dachte er; du willst näher mit ihnen bekannt werden und eine Weile zusehen, wie sie es treiben, [192] und wenn dirs nicht mehr gefällt, dem Wesen auf einmal ein Ende machen.“

Er schlich unter den Menschen herum, denn er hatte Menschengestalt angenommen, und sahe ihr Thun, ihr Arbeiten und Schaffen, ihre Mühe und Fleiß, ihre Liebe und ihren Haß, ihr Hauswesen, ihre Ehen, ihre Kinder, und bekam einige Achtung vor der Kraft des Menschen.

Er sahe die Töchter der Menschen, und wußte nicht, woher sein Wohlgefallen an manchen derselben rührte, denn der rechte große Geist muß gegen Alles gleichgültig bleiben; Gefühl und Empfindung verrücken ihm nur die Einsicht.

Einsmals erblickte er sieben schöne Jungfrauen, aber eine darunter war die schönste, und viel schöner als alle Menschentöchter, die er bis jetzt gesehen hatte, sie war aber die Tochter eines Fürsten, und Rübezahl wurde wunderbar bei ihrem Anblick bewegt.

Die Mädchen sangen liebliche Lieder; sie pflückten sich Blumen und wanden Kränze daraus, und schmückten ihr Haupt damit; sie tanzten auf weichem Rasen um ein helles Waßerbecken, und suchten dann Walderdbeeren, sich damit zu erfrischen. Sein Wohlgefallen an Allem, was er sahe und hörte, wuchs.

Die Jungfrauen gingen lustwandelnd am Abend zurück, aber Rübezahl blieb sinnend auf der Stelle, wo er ungesehen gestanden hatte, und wußte nicht, wie ihm war. Er stand mehrere Tage lang unbeweglich und sahe auf den Ort hin, wo die Jungfrauen gesungen und getanzt hatten und sehnte sich nach der schönsten unter ihnen.

Sie kamen nach einiger Zeit wieder und Rübezahl fühlte sich glücklich, er wußte aber nicht warum? Er verwandelte sich in eine Nachtigall, um in der Nähe beßer zu sehen und zu hören. Da wuchs sein Wohlgefallen immer noch mehr an der Schönsten unter den [193] Schönen, und er beschloß sie zu besitzen und zu eigen zu haben, um sich an ihrem Anblick immerdar zu weiden, und ihre Liebe zu gewinnen, wie er es unter den Menschenkindern gesehen hatte.

Die Fürstentochter tanzte mit ihren Gespielen am Waßerbecken, und mitten im Tanz fand sich ein Jüngling plötzlich mit ein und tanzte unter den Erschrockenen mit, umschlang die Fürstentochter und war mit ihr im Augenblicke verschwunden. In seinen Armen trug er die Ohnmächtige zu seinem Palast, gegen welchen ihres Vaters Burg eine elende Hütte war.

Als sie erwachte, fand sie sich auf einem weichen Ruhebette in Kleidern wieder, deren mit Edelgestein besetzter Gürtel das Fürstenthum ihres Vaters dreimal bezahlt hätte. Der Jüngling lag zu ihren Füßen und flehete um Verzeihung für seinen kühnen Raub, zu welchem ihn eine geheime Macht gedrungen hätte. Er sagte ihr, daß er der Herr des Gebirges sei, zeigte ihr alle Pracht und Herrlichkeit der großen Zimmer und Säle in seinem Schloße, und den großen Garten, welcher das Schloß umgab, mit Bäumen bepflanzt voll goldener Früchte mannichfalt und überschön, und mit würzigen Blumen aller Art in herrlichen Farbenspielen geschmückt; mit Lauben und Lustgebüschen, mit Bächen und Waßerbecken lieblich und lustig geziert, und auf den Bäumen und in den Gebüschen wohnten die kleinen Sänger mit himmlischen Stimmen und herrlichem Federkleid.

Der Berggeist führte die Fürstentochter mit liebkosenden Worten umher, sie aber blieb traurig und schwermüthig, und obwohl er ein mächtiger Geist war und zärtliche Worte hatte, konnte er doch ihre Schwermuth nicht zerstreuen.

„Wenn sie nicht einsam wäre, dachte der Berggeist, ging es vielleicht beßer.“ Er ging sogleich auf ein Rübenfeld, zog ein Dutzend [194] Rüben aus, legte sie in ein Körbchen und brachte sie zu Emmy, denn so hieß die Prinzeßin. Dazu gab er ihr ein buntgeschältes Stäbchen und lehrte sie den Gebrauch deßelben.

Emmy schlug leise eine Rübe mit dem Stäbchen und rief: „Brinhild!“ und Brinhild, die vertrauteste ihrer Gespielinnen unter den Jungfrauen, stand vor ihr, und umarmte sie mit Freudenthränen. Die übrigen Jungfrauen wurden nun auch mit dem Stabe aus Rüben geschaffen, und alle Rüben wurden verwandelt, und zweie darunter wurden zur Lieblingskatze und zum Schoßhündlein gestaltet.

Nun waren sie glücklich und froh und es ging durch Gänge und Lauben des Gartens und durch Zimmer und Säle des Palastes, und Emmys Augen glänzten vor Freuden.

„So wird es gehen!“ sprach der Geist, und wußte sich viel mit seinem geistvollen Gedanken, Emmys Einsamkeit zu beleben.

Mehrere Tage hatte die Lust und Herrlichkeit mit den geschaffenen Kreaturen gedauert, als Emmy gewahr ward, daß dieselben so allgemach anfingen etwas altfarbig und altschrumpfig zu werden, und daß es mit der Jugendfröhlichkeit immer mehr abnahm.

Als sie eines Morgens sich aus dem Bette erhob, kamen die Hofdienerinnen keuchend und hustend und ganz zusammengefallen herein, und Hündlein und Kätzlein fielen um, und konnten mit Mühe nur wieder auf, um noch ein Paar Schritte zu taumeln und wieder kraftlos hinzufallen.

Das jammerte und ärgerte die Prinzeßin und sie rief laut den Geist, der dehmüthig ihr sich nahete und im harten Zorn gescholten ward. Sie forderte von ihm ihren Gespielinnen Jugendschönheit und Munterkeit wieder zu geben, und auch Bläffart und Mizert wieder zu beleben.

[195] Das sei über seine Kraft, sagte der Berggeist, denn Kraft und Saft der Natur sei in den Rüben verzehrt. Möge sie sich aus frischen Rüben frische Gesichter mit frischen Leben schaffen, und die alten verwelkten Gestalten mit einem Schlage wieder zu dem machen, was sie wären gewesen und dann wegwerfen laßen.

Das letztere that die Prinzeßin zuerst. Sie kannte die Hofsitte ja, mancherlei Gestalten am Hofe zu sehen, die wenig Wesen hatten, obwohl viel Wesens machten, und gab den Gestalten den Abschied, und zwar in diesem Fall ohne alle Pension, und andere Gestalten mit gleichem Rübenverstand und Rübenherzen traten an deren Stelle.

So half sie sich eine Zeitlang hin. Neue Abschiede, neue Anstellungen, neue Lust und Freude und neue Gleichgültigkeit, und im Neuen immer das Alte.

Eben waren wieder ein Dutzend Rübengesichter in Gnaden aus höchst eigner Bewegung entlaßen, aber es waren keine neuen zu haben, denn es fing an Winter zu werden und der große Geist, der so viel vermochte, konnte doch keine Rüben schaffen, wie er mit Schaam und Bestürzung dehmüthig bekannte, obwohl er sahe, daß das seiner Sache keineswegs förderlich war. – Die Schöne kehrte dem Geist zornmuthig den Rücken und ließ ihn stehen.

In Bauerngestalt zog er in die nächste Stadt, kaufte Rübensaamen, mit welchem er einen Acker Landes besäete, und zu deren Wartung er ein Paar tüchtige Berggeister bestellte, die unter dem Acker ein beständiges Feuer unterhalten mußten. Emmy ging wohl zu dem Ackerfeld hin, blieb aber trübe und düster, und der Geist hatte kaum das Herz ihr recht nahe zu kommen. Er fühlte ihre Empfindlichkeit, hoffte aber das Beste, wenn erst nur wieder Rübengesichter zu haben sein würden. Hätte er gewußt, daß Emmy [196] schon die Verlobte des Fürsten Ratibor sei, so hätte er wohl weniger gehofft. Emmy und Ratibor liebten sich herzlich, und seitdem die Braut verschwunden war, floh der Bräutigam die Menschen und irrte im Sturm und Unwetter in finstern Wäldern umher.

Im wiedergekehrtem Frühlinge waren die getriebenen Rüben zur Reife gekommen, und Emmy bildete sich wieder freundliche bekannte Gestalten daraus. Aber schlau, wie sie, als ein Mädchen, war, machte sie damit auch Versuche zu ihrer Befreiung und glaubte, daß auch ein großer Geist wohl noch überlistet werden könnte.

Sie machte eine ganz kleine Rübe zur Biene, und lehrte sie da und dahin zu fliegen, zu Ratibor dem Fürsten, und ihm ins Ohr zu summen, „deine Emmy lebt noch; der Geist vom Berge hat sie!“

Das Bienchen horchte genau auf, und flog von dem Finger der Lehrerin fort, aber noch vor den Augen derselben wurde es von einer Schwalbe weggeschnappt.

Mehrere andere Versuche verunglückten auch; aber als sie eine plauderhafte Elster sandte, so glückte es. Die Elster sagte den eingelernten Spruch, und beschied den Verlobten auf einen gewißen Tag, auf die und die Stelle, am Fuße des Gebirges.

Emmy, nachdem sie wußte, daß Ratibor unterrichtet sei, wurde gegen den Berggeist immer freundlicher, wie sie vorher nie gewesen war, und da er so sehr bat, ihn mit ihrer Hand und Gunst zu beglücken, willigte sie ein und setzte einen Tag fest, an welchem sie ihn zum Gemahl nehmen wolle, hätte er zuvor erst eine Probe von seiner Beständigkeit abgelegt, die sehr leicht sei.

Das war der überfrohe Berggeist zufrieden und willig. Am festgesetzten Tage, morgens sehr früh, erschien Emmy in ihrem schönsten und reichsten Putz, mit ihren holdesten Gebehrden und sagte zum Geiste, welcher vor Freuden schon zitterte:

[197] „Mein Geliebter! ich muß wißen, ob du gefällig und treu sein wirst. Geh! und zähle auf dem Rübenfelde, wie viel Rüben drauf stehen! Sieh! die Probe ist leicht. Verzählst du dich aber um eine einzige, so seh ich, daß ich dir nichts werth bin, und dann soll keine Macht mich zwingen dich lieb zu haben. – Ich aber weiß, wie viel der Rüben darauf stehen!“

Der Geist fing an zu zählen; aber die Rüben standen so unordentlich und verworren unter einander, hier in dichtem Haufen beisammen, dort einzeln, daß er eine geraume Zeit nöthig hatte, mit Zählen durchzukommen.

Um recht gewiß zu sein, zählte er noch einmal, aber er brachte eine ganz andere Zahl heraus, und zum drittenmahl war die Zahl wieder anders. Darüber war aber viel Zeit vergangen.

Endlich glaubte er die Zahl richtig herausgebracht zu haben, und eilte freudig zu Emmy, ihr dieselbe anzugeben; aber Emmy war nicht da. Er suchte sie im Garten, in den Lauben und Gehölzen, an den Quellen und in Gebüschen, aber Emmy war nicht da. Er durchsuchte den ganzen Palast mit allen Kämmerlein und Winkeln, aber Emmy war nicht da, und so laut er auch überall rief, antwortete ihm dennoch keine Stimme.

Jetzt schöpfte er Verdacht, er möchte betrogen sein. Da sauste er wüthend auf die Bergzinnen, und von einer derselben sahe er Emmy auf einem Zelter, wie sie eben mit Ratibor und deßen Gefolge über die Grenze seines Gebietes hinüberflog.

Da knirschte er mit den Zähnen, ballte ein Paar Wolken zusammen und schleuderte einige entsetzliche Blitze ihnen nach. Die aber trafen nur eine alte Grenzeiche, welche sie zersplitterten, denn die Verlobten waren schon zwanzig Schritte über sein Gebiet hinaus.

[198] Jetzt schwur er im Grimme die Menschen und all ihr Werk zu vernichten, soweit seine Macht reiche; schwur es, und wollte es sogleich vollbringen; aber er konnt es nicht, denn eine höhere Macht widerstand ihm.

Er kehrte seufzend in seinen Palast und in den Garten zurück, die seine Geisterkraft hervorgezaubert hatten, er seufzte und klagte; er zerstörte dann Alles so schnell, als er es hervorgebracht hatte, und verbarg sich in die untersten Tiefen seines Gebirges.

Aber unter den Leuten wurde es bald ruchtbar, wie der Berggeist betrogen sei worden, indem er Rüben gezählt hatte, und das Volk nannte ihn seit dieser Zeit mit dem Spottnamen Rübezahl. Aber der Geist wurde wüthend, wenn er künftig diesen Namen hörte, der doch schon in aller Munde war, ehe er wieder aus seinen Klagehöhlen auf die Erde heraufkam.


(2)

Nachdem Rübezahl einige hundert Jahre etwa in den Tiefen der Erde, Jammer und Noth seiner verunglückten Liebe den Klüften und Höhlen und den Erdfeuern und unterirrdischen Strömen geklagt hatte, wurde ihm doch sein Trauern zu langweilig, und er zog wieder auf die Oberfläche des Gebirges hinauf, und trieb sein Unwesen mit den Menschen, zumal mit denen, die ihn beim Spottnamen Rübezahl riefen. Aber zuweilen war er doch gnädig.

Ein Bauer war mit seinem Weibe und sechs kleinen Kindern verarmt, denn sein reicher Nachbar hatte ihm Haab und Gut abgerechtet, und die letzte Kuh war drauf gegangen und nichts war ihm geblieben als das hohle Häuschen und der leere Hof.

Wie sollt er seinen Kindern Brod schaffen? Arbeitete er auch vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht, so reichte doch sein [199] Verdienst nicht zu die Kleinen zu sättigen. Und wenn er nun von der Arbeit nach Hause kam und die Kinder ihn anschrien: „Bringst du Brodt, Vater? uns hungerts so sehr!“ oder, wenn sie Jedes ein Stücklein Brodt bekamen, und fragten: „Vater hast du nicht noch mehr?“ und er hatte dann nichts, da wollte es ihm das Herz zerreißen.

Der arme Mann sann und sann, und sann nichts heraus, als daß er sich mit hundert Thalern von grundaus helfen könnte, denn hundert Thaler waren damals ein großes Geld.

„Frau, sagte er eines Tags, du hast hinter dem Gebirge so reiche Vettern. Ich will hin; vielleicht daß der liebe Gott Einen unter ihnen das Herz lenkt, und er mir soviel auf Zinsen leiht, als wir brauchen!

„Das gebe Gott!“ sagte mit schwacher Hoffnung die Frau, denn sie kannte ihre Vettern, die nach ihr und den Ihrigen niemals gefragt hatten.

Am andern Morgen sehr früh tröstete er die Seinen und sprach: „mein Herz sagt mirs, ich finde einen Wohlthäter!“

Rüstig schritt er, mit einer Brodrinde in der Tasche, den ganzen Tag zu, bis er des Abends müde und matt zu den Vettern kam, und ihnen mit Thränen seine Noth klagte und um Hülfe flehete. Aber mit welchen bittern Hohnworten wurde er von den reichen und hochmüthigen Filzen weggewiesen!

Der sagte: „Ich kenne Euch ja gar nicht;“ Jener: „Einen solchen Lump, wie du, habe ich nicht zum Vetter;“ der dritte sprach: „Mach, daß du fort kommst, du Wicht, mich führst du nicht an;“ und der Vierte warf ihn, ohne ein Wort zu sagen, zur Hausthür hinaus und riegelte sie ab.“

[200] Mit einem Herzen voll Jammer wankte er davon, und nahm sein Nachtlager unter Gottes Himmel in einem Heuschober.

Am andern Morgen, als er wieder ins Gebirge kam, überfiel ihn Gram und Angst mit großer Gewalt. Er hatte den Arbeitslohn von zwei Tagen verloren, und war so hin, daß er auch den dritten nicht würde arbeiten können; und wenn ihm nun das abgehärmte Weib und die ausgehungerten Kinder entgegen wimmerten, und er brächte ihnen leere Hände und kein Geld und kein Brod, o! o! wie sollt es das Vaterherz aushalten!

Er sann wieder, aber er fand wieder kein Mittel zur Hülfe. Da fielen ihm die Geschichten vom Berggeist bei. „Ich will bei ihm Hülfe suchen, ich will ihn bei seinem Spottnamen rufen; sagte er zu sich selbst, und schlägt er dich todt, so siehst du den Jammer deiner Kinder nicht mehr, und kommst der Quaal los.

Da rief er in der Verzweiflung: „Rübezahl! Rübezahl! komm!!“ Rübezahl hatte gute Ohren und stand alsbald vor ihm, wie ein rußiger Köhler, mit fuchsrothem struppigem Bart und glühenden Augen, riesig und lang, bewaffnet mit einem mächtigen Schürbaum, den er grimmig erhob, den frechen Höhner niederzuschlagen.

„Hört mich, Herr vom Berge, sagte der Bauer mit seinem Gesichte voll Kummer; ich habe Euch nicht aus Muthwillen gerufen, sondern aus Angst und Noth!“

Das kam dem Berggeist besonders vor; so wollte ers denn hören; und die kummervolle Miene des Mannes zog ihn auch an.

Der Bauer erzählte, wie arg es ihm ergangen sei, erzählte von seinem Weibe und Kindern und von den unbarmherzigen Vettern, und schloß mit der Bitte, ihm hundert Thaler zu leihen, die er mit [201] Zinsen in drei Jahren wieder bezahlen wolle. Mit hundert Thalern sei ihm geholfen.

„Narr! sagte der Geist zornig, bin ich ein Wucher und Zinsjude? Geh zu deinen Brüdern, den Menschen, und borge so viel du bekommen kannst, mich aber laß in Ruhe, wenn dir deine Haut lieb ist!“

Es war dem Bauer, als wär es dem Geiste mit seinem Zorn nicht so ganz harter Ernst. Er schildert ihm nochmals den Jammer des Weibes und der Kinder, und bittet abermals um hundert Thaler. „Wollt Ihr mir nicht helfen, setzte der Bauer hinzu, so schlagt mich nur mit der Schürstange todt, damit ich die Quaal der Meinen nicht sehen darf. Der Gram wird mir ja doch das Herz abfreßen! So aber komm ich auf einmal davon.

Mitleid zu fühlen schickte sich für einen so großen Geist, als der Bergherr war, gar nicht; aber das ganz Eigene von ihm Geld zu erborgen, und das besondere Zutrauen gefielen ihm.

„Komm, sagte der Geist, und führte den Bauer tiefer waldein, bis in ein Felsenthal, zu welchem sie sich durch dichtes Gesträuch hindurch arbeiten mußten. Sie kamen sodann in eine finstere Höhle, tiefer und immer tiefer hinein, und der Bauer hörte das Rauschen und Brausen der Bergwaßer und ward ihm dabei unheimlich zu Muthe. Bald aber hüpften kleine blaue Flammen vor ihnen her und der dunkle Felsengang wurde zum großen Gewölbe, in welchem helle Lichter flackerten.

Da stand eine große kupferne Braupfanne, voll lauter Thaler bis an den Rand. „Da nimm! sagte der Geist, so viel du bedarfst, und wenn du schreiben kannst, so stelle mir einen Schuldschein. Schreiben konnte aber der Bauer. Er zählte sich höchst gewißenhaft [202] hundert Thaler ab, der Geist aber schien sich darum gar nicht zu kümmern, drehte ihm den Rücken zu und suchte die Schreibesachen aus einem Schranke hervor; aber der Bauer nahm deshalb keinen einzigen Thaler mehr. Er schrieb den Schuldschein, so gut er vermochte, und der Geist schloß denselben in einen eisernen Kasten ein. „Geh nun! sagte er zum Bauer; nütze dein Geld; merk dir den Eingang ins Felsenthal, und vergiß den Zahlungstag nicht, denn ich bin ein strenger Schuldherr. – Da! sagte er, indem er einen großen Griff in die Braupfanne that, – das ist für deine Kinder, und steht nicht auf dem Schuldschein.“

Tausend Dank sagte der Bauer dem Geiste; fand sich bald aus dem Felsengange heraus, merkte sich die Stäte genau, und ging, durch Freude an allen Gliedern gestärkt, rüstig nach Hause, wo ihn die Kinder um Brod anschrien, die Mutter aber trostlos weinend im Winkel saß, weil sie schon wußte, wie viel auf die Vettern zu rechnen war.

Aber welch eine Freude da, als der Vater den Queersack öffnete und nahm Bretzeln und Weißbrod für die Kinder, und Grütze zum Brei, und Fleisch und Wurst heraus, welch er Alles in der Stadt gekauft hatte. Wer kann solche Freude beschreiben!

Der Bauer, der es nicht für gut hielt, der Wahrheit nach auszusagen, wer ihm das Geld geborgt hätte, lobte die Vettern der Frau, die hätten ihn freundlich empfangen, gut bewirthet und willig das Geld geliehen!

Da that sich die Frau auf ihre reichen und liebreichen Vettern Etwas zu gut, und rühmte dieselben aller Welt. Die Freude ließ ihr der Mann recht gern.

Jetzt ging ein neues Leben und Arbeiten in des Bauers Hause an, und mit hundert wohl angelegten Thalern ließ sich viel machen. [203] Alles, was unternommen wurde, ging zum Glück und lag ein sichtliches Gedeihen auf dem Gelde des Bergherrn. Ein Acker nach dem andern, ein Heuschlag nach dem andern wurde gekauft; das Vieh war weit und breit umher das schönste, und im dritten Jahre schon hatte der Bauer ein Paar Hufen Feld, und ein Paar tüchtige Pferde zur Bewirthschaftung; und wohl viermal so viel baar, als seine Schuld ausmachte.

Der Zahlungstag kam! Weib und Kinder thäten die besten Sonntagskleider an und freuten sich die reichen Vettern besuchen und zeigen zu können, daß sie ehrliche und wohlhabende Leute wären. Hans mußte anspannen und sie kamen bald aufs Riesengebirge, wo der Wagen an einer Stelle halten mußte, der Bauer aber mit den Seinen ausstieg. Hans sollte fortfahren und auf der Höhe unter den drei Eichen warten und die Pferde derweil grasen laßen, er aber wolle mit den Seinen einen anmuthigen Fußpfad gehen, obwohl derselbe ein wenig um sei.

Darauf ging er durch das Gebüsche waldein, immer tiefer hinein, schauete dahin und dorthin, als ob er suchte, und die Frau glaubte schon, ihr Mann habe sich verirrt. Aber jetzt sagte er ihnen, wie es ihm bei den reichen Vettern gegangen sei, und wer ihm geliehen habe, und erzählte Alles genau, und lobte den Berggeist, vor dem sie sich fürchteten, mit Thränen im Auge, indem er ihnen vorstellte, wie glücklich sie jetzt wären, und wie elend vor drei Jahren.

Nun hieß er sie warten und ging allein, die Felsenhöhle zu suchen, aber es war nirgends ein Eingang, obwohl er gewiß wußte, daß er auf der rechten Stelle sei, wo er vor drei Jahren hineingegangen war. Er klopfte mit einem Stein an den Felsen, er klingelte mit dem Geldsack, er rief dem Berggeist zu kommen und das [204] Seine zu nehmen, aber kein Berggeist erschien. Da ging er mißmuthig zu den Seinen zurück. Ihn drückte das Geld, deßen er so gern los sein wollte. Er setzte sich mit den Seinen auf den Rasen und wartete, aber es kam Niemand.

Da probirte der Bauer das alte Wagstück noch einmal und rief: Rübezahl! Rübezahl! obwohl ihm die Frau den Mund wollte zuhalten. – Auf einmal kam der jüngste Knabe zitternd zur Mutter und sagte, dort hinter dem Baum sei ein schwarzer Mann. Da krochen die Kinder ängstlich zusammen; der Vater aber ging hin und sahe nichts.

Eben wollte der Bauer noch einmal zum Felsen, dort noch stärker anpochen und rufen, und wenn dann Niemand käme, das Geld am Felsen hinlegen; da möcht es der Bergherr sich holen. Aber indem er seinen Vorsatz der Frau kund that, brauste es in den Wipfeln der Bäume, der Wind trieb dürre Grashalme und Laubblätter vor sich her und jagte kräuselnde Staubwolken in dem Wege auf, worüber die Kinder sich freueten.

Unter dem Laube wurde nun auch ein zusammengerolltes Papierblatt über den Weg getrieben, nach welchem die Kinder vergeblich haschten. Endlich warf der eine Knabe seinen Hut darauf, nahm es auf, und weil es so weißes Papier war, bracht ers dem Vater. Da war es der Schuldschein, unter welchem geschrieben stand: „Zu Dank bezahlt!“

Da ward der Bauer sehr froh. „O! rief er, mein Wohlthäter kennt nun meine Ehrlichkeit und mein dankbares Herz!“

Jetzt wollte er nach Hause umkehren, aber die Frau ruhete nicht eher, bis der Mann zu den reichen, filzigen und hochmüthigen Vettern fahren ließ, welche sie durch ihren Wohlstand recht zu kränken gedachte; aber die kränkte sie gar nicht, denn sie waren nicht [205] mehr da, sondern gestorben und verdorben, und die Gehöfte, welche sie bewohnt hatten, waren an neue Herren gekommen.

Hochmuth und Unbarmherzigkeit kamen bei ihnen vor dem Fall, unser Bauer aber wurde täglich wohlhabender und wurde dabei von Allen geliebt, die ihn kannten, denn er war arbeitsam und fleißig, half seinen Nächsten gern, und war gar nicht hochmüthig.


(3)

Es saßen eines Abends mehrere Bauern in einem Wirthshause am Fuße des Riesengebirges beisammen und hatten gegeßen und getrunken, und fingen nun an einen jungen Menschen zu necken, der blöde und still im Winkel hinter dem Ofen saß und schien ein fahrender Schüler[1], obwohl er gar nicht so dreist und unverschämt war, als diese zu sein pflegten.

Als in den Geschichten, welche die Bauern einander erzählten, einigemal des Berggeistes unter dem Namen Rübezahl erwähnt wurde, that er sehr furchtsam und bat auch, aber recht dehmüthig, sie möchten doch solcher gefährlichen Dinge nicht gedenken, und absonderlich den Namen Rübezahl vermeiden, zumal es schon gegen die Nacht gehe. Da erzählten sie aber solcher Geschichten nur immer noch mehr und nannten alle Augenblicke den Namen Rübezahl, damit er sich recht sollte fürchten.

Als er sie noch einigemal gebeten, abzulaßen von solchen Erzählungen, sagten sie zu ihm, er solle vielmehr aus denselben etwas [206] Gutes an nützlicher und erbaulicher Lehre herausnehmen. Das müße er als ein fahrender Schüler doch können.

Ja! meinte der Schüler, das dächte er wohl zu können, aber er hätte kein Herz dazu, denn sie möchten es ihm übel auslegen, und Händel an ihm suchen, er aber sei gar furchtsam und friedlich.

Da lachten die Bauern, und versprachen sich eine gute Lust mit ihm, verhießen ihm aber Frieden und auch freie Zeche, wo er seine Sache recht verstehe. – Da erzählte denn Einer.

„Es wollt einmal ein Mensch ein Zauberbüchlein haben, woraus er Wetter machen, Vieh behexen und wieder die Verzauberung lösen, sich verwandeln und unsichtbar machen, und die Goldschätze aus der Erde heraufbringen und viel andere Dinge ins Werk setzen könne. Da wollt er denn ein gewaltiger und reicher Mann werden. Er dachte aber Rübezahl würd ihm ein solches Büchlein schon geben, wenn er ihn darum bäte. So ging er denn auf dem Gebirge fleißig umher, bis er nach langer Zeit einmal den Rübezahl fand. Der saß als ein eisgraues Männlein vor einer Höhle, und gab ihm ein Büchlein, als er begehrt hatte. Da er aber nach Haus kam und das Büchlein probiren wollte und aufschlug, da waren es Baumblätter, mit den Fasern und Linien, aber mit keinen Buchstaben.“

Nun sollte der Schüler die nützliche Lehre herausziehn. Der besann sich ein wenig und sagte dann leise:

„Wer Wunderdinge leisten will,
der höre zu, aufmerksam still,
was die Natur für Werke treibt
und schau, was sie in Bücher schreibt.
Dem Klugen stehn die Bücher auf,
der Tölpel bringt draus nichts zu Hauf.

[207]

Wer recht ein Baumblatt lesen kann,
wird auch daraus ein rechter Mann.
Kommst drüber Du mit Holz im Kopf,
so bist und bleibst ein dummer Tropf.“

„Herr, sagte der Bauer, welcher erzählt hatte, meint Ihrs damit auf uns?“ Dabei schlug er mit der Faust mächtig auf den Tisch.

„Ja! riefen die Andern, auf uns meint ers; wir sind die Tölpel und dummen Tröpfe, weil wir niemals Etwas aus Baumblättern haben lesen können!“

„Da seht nun selbst, liebe Herren, daß ich wahr gesagt habe, sprach fast weinend der Schüler. Seht! Ihr suchet eine Ursach gegen mich. Hätte ich doch nur geschwiegen!“

Da redeten ihm die Bauern wieder gutmüthig zu, und sagten, es sei nicht so böse gemeint, sondern sollte nur Scherz sein, und nöthigten ihn eins zu trinken.

„Nun, lieber, fahrender junger Herr, sagte ein anderer Bauer, nun will ich auch einmal Etwas von Einem Eures Gleichen erzählen. Da wollen wir auch unsere Lust dran haben.

„Es zog einmal ein solcher Gesell, wie Ihr, übers Gebirg; hatte einen grimmigen Stoßdegen angethan zu Schutz und Trutz; hatte eine Zither im Arm, spielte drauf und sang lustige und närrische und auch wohl leichtfertige Lieder dazu.“

„Ach! der war viel dreister als ich;“ sagte der Schüler blöde. „Freilich, Herr! das wollt ich selbst meinen;“ sagte der Bauer schmunzelnd, und erzählte dann weiter.

„Als nun so der Schüler fürbaß zieht, kommt Einer seines Gleichen hinter ihm drein und gesellt sich zu ihm. Da führten sie [208] allerhand seltsame und leichtfertige Reden und Gespräche. Der neue Gefährte borgt dem Andern die Zither ab, um ihn ein hübsches Lied mit artiger Weise zu lehren, hat aber das Saitenspiel kaum, so ist er damit alsbald oben auf dem Wipfel eines hohen Baumes, so schnell wie eine Eichkatze, und musizirt erst fein und anmuthig, dann so garstig und häßlich, daß der fahrende Schüler sein Spiel wieder zu haben begehrt. Aber der oben im Baumwipfel gibts ihm nicht, sondern singt garstige Schandlieder auf die Liebste des fahrenden Schülers, der darauf zornig den Degen zieht, und den Andern herabkommen heißt, um einen Gang mit ihm, auf Tod und Leben zu machen. Da stürzt krachend die Zither auf die Steine herab, als sollt sie in tausend Stücken zersplittern und ein scheußliches Gesicht steht vor ihm und kreischt ihm gräßliche Worte entgegen, daß er davon in Ohnmacht fiel. Als er wieder zu sich kam, merkte er wohl, mit wem er zu thun gehabt, nahm seine Zither, die noch ganz war, schlich stillschweigend mit ihr über das Gebirg, und kam sobald nicht wieder.“

„Das will ich wohl glauben, sagte ein Bauer, und ist der Jüngling wohl gar unser blöder Schüler hier gewesen, der uns nun seinen Spruchreim sagen soll.“

Da sagte der Schüler den Reim, der hieß aber also:

„Wem eine Zither Gott verliehn,
der preise damit dankbar ihn,
und brauch zu Narrentheiding nicht,
was Gott ihm selbst hat zugericht.
Doch spielt er auch einmal nicht recht,
so ist er drum noch selbst nicht schlecht.

[209]

Die Zither springt nicht gleich entzwei.
Nur daß er künftig sittig sei,
und seiner Lieder zarte Blüthe
vor garstigen Gesellen hüte.“

„Wahrhaftig, sagte ein Bauer, das soll uns gelten! Garstige Gesellen! hüten! – So? – – Herr, laßt das Sticheln: oder Ihr sollt es sehen!“

„Ei laßts gut sein, sagte ein Anderer; wir wollen ihm auch schon Eins anhängen, denn wir sind wohl so pfiffig als er.“ Das meinten sie denn Alle, und so zechten sie wacker fort, und ging der Handel noch gütlich ab.

Darauf erzählte ein Dritter.

„Einmal hatte ein vornehmer Mann einen großen Ingrimm auf einen Andern. Dem wollt er grausame Worte schreiben und that es auch; aber der Rübezahl war ihm in die Feder gekrochen, und machte, daß alle Worte grade umgekehrt und wiedersinnig auf das Papier kamen, und statt daß es hatte heißen sollen: „Du bist ein meineidiger Schuft; und ein Großhanns: und, ich schlag dich noch todt, wenn ich dich einmal treffe,“ und dergleichen mehr, stand es ganz anders da und hieß: „Ich bin ein meineidiger Schuft, und nicht werth dir die Schuhriemen aufzulösen, und bin ein Großhans; ich werde mir aber einmal das Fell tüchtig durchgerben, und schlage mich noch todt, wenn ich mich einmal treffe.“

Das gefiel den Bauern aus dermaßen und wünschten sie, es möcht ihnen einmal Jemand den tollen Brief vorlesen, wenn er ihn hätte, dieweil sie selbst nicht lesen gelernt hätten.

[210] Da sagte der Schüler, die Lehre ist dasmal kurz und lautet:

„Wer will verbrühn den Nachbarsmann,
fing meistens klüger sonst was an;
denn wenn ers nicht genau beschaut,
verbrüht er sich die eigene Haut.

Hierauf sagte der Student, er wüßte wohl ein artiges Kunststück, wie das mit dem Briefe; da brauchten sie gar nicht lesen zu können, sondern könnten es selbst mit anschauen und dabei mitspielen, aber das könnt er ihnen vormachen, wenn sie einwilligten und es zufrieden wären.

„Nur drauf; nur angefangen, lieber Herr Schüler, jauchzten die benebelten Bauern, das soll ein wahrer Spaß werden, wie auf einer Hochzeit; nur frisch.“

Da schritt der Schüler vor den Zechgästen im Kreise herum und machte vor dem Munde eines Jeglichen einige Zeichen in der Luft und sprach wunderliche Reime dazu, die lauteten aber also:

„Die Zung und auch die Katze
sind Thiere; schlau genug,
wie man die Andern kratze
sich selber krau die Glatze –
die Zung und auch die Katze,
sie könnens Zug um Zug,
die Eine mit der Tatze,
die Andre mit dem Spruch.
Die Zung und auch die Katze
sind doch nicht schlau genug,

[211]

daß sie sich selbst nicht kratze
und Andern kraun die Glatze. –
Die Zung und auch die Katze
zwingt Zauber Bannes Zug.
     Nun, liebe Zunge, schwatze
     und sprich verkehrten Spruch.“

Die Bauern hatten ihre Lust dran, daß der blöde Schüler so dreist und herzhaft geworden sei, und meinten, das habe ein guter Trunk gethan, und wenn man ihm erst noch beßer werde zugetrunken haben, dann müße die Lust mit ihm erst recht angehn.

Als nun der Schüler sich wieder auf die Ofenbank ruhig hatte niedergelaßen, bracht ihm ein Bauer ein volles Glas zu, und sprach: „Nun frisch! nun muß ich trinken, bis ich umfalle, oder es wird nicht gut abgehen!“

„So thut nur nach Eurem Gefallen; sagte der Student gelaßen.“

„Ja! sagte der Bauer barsch, nach Eurem Belieben sollt Ihr thun ganz und gar, und wenn mirs im mindesten einfiele, Euch dran zu hindern, – Herr! kurzum, da könnt es leicht kommen, Ihr zähltet mir Etwas auf.“

„Hanns, riefen die Andern, wie sprichst du denn so wunderlich?“ Einer aber, von dem sie dachten, er sei unter ihnen der Klügste, weil ers ihnen so oft vorgesagt und bewiesen hatte, sprach gar ernsthaft: „Laßt meinen ehrlichen Nachbar Hanns. Was hats da zu wundern? Ja! wenn mirs paßirte, der ich so ein stummer dummköpfiger Kerl bin. Aber der Hanns ist nun schon einmal ein Bißchen klüger, dem müßt Ihrs zu gut halten.

Die Bauern sahen einander voll Erstaunen an. Endlich sagte Einer: „Ich glaube, wir haben den Studenten abscheulich behext!“ [212] – Ja, riefen Andere, uns ist es gleich so vorgekommen; und Alle wurden nun zornig und wild, und schrien: „Es hilft nichts vor, der Student muß uns zusammen hauen, bis wir keinen heilen Knochen mehr haben. Wir habens ihm gar zu arg gemacht. Wart, das soll uns schön bekommen.“

Sie merkten wohl, daß sie immer das Gegentheil von dem sagten, was sie sagen wollten, aber sie konnten nicht anders, und wurden deshalb nur desto toller und wilder, und wollten im grimmigen Zorn über den fahrenden Schüler her.

„Du mußt uns todt schlagen!“ riefen sie mit verwirrten Sinnen, indem sie ihn todt schlagen wollten, aber es pfiff ein Zugwind durch die Gaststube und alle Lichter erlöschten. Dagegen saß ein großer Schuhuh mit leuchtenden feurigen Augen auf dem Ofen und schnaubte die Empörten an, deren Grimm sich stracks in Furcht umwandelte.

Sie wollten die Thür suchen, fanden sie aber nicht, und riefen kläglich: „Wir sind Hexenmeister, sind Kobolde, sind der Rübezahl; das hätte der Student ja gleich wißen sollen.“

„Ruhe doch, liebe Gesellen! schnarrte der Schuhuh, ich bin ja auch ruhig, und bin der Student noch und der Vogel der Weisheit, und habe mich gar nicht verwandelt. Aber ich bin der Rübezahl, und wir sind tausend Klafter tief unter der Erde, in meiner Schatzkammer. Fürchtet Euch gar nicht, liebe Zechgenoßen; Ihr habt mir einen guten Trunk gegeben; so will ich denn dankbar sein. So seht her. Das Dach ist von Gold und die Sparren sind von Demanten. Brecht Euch durch und nehmt mit, was Ihr fortbringen könnt.

Erst kletterten sie aus Angst, Einer auf des Andern Schulter, und als sie nun durch waren und den Sternenhimmel sahen, dachten [213] sie an das goldene Dach und an die demantenen Sparren. Nun fingen sie recht an hinein zu arbeiten, und wollte ein Jedweder so viel als nur möglich von den Schätzen mit heimbringen, am meisten der Wirth.

Aber als der Morgen heraufleuchtete, sahen sie, daß sie mit Dachsparren und mit Stroh und Schindeln, woraus das Dach war, sich recht schwer belastet hatten. Gold aber und Demanten hatte keiner.

Wenn aber künftig ein Reisender ins Wirthshaus einkehrte, der still war und blöde, neckte ihn Niemand mehr, weil sie Rübezahl geneckt hatte.


  1. Herumziehende Studenten – waren Gauner und Leutbetrüger, gaben große verborgene Weisheit vor, und lebten von der Einfalt derjenigen, die sich betrügen ließen.