Die Weiber von Weinsberg (Essig)/Dritter Aufzug

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Dritter Aufzug.

Personen: Graf, Gräfin; Gretchen; Launer; Frau Niese, Ricke; Siegfried; Waibel; Schänder; Bürgermeister; die staufischen Herren; Volk; ganz Weinsberg.

Szene: Der Marktplatz mit Rathaus. Hintergrund, die entfernt – hinter den Markt umschließenden Häusern – hochgelegene Kirche. Der Markt ist abschüssig.

Zeit: Morgenkaffee.

Außer dem über der Rathaustreppe postierten Hellebardier der Graf kühlungsbedürftig auf dem Markte schreitend, er ist in Hemdärmeln, einen großen wollenen Schal mit Fransen um die Büste gewickelt, Launer aus einer Gasse kommend, eingemummelt mit Schlinge um den verwundeten Arm.

Launer Herr Graf, ist Ihnen meine Rede genehm?

Graf Wir sind nun schon annähernd eine Stunde von unserem strapaziösen Nachtritt zurück und meine Gemahlin hat sich noch nicht blicken lassen. Ein höchst auffallendes Symptom. Das Volk hat sich sogar schon inzwischen verlaufen.

Launer Das würde mich vor einem gemeinsamen Befeuchten [78] der frischen Lorbeeren nicht abhalten. Wir haben geleistet und das genügt.

Graf Nein. Wir haben eben nicht geleistet.

Launer Ist meine Wunde nicht der eklatanteste Beweis? Euer Gnaden?

Graf Einem Weibe, das glaubt den Sieg wie einen überhängenden Apfel brechen zu können, beweist das eben nichts.

Launer Ich bin hingegen mit dem Ausgange der Exkursion dermaßen zufrieden, daß ich mich geradezu beglückwünschen kann von Euer Gnaden mitgenommen worden zu sein. Ohne Knirschen müssen mich alle meine Mitbürger als ihren erkorenen Helden anerkennen, denn ich bin, wie es sich immer gewisser signiert, der allereinzigste Verwundete.

Graf Da haben wir’s! Das ist’s! Wenn ich nicht schwindle, mindestens fünfundzwanzig Tote draußen gelassen zu haben, so schimpft diese Frau. Aber wir können uns weiß Gott nicht selbst entleiben, wenn es der Feind unterläßt.

Launer Herr Graf, ich empfehle Geduld, noch ist ja der [79] Eindruck auf Ihre Frau Gemahlin nicht konstatiert. Warten Sie ruhig!

Graf Eben deswegen sinne ich … jage ich heftig schwitzend hier auf und ab. Ich muß die Unzufriedenheit mit mir selbst, nein mit dem Ausgange der Sache, zum Ausdruck bringen. Aber wie?

Launer Das ist schlechterdings nicht möglich. Wir können zum Elefanten nicht sagen, du bist eine Mücke. Der Elefant wird es als Unwahrheit zurückweisen.

Graf Meine Frau wird mir sofort entgegenschreien, hättest du Siegfried mitgenommen! Mit verstärktem Nachdruck wird sie behaupten, ich habe ihn absichtlich zu Hause gelassen.

Launer Ja ja, das will ich nicht in Abrede stellen.

Graf Sie behauptete es, schon ehe wir auszogen.

Launer Hüllen Sie sich in das Manteltuch der Entrüstung! des Zorns, der Wut, der Rache!

Graf Gegen wen? Auf was?

[80] Launer Es ist juristisch unbeweisbar klar, daß die alte Schulmeisterin Gretchen einen Hochverrat begangen hat, indem sie den jungen Mann der Waffe entzog.

Graf Wir rädern sie! – Ich dachte ständig daran, ich erwartete nur von irgend einer Seite eine Ermunterung.

Launer Und zwar im Verlaufe der nächstschnellsten Minuten, ich lasse sofort dir Armsünderglocke anziehen. He! Helbardier! die Glocke des jüngsten Gerichtes wird von seiner Gnade begehrt. Wer holt gleich den Schänder?!

Frau Niese in Hatz und Atem bei den ersten Glockenschlägen, bald hinter ihr die Raben (Volk).

Frau Niese Womit kann ich dienen?

Launer (mit bösen Affenaugen) Frau Niese, Sie? … wir richten die Gretchen.

Frau Niese Ihr Hexenprozeß. (Rennt fort.) Weiß schon, den Schänder wünscht man.

Graf Man wird an meinen Ernst glauben!!

[81] Waibel Herr Graf befehlen?

Graf Dein Hirn! Waibel! Wem kann diese Glocke nur gelten?

Waibel Der Gretchen. Ich soll sie verhaften und herbringen.

Graf Ist sie noch nicht da? (Waibel ab.)

Launer Wir brauchen in jetzigen Zeitläuften ein weit schlagfertigeres stehendes Heer, als es dieser Waibel repräsentiert.

Graf Kerl ist von verdammt schwerem Begriff.

Launer Eilt etwas, so eilt dies … denn Gnädige Frau die Gräfin wird sich für den Ton der Glocke auch bald interessieren.

Bürgermeister aus dem Rathaus mit dem Gemeinderat (nicht mittelalterliche Tracht).

Bürgermeister (feist lachend) Wir werden’s an nichts fehlen lassen.

Graf Sie sind gewiß einverstanden Herr Bürgermeister.

[82] Bürgermeister So sehr, daß wir gar nicht darüber nachzudenken einstimmig beschlossen haben.

Graf Ihr Erscheinen gereicht dem Verfahren zur Ehre.

Bürgermeister Wenn wir durch Anwesenheit den Standpunkt des Gemeinwesens vertreten, so wird das für eine rasche Abwicklung zweckdienlich sein.

Launer Meine Herren, wir sollen sie aufwickeln.

Unter dem Geschrei der eskortierenden Menge naht Gretchen gefesselt, geführt von Waibel. Launer verbirgt sein Gesicht.

Schwester Gretchen Ich habe soeben noch blutende Wunden gestillt!

Frau Niese mit dem Schänder, der springt.

Schänder (auf der Stelle tretend, sagt das r nicht, Fistelstimme) Was soll ich? Fräulein, kommen Sie ein bißchen mit!

Schwester Gretchen Das ist zu rasch! Ich verlange mein Gericht! Ich habe nichts getan.

Frau Niese Ein bißchen zu rasch ist das, langsamer ist immer das Schicklichere.

[83] Schänder Ich habe gerade nichts zu tun.

Launer Eile! Eile gebietet die Staatsraison.

Graf Ist der Kreis geschlossen? … die Glocke soll schweigen!

Bürgermeister Aufhören! Aufhören! (Die Glocke verstummt.)

Graf – – – Sie sind des Hochverrats angeklagt – – – Sie haben einen Mann mit berauschender Flüssigkeit derart beschwert, daß er nicht mehr fähig war, sein gepanzertes Ich in Elastizität zu erhalten. Er fiel und glich einem Toten.

Schwester Gretchen Er ist mein Verlobter, er hat mich besucht, und da hat er getrunken, ich habe es Frau Niese gleich gesagt, es sei zu viel.

Graf Wo ist Frau Niese? – – Frau Niese! Frau Niese! sie ist nicht hier.

Launer Sie lügt, er ist nicht ihr Verlobter.

Schwester Gretchen Jawohl, er ist’s … Lügen darf man vor Gericht überhaupt nicht sagen.

[84] Graf (barsch zu Launer) Sie dürfen keine beleidigenden Ausdrücke gebrauchen.

Schwester Gretchen Ich danke Herr Graf. (Lächelt ihn an.)

Graf Bitte. Sie werden sogleich gerädert werden, wenn Sie den Beweis nicht erbringen, daß Sie der Tat nicht schuldig sind.

Schwester Gretchen Ich? … er ist mein Geselle.

Launer Er ist des Schmieds Geselle.

Schwester Gretchen Warum eifern denn Sie so sehr gegen mich? Herr Launer, ich habe Ihre Wunde verbunden.

Launer Barmherzigkeit ist gerade so Pflicht, wie das Verrichten der lebensnotwendigsten Bedürfnisse.

Schwester Gretchen Seien Sie nur auch menschlich.

Launer Das bin ich. Sie könnten froh sein, daß Sie mich überhaupt liebevoll berühren durften, Sie haben einen ganz anderen vor sich als den, wer er war.

[85] Graf Wir irren vom Thema. Sie wissen also nichts zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen.

Schwester Gretchen Wenn er gekonnt hätte, wäre er gewiß gegangen.

Graf Das ist die Schuld, daß er nicht konnte.

Launer Diese Hexe sagt es selbst aus, daß er nicht konnte. Sie muß es wissen nach den Mitteln, mit denen sie gebraucht hat.

Graf Mehr wollte ich gar nicht hören. Hat noch jemand eine Frage?

Schwester Gretchen Ich will mich verteidigen … ich habe nicht gebraucht. Es war ganz natürlich.

Graf Sie bestreiten also Ihre Einwirkung auf den Mann.

Schwester Gretchen Nein (innig) … ich kann sie nicht bestreiten. Die kann ich nicht bestreiten. Er hat sich zu mir gezogen gefühlt.

Graf Es waren keine Rauschpulver im Wein?

[86] Schwester Gretchen Nein, er war natürlich.

Waibel Diese Pulver sind wohl in jedem Wein …

Graf Waibel, du bist ein Waibel.

Launer In jedem Wein, den dieses Fräulein schenkt, wenn sie die Zwecke bei den Männern verfolgt.

Schwester Gretchen Ich habe nur den einen! erkämpft!

Launer Sie haben mir schon mehrere Anträge gemacht, dessen habe ich Zeugen … da … das Volk jubelt mir zu. (Zustimmung beim Volk.)

Schwester Gretchen Mein Verhältnis zu dem Manne ist ein reines.

Launer Sie beschäftigen sich trotzdem seit mehreren Jahrzehnten mit dem Fang des Augenblicks. Nur haben sie nie bisher etwas gefischt. So will ich Sie selbst entschuldigen und begutachten.

Schwester Gretchen Ich habe im Trüben gefischt.

[87] Graf Und nichts geangelt, da haben Sie bedauerlicherweise einmal gleich den größten Karpfen gezogen. (Gelächter der Menge.)

Launer Ich bewundere die Größe, auf die sich Ihre Rede, Herr Graf, aufgeschwungen hat.

Graf Schänder (packt schon zu) ergreifen Sie also die Dame, es kommt für sie noch das Argument ungewöhnlicher Schärfe auf das gegenüberliegende Geschlecht hinzu.

Launer Sie ist die reinste Diana mit leergeschossenem Köcher.

Schänder Das verschärft Ihnen einen ganzen Grad.

Schwester Gretchen Ich bin eine Märtyrerin meiner starken Leidenschaft. Ist denn Frau Niese nicht da? die mich rettet.

Graf Herr Agent, meine Frau wird mich grausam nennen. Ganz getrau ich mir nicht.

Launer Sie leiden an schmerzhaften Hühneraugen eines zu stark drückenden Pantoffels. Appell an’s Volk! (Das Volk schreit „Henker!“)

[88] Launer Sie gehört der übelsten Klasse an, die man nicht duldet.

Graf Ich schwanke.

Schwester Gretchen Ich habe für Sie gebetet Herr Graf, daß Sie zurückkehren.

Launer Wenn jetzt nicht der Himmel spricht, so helfen dieser Hexe ihre schönen Augen.

Schwester Gretchen Die habe ich also doch! … Die Liebe ist den andern keine Sünde, warum mir?!

Graf (scharf) Wenn Sie auch längst das Altersrecht haben, so sind Sie trotzdem bürgerlich ledig.

Gemurmel in der Menge: Ricke, Frau Niese.

Schwester Gretchen Gelobt sei Gott! … Frau Niese wird es klären.

Graf Ricke daher! dich schickt Justitia.

Ricke (schwarz, mit verweinten Augen) Laßt mich! laßt mich!

[89] Die Heinle Ricke, wenn ich dir mit was weh getan hab’, so verzeih’s!

Ricke Laßt mich!

Graf Du trauerst. Was ist geschehen?

Ricke Siegfried ist draußen bei dem Feind.

Graf (schlagartig) Siegfried!

Ricke Ja, weil er sich geschämt hat, weil die Schulmeisterin ihn bei sich hatte, ist er gegangen.

Graf Dennoch? … die ganze Zeremonie ist vergebens.

Launer Warum kommen Sie auch daher, Sie?

Frau Niese Dennoch! … was ist das! Darum will sie ihre Sühne.

Graf Die kann mir gestohlen werden. Ich führe den Prozeß um meine Ehre.

Launer Frau Niese, sind das Sie?

[90] Frau Niese Man hat doch geschwankt.

Ricke Er ist ganz allein hinaus und ist gewiß gefallen.

Graf Sagen Sie wenigstens, er lebe und führe Operationen eines Freibeuters aus, so will ich diese Person sofort überantworten, denn es geht nicht, daß ein einzelner den Faustkrieg führt, während ich um Unterhandlungen bei Seiner Majestät dem Kaiser nachsuche. Ist er also tot oder lebendig?

Ricke Ich traure.

Frau Niese Obgleich er lebt.

Schwester Gretchen Frau Niese, wie öffnen Sie meine Augen!

Launer Die Gerechtigkeit hat geredet, das Fräulein hat diese Zeugin selber herbeigefleht.

Zustimmung: Bravo! Gottesurteil! Bei allen Akklamationen spielt der Bürgermeister die Rolle eines Musikdirigenten.

Graf Schänder, führen Sie ab, ’s ist deutlich Hexerei.

Schwester Gretchen Die natürliche Kraft der Liebe hat ihn auf meine [91] Bettkante gesetzt. Er ist mein Verlobter! Ich sterbe gern für den süßen Gedanken.

Ricke Schwören Sie’s ab! Sie fahren mit einer Lüge ab.

Schwester Gretchen Nein, das tue ich nicht. Es ist an meinem heutigen fünfzigsten Geburtstag mein einziger Ruhm, mein letztes.

Launer Sie schwört’s nicht ab, das arme Mädchen hat ewige Schande. Sagen Sie schnell Herr Graf, sie bleibe am Leben, wenn sie ihn abschwört. (Ricke windet sich schreiend vor Wut.)

Graf Halt! Wenn Sie den Mann als Ihren Verlobten abschwören, so bleiben Sie de Punkto am Leben.

Schwester Gretchen Was soll ich da tun?

Frau Niese ’s Leben kann noch viel bringen, wenn’s jetzt erst begonnen hat, zu bringen.

Schwester Gretchen Ich schwöre ihn ab.

Ricke (tanzt in Erhebung in eine Gasse) Sie schwört ihn ab … es ist nie gewesen. Heinle, hörst du’s?

[92] Graf Noch einmal, ganz laut!

Schwester Gretchen Ich schwöre ihn ab und verdamme ihn. Dann lassen Sie mich auch los, Schänder!

Schänder Jetzt ist es bloß wieder den einen Grad schwächer. De Punkto ist lateinisch und heißt: „Um einen Punkt schwächer“.

Die Glocke läutet zum letzten Gang.

Schwester Gretchen Wie leer gehe ich aus! Jetzt bin ich auch darum betrogen … und das heute!

Frau Niese Sie können nichts haben … hab ich schon immer gesagt.

Schwester Gretchen Frau Niese, haben Sie nicht früher anders ausgesehen?

Frau Niese Die Todesangst setzt Ihnen eine farbige Brille uff.

Der Haufen wälzt sich langsam in die Gasse.

Graf Ich glaube Herr Agent, meine Frau darf kommen.

Launer (leise) Dort steht sie schon … recht sorglos entgegen!

[93] Der Magistrat geht wie gekommen wieder zurück aufs Rathaus.

Graf (geht der Gräfin entgegen) Freu dich Schatz! es ist alles ganz glücklich abgelaufen.

Gräfin Sind wir vom Feinde entsetzt?

Graf Liebes Kind, das erfordert Tage, Wochen, Monate.

Gräfin Wie stehst du überhaupt da! In Hemdärmeln und wollenem Tuch.

Graf Wir schwitzten so, daß ich mich nicht erkälte.

Gräfin – und diese Hexenkomödie machst du sofort rückgängig, du bist auf dem schönsten Pfade, ein ganz verabscheuungswürdiger Despot zu werden.

Graf Beruhige dich! Ich entspreche dem Volkswillen.

Gräfin Dann weißt du es nicht, daß Siegfried allein um unsere Freiheit kämpft.

[94] Graf Hör mal, in diesen Siegfried scheinst du nachgerade verliebt zu sein.

Gräfin Er ist ein Held, ihr seid Feiglinge, du vor allen.

Graf Er ist zum Freibeuter verhext und handelt gegen das Gesamtinteresse.

Gräfin Er kann unsern Ruf vor dem Feinde höchstens wieder herstellen … ich sage dir, meines Leibes Sicherheit wird meine erste Sorge sein neben der um das Leben unserer Bürger.

Graf Darum sollten wir unterhandeln.

Gräfin Rufe wenigstens den Schänder zurück! Du beweist es mir also damit nicht, wie ernstlich dir Weinsbergs Schicksal am Herzen liegt.

Graf Wenn du mir’s so glaubst! Dann widerrufe ich meinen Rechtsspruch. Waibel inhibieren Sie!

Waibel Wenn er darauf eingeht der Schänder. (Ab … holt den Haufen ein.)

[95] Gräfin An den Pranger darfst du sie stellen.

Graf So bist eben du der Richter hier.

Gräfin Ich werde sehen, daß ich das Heft in die Hand nehme.

Launer Da werden die nötigsten Vorkehrungen zu nichte gemacht. Sie verehrte gnädige Frau schlafen nicht im Zimmer neben der Gretchen.

Gräfin Katz und Hund bekämpfen sich solange, bis sie Freundschaft schließen.

Launer Zu was tut ein Bürger da noch seine Pflicht.

Der Haufen mit der Gretchen wird wieder sichtbar … die Glocke hält enttäuscht inne.

Graf Die Schulmeisterin soll nur an den Pranger!

Schänder Das kann ein anderer machen, das ist für mich nicht genügend. (Ab.)

Schwester Gretchen Wem danke ich meine Erlösung?

[96] Gräfin Sie könnten sich noch genug schämen.

Schwester Gretchen Ich schäme mich nicht. Ich bin ein Mauerblümchen.

Graf Waibel, besorgen Sie’s!

Waibel Wollen Sie so freundlich sein. (Ab mit Gretchen.)

Der Haufen bewegt sich nach einer andern Seite des Marktes, dort wird Gretchen sichtbarlich hinten in der Szene an den Pranger geschnürt. Das Interesse der Menge flaut ab.

Frau Niese Die darf sich da was darauf einbilden, gnädige Frau.

Gräfin Frau Niese, sind Sie ja still! Und ein klein wenig mitfühlender.

Frau Niese Jenes fühlte ich, da wird mir’s ganz öd (zieht sich gähnend in eine Gasse zurück).

Launer Das einstdem so herrliche Dasein freut selbst den Lorbeer nicht mehr, wenn er welkt.

Graf Du gibst uns Allen Anlaß zur Resignation.

[97] Gräfin Ich bringe Ordnung in euch.

Graf Wie kamen wir heute früh zurück! wie rauschte der Wind in unsern Panzern! wie ein Freudensturm! und jetzt!

Gräfin Ihr habt einen Spazierritt gemacht und habt euch eingebildet, Figuren der Heldensage zu sein.

Launer Ich ertrage Ihren Spott nicht mehr. Ich habe meine Wunde Antlitz des Feindes verdient. Ich renommiere nicht gerne, aber jetzt kann mir die Sprache meine Ehre zurückgeben.

Gräfin Ich höre.

Launer (erzählt) Ich ritt als der vorderste, hinter mir unsere wackere Schar. Ich reite auf meinem Rößlein immer munter vorwärts und wie ich so reite, taucht vor mir in nebliger Ferne ein geharnischtes Ungeheuer auf. Ich denke „reitest noch ’n bißchen zu, wenn es dich sehen wird, wird es schon anhalten und sein kühnes Nahen sein lassen“, aber mit Tollkühnheit avancierte es. Ich stand und erkannte einen kaltblütigen Ritter – „siehst dir die Sache ’n bißchen an“ dachte ich und avancierte – fühlen Sie mit? wir kamen uns nahe. [98] Ich wagte zu rufen … da noch zu rufen! „Hie Welf“ rief ich … „Hie Ghibellin“ war die Antwort, ich war verwundet, blutete, drehte mein langsames Roß, und bemerkte, daß ich der letzte Mann einer scharf auf die Stadt zuhaltenden Schar war, die ich später als die unsrige erkannte. Natürlich schrie ich wie ein gestochenes Schwein und beschleunigte dadurch die Jagd in die schützenden Mauern der Stadt. – Bedenken Sie einen Riesenreiter, der „Hie Ghibellin“ schreit … was soll denn das heißen? Das konnte nur der böse Feind in Person sein. – Wir atmeten hinter den Torflügeln auf und sahen, daß kein Feind da war. – Wir hätten allesamt sterben können, davor behütete uns mein Duell mit dem Teufel, denn allein dadurch kann er zurückgeblieben sein. – Resumé! Die heutige Nacht war ein sternhelles Ereignis in unserer Geschichte, denn wir schlugen den Feind soweit in die Flucht, daß er trotz seines Vorstoßes aus seiner Stellung bei Höllofen nicht weiter als auf fünf Meßellen vorrücken konnte. Ich bin quitt. (Stolz.)

Gräfin So … Sie sind quitt. Beinahe sitzen die Waiblinger auf Weinsbergs Mauern wie Lachtauben.

Graf Bist du nicht gefolgt?

Gräfin Totschlagen sollte man euch!

Graf Nun ist’s gesagt. Daß wir noch leben, ist dein [99] Ärger. Du spekulierst auf ein ungestörtes Renkontre mit dem Feind.

Gräfin Ich möchte mit dem Kaiser tanzen.

Graf Sag einmal, Sophie, worüber hast du dich plötzlich in mir zu beklagen?

Gräfin Das fragt dieser Mensch!

Graf Ich habe dir nichts getan!!! Ich tue dir den Gefallen nicht und lasse mich nutzlos totschlagen.

Gräfin Das was du nicht haben möchtest wird dir blühen.

Graf Ich möchte dein Schluchzen hören, wenn wir draußen geblieben wären!

Gräfin Es müssen doch Widersprüche über die Auffassung meiner Person in dir herrschen.

Graf Nein, aber wünschst du mir den Tod, so … so sind wir Feinde!

Gräfin Lieber, ich kann dir nur sagen, was ich denke. [100] Du wirst schon noch an meine Mahnung zur Tapferkeit denken.

Launer Ich will Frieden stiften, einen tapferen Mann verletzt so was.

Trompetenstöße von den Türmen der Stadt.

Graf Das sind die Abgesandten des Kaisers … die Unterhändler. Melden Sie’s! (Laut.) Waibel! die Glocke! und meinen Rock!

Gretchen bleibt verlassen stehen, alles drängt sich her.

Gräfin Du hast sie schon bestellt!?

Graf Gewiß liebes Mäuschen, um dich zu überraschen.

Gräfin Sprich anders zu mir!

Graf Ach! morgen gehe ich wieder auf die Hasenjagd!

Gräfin Ich sehe etwas voraus, was du nicht ahnst.

Graf Gruppiere sich alles in einen doppelten Kreis von Männern und Frauen. Es freut dich gewiß, (Waibel bringt den Rock, der Graf zieht ihn unter der Rede an) wenn ich euch Frauen mitreden lasse.

[101] Gräfin Du bist sehr höflich, wenn du klug sein mußt.

Es bildet sich ein Kreis, doppelt, vorn Männer, dahinter die Frauen. In der Mitte Graf und Gräfin. Die Kinder werden von ein paar idiotischen Mitbürgern abgehalten mit Stecken, die der Bürgermeister an sie verteilt. Hinter Launer Platz frei.

Graf Gegen die Herren Unterhändler erbitte ich ein freundliches, wohlwollendes Benehmen.

Schwester Gretchen (von ferne) Herr Launer, ich stehe gerade hinter Ihnen.

Launer Das ist ein böses Omen für mich.

Waibel (drängt sich in den Kreis, Platz zu schaffen) Geben Sie etwas Luft, die Herren wollen hier durch.

Ein blendender kleiner Trupp schwäbischer Herren, die sich kavaliermäßig verneigen, mitsamt ihrem dicken Schreiber.

Schwester Gretchen (wimmernd) Ergebung! Nichts als Ergebung solchen Herren!

[102] Sprecher (mit adligem Baß) Vor allem habe ich Seiner Majestät speziellen Gruß an Ihre Hochachtbarkeit Frau Gräfin Sophie zu überbringen.

Beifallskundgebung des Kreises. Das Vertrauen wächst.

Sprecher Sodann habe ich den Auftrag, Stadt und Feste Weinsberg drei Übergabebedingungen verlesen zu lassen. Sie haben eine derselben anzunehmen, widrigenfalls an einen unblutigen Austrag überhaupt nicht zu denken ist. Ich lasse die Bedingungen verlesen, Sie geben ihre Zustimmung oder verwerfen dieselbe, so kommt die nächste so weiter bis zur letzten. Also! Erste!

Die Weiber (schreien) Die dreie verlesen, dann wählen m’r de beste.

Sprecher Wie? – – alle drei. Nein. Majestät will die Gesinnung seiner späteren Untertanen dadurch kennen lernen.

Schwester Gretchen Nur rasch! Daß die vielen andern noch hereinkommen.

Sprecher (zum Grafen) Hexe was?!

[103] Graf Hexe ja!

Schreiber (tänzelt durch den Kreis auf Gretchen zu, macht Stimmung) Dottore di Bologna … warum prangen Sie hier?

Schwester Gretchen Ich kann es gar nicht sagen, mein Geburtstag ist heute.

Schreiber Sie schließen gewiß ein halbes Jahrhundert ab und schließen das andere halbe auf.

Schwester Gretchen Sie sind ein Prophet … heute ist mein fünfzigster Jahrestag, den feiere ich am Pranger für eine einzige Nacht des Glücks.

Schreiber Sie waren also 365 × 50 = 18250, also achtzehntausendzweihundertundfünfzig Nächte unglücklich, haben sie in Tugend verbracht und verkasteit!

Schwester Gretchen Sagen Sie’s dem Kaiser, wie es hier ungerecht zugeht.

Schreiber Nein spricht der Richter, wer’s die achtzehntausendzweihundertundfünfzig Mal fertig gebracht hat, hätte auch gut noch diese eine Nacht anständig bleiben können. (Beifall und Lachen.)

[104] Launer Das sind andere Herren der Wissenschaft, die sagen Ihnen Bescheid, auf meine Stimme hörten Sie ja nicht.

Schreiber (Verbeugung gegen den Kreis) Sie sehen, wir sind keine schlimmen Feinde.

Schwester Gretchen Der Herr mit der Armbinde ist der schlimmste Welfe! Er hat eine Wunde vom Kampf gegen Sie.

Graf Waibel stopfen Sie ihr den Mund, bleiben Sie bei ihr stehen!

Launer wird von den Staufen genau betrachtet.

Schreiber Ist das der Held?

Frau Niese Ich hab’s. Sie verwechseln ihn mit meinem Tochtermann, ahn ich … geht uff nichts ein, ihr habt es nicht nötig. Ein Löwe geht unter ihnen um.

Gräfin Wir unterhandeln nicht … Frau Niese wittert richtig.

Schreiber Regieren hier die Frauen?

[105] Graf Da hörst du’s wieder einmal. Nehmen Sie’s nicht übel, lassen Sie bitte verlesen.

Gräfin Du hast die Stadt dem Grafen Welf zu halten!

Die Weiber (rufen) Hurra! Es lebe die Gräfin!

Sprecher Wir kehren um und berichten Majestät von den Frauen.

Wieder Jubel der Frauen: „Bravo sie gehen“!

Sprecher Wir waren zu spaßhaft. Sie sollen unsere Härte kennen lernen! (Sie tun wie gehen)

Graf Bleiben Sie, es ist meine einsichtslose Frau.

Sprecher Es geht in diesen Mauern toll zu.

Frau Niese Das ist der Humor der Weingegend.

Launer Den Sie ganz zur Unzeit anbringen.

[106] Schreiber (liest unter anfänglichem Lärm) – – – Stadt und Burg unverzüglich seine Tore, überläßt Weinsberg sein Schicksal der kaiserlichen Gnade. Ich. Imperator rex. Konrad III.

Schwester Gretchen Nur immer auf! (Waibel hält ihr den Mund zu, wenn auch zu spät.)

Bürgermeister Ist Ihre Gnade erbaut?

Graf Gnade – – ist viel einzuschließen! Was denkst du, Sophie?

Gräfin Ich denke nichts.

Graf Ich mißtraue dieser Bedingung.

Bürgermeister (laut) Sie haben diese Bedingung zu verwerfen!

Die Versammlung drückt ihr Einverständnis gleichgültig aus.

Schreiber Das war die beste.

Gräfin Das kennzeichnet dich wieder … du mißtraust [107] allem, auch einem kaiserlichen Wort, der Gnade des Kaisers!

Graf Dann wollen wir sie doch annehmen.

Schreiber Leider …

Graf Äußere dich beizeiten! … zu was stehst du hier!

Schreiber Die zweite. Es erfolgt Übergabe wie unter eins, jedoch die Männer verpflichten sich sämtliche zur Teilnahme am nächsten Kreuzzuge, den Seine Majestät unternehmen wird.

Graf Ah … charmant. Wie gut war’s, daß wir die erste nicht annahmen.

Die Männer Das laßt sich hören.

Launer Nach Jerusalem und Jericho! Wir werden uns der Türkinnen bemächtigen und ihre Schleier lüften, um die Geheimnisse darunter zu erforschen.

Herr Niese ’s gelobte Land sehen und das Kreuz nehmen!

Frau Niese (hinter ihm vorfahrend) Hast du nicht Kreuz genug zu Hause? Also darum [108] vernachlässigt man einen so, weil man vom gelobten Land und Muselweibern träumt. Wie willst du denn mit deinen blinzelnden Augen ein gelobtes Land überhaupt sehen? Wer tut denn das Land so loben! unsere Mannsleute.

Zustimmung bei den Frauen.

Launer Eine Beteiligung am Kreuzzuge kann den Kredit meiner Versicherung, für welche ich agiere, in glorioser Weise heben.

Frau Niese Im heiligen Lande sterben die meisten.

Launer Ich möchte so gerne als Heiliger hinübergehen.

Graf Wir müssen den heiligen Zweck über alles Todesgrauen erheben.

Gräfin Auf einmal will man sterben. Nein, du möchtest mir auch gar zu gerne nach Palästina gehen.

Graf Ich gestehe dir’s … ja.

Bürgermeister Soll ich zur Abstimmung drängen?

Frau Niese Diese Bedingung nehmen unsere Männer nicht an.

[109] Graf Das fragen wir Sie! Ich meine, wir stimmen ab, Schatz.

Gräfin Nein Schatz … du bleibst hier. Diese Bedingung ist verworfen.

Streitender Lärm.

Graf Du bist wahnsinnig, diese Bedingung war prachtvoll.

Schreiber Die dritte, hmm, ob sie gefallen wird.

Graf Es zerschlagen sich die Verhandlungen.

Gräfin Das tut nichts … wir haben noch einen draußen, der uns beschützt.

Graf Blase mir von dem nichts mehr in’s Ohr! Die dritte Bedingung wird einfach angenommen.

Launer (wehmütig) Das liebliche Betlehem mit seinem Knäblein …

Schreiber Die dritte! … Erstens Weinsbergs Frauen bleiben verschont, sie dürfen all’ ihre Kostbarkeiten an [110] sich nehmen, so viel sie zu tragen vermögen. Zweitens (schmunzelt) die Männer fallen unter dem Schwert, so weit sie welfisch gesinnt sind. Ich. Kaiser Konrad.

Schwester Gretchen Der Herr Agent ist ein Erzwelfe.

Graf Diese Bedingung wird selbstverständlich verworfen. (Will zum Kreise hinausschreiten.)

Gräfin Diese, die dritte, wird angenommen. Den Frauen das Leben, den feigen Männern aber den Tod!

Graf Entsetzliche! was habe ich dir getan, daß du auf meinen Tod sinnst.

Gräfin (kalt) Bürgermeister, geben Sie den Schlüssel zur Stadt.

Bürgermeister Soll ich, Herr Graf?

Graf Wir können ja nichts machen. (Halb weinend) Sie befiehlt’s ja.

Bürgermeister (übergibt ihn) Hier, im Namen des Kaisers.

[111] Schreiber (packt den Schlüssel, mit kurzem knappem Salut eilen die Staufen davon.)

Launer (resigniert) Diese zehn Kilo, die der Herr Bürgermeister treu mit sich herum trug, nehmen sie hinaus, um morgen von außen aufschließen zu können.

Die Versammlung steht nicht wissend, was sagen. Die Gräfin begegnet lauter bösen scheuen unzufriedenen Blicken.

Ricke (in stürmischer Freude) Siegfried kommt, Siegfried ist wieder da.

Es wird lebendig im Kreise. Ricke stürzt wieder davon

Gräfin Die Herren wußten, warum sie’s eilig hatten.

Graf Man sollte dich in den Burgverließ stecken.

Gräfin Ich stehe in des Kaisers Schutz.

Frau Niese Da gibt’s aber ein bißchen viele Witwen zu morgen.

Gräfin Wir heiraten Schwaben.

[112] Graf (schmerzschreiend ab) Ich taumle davon.

Launer (an Gretchen Halt machend) Und Sie sagen also, ich sei ein Welfe. – – (Ab.)

Schwester Gretchen Ja mit Verlaub.

Ricke (von neuem) Er ist da. Mutter, jetzt kommt er.

Gräfin Wir gehen ihm entgegen und erheben ihn auf unser Schild.

Die Frauen kommen in Bewegung, sie laufen Siegfried entgegen und bringen ihn hochgehoben auf die Szene.

Frau Niese (weint) Nutzt das dem braven Buben noch!

Gräfin (entgegen winkend) Siegfried, ich adle dich!

Siegfried Weiberr, laßt ab!

Schwester Gretchen Ich vergehe.


Vorhang.
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