Die Weiber von Weinsberg (Essig)/Vierter Aufzug

« Dritter Aufzug Hermann Essig
Die Weiber von Weinsberg (Essig)
Fünfter Aufzug »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).

[113]

Vierter Aufzug.

Personen: Graf; Schwester Gretchen; Launer; Frau Niese, Ricke; Siegfried; Waibel; Volk – –.

Szene: Platz bei der Kirche mit Aussicht auf die Burg. Die Szene begrenzt die Kirche, die Stadtmauer mit dem Ausgang nach der Burg und die Häuser der nach der Kirche steil anlaufenden Gasse. Das Launersche Haus. (Plakat der Agentur und gepappte Fensterscheiben.)

Zeit: Nachmittags.

Ricke (im Selbstgespräch) Und warum hat sie ihn geadelt? … Vor der Gräfin muß man sich hüten … o die ist verschlagen! weil sie den ihren über hat.

Siegfried (aus der Gasse) Ricke, willst du die paar Stunden noch geizig mit dir sein?

Ricke Du bist ja ein solcher großer Held jetzt, da mußt du dir eine suchen, die dir nachläuft.

Siegfried Hat ein Mädel keine Freude, wenn er nicht draußen blieb?

[114] Ricke – Ich hab sie gehabt, aber du läßt dich nicht blicken.

Siegfried Ha no, Ricke, wenn mich alles bestürmt und ich einem jeden das nämliche vorquatschen muß.

Ricke – Den Feind hast du dir brav vom Leibe gehalten!

Siegfried Meine Landsleute sind aber keine Feinde.

Ricke Daran sieht man’s. (Läuft davon.)

Siegfried (zögernd hinter ihr) Was sieht man daran? … ist man denn bloß für deine Laune da? … wart doch, ich soll auch hinauf zur Gräfin.

Ricke Da geh noch hin! … da geh hin! (Ab. Siegfried hinter ihr.)

Launer mit dem Grafen.

Launer Auch hier das Bild des geifernden Weibes!

Graf Bei zwei Frauen, hätte man zwei Frauen!

[115] Launer Ich muß widersprechen. So kann man wenigstens immer ein Ohr frei halten.

Graf Was gestattet sich das Weib gegen den Herrn der Schöpfung.

Launer Sie finden allerendlichstens meine Theorie über die Kaltseeligkeit der Frau bestätigt.

Graf Wie habe ich Sophie vergöttert! … wenn ich d’ran denke! ich möchte mich vom Kirchturm herabstürzen und mich in dem ausgebreiteten Sprungtuch meiner Schwachsinnigkeit auffangen.

Launer Sie hätten dem Stammtisch treu bleiben und niemals heiraten sollen. Ich erlebe wenigstens in dieser Richtung keine Enttäuschung.

Graf Die Einfalt war eben auch meine Heilige! Ich träumte von ihrem erquickenden Lachen als von einem spritzenden Wasserfall. Ich asinus onustus träumte! … Jetzt bin ich erwacht und höre das Todesurteil von ebenderselben, derselben, mit Hohn sprechen!

Launer Fassen Sie sich! … sagen Sie’s morgen dem Kaiser, vielleicht straft er die Bosheit.

[116] Graf Niemals … ich liebe sie noch. Ich bin noch so wahnsinnig, daß ich den Gedanken erwäge, auf den Knieen zu ihr zu gehen und einen Abschiedskuß zu erflehen.

Launer Das ist in viro feminaler Wahnsinn.

Graf Ich habe früher im Kohl die Weißlinge gefangen und nicht verstehen können, wie die Falter, die männlichen nämlich, so schwelgen können, bis sie mit todesmatten Aschenflügeln zu Boden fallen! … aber ich begreife es jetzt, nur die Männer sind wahnsinnig in der Liebe … Esel … Männer … Wahnsinnige.

Launer Halt! wohin Herr Graf? … vergessen wir nicht, wie wir uns retten können.

Graf Besinnen Sie sich alleine … ich gehe. Wer kommt da? Siegfried, trittst du mir als Notnagel entgegen?

Siegfried Die gnädige Frau wünscht mich.

Graf Meine Fassung! … Herr Launer, das ist das Weib.

Launer Das mir Gott sei Dank nur bei Anlässen begegnet ist.

[117] Graf Siegfried, willst du nicht mit uns gegen den Feind ziehen? … wir wollen uns hindurch hauen, daß die Lappen fliegen.

Siegfried Ich kann bloß alleine was ausrichten.

Graf Stürme voran, wir folgen nach.

Siegfried Ich bin nun eben auch beleidigt worden, indem man mich zu Hause gelassen hat.

Graf Freust du dich auf’s Geköpftwerden? morgen?

Siegfried An mich langt keiner.

Graf So bist du der schadenfrohe Lucifer!

Siegfried Was ist denn bloß? warum werde ich so angeschrieen?

Graf Der Mensch ist zu stark! … er begreift unser Bangen nicht. Was willst du bei meiner Frau?

Siegfried Ich soll eine Auszeichnung empfangen, hat’s geheißen.

[118] Graf (erschöpft) – – Herr Launer, haben Sie sich auf Rettung besonnen?

Launer Wir müssen jemand haben, der beschwört, daß wir keine Welfen sind.

Graf – – Ich höre nur tolles Summen. Wir keine Welfen! hätte man uns belagert?! … nein, ich gehe auf den Knieen hinauf zu ihr, auf den Knieen! (Sinkt im Tor nieder auf die Kniee, er rutscht darauf fort.) Zu meinem ehelichen Krokodil!

Launer Da läßt sich nicht helfen. – Hm.

Siegfried Was ist mit ihm? – dem Herrn Grafen?

Launer (als gewahrte er ihn erst, drückt ihm schüttelnd die Hand) Ach verzeihen Sie, meinen herzlichen Gutentag, Herr Kollege von demselben Heldenorden. Allein Ihr Erfolg war günstiger, das Ziel war uns beiden das eine und selbe, den frechen Feind zu zermalmen. (Erneutes Handgeben.) Darauf die Bruderhand! Kommen Sie aber nicht an meine Wunde hin, ich habe mir nämlich die Binde entfernt, um nicht sogleich als Welfe angesprochen zu werden.

[119] Siegfried Warum habt ihr bloß keinen gestreckt? wo sie mich umschwärmt haben wie die Aasgeier.

Launer Das ist der erstaunlich klare Punkt: Die Gefahr ist nachts größer und der Erfolg ist in’s Dunkle gerückt.

Siegfried Bei mir hat’s gedämmert, da dacht ich: Druff!

Launer Bei uns dachte das der Feind.

Siegfried Ja ja … ich kann’s beurteilen, dasselbe ist’s nie.

Launer Aber ich will Sie nicht aufhalten, Sie wollten sonder Zweifel zur Braut.

Siegfried Zu der da! … ist sie nicht.

Launer Das Fräulein winselt aber am schändenden Pfahl nach Ihnen.

Siegfried Laßt sie winseln!

Launer Man darf keinem Menschen die Qual anwünschen, sonst kommen wir selbst einmal an den so betitelten [120] Ort. Haben Sie das Fräulein schon angesehen? es weint Tränen, weil es durch Sie an den öffentlichen Pranger gekommen ist.

Siegfried Durch mich! … ich hab ihr nichts getan.

Launer Dort steht sie die Bedauernswerte und friert in die Füße.

Siegfried Durch mich! … das will ich aber gewiß nicht. Meine Weibsleute tun mir keinen Schnaufer davon. Da ging ich am besten hin und schnürte sie los!? … da gang ich gleich.

Launer Sie haben als Urheber auch das alleinige Recht, sie abzuschneiden. – Ich finde den mitleidigen Zug sehr schön an Ihnen. (Siegfried ab.) Geh hin und hole die Eselin, der Herr bedarf ihrer.

Frau Niese (aus dem Hause) War das gerade mein Tochtermann?

Launer In spe.

Frau Niese In spe! … was heißt das? … da ist er’s wohl gewest! (Auf die Straße getreten, erbost nachblickend.)

[121] Launer Lassen Sie ihn ruhig! Er will eine heroische Tat vollbringen. Wie alle Helden zeichnet auch ihn ein Zug weitgehenden Mitleids aus.

Frau Niese Wenn der mit seiner Allmachtseinfalt nicht noch in’s Panoptikum (nach Berlin) kommt! … Es bedeutet ja, daß er sie zur Ehre bringen will, indem er sie heiert, die Gefallene.

Launer Das wäre allerdings grandios, haben Sie Ideen!

Frau Niese Die hat man, wenn man zweite Mutter für eins ist.

Launer Sagen Sie ruhig Schwiegermutter, das Wort behält durch alle Äonen seinen Klang.

Frau Niese Hinter allem stecken Sie.

Launer Ich? … geliebte Dame!

Frau Niese Sie haben ihn gewißlich uff sie gehetzt.

Launer Wie soll ich in meiner Zusammengebrochenheit [122] noch eine Treibjagd veranstalten?! Ich geistig längst voraus Enthaupteter!

Ricke Wahnsinn! … Muatter! halte mich fest! … a … a … da vor ein paar Sekunden red ich noch mit ihm … und jetzt! … und jetzt! … führt er … eine frisch eingehandelte Kuh vom Markt. Muatter! wo hat der seinen Geist? Er muß auf den Weißenhof[1]. Komm mit Muatter, diesmal werde ich tätlich gegen ihn. (Im Fortstürzen, mit Frau Niese) Ich werde noch mit dir fertig!

Waibel (von anderer Seite) Ich habe die Verantwortung. An mir geht’s hinaus.

Launer Der Herr bedarf ihrer.

Waibel Der Herr Graf? (Stillstehend.)

Launer Ich fühle mich als die Zentrale der ausgleichenden Gerechtigkeit.

Waibel Sie bedürfen …? dann soll ich es geschehen lassen?

Launer Wie gedenken Sie den morgigen Tag zu erwarten?

[123] Waibel Mit Geduld. Die Herren werden eben sehen müssen, wie sie meine Kinder unterbringen.

Launer Haben Sie so viele?

Waibel Die Hälfte weniger als der König von Troja.

Launer Sie hoffen also, man wird Sie um weiterer Kinder willen begnadigen.

Waibel Das hoff ich. (Geht langsam in die Gasse ab.)

Launer So wird sich bei manchem eine trostlose Hoffnung gebären, allein ich werde den Bock in die Hecke gehängt finden.

Schwester Gretchen (begleitet, an der Hand gezogen, von Siegfried. Weiter um sie herum Ricke und Frau Niese) Lassen Sie den jungen Herrn gewähren! Ich bin so glücklich, daß ich erlöst bin! Warum machen Sie dem Engel Vorwürfe! meine Füße waren ganz erstarrt. Sind Sie froh, daß die Ameisen wieder aus meinen Beinen gekrochen sind. Er ist ein Michael, der mich befreit hat.

Ricke Ein Michel bist du.

[124] Frau Niese Ein bloßes Glück, daß du morgen geköpft wirst und die Blamage so mit dir abstirbt.

Schwester Gretchen Das wollen wir erst noch sehen! Ich werde mich für den Herrn in die Wagschale werfen.

Ricke Dafür sind Sie zu leicht!

Schwester Gretchen Ich bin schwer, ich wiege ein Gutes über einen starken Zentner.

Frau Niese Wir freuen uns schon über dich und dein Mitleid, du bist schon ’n Kriegsheld!

Ricke Dir kann nix meh den Ruf schmälern! wenn du das meinst.

Siegfried (um sich fahrend) Darnach frag ich gar nicht. Für euch Gesindel bin ich lang gut.

Frau Niese Lang gut! ’s wird gar nicht mehr so lange dauern. (Lauter schreiend.) Morgen wird deiner Dummheit der Hals abgeschnitten.

[125] Siegfried Und dir platzt deine Krampfader, weil ich kein Unmensch bin.

Die Heinle mit dem Ihren in schnellem Lauf.

Heinle Ha ha ha, tot schießen könnte ich mich!

Ricke (gegen sie) Ich hab ihn ja gebeten, daß er’s tut.

Heinle Gebettelt, du? – – – du.

Launer (nach mehrmaligem tiefem Hutabnehmen) Meine Ehrfurchtl Meine Reverenz! Mein Kompliment! Meine Hochachtung … Meine Liebe … Meine tiefe Neigung.

Schwester Gretchen Ich gehe auf nichts mehr ein, ich bin ganz mißtrauisch geworden. Ich habe mich gewandelt.

Launer Auch ich habe die Zeit zur Buße nicht unbenutzt gelassen. Sie hören jetzt noch die Orgel brummen.

Schwester Gretchen Ich höre aber gar nichts. So redet der Fuchs wie Sie.

[126] Launer Sie brummt in mir mit gezogenen Registern weiter wie die Stimme des jüngsten Gerichts.

Schwester Gretchen Das glaube ich Ihnen recht gerne, aber ich beachte es nicht. Ich bin von meiner Verblendung geheilt. Wenn ich es schildern könnte, wie groß mir die Bedeutung eines Lebens geworden ist. Ich könnte ein Buch gleich der Bibel schreiben, wie offen ich den Himmel gesehen habe.

Launer Haben Sie mich nicht darin gesehen?

Schwester Gretchen Alle meine bisherigen Bekannten nicht außer meinem Erretter. Er darf darum auch mit mir heraufkommen.

Ricke Und auf die Ehre pfeifst du nicht? Wie unser Stier der Samuel einmal aus Versehen den Weinkübel statt den Wassereimer ausgesoffen hat, ist er von da ab um selbigen Kübel mit Scheu herumgelaufen. Der Samuel ist ein gescheiterer weder du.

Heinle Du sagst, du habest ihn gebettelt.

Ricke Meng du dich nicht darein.

[127] Launer (mit verliebt blickenden Augen) In diesen Himmel mit Ihnen hinauf!

Frau Niese Das ist sein bevorzugtes Recht, da schmiedet sich’s weicher auf Polstern und Katzenhaaren.

Ricke Laß ihn laufen, er will sie küssen die alte Stopfgans.

Schwester Gretchen Das sind meine Sachen.

Ricke Soll ich dir ihre Glatze zeigen?

Schwester Gretchen Laß meinen Zopf los, Ricke! Du reißt mir die Haare aus.

Ricke Drei Haare und ein ganzes Nest. Ja, soll ich? soll ich?

Schwester Gretchen Laß mich los! ich fasse dich an dem deinen.

Ricke Der ist Rapunzel.

Launer Ich gestatte es nicht, daß vor meinem Hause, vor allem Volk. …

[128] Heinle Läßt du sie los! sonst meng ich mich darein.

Frau Niese Wer mengt sich ein? ich spucke in meine Hände.

Schwester Gretchen Ich sage es selber, es sind falsche darunter, aber sei barmherzig Ricke und laß es sein!

Ricke Warum befreit Er Sie nicht? Der Erzmichel.

Frau Niese Weil’s ein Ruckerchen ist und es schief sitzt.

Ricke Heinle, drück mich nicht so fest, sonst regt sich meine Faust.

Der Heinle ihrer Das sollst wagen! … ein blauer Fleck kostet dir das ganze Gesicht.

Ricke Läßt du dir das gefallen, Siegfried?

Siegfried Fang du nicht an!

Ricke (läßt Gretchen los, gegen Heinle) Geh zurück! ich drück dir die Gurgel.

[129] Siegfried Macht was ihr wollt, ich geh dahin, (geht auf die Burg) die befreit von der Säuerei.

Launer Rasch, geliebtes Wesen, gehen Sie in’s Haus!

Schwester Gretchen verschwindet und schlägt die Haustüre zu.

Ricke Da läufst du davon, wenn sie mich erwürgen.

Heinle Laß du los, dann laß ich auch los!

Frau Niese Laß ab Ricke! … es geschieht dir ein Unrecht von ihm. (Die Händelnden gehen auseinander)

Ricke (in Wuttränen) Ich laß los, weil ich muß … oh ich möcht – was möcht ich zerreißen!

Heinle Sie hat das Brautrecht erworben, wirst du wissen Ricke.

Ricke Ich werde verrückt.

Heinle Werd’s nur! so verfährt aber auch keine mit ihrem Schatze wie du.

[130] Ricke Wie verfahre ich? … du, sag es mir! Marie.

Heinle Findest du wieder zu mir? … liegt dir’s im Gemüt?

Ricke Ich will dich begleiten.

Heinle Ricke, du bist ein Protzkasten gworden.

Ricke O ja … es muß doch an mir liegen. Früher ist er nie so verärgt mit mir gewest.

Der Heinle ihrer Um dich reißt sich keiner.

Ricke Ja … sagt mir alles Schlechte.

Heinle Du verdientest keine Offenheit von deiner Freundin. Was war denn dein Vorzug?

Ricke Der Siegfried hatt’ ich gemeint.

Heinle Ist ihm sein Vorzug der deine? … diesen mußt du dir erst verdienen.

[131] Der Heinle ihrer Er ist auch nicht mehr wie wir anderen.

Heinle Eingebildeter Affe!

Ricke Gelt, er ist an Held.

Heinle Und du hast ihn wie ein Glasstängelchen in Watte gelegt. Frisch aber nicht rauhborstig, dann auch wieder.

Ricke Wie muß ich’s anstellen?

Frau Niese Mach dir keine Sorgen! du bist ein rosiger Apfel.

Ricke Da hört ihr’s, wer’s in mich hineingeschrieen hat.

Frau Niese Eine die den Apfel getragen hat.

Ricke Wohin kommt man, wenn man deine Ratschläge befolgt? (Ab zur Burg … die beiden in die Gasse.)

Frau Niese Ich hab’s gemacht, wie ich wollte … aber dir muß man ja immer nachhelfen. Ist es nicht so Herr Launer? … kam sie nicht selber stets gelaufen, Muatter Muatter?

[132] Launer Gewiß, aber man rät doch immer das Beste!

Frau Niese A … Sie! … auch! … jetzt geht’s uff mich hinein, wo’s verpfuscht scheint. Sie dürfen viel sagen, Sie!

Launer Ich rede ganz abstrakt.

Frau Niese Sie mit Ihren Fremdwörtern! Fremdwörter sind aus dem Wörterbuch des Bösen, zum damit albern eingerichtet. Versteht m’r se recht, so heißen se was anderes, versteht m’r se nicht, so lacht m’r en aus.

Launer Aber liebe wackere Frau Niese, Wir verstehen uns doch sicherlich.

Frau Niese Gedenkt hätt ich’s!

Launer Wir haben noch so manche gegenseitige Hilfe nötig, bis der Kampf vollendet ist.

Frau Niese Ich wüßte nicht. Ich verliere den Humor, wenn man mir so im Gewissen wühlt, wie meine Tochter.

Launer Tun Sie mir den einen kleinen Gefallen, und [133] werden Sie wieder freundlich zu unserem Fräulein. Ich erwarte lebenentscheidende Dinge von ihr.

Frau Niese Sie?

Launer Sie soll einen Eid schwören, daß ich kein Welfe bin.

Frau Niese Und wie wollen Sie den kriegen?

Launer Mit Liebesbeteuerungen.

Frau Niese Die glaubt sie nicht mehr.

Launer Dann gehe ich einen Schritt weiter.

Frau Niese Lassen Sie sich aufbieten … auf dem Rathaus aushängen?

Launer Bis dahin erteile ich Ihnen Vollmacht, gehen Sie nur gleich hinein und reden Sie in dem Umfange mit ihr.

Frau Niese Herr Achilles, ich fürchte mich … Sie könnten doch noch der Gimpel werden. (Ab.)

[134] Launer Ich trete nachher wieder zurück, wenn mein Zweck erreicht ist. – – – (Geht auf und ab.)

Es dauert nicht lange, so kommt Schwester Gretchen in weltlichem Aufputz, einem ihr Gesicht verdeckenden schwarzen Strohhut, heraus … freundlich lächelnd. Sie geht so an Launer vorüber, daß entweder er – sie oder sie – ihn anreden muß.

Schwester Gretchen – – Sehr traurig stehen Sie da!

Launer (mit erstickter Stimme) Ich verzweifle.

Schwester Gretchen Vielleicht findet sich noch etwas, das Sie rettet … armer Herr.

Launer Ausgeschlossen.

Schwester Gretchen Ich war in meinem Leben oft verzagt, dann ging es allemal wieder an mir vorüber … damit will ich Sie trösten.

Launer (heult) Ich kann den Trost von Ihnen nicht annehmen.

Schwester Gretchen Aber warum denn nicht!? … geehrter Herr.

[135] Launer Weil … weil ich andere Gnadengaben von Ihnen holdseliges Fräulein zurückgewiesen habe.

Schwester Gretchen (bitter) Sie erinnern mich an etwas, das … sich unter einem Strom von Tränen weggeschwemmt hatte. Sie erinnern mich.

Launer Darum ist alles aus … alles aus.

Schwester Gretchen Es gibt Menschen und hauptsächlich Frauen Herr Launer, die immer wieder etwas Hoffnung zur Schau tragen. Die Hoffnung ist der Frau schönste Tugend.

Launer Ihre Worte, schönes Fräulein, martern mein arglistiges böses Herz.

Schwester Gretchen Ich will ja alles tun, reden Sie nur endlich frei!

Launer Ich habe mich gewandelt.

Schwester Gretchen Ist das alles? das heißt nicht viel.

Launer Ich liebe Sie wie’s im Katechismus steht.

[136] Schwester Gretchen Herr Launer, meine Zeit ist kostbar, ich wollte mich nach den Strapazen ein bißchen ordentlich stärken.

Launer Liebe, brünstig prächtiges Wesen, ist das kein Wort für dich, das dich entzündet Liebe, die Liebe, um derenwillen die Menschen alles für einander tun.

Schwester Gretchen Wenn sie in feste Formen übergegangen ist.

Launer Ich bin ein Freund der wilden Natur.

Schwester Gretchen Ich des standesamtlichen Schutzes.

Launer – – auch ich.

Schwester Gretchen Wir gehen zum Notar und setzen den Eid auf.

Launer Mir zwirbelt es im Kopfe wie in einer Rutine, Rutine. Sie haben eine Rutine, die Herzen der Menschen zu erforschen.

Schwester Gretchen Du sollst nicht geköpft werden.

Launer Und du sollst auf dem Standesamt in jenem vergitterten [137] Kasten, in dem man so schlecht lesen kann, mit mir prangen.

Schwester Gretchen In dem meine Augen sich bisher mit feuriger Glut verloren, ohne den eigenen Namen darin zu finden.

Launer Wenn es nicht öffentlich wäre, ich würde Sie hier Orts öffentlich küssen.

Schwester Gretchen Tu’s doch! wir gehören jetzt zusammen.

Launer Ehe das „du“ bei mir festsitzt kann sich mein Mund nicht zu dem höchsten Symbol menschlicher Adhäsion komprimitieren.

Schwester Gretchen Du komprimitierst mich keineswegs, Achilles.

Launer Aber nun fort da, von den beleidigten Mauern eines in’s Wanken geratenen Heims ewiger Selbstaufopferung. Sie sind doch auch für Eile.

Schwester Gretchen Für den ersten Kuß.

Launer Ich gebe ihn drunten in der schweigsamen Vorhalle des Magistrats. (Ab … mit ihr.)

[138] Frau Niese nach einer Weile aus dem Hause, hustet, beinahe zugleich der Waibel, sie lachen beide.

Frau Niese Sie kommen Herr Waibel, weil ich’s hörte. Und ich komme, weil Sie’s mit anhörten.

Waibel Man könnt glauben, man sei im Paradiese, wo der Mensch und das Tier auf du standen.

Frau Niese Aber im Vertrauen!

Waibel (wißbegierig) Ja …

Frau Niese Er will sie nachher wieder fallen lassen.

Waibel Das wäre aber undankbar.

Frau Niese Darum fürchte ich, diesmal packt es ihn.

Waibel Mit dem Loslassen hat sie’s überhaupt nicht so eilig.

Frau Niese Gerade … gerade das!

Waibel Unsereins wäre froh, es hätte solch eine Aussicht.

[139] Frau Niese Nur getrost Waibel, ’s Köpfen ist einmal und dann ist’s herum.

Waibel Ich kann mich mir gar nicht ohne Kopf vorstellen.

Frau Niese Das denken heute de meesten und morgen fliegt ’r wie geschlachtete Tauben in’s Fegfeuer.

Ein Trompetenstoß und noch einer und noch einer.

Frau Niese Horch! Horch! das Zeichen für die Weiber, daß se sich uff dem Schlosse sammeln. Also b’hüt Gott, nehmt’s nicht zu schwer! (Ab.)

Von allen Seiten strömen Weiber durch das Türchen hinauf zur Burg. Losung: „Die Frauen hinuff, die Mannsleute bleiben da“.

Launer (flüchtet sich in sein Haus wie ein Mörder) Ich habe die Quittung der Großmutter des leibhaftigen Teufels, daß ich am Leben bleibe.

Waibel (ruft ihn an) Herr Launer! … patsch! Wir beten ein Vaterunser und er frisiert sich zum Bräutigam.

Schwester Gretchen (unter den Frauen) Gehen wir denn alle schon hinauf?

[140] Ein Weib Nachher wird verschlossen, da kommt keine mehr hinein.

Schwester Gretchen Ich hätte so gerne noch eine Nacht in meinem Heim verbracht.

Eine Andere Tun Sie’s, dann sind Sie aber nachher vogelfrei.

Waibel Haben Sie für mich nicht auch so’n Papierchen?

Schwester Gretchen A … wenn ich Sie sehe, wird mir’s ganz übel.

Waibel Ich bin nicht der schwarze Mann … ich wollte Sie nur in Ihrem Glück sicher stellen. Doppelt genäht, hebt gut.

Schwester Gretchen Ich brauche keine Sicherstellung. Es ist schwarz auf weiß geschrieben, von beiden unterschrieben und amtlich beglaubigt und versiegelt.

Waibel Ich nehme Sie zu meiner Geliebten.

Schwester Gretchen Aber wenn ich Ihnen jetzt den Eid leistete, könnten noch mehrere zu mir kommen und dasselbe wollen.

[141] Waibel Schüde das was?!

Schwester Gretchen Leider, ich muß gehen, das Tor wird geschlossen .. auf Wiedersehen. (Tor zu.)

Waibel In einer andern Welt.

Launer (tritt aus dem Hause) Nicht seufzen mein Lieber.

Waibel Sie haben gut reden.

Launer Ich werde allerdings – und es läßt sich schon mit einiger Klarheit überblicken – morgen neben vielen hundert weiblichen Wesen der einzig überlebende Mann sein.

Waibel Was soll das unter so vielen! Träfe es wenigstens mich!

Launer Meine Verpflichtungen steigern sich in progressiv potenzierter geometrischer Reihe. Nachgerade so, daß ich im Gedanken daran so nervös werde und ich es überlege, ob ich mich nicht doch lieber zur Ruhe setzen lassen soll.

[142] Waibel Das sagen Sie nun so, um mich nicht neidisch zu machen.

Launer Auch wird mich, hoffe ich, das heitere Morgen nicht nötigen, meine Passionen aufzugeben.

Ein Haufen Männer mit gesenktem Kopf, darunter der Stammtisch-Präses, der Herr Oberpräzeptor.

Launer Ach Herr Oberpräzeptor und alle Herren des wohledlen Stammtisches! wo waren Sie denn die Tage? (Mit händeschüttelnder Begrüßung.)

Oberpräzeptor Wo waren Sie? … wir waren da.


Vorhang.

  1. Neue Irrenanstalt bei Weinsberg.
« Dritter Aufzug Hermann Essig
Die Weiber von Weinsberg (Essig)
Fünfter Aufzug »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).