Der Kampf mit den Kleinheiten (2. Auflage)

Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Der Kampf mit den Kleinheiten
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Auflage: 2
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Erscheinungsdatum: 1917
Verlag: Verlag der Wuppertaler Traktat-Gesellschaft
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Erscheinungsort: Barmen
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Quelle: Commons
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Salz und Licht
Vorträge und Abhandlungen in zwangloser Folge
Heft 22


Der Kampf mit
den Kleinheiten


Vortrag,
gehalten auf der Pastoral-Konferenz der Wuppertaler
Festwoche am 30. Juli 1915
von
D. Dr. Hermann Bezzel
Präsident des prot. Oberkonsistoriums in München


Zweite Auflage


Barmen 1917
Verlag der Wuppertaler Traktat-Gesellschaft
(E. Biermann)


| |  Terra, quamdiu immota fuerit, sanari non potest, quando vero mota fuerit et intremuerit, tunc recipiet sanitatem. Das Wort des Hieronymus (breviarium in psalmos, Ps. 99), so wünschen wir angesichts der Zeitlage, möge gnädige Erfüllung finden. Daß die dumpfe Atmosphäre, die vor dem Kriege über unserm Vaterlande ruhte und weder die klare Freude am inneren und äußeren Besitze aufkommen ließ, noch die erfrischende Hoffnung auf Neues gestattete, durch den ehernen Ernst des Kampfes zerstreut und Gaben und Kräfte wieder hervor- und aufgerufen wurden, welche stark genug erscheinen, eine wahrhaft neue Zeit heraufzuführen, dafür danken wir dem Gott, der in das deutsche Gemüt vor allem das Verlangen nach Echtheit und Wahrheit eingesenkt und in der Reformation ihm die Gewähr gegeben hat, daß er uns wieder auf den Grund der Tatsachen und der ihnen einwohnenden Gottesgedanken wie der aus ihnen abfolgenden Verpflichtungen führen und das Beständige trotz dem Wandel und Wechsel der Dinge zu Ehren bringen wolle.
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 Wie das Gesamtbild der Politik zertrümmert ward und, was äußerlich verbunden erschien, wegen der inneren Widersprüche zerrissen und zerteilt wurde, unnatürliche Verbündnisse durch unnatürlichere gestraft und gelöst wurden, so ist eine Summe von Werten und Erkenntnissen, die unveräußerlich schien, so der als Gesamtgut geltende Gedanke einer über Streit und Krieg licht erhabenen, ja aus ihnen eigentlich erst ganz hervorleuchtenden Humanität als unhaltbar und im Vollsinn wertlos verdammt und abgetan| worden. Was würde Herder, der Schöpfer des Wortes Humanität, mit dem er alle zur Peripherie des Daseins drängenden Ausstrahlungen des religiösen Lebens befaßt wissen wollte, zu der elementaren Roheit der Lüge sagen, die nimmer Gutes erreichen, sondern das Gemeine befördern will und das Ungeheuerliche dem Feinde andichtet, nur weil er Feind ist! – Meinte man nicht ehedem, der Lüge Wahrheitsmomente beigeben zu sollen, damit sie das morsche Gebäude trügen und durch Folgerungen die Möglichkeit ihrer Behauptungen verstatteten? Jetzt wird die Lüge zur Herrin, nicht zur Gegnerin der Wahrheit auf den Plan gerufen, damit sie die Schwächlichkeit derer, die von Wahrheit leben, beschäme und den Mut derer stärke, die das Unwahre wirklich sein lassen, weil sie so wollen. Kurzbemessene Gesichtspunkte wirken demoralisierend, sagt Rothe einmal. Die weitgegriffenen, welche eine neue Welt von Werten aus einer von ihnen gewollten und darum geschaffenen Welt von Tatsachen herausgestalten, schaffen eine neue Moral, den Sieg der brutalen Gewalt, die Rücksichtslosigkeit des Ich-Kultus, seinen praktischen Wert von dem Menschen als dem Maß aller Dinge. Hat man bisher noch von ewigen Gesetzen ungeschriebenen, aber darum desto wirksameren Charakters geträumt, so ist diesem schwächlichen Traume des Eudämonismus die furchtbare Ernüchterung beschieden worden. Vernunft ist Unsinn, Wohltat Plage. Was einst war, hat nicht die Kraft, darum auch nicht das Recht, für das Jetzt Wert zu geben: nur der Lebende hat Recht. Geschichtslosigkeit kann Willensschwäche und Geistesarmut sein, jetzt ist es gewollte und bewußte Zertretung alles dessen, was sich als aus Leid und Not geborne und in beiden bewährte Erfahrung anbot. Das Recht des Augenblicks erfordert den| Mut zu ihm, aber nur zu ihm, nicht um Maxime für Gesetze der Zukunft zu sein.
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 Und nie hat – ich sage nicht das Christentum sondern – jedwede religiöse Willensbezogenheit schwerere Erschütterungen erfahren, als im vergangenen Jahre. Man kann dafür danken. Denn des rückgratlosen, unklaren, verschwommenen religiösen Lebens war es zum Ueberdruß genug. Was alles nannte sich religiöse Interessiertheit! Das verzärtelte Spiel mit der eigenen Seele, dieser Werther-Kultus mit dem „Herzchen“, aus dem heraus, wenn es gut behütet und freundlich verstanden wird, das Bild der Gottheit auf dem Wege der Selbstprojektion hervorkam, die Aesthetik einer welttrunkenen Mystik, der langsam, ihr selbst unvermerkt die Kraft, persönlich zu denken, entwich, die Dienstbarkeit eines kategorischen Imperativs, die schließlich dem Eigenen schmeichelte, das er zu bewältigen und zu unterjochen vorgab, die Bewertung der Wahrheit nach dem Relativismus ihrer Erlebbarkeit, das Spiel mit Begriffen, das die Tatsachen in Vergessenheit bringen mußte, das alles nannte sich religiös. Die klärenden, mit eisernem Ernste und doch aus wahrer Gestaltungskraft herzlichen Erbarmens geborenen Worte des Alten Testaments, mit dem gewaltigen, „so spricht der Herr“, das die trübe, schwüle Götterdämmerung zerteilte wie das frische Morgenrot die Dämmergestalten des Dilukulums vertreibt, waren dem nervenschwachen Geschlecht unserer Tage für ein robusteres Geschlecht ungeglätteter und unverfeinerter Lebenshaltung gut genug, waren vielleicht auch zu empfehlen, um wohltätigeren Reiz der Freude am Jetztbesitze zu erwecken. Aber heiligende, lebenweckende sowie lebenbringende Gottestaten waren es nicht. Was zu grandios, zu ungeformt und zu ursprünglich ist, als daß es in ein wohlgerundetes| Weltbild sich einpaßt und einfügen könnte, dessen religiöses Bedürfnis Genuß und nicht Schrecken ist, das darf nicht gelten. Pygmäen wollen nicht durch Gott leben, sondern an ihren Göttern sterben. Es wäre lohnend, wenn man die einzelnen Bestandteile des modernistischen Synkretismus herausstellen, analysieren, in ihrer prozentualen Mischung prüfen und daraufhin ansehen könnte, was von wirklicher Offenbarungsreligion, von den aus metaphysischer Urständigkeit hereingewirkten Werten in ihm ist. Aber christlich ist er gewiß nicht, denn dem Christenglauben ist nur darum und dann alles eigen, wenn und weil er Christi ist, Christi, weil und wiefern er Gottes ist.
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 Nachdem den gläubigen Adepten gezeigt war, daß in den Gedanken griechischer Philosophen, etwa in den Idealen des Plato, die in den Philosophemen mittelalterlicher Scholastiker sich wiederholten, das, was man am Christentum das Wesentliche zu nennen gewohnt war, uranfänglich beschlossen, die Rekonstruktion des Christusbildes aus altjüdischer Phantastik und hellenistischem Denkspiele nachzuweisen sei, blieb an dem Christus der Kirche nichts mehr übrig. – „Unseres Gottes Ehre ist die, daß er sich um unsretwillen aufs allertiefste heruntergibt, ins Fleisch, ins Brot, in unsern Mund, Herz und Schoß und dazu um unsretwillen leidet, daß er unehrlich behandelt wird, leidet auf dem Kreuz und Altar. Leidet er doch ohne Unterlaß, daß vor seinen göttlichen Augen sein Wort, sein Werk und alles, was er hat, verfolgt, gelästert, geschändet und gemißbraucht wird, und sitzt dennoch in seinen Ehren.“ (Luthers Wk. Erlang. Ausg., Bd. XXX, S. 71). Und wiederum: „Siehe, der große Herr des Himmels und der Erde wird als ein klein Kind. Warum herzet er nicht irgend einen großen Hansen, einen König oder sonst einen Heiligen? ...| Damit zeiget er an, daß sein Reich den Kindern gehöre und er, der Herr, ein Herzog und Fürst der Kinder sei und unter den Kindern will gefunden werden. So steht nun die christliche Kirche allhier abgemalt, daß sie sei ein Haufe Kinder und geringer, demütiger Leute, die nichts von ihnen selbst vermögen, wissen und können nichts, denn was sie der Vater heißt tun. Sie hören den Vater und gehen, wo er sie hinleitet. Das ist’s gar. Also ist auch das Haupt Christus. Der weiß nichts anders zu raten noch zu tun, denn was er von seinem Vater hat.“ (Predigten über Matthäus, Kap. 18 ff. Erlang. Ausgabe XLIV, Seite 18).
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 Hic enim titulus et propriissima definitio Dei est: Respector contemptorum et humilium (op. exeget. VII S. 270 Erlang. Ausgabe). Diese gewaltige Erkenntnis, die Luthers Theologie und sein ganzes Lebenswerk bestimmt und beherrscht, geboren aus der alttestamentlichen Wahrheit von Jes. 66, 1 und 2, von Psalm 138, 6, genährt an dem Bilde des verachteten und unwerten Nazareners, erlebt unter dem vor Gottes Wort erzitternden und zerbrochenen Gemüte, ist unserm Geschlecht fremd geworden. Daß ein armes Leben nur von dem μετριοπαθεῖν eines andern verstanden werden könne, seine Heilung aber und seine Selbstbewahrung und -bewährung nur in dem göttlichen Mitleid tiefsten Ernstes, das Gottes Art und Wesen unter Sündengewalt sterben ließ, zu finden sei, ist wenig erkannt, weil die Sünden immer in ihrer um die Ewigkeit des Seindürfens bringenden Diesseitigkeit erfaßt und die Gnade nicht als Lebensprinzip erkannt werden will. Wem Sünde nur Besonderung von Menschheitsgedanken, nicht Lösung von den Gottesgedanken über und mit den Menschen ist, nicht bewußte und gewollte Verselbständigung| gegenüber dem, zu dem das Leben hingeschaffen ist, um es nicht sein zu wollen, dem ist Christi Werk und Wesen nicht innerlich vernotwendigt und darum die Anschauung des Hebräerbriefes, der einst in der Umgebung von Barmen-Elberfeld durch Gottfried Menken so herrlich ausgelegt ward, ein fremdartiges Theologumen. Man gönne Luther noch einmal das Wort (Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sakrament, Erlang. Ausg. XIX, S. 278): „Diese (D. Karlstadt-)Theologie ist nicht höher kommen, denn daß sie lehret, wie wir Christo nach sollen folgen und aus Christo nur ein Exempel und Gebieter macht, daraus nichts denn Werke gelernt werden. Er weiß aber und lehrt Christum nicht, wie er unser Schatz und Gottes Geschenk ist, daraus der Glaube folgt, welcher das höchste Stück ist, und vermeint solches alles zu verschmücken und zu verdunkeln mit diesen Worten: brünstige Erkenntnis, hitzig Gedächtnis. Und fällt also fein wiederum vom Glauben auf die Werke.“ Grau in seinem „Selbstbewußtsein Jesu“, das meines Erachtens zu wenig gewürdigt ward, sagt mit Recht, daß die moderne Richtung denselben Weg gehe, indem sie im Christentum von Jesu nicht sowohl als dem Objekte und ewigen Inhalt desselben als vielmehr von dem Subjekte wissen wolle. An Stelle des Glaubens an Christum tritt die Religion Jesu.
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 Daß die Selbstzersetzung des Protestantismus mächtig angehoben hat, geben die Männer der religionswissenschaftlichen Auffassung mit den Leuten des alten Glaubens zu, beide lassen das Christentum unserer Tage fern von dem der Apostel sein, mit Zustimmung die einen, mit dem sein Höchstes verteidigenden Widerspruch die andern, die einen, weil sie von der Absolutheit des Christentums sich nicht überzeugen| können, die andern, weil sie eine Fortentwicklung des Protestantismus lediglich nach seiner Negation auf das Ziel einer Diesseitigkeitsreligion und ideologischen Verselbständigung des Ich befürchten. –

 Terra recipiet sanitatem. Was können wir, die wir weder Kraut noch Pflaster, sondern sein Wort allein und als Heilandswort ehren und wissen, für unser Volk, für die Welt tun, damit aus der gewaltigen Erschütterung ein Gesundungsprozeß ein- und fortgeleitet werde? Scheint es nicht abenteuerlich, daß etliche Volksfreunde, denen der Schaden des Vaterlandes ebenso am Herzen liegt als seine Heilung und die rechte Art der Behandlung, lediglich aus der Gemeinschaft dieser Sorge zusammengekommen, mit ihrem guten Willen Vorschläge machen? Klingt uns nicht das scharfe Wort von den politisierenden Pastoren noch in den Ohren, wiewohl es längst verklungen sein könnte?

 Aber nicht um das Recht des Einzelnen geht es, der seine Meinung, wenn sie ausgereift und an der Geschichte geprüft und im Heiligtum der Verantwortlichkeit errungen ist, nennen darf, sondern um die Pflicht handelt es sich, die der Herr seinem Propheten Hesekiel (3, 17) eingeschärft hat. Wem ein Wächteramt befohlen ist, der soll seiner warten, und wem Fürsorge vertraut ist, von dem wird sie gefordert. Zudem kann das Wort Menkens in seiner Vorrede zu den Homilien (von 1797) uns stärken: „Es ist ja Mode geworden, daß sich jeder auf seine Ueberzeugung beruft, und daß jeder auch seine Ueberzeugung vortrage und vortragen darf, wie gegen das Heilige und Gute, wie gegen die Wahrheit und das Recht, wie landverderblich, wie zerstörend für die Wohlfahrt der Menschen sie auch sein möge. Warum sollte ich meine Ueberzeugung verhehlen, meine Anschauung| von dem Christentum, das so glücklich macht?“ Wir wollen raten, schaffen, wirken, solange unser Tag währt, jeder an seinem Teil, denn Einzelbelieben zersplittert, aber Einzelarbeit fördert das Gesamtwerk, das sie vorbildet.

 Arbeit aber ist nicht nur ununterbrochene Reihenfolge von Pflichtleistungen, welche ihr Maß erreichen, sondern Kampf mit Hindernissen und Verfolgung des Siegs über sie, nicht eine Summe positiver Tätigkeiten, sondern mindestens ebensovieler negativer Wirksamkeit. Und darum soll der Kampf mit den Kleinheiten uns aufrufen, jeden an seinem Teil, damit es aus dem Kampf gegen die Kleinheiten zum Kampf im Bunde mit ihnen werden und wachsen möge. Denn zwischen den beiden Sätzen, daß man das Schlimme am Anfange aufhören lassen müsse (κακῶν ἀρχὰς παύειν ἐθέλομεν), und dem andren, daß in der Schwachheit sich die Kraft vollende (ἡ δύναμις ἐν ἀσθενείᾳ τελεῖται) soll unsere Betrachtung sich bewegen.

 Wie verschieden auch unsere Stellung im einzelnen sein möge, unsere Theologie ruht auf dem Felsgrund der Heiligen Schrift, wie sie unsere Bekenntnisse nicht verstehen, sondern verehren, nicht lehren, sondern voraussetzen, auf der Gesamtanschauung der Gottesschrift über Weltwesen und Welterlösung, über Zeit und Ewigkeit, Raum und Ferne, Leben und Lebensgefährdung und Lebensbejahung. Nicht als ob wir aus der urkundlichen Schrift eine Sammlung von dicta probantia für die oder jene Lehre herausstellen, sie von dem lebensvollen Organismus herauslösen und sie so zu einer schlecht intellektualistischen Vernutzung herabwürdigen wollten, sondern wir ringen mit ihr von einer Morgenwache bis zur andern, daß sie ihre Tiefen uns erschließe, den Durstenden, die| von ihren Vätern wissen, wie der durch die Geschichte mitfolgende Fels erquickliche Kraft in reicher Fülle gespendet hat. Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ist der Name dessen gepriesen, der den Seinen heiligen Mut, guten Rat und rechte Werke schenkt. Ihn in seinem Wort zu erfassen und ihm da zu begegnen, wo er sich vorerst hat finden lassen und grundsätzlich, zielsetzlich finden läßt, das ist das Verlangen unserer Theologie, die eben deshalb Schrifttheologie sein will und muß. – Aber ist nicht durch gewisse, an sich unscheinbare Anschauungen, denen man sich anschließt, um den Ruf der Wissenschaftlichkeit zu wahren, ein leises Mißtrauen gegen dieses Gotteswort eingeschlichen, das in bangen Stunden sich hervorwagt? Sollte Gott gesagt haben? Anfänglich waren wir freudig überzeugt, daß Schrift und Bekenntnis übereinstimmen, dieses ihr antworte, sicut alauda tempori verno – dann gingen wir langsam zurück: Bekenntnisse seien nur verbindlich quatenus. Es war nur eine kleine Sorge, daß doch die Väter in Wittenberg und Genf zuviel in die Schrift hinein – zu wenig aus ihr herausgelesen hätten, man sprach von der zeitlichen Beschränktheit, wohl gar von der noch nicht völlig überwundenen Abhängigkeit der Bekenntnisse und ihrer Anschauung von denen des Mittelalters. Dann lehnte man sich umsomehr an das urkundliche Schriftzeugnis, als welches Christum vordeute, bezeuge, erweise, und wußte sich in dem Schriftganzen, von dem alle Heilsrealitäten als solche dargeboten werden, geborgen. In dem Gehorsam, der nie voraussetzungslos sein kann, überwand unser Denken Zweifel und Sorge: die Schrift ist Gottes Wort. War es nun eine große Umbiegung dieser Erkenntnis, wenn wir uns späterhin damit begnügten, die Schrift enthalte Gottes Wort, und schließlich die spezifische| Eigenart und Besonderheit des Gottesworts zurückstellten, indem wir es auf eine Stufe mit dem Predigtwort, die Quelle gleich dem von ihr abgeleiteten Rinnsal stellten? Wir sind eben doch von den modernen Prinzipien der kritischen, späterhin der religionsgeschichtlichen Schule, von ihren Nachweisungen der Irrtümer, der Anleihen, der Uebertreibungen nicht unberührt geblieben und glaubten es darum der Wahrheit schuldig zu sein, daß wir die vielberüchtigte, „mechanische, unevangelische Inspirationslehre“ fallen ließen, als ob es sich um Wörter handle, während es doch ewige Worte sind. Man mag gewisse lehrhafte Fixierungen über das Wesen der Inspiration als Eingriffe in Unerkennbares und nicht Darstellbares ansehen, jede Formulierung ablehnen, die aus dem Menschen Gottes eine Maschine zu machen geneigt ist, zur Unehre auch dessen, der sie braucht. Es ist aber Gottes und seines Ebenbildes Ehre zumal, wenn der freie Wille des Menschen, in den Gottes offenbarender Wille eingeht, sich diesem ganz zu Dienst stellt, ihn auf sein Ich wirken läßt und aus der Wirksamkeit des offenbarenden wie des empfangenden und innerlich sich darbietenden Organs dann das Wort ersteht, menschlich genug mit Erdfarbe und Persönlichkeit des Mittelwesens angetan und wiederum göttlich genug der Sünde des Vermittlers entnommen, mit den Unzureichendheiten und der Beschränkung des Menschenwesens angetan und doch weit entfernt, seiner Fehlsamkeit unterworfen zu sein.
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 Römische Theologie hat keine Lehrauffassung von der Inspiration, weil sie in dem unfehlbaren Lehramt des Papstes alle Kriterien der Echtheit, Aufschlüsse exegetischer und praktischer Natur besitzt. Was dieser für Gottes Wort erklärt, das ist es. Und konsequenter| Weise muß das Amt das Wort bestätigen, nicht von diesem jenes bestätigt werden. Aber reformatorischer Theologie Lebensnerv ist durchschnitten, sodaß sie zu religionswissenschaftlicher und evolutionistischer Hyphothesenarbeit sich umgestaltet, wenn das geistgeborene Wort nicht mehr in seiner Einzigartigkeit besteht.

 Indem wir den Anfängen nicht ernstlich widerstanden und unseren Willen zu dem Wort demütig hinzwangen, das dem Herrn Christus in seinen schwersten Stunden genügt hatte, haben wir um Großes uns gebracht.

 Und darum ist es eine aller Theologie würdige Aufgabe, zu den Quellen, dem fons limpidissimus Israels, wie die Einleitung zur Konkordienformel sagt, mit ganzem Vertrauen zurückzukehren, ohne doch Theorien über Art und Wesen der Inspiration anzustellen, die im günstigsten Falle zu erklären versuchen, im ungünstigsten an Stelle des Glaubens eine gedankenlose Hinnahme setzen. Die ganze Heilige Schrift – gleichviel, ob die Fragen über Autorschaft, über Zusammensetzung und Entstehung, zu deren Lösung der forschende Verstand immerhin sich anschicken mag, da Gottes Wort als in Menschenworten gefaßt, was Menschenwort tragen muß und kann, gern leidet, ja ernstlich erfordert, ob die Fragen über historische Begründung und Auffassung so oder anders gelöst werden, – soll uns als freies, unsere Angst beschämendes, unser Vertrauen vollauf rechtfertigendes Gottesgeschenk gelten, dessen geringste Eigenschaft die Fehllosigkeit, dessen größte die Ewigkeitskraft ist, deren bloßes Wehen neuen Mut, ja neue Menschen schafft. Nicht als ob Gottes Geist auf dieses Wort beschränkt wäre, denn der Geist weht, wo er will; aber da es ihm gefallen hat, sich dem| Menschenmund anzuvertrauen, der es in heiliger Scheu, stammelnd zwar, aber doch voll und rein verkündet, der Menschenfeder sich zu befehlen, die zitternd zwar, aber gewissenhaft und treu berichtet, was in keines Menschen Herz gekommen ist, – in dieses Werden und Wachsen der Menschheitsgeschichte durch Niederungen und über Höhen, durch Aufstieg und Niedergang einzugehen, wissen wir hinter der Unscheinbarkeit das Licht und die Kraft in der Unzureichendheit nicht sowohl verborgen als geborgen und glauben an die Schrift, weil wir an den Heiligen Geist glauben. Dabei mag manches Unbegreifliche, Wunderliche, ja Aergerliche am Wege stehen, aber da es Gottes Geist hingestellt hat, muß es nicht nur sein Bewenden dabei haben, sondern eine Bedeutung, die am entlegenen Ort des Lebens, der Welt und ihrer beider Geschichte unvermittelt aufleuchtet.
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 Die heiligen Männer Gottes, als Diener des durch sie uns vermittelten und überkommenen Wortes mit sonderlichen Gaben über sich selbst hinausgehoben, sind an der Hand des Wortes wieder in sich zurückgekehrt. Wie sie vom Wort lebten, so lebte es mit ihnen, schließlich auch durch sie, letzteres freilich nicht im Sein, sondern im Sosein. Der Glaube an das Schriftwort verzichtet wie jeder echte Glaube auf Stützen, die er vielmehr in dem Glaubensobjekt überreichlich hat, auf Beweise, die der Intellekt dem Willen leiht aus einem Primate heraus, der unwahr und darum unhaltbar ist. Aber er verzichtet nicht auf die Willigkeit, dem Worte zu folgen, wohin es geht. Wer aber die Inspiration, ich sage lieber, die unerreichbare und einzigartige Durchgeistung des Schriftganzen in Abrede nimmt, hat die Schrift zu einer Fundgrube von Zitaten werden lassen, in denen der Menschengeist mit seinem Denken, Fragen| und der Selbstbeantwortung sich spiegelt. Aber Hamann (Band I, Ausg. v. Friedr. Roth, S. 58, S. 107) hat Recht: „Leute, die sich Einsicht genug zutrauen, um eines göttlichen Unterrichts entbehren zu können, würden in jeder andern Offenbarung Fehler gefunden haben und haben keine nötig. Sie sind die Gesunden, die des Arztes nicht bedürfen.“ Und so unscheinbar das Gotteswort sich darbietet, auch wo es auf Unaussprechliches so hinweist, daß das Wort über sich hinaus wächst, bis es dem zu vertretenden Inhalt gewachsen sein darf, es ist sein Ruhm „wie (Jerem. 38, 11) der armseligen Lumpen, an denen Jeremias aus dem mörderischen Gefängnis heraufgezogen und zur Freiheit gebracht ward, daß es Dienste tun und sich zum Gebrauch denen geben darf, die aus der Gefahr des Lebens erlöst werden.“ Meine Seele harrt dabei auf den Herrn, daß er sich zu seinem Wort bekenne und die Wege derer, die ihm trauen, ins Licht führe. Statt daß wir mit der alten Inspirationslehre aufräumen, wie jetzt immer wieder auch bei den Getreuen die Rede geht, wollen wir an der armen Gestalt des verachteten Worts festhalten, bis der Tag anbreche und der Morgenstern denen aufgehe, die auch in der Nacht glauben. Denn das soll uns gewiß sein, daß eher Himmel und Erde vergehen, ehe seine Worte vergehen, die Lebenskraft in sich haben, wie sie die Wahrheit verleiht und die Wirklichkeit erweist. Das Wie der Inspiration bleibt, nicht zum Schaden, verborgen dem, der das Daß festhält. Und in der Theologie des Seligen soll auch das Wie Erfahrung werden.
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 Er heißt Wunderbar, das ist das Wort und der, zu dem es weist. Wir aber haben aus lauter Ehrfurcht vor den Naturgesetzen, die doch nicht aprioristisch feststehen, sondern aus den Erscheinungen oft| mehr durch Schluß als durch innerliche Ueberführung abgeleitet werden, zum wenigsten die alttestamentlichen Wunder uns symbolisieren, allegorisieren lassen, weil ihre Tatsächlichkeit zuzugeben uns peinlich war. Und es wäre eine schlechte fides implicita, wenn wir unbesehen hinnähmen, was uns zur Prüfung verordnet ist. Freilich nicht mit der Abzielung auf Verwerfung. Aber je mehr wir Gottes wunderbares Tun prüfend anschauen, gewiß, mit Anerkennung der in Gott belegenen, ja sein Wesen konstituierenden Ueberbegriffkeit, und ihre Auswirkung in das begriffliche Leben, um es über sich hinaus zu gestalten, wie er denn, was Ohr, Auge, Herz nicht fassen können, denen bereitet hat, die ihn lieben, desto mehr erscheint uns das Wunder nur als eine aus dem Rahmen der ordnungsgemäß sich fortsetzenden Gottesbezeugung heraustretende Manifestation, deren Regelmäßigkeit uns das Ordnungsgemäße als Wunder erscheinen hieß. Es gilt auch hier Luthers Wort an Melanchthon: „Wenn ihr begreifen könntet, so wollt ich ungern der Sachen teilhaftig, viel weniger wollt ich ein Anfänger dazu sein. Gott hat sie an einen Ort gesetzt, den ihr in eurer Rhetorik nicht findet. – Derselbe Ort heißt Glaube, in welchem alle Dinge stehen, die wir weder sehen, noch begreifen können. Wer dieselben will sichtbar, scheinlich und begreiflich machen, der hat das Herzeleid und Heulen zu Lohn.“ – Nicht unevangelische Wundersucht heißt uns Wunder begehren, nicht Kritiklosigkeit sie hinnehmen, als ob Knechtung und Ertötung der Gottesgabe Vernunft erst der andern Gottesgabe des Willens Raum böte, denn Gottes Gaben stehen in Harmonie zu einander und nicht im Widerstreite. Wir suchen auch nicht Analogien zu Wundern, wie es eine schlechte Apologie tat, sondern glauben, daß, was| langsame Führung in Zeitenlänge der Seele sonst erst erstehen läßt, auch durch kurze Zeit und durch Vorordnung des Mittelbaren vor der Unmittelbarkeit geschehen ist und geschehen kann.
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 Vollends die Person Jesu Christi in der Fülle der von ihr gewollten Selbstwidersprüche, die aller schwächlichen Harmonistik, dieser schülerhaften Ehrenrettung dessen, der Wahrheit des Lebens ist, spottet, in dem Reichtum der Rätsel, die immer mehr zunehmen, je mehr man an ihrer Lösung sich müht, leidet es nicht, daß man im Kleinsten an ihr meistert. Der Verwerfung wendet sie sich zu und dem Glauben erschließt sie sich willig, weil einerseits beide die Stellung zu ihr einnehmen, die der Herr selbst wünscht und erbittet (Offb. 3, 15), und die Nacht darbieten, von der des Lichtes Gewalt sich um so machtvoller abhebt, andererseits den Tag aufweisen, der als Ergebnis das Licht preist. – Aber der Lauheit, die mit dem wieviel und wiewenig menschlicher Grenzbestimmungen marktet, um das Uebermenschliche noch oder nimmer gelten zu lassen, der Duldung, die ihn nicht dulden kann, aber alle Anschauungen von ihm als gleichberechtigt gerne gewähren läßt, entzieht er sich. Das Organ der anbetenden Christusfrömmigkeit schwindet, je weniger man seiner achtet und wartet, und unter verkürzten Maßstäben verliert Christi Person Göttlichkeit, Gottzugehörigkeit, Einzigartigkeit, Fehllosigkeit, Reinheit, Wahrheit, zuletzt die Wirklichkeit. Es ist ein mißliches Ding, wenn in dem Maße selbstgewundene Kränze um Jesu Haupt gelegt werden, in dem ihm die Ehrenkrone verringert und abgesprochen wird, zu der ihn Gott erhöht hat. Was von unten nach oben zu Jesu emporwächst, ist nicht Ersatz für die Anerkennung dessen, was von ihm zu uns herniederkam. An halben Huldigungen hat| der kein Gefallen, der an sich nur Gefallen hatte, weil es der Vater an ihm fand. Es scheint fein und wohl gesagt, man bete lieber durch Jesum als zu Jesu. Und der Theologe, der allen alles werden will, damit er etliche, freilich zu seiner Anschauung gewinne, findet in dieser Bestimmung nur ein wenig anderes als, der Glaube der Kirche ist und will. Aber in diesem kleinen Unterschied liegt eine Welt der Verschiedenheit; man verläßt die Gemeinschaft derer, die in der Anbetung Christi um des Vaters willen und in der Ehrung des Sohnes zu des Vaters Ehren durch die Jahrhunderte sich zusammengefunden haben, die Gemeinde am Heiligsten, der für uns zur Sünde gemacht, unser Friede geworden ist, man beraubt sich der von ihm her durch die Geschichte strömenden Verneuungskräfte und Jesum des hohen Vorzugs, die abschließende Gottesoffenbarung zu sein, in der die Welt als gottgeschaffen, von ihm erlöst und zu ihm bestimmt bezeugt wird. Daß Christentum ohne die unablässige Einwirkung dessen, von dem es ausging, nicht in lehrhafter Weise, sondern als Ertrag seines leidentlichen Lebens, gesichert und gekrönt, bestätigt und bewährt durch die Erhöhung in das göttliche Wesen, ohne innerlichen Zusammenschluß des Einzellebens mit dem, der es durchlitten und geliebt hat, ehe es ward, wie des Gesamtlebens mit dem, der die Geschichte der Welt in seinem Leben vorbildete, von Punkt zu Punkt des Besitzes abgedrängt wird und schließlich geistentleert oder mit ganz heterogenem Geiste erfüllt zu einer Religiosität wird, die in Leugnung der Sünde die Gnade als unnütz bezeichnet, ist Gesetz der immer zur letzten Konsequenz fortwirkenden Bewegung.
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 Wunder im Wort der Schrift, Wunder in dem persönlich dargelebten Gotteswort Jesu Christo, nicht| nur anerkennen, sondern erkennen, weil als Nötigstes für Leben und Leiden lieben, das ist des Christen und darum des Theologen Kraft und Schutz. Eine Theologie, die aufhörte, aus dem Glauben und nach dem Richtmaß des Glaubens zu sein, der Apostel, Zeugen und Väter zu Weltbefreiern machte, würde Phantasterei, in welcher der Subjektivismus, die Bekenntnislosigkeit das einzige, freilich auch das ausschließliche Dogma wäre, ein Eklektizismus, der vieles bringt, nur nicht das unum necessarium, weil es ein absolut Notwendiges für den nicht geben darf, der in immer mehr zunehmender metaphysischer Bedürfnislosigkeit das Ziel erblickt. Nicht unrichtig sagt Fichte, die Philosophie richte sich nach dem Naturell, wie der Mann, so sei seine Wahl der Philosophie und diese selbst.
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 Wenn wir als Theologen den Kleinheit[e]n widerstehen sollen, deren Fortgang nicht erst ihre Schriftwidrigkeit und Widerchristlichkeit ausweist, müssen wir als Prediger und Lehrer all den mod[e]rnen Anforderungen und Anmutungen widersteh[e]n, die zeitgemäße Unterweisung verlangen, weil sie die zur Ewigkeit nimmer bedürfen. Ein Prophet, der Träume hat, mag Träume predigen und Traumdeuter werden, auf die wundersamsten Einfälle eingehen, die nicht Heilsbegier, sondern Neugierde in unerschöpflicher Fülle hervorbringt, und die Predigt zu einem Vortrag von Gemeinnützlichkeit und Gemeinverständlichkeit entwerten, deren Darbietung nur durch edle Diktion und eine gewisse Psychologie vor öder Eintönigkeit bewahrt wird. Wer aber Gottes Wort in seiner tausendfachen Gestaltung hat, in der wundersamen Welt der Töne aus der Tiefe, der Gnadenantwort aus der Höhe (Jer. 23, 28), besser wer dieses Wort mit heiliger Entzückung gefaßt hat, weil| es zu ihm redet, wie ein Mann mit seinem Freunde redet, der predige das Wort recht, immer wieder das alte Wort – bis zum Perikopenzwang, den ich wenigstens einen machtvollen Schutz und die pädagogische Nötigung, dem Schatze tief nachzuschürfen, nennen möchte. – Je weniger wir Beitat aus „gelesensten Zeitungen“, Verbrämung aus Dichtern und Denkern, die sich wundern würden, wofür alles sie als Kronzeugen angerufen werden, beibringen, je mehr wir uns der leitartikelnden Weisheit enthalten und uns vom Texte sagen lassen, was der Heilige Geist in ihn gelegt hat, für Jahrhunderte genug, nie ausgegründet, nie ausgekündet, desto mehr lassen wir das Wort ausrichten und tun, was dem Herrn gefällt. Nur nicht die apologetischen Predigten, die Unbeweisbares um seine dem natürlichen Menschen widerstreitende Gegensätzlichkeit bringen wollen und schließlich erweisen, was niemand bezweifelt! Nur nicht deutende und geistreiche Predigten, die soviel Reben und Ranken winden und binden, daß die göttliche Wahrheit ganz verdeckt wird! Den Gebildeten tut man ja doch nicht damit genug, daß man auf ihre Anschauungen eingeht, die gerade in religiösen Fragen oft von erschreckender Unwissenheit und erkältender Gleichgiltigkeit erfüllt sind; an sie ist die Predigt auch nicht gewiesen, sondern an die, welche mühseligen und beladenen Geistes sind und ein bekümmertes Gemüt haben und sich fürchten vor Gottes Wort. Jede Predigt bringe ein Ganzes von der besten und teuersten Botschaft, daß Christus Jesus zwar nicht auf das Vielerlei der unsteten Fragebegierde, aber auf die eine große Frage, unter der die Seele im Tiefsten erbebt, die Antwort zu geben gekommen ist, da er selbst in die Schrecken des Schweigens und in die| Aengste des Gotteszorns sich hinabsenkte, damit wir Frieden hätten.
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 Wo aber im Herzen des Predigers der Wahn aufwacht, den das Mißtrauen der Seele nährt und ihr Feind stärkt, als ob das alte Gotteswort doch nur auf einen allzu eng beschränkten Kreis von Sorgen eingehe und vieles unberücksichtigt lasse, was eben die Seele beantwortet haben muß, um ihres Weges gewiß zu werden, da habe er den Mut, diesem Mißtrauen des Hochmuts, das die Zeit höher einschätzt als den Herrn der Zeiten und dem nimmer sich verpflichtet fühlen will, der mit seinem Worte alles hielt und hält, kraftvoll zu widerstehen und eine ganze Weltanschauung mit Zierat und Einfalt, selbstgewählter und erborgter, selbstgeliebter und erlernter, hinzugeben und mit dem armen Wort ἀκαίρως εὐκαίρως zu dienen. Da wird er bald inne werden, daß es nicht an die Zeiten gebunden ist, aus denen es sich erhob, weil es in sich die Zeiten befaßt und aus sich heraus gestaltet. Es hat vor den Jahrhunderten für sie sich gerüstet und ist durch die Wandlungen und Wechsel mit dem unbestechlichen Urteil der Wahrheit gegangen, die alles prüft und an nichts sich verliert. Die Zeiten werden an ihrer Treue zum Wort bemessen, geringe vielleicht vor der Welt werden mächtig und prächtig vor dem Herrn des Wortes, der auch leuchtende Zeiten, etwa wie die unserer Klassiker, nicht anders befragt als nach ihrer Beherrschtheit vom Wort. Frei von der Flut der Meinungen, die stolze Wellen emporhebt und trübe Irrungen heraussendet, steht das felsenhafte Wort, aus dem Gottes Größe mit Macht hervorbricht, frei und ungehemmt sieht es die Wellen ziehen und kommen, stürzen und sinken; sie gehen alle heran und ziehen ohnmächtig ihren Weg, denn es steht geschrieben! Und| die Predigt allein tut unserer zerklüfteten Zeit not und gut, aus der nicht handfester und handfertiger Orthodoxismus gedankenarm und arbeitsscheu hervorlugt, sondern der ganze Ernst des Ringens und die volle Freude des Habens, die tausend Welten kennt und nennt und verachtet, weil das Herz aus Gnaden fest geworden ist, dessen Glaube nicht aufhört, um stark genug zu sein, die Brüder zu stärken. Wir haben eine Fülle von Predigtrezepten, von allerlei Versuchen; sehe jeder, wie er’s treibe, denn eines schickt sich nicht für alle. Aber die leichteste Konzession gegen die Wahrheit betrügt um die Wirklichkeit der Heimat.

 Wehe uns, wenn wir mit einer Predigt zufrieden wären, deren Bedeutung für uns doch immer sein und deren Wirkung immer mehr es werden muß, uns „uns selbst zu Feinden zu machen“, daß wir so wenig geschickt sind, das hohe Amt würdig und wirksam auszurichten. Wie kann auf eine Redeübung, aus der das eigene Ich hervorsieht mit Zweifeln, die man zum Gemeingut zu machen eilig ist, mit Ansichten, die der Gemeinde verbindlicher sein sollen, die man von den Fesseln der Kirchenlehre frei machen und frei halten will, ein kraftvolles Amen erfolgen, daß es auch im Himmel so kräftig und gewiß sei, als handelte es unser lieber Herr Christus selbst? Jede Predigt sei eine erlittene und vollbrachte Tat. Das Gotteswort muß mit unserer Seele ringen, sie treffen und erschüttern, sie in Glut und Not, in Leid und Angst versetzen, bis endlich wieder Friede geworden ist, und dann als Tat auf der Kanzel erfolgen, wie Tholuck (Predigten, Band I, Vorrede p. XXIII) mit Recht bemerkt.

 Es ist ja auch nur eine Kleinheit, daß wir beliebte Prediger sein wollen – dürften wir denn das nicht| sein? – Wenn aber der Rat des Chrysostomus (de sacerdotio 5, 7) nimmer gilt, daß der, welcher der Lehre in heißem Ernste warten soll, nicht auf Beifall und freundliche Aufmunterung hören, noch durch den Mangel sich entmutigen lassen darf, wohl aber der Diener des Wortes nur darauf achten müsse, wie er Gott gefalle (ὡς ἄν ἀρέσκειε τῷ θεῷ), dann mag Weissagen in Jesu Namen doch nur eine Rede im eigenen sein, von ihm nicht erkannt noch gesegnet. Das beste Vorbild für die Predigt, auch für ihre Form, bleibt doch er selbst, der die gelehrte Zunge hatte, weil er das für den väterlichen Willen geöffnete Ohr hatte, mit den Müden zur rechten Zeit zu reden und das Größte im geringsten Gefäß darzubieten. Der Dichter sagt gut, alles Große sei schon einmal gedacht, man müsse es nur noch einmal nachdenken. Unser Herr als Prediger bleibe das Vorbild, und der Geist treibe uns, ihn nicht nachzuahmen, aber ihm nachzufolgen. Dann fürchte niemand, daß seine Predigt den künstlichen Blumen gleiche, die bei festlichen Anlässen aus dem Glasschrank geholt, abgestäubt und in erhabener Langeweile den Mangel an Leben nur allzusehr in ihrer kalten Korrektheit verraten werden, sondern wisse, sie sei die Blume, die jeder neue Frühling mit froher Treue zu neuer und stetiger Freude bringt. Es sind dieselben Blätter und Blüten, welche der Baum seit Jahrhunderten trug, und doch sind sie immer wieder neu mit der Gnade, die alle Morgen neu ist, als wäre sie nie so gewesen, ja weil sie immer wieder eine andere ist.
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 Nur ein Wort noch den liturgischen Unarten, die das freie Gebet des einzelnen, zu dem in der Gemeinde nicht jeder die Gabe und darum nicht jeder das Recht hat, dem Gebet, in das Jahrhunderte Sorge und Sehnsucht legten, vorziehen, die| aus den Agenden ausmerzen, was dem geläuterten Geschmack des jugendlichen Anfängers, dem der Staub des Kollegs noch in den Haaren liegt, nimmer zusagt. Die korrigierten, beschriebenen, beklebten, verunzierten, glossierten Agenden, ein enkomion hybreos, ein Zeugnis des ungeheiligten Subjektivismus, der, mit dem alten Marezoll zu reden, „nur immer weniger von jenen positiven Wahrheiten des Christentums vortragen will, vor denen nun einmal die Gebildeten ein unwiderstehlicher Ekel ergriffen hat.“ Um der Treue willen, die geschichtlich denkt und geschichtlich sich verpflichtet weiß, wollen wir die alten, treuen, heilsamen Gebete bewahren, nicht aus Zwang, sondern aus Liebe. Serva ordinem et ordo te servabit: jene heilige Ordnung der Zeugenwolke, die aus dem oberen Heiligtum in unser Ringen, in unsere Nöte teilnehmend, mitfeiernd in unsern Gottesdienst niederblickt.
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 Wichtiger aber als diese Frage, die man nicht ungestraft vereinzelt und dann in ritualistische Karikaturen hinüberspielt, ist die Frage nach Ausrichtung des Lehramts. Wir wissen, was die Halbbildung nach dem Kriege ersehnt, Einheitsschule, religionslose Schule, – denn der Kampf gegen die Konfession meint nicht diese, – ethischen Unterricht, Gesinnungslehre. Und wir trauern, daß vornehmlich bei evangelischen Lehrern, deren Adel und Würde von Luther durch Hinweis auf die Sendung durch Jesum erobert ward, dieser Sturmlauf gegen das Bekenntnis anhebt, dessen Ende Niedergang nicht zumeist der Religionskenntnisse, sondern alles Wissens und letztlich des rechten Sinnes ist. Mich will bedünken, daß wir allzubereit und willig waren, Vorwerke und Schutzwälle preiszugeben – es seien ja nur Verfassungsfragen, Ueberreste aus vergangenen Zeiten, die der Schule nicht gerecht werden konnten, –| als wir die Schulaufsicht den Geistlichen nehmen ließen. Aber der Seelsorger der heranwachsenden Gemeinde hat nicht ein äußerlich verbrieftes Recht, auf sie zu achten, sondern eine heilige Pflicht, die ihm der Erzhirte auf die Seele gelegt und ins Gewissen eingebunden hat. Und er muß darum sich’s angelegen sein lassen, wo immer und so lange es geht, mit der Erziehung der Kinder im Hause und in der Schule vertraut zu sein. Nein, es ist nicht klerikale Herrsucht, nicht hierarchische Bevormundung, die, wo es noch angeht, an der Schulaufsicht festhalten heißt, noch ist es richtig, wenn Geistliche, als sei es größer und vornehmer und zeitentsprechender, wenn sie von der Schule sich möglichst zurückhielten, – auf Rechte verzichten zu wollen erklären, die ihnen anvertraut, nicht preisgegeben sind. Wer die Vorwerke zur Festung räumt, weil ja die Festung nicht mit ihnen falle, hat zu ihr die Tore bereits geöffnet.
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 Wo aber die Schulaufsicht gefallen ist – daß sie fiel, erscheint mir fast wie Unnatur – da heißt es mit doppeltem Ernst der Unterweisung warten, die der scheidende Herr mit gesteigertem Nachdruck anbefiehlt, weil, sagt Bengel so schön, bei den Alten gerade am wenigsten Zeit zu verlieren, bei den Jungen aber am meisten Frucht zu erwarten sei. (Joh. 21, 15–17.) Wir sind – wieder war es nur kleine Nachgiebigkeit mit dem religiösen Gedächtnisstoff – nebenbei gesagt, ein schreckliches Wortmonstrum für eine große Sache! – wesentlich zurückgegangen, weil die moderne Didaktik vor dem Auswendiglernen des Unverstandenen warnte und allerlei neue Lehrstoffe in Vorrat hatte. Die Ansprüche an das Aufnahmevermögen der Kinder sind in den letzten dreißig Jahren so gestiegen, als ob das multa der Zweck des Lebens und das multum dessen| Verarmung sei; manche Schulpläne auf dem Dorfe haben unter der Generalnummer der gemeinnützigen Kenntnisse wundersame Wissensziele eingeführt. Und die Kirche ließ sich bereden und strich dort ab und klammerte hier ein und ließ weniger Lieder und dünne Sprüchlein lernen. An den Kranken- und Sterbebetten der Zukunft wird dann der Geistliche wenig genug finden. Und die Kenntnis vom Hebel und der Luftpumpe tröstet nicht. Es waren ja nur kleine Zugeständnisse und schienen nötig, ja heilsam, das Wenigere werde dann um so treuer bewahrt. Es ist das Gegenteil des Gehofften und Verheißenen eingetreten. Damit aber des Reißens und Zerbrechens ein Ende werde, muß mit Ernst jeder weiteren Kleinheit von Anforderungen widerstanden und der Religionsunterricht mit dem guten Gewissen, daß er das nötigste und bedeutsamste Stück sei, erteilt werden, darum auch mit dem ernsten Glauben der innersten Ueberzeugtheit, daß wir die Geschichte Gottes mit der Menschheit und sein Wort und Werk an sie treiben.
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 War es nicht übel getan, daß wir, um die biblische Geschichte schmackhafter zu machen, auf Bücher griffen, welche Gott popularisierten und aus den heiligen Männern Gottes, die in der Zucht seines Geistes standen, allzumenschliche Persönlichkeiten werden ließen? Statt daß die Jugend zu den Höhen der hehren und unübertrefflichen Einfachheit hinangeführt wurde, mit der durch Sünde und Irrung hindurch, über eigene Wege und Weisen Gott sein Volk und die Menschheit zum wahren Frieden leitet, wurde durch die Fülle des Beiwerks und durch einen die reine Zurückhaltung der Schrift weit überbietenden Anthropomorphismus den Kindern der Begriff des Gottesworts verdunkelt. In den höheren Schulen lag die Gefahr einer entweder schwächlichen und| abergläubischen Apologie oder einer zuviel preisgebenden nahe. Wie viele Zugeständnisse wurden aus treuer Meinung, um das Wichtigste festzuhalten, bewilligt, als ob eine einzige Seele gewonnen werden könnte, wenn Verlässigkeit in sogenannten Nebenfragen angezweifelt wird, um die Hauptfragen zu retten! Mit dem Schwergewicht der Konsequenz wird dann der jugendliche Verstand zur Leugnung auch dessen fortgedrängt, das durch Preisgabe der Vorwerke gehalten werden wollte und sollte. Darüber wird unter uns kein Streit bestehen, daß wir allen Fleiß tun müssen, um an den Fortschritten der Unterrichtsmethode, an allen Verbesserungen der Unterrichtsweise teilzuhaben. Aber wichtiger als die Methode ist das in der Gnade festgewordene Herz, das aus Ueberzeugtheit reden und lehren läßt, der Ernst, mit dem wir die Realitäten unumstößlicher Kraft den Kindern näher bringen. Wir haben die Sorge vor langweiligem Religionsunterricht, darum wollen wir ihn nicht „dogmatisch“ sein lassen. Als ob ein bekenntnisfroher Unterricht, solchen, die der Geist Gottes treibt, langweilig sein könnte! Ferne von der erkünstelten Begeisterung, deren künstliche Steigerung als Unwahrheit von den Kindern empfunden, von der heranwachsenden Jugend verspottet und verachtet wird, steht die rechte klare Ueberzeugtheit derer, die reden, weil sie glauben, die sich nicht unterfangen, alle Rätsel zu lösen und alle Bedenken und Widersprüche zu heben und zu glätten, aber der Jugend den Mut stärken, von dem Großen, was ihnen nahe gekommen ist, auf die Größe dessen zu schließen, was noch aussteht und dem Verständnis in der Erfahrung sich entzieht.
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 So gilt es, den Einfluß auf die Schule nicht um Handbreit preiszugeben, sondern mit heiligem| Ernst festzuhalten, nicht weil sie eine Domäne der Herrschsucht, sondern von dem Herrn denen angewiesen ist, die nicht durch die Taufe in die Kirche Christi die aufnehmen sollen, welche dann der Einwirkung der Kirche entzogen oder vorenthalten werden. Das μαθητεύειν begreift eben zwei Stücke in sich, die grundlegliche Initiation durch das Sakrament und die aus ihr abfolgende, weil sie erläuternde und entwickelnde Unterweisung.

 Der alte Sarcerius, über den die Meißner Chronik rühmt, leichter hätte die Sonne von ihrem Laufe abgebracht werden können, als er von seiner Ueberzeugungstreue, hat in seinem Pastorale dem Seelsorger, dem seelenkundigen und im Worte des Trostes und der Mahnung erfahrenen Hirten der Gemeinde, die größte Bedeutung zugewiesen und als Krone des geistlichen Amtes eben die Seelenführung gepriesen.

 Nur die Kasualrede bei Beichtvermahnungen, Taufe, Trau- und Trauerreden gibt in den unübersehbaren Gemeinden, allmählich auch in den kleineren Pfarreien Gelegenheit, an den Einzelnen heranzukommen. Daß unsere Gemeinden zu solchen Massen heranwuchsen, oft eine Beute aller wilden und wirren Geister, ist auch Schuld der Kirche und ihrer Diener, der Kirchenbehörden, wie der einzelnen Pfarrer und Gemeinden, die auf die kleinen Zeichen des Zuzugs und des rasch einsetzenden Wachstums in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts nicht achteten. Aber nun in die Riesengemeinden, die von der geordneten Kirche immer mehr sich fernen, die Kirche nur noch durch ihre Kasualrede gelangen kann, ist es nötig, Mit besonderer Achtsamkeit dieser wenigen Gelegenheiten zu warten. Die Taufrede soll Nutzen und Segen der Gottesgabe darlegen und nicht ein Familienfest einleiten und rednerisch schmücken wollen,| nicht das persönliche Moment zu sehr betonen, sondern den zu Wort kommen lassen, der dem Kinde seine Gnade schenken will. Die Traurede schärfe die Gewissen zur Beachtung der schweren Verantwortung, die zwei Menschen einander auflegen, daß sie ihre Seelen einander anvertrauen und deren Ergehen aneinander ketten, weise auf die Zerrüttung des Treubundes hin, wenn Jesus nimmer zur Hochzeit geladen wird, weise hin auf die Pflicht der Hausandacht, auf das Recht des Hauspriestertums und die Weihe des Familienlebens durch Gottes Wort und Gebet, habe auch den Mut, auf die christliche Kindererziehung als eine furchtbare Verpflichtung aufmerksam zu machen. Es war auch eine kleine Lässigkeit, daß man das poetische, ideale gemütvolle Moment am Hochzeitstage in großer Farbenpracht schilderte, ohne Herz und Gewissen zu erfassen. Die Beichtrede aber habe und halte es mit dem Ernste der Selbstprüfung, gehe den Launen und Leidenschaften, den kleinen Verstimmungen und großen Zwistigkeiten, weniger den Tat- als den Unterlassungssünden und wiederum weniger den Einzelsünden als der Sünde nach, strafe und vermahne, lehre und urteile und zeige, daß, wer ohne ernste Erforschung seines Innenlebens zu dem Arzte aller Kranken geht, die Arzenei zum Schaden sich empfängt. Wahrlich, wie die Konfirmationstage jedem Seelsorger auf die Seele brennen müssen als Tage des fahrlässigen Schwurs und des Meineids, als Tage der Emanzipation von der Kirche, die ihre Glieder feierlich mündig erklärt, sich von ihr zu scheiden, so müssen die Nachtmahlstage, deren hohe Ziffer das Herz des Kirchenstatistikers mit Jauchzen erfüllt, das des Pastors mit ernsten Fragen bewegen. Und daß er nicht sich mit schuldig mache, müsse er ernst und schlicht Buße predigen, Reue wecken,| Vergebung verkünden denen, die sie brauchen, und denen die Angst nicht gering werden lassen, die leichthin zum Nachtmahl kommen.
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 Krone der Seelsorge freilich ist die Einzelseelsorge, sei es in dem Beichtgespräch, das man trotz der vielen Zeit, die es kostet, sich nicht reuen lassen soll, weil er sein Volk trösten heißt, sei es in dem eingehenden oder nachgehenden Krankenbericht. Das Vielerlei, das den Geistlichen unserer Tage umtost und umdrängt, so ziemlich immer mit der stereotypen Einleitung: ein rechter Pfarrer muß dies Buch gelesen, diese Schrift studiert, dieses Problem geprüft, die Latifundienwirtschaft z. B. durch vernünftige Sozialpolitik zu bekämpfen gelernt haben, muß Spezialgeschichte treiben und Sprachschätze sammeln – dieser Polyhistorismus, der bei der Zeder auf dem Libanon anfängt und beim Ysop an der Wand nicht aufhört, die Spezialien- und Spezialitätenbeflissenheit, die jeden sein eigenes Gebiet bebauen und jeweils eben das seine als das wichtigste betrachten läßt, die unübersehbare Menge von Sitzungen und Protokollen, Konferenzen und Tabellen, Kongressen und Resolutionen, dies alles hat die Arbeit an der Gemeinde zurückgedrängt, und in die verlassenen Gebiete drängt die Innere Mission ein, wenn sie es noch vermag. Wie leicht findet sich das Gewissen unter dem Schutze des Wörtleins: non omnes omnia possunt mit den nächsten Pflichten, mit dem unscheinbarsten und darum wichtigsten Tun ab! Die Kranken in der Gemeinde wollen besucht werden, fleißig, ob auch kurz, ernstlich, ob auch mild, eilig, weil der Herr bald kommen kann. Wenn der sel. Adam Dann († 1837), der Dichter des Liedes: Gekreuzigter, zu deinen Füßen, dem Gerok in seinen Lebenserinnerungen ein dankbares Wort weiht, auf Krankenbesuche ging, pflegte er zu| beten Kol. 3, 12: Zieht nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Und mit seiner Treue hat er viele gewonnen. – Zeit für Krankenbesuche wird reichlich gelohnt, die Vorbereitung auf sie durch Gebet, Memorieren von Liedern und Sprüchen, verzinst sich treulich. Wir kommen unsern Gemeindegliedern näher und mit ihnen dem, der sein Volk trösten heißt.

 Es ist immer vom Feinde, wenn wir für alles, nur nicht für das Nächste, Zeit haben, und die Periergie höher werten als das ἔργον τῆς διακονὶας. Wer nimmer zu den Kranken den Weg findet, zu dem wird der Herr auch nicht kommen, wenn er leidet.

 Dann entstehen auch die Leichenreden, über die das Volk so herb urteilt, die persönlich sein sollen und ganz unpersönlich sind, von dem Verstorbenen ein Lebensbild entwerfen, über das man sich wundern muß, wenn man ihn nicht kannte, und nicht genug wundern kann, wenn er uns bekannt war. Wo der Herr im Ernste spricht, streuen seine Knechte, die Diener der Wahrheit, Redeblumen und blühende Sprüchlein umher. Und so wird eine Kirchhoflyrik zurecht gemacht, die, wie Spurgeon einmal sagte, nur falsche Töne hat. „Unser Amt ist jetzt ein ander Ding geworden,“ schreibt Luther einmal, denn „es geht auf die Leute.“ Lassen wir uns nicht mit dem bittren Trost beruhigen, man begehre uns nimmer. Noch wird ein treuer Mann viel gesegnet, und die Augen des Herrn sehen auf die Treuen im Lande. Bei der Fülle aber dessen, was wir in Säumigkeit und Lässigkeit unterschätzt, in Eitelkeit und Veräußerlichung überschätzt haben, weiß die Seele des Geistlichen keine andere Zuflucht als zu dem Erzhirten: So du willst,| Herr, Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen? Bei dir aber ist Gnade und viel Vergebung.

 Ueber die Bekehrung der Geistlichen ist soviel geschrieben worden, als könnte nach donatistischer Anschauung nur der Bekehrte im Segen wirken, während unsere Väter mit Recht festhalten, daß auch Anbekehrte Segen, der in die Ewigkeit wirkt, schaffen können. Aber um unserer eignen Seele willen muß tägliche Hinkehr zu dem Hirten und Bischof der Seelen statthaben: nur ein heiliges Leben erfüllt die erste Bitte.

„Wo ich geh, sitz und steh,
Laß mich dich erblicken
Und vor dir mich bücken,“

betet Gerhard Tersteegen. Vita sit oratio, oratio vita. Wie leicht wird der Geistliche, dessen Innerstes, weil stets mit dem Heiligtum und dem Heiligsten befaßt, stumpf durch Gewöhnung an das Wunderbare wird, kalt und tot, wenn nicht der Geist Gottes täglich verzehrend und verneuend in ihm fährt! Man wird mit sich zufrieden und sonnt sich in sich selbst, während der Herr nur das Herrsagen vernimmt, dem der Gehorsam abgeht. Man weissagt, lehrt und mahnt, nur nicht das eigene Ich: medice cura te, pastor pasce te, dux duc te – heißt es in der alten Kanzel-Inschrift – man treibt Dämonen aus und läßt den Dämon des Gewohnheitschristentums, der christlichen Phrase, der geistlichen Technik, das Scheinwesen ungestört in sich leben; man tut große Anstalten auf, baut, bringt zu Stand und Wesen, und im Herzen ist weder ein Stein des Gedächtnisses aufgerichtet, noch eine Salbe des Dankes ausgegossen. Unsere Väter rieten, mit Kirchhoferde Tand und Flimmer wegzureiben, und, der letzten Stunde eingedenk, in der „ein Pfarrer wohl selig, aber nicht fröhlich sterben“| kann, ernst und enge zu wandeln. Ernst und enge, schlecht und recht, wie Löhe unter sein Bild schrieb, gerade aus – gerade an. Je enger des Pastors Gewissen wird, desto mehr Kraft geht von ihm aus. Um der Schwachen willen kann er sich viel versagen, was evangelische Freiheit ihm an sich verstattete, er bedarf, von der Tragik des Lebens umgeben, nicht des Theaters und, für ewige Freude sich bereitend, nicht des Lustspiels, (Aug. confess. III., c. 40); er will, sich zum Schutze und zum Bekenntnis der hohen Pflicht, auch in Kleidung und Auftreten den Diener Jesu Christi nicht verbergen. Wer die Volkssitte nicht berücksichtigt, wundere sich nicht, wenn sie ihn nimmer kennt. Des Geistlichen geselliges und gesellschaftliches Leben sei der Gemeinde ein preiswertes, sein häusliches Leben ein nachahmenswertes Vorbild. Einfache Pfarrhäuser, bescheidene Pfarrfrauen, gut Regiment, Zucht und Friede herrsche unter ihnen und durch sie: der Bischof muß seinem eignen Hause wohl vorstehen und doch in seiner Gattin den strengsten Richter und in seinem Amtsnachbarn und Freunde das zarteste Gewissen haben.

 Mit tiefem Schmerz sieht einer, der viele Pfarrhäuser kennt und als Sohn eines armen Pfarrhauses dieses liebt, die gehobene Lebenshaltung oft als Hemmnis erhobener Lebensauffassung, die sorgenlosere Stellung als Hinderung der großen Sorge um das Eine und Notwendige, die Erleichterung des Verkehrs als Erschwerung der Stetigkeit und Bodenbeständigkeit, die Vielseitigkeit der Interessen als Gefährdung der gesunden Einseitigkeit, jenes Pietismus, der Knochen hat und ein starkes Rückgrat für Lasten und Bürden, aber auch die Schärfe gegen das eigne sanftlebende Fleisch.

 Der Geist der Väter wache in den Söhnen, deren| Herzen zu den treuen Zeugen geneigt seien, wache wieder auf, mannhaft im Bekenntnisse des Ja und Nein ohne Konzessionen, die nur der Herr, nicht aber der Haushälter gewähren kann, treu zum Worte, vor dem die Welt versinkt, damit von ihm die versunkene gerettet werde, wahrhaft und wehrhaft gegen den Zeitgeist, der nicht eine neue Größe, sondern nur eine neue Larve des alten Verführers ist, den zu entwaffnen nicht der Kunst noch der Religionswissenschaft, sondern dem Gehorsam gelingt, dem das „es steht geschrieben“ nicht umsonst geschrieben und das Wort kein vergebliches Wort ist.

 Was wird der Erfolg der Treue sein? Wird unser Amt, von reinen Händen geführt und auf reinem Herzen getragen, noch für das Reich des Herrn etwas ausrichten? Warum hat unsere Predigt nicht mehr Erfolg? Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und brächte meine Zeit unnütz zu, so doch das Werk des Herrn und die Sache meines Gottes ist, freilich eines wundersamen Gottes, den der Sohn um Arbeiter angehen heißt, er aber nimmt die vorhandenen! Aber er kann eben auch aus Steinen Kinder erwecken und Winde und Flammen zu seinen Boten machen. Es gehört mit zu den Rätseln, über die seinen Knechten mehr noch das Herz als der Kopf zum Zerbrechen bewegt wird, warum der Herr so wenig Sichtbarkeit gönnt und gibt. Will er seine Kirche, die seine Art tragen, bewahren und bewähren will, ganz im Dunklen wohnen und auf Hoffnung arbeiten lassen, da nichts zu hoffen ist, will er ganz in die Vollendungszeit verweisen, was, wenn es auf Erden erlebt werden dürfte, neue Glaubenszeit heraufführen könnte?

 So viel steht allerwege fest. Erstlich, wir hätten verdient, daß der Herr die Arbeit seiner Knechte verstieße und den Leuchter von der Stelle wegtäte. Sodann,| wenn wir mit heiligem Ernste gegen die kleinen Verfehlungen angehen und die kleinen Feinde bestehen, wird er uns nicht allein lassen. Der in unser Lebensschiff trat, um „Wind und Wetter zu erregen“ (Joh. Gerhard), damit es uns angst würde, und in dieser ernstbewegten Zeit zu seinen Knechten kommt, damit sie ihm auf tausend nicht eins antworten können, will die Wetter und Nöte stillen und wenden, damit wir erkennen, daß er der Herr ist. Und das sollen wir endlich festhalten: Ein Erfolg bleibt nicht aus: wir sehen die Wunder an dem Gesetz seines Reichs, daß zur Treue die Treue sich gesellt. Eben noch allein im Kampfe, gewahren wir, wie derer, die bei uns sind, mehr sind, als die bei den Gegnern sind.

 Das ist der Erfolg der virtus heroica, wie Bonaventura sie einmal nennt, der fides in minimis. Wir messen die Erfolge nicht mehr nach der Quantität, sondern nach dem Gehalt.

 Und so schenkt denen, denen der Kampf mit den kleinen Unterlassungen und Versäumnissen, Sünden und Fehlern nicht zu gering, sondern in Gottes Nähe Streit mit Welle und Ungestüm des Meeres war, eben der Herr Kleinheiten, mit denen im Bunde man nimmer allein ist.

 Mit Kleinheiten kämpfen, heißt einsam genug sein, um nicht Fleisch für seinen Arm zu halten, aber auch getröstet genug sein, um nicht in ungesundem Individualismus zu versteinern und zu verzagen. Wo zwei oder drei im Namen dessen, der die Einsamkeit des Mißerfolgs, die schwere Last der erträgnisarmen Niederlage überwunden hat, sich zusammenfinden, da ist die aus Not und Tod geborene neue Kraft des Auferstandenen mitten unter ihnen.

 Wer der Kirche wohl will, betet darum, daß das| unselige Großwerden, der äußere Zusammenschluß ohne innere Vernotwendigung und Berechtigung, daß Organisationen und Systematisierungen von ihr ferne gehalten werden mögen.

 Immer mehr wird die Wahrheit herausgestellt, daß weniger mehr und die kleine Herde die siegreiche ist. Wo etliche Amtsbrüder Gebetsgemeinschaft pflegen, die auf der Selbsterziehung beruht und sie bedingt, da wirken aus der Enge Kräfte in die Weite, Echtheiten der Heiligung vertilgen Schein, Zahl und Zahlenreihe. Kleine Kreise werden Quellorte neuen Lebens, das nicht verflacht, weil eben die geringe Art es in der Tiefe verbirgt und behütet. Das sind nicht Kreise, die in seligem Selbstgenügen die Kirche als das zu verlassende Babel verwerfen und ihren Sturz als Vorzeichen der Herrennähe verkünden, sondern die Getreuen, die ihr Licht still und stark, schlicht und echt leuchten lassen und nicht mit Beschlüssen die Kirchenfrage lösen, sondern mit heiligem Mut und gutem Rat als einzige Lösung die Erlösung bezeugen. Solche kleine Kreise, „über alle Land von inniglichem Werte,“ wie Gottfried von Straßburg einmal singt, kennen einander nicht und wissen nichts von einander, tauschen weder Programme noch Leitsätze aus, aber einer kennt sie und sucht sie heim und baut also sein Land.

 Wir danken es der spezifisch württembergischen Theologie, daß sie die Kleinheiten zu Ehren gebracht hat gegenüber den Massenwirkungen, die oft viel in Kauf nehmen, nur damit sie schaffen, wirken, gründen, auch wenn Holz, Heu und Stoppeln zu leicht in den Grund aufgenommen werden. – Wer unter uns ehrt nicht die Innere Mission, ein vielmaschiges Netz, um Menschen zu fangen, die im Volks- und im Weltmeere verschwinden und versinken? Und doch fürchten,| die sie lieben, daß die Weitschaft der Arbeit sie gefährde und um die Lobpreisung der innersten Mission in der Frage der Selbstprüfung und der Strenge der Geistesscheidung betrüge. Daß das Einzelgewissen von der besonderen Pflicht der persönlichen Hingabe entlastet, daß das Anstaltliche, dieser geringe und nie gleichwertige Ersatz des Familienhaften, allzusehr betont, und zwar den Armen zu essen, aber nicht die Gelegenheit gegeben werde, Speise zu wirken, fürchten die Leute, die nicht kritisch am Wege stehen, um in der Kritik sich von der Arbeit zu befreien, ja für jene diese anzusehen, sondern die Sorgenvollen.

 Wir lieben unsere Diakonissenhäuser, ohne die Ströme der Liebe ferne blieben, andere versiegten; aber weil wir sie lieben, möchten wir sie kleiner, reicher an Geschichte und ärmer an Literatur, stärker im Gesetz und schwächer in Satzungen wissen und statt vieler Haus-, Berufs-, Standes- und sonstigen Ordnungen nur eine haben: ἐν διακονίᾳ διακονείτω.

 Unsere Synoden sind nützlich und gut zu brauchen und nötig, so lange und so weit die Kirche verfaßt ist. Aber ihre Kürze sei ihre Stärke, und ihre Selbsteinschätzung sei ihr Schutz! Es sind allerlei Bündnisse wohl zu schätzen. Je peripherischer ihre Arbeit ist, desto sicherer ihr Bestand: denn auf der Peripherie begegnet man sich und bewegt sich leicht. Aber mit der Innigkeit und Tiefe verträgt sich selten die Zahl.

 Die Zukunft der christlichen Kirche – so sehr ich Lutheraner bin, so ernst halte ich über dem Worte: Christianus meum nomen, Lutheranus meum cognomen –

liegt in ihren Kleinheiten: Ich will in dir lassen übrig bleiben ein armes und geringes Volk, die werden auf des Herrn Namen trauen (Zeph. 3, 12). Aeußerer Glanz wäre ihr Verderb, sie könnte seiner| nicht warten, ohne sich an ihn zu verlieren und dabei Den, der die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit verschmähte und die Armut des Elends am Kreuze wählte. Aeußerer Glanz wäre ihr nimmer das Unterpfand, sondern der Ersatz der zukünftigen Herrlichkeit. Was nützte ihr aber einer ganzen Welt Gewinn, wenn dadurch eine einzige Seele irre würde?

 Und greifbare Erfolge, etwa daß sie der Politik neue Bahnen vorzeichnete und den Staaten neue Gesetze stellte, wären mit Niederlagen erkauft, denn die von ihr Besiegten würden sich gegen die Siegerin wenden und mitteilen, was vom eignen Wesen dem ihren fremd war und darum verderblich sein muß. Im Rat der Mächtigen wird man die Stimme unserer Kirche je länger je weniger vernehmen. Denn sie hat nichts zu bieten, darum soll sie auch nicht gebieten. In allen Lebensbetätigungen langsam, bedächtig, in den Mitteln behutsam und ängstlich, die Zwecke sachlich prüfend, kann sie nicht schnell geben, leisten, bieten. Die Zeit aber braucht für den Augenblick, was dieser zu erfordern und von der augenblicklichen Entschiedenheit empfangen zu können scheint.

 Ob die Missionstätigkeit so, wie sie reich und freudig sich entfaltet hat, weiter bleiben darf, wird ihr Herr zeigen, dem nicht Silber und Gold, nicht Nationalspenden und Weltkongresse zur Seite stehen, sondern das einfache Wort, das hingeht und vom Morgen zum Abend durch sich selbst wirkt.

 Die Zukunft der Kirche ist die Geschichte der Armut, der viel versuchten, oft beklagten, ihr selbst zur Anfechtung gewordenen und immer wieder durch die heilige Armut des Menschensohnes beschämten und in ihrem Kleinglauben getrösteten. Diese Armut ward einst das innerste Motiv der Reaktion gegen ein die| Ohnmacht und Schwachheit des Evangelium erstatten wollendes, aber damit seine Kraft verleugnendes Kirchentum, war, wie in Luthers ringender, so in Calvins drängender Persönlichkeit verkörpert, verlangte „nichts als den Himmel“ und wollte doch nie müßig erfunden werden. Sie bettelte um das Notobdach des Landeskirchentums und verschmähte die freikirchliche Eigenart nicht, aber um die Gunst der Geistesgrößen ging sie nicht aus, und wer sie nicht begehrte, dem grollte sie nicht. „Ich biete Gott mein ganzes Herz zum Opfer an, meinen gefesselten Geist unterwerfe ich dem Gehorsam“ – das Wort Calvins ist ihre Losung. Echtheit des Opfers und Gehorsam zu ihm bleiben ihre Kennzeichen, deren Trübung allein sie fürchtet.
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 Aber diese Armut hat eine Zukunft. Zu ihrer Gegenwart spricht der, welcher nicht schmeicheln will, aber trösten kann: „Du bist reich“; denn er sieht und weiß sie im Besitze aller der Schwäche des zerschlagenen und opferwilligen Lebens, in dem Kraft sich auswirkt und vollendet. Gottes Kraft, die aus dem am Kreuze Zerschlagenen siegreich hervorleuchtet, so daß die Niederlage der unscheinbaren Schwachheit in den Siegesruf endete: Es ist vollbracht – und die Gewalt des Siegers zu Spott ward, Gottes Gnade, die mit Satansfäusten schlagen läßt, damit der Plage die Gnade widerspreche und diese jene zunichte mache, Seine Majestät, die da das letzte Wort zur Verklärung spricht, wo dem Menschtum an aller Kraft gebricht, weil im Nichts des Eignen das Neue des Seinen anhebt, alle Gottestreue, welche die um ihretwillen tausendmal erwählte, tausendfach geliebte und gepriesene Armut mit österlicher Glorie krönte, wird fernerhin mit der Armut der μικρὰ ποίμνη sich verbünden, damit man sehe, daß der rechte Gott der| sei, der bei den Niedrigen wohnt. Christus vires suggerit suis membris – sagt Augustinus.

 Ein Vermächtnis hat dieser unserer Kirche gegeben, die Armut und die Armen, die sie allezeit bei sich haben soll. Weil sie in Wort und Sakrament und nur durch diese Kleinheiten, über denen Verachtung und Verrat triumphierte, getröstet und in ihrer Todmattigkeit von ihren todesmächtigen Kräften erquickt, mit den Müden durch die gelehrte Zunge zu reden weiß, so werden alle Armen und Müden, denen die Welt zu schwer und zu furchtbar wird, nicht hinter Klostermauern sich flüchten, in denen sie sterben müßten, noch auf Höhen sich retten, wo die dünne Luft nimmer atmen läßt, sondern in die abgelegene Hütte des evangelischen Christentums, das mit Leid und Lied freundlich ermutigt, sich bergen: dort sollen sie genesen.

 Aus der Welt scheidend, die sie nicht gewinnen, nur besiegen soll, draußen vor dem Lager zu Schmach und Leiden bereit, zieht sie mit den Zerschlagenen und Zerrissenen, ihrem unedlen Gefolge, der Heimat zu, wo sie ohn alle Maßen ihr Heiland trösten wird.

 Nicht untätige Resignation, nicht weichlicher Quietismus soll die Zukunft bestimmen. Deine Baumeister werden eilen, aber deine Zerbrecher und Verstörer werden sich davon machen (Jesaias 49, 17). Ἡμεῖς οὔκ ἐσμεν ὑποστολῆς εἰς ἀπώλειαν, sondern des Glaubens der Armut an den Sieg der Treue, ἀλλὰ πίστεως εἰς περιποίησιν ψυχῆς.

 Gott segne mit diesem Wunsche und Gelübde die Knechte Jesu Christi auch von dieser Stunde! –




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Salz und Licht
Vorträge u. Abhandlungen in zwangloser Folge.

01. Blaß, D. Dr., Friedr., Professor der klassischen Philologie in Halle. Notwendigkeit und Wert der Textkritik des Neuen Testamentes . . vergriffen

02. Bausch, Ed., Sup. in Barmen. Der Psalter als Gebetsschule

30

03. Cremer, E., Lic., Pastor. Die Heiligung durch den Glauben

40

04. Gunning, Dr. E. H., Professor. Der Unterschied zwischen Theologie und Religionswissenschaft

40

05. Nathusius, D. M. von, Ueber die Bedeutung christlicher Erkenntnis

30

06. Kähler, D. M., Professor. Das Offenbarungsansehen der Bibel

80

07. Schachsse, D. Eugen, Professor. Wesen und Wachstum des Glaubens an Jesus Christus
(10 Expl. 2.50, 25 Expl. 5.—, 50 Expl. 8.— Mk.)

30

08. Nestle, E., Professor. Vom Textus Receptus des Griechischen Neuen Testamentes
(10 Expl. Mk. 6.-.)

80

09. Haußleiter, D. Dr., Johannes, Professor der Theologie in Greifswald. Der Missionsgedanke im Evangelium des Lukas

40

10. Müller, C. Th., Divisionspfarrer in Berlin. Das Rätsel des Todes
(10 Expl. 2.50, 25 Expl. 5 –, 50 Expl. 8.— Mk.)

30
11. Bauer, Unitätsdirektor. Die Einigkeit im Geist 20

12. Bauer, Unitätsdirektor. Der Wandel im Licht
(10 Expl. Mk. 3.50, 25 Expl. Mk. 7.50.)

40

13. Sachsse, D. Eugen, Professor. Wie predigen wir das Evangelium den Gemeinden der Gegenwart?

40
14. Seeberg, D. Alfred, Professor. Die Leiden der Christen 40

15. Stein, E., Pastor. Nietzsche’s Gottesbegräbnis – eine Selbstbestattung des Atheismus

30

16. Ihmels, D. Ludw., Professor, von der Freiheit eines Christenmenschen

40

17. Schaeder, D. Erich, Professor. Heiliger Geist und Kirche

40

18. Bornhäuser, D. K., Professor. Wie kann das Christentum wieder mehr eine Macht in unserem Volke werden?

40

19. Barth, D., Professor. Die Aufgaben der Christen im Volksleben der Gegenwart

40

20. Nagel, Lic., Dr., Gottfr., Pastor in Herischdorf. Die Keilschriftforschung im Dienste der Schriftforschung

80

21. Dunkmann, D. K., Professor. Gehört Jesus in das Evangelium?
(10 Expl. Mk 3.50, 25 Expl. Mk. 7.50.)

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22. Bezzel, D. Dr. Herm. Der Kampf mit den Kleinheiten

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