Denkmal Ulrichs von Hutten
[345] Als die Zeitung meldete, im neuen Deutschen Merkur sey Huttens Bild und Leben erschienen, erröthete ich über meine Schuld, wie lange ich diesem edeln deutschen Manne auch ein kleines Denkmal zu setzen Willens gewesen. Er starb als ein Flüchtiger, als ein Vertriebener, und hatte zuletzt nicht, da er sein Haupt hinlegte; nur eine Schreibfeder fand man nach seinem Tode bei ihm und einige Briefe seiner Freunde. – Wie sein Nachlaß war, soll und kann auch nur dies Denkmal werden: ein glatter Stein auf seinem Grabe, oder ein Brief von Freundes Hand über seinen Tod und über sein kurzes, stürmiges Leben.
Wenn ein junger, feuriger Mann schon in Jahren, die andre noch als Pflanzen wegträumen, ein Mann fürs Vaterland ist, der den faulen Weg und die ruhige Lebensart der Mönche [346] (es giebt Mönche in allen Ständen) früh verläßt, eben weil vielleicht sein Genius zulispelt, daß ers nicht lange werde thun können: er strebt, was er kann: a) [1] erwählt mit den Guten und fürs Gute freywillig Ungemach zu leiden, Stand, Güter, Ruhe, Leben, Ehre aufzuopfern, und läßt sich durch jede neue Gefahr nicht abschrecken bis ans Ende seiner kurzen Laufbahn; die Finsterniß ist aber stärker als das Licht, die Sklaverey stärker als die Freiheit: man rottet sich um ihn, schneidet, da er noch keine Grenzen seiner Wirksamkeit kennet, ihm Luft und Athem ab: auch seine Freunde treten scheu zurück: sein edelster, ihm treugebliebner Freund sinkt, und mit ihm [347] Glück und Alles; nun treten die Falschen hinzu, die sich auch Freunde nannten, verläumden, spotten, hönen seine Plage: Der Edle fällt, wie man vor bösen Buben fällt, und jene Unedlen behalten Recht: „Was hat er ausgerichtet? Was wollte er? Freulich – Freylich auch fehlte es ihm nicht“ – aber jung, zu jung – Unter solchen Hohnsprechungen liegt nun der Arme bey einem Pfarrer auf einer kleinen Insel im Bodensee, hatte in Deutschland, für das er alles unternahm, zuletzt keinen sichern Tritt mehr, und starb auch dort mit Liebe fürs Vaterland und mit Löwenmuthe gegen die Verkleisterer der Wahrheit – Jünglinge, wallfahrtet zu seinem Grabe, und sein Leben sei euch ein Spiegel mehrerer Zeiten.
Als Ulrich von Hutten, der junge Fränkische von Adel, in Fulda studirte, wollten ihn, wie billig, Mönche zum Mönchen machen. Tune hoc ingenium perderes? sagte der verdiente Eitelwolf von Stain zum Abbt und errettete [348] den fähigen Knaben. Zeitlebens hing Huttens Herz an diesem edlen Manne, seinem Erretter. Ihm hatte er nachher die Gunst des Kardinals von Mainz, seine Reise nach Italien, sein erstes blühendes Hofglück zu danken; mit Eitelwolf von Stain sank ihm seine erste Stütze, auf die bald Eine nach der Andern, folgte. Eitelwolf wars, der dem Churfürsten von Brandenburg den Rath und den Plan zur neuen Universität Frankfurt an der Oder gab, und nach seinem Sinne sollte sie ein neues Athen der schönen und freyen Weisheit werden; bald aber thats dem biedern Manne leid, da er die neue Universität ärger als eine andre mit Sophisterey und Pfaffenkram überdeckt sah. Er ging mit einer Societät der Wissenschaften in Mainz, dem damals so blühenden Mainz, schwanger und – starb darüber. Gnug, er hatte Hutten in die Welt geholfen, und Hutten hat in seinen kurzen Jahren mehr gethan, als manche Societät in Jahrhunderten thun dorfte oder thun mochte.
[349] Hutten studirte in Kölln, und das war, wie wir auch aus der Geschichte Luthers wißen, damals mit ein Hauptnest der Philosophaster und Theologaster. Der Eckel, den Hutten früh an dieser Brut hatte, gab ihm, noch unbestimmt, wie sein Unmuth ausbrechen würde, den Stof zu den epistolis obscurorum virorum, dem späteren kühnen Werk seines Lebens. In Fulda war Crotus Rubianus, sein nachmaliger Mitarbeiter an diesen Briefen, sein Mitschüler gewesen, ein Freund, der ihm bis ans Ende treu blieb. Und da in Kölln alle die Originale, insonderheit der grauissimus Ortuinus, die das künftige Heldengedicht galt, lebten; so ist dies abermals eine Probe, wie das Meiste, das wir in unserm Leben thun, von Verbindungen und Umständen herrühret, in die uns frühe die Vorsehung setzte. Die Morgenröthe des Lebens, Jugendeindrücke, frühe Freunde, Situationen von Jugendhaß und Jugendliebe – sie machen meistens den Anklang [350] unsrer Bestimmung. Sie weben das Grundgewebe, in welches spätere Schicksale und eine reifere Vernunft nur den Einschlag geben.
Hutten ging überdrüßig von Kölln nach Frankfurt, dessen reizende Lage er, vermuthlich für seinen Eitelwolf, in Versen beschrieb. Freundschaft also lockte den ersten Sproß des jungen Dichters hervor; diese Muse verließ ihn auch nicht in seinem ganzen Leben.
Jugendliche Unruhe trieb Hutten hierauf nach Italien, zuerst als Kriegsmann unter Maximilian, der damals Podua belagerte, b)[2] Und hier [351] hing sich die Schlange, (eine Krankheit, die sich gleich selbst erklären wird,) an seinen Fuß, deren Gift er Zeitlebens mit sich trug, und die zuletzt seinen Häßern auch Anlaß zum Hohn gab. – Wer die Geschichte der damaligen Zeiten und dieses Uebels kennet, als es zuerst in Europa ausbrach, der muß ungerecht seyn, wenn er nicht dem allgemeinen Zeugniß glaubt, daß man damals sehr unschuldig dazu kommen konnte, und desto ärger daran war, weil man noch kein Mittel dagegen wußte. Die Krankheit, an der Fürsten und Herren damals mit Ehre laborirten, hatte den Schandfleck noch nicht, den ihr die spätere Zeit mit Recht gegeben. Jetzt ist das Ungeheuer in seine Grenzen gebannet: damals wars Pest am Mittage. Hutten schreibt in seinen Briefen mit einer Offenherzigkeit davon, die am lautesten seine Unschuld zeiget, (an der damals auch niemand zweifelte, der ihn kannte) An die Fuggers schrieb er ein öffentliches Dank- und Glückwünschungsschreiben über den Lebensbaum, Guaiani [352] medicinam, der durch sie nach Deutschland kam; und an den Erzbischof, Kardinal und ersten Kurfürsten Deutschlands, Albert von Mainz, schrieb er, de morbo Gallico librum, in welchem er ein eben so patriotischer Verfechter der Gesundheit seiner Landsleute wird, als er sich nachher ihrer Ehre, Freyheit, Aufklärung und Glückseligkeit patriotisch annahm.
In Krieg und Krankheit waren seine Arbeiten flüchtige, einzelne Sinngedichte, die sich ohne seinen Willen zerstreuten, gesammlet oder vielmehr verstümmelt herausgegeben wurden, die er also aus Noth selbst heraus gab und sie Maximilian zueignete. Coluit, sagt er –
coluit per mille pericula Musas
et quanti potuit carminis auctor erat.
Von früh auf sieht man an Hutten einen Mann, der zur Pedanten-Autorschaft nicht gemacht war. Alles lebt in seinen Schriften, nichts [353] steht geschrieben, daß es nur also dastehe. Seine Bücher, alle meistens kleine Stücke, sind Stimmen aus seinem Leben, Laute seines Ritterworts, Handlung. Und darum wirkten sie auch in ihrer Art, wie Luthers Schriften, in der Seinigen; er schrieb ein Latein, wie es die Drehbank Ciceronischer Perioden schwerlich allein hervorbringen möchte. Wie Dädals Bildsäulen sieht man seine Worte und Phrasen gehen, kommen, handeln, leben!
Er kam nach Deutschland, und ein Landedelmann, sein Vater, der an ihm einen fleißigen, mühsamen Juristen nach der damaligen Juristenzeit in Deutschland suchte, fand nicht, was er wünschte. Der junge Mensch schrieb seinen Nemo: das erste Stück in künftiger Huttenscher Manier, und wenn man deuten wollte, für ihn eine üble Ahndung. Beym ersten Auftritt war er ein Niemand und ist gewissermaaße Zeitlebens ein [354] Niemand geblieben. – Vorher hatte er unter mancherley Schicksalen ganz Deutschland durchkrochen und durchflogen, „ein Ulysses, wie er sagt, mit einer ganzen Odyssee von Zufällen.“ Wenigstens hatte er dabei den Vortheil, daß er das Deutschland, für welches er nachher mehr als Demosthenes seyn wollte, in allen seinen Provinzen kannte: von Rostock und Greifswalde bis gen Frankfurt und Wien; Sachsen, Böhmen, Braunschweig, die Schweiz. Zu Wittenberg hatte er sein Gedicht de arte versificatoria, (ein Zeichen des Brodstudiums, worinn er Unterricht geben muste,) hingeworfen; aber auch dieses that er mit einer Wärme, die ganz den künftigen Mann prophezeyte. In der Schweiz nahm ihn der verdiente Reformator Vadian auf, und so kam er zum zweytenmal, jezt ganz ein Jurist zu werden, nach Welschland.
Wir wollen uns nicht in Umstände einlassen, die man im Leben jedes jungen Dichters sich denken, oder allensfalls finden kann, daß z. E. ihm [355] der Geschmack der Bartolisten nicht anstand, daß er sich darüber auf seine Art äußerte, daß ihm die schöne Literatur in Italien wohlbehagte, daß er von allen, die seine Talente kannten, geschätzt wurde, u. s. w. Eben da er in Italien den Rechten oblag, kam ihm ein Umstand ganz andrer Art in den Weg, Ihn als den, der Er war, zu zeigen und zu üben. Der Herzog in Würtenberg hatte seinen Vetter Johann von Hutten mit eigner Hand im Walde umgebracht: und nun ließ Hutten, der eben so sehr Edelmann, und Geschlechtsvertheidiger als Deutscher und Freiheitvertheidiger war, Klagen, Briefe, Deplorationen, endlich fünf Invektiven gegen den Mörder ausgehn, die, als wahre Demosthenesreden von Herz und Seele, die Sprache der Unschuld und Rache sprachen und gegen einen Thäter, der Herzog war, alles zu Hülfe nahmen. c)[3] Weiterhin werden wir unsern Demosthenes [356] im wirklichen Feldzuge gegen seinen Feind sehen, da sein Freund, der gerechte[WS 1] und edle Sickingen des Schwäbischen Bundes Haupt war. Hier bemerken wir nur, daß die Stimme, die sich jetzt für ein ungehörtes Bruderblut erhob, bald zu Kayser und Reich über allgemeinere Angelegenheiten rufen sollte, und sich an einem so sonderbaren tragischen Familien-Vorfall zum Voraus gleichsam nur üben muste. – In diesem [357] Jahr 1515 starb Hutten auch sein Freund, Erretter und Beförderer, von Stain, und nun ging seine zweite Laufbahn an.
Schon sein Gespräch gegen Ulrich: Phalarismus, Dialogus Huttenicus, hatte er mit dem Wort geschloßen, das nachher auch in andrer Absicht sein Wahlspruch werden muste: jacta est alea! ich habs gewagt! Schon diesen Dialog endete er mit den Worten: exoriare aliquis nostris ex ossibus vltor! Und nun drang ihm die Beklemmung, in der damals die Ehre und das Licht Deutschlands, ein verdienter Mann von mehr als Einer Seite, Reuchlin, war, zu Herzen: er machte sich mit seinem Schul- und Busenfreunde Crotus auf, ihm gegen den Ketzermeister Hochstraaten und mehrere Fakultäten privilegirter Verfolger, die rechtlich wüteten, durch ein Mittel zu helfen, das mehr als eine Deduktion wirkte, er schrieb die Epistolas obscurorum [358] virorum. Daß Crotus daran Theil gehabt, ist unläugbar; sie aber deswegen, weil Crotus mitgeholfen, dem Hutten ganz absprchen zu wollen, ist eben so unnoth, als sie gar dem Erasmus zuzuschreiben, der unter allen Sterblichen sie wohl am wenigsten schreiben wollte.
Kurz, diese Schrift Huttens überwand für Reuchlin mit. Sie traf so scharf, schied Mark und Bein, stellte die Pfefferkorne, Ortuini und alle ihres Gelichters so ganz dar, daß es weiter keines Läugnens bedorfte. Unglaubliche Würkung machte diese Schrift, als sie erschien; auch auswärtige Nation schätzten sie, obgleich für sie die feinste Spitze des Salzes verlohren gieng: denn das Deutschlatein, die deutschen Mönchsgelahrten Sitten, sind in ihr das Hauptwerk; eine Nationalsatyre voll Geist, Feuer, Witz und äußerst genauer, treffender Detailwahrheit. d)[4]
[359] Endlich endigte Sickingen was Hutten angefangen hatte, und sprach mit diesen Leuten, wie man mit ihnen reden mußte. Sie krochen zu Kreuz, und Reuchlin hatte in seinem Alter Ruhe. – Der Bruder Ketzermacher, Hochstraten, gegen [360] den auch in Luthers Schriften die Deutsche Wahrheit zu lesen ist, soll einmal Hutten in den Niederlanden begegnet, ihm vor Schrecken und Angst zu Fuße gefallen seyn und seine arme Seele schon allen Heiligen mit dem Stoßseufzer empfohlen haben: „Leben wir so leben wir dem Herrn etc.“ „An dir verunreinige ich mein Schwerdt nicht,“ sagt Hutten, und ließ ihn gehen.
Als Hutten zum drittenmal aus Italien kam, war sein Ruhm in der schönsten Blüthe. Da jauchzten ihm alle Freunde der Wissenschaften zu und priesen ihn, den siegenden Reuchlinisten. Erasmus lobte ihn als einen Mann, desgleichen nicht gewesen: e)[5] seine Freunde, insonderheit [361] der redliche Pirkhaimer, (Nürnbergs verdienter Patricius, Dürers und aller Guten Freund,) empfahlen ihn Maximilian, der ihn in Augsburg mit eigner Hand zum Dichter mit einem Kranze krönte, den seines Freundes Pirkhaimers Tochter ihm gewunden hatte. Hier war er mit im Gefolge [362] des Kurfürsten von Mainz auf dem Reichstage, hatte gute Hoffnungen zu des Kaisers Hofe, und seine Jugendphantasie träumte lebhaft, „was er ausrichten, vollenden würde!“ Man lese den langen Brief, den er an Pirkhaimer schrieb, als dieser ihm die Einsamkeit auf seinem Fränkischen Ritterschloße anrieth. Burkhard, ein um Hutten sehr verdienter Mann, hat diesen Brief herausgegeben und commentirt; er zeigt, daß, ohngeachtet seiner schwächlichen Gesundheit, Hutten damals noch Alles lachte. Da schrieb er wie in einem Feuerstrom die Rede: Ad principes Germaniae, vt bellum Turcis invehant, Exhortatoria, in der, so viel dem Kaiser am Inhalte lag, doch einige zu warme Stellen weg mußten. Damals lebte der Hof und was sich am Hofe Maximilians und Alberts für Deutschland thun ließe, in seiner Seele: jede Blüthe irgend eines schönen Genies, in welcher Nation sie auch aufspriessen mochte, Budäus, Oecolampadius, Pirkhaimer, Faber, Erasmus, Copus, Ruellius, [363] vergnügte ihn so lebhaft, als ob alle diese Männer seine Brüder, Mitarbeiter zu Einem Werke, wären. – Das wahre Kennzeichen umfassend-großer Seelen! An Luther, der damals vor Cajetan zu Augsburg stand, nahm er noch nicht Theil, vermuthlich weil er seine Sache nur als eine theologische Streitigkeit ansah, und ihn noch nicht kannte. Daß indessen schon damals in Hutten die ganze Flamme gelodert, die ihm späterhin Luthern so theuer machte, zeigt die lange Dedikation, womit er des Laurentius Valla Schrift: „über die erlogne Schenkung Konstantins“ dem Papst Leo selbst zu übergeben sich getraute. Ein rechter Jugend-Helden- oder Eulenspiegelstreich in Huttens Leben. Er thats mit so vielem Lobe dieses, und mit so bitterm Tadel des vorigen Papstes, dabei auch mit einem so lauten Geschrey für die Freiheit der Deutschen gegen des Papstes Ansprüche, daß er sich entweder das größte Wunder zutrauen, oder den bittersten Haß des Papsts erwarten mußte. [364] Den er denn auch froh erwartete; nur daß er sich an Albert, am Kaiser, an den Fürsten und Ständen des Reichs desto mehr irrte, und für seine gute, wahre, gerechte, gerecht anerkannte Sache von ihnen viel zu viel hoffte.
Hutten bahnte also Luthern unwissend den Weg, und half ihm nachher, da er ihn kannte, treulich. Nur lief es freilich nicht nach Huttens Sinne. f)[6] Der Kaiser starb: Hutten folgte dem [365] Kurfürst Albert nach Mainz, wo er in Ruhe des Hoflebens einige seiner besten Dialogen verfertigt hat; aber dies Leben war am Ende für ihn nicht. Lieber gieng er mit Sickingen gegen den Herzog Ulrich zu Felde, zog drauf auf sein Schloß Stackelbergk, und vollendete seine Dialogen über Glück, Fieber und Papstthum. Dies letzte Gespräch hieß: „Die Römische Dreyfaltigkeit“ und es ist unbegreiflich, wie dasselbe nicht blos in Mainz öffentlich gedruckt werden, sondern auch der Verfasser nachher frei am Mainzischen Hofe und in Gnade des Kurfürsten seyn konnte. Freilich nicht lange: denn bald kam der schärfste Befehl aus Rom, „daß ein so frecher Sünder, als Hutten, gegen den die Theologisten in Kölln längst die Bulle wegen der Episteln obsc. vir. in Händen gehabt, und der fortführe, von der Römischen Dreyeinigkeit selbst in Mainz zu [366] schreiben, nichts anders, als in Ketten nach Rom geführt zu werden, verdiene.“ Zu diesem edeln Werke ward nun Alles mit aller Schärfe aufgeboten, und Hutten hatte keinen Beschützer. Albert konnte und dorfte dies nicht seyn: zum Erzherzoge Ferdinand schrie Hutten laut, aber vergebens: noch lauter an Kaiser Karl, an die ganze Deutsche Nation; vergebens. Er hatte Herz genug an Kaiser Karls Hof nach den Niederlanden selbst zu gehen, aber umsonst: er fand kein Gehör: Dolche, Meuchelmörder, Ketten und Banden erwarteten ihn allenthalben. Und immer blieb Hutten unerschüttert derselbe. Man schaudert, wenn man seine Briefe, Reden und Auffoderungen an Ferdinand, Karl, Albert, Friedrich von Sachsen, an alle Stände des Reichs lieset. Hier erscheint Deutschlands Demosthenes in seiner Größe. Wahrheit, Freiheit, Stand, Ruhm, Noth, Vaterland, Alle läßt er sprechen, rufen, klagen. Die fünf Klagschriften sind ins Deutsche übersetzt, mit dem [367] Beiwort: „ein großes Ding die Wahrheit! stark über Alles!“ Er hätte aber lange rufen können, wenn ihm nicht sein alter ungerufener Freund, Franz von Sickingen, ein Mann, dessen Name Deutschland zu den edelsten Römern stellen kann, wenn der ihm nicht mit gewohnter Hand Schutz und Freistadt gegeben hätte. Hier leider! geht der dritte Theil von Huttens Leben an, und Gottlob, daß dieser nicht lange dauret.
In seines Freundes Sickingens Schloß, Ebernburg am Main, fand Der also eine Freystadt, der sie nirgend, auch auf seinen eignen Gütern nicht mehr fand. Nach Frankreich ward er geladen, aber er wollte Deutschland nicht verlassen, dessen Sache er jezt eben am eifrigsten, fröhlichsten, freysten forttrieb. In Ebernburg schrieb er: „die Anzeige, wie sich allweg der Papst gegen den Kaiser gehalten:“ er commentirte die Bulle des Papsts gegen Luther mit Noten, schrieb neue Dialogen, Invectiven, Aufmunterungen, [368] Aufweckungen, Briefe, „Beklagung der Freystädte teutscher Nation, lebendige „Abkonterfactur des Pabstthums“ u. s. w.“ jedes Stück immer stärker, lebendiger, mächtiger, wahrer als das was vorangieng. Jezt schlug er sich zu Luther, munterte ihn auf, bot sich und seinen Sickingen zu allem an. Schon dieses Sickingen wegen wird dieser Theil von Huttens Leben und Schriften außerordentlich merkwürdig. Allemal wenn er an ihn denkt, wenn er ihn nur in Einem Wort, Einer That anführet, sieht man den ganzen Biedermann vor sich. Ihm und dem großen Haufen des deutschen Volks zu gut schrieb Hutten izt deutsch, übersetzte seine besten lateinischen Gespräche für seinen Freund Sickingen, der sich auch Luthers Schriften beym Abendessen und müßigen Stunden vorlesen ließ, und denn gewöhnlich wahre Ritter-Worte drauf setzte. Höre man eine Zueignung Huttens an ihn, in der beyde geschildert werden, wie sie waren:
[369] „Dem edlen, hochberühmten, starkmüthigen und Ehrenvesten Franz von Sickingen, Kais. Majest. Rath, Diener und Hauptmann, meinem besondern vertrauten und treflichen guten Freund, entbeut ich Ulrich von Hutten meinen freundlichen Gruß und willigen Dienst.
Ohn Ursach ist das Sprüchwort: in Nöthen erkennt man den Freund, nicht in Gebrauch kommen. Wahrlich darf niemand sagen, daß er mit einem Freund verwahret sey, er hab ihn denn in seinen nothdürftigen anliegenden Sachen, dermaßen daß er ihn inwendig und auswendig kenne, versucht und geprüft. Wiewohl nun der glückselig zu achten, dem nie vonnöthen ward, einen Freund dieser Gestalt zu probiren, mögen doch auch sich die der Gnaden Gottes berühmen, so in ihren Nöthen beständige und harthaltende Freund’ erfunden haben. Unter welchen ich mich denn nicht wenig Gott und dem Glück zu bedanken hab. Denn als ich auf das äußerst an Leib, Ehren und Gut von meinen Feinden genöthigt, [370] so ungestümlich, daß ich kaum Freund’ anzurufen Zeit gehabt, bist Du mir nicht, als oft geschieht, mit tröstlichen Worten, sondern hülftragender That begegnet, ja mag ich, als das Sprüchwort ist, sagen, vom Himmel herab zugefallen – Der nicht geachtet, was ein jeder von meinen Sachen rede, sondern sie an ihr selbst Gestalt beherzigt. Hast dich nicht durch Schrecken meiner Widerwärtigen von Verfechtung der Unschuld abziehen lassen, sondern aus Liebe der Wahrheit und Erbarmnüß meiner Vergewaltigung für und für über mir gehalten. Und da mir aus Größe der Fahr die Städt verschlossen gewest, alsbald deine Häuser, die ich aus der und andern Ursachen Herbergen der Gerechtigkeit nennen mag, aufgethan, und also die angefochtene und verjagte Wahrheit in die Schoos deiner Hülf empfangen, und in den Armen deiner Beschirmung gar kecklich gehalten. Daraus denn gefolgt, daß ich in meinem Fürsatz, [371] den auch Du ehrbar und redlich nennest, nicht wenig gestärkt, alle Gelehrten und Kunstliebenden D. Nation sich in Freuden und Frolocken erhaben, und gleich als nach einem trüben Wetter von der Freudenreichen Sonne erquickt worden. Dagegen die boshaftigen Kurtisanen und Romanisten, die mich verlassen gemeynt, und derhalben nahet einen Triumph von mir geführt hätten, da sie gesehn, daß ich mich an eine veste unerschütterte Wand gelehnt hab’, ihren Stolz und Uebermuth gegen mir etwa niedergelassen, sich fast ingethan und kleines Lauts worden. Für solche deine Wohlthat dir gnugsamen Dank zu sagen, hab’ ich nicht Mangel an Gemüth und Willen, sondern am Glück und Vermögen. Wird mir aber je eine bessere Zeit erscheinen, und sich Aenderung des Glücks (als denn meine freye Hoffnung zu Gott ist) begeben, will ich dir allem Vermögen nach u. s. f. auch
[372]Wo etwas meine Schrift vermag
Dein Lob muß sterben keinen Tag.
Denn ohn Schmeicheln und Liebkosen zu reden bist Du, der zu dieser Zeit, da jedermann bedäucht, deutscher Adel hätte etwas an Strengheit der Gemüther abgenommen, dich dermassen erzeigt und bewiesen hat, daß man sehen mag, deutsch Blut sey noch nicht versiegen, noch das Adlich Gewächs deutscher Tugend ganz ausgewurzelt. Und ist zu wünschen und zu bitten, daß Gott unserm Haupt Kaiser Karlen deiner tugendhaftigen unerschrocknen Muthsamkeit Erkänntniß ingebe, damit er dich deiner Geschicklichkeit nach in hohen treflichen seinen Händeln, das Römisch Reich oder auch ganze Christenheit betreffend, so mit Rath und der That brauche. Denn alsdann würde Frucht deiner Tugend zu weiterem Nutz kommen. Fürwahr einen solchen Muth sollt man nicht ruhen noch inwendig Bezirks kleiner Sachen gebraucht werden lassen. [373] Aber ich hab mir nicht fürgenommen, in dieser Vorred dein Lob zu beschreiben, sondern einmal meinem Herzen, das gesteckt voll guter Gedanken und freundlicher Gutwilligkeit ist, Luft zu geben. Schenk dir zu diesem neuen Jahr die nachfolgende meiner Büchlein, und wünsch dir damit nicht, als wie oft unsere Freunde pflegen, eine fröliche sanfte Ruh, sondern große, ernstliche, tapfere und arbeitsame Geschäft, darinn du vielen Menschen zu gut, dein stolzes heldisch Gemüth brauchen und üben mögest, u. f. 1521.“
So war Freund zu Freund. Seit Hutten bey diesem Freunde war, schrieb er fürs Volk, hie und da auch in Volksreimen. Wenn sie uns Knüttelverse dünken, so waren sies damals nicht: sie waren Verse, die das Volk lesen und behalten sollte; daher besetzte er hie und da auch andre seiner Werke mit solchen Reimen.
Die Wahrheit ist von neu gebohren,
Betrug hat seinen Schein verlohren,
Deß sag Gott jeder Lob und Ehr
Und acht nicht förder Lügen mehr.
Ja, sag’ ich, Wahrheit war verdrückt,
Ist wieder nun hervorgerückt,
Deß sollt man billig genießen lon,
Die dazu haben Arbeit gethon.
Die faulen Pfaffen lobens nit – –
Ach fromme Deutschen haltet Rath,
Da’s nun so weit gegangen hat,
Daß nicht geh wieder hinter sich.
Mit Treue hab’s gefördert ich,
Und begehr deß anders keinen Genieß.
Denn – wo mir g’schäh deßhalb Verdrieß –
Daß man mit Hülf mich nicht verläst,
So will ich auch geloben, daß
Von Wahrheit ich will nimmer lahn,
Das soll mir bieten ab kein Mann.
Auch schafft, zu stillen mich, kein Wehr,
Kein Bann, kein’ Acht, wie fest und sehr
Man mich damit zu schrecken meint.
Wiewohl mein’ fromme Mutter weint,
Da ich die Sach hatt g’fangen an,
Gott woll sie trösten! Es muß gahn,
Und sollt es brechen auch fürm End,
Wills Gott, so mags nicht werden gwendt.
Drum will ich brauchen Füß und Händ’.
Ich habs gewagt!
Ich weiß, fängt er in der Beklagung der Freystäte Deutscher Nation an:
Ich weiß, ich werd noch Lands verjagt,
Um daß ich solchs nicht schweigen kann,
Und nehm des Dings allein mich an.
Doch ist es wahr; und ist nicht recht,
Daß man woll machen krumm zu schlecht. –
Die traurige Weißagung ward bald erfüllet. Das Jahr darauf fiengen Sickingens Sachen übel zu gehn an, und 1523 im May starb der edle Held auf folgende unwürdige Weise:
[376] Sickingen hatte einen Zug zu thun gegen den Herzog von Lothringen, Erzbischof von Trier, Kurfürst von der Pfalz, Landgraf von Hessen. Ein Ritter gegen die Fürsten des ganzen Rheins. Er war alt, mit Gicht behaftet, konnte nicht mehr aufs Pferd, mußte in einem Seßel getragen werden, und da rotteten sich gegen den alten Löwen ein Haufe andrer Thiere. Höre man ihn selbst, wie er redet:
„Mein lieben Brüder und Nachbarn, warum kommt ihr wider mich zu fechten und streiten? Nun bin ich doch mit euch dran. Ich begehr euch zu erlösen von dem schweren entchristlichen Joch und Gesetz der Pfafheit, und zu evangelischen lichten Gesetzen und Christlicher Freyheit zu bringen. So wollt ihr das nicht leiden, thut, als der den fallenden Siechtag hat, will nicht, daß man ihm helf, daß er nicht verderbe. Denket, daß ihr wider Christum und sein Evangelium streitet und nicht wider mich. Um des [377] Evangeliums willen will ich den Tod nicht fliehen. Gotts Will geschehe. Amen.“
Dem Adel, den obige Fürsten gegen ihn erregt hatten, schrieb er: „O vesten, edlen, lieben Mitbrüder, wollt Gott, ihr hätt euch baß bedacht! Warum zieht ihr wider Euch, Eure Kinder und Kindskinder? Warum zerreißet ihr Eure Freyheit und wollt Knecht’ und Gefangene der Beschornen seyn? Denkt ihr nicht, wenn Franz überwunden wird mit seinem Anhang, wie man darnach Euch wird ein Zaum und Biß in das Maul legen und Euch führen, wo N. hinwollen? Ihr wollet denen helfen, die den deutschen Adel verderbt haben mit Lügen, eure väterliche Güter an sich gezogen, als sind die beschoren Knaben, die Stift und Klöster. Ihr und die Euren mangelt: sie leben im Saus, verthun das Eure mit Huren, Hoffart, Vollerey, Büberey; wollt ihr Euer Leben für die setzen? Ja sie wollen unsre Seelen auch verderben, so sie [378] uns das Evangelium Christi und Wort Gottes nicht lassen predigen, auch selber nicht predigen, und ertränken unsre Seelen mit ihren eignen Träumen, Fündlein, Gesetzen und Lehren, gleißenden Worten. Wollt Gott, daß ihr der Sach noch nachgedächtet, so werden ihr Francisco N. beystehn. Gotts Will gescheh, Amen. All Sieg von Gott.“ So dachte Franz: dafür stritt er. Da ward er in seinem Alter von vier Fürsten und einem großen Rott Adels in seinem Schloß Landstein zulezt umringt, von einer Kugel, die sie ins Schloß schossen, auf der Mauer getroffen, lebte noch 24 Stunden, hörte die Fürsten und Herren alle sehr freundlich zu ihm sprechen, und starb. Als Luther von seinem Tode hörte, wollte ers zuerst nicht glauben. Da die Nachricht sich bestätigte, ward er tiefsinnig und brach aus: „Der Herr ist gerecht, aber wunderbar. Er will seinem Evangelium nicht mit dem Schwert helfen.“ Wie alle Guten den Tod [379] dieses Mannes betraurt haben, bedarf keines Worts. Er war und fiel wie Brutus; Und nicht um ein Phantom politischer Freyheit fiel er, sondern um Wahrheit, Licht, Recht, Billigkeit, den Gebrauch und Genuß der edelsten Güter des Menschengeschlechtes.
Die meisten Aufklärer des südlichen Deutschlands, aus dem wie bekannt ist, in den Hülfswissenschaften das meiste Licht ausgieng, hat er geschüzt, ernährt, beherberget, verfochten: Aquila, Patricius, Bucer, Schwebel, Reuchlin, Oecolampadius. Luthern selbst lud er mehr als einmal zu sich ein; sein Freund Hutten hat ihn nur drey Monathe überlebet.
Mit gebrochnem Herzen gieng dieser der Schweiz zu, Rettung zu suchen; fand aber unterwegs zum Unglück noch einen ehemaligen Freund, der ihm völlig das Herz brach. Erasmus war eben auch zu Basel; der scheuete und verläugnete nun nicht blos den armen, vertriebnen, [380] oder wie er sich ausdrückte, schäbichten Edelmann, den er vormals zum Himmel erhoben hatte; g)[7] sondern wollte auf der andern Seite gegen [381] Huttens Freunde auch nicht sein Feind heißen, schob es auf Huttens Krankheit, daß er ihn nicht gesprochen, u. s. w. Da trat Hutten auf und expostulirte öffentlich mit ihm, daß das Alles [382] Lug und Trug sey; er sey täglich ausgangen, habe auf dem Markt mit Jedem Stundenlang gesprochen, Erasmus habe ihm die Thür geschloßen, u. f. Als Erasmus hörte, daß die Expostulation unter der Preße sey: kam er zurück, streichelte Hutten, wunderte sich, sprach von alter Freundschaft, rückte ihm sein nacktes Elend auf, hatte gar Herz gnug, einem Verlaßenen und Vertriebenen zu drohen; aber Hutten kehrte sich dran nicht. Die Expostulation erschien, und nun kam Erasmus, mit einem höflichem Schwamm (Spongia) den Flecken abzuwischen. So leicht ließ sich dies aber nicht thun; Luther, Melanchthon etc. haßten den Schwamm und sagten, er habe nicht blos Hutten, sondern das ganze Lutherthum mit Koth besprützen wollen: denn nun sollte es das Lutherthum gewesen seyn, das dem Erasmus und den Musen ihren Freund geraubet. Was das Aergste ist, haben Einige gar geglaubt, Hutten sey an diesem Schwamm, (den er vielleicht [383] nicht einmal mehr gesehen), erstickt; Er, der an viel härterer Speise nicht zu ersticken pflegte, ja dem, wenn er länger gelebt hätte, dieser Schwamm wohl zu statten gekommen wäre.
Ein Höherer entriß ihn dem Bann und der Acht, offenen Feinden und falschen Freunden; Er starb End’ Augusts 1523 im 36 Jahr seines Alters. Ufnort heißt die kleine Insel im Züchersee, wo er im Gebiet des Zürcher-Raths Schutz und bey einem armen Pfarrer Pflege, Aerzung fand, und Ruhestäte. Schiffe hinüber, reisender Jüngling, und suche sein Grab und sage: „Hier liegt der Sprecher für die Deutsche Nation, Freyheit und Wahrheit, der für sie mehr als Sprecher seyn wollte.“ Eine Grenzinsel hat ihm ein unbekanntes Grab gegeben.
* * *
Das unbekannte Grab wäre nun zwar ein so grosses Uebel nicht; vielmehr ist dieses in der Ordnung. Auf marmorne Denkmale müssen die [384] Guten und Edeln keiner Nation rechnen. Mußte im siebenjährigen Kriege nicht ein Ausländer kommen, und in der Stadt, wo Leibniz liegt, nach Leibniz Grabe fragen? Und Niemand wußts, als ein alter Küster, der es ihm, wie der Todtengräber eines Bettlers Grab, mit glattem Steine zeigte. Dem verbanneten Hutten ist die Todesstäte selbst, die Insel auf dem Zürchersee, sein Ehrendenkmal.
In anderm Sinn aber möchte ich Luthers Wort wiederholen: „Wir Deutsche sind Deutsche!“ nemlich: Auch Huttens Schriften sind verstoben: in drei Jahrhunderten hat niemand sie noch gesammlet. Viele haben Hand angelegt, sie herauszugeben; immer aber kam ein böser Zufall dazwischen. Und da die meisten nur einzelne Bogen und kleine Stücke sind, viel auf Sickingens Schloß gedruckt, von Feinden zerrissen, (sein Bild hatten die Kartheuser zu Schlettstadt zu einem Gebrauch angewandt, [385] dafür sie 1000 Goldgülden, A**geld, an Sickingen erlegen musten;) so ists gerade, als ob sie ganz aus der Welt wären. Und so sind unsres Landsmannes, Mitreformators, Freiheitredners, des Demosthenes unsrer Nation Schriften grossentheils im Staube geblieben.
Und was fehlte Huttens Schriften, daß man sie nicht aufleben ließe und erhielte? Als Beyträge zur Reformation hat man ja die schlechtesten Lumpen gesammlet, von Wiedertäufern, Kritikastern, und Helfershelfern; hier ist ein Reformator selbst, der in seinem Fache eher als Luther begann, und ihm nachher so treu half, so manches für ihn ausrichtete, so viel für ihn litt! Will man einen schönen Lateiner? Wer schreibt schöner, kräftiger, und blühender Latein, als Hutten? Erasmus und Melanchthon haben ihn deßhalb beneidet, die Italiener geschätzet, alle freye und heitere Musenfreunde geliebet. Soll also dieser edle Lateiner, eine Blüthe des wiederkehrenden Geschmacks so gut als untergegangen seyn und ferner im Staube modern? – Will man endlich einen Mann von Genie, von Gefühl, von edlem starkem [386] Triebe, einen Mann von Laune, Satyre, Salz? man beklagt, daß gegen Ausländer Deutschland deren nicht genug habe – und man wollte Hutten vergessen? Vermuthlich soll wieder ein Franzose, ein Italiener kommen, und uns seine Schriften, wie die Schriften unsres Leibnitz sammlen?
Tritt aus, Mann und Jüngling, der werth ist, Huttens Gebeine zu wecken! Mehr als ein Verleger würde die Hand bieten, alle guten Jünglinge sich einige Groschen zum Kauf oder zur Pränumeration ersparen, und in 2, 3 Bändchen bekämen wir unsern Hutten. Wäre dies Blatt so glücklich in die Hände dessen zu kommen, der bereits eine gute Sammlung gemacht hätte und sich mit andern über das vereinigen wollte, was ihm an Huttens Schriften etwa noch fehlet; wie würde ich mich freuen, daß ich zu diesem Werke geholfen!
Hutten schrieb an Luthern einmal: „Dein Werk, heiliger Mann, ist aus Gott, und wird bleiben: meins ist menschlich und wird untergehn.“ Die Worte erschüttern, eben weil sie so wahr sind. Huttens und Sickingens Werk gieng
[387] unter. Es war damals ein Zeitpunkt, daß Deutschland andre Gestalt gewinnen konnte: mehrere Gute strebten; es sollte nicht seyn: die Vorsehung hatte es anders beschlossen: sie giengen im Schiffbruch unter: sie erloschen wie Sterne in dunkler Nacht. Aber bey wem, als Undankbaren, sollte ihr Andenken erlöschen? Liegt in ihrem Untergange, sammt Dem, Was sie und Wie sie es wollten, nicht eben die größte Lehre?
Huttens Schatte, sei mir gegrüßt! Du Asche des Dichters,
Dem eine Insel im See endlich die Ruhe gewährt,
Sei mir gegrüßet, o Freund. Das hast du dir mühend errungen,
Ruh’ im Grabe. Wohlan! gieb sie dem Todten, o Grab.
Nimm die Veilchen, die hier ich dir steue, nimm auch die Thränen,
Tapfrer Ritter! Der Tod, Er nur gewährte dir Glück.
Glücklich im Tode, bist du; du siehst die größeren Uebel
Deines Landes nicht mehr, (dem du, ein Rächer, erschienst;)
Seit ein höheres Vaterland, der Himmel, dich aufnahm.
Doch auch auf Erden erwächst, Jahre nach Jahren, dein Ruhm
Enkel werden dich einst, dich, glückliche Asche, verehren; verehren;
Und so leb’ ewig wohl, ewig, o Redlicher, wohl.
Petr. Lotich.
- ↑ a) Hutten scheint dieses selbst geahndet zu haben; er machte sehr früh seine Grabschrift:
Von der Geburt an ward mir zum Lebensloose das Elend;
Uebel zu Land’ hab’ ich, Uebel zu Wasser erlebt.
Will es das Schicksal dann, daß all mein Leben in Jammer
Ende; so will es mir wohl, daß ich es endige bald.
Unter tausend Gefahren hab' ich die Muse geliebet,
Habe gethan für sie, was und wieviel ich vermocht. - ↑ b) Die in diesem Feldzuge geschriebenen kleinen Gedichte Huttens sind voll Patriotismus für Deutschland und dem Kaiser, voll ächten Kriegermuths gegen die Venetianer, am meisten aber gegen die Franzosen. Manche von diesen sind so charakteristisch, als ob sie zu unserer Zeit gemacht wären, und würden vielen Lesern in einer guten Uebersetzung wohl thun. Die Nationen bleiben sich immer gleich bis ans Ende der Tage.
- ↑ c) Vor einer Sammlung dieser Schriften sagt er: [356]
Sei nicht, o Leser, von zu zartem Ohr;
sonst ist die herbe Speise nicht für dich.
Ein hartes Werk beginnen wir, und hart
sind unsre Worte: denn auch Er war hart,
auf den wir treffen und hart seine That.
Wenn du dies Bändchen liesest, denk’: es schrei’t
ihn unschuldig-ungerächtes Blut.Und am Ende des Buchs sagt er:
Hassen, o Leser, kannst du mein Buch nicht; nur den Tyrannen
kannst du hassen und mußt, wer du vom Volke auch seyst.
Hassenswerth ist die That, und hassenwerth, der sie übte;
aber verdienet der, der sie verkündiget, Haß?
Redlich für die Sache.
Hutten. - ↑ Ob diese Briefe, und mehrere Huttensche Gespräche, die in der Sammlung Pasquillorum I. 2. Eleutherop. [359] 1544. stehen, Pasquille oder Satyren sind? muß nicht aus dem Geist unsrer, sondern der damaligen Zeit entschieden werden. Wie manches, selbst in den Schriften Luthers und Erasmus würde jetzt nicht geschrieben! Daß Hutten aber, wie Bayle vermuthet, wenn er noch dreissig Jahre gelebt hätte, ganz Europa mit Pasquillen würde überschwemmet haben, glaube ich nicht. In allen seinen Schriften zeigt sich oft zwar ein hitziger und brausender, nie aber ein unedler Geist, und daß in Huttens, wie in des freilich vorsichtigern Erasmus Schriften viel Attischen Spottes sei, ist unläugbar. Nur weil Hutten die Sache, die er trieb, so tief zu Herzen nahm, war sein Saltz scharf; er wollte nicht etwa nur vergnügen, sondern ändern, beßern, zuletzt auch rächen; und dann hat leider von selbst der Spott ein Ende. Sein vir bonus, seine intercessio pro Capnione, der Heroische Gesang in triumphum Jo. Reuchlin, seine Schriften an den Kaiser, seine Germania, sein Arminius sind voll der wärmsten, edelsten Stellen; und überhaupt gehöret nicht jede Production der Erde in die Zeit und Stunde, in der sie erscheinet?
- ↑ e) Auch Huttens erklärter Feind könnte die ungemeine Lebhaftigkeit, Stärke und Biegsamkeit seinem Lateinischen Styl nicht absprechen. In Reden, selbst den heftigsten Reden, in Gesprächen, Briefen, Gedichten, und zwar in Gedichten mehrerer Gattung ist [361] dieser jedesmal, was er Ihm seyn sollte. Den Livius stellte er, vermehrt, aus einer gefundenen Handschrift her; und jede Beute der schönen und nützlichen Litteratur lag ihm am Herzen. Sein Streit gegen das Papstthum war auf Geschichte gegründet, und er gieng hierinn rein zu Werke; auch hatte er Anfangs auf Luther nicht die mindeste Rücksicht. Er, wie Luther, hatte den Funken, der sie anglühte, aus Italien selbst geholet. Zu läugnen ist indessen nicht, daß in dieser Flamme, auch ohne die mindeste Religionsabsicht, bei Hutten mitunter ein wildes Feuer brannte; und dieses war, auch seine Jahre abgerechnet, der Rittergeist seiner Zeiten. Er war ein Fränkischer Edelmann, im Kriege frühe gebildet; er glaubte, wie mit dem Schwerdt, so auch mit der Feder kämpfen und sich auf gleichgetheiltes Licht, auf einen offenen, freien Kampfplatz verlassen zu können. Leider aber war dies der Fall nicht. Er kämpfte mit einer unsichtbaren, weit überwiegenden Macht, und mußte erliegen.
- ↑ f) Luthers Aussprüche von Hutten zeigen von dem grossen Verstande des biedern Mannes, und wie besser Er, als Hutten, die Welt kannte. Huttenus et multi alii fortiter scribunt pro me, et parantur in dies cantica. quae Babilonem istam parum delectabunt. – Hutten literas ad me dedit, ingenti spiritu aestuantes in R. Pontificem, scribens se iam et literis et armis in tyrannidem sacerdotalem ruere – – Quid Huttenus petat, vides; nollem vi et caede pro evangelio certari. Melanchthon, nach seiner Gemüthsart fürchtete Hutten. Vt virum magni facere et admirari propter doctrinae eruditionem et praestantiam ingenii, sic ab illius natura vehemente et excelso animo et voluntate ad novas res propensae [365] non nihil timere P. Melanchthonem licuit animadvertere, sagt Camerarius im Leben Melanchthons. Dies alles war in seiner Ordnung.
- ↑ g) Quod Hutteni colloquium deprecabar, non invidiao metus tantum in caussa fuit; erat aliud quiddam, quod tamen in spongia non attigi. Ille egens et omnibus rebus destitutus quaerebat nidum aliquem, ubi moraretur. Erat mihi gloriosus ille miles cum sua seabie in aedes recipiendus. So schrieb Erasmus an Melanchthon; und zu eben der Zeit an einen andern:Fuit Huttenus paucorum diorum hospes: interim nec ille me adiit, nec ego illum. Et tamen si me convenisset, non repulissem hominem a colloquio. Den Brief, den Erasmus an Hutten den Tag vor Ostern 1523. schrieb, kann man bei Wagenseil (Hutten. opp. Lips. 1783. S. 328) den Brief, den er an den Zürcher-Rath unterm 10. Aug. 1523. also wenige Tage vor Huttens Tode schrieb, kann man in Schubarts Ulrich von Hutten S. 146. lesen. Im letzten warnt er den Rath, und zwar eines Büchleins wegen, das Hutten gegen ihn schreibe (und Erasmus noch nicht gesehen hatte,) vor dem verbannten, äußerst dürftigen, Todkranken Manne als dem gefährlichsten Ruhestörer. Er will es ihm zwar nicht „verbunnen, daß die Gütigkeit des Zürcherraths ihn dort liesse wohnen, räth den Herren aber[381] sehr an, seinen Muthwillen ein wenig zu zähmen, damit würden sie nicht sowohl ihm, als andern Künsten, die dadurch befleckt sind, einen grossen Dienst und Nutzen beweisen.“ Hutten bat sich Erasmus Schreiben noch unterm 15. Aug. zur Verantwortung aus; und den 29. Aug. starb er. Ein Zürcher Gelehrter sollte Erasmus Briefe an Zwingli bekannt machen, in denen um diese Zeit gewiß auch von Hutten manches vorkommen wird. Tantae animis coelestibus irae! –
Rückst du dem Unglückseligen noch sein trauriges Schicksal
Vor, als wäre das Glück, wäre der Zufall ein Gott?
Ward Aeneas nicht auch und Ulysses lange verfolget?
Und war Jener und Er nicht ein rechtschaffener Mann?
Der du das Unglück nur als Schuld betrachtest, o fürchte,
Daß auch Deiner sich einst Niemand im Leiden erbarmt.
Hutten.Melanchthon dachte hiebei billiger und gerechter. Als der Poet Nachtigall (Luscinius) den todten Hutten mit Versen verfolgte, sagte er auf ihn die Verse.
Der du, o Grausamer noch, unglückliche Leichen zerreißest,
Nenne dich Nachtigall nicht, nenne dich Geier hinfort.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: gevechte